Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens
Christi
Martin Luther
1519[1]
Zum ersten
bedenken etliche das Leiden Christi so, dass sie über die Juden zornig werden,
singen und schelten über den armen Judas und lassen’s
so genug sein. Gleichwie sie gewohnt, andere Leute anzuklagen und ihre
Widersacher zu verdammen und versprechen. Das möchte wohl Christus nicht
leiden, sondern Judas und der Juden Bosheit bedacht heißen.
Zum zweiten
haben etliche angezeigt mancherlei Nutz und Frucht, so aus der Betrachtung des
Leidens Christi kommen. Dazu geht wird ihnen ein Spruch Alberts zugeschrieben,
dass es besser sei, Christi Leiden einmal oben hin zu überdenken, als dass man
ein ganzes Jahr fastet und alle Tage einen Psalter betet usw.
Dem folgen
sie blind dahin und geraden eben gegen die Frucht des Leidens Christi, denn sie
das Ihre darin suchen. Darum tragen sie mit sich Bilder und Büchlein, Briefe
und Kreuze. Auch fahren etliche so fern, dass sie sich vor Wasser, Eisen, Feuer
und allerlei Gefahr zu sichern vermeinen und so Christi Leiden ein Unleiden in ihnen wirken soll, gegen seine Art und Natur.
Zum dritten
haben sie Mitleid mit Christus, beklagen und beweinen ihn als einen
unschuldigen Menschen. Gleichwie die Frauen, die Christus aus Jerusalem
nachfolgten und von ihm gestraft wurden. Sie sollten aber über sich selbst
weinen und ihre Kinder.
Der Art
sind, die mitten in der Passion weit anreißen und von dem Abschied Christi zu
Bethanien und von den Schmerzen der Jungfrau Maria viel eintragen und kommen
auch nicht weiter. Da kommt es, dass man die Passion so viele Stunden verzieht,
weiß Gott, ob’s mehr zum Schlafen oder zum Wachen erdacht ist.
Zum vierten:
Die bedenken das Leiden Christi recht, die es so ansehen, dass sie
herzlich davor erschrecken und ihr Gewissen gleich sinkt in ein Verzagen. Das
Erschrecken soll daher kommen, dass du siehst den
strengen Zorn und unwandelbaren Ernst Gottes über die Sünde und Sünder, dass er
auch seinem eigenen allerliebsten Sohn hat nicht wollen die Sünde los geben, er
täte denn für sie eine solche schwere Buße. Wie er spricht Jes. 53,8: „Er wurde
um der Missetat meines Volkes geplagt.“
Was will dem
Sünder begegnen, wenn das liebste Kind so geschlagen wird? Es muss ein
unaussprechlicher, unerträglicher Ernst da sein, dem so eine große,
unermessliche Person entgegen geht und dafür leidet und stirbt. Und wenn du
recht tief bedenkst, dass Gottes Sohn, die ewige Weisheit des Vaters, selbst
leidet, so wirst du wohl erschrecken und je mehr je tiefer.
Zum fünften:
Dass du dir tief einbildest und gar nicht zweifelst, du seist es, der Christus
so martert. Denn deine Sünden haben’s gewiss getan. So schlug und erschreckte
St. Petrus Apg. 2 die Juden gleich wie ein Donnerschlag, da er zu ihnen allen
insgemein sprach: „Ihr habt ihn gekreuzigt.“, so dass 3000 an demselben Tag
erschreckt und zappelnd zu den Aposteln sprachen: „O liebe Brüder, was sollen
wir nun tun?“ Darum, wenn du die Nägel Christi siehst durch seine Hände
dringen, glaube sicher, dass das dein Werk ist. Siehst du seine Dornenkrone,
glaube, es sind deine bösen Gedanken usw.
Zum
sechsten: Nun siehe, wenn Christus eine Dorne sticht,
so sollen dich billig mehr als hunderttausend Dornen stechen; ja, ewig sollten
sie dich so und viel ärger stechen. Wenn Christus ein Nagel seine Hände oder
Füße durchmartert, solltest du ewig solche und noch ärgere Nägel leiden. Wie
denn auch geschehen wird denen, die Christi Leiden an sich lassen verloren
werden. Denn dieser ernste Spiegel Christi wird nicht lügen noch schimpfen; was
er anzeigt, muss so sein überschwänglich.
Zum siebten.
Ein solches Erschrecken nahm St. Bernhard daraus, dass er sprach: Ich meinte,
ich wäre sicher, wusste nichts von dem ewigen Urteil, das im Himmel über mich
ergangen war, bis dass ich sah, dass der einige Gottessohn sich meiner erbarmt,
hervortritt und in dasselbe Urteil sich für mich ergibt. O weh! Es ist mir
nicht mehr zum Spielen und sicher zu sein, wenn ein solcher Ernst dahinter ist.
So gebot er
den Frauen, Luk. 23: Weint nicht über mich, sondern über euch selbst und über
eure Kinder. Und sagt die Ursache: Denn tut man das am grünen Holz, was will am
dürren werden? Als sollte er sagen: Aus meiner Marter
lernt, was ihr verdient und wie es euch gehen soll. Denn hier ist es wahr, dass
ein kleines Brecklein geschlagen wird, den großen
Hund zu schrecken.
So hat der
Prophet auch gesagt: Es sollen über sich selbst klagen alle Geschlechter auf
Erden. Spricht nicht, sie sollen ihn klagen, sondern sich selbst über ihn
klagen. So erschraken auch die in Apg. 2, wie oben gesagt ist, dass sie zu den
Aposteln sagten: O Brüder, was sollen wir tun? Ebenso singt die Kirche: Ich
will fleißig daran denken und wird mir verschmachten meine Seele.
Zum achten.
In diesem Punkt muss man sich gar wohl üben, denn ziemlich der ganze Nutzen des
Leidens Christi gar daran gelegen ist, dass der Mensch zur Erkenntnis seiner
selbst komme und vor sich selbst erschrecke und zerschlagen werde. Und wenn der
Mensch nicht dahin kommt, ist ihm das Leiden Christi noch nicht recht nütze
gewordene. Denn das eigentliche natürliche Werk des Leidens Christi ist, dass
er sich den Menschen gleichförmig mache, dass, wie Christus an Leib und Seele
jämmerlich in unseren Sünden gemartert wird, müssen wir auch ihm nach so
gemartert werden im Gewissen von unseren Sünden. Es geht auch hier nicht zu mit
vielen Worten, sondern mit tiefen Gedanken und die Sünden groß achten.
Nimm ein
Gleichnis. Wenn ein Übeltäter würde gerichtet darüber, dass er eines Fürsten
oder Königs Kind erwürgt hätte und du sicher wärst und sängest und spieltest,
als wärest du ganz unschuldig, bis man dich schrecklich angriffe und dich
überwände, du hättest dem Übeltäter dazu verholfen. Siehe, hier würde dir die
Welt zu eng werden, besonders, wenn das Gewissen dir auch abfiele. So viel
enger soll dir werden, wen du Christi Leiden bedenkst. Denn die Übeltäter, die
Juden, wiewohl sie nun Gott gerichtet und vertrieben hat, sind sie doch deiner
Sünden Diener gewesen, und du bist es wahrhaftig, der durch seine Sünde Gott
seinen Sohn erwürgt und gekreuzigt hat, wie gesagt ist.
Zum neunten.
Wer sich so hart und dürr empfindet, dass ihn Christi Leiden nicht so
erschreckt, und zur Selbsterkenntnis führt, der soll sich fürchten. Denn da
wird nichts anderes draus, dem Bild und Leiden Christi musst du gleichförmig
werden, es geschehe in diesem Leben oder in der Hölle. Zumindest musst du beim
Sterben in das Erschrecken fallen und zittern, beben und alles fühlen, was
Christus am Kreuz leidet. Nun ist es grausam, bis auf das Totenbett zu warten.
Darum sollst
du Gott bitten, dass er dein Herz erweiche und lasse dich fruchtbar Christi
Leiden bedenken. Denn es auch unmöglich ist, dass Christi Leiden von uns selbst
könne gründlich bedacht werden, Gott senke es denn in unser Herz. Auch weder
diese Betrachtung noch irgendeine andere Lehre dir darum gegeben wird, dass du
sollst frisch von dir selbst darauf fallen, dasselbe zu vollbringen, sondern
zuvor Gottes Gnade suchen und begehren, dass du es durch seine Gnade und nicht
durch dich selbst vollbringst. Denn daher ist’s gekommen, dass die oben
angezeigt sind, Christi Leiden nicht recht handeln, denn sie Gott nicht darum
anrufen, sondern aus ihrem eigenen Vermögen, eigene Weise dazu erfinden, ganz
menschlich und unfruchtbar damit umgehen.
Zum zehnten.
Wer also Gottes Leiden einen Tag, eine Stunde, ja, eine Viertelstunde bedenkt,
von demselben wollen wir frei sagen, dass es besser sei, als ob er ein ganzes
Jahr fastet, alle Tage einen Psalter betet, ja hundert Messen hört. Denn dies
Bedenken verwandelt den Menschen wesentlich und gar nahe, wie die Taufe
wiederum neu gebiert. Hier wirkt das Leiden Christi sein rechtes, natürliches
edles Werk, erwürgt den alten Adam, vertreibt alle Lust, Freude und Zuversicht,
die man haben mag von Kreaturen, gleichwie Christus von allen, auch von Gott,
verlassen war.
Zum elften.
Dieweil denn solches Werk nicht in unserer Hand ist, so geschieht es, dass wir
es zuweilen bitten und erlangen es doch nicht zur Stunde. Dennoch soll man
nicht verzagen oder ablassen. Zuweilen kommt’s, dass wir nicht darum bitten,
wie Gott denn weiß und will. Denn es will frei sein und ungefangen.
Da wird denn der Mensch betrübt in seinem Gewissen, und missfällt ihm selbst
übel in seinem Leben.
Und kann
wohl sein, dass er nicht weiß, dass Christi Leiden in ihm solches wirkt, daran
er vielleicht nicht denkt. Gleichwie die anderen sehr an Christi Leiden
gedenken und doch nicht zu ihrer Selbsterkenntnis daraus kommen. Bei jenen ist
das Leiden Christi heimlich und wahrhaftig. Bei diesen scheinbar und betrüglich und der Weise nach, Gott oft das Blatt umwendet,
dass die nicht das Leiden Christi bedenken, die es bedenken.
Zum
zwölften. Bisher sind wir in der Marterwoche gewesen und haben den Karfreitag
recht begangen. Nun kommen wir zu dem Ostertag und der Auferstehung Christi.
Wenn der Mensch also seiner gewahr geworden und ganz erschreckt in sich selber
ist, muss man Acht haben, dass die Sünde nicht so im Gewissen bleibe, es würde
gewiss ein lauter Verzweifeln daraus. Sondern gleichwie sie aus Christus
geflossen und erkannt worden sind, so muss man sie wieder auf ihn schütten und
das Gewissen ledig machen.
Darum siehe
ja zu, dass du nicht tust, wie die verkehrten Menschen, die sich mit ihren
Sünden im herzen beißen und fressen und sterben danach, dass sie durch gute
Werke oder Genugtuung hin und her laufen oder auch mit Ablass sich heraus arbeiten und die Sünden losen werden wollen, was
unmöglich ist, und leider eingerissen ist solche falsche Zuversicht der
Genugtuung und Wohlfahrten.
Zum
dreizehnten. Denn wirfst du von dir deine Sünde auf Christus, wenn du fest
glaubst, dass seine Wunden und Leiden sind deine Sünde, dass er sie trage und
bezahle. Wie Jesaja 53 sagt: Gott hat unser aller Sünde auf ihn gelegt. Und St.
Petrus (1. Ep. 2): Er hat unsere Sünde an seinem Leib
getragen auf das Holz des Kreuzes. St. Paulus (2. Kor. 5): Gott hat ihn zur
Sünde gemacht für uns, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor
Gott gilt.
Auf diese
und dergleichen Sprüche musst du mit ganzem Wagnis dich verlassen, umso mehr,
je härter dich dein Gewissen martert. Denn wenn du das nicht tust, sondern
durch deine Reue und Genugtuung dich vermisst zu stillen, so wirst du
nimmermehr zur Ruhe kommen und musst zuletzt doch verzweifeln.
Denn unsere
Sünden, wenn wir mit ihnen in unserem Gewissen handeln und sie bei uns lassen
bleiben, in unserem Herzen ansehen, so sind sie uns viel zu stark und leben
ewig. Aber wenn wir sehen, dass sie auf Christus liegen und er sie überwindet
durch seine Auferstehung und wir das keck glauben, so sind sie tot und zunichte
geworden. Denn auf Christus konnten sie nicht bleiben, sie sind durch seine
Auferstehung verschlungen und siehst jetzt keine Wunden, keine Schmerzen an
ihm, das ist, keiner Sünden Anzeichen.
So spricht
St. Paulus: Dass Christus um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer
Rechtfertigung willen auferweckt, Röm. 4. Das ist, in seinem Leiden macht er
Bekanntschaft mit unserer Sünde und erwürgt sie so. Aber durch seine
Auferstehung macht er uns gerecht und los von allen Sünden, so wir anders
dasselbe glauben.
Zum
vierzehnten. Wenn du nun nicht kannst glauben, so sollst du, wie vorhin gesagt,
Gott darum bitten. Denn dieser Punkt ist auch allein in Gottes Hand frei und
wird auch gleich gehen, zuweilen öffentlich, zuweilen heimlich, wie von dem
Punkt des Leidens gesagt ist. Magst dich aber dazu reizen.
Zum ersten,
nicht das Leiden Christi mehr ansehen (denn das hat nun sein Werk getan und
dich erschreckt). Sondern durchdringen und ansehen sein freundliches Herz, wie
voller Liebe das gegen dich ist, die ihn dazu zwingt, dass er dein Gewissen und
deine Sünde so schwer trägt. So wird dir das Herz gegen ihn süß und die
Zuversicht des Glaubens gestärkt.
Danach
weiter. Steig durch Christi Herz zu Gottes Herz und siehe, dass Christus die
Liebe dir nicht hätte können erzeigen, wenn es Gott nicht hätte gewollt in
ewiger Liebe haben, dem Christus mit seiner Liebe gegen dich gehorsam ist. Da
wirst du finden das göttlich gute Vaterherz, und, wie Christus sagt, so durch
Christus zum Vater gezogen. Da wirst du denn verstehen den Spruch Christi Joh.
3: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einigen Sohn dahingab usw.
Dass heißt denn Gott recht erkannt, wenn man ihn nicht bei der Gewalt oder
Weisheit, sondern bei der Güte und Liebe ergreift. Da können der Glaube und die
Zuversicht denn bestehen, und ist der Mensch so wahrhaftig neu in Gott geboren.
Zum
fünfzehnten. Wenn so dein Herz in Christus befestigt ist und nun den Sünden feind geworden bist, aus Liebe, nicht aus Furcht der Pein,
so soll weiterhin das Leiden Christi auch ein Beispiel sein deines ganzen
Lebens und nun auf eine andere Weise dasselbe bedenken. Denn bisher haben wir
es bedacht als ein Sakrament, das in uns wirkt und wir leiden. Nun bedenken wir
es, dass wir auch wirken, nämlich so:
Wenn dich
ein Wehtag oder Krankheit beschwert, denke, wie
gering das sei gegen die Dornenkrone und Nägel Christi.
Wenn du
musst tun oder lassen etwas, was dir zuwider ist, so denke, wie Christus
gebunden und gefangen hin und her geführt wird.
Ficht dich
die Hoffart an, siehe, wie dein HERR verspottet und mit den Schächern verachtet
wird.
Stoßen dich
Unkeuschheit und Lust an, gedenke, wie bitter Christus sein zartes Fleisch zergeißelt, durchstoßen und durchschlagen wird.
Fechten dich
Hass und Neid an oder du Rache suchst, gedenke, wie Christus mit vielen Tränen
und Rufen für dich und alle seine Feinde gebetet hat, der sich wohl
gerechtfertigter gerächt hätte.
Wenn dich
Trübsal oder welche Widerwärtigkeit leiblich oder geistlich bekümmert, stärke
dein herz und sprich: Ei, warum sollt ich denn nicht auch eine kleine Betrübnis
leiden, so mein HERR im Garten Blut vor Angst und Betrübnis schwitzte? Ein
fauler und schändlicher Knecht wäre das, der auf dem Bett liegen wollte, wenn
sein Herr in Todesnöten streiten muss.
Siehe, also
gegen alle Laster und Untugend kann man in Christus Stärke und Labsal finden.
Und das ist recht Christi Leiden bedacht, das sind die Früchte seines Leidens.
Und wer so sich darin übt, der tut besser, als dass er die gesamte Passion
hörte. Das heißen auch rechte Christen, die Christi Leiden und Namen so in ihr
Leben ziehen. Wie St. Paulus sagt Gal. 5: Welche Christus
angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden. Denn
Christi Leiden darf man nicht mit Worten und zum Schein, sondern muss mit dem
Leben und wahrhaftig gehandelt werden.
So ermahnt
uns St. Paulus: Gedenkt an den, der ein solches Widersprechen von den Sündern
gegen sich erduldet hat, dass ihr nicht in eurem Mut matt werdet und ablasst,
Hebr. 12.
Und St.
Petrus: Wie Christus im Fleisch für uns gelitten hat, so wappnet euch auch mit
demselben Sinn, 1. Petr. 4.
Aber diese
Betrachtung ist aus der Welt gekommen und selten geworden, obwohl doch die
Episteln von St. Paulus und St. Petrus voll davon sind. Wir haben das Wesen in
einen Schein verwandelt und das Bedenken des Leidens Christi allein auf die
Briefe und an die Wände gemalt.
[1]
Entnommen aus: Martin Luther: Betbüchlin mit
Calender und Passional. Wittenberg: Hans Lufft. 1554. S. 161 ff.