Wie liest und verstehst du die Bibel richtig?

 

Roland Sckerl

 

    Wenn du die Bibel aufschlägst, so wirst du feststellen, dass sie aus zwei großen Teilen besteht, dem Alten Testament, das etwa zwei Drittel der Bibel ausmacht, und dem Neuen Testament, das ein Drittel einnimmt. Das Alte Testament ist das Buch des Alten Bundes, geschrieben von Gottes Propheten etwa zwischen 1550 und 400 vor Christus, und ist geprägt von Gottes Gesetz, sowohl dem für alle Menschen geltenden natürlichen Gesetz wie auch den nur für Israel geltenden Sozial- und Zeremonialgesetzen. Vor allem aber tritt auch im Alten Testament immer wieder die Weissagung auf Christus, dem Retter der Welt, hervor, die im Laufe der Jahrhunderte immer detaillierter wird.

    Das Neue Testament wurde in einem Zeitraum von etwa 60 Jahren nach der Himmelfahrt Christi, zwischen 40 und 100 nach Christi Geburt, von den Aposteln und Apostelschülern niedergeschrieben und stellt die Erfüllung der im Alten Bund gegebenen Verheißungen heraus, Christi Rettungswerk für uns.

    Wenn du weiter blätterst, so stellst du fest, dass du mit der Bibel geradezu eine Bibliothek in Händen hältst, denn sie besteht aus insgesamt 66 Büchern, 39 im Alten Testament und 27 im Neuen Testament, geschrieben von ganz unterschiedlichen Personen, hochgebildeten Staatsmännern wie Mose, David, Salomo und Daniel, Theologen wie Samuel, Jesaja, Jeremia, Paulus, Kriegern wie Josua, einfachen Bauern wie Amos, Fischern wie Petrus und Johannes, Akademikern wie dem Arzt Lukas. Und so finden sich auch ganz unterschiedliche Schreibstile in diesen 66 Büchern, abhängig sowohl von denen, die die Texte niedergeschrieben haben, als auch natürlich von dem Inhalt, von dem, was ausgedrückt wird. 

    Das Erstaunliche aber ist, obwohl die Bibel also über einen Zeitraum von etwa 1650 Jahre entstanden ist und so viele sehr unterschiedliche Personen daran mitgewirkt haben, dass sie dennoch ohne innere Widersprüche ist. Wie kann das sein? Nun, die heiligen Männer sind wohl die Schreiber der Texte gewesen, aber der wahre und eigentliche Autor, Verfasser all der Bücher der Bibel ist der Heilige Geist. Die Bibel ist geistgehaucht (2. Tim. 3,16); an verschiedenen Stellen heißt es, dass der Heilige Geist redet, Gott redet (z.B. 2. Sam. 23,2; Apg. 1,16; 28,25; 2. Petr. 1,21). Luther hat deshalb völlig mit Recht die Bibel als „des Heiligen Geistes Buch“ bezeichnet. Weil Gott ihr Autor, Verfasser ist, darum hat sie auch seine Eigenschaften: Sie ist absolut wahr, absolut richtig, ohne irgendeinen Fehler, ohne Anpassung an Falsches, Irrtümliches, damit auch ohne Anpassung an den Zeitgeist, ohne Widersprüche, absolut irrtumslos. Weil aber Gott der HERR auch der Schöpfer der Schreiber ist, hat er dieselben nicht vergewaltigt, sondern hat sich ihrer in ihrer Eigenart, ihrem besonderen Wesen bedient, sie entsprechend forschen lassen (Luk. 1,1-4), hat sich an ihrem jeweiligen Stil angepasst.

    Und dieses so gewaltige Buch, das 66 Bücher enthält, hat doch einen Kern und Stern, nämlich Jesus Christus, den für uns Gekreuzigten und Auferstandenen, 1. Kor. 2,2; Luk. 24,25. Sie verfolgt dabei ein ganz zentrales Ziel, nämlich „predigen lassen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern“ (Luk. 24,47), damit Menschen „glauben, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes, und durch den Glauben das Leben haben in seinem Namen“ (Joh. 20,31). Das ist eine theologische Grundaussage, keine hermeneutische Aussage, das heißt, keine Aussage, die der Auslegung der Bibel vorgeschaltet oder übergestülpt werden darf, denn sie ist vielmehr aus der Bibel gewonnen.

    Wenn du die Bibel liest, so wirst du den Eindruck gewinnen, dass da zwei ganz unterschiedliche, sich widersprechende Aussagelinien enthalten sind. Und dem ist tatsächlich so. Gott hat zwei Rede- oder Predigtweisen, mit denen er uns begegnet: Gesetz und Evangelium. Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist dabei eine theologische Grundordnung. Gesetz ist all das, wodurch Gott uns zeigt, was wir Menschen tun oder lassen sollen (5. Mose 6,1), während das Evangelium uns verkündet, was Gott zu unserer Rettung für uns getan hat und noch tut (Joh. 3,16). Das Gesetz zeigt dir daher deine Sünde, nämlich wie weit du entfernt bist davon, den Willen Gottes vollkommen, nicht nur mit der äußeren Tat, sondern von Herzen, in Gedanken und Worten, deiner Haltung, zu erfüllen, und verkündet dir Gottes Zorn und Strafe (Gal. 3,10; Röm. 4,15). Das Evangelium dagegen zeigt dir Gottes Liebe, Gnade und Rettung in Jesus Christus (Röm. 3,22). So droht dir das Gesetz, verdammt und tötet dich  (Gal. 3,10), während das Evangelium dir die Vergebung der Sünden, damit Leben und Seligkeit verkündet, schenkt, zueignet und versiegelt (Röm. 3,22), und dich so zu Christus zieht und durch den Glauben geistlich lebendig macht (Röm. 6,23). Daher gilt dann auch das Gesetz den sicheren Sündern (1. Tim. 1,8-10), das Evangelium dagegen den erschrockenen, zerschlagenen (Matth. 11,28-30). Darum kann dich das Gesetz nicht lebendig machen, nicht retten. Es hat wohl eine Verheißung – Tue das, so wirst du leben – aber diese ist eben nur eine bedingte; die Bedingung aber kannst du nie erfüllen. Die Aufgabe des Gesetzes ist vielmehr, der groben Sünde zu wehren, vor allem aber rechte Sündenerkenntnis zu wirken (Röm. 3,20) und so ein Zuchtmeister auf Christus zu sein (Gal. 3,24) und den Christen als Regel für ihr Leben in der Nachfolge Christi zu dienen (Ps. 119,9.105). Allein das Evangelium rettet, schenkt dir die Vergebung der Sünden, das ewige Leben, indem es den rettenden Glauben an Christus in dir wirkt durch Wort und Sakrament (Röm. 1,16.17; 10,14-17; 1. Petr. 1,23; Jak. 1,18).

    Weil die Bibel Gottes Wort ist, weil sie absolut wahr, absolut irrtumslos ist, so kannst und sollst du auch alle Aussagen so nehmen, wie sie dastehen, auch wenn sie über kosmologische, naturgeschichtliche, naturwissenschaftliche, geographische, historische Dinge reden und vielleicht der gerade gültigen Meinung menschlicher Wissenschaft widersprechen. Menschen haben sich schon oft geirrt, Gott irrt sich nie.

    Die Bibel ist also so zu verstehen, wie es dasteht; wir sprechen da auch vom buchstäblichen oder Literarsinn der Bibel. Davon ausgenommen sind natürlich die bildhaften Darstellungen, wie sie vor allem in prophetischen Schriften zu finden sind. Das geht aber aus dem Zusammenhang hervor. Wie kannst du aber diese Texte verstehen? Nun, zu jedem Thema, jedem Lehrartikel hat Gott zumindest an einer Stelle klar und unmissverständlich gesprochen, so dass sich die biblische Lehre gerade auf diese klaren, hellen Stellen gründet (Glaubensanalogie), und die schwierigeren („dunkleren“`) Stellen durch sie zu erklären sind.

    Wichtig ist zum Verständnis natürlich auch, dass du feststellst, um welche Art von Text es sich handelt, also um einen Bericht, ein Gedicht, ein Gleichnis, das einen bestimmten Vergleichspunkt hat und oftmals durch eine Frage oder einen Vorbericht eingeleitet wird, was zum Verstehen wichtig ist. Auch ist wichtig, wer da jeweils redet, zu wem geredet wird, ob die Aussage daher allgemeingültig ist oder, wie Gottes Befehl an Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern, nur an eine einzelne Person oder, wie das alttestamentliche Sozial- und Zeremonialgesetz, nur einem einzelnen Volk, und auch nur für eine bestimmte Zeit, gegeben ist.

    Weil es aber Gott ist, der da zu dir redet, so lies die Bibel unter Gebet, bittend, dass der Heilige Geist dir das Wort aufschließe, damit du es auch verstehst, denn der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes, es ist ihm eine Torheit und kann es nicht verstehen, denn es muss geistlich verstanden werden (1. Kor. 2,14). Und lies sie mit der Haltung, dass du hören willst, was Gott dir zu sagen hat, dass du dich belehren, korrigieren lassen willst, dir Wegweisung geben, die Sünde strafen lassen willst, aber auch rechten Trost annehmen und Wegweisung für die Nachfolge. Das ist die Haltung, die Samuel hatte, als Gott zu ihm sprach: Rede HERR, denn dein Knecht hört. (1. Sam. 3,10.)