Friedrich August Brunn –
um die unverkürzte
Wahrheit der Bibel
Inhaltsverzeichnis
1. Vom
Rationalismus zu Christus
2.
Festigung im Wort – Aufbruch zur lutherischen Gemeinde
3. Um
Gottes Kirche – Auseinandersetzung mit der Union
2.
Wachstum der lutherischen Kirche
4. Das
Ringen um bibel- und bekenntnistreue lutherische Kirche
1.
Festigung im Bekenntnis. Verbindung mit der Missouri-Synode
b) Die
Beziehungen zur Missouri-Synode.
2. Die
Lehrauseinandersetzungen
a) Um
Kirche und Amt bei den preußischen Lutheranern
b) Das
Ringen mit der Immanuel-Synode.
c) Der
Bruch mit den Landeskirchen
5. Die
Evangelisch-Lutherische Freikirche
Anhang 1:
Brunn zur Verbalinspiration der Heiligen Schrift
Anhang 2:
Brunn zu Kirche und Amt
Anders als Johann Gottfried Scheibel, der Retter der lutherischen Kirche
in Preußen, kam Friedrich August Brunn nicht aus einem gläubigen lutherischen
Elternhaus und lernte auch in seiner Kindheit keine lebendige lutherische
Kirche kennen. Als er am 15. Februar 1819 auf Schloss Schaumburg an der Lahn im
Herzogtum Nassau geboren wurde, wo sein Vater, der aus Anhalt stammte,
reformierter Hofprediger war, war das Land längst im tiefsten Rationalismus
versunken und wusste nichts mehr von Gott und Christus. Auch Brunns Vater
vertraten einen radikalen, ethischen Rationalismus. Friedrich sagte von sich
selbst, dass er bis zum 18. Lebensjahr nichts von Christus gewusst hat (als
Pfarrersohn!), sondern geradezu in „heidnischer Unwissenheit“ aufwuchs. Zu
solch einer völligen Entfremdung von der Bibel, vom Christentum hatte der
Rationalismus auch damals schon geführt[1].
Kein Gebet, kein Wissen um Gott war bis dahin zu ihm vorgedrungen, nur
heidnische Sittenlehre.[2]
Sein Vater, ein Mann von natürlicher Herzensgüte, hatte keine Spur von
Erkenntnis von der menschlichen Sündhaftigkeit, verstieg sich vielmehr in Ideen
menschlicher Tugend und Eigengerechtigkeit. Das biblische, gläubige Christentum
galt Brunns Vater als „Schwärmerei“, von der er meinte, seine Kinder unbedingt
fernhalten zu müssen. Hausandacht und Tischgebet waren in seinem Vaterhaus
daher völlig unbekannt.[3]
Auch im Konfirmandenunterricht kam kein biblisch-christlicher
Katechismus vor, sondern er wurde nach einem „Leitfaden für den
Religionsunterricht“ gehalten, in dem es weder die Zehn Gebote noch das
apostolische Glaubensbekenntnis gab, dafür aber Christus, Mose und Sokrates als
große Religionslehrer und Weise des Altertums vorgestellt wurden. Für die
Konfirmandenprüfung wurden den Konfirmanden damals 42 Fragen und Antworten
übergeben. Davon lautete etwa die 15. Frage: „Worauf gründet sich diese selige
Überzeugung und eure ganze Religionserkenntnis am vorzüglichsten? Antwort: Auf
unsere Vernunft und die genaue Kenntnis unserer inneren Natur, weshalb es der
erste Grundsatz ist: ‚Erkenne dich selbst‘.“[4]
In Frage 26 hieß es: „Warin besteht die Bestimmung des Menschen? Antwort: Dass
er seinen Geist immer mehr ausbildet und dadurch in den Besitz der Wahrheit,
Tugend und Glückseligkeit gelangt.“ Was dies für das Leben bedeutet, machte
Frage 32 deutlich: „Wie lebt ihr am würdigsten für die Ewigkeit? Antwort: Wenn
wir uns immer mehr auszubilden streben und nie ermüden, fleißig an unserer
Besserung und Veredlung zu arbeiten.“ Nur in der Frage 33 taucht dann mal etwas
von Gott auf, aber auch nur, um diese menschenzentrierte, ganz Goethes Faust
entsprechende menschliche Werkreligion zu stützen: „Worauf könnt ihr bei diesem
Bestreben sicher rechnen? Dass uns Gott den Heiligen Geist schicken wird, d.h.
Ausdauer und Mut, Recht und Tugend zu üben und der Sünde zu widerstehen.“
Christus selbst taucht nur einmal (Frage 35) auf, als der, der uns von
„Unwissenheit, Aberglauben und Sünde erlöst habe“.[5]
Wie weit das vor Gott Gute unterschieden ist von dem bloß natürlich „Guten“ des
Menschen, davon war keine Spur zu finden in solch einer „Religion“. Diesen
Unterschied zu fassen hat Brunn später manchen Kampf gekostet.[6]
Dennoch wünschte sein Vater, dass er Theologe werden solle. Es war sogar schon
ausgemacht, dass er später die Stelle seines Vaters übernehmen sollte. Neigung
dazu hatte Friedrich Brunn überhaupt nicht; er hätte lieber einen weltlichen
Beruf ergriffen, etwa Mediziner.[7]
Nach einigem Widerstreben erklärte Friedrich sich dazu bereit, vor allem
nachdem ein Onkel, der Pastor in Wörlitz in Anhalt war, auch ein Rationalist,
ihm Leipzig empfohlen hatte und ihn auf einen ehemaligen Schüler und jetzigen Studenten,
Karl Graul, verwies.[8]
Graul, der spätere Missionsdirektor der evangelisch-lutherischen Mission zu
Leipzig, war gerade selbst erst zum rechtfertigenden Glauben an Christus
gekommen und nahm sich, während er im letzten Semester seines eigenen Studiums
war, des jungen Studenten Brunn an. Dieser erfährt nun erstmals in seinem Leben
etwas von Christus und der biblischen Lehre[9]
und erkennt: So, wie ich bin, so kann ich unmöglich Prediger werden; dazu muss
ich Christ sein. So standen ihm lebhaft die Grundfragen vor Augen: Was ist das
Christentum? Was ist die Wahrheit? Und wie steht es darin mit mir?[10]
Auch erfasste er klar, dass all seine Philosophie in ihm keine Liebe zu Gott
hatte wecken können, und seine Sünden standen ihm immer klarer vor Augen. So
konnte er schon während des ersten Semesters an der Universität das für sich
persönlich annehmen, sich aneignen, was Gott der HERR ihm einst in der Taufe
zugeeignet hatte. Das bedeutete zugleich einen völligen Bruch mit seinem ganzen
bisherigen Denken und Leben.[11]
Während seines weiteren Studiums hörte er nur wenig Professoren, da die
meisten Rationalisten waren. Er fand aber gute Freunde in Karl Caspari (später
Professor für Altes Testament neben Gisle Johnson in
Christiania (heute Oslo)) und Schneider (später Pastor in Leipzig).[12]
Nach anderthalb Jahren ging er nach Bonn und dann nach Herborn, um schließlich
seine Kandidatenzeit im väterlichen Haus zu verbringen, wo er auch seinen
Geschwistern ein Wegweiser zu Christus sein durfte.[13]
Brunns innerer Zustand war aber zu diesem Zeitpunkt alles andere als
gefestigt. Die klare lutherische Lehre wurde damals so gut wie gar nicht
gelehrt, sowohl was die Frage der Rechtfertigung angeht als auch die klare
Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Die rechte lutherische Kirche und
ihre Gnadenmittel waren außerhalb der unabhängigen lutherischen Kirche in
Preußen damals allgemein ziemlich unbekannt. Und mit den preußischen
Lutheranern hatten sich nur wenige ausführlicher beschäftigt. So konnte Brunn
von dieser Seite noch keine Stärkung bekommen und sein Glaubensleben war tief
von Stimmungen, Gefühlen und guten Werken geprägt. Den wahren Halt, nämlich
an dem objektiven Wort Gottes, erkannte er noch nicht. Heilsgewissheit war
ihm noch völlig unbekannt, wie er selbst schreibt: „Ich hatte in dieser Zeit
wohl den aufrichtigen Willen, ein Christ zu sein, ich hatte auch tiefe innere
Sehnsucht nach dem Heil in Christo und lebendiges Gefühl meines Sündenelendes,
aber von Gewissheit der Vergebung meiner Sünden wusste ich noch nichts und wäre
ohne Zweifel in große Verlegenheit gekommen, wenn mich jemand darauf gefragt
hätte. So fehlte es denn auch noch an der Kraft zu wirklich christlichem Leben.
Doch hielt ich mich ganz fern von weltlichem Umgang … mein Glaube war ganz
abhängig von vorübergehenden inneren Stimmungen und Gefühlen“[14]
Ende des Jahres 1842 erhielt Friedrich Brunn schließlich eine Anstellung
als Hilfsprediger in Runkel bei Limburg an der Lahn. Er war einem älteren
rationalistischen Pfarrer zugeteilt, der sich kaum um die Gemeinde kümmerte.[15]
Die Gemeinde steckte damals in tiefster geistlicher Finsternis, gebeutelt vom
schlimmsten Rationalismus. Wie Brunn schrieb, war jede Erinnerung an
Katechismus und Lieder, sogar an die zehn Gebote und das apostolische
Glaubensbekenntnis erloschen. Das war auch nicht verwunderlich, weil der
rationalistische Nassauische Landeskatechismus damals schon ein Menschenalter
in Gebrauch war. Und wie antwortete er auf die Frage, wer Jesus Christus ist?
„Er war ein Mensch wie wir, der in der innigsten Verbindung mit Gott stand.“ Der
Kirchenbesuch war so sehr zurückgegangen, dass zu einem von Brunns ersten
Gottesdiensten nur fünf Männer erschienen.[16]
Brunn selbst fehlte damals noch jeder Begriff von Kirche, kirchlicher Ordnung,
Bekenntnis und Zucht. Aber er erkannte die Herausforderung, in die Gott der
HERR ihn gestellt hatte und hatte auch von Seiten des Pfarrers völlig freie
Hand. Durch Hausbesuche, in denen er das wenige, das er wusste, vortrug, und
durch Predigten, die mehr seine Erfahrungen als Gottes Wort wiedergaben, wurde
die Gemeinde wachgerüttelt und fragend.[17]
Buße und Bekehrung waren seine Hauptthemen damals. Anhand von David und Petrus
etwa zeigte er auf, wie Buße sich äußert; dann aber betonte er vor allem, dass
man nur durch Christus und aus Gnaden gerettet werden kann, da er uns durch
sein Leiden und Sterben Vergebung unserer Sünden erworben hat. Diese Seligkeit
nun gilt es mit Ernst zu suchen, um nicht auf dem Weg zur Hölle zu bleiben.
„Schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern“ und „Ringt, dass ihr
eingeht durch die enge Pforte“, das waren seine Haupttexte.[18]
Besonders die Leichenpredigten und die Passionsgottesdienste, die er auch in
den Filialorten hielt (er predigte damals jede Woche fünf Mal), wurden zu einem
großen Segen, und die Kirchen füllten sich.[19]
Im zweiten Winter setzte Brunn seine Hausbesuche fort und stiftete auch
christliche Lesevereine, hielt Wochenpredigten über die zehn Gebote und das
Glaubensbekenntnis in Runkel und den Filialorten und Bibelstunden nach diesen
Wochengottesdiensten. Sie wurden, besonders nach der Trennung von
schwärmerischen Elementen, zu einem großen Segen.[20]
Immer mehr rückte das Wort Gottes in den Mittelpunkt und prägte die
Gemeinde.[21] Die
Menschen sprachen Brunn selbst auf dem Weg an und bekannten ihre Sünden,
wollten Erklärung des Heilswegs. In Steeden hörte das Wirtshausgehen völlig
auf, dafür konnte nun im Wirtshaus Bibelstunde gehalten werden. Die Herzen der
Menschen war wie nach Wasser lechzender Boden, so aufnahmebereit waren damals
die Sünder. Es kam zu lebendiger Erkenntnis der Sünden, Reue und Schrecken über
diese und dann zu einem ernsten Trachten nach dem Reich Gottes und der Rettung
für die Seelen.[22]
Gleichzeitig aber ging Brunn durch schwere Anfechtungen, bis hin zu
großen Zweifeln an der Wahrheit des Wortes Gottes. Da sein Glaube noch sehr an
Gefühl und Stimmungen orientiert war, kam er immer wieder in eine große
geistliche Dürre, gerade in seinem zweiten Jahr in Runkel, so dass sein Amt ihm
zu einer riesigen Last wurde. Gerade das aber trieb Brunn immer mehr ins Wort,
denn wo sonst sollte er Gott finden? So lernte er, sich an Gott in seinem Wort
zu klammern. „… ich lernte in all diesen inneren Kämpfen immer mehr auf das
Wort Gottes schauen und mich an ihm festhalten, als an dem alleinigen festen
Grund alles Trostes und Friedens, ich gewöhnte mich immer mehr, nach den
wechselnden Stimmungen meines sündigen, bösen Herzens nicht mehr zu fragen,
sondern allein in seinem Worte und seiner Verheißung der Nähe und des
Gnadenbeistandes meines Gottes und Heilandes sicher und Gewiss zu werden. Das
Wort Gottes wurde immer mehr der feste Grund, auf dem mein ganzes Denken und
Leben ruhte, das alleinige Licht, das mir in der Finsternis leuchtete. …
Gottes Wort ist die neue himmlische Welt, darin die Christenseele lebt und webt,
es ist das einzig Gewisse hier auf Erden, wo ich den lebendigen Gott und
Christum, den Hirten und Bischof meiner Seele, finde und habe. Dahin gilt es,
täglich zu fliehen aus den Finsternissen der Welt und des eigenen Fleisches und
mit diesem Schwert des Geistes und dem Schild des Glaubens alle feurigen Pfeile
des Bösewichts zu überwinden.“ [23][Hervorh. vom Hrsg.]
Im dritten Jahr kam noch ein körperliches Leiden hinzu, das ihm fast die Stimme
raubte. Durch Überreizung der Sprechorgane war es zu einer nervösen Lähmung
gekommen. Im Frühjahr 1845 musste er sogar drei Monate ganz pausieren, damit
seine Stimme wieder besser wurde; aber es dauerte Jahre, bis sie halbwegs wieder hergestellt war, ohne je wieder so kräftig zu werden
wie zuvor. Brunn nahm aber auch dies aus Gottes Hand und erkannte, dass dadurch
der HERR ihn in Demut erhielt und immer wieder deutlich machte, dass alles, was
er durch ihn, Friedrich Brunn, ausrichtete, doch nicht dessen, sondern allein
Gottes Werk war.[24]
In dem, was Friedrich August Brunn in dieser ersten Zeit predigte, war
noch viel Werkerei, viel Selbstbemühen um die
Seligkeit und die Gewissheit darinnen.[25] Durch die Anfechtungen aber wurde er, wie oben
angeführt, ganz zu Gottes Wort geführt: Nicht
mehr Gefühl und Stimmungen bestimmten ihn, sondern er lernte, gerade auch in
Zeiten geistlicher Dürre sich am Wort Gottes festzuhalten, denn „Die Anfechtung lehrt aufs Wort
merken“ (Jes. 28,19). Bis er
dann die vollständige theologische Erkenntnis der lutherischen Lehre erreichen
sollte, dauerte es noch lange, denn damals wurde sie kaum irgendwo klar
gelehrt. So waren es zunächst nur die Grundprinzipien vom Wort Gottes und den
Sakramenten, die er erfasste. „Ist es doch der erste Grund- und Eckstein alles
Luthertums, dass Gott nur mit uns handelt und alle Gnade uns nur gibt durch
sein Wort, geschrieben in der Schrift, dass darum der Glaube nur an dieses
feste prophetische und apostolische Wort sich halten und in Not und Tod sich
darauf gründen muss.“[26]
Zu diesen Anfechtungen kam die Frage nach der Gewissheit im Glauben, der
Gewissheit der Vergebung der Sünden: Dadurch wurde er auch zu den anderen
Gnadenmitteln, Taufe und Abendmahl, geführt.[27] In der ersten Zeit hatte er mit ihnen nichts
anzufangen gewusst, ja, stand der Kindertaufe überhaupt kritisch gegenüber,
denn in ihr sah er damals einen Hauptgrund für das Verderben in der Kirche, die
Vermischung von Welt und Kirche. Der Unterschied zwischen lutherischer und
reformierter Lehre war ihm da noch völlig unklar.[28]
In diese Zeit nun fiel ein Besuch seines Freundes, Karl Graul, nun
Direktor der evangelisch-lutherischen Mission zu Leipzig, der inzwischen ein
bewusster Lutheraner war und ihn nun auf die biblisch-lutherische Lehre von den
Sakramenten hinwies: Gottes Gaben für uns und zu unserer
Versiegelung mit Verheißungen gegeben, im Glauben zu empfangen.[29] Brunn hatte ihm die not
seiner Seele, seinen Mangel an innerer Klarheit, Festigkeit und Gewissheit
seines ganzen Gnadenstandes geklagt, seine ihn oft drückende innere Dürre und
Lehre. Graul machte ihm deutlich, dass ja gerade das
lutherisches Christentum ist, „in aller Armut, Finsternis und
Anfechtung der Seele allein an dem Wort Gottes und der Verheißung Gottes zu
hängen und festzuhalten und sich dieselben durch die heiligen Sakramente aufs
festeste versiegeln zu lassen. Zum ersten Mal in meinem Leben erfuhr ich jetzt die
Bedeutung der lutherischen Lehre von den Gnadenmitteln, besonders den heiligen
Sakramenten, und das wurde mir gar leicht und schnell klar, dass nur hier der
sichere Grund sei, auf dem man stehen könne.“[30]
In der Gemeinde waren in dieser Zeit ganz ähnliche Fragen aufgebrochen,
wie sie Brunn bewegt hatten. Nun konnte er sie recht unterweisen und ihnen
Trost spenden durch Wort und Sakrament und sie zu einem gesunden biblischen
Glauben führen: Nicht der Glaube ist es,
der die Vergebung sich erringt, sondern er erfasst nur, was Christus längst
durch seinen Gehorsam, Leiden und Sterben uns erworben hat und Gott uns in Wort
und Sakrament zueignet, gibt.[31] Und so erkannte auch die Gemeinde: Nicht das eigene
innere Leben ist der Maßstab des Glaubens, sondern die objektiven Größen sind
es, die Gnadenmittel, die Gott uns gibt: Wort und Sakrament; nicht um die
äußere Betätigung geht es hier in erster Linie, sondern um Trost und
Unterweisung.[32] Gerade die Lehre von den Sakramenten wurde
ausführlich besprochen und die Gemeinde kam so zu ganz klaren lutherischen
Erkenntnis und Übereinstimmung – nicht aus bloßem Herkommen, denn sie war ja
formal eigentlich reformiert, sondern aus innerster Überzeugung.[33]
Der Besuch Grauls war naturgemäß nur kurz
gewesen und hatte nur Anregung geben können. Brunn wollte nun wirklich
lutherisch sein – aber es war damals nicht einfach, sich in lutherische Lehre,
Theologie zu vertiefen, da kaum etwas dazu vorhanden war und es nur wenig
Pastoren und Theologen gab, die wirklich konsequent lutherisch waren. So war er
ganz allein auf Gottes Wort angewiesen. Das zeigte sich schon beim Ringen um
eine klare Auffassung vom heiligen Abendmahl. Zwinglis grobrationalistische
Auffassung lehnte er von vornherein ab, neigte aber zunächst mehr derjenigen
Calvins zu, der von einem geistlichen Genuss von Christi Leib und Blut im
Abendmahl spricht. Aber, und das war nun entscheidend: Dafür konnte Brunn auch
keinen wirklichen Schriftbeweis finden. „So drängte sich mir mit Gewalt die
Überzeugung auf, dass Klarheit und Gewissheit, zunächst in der Abendmahlslehre,
nur dann möglich ist, wenn wir bei dem Wortlaut der Einsetzungsworte des HERRN,
‚das ist mein Leib‘ in kindlich einfältigem Glauben stehen bleiben. Ich sah
ein, hier gilt nur die klare, unzweifelhafte Entscheidung: Entweder wir und die
ganze christliche Kirche müssen für immer uns in Zweifel und
Unwissenheit bescheiden, was Taufe und Abendmahl sind, oder aber, wir müssen an
dem einfachen Wortlaut der Einsetzungsworte festhalten, dann, und nur dann
ist alles klar und gewiss.“[34]
Das wurde ihm zu einer grundlegenden Erkenntnis: „Wird uns die Erforschung der
göttlichen Wahrheit, der Glaube und der Friede der Seele zu einem Gegenstand innerer
Not und inneren schweren Kampfes, zu einer uns quälenden Gewissenssache,
dann können Herz und Gewissen auf keinem anderen Weg zu Ruhe und Frieden kommen
als durch festes Sichanklammern an das Wort und den
Buchstaben, der aus Gottes Mund gegangen ist. … Das gilt nicht nur in Betreff
der Abendmahlslehre, sondern überhaupt alles Glaubens und aller Lehre, über die
je in der Kirche Streit gewesen ist.“[35]
(Hervorh. von Verf.)
„Ganz klar aber erkannte ich in jener Zeit schon das eigentliche
Wesen der Gnadenmittel nach lutherischer Lehre als eine Tat Gottes oder
als der göttlichen Hand, durch welche uns Gott seinerseits und ganz
abgesehen von unserem Empfang alle Güter seiner Gnade, die uns Christus mit
seinem Blut erworben hat, tatsächlich darbietet, so dass der Mensch, um der
Vergebung seiner Sünden und seiner Seligkeit teilhaftig und gewiss zu werden,
nichts weiter nötig hat, als dass er nur glaubt und durch den Glauben ergreift
und sich zueignet, was ihm hier in Wort und Sakrament zugesagt und gegeben
wird, so hat er es. Da lernte ich nun erkennen, wo ich Christus und seine Gnade
allein zu suchen und zu finden hatte, ich lernte ihn und die Vergebung meiner
Sünden mit fröhlicher Zuversicht fassen in seinem Wort und Sakrament.“[36]
Damit hatte Brunn den Kern des biblischen Glaubens, wie ihn das Luthertum
wiederentdeckt hatte, erfasst: „Da steht also die Gewissheit, ob ich Christus
und die Vergebung meiner Sünden empfangen habe und sie nun wirklich besitze,
nicht auf meiner eigenen Buße oder auf meinem schwachen Glauben, meine
Seligkeit steht nicht auf der zweifelnden Frage, die namentlich in der Todesstunde
gar schrecklich sein muss: Ist meine Buße und Bekehrung auch hinreichend vor
Gott? Sondern mein Trost und meine Zuversicht steht einzig und allein nur auf
dem, was Gott an mir getan, was Gott mir gegeben, und wenn ich darauf nur
gläubig mich verlasse, so kann es kein Tod noch Teufel mir rauben oder nehmen.
Die ganze Aufgabe des Glaubens ist hiernach also nicht, nach methodistischer
Weise den Himmel zu erstürmen und Christus herab zu holen, oder betend und
kämpfend die Vergebung der Sünden sich erst zu erringen, nein, sondern der
Glaube hat nur zu fassen, was Gott in Wort und Sakrament gibt, und nicht zu zweifeln,
dass er Gottes Gnade darin empfängt, falls er sie nur nicht mutwillig verachtet
und von sich stößt.“[37]
Obwohl Brunn die lutherische Lehre noch nicht im ganzen Umfang erfasst
hatte, so war ihm doch damals schon klar geworden, welch ein grundlegender
Unterschied zwischen lutherischer und reformierter Lehre besteht, wie gerade
die reformierte Lehre die objektive Kraft und Bedeutung der Gnadenmittel
schmälert und herabsetzt und das Gewicht auf das eigene innere Leben des
Menschen legt. Diese Lehrart hat ihre Stärken darin, den sicheren Sünder
aufzuwecken und wachzurütteln aus seinem Sündenschlaf, ihn zum Erschrecken über
seine Sünden zu führen und zur Buße zu rufen – aber dann wird sie schon schwach
und schief und führt die verzweifelten Sünder auf den Irrweg, sich durch Gebet
und innere Erfahrung den Trost der Vergebung der Sünden zu erringen. Besonders
ist der Hang zu einem Gefühlschristentum einerseits und andererseits zu zwar
vorbildlichen sozialdiakonischen und sozialmissionarischen Taten andererseits
vorhanden, die aber dann dazu dienen sollen, die Gewissheit des Glaubens zu
gewährleisten. Die lutherische Lehre dagegen hat das Evangelium vom Trost des
Sünders im Zentrum und führt ihn zur Quelle und zum Grund des Heils gerade
durch die objektive Mitteilung und Versicherung der Gnade und Seligkeit. Welche
falschen, romanisierenden, Irrlehren leider auch in der lutherischen Kirche
darüber eingebrochen waren, nämlich dass etliche behaupteten, auch ohne
persönliche gläubige Annahme hätten die Gnadenmittel eine Wirkung am Menschen,
erkannte Brunn erst später.[38]
Bei der immer klareren biblisch-lutherischen Ausrichtung war es nur
natürlich, dass es zu einer Auseinandersetzung mit der seit 1817 in Nassau
herrschenden Union kommen musste, mit der Brunn sich vorher gar nicht
beschäftigt hatte, die ihm aber immer deutlicher als ein Wesen entgegentrat, in
dem Irrlehre geduldet wurde. So wurde der Weg geebnet von der lutherischen
Lehre zur lutherischen Kirche, denn ohne Kirche kann die Lehre nicht
bleiben.[39]
In Runkel und den anderen Orten, vor allem Steeden, herrschte ein reges
geistliches Leben mit täglichen Besuchen untereinander, Lesen von Predigten und
Schriften und Hausandachten. Allmählich war es auch zu einer Scheidung gekommen
zwischen denen, die nur Mitläufer in der Erweckung waren und jenen, die
wirklich bekehrt waren. Erstere fielen mehr oder weniger stark wieder in die
Welt zurück, während die anderen sich in festen Kreisen sammelten. Das war (und
ist auch heute) ganz natürlich, da die Landeskirchen damals wie heute ganz und
gar falsche Kirchen waren und sind, also keine echten Glaubensgemeinschaften,
weshalb die Gläubigen sich anderweitig zusammenschließen mussten und müssen, um
das Bedürfnis christlicher Gemeinschaft zu befriedigen.[40]
Die konfessionelle Frage wurde akut, als der alte Pfarrer starb und ein neuer,
junger, in die Gemeinde gesetzt wurde, der ganz in der Union stand und
Rationalist war. Nun war die Versetzung Brunns zu erwarten. Dieser, der seine
Verantwortung für die Gemeinde sah, schrieb an Graul um Rat, und dieser setzte
sich mit Harless, der damals Professor in Leipzig
war, in Verbindung. Beide erklärten Brunn klar, dass ein Lutheraner
grundsätzlich nicht in der Union bleiben kann.[41]
Als er im Mai 1846 dieses Schreiben erhielt, war er zunächst erschüttert, denn
so eindeutig hatte er sich die Frage noch gar nicht vorgelegt, trotz all der
Miss-Stände in der nassauischen Kirche, die ihn sehr bedrückten, hatten er nie
an Trennung gedacht. Und von den selbständigen Lutheranern in Preußen wusste er
noch gar nichts. Alle Fragen, die mit dem Thema „Kirche“ zusammenhingen, waren
Brunn damals noch fremd.[42]
Es begann für ihn nun eine Zeit angestrengtesten inneren Ringens und Kämpfens. Durch
die Heilige Schrift (unter anderem Röm. 16,17; Tit. 3,10) wurde ihm aber
deutlich, dass es kein Lehrgemenge in der Kirche geben darf, und dass die
Trennung von der Irrlehre geboten ist.[43]
„Alle die Stellen der heiligen Schrift über das Meiden falscher Lehre, über die
Abweisung notorisch Ungläubiger und Gottloser vom heiligen Abendmahl und von
der kirchlichen Gemeinschaft brachten es mir bald zum klaren Bewusstsein, dass
der gläubige Christ nicht bloß die Pflicht stillschweigender Duldung solcher
öffentlich herrschenden kirchlichen Missbräuche und Sünden habe, sondern dass
es sich hier um heilige Gottesgebote handele, deren Erfüllung für jeden
Christen eine Gewissenspflicht ist, wenn man sich nicht fremder Sünde
teilhaftig machen will.“[44]
Dies bekannte er auch seiner Gemeinde. In der Pfingstpredigt 1846 legte Brunn
erstmals seiner Gemeinde dar, was die Union ist und was die Bibel dazu sagt,
was ihm einen scharfen Verweis der Kirchenleitung einbrachte. 26 Familien, die
meisten aus Steeden, waren bereit, mit ihm den Weg in die lutherische Kirche zu
gehen. Am 6. Juli 1846 wurde dieser Schritt vollzogen, ohne zu ahnen, was von
Seiten der Herrschenden auf sie zukommen würde.[45]
Die Regierung in Wiesbaden hatte kein Verständnis für die Trennung und
drohte Brunn mit der Ausweisung aus Runkel und erklärte auch gegenüber den
Gemeindegliedern, ein Austritt aus der Landeskirche sei nicht möglich.[46]
Nach einer Reise nach Sachsen, wo er auf dem Missionsfest in Dresden erstmals
Bekanntschaft mit den selbständigen preußischen Lutheranern (Huschke und P. Wermelskirch) machte, und der Bestätigung der Ordination in
Erfurt durch Pastor Wermerskirch, kehrte Brunn nach
Steeden zurück, dem Mittelpunkt der jungen Gemeinde und teilte dies auch der
Staatsregierung mit. Zunächst war er ja geneigt gewesen, Runkel und Umgebung zu
verlassen und ins preußische Braunfels umzusiedeln. Dabei berief er sich auf
die formal geltende Religionsfreiheit. Offiziell wurde er nun ausgewiesen, kam
aber heimlich bei Nacht zurück und stärkte die Kirchglieder durch nächtliche
Bibelstunden und Gesangsunterricht. Dabei kam ihm zugute, dass der Beamte in
Runkel ihm wohlgesonnen war und immer wieder im Voraus warnte, was von der
herzoglichen Regierung gegen ihn geplant war.[47]
Die Gemeinde schickte auch Abgesandte an die Regierung und wollte sich an die
Landstände wenden, woraufhin die Regierung zunächst nachgab und der Gemeinde zu
Beginn der Passionszeit 1847 auf freien Gottesdienst zugestand.[48]
Die liberalen Landstände selbst aber sprachen im Frühjahr 1847 sich entgegen
dem damals herrschenden Recht gegen die Lutheraner aus, was zu einer Erneuerung
der Verfolgung, Gefängnis für Gemeindeglieder, Verbot der Nottaufe und Verhören
führte. Immerhin aber hatte diese Behandlung der Sache bei den Landständen die
gesamte Angelegenheit der nassauischen Lutheraner an eine größere
Öffentlichkeit gebracht. Die lutherische Gemeinde breitete sich so auch 10 bis
12 Orte in der Umgebung aus. Gottesdienst wurde, da ja noch kein Kirchengebäude
errichtet werden konnte, in einer Bauernstube gehalten.[49]
Hatte die Regierung sich zunächst nach der Entscheidung der Landstände
abwartend verhalten, da die Öffentlichkeit zu aufmerksam geworden war, so ging
sie nach einer Zeit wieder gegen Brunn und die Gemeinde vor: Brunn selbst
sollte aus Steeden ausgewiesen und unter polizeiliche Überwachung gestellt
werden. Dieser entzog er sich zunächst durch eine Reise nach Neuendettelsau, wo
er mit Wilhelm Löhe zusammentraf, der ihm den Rat gab, Schriften über die
nassauische kirchliche Sache herauszugeben. Ansonsten aber widersprachen die
Ratschläge, die Löhe gab, genau denen, die P. Wermelskirch
im Jahr zuvor gegeben hatte. Löhe riet nämlich davon ab, sich den Maßnahmen der
Regierung zu widersetzen; selbst von heimlichen Besuchen bei der Gemeinde
sollte Brunn nach dessen Meinung absehen. Auch Pfarrer Wucherer in Nördlingen
unterstützte Brunn, indem er in seinem Blatt ausführlich über die Nassauer
Lutheraner berichtete und Brunn viele dieser Blätter im Herzogtum Nassau unter
die Leute bringen konnte. Die Begegnung mit den Erlanger Professoren Höfling
und Thomasius erbrachte gar nichts, da diese blind waren für freie Gemeinden
und sich gar darin verstiegen zu behaupten, Brunn und seine Gemeinde „hätten
schwer gefehlt, dass sie dem Summepiskopat des Landesherrn und dem Regiment der
Landeskirche sich entzogen“ und forderten gar auf, in die Landeskirche
zurückzukehren.[50]
Auf dem Heimweg traf Brunn in Wiesbaden Herrn Locher, einen Gutsbesitzer
aus Saarbrücken, der zu den preußischen Lutheranern gehörte, und nun Brunn und
seine Familie einlud, den Winter bei ihm auf dem Gut zu verbringen und von dort
aus die lutherischen Familien in der Umgebung von Saarbrücken und im Rheinland
zu bedienen. Brunn nahm das gerne an, wirkte vier Monate in diesen lutherischen
Kreisen und durfte erleben, wie die Zahl der Gemeindeglieder wuchs, so dass in
Saarbrücken und Köln Gemeinden gebildet werden konnten mit eigenen Pastoren.
Auch während dieser Zeit ging er immer wieder ins Nassauische, um die
Gemeindeglieder in Steeden zu stärken. Da er ins Preußische umgezogen war, war
die nassauische Polizei über seinen Aufenthalt im Unklaren, so dass er dort,
wen auch nur nachts, wirken konnte. Da der Raum, in dem sie in Steeden heimlich
zusammenkamen, sehr klein war, musste der Gottesdienst mehrmals wiederholt
werden.[51]
Die Bedrückung durch die Regierung hatte für die Gemeindeglieder zugenommen,
die Kirchensteuer für die Landeskirche wurde ausgepfändet, die Eltern
gezwungen, ihre Kinder in den unionistischen Religionsunterricht zu schicken;
Nottaufen wurden bei vier Tage Gefängnisstrafe verboten. Aber die Gemeinde
ertrug dies alles und wurde innerlich gestärkt.[52]
Dann aber, als die Not immer größer wurde, auch bei Brunn die
körperlichen Kräfte durch die vielen Wanderungen bei Kälte, dann Tauwetter,
Regen, durch tiefen Morast anfingen abzunehmen, kam die Märzrevolution 1848,
die über Nacht die Freiheit brachte, zunächst aber auch großes Leid, da der
revolutionäre Pöbel in der Zeit der Gesetzlosigkeit den Privatterror gegen die
Lutheraner noch verstärkte, bis die Behörden einschritten (Brunn wurde sogar
der Tod angedroht und musste mit seiner Familie zeitweilig nach Runkel in die
Verborgenheit bei einem Gemeindeglied ziehen; das sogenannte
„Sicherheitskomitee“ der Aufrührer stand eindeutig gegen die freie lutherische
Gemeinde). In Preußen hätte er sowieso nicht bleiben können, da das dortige
Gesetz besagte, dass die selbständigen lutherischen Gemeinden nur durch
preußische Staatsbürger betreut werden durften, weshalb Brunn im Frühjahr 1848
vor das Landratsamt in Saarbrücken geladen wurde, wo ihm als Nichtpreußen alle
weitere Amtstätigkeit untersagt worden war. Deshalb wollte er auf jeden Fall
wieder zurück ins Nassauische. Und gerade in der Nacht, in der Brunn mit seiner
Familie im Postwagen Richtung Wiesbaden unterwegs war, brach in Nassau die
Revolution aus, als erstem aller deutschsprachigen Staaten. Die gottlose Welt
hatte mit ihren Anschlägen das Werkzeug sein müssen, durch das Gott die Seinen
rettete, ohne dass Brunn und die Gemeinde dazu etwas hatten beitragen können
oder müssen.[53]
Nach dem Durchbruch der Religionsfreiheit begann die Gemeinde, Kirche
und Pfarrhaus in Eigenleistung zu bauen, nach Plänen, die Brunn angefertigt
hatte, und zwar als ein Gebäude, in dem unten der Gottesdienstsaal und oben die
Pfarrwohnung ist. Zum Himmelfahrtsfest 1849 konnte sie eingeweiht werden.[54]
Noch einmal setzte nach dem Sieg der politischen Reaktion 1852 eine Behinderung
und Unterdrückung der Gemeinde ein – Ausländer durften keine Pastoren sein –
aber auch hier half der HERR durch.[55]
Mit der neuen Freiheit setzte ein Wachstum der lutherischen Kirche in
Nassau in alle Himmelsrichtungen ein: An vielen Orten, etwa Mensfelden,
Kirberg und Bechtheim; Diez, Fachingen, Nassau; in
Wiesbaden schlossen sich Familien an und es wurden besondere Predigtstellen
eingerichtet, die Brunn besuchte, um zu predigen, zu unterweisen, im
Katechismus zu unterrichten. Dabei gilt es zu bedenken, dass all diese Reisen
damals noch zu Fuß unternommen werden musste, denn eine Eisenbahn gab es noch
nicht.[56]
Besonders im Usinger Gebiet (Schmitten, Arnoldshain,
Anspach, Westerfeld, Eschbach) kam es zu einer Erweckung und bald konnte dort
eine Gemeinde eingerichtet werden,[57]
ebenso in Gemünden im Bezirk Westerburg (einst ganz lutherisch, zudem eine
evangelische Enklave in römisch-katholischem Gebiet), wo die Bewegung durch
eine Magd, die in Wiesbaden im Dienst war und Brunns Schrift über den Austritt
aus der Landeskirche ihre Eltern nach Gemünden mitgebracht hatte, ins Rollen
kam.[58]
Es gab dort Personen, die seit der Einführung der Union (1817) das Abendmahl 33
Jahre nicht mehr nach der biblisch-lutherischen Weise empfangen hatten und sich
nun danach sehnten. In kurzer Zeit traten 153 Familien zur lutherischen Kirche
über.[59]
Da versuchte die Regierung doch, gegen alle 1848 zugelassenen Freiheiten, diese
Bewegung zu hindern, verbot Brunn das Predigen in Gemünden und wollte den
Austritt der Familien aus der Landeskirche zunächst nicht anerkennen, erklärte
sich dann aber mit einer amtlich beglaubigten Austrittserklärung einverstanden.
Brunn durfte zwar eine Zeitlang dort nicht predigen, hielt aber dafür
Bibelstunden in den Häusern und nutzte diese zu intensiver Unterweisung. Bis
zum Herbst konnte dann durch Unterredungen mit der Staatsregierung die Sache
soweit geklärt werden, dass Friedrich Brunn im Oktober wieder Gottesdienste
hielt. Ein Mann stellte sein Haus zur Verfügung und erlaubte, dass durch das
Herausbrechen einer Zwischenwand ein genügend großer Saal für 200 – 300
Personen vorhanden war.[60]
Am 13. Oktober 1850 fand im Steedener
Pfarrhaus die erste lutherische Konferenz statt. Pastor Löhe war aus Bayern
gekommen, dazu Lutheraner aus Hessen-Darmstadt und vor allem auch aus der
selbständigen lutherischen Kirche in Preußen. Der Kandidat Ebert aus Sachsen
wurde ordiniert und sollte die Gemeinde in Usingen bedienen, der Kandidat
Fronmüller aus Bayern diejenige in Gemünden; er wurde am 3. November ordiniert
und in seiner Gemeinde eingeführt. Ebert hatte zunächst einen schwierigen Stand
in Anspach, dem Mittelpunkt der Gemeinde, da die Ortspolizeibehörde und der
evangelische Pfarrer sich der Ansiedlung Eberts zu widersetzen suchten und so
auch der Pöbel aufgestachelt wurde. Fenster wurden eingeworfen, Hunde auf die
Lutheraner gehetzt, man drohte mit Aufruhr. Aber Ebert blieb – und die Gemeinde
wuchs.[61]
Interessanterweise ging bald darauf die Bewegung in Nassau nicht weiter.
An etlichen weiteren Orten hat Brunn noch gepredigt, Bibelstunden gehalten –
aber zu einem mächtigen Durchbruch wie in Usingen und Gemünden kam es nicht
mehr, nur kleinere Kreise sammelten sich noch. So gibt der HERR zu gewissen
Zeiten geistliche Aufbrüche, geistlich gesegnete Zeiten, und dann wieder, oft
über Jahrzehnte, völlige Stille. Ab Ostern 1851 hatte er dann in dem Hilfsprediger
Fleischmann aus Bayern jemand, der die Kreise außerhalb Steedens bediente, aber
nur ein Jahr bleiben konnte, weil die den Lutheranern übel gesinnte nassauische
Staatsregierung ihm auf Dauer den Aufenthalt in Nassau verweigerte.[62]
Mit dem Sieg der Reaktion 1852 wurden die „Märzfreiheiten“ von 1848
wieder zurückgenommen und die nassauische Regierung versuchte, auf allen
Gebieten die Verhältnisse wie vor 1848 wieder durchzusetzen. Dies galt gerade
auch im kirchlichen Bereich. So wurde Ebert und Fronmüller der weitere
Aufenthalt in Nassau, da sie Ausländer waren, untersagt. So hoffte man, die
Gemeinden zu zerstören. Brunn wurde alle amtliche Tätigkeit außerhalb Steedens
verboten, was er allerdings nicht befolgte. Als dann tatsächlich alle Pfarrer außer
Brunn das Land hatten verlassen müssen, trat durch Gottes Gnade mit Pfarrer
Hein ein Nassauer in den Dienst der lutherischen Kirche, der dann nach
Frankfurt zog und von dort aus die Gemeinden in Usingen und Wiesbaden betreute.
In Frankfurt selbst bildete sich allmählich auch eine kleine bibeltreue
lutherische Gemeinde.[63]
Die Verhältnisse in Gemünden dagegen gestalteten sich schwierig, zum einen,
weil die Gemeinde Brunn die Schuld gab, dass Pfarrer Fronmüller nicht im Amt
hatte bleiben können, dann aber auch, weil die dortigen Beamten der
lutherischen Gemeinde sehr feindselig gesonnen waren. Selbst als nach 1854 die
Verfolgung der Lutheraner nachließ – ohne dass die Maßnahmen offiziell
zurückgenommen wurden, dies geschah im unabhängigen Nassau nicht mehr – mussten
die Gottesdienste noch bis 1860 heimlich im Wald stattfinden; erst dann wurde
der Beamte am Ort angewiesen, nichts mehr gegen die Tätigkeit Brunns zu
unternehmen.[64]
Die 1850er Jahre brachten, vor allem nachdem die Ausdehnung der
lutherischen Kirche in Nassau zu einem vorläufigen Abschluss gekommen war, eine
innere Zurüstung und Stärkung der Gemeinden.[65]
Es war gerade auch für Friedrich Brunn, der auf den Universitäten nichts vom
Luthertum gehört hatte, eine Zeit, in der er sich intensiv mit den lutherischen
Bekenntnisschriften beschäftigte, um einen festen Stand zu bekommen, auch für
die Pastoralkonferenzen der rheinischen selbständiger Lutheraner, die 1854
begannen.[66] In
Baden war ja Pastor Eichhorn aus der Landeskirche ausgetreten, in Radevormwald
Pastor Haver, nach dessen Ermordung P. Crome dort ins
Amt kam, Pastor Ebert war von Nassau nach Köln an die altlutherische Gemeinde
gegangen und in Saarbrücken stand Pastor Rudel, später Pastor Semm im Dienst der lutherischen Gemeinde. In diesem Kreis
herrschte zunächst noch viel Unklarheit über die wahre Lehre, war doch der
hochkirchliche oder romanisierende Einfluss von Löhe und Huschke (Breslauer Oberkirchencollegium der preußischen Lutheraner) noch
stark. Auch pietistische Ansichten wurden noch vertreten. Brunn war geradezu
schockiert über die Lehrverwirrung, die er in der Konferenz feststellen musste.[67]
Zunächst hatte er ja enge Kontakte zu Wilhelm Löhe in Neuendettelsau,
musste aber auf die Dauer merken, dass es diesem je länger je weniger um die
reine biblisch-lutherische Lehre ging als vielmehr um bestimmte Kirchenideale,
die er verwirklicht sehen wollte, bei denen Liturgie, Verfassung der Kirche und
Kirchenzucht im Zentrum standen. Auch die drei Mitarbeiter Brunns (Ebert,
Fleischmann, Fronmüller) kamen alle aus dem Umfeld Löhes. So waren auch bei
Brunn zunächst ja die Neigungen ähnlich auf Liturgie und Kirchenverfassung
gerichtet. Gott aber machte diese eigenartigen Vorstellungen zunichte: Zum
einen mussten ja, wie oben erwähnt, die drei Mitarbeiter Nassau wieder
verlassen; zum anderen kam es zu den schweren Kämpfen in Gemünden, den neuen
Bedrückungen durch die Regierung, so dass alle Kirchenverfassungspläne sich schon
dadurch in Luft auflösten. Zu all dem kam noch das schwere Leberleiden, das
Brunn aufgrund der harten Lebensumstände der ersten Jahre in unabhängiger
Gemeinde sei 1849 peinigte und seine Arbeitsmöglichkeit sehr einschränkte.[68]
Durch die Erfahrung in der rheinischen Konferenz fing Brunn an, intensiv
sich mit der lutherischen Lehre, das heißt vor allem, mit Luther selbst und den
alten Vätern und deren Dogmatik zu beschäftigen, gerade auch mit den Lehren von
der Rechtfertigung, der Taufe, dem Abendmahl.[69]
Verbunden damit waren als zentrale Fragen schon damals die Gnadenmittel,
die Kirche, das Amt, die Absolution. Dadurch kam Brunn gerade in diesen Lehren
zur vollen Klarheit und grenzte sich nun entschieden ab von den romanisierenden
Irrlehren, die immer mehr um sich griffen und dem Pfarramt etwa eine Herrschaft
über der Gemeinde zusprachen.[70]
Mehr und mehr gewann Brunn dabei die klare lutherische Haltung: Die Lehre
wird vom Wort her beurteilt; was vom Wort her nicht tragbar ist, davon hat die
Kirche sich zu trennen.[71]
Ohne Einigkeit im Glauben und in der Lehre ist keine Kirchengemeinschaft und
keine gemeinschaftliche kirchliche Arbeit möglich.[72]
Auch erkannte er, dass das höchste Gericht und Regiment bei der Gemeinde
ist und sein soll, wie er auch in den lutherischen Bekenntnisschriften es
bezeugt fand, zunächst noch zu seiner großen Verwunderung. Dann aber wurde es
ihm klar, nicht zuletzt durch Luther: Christus selbst wohnt ja in seiner
Gemeinde, selbst wenn diese nur aus zwei oder drei Personen besteht. Und wo
Christus ist, da ist er mit all seinen Gaben und seiner Gewalt – und an all dem
hat die Gemeinde durch den Glauben, die Rechtfertigung Anteil. „So gewiss
daher Christus die Schlüssel hat, hat sie auch die Gemeinde, und so gewiss Christus
dem Pastor die Schlüssel aufträgt und überträgt, sie in seinem Namen öffentlich
zu verwalten, ebenso tut dies alles auch die Gemeinde, ja, der Christus, der in
der Gemeinde wohnt, tut dies alles in ihr und durch sie, und wenn es also die
Gemeinde tut, so tut es Christus selbst.“[73]
So kam er auch ganz klar in der Lehre von der Kirche, nämlich dass die
Kirche im eigentlichen Sinn, ihrem Wesen nach, nur die Gemeinde der Gläubigen
ist, die durch den Glauben alle Güter und Rechte Christi hat, nicht die äußere
Versammlung, die vielmehr die Güter nur um der Gläubigen in ihrer Mitte hat.
Bei den romanisierenden Lutheranern wurde und wird das Schwergewicht auf die
äußere Kirche gelegt, deren Ämtern dann die Kirchengewalt zugesprochen wird.[74]
Zentral und entscheidend für alles lehrmäßige Wachsen durch Forschen in
der Schrift war für Brunn, „dass die Bibel, und zwar die ganze Bibel vom
ersten bis zum letzten Buchstaben in ihr Gottes Wort ist, und dass dieses ganze
Wort Gottes nütze ist zur Lehre, dass alles in ihm, bis auf das Geringste
herab, von Gott für uns offenbart, zu uns geredet, uns zum
Heil gegeben und zu halten befohlen ist. Darum war es mir ein rechter und
voller Ernst damit, diese ganze von Gott uns offenbarte Wahrheit zu
wissen und zu erkennen, nichts darin für unwesentlich und gering zu achten,
sondern zu glauben allem dem, was Propheten und Apostel geredet haben.“[75]
„Von großer und entscheidender Wichtigkeit für meine ganze theologische
Entwicklung, wie ich sie in jenen fünfziger Jahren hatte, war ferner, dass mir
von Anfang an die Rechtfertigungslehre in den Mittelpunkt meiner Erkenntnis
trat.“[76] Deshalb
konnte Brunn auch die Lehrauseinandersetzungen nicht als unnötige Streitereien
betrachten, sondern er erkannte vielmehr, dass es immer um das Festhalten an
der göttlichen Wahrheit gehen muss, um das reine Wort Gottes, und dass es dabei
letztlich immer auch um den Kern und Stern des ganzen Evangeliums geht, die
Lehre von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden, allein um Christi
Verdienst willen, allein durch den Glauben.[77]
In diese Zeit (1851) fallen dann auch erste Berührungen mit der
Missouri-Synode, nachdem verschiedene junge Glieder der nassauischen Gemeinden
nach Amerika ausgewandert waren und zwei später das Predigerseminar der
Missouri-Synode besuchten. Zunächst aber herrschten auch bei Brunn eher die
damals in den deutschen Staaten gehegten Vorurteile gegen Missouri vor.[78]
1858 brach der Kontakt zu Löhe ab, nachdem Brunn sein Büchlein über das
Predigtamt herausgegeben hatte, dem Löhe nicht zustimmte und sich selbst immer
mehr in chiliastischen Dingen verfing und anstatt der Lehre sich mehr der
inneren Mission zuwandte. Da Brunn und Hein während dieser Zeit auch immer
fester in der lutherischen Lehre wurden, erkannten sie auch immer deutlicher,
wie richtig die Missouri-Synode stand.[79]
Die Kontakte dorthin werden also erst enger, als schon viele
Entscheidungen gefallen waren und Carl Ferdinand Wilhelm Walther in die
deutschsprachigen Gebiete kam (1860) und auch Steeden besuchte, unter anderem
auf der Suche nach einem Platz für ein Pro-Seminar für die Missouri-Synode in
diesen Gebieten. Friedrich Brunn sagte zu und baute Dachstübchen im Steedener Pfarrhaus für die Seminaristen aus. Sieben zogen
zu Ostern 1861 ein; im vierten Jahr waren es schon 24, für die dann ein Anbau
an das Pfarrhaus errichtet wurde.[80]
Brunn betonte auch später, dass seine und Heins lehrmäßige Ausrichtung sich
davor, in den Jahren 1854-58, vollzogen hatte, so dass dann, als der Kontakt
mit C.F.W. Walther kam, man Einheit in der Lehre feststellen konnte.[81]
So begann dann, mit Unterstützung durch die Leipziger Mission, ein Einjahreskurs für das praktiscb-theologische
Seminar in St. Louis und später auch ein Zweijahreskurs für die dortige höhere
Schule (Gymnasium). Ziel des Proseminars war es, die Absolventen zu Lutheranern
zu machen, wozu besonders der intensive Unterricht im Katechismus diente, so
dass sie dann auch in Amerika in der lutherischen Kirche Dienst tun konnten.[82]
Die ganze Sache war ein Glaubenswerk, da Missouri nicht in der Lage war, auch
nur einen größeren Teil der Kosten des Pro-Seminars zu tragen, noch viel
weniger Pastor Brunn und seine Gemeinden. So war angewiesen auf die Gaben von Freunden
und Bekannten vor allem in den sich lutherisch nennenden Landeskirchen und
machte jedes Jahr während der Sommerferien eine Kollektenreise,
während der er von der Arbeit in der Anstalt berichtete.[83]
Nach 1872, als keine Gemeinschaft mehr mit den Landeskirchen bestand, ging das
Seminar zurück und wurde 1878 geschlossen. (1881-86 hat Brunn dann nochmals
einzelne Schüler unterrichtet, zuweilen drei bis vier, unterstützt von den
sächsischen Gemeinden der Freikirche). Weit über 200 Schüler sind im Laufe der
Jahre nach Amerika gesandt worden.[84]
Die Hilfe sollte jetzt in die umgekehrte Richtung erfolgen, nämlich das
deutsche Lutheraner in den USA studierten für ein Predigtamt in der freien
lutherischen Kirche in Deutschland. Überhaupt hatte Friedrich Brunn ab 1872
sich sehr einschränken müssen, da seine körperlichen Kräfte so abgenommen
hatten, dass er fast drei Jahre mehr oder weniger dahinsiechte. C.F.W. Walther
schickte ihm daher Karl Eikmeier als Gehilfen, der
vor allem das Predigtamt übernahm, aber auch in der Anstalt mithalf (und später
Brunns Schwiegersohn wurde). Als Brunn sich aus ihr ganz zurückziehen musste,
half der missourische Pastor von Brandt, der gerade mit seiner Familie im
Deutschen Reich weilte, für längere Zeit aus.[85]
Das Seminar mit den Reisen Brunns und überhaupt den Kontakten, die sich
ergaben, halfen auch, dass Brunn vielfältige Verbindungen in die
deutschsprachigen lutherischen Kreise hatte und das klare biblisch-lutherische
Zeugnis in weite christliche Kreise verbreitet wurde. Das war auch der
Hintergrund dafür, dass er ab 1866 das Blatt „Evangelisch-Lutherische Mission
und Kirche“ herausgab.[86]
Schon vor dem Bruch mit den Landeskirchen aber begannen die großen und
schwerwiegenden Lehrauseinandersetzungen innerhalb des Bereichs der
lutherischen Freikirchen. Die nassauischen Lutheraner hatten sich 1852 locker
an die selbständigen preußischen Lutheraner angeschlossen. Großen geistlichen
Nutzen konnten sie daraus nicht ziehen. Die Pfarrer Brunn und Hein wohnten zwar
den Synodalversammlungen in Breslau bei, die aber vier Wochen (!) dauerten und
sich damals fast gänzlich in äußeren Geschäftssachen ergingen und keine
geistliche Erbauung, Förderung brachten.[87]
Im Jahr 1860 brachen dann dort die Fragen nach dem Wesen der Kirche und ihrem
Regiment auf: Es zeigte sich, welch eine Not es gewesen war, dass Scheibel
selbst die Kirche nicht mehr hatte unterweisen können.[88]
Philipp Emmanuel Huschke vertrat die Ansicht, dass das Kirchenregiment als
Regiment göttlichen Ursprungs sei und für den kirchlichen Bereich der
weltlichen Obrigkeit gleich zu achten, mit göttlicher Vollmacht und Autorität
die Kirche regiere. Er ging sogar so weit zu behaupten, dass „die Vorschriften
des Kirchenregiments dieselbe göttliche Autorität hinter sich haben, wie die
Kanzelpredigt des Pastors“. Für ihn gehörte das Kirchenregiment daher zum Wesen
der Kirche; ohne ein solches sei eine Kirche keine rechte Kirche. Damit wurde
aber zugleich ein neues Gesetz aufgerichtet, da damit die Verlautbarungen des
Kirchenregiments gewissensverbindlich wurden. Daher forderten Huschke und die
preußischen Lutheraner Gehorsam gegenüber dem Kirchenregiment nach dem vierten
Gebot, nicht nur um der Liebe und Ordnung willen, wie es der 28. Artikel des
Augsburger Bekenntnisses sagt. Huschke setzte dabei geflissentlich (1. Kor.
12,28) Gottes Gaben (die Gabe des Regierens) gleich mit angeblich von Gott
eingesetzten Ämtern.[89]
Im Hintergrund dieser Irrlehre Huschkes steht die romantische, von Schelling
beeinflusste Philosophie mit ihrem Organismusdenken.
Sie führte in der Lehre von der Kirche dazu, dass die äußere Versammlung der
Kirche zur Kirche im eigentlichen Sinn gemacht wurde, zum Leib Christi – mit
der verheerenden Folgeaussage, dass auch getaufte, aber ungläubige, unbekehrte
Menschen Glieder an diesem Leib seien, wenn auch tote. Dazu kam dann ein
magisches Abendmahlsverständnis hinsichtlich der Vereinigung mit dem Leib
Christi durch das Essen der Elemente. Überhaupt behauptete man, dass es nur
durch die amtliche Predigt möglich sei, dass jemand zum rettenden Glauben
komme, d.h. es wurde die Rechtfertigung wieder von Menschen abhängig gemacht.
Daher habe dann, nach der Breslauer Lehre, Gott zuerst die äußere
„Heilsanstalt“ gegründet (sichtbare Kirche) und zu deren Erhaltung dann die
nötigen Ämter gestiftet, Predigtamt und Kirchenregiment. Die Kirche sei also
eine in äußere Ämter verfasste Anstalt, „Gliederbau“, die von einer von Gott
gestifteten Ordnung regiert und erhalten werde.[90]
Die biblische lutherische Lehre ist ja ganz anders: Christus hat zuerst durch
sein Wort Menschen zum rettenden Glauben geführt, dann diesen Gläubigen die
Schlüsselgewalt anvertraut, befohlen, in seinem Namen Sünde zu vergeben und zu
behalten und das Evangelium unter allen Völkern zu predigen. Diese
Vollmacht, das ist ganz wichtig, ist nur einer Gruppe oder Klasse in der Kirche
gegeben, sondern allen Gläubigen. Solche, die nicht im rettenden Glauben
stehen, sind auch nicht Glieder der Kirche, sondern ihr nur äußerlich
beigemischt, gehören ihr nur dem Namen nach an, nicht der Sache nach.[91]
Die radikale Gegenlinie wurde von der späteren Immanuel-Synode unter
Pastor Diedrich vertreten: Er hatte klar den geistlichen Charakter der Kirche
im eigentlichen Sinn als der Gemeinschaft der an Christus Gläubigen erkannt und
betonte ihn auch Breslau gegenüber. Aber er lehnte die sichtbare Kirche völlig
ab und verfiel in subjektivistisch-pietistisch-spiritualistische Denkweise.
Außerdem war seine Kampfesweise, die grob und beleidigend war, der Sache sehr
abträglich. Überhaupt hatte er keinen Sinn für reine Lehre, sah darin nur
Gesetzlichkeit. In den Jahren 1861/62 trennte Pastor Diedrich sich dann mit
seinem Anhang von den Breslauern.[92]
Nassau mit Friedrich Brunn vertrat in diesem Ringen die mittlere, am Bekenntnis
orientierte Linie. Mit ihm standen zunächst die Pastoren Lohmann, Frommel,
Frischmuth und Ebert. Lehrverhandlungen mit den preußischen Lutheranern führten
zu keinem Ergebnis, nicht zuletzt auch deshalb, weil die meisten bei den
Breslauern gar keine klare Erkenntnis von Kirche und Amt hatten und einfach
Huschkes Auffassung übernahmen, und mündeten im Herbst 1864 in die Trennung
zwischen Breslau (preußische Lutheraner) und Nassau. Die Breslauer hatten ja
gemeint, die Einheit aufrecht erhalten zu können, indem man beiden Lehren
Gleichberechtigung einräumte, was aber völlig unannehmbar ist, da nicht falsche
Lehre neben der Wahrheit bestehen darf.[93]
Die Pastoren Lohmann und Ebert gingen zurück in die sich lutherisch nennenden
Landeskirchen (Hannover bzw. Sachsen), während Max Frommel und Frischmuth
zunächst mit Brunn und Hein zusammen standen. Leider brachte die Trennung von
Breslau eine Spaltung bei den nassauischen Lutheranern, da der von Pastor Brunn
zunächst vorgebildete, dann an der Universität in Breslau ausgebildete Kandidat
für Gemünden sich für die Breslauer Lehre erklärte und mit der Gemeinde, die
lehrmäßig noch zu wenig gefestigt war, zu den preußischen Lutheranern übertrat.[94]
Bei der hier aufgetauchten Frage, die ja bereits ausführlich in den
lutherischen Bekenntnisschriften behandelt wurde, geht es, wie oben schon
angeführt, letztlich um die Zusammengehörigkeit zwischen verborgener und
sichtbarer, empirischer Kirche, dem dabei der Kirche mit ihrem Amt durchaus
zukommenden Anstaltscharakter und um das Wesen des Amtes. Huschke ging
entschieden zu weit, als er das Kirchenregiment mit der weltlichen Obrigkeit
gleichsetzte, denn gerade das verwirft das Augsburger Bekenntnis in Artikel
XXVIII. Andererseits spricht derselbe Artikel sehr wohl von der bischöflichen
Gewalt als nach göttlichen Rechten – aber eben nicht anders, als dass es aus
dem Amt der Kirche (ministerium ecclesiasticum)
komme: Predigt des Wortes Gottes, Vergebung der Sünden, Lehre beurteilen,
Kirchenzucht üben. Auch die äußeren Kennzeichen der Kirche (notae
ecclesiae) sind nicht willkürlich, sondern von Gott
geordnet; und die Versammlung von Christen an sich, ohne dabei eine bestimmte
äußere Gestalt vorzugeben, ist mit der Einsetzung der Gnadenmittel (Matth. 28,18-20), damit, dass Gott selbst hinzutut (Apg.
2,47), dass er den Primärversammlungen (Ortsgemeinden) Diener an Wort und
Sakrament gibt (Apg. 20,28; Eph. 4,11; 1. Kor. 12,28 f.), dass er will, dass
die Christen solche Versammlungen (wenn sie rechtgläubig sind) nicht verlassen,
eindeutig als Gottes evangelische Ordnung, dem Willen Gottes gemäß bezeugt. An
diesen Punkten nun kam es zur Scheidung zwischen den preußischen und den
nassauischen Lutheranern.[95]
In der Auseinandersetzung mit der falschen Lehre der Breslauer standen
sich Brunn und die Immanuel-Synode durchaus nahe, wenn auch von vornherein
Brunn die Differenzen klar waren. Beide Seiten hofften aber, dass sie sich mit
der Zeit überwinden ließen, wobei der Weg allerdings sehr verschieden gedacht
wurde: Brunn hoffte auf ein beiderseitiges intensives Forschen in Schrift und
Bekenntnis, um so auf der Grundlage des Wortes Gottes zur rechten Einheit zu
gelangen; Immanuel dagegen war dazu nie wirklich bereit, meinte vielmehr, dass
die Unterschiede sich abschleifen würden und Brunn sich mit den Nassauer
Gemeinden trotz der Unterschiede an die Immanuel-Synode anschließen sollte.[96]
Bereits im Zusammenhang mit der Breslauer Synodaltagung 1860 hatte Pastor Brunn
den Pastor Diedrich und etliche von dessen Freunden angesprochen, um sie auf
die biblische und bekenntnistreue Lehre von der Kirche hinzuweisen, dass
nämlich die Kirche, die Gläubigen, alle Schlüsselgewalt unmittelbar von
Christus haben, damit auch Recht und Gewalt, die äußeren Ordnungen zu
regulieren. Dazu, so betonte er, überträgt faktisch die (verborgene) Schar der
Gläubigen diese Vollmacht auf die äußere Versammlung um Wort und Sakrament (der
auch Heuchler und Scheinchristen beigemischt sind) und diese wiederum denen,
die sie in den Dienst an Wort und Sakrament, das kirchliche Amt oder
Gnadenmittelamt, beruft.[97]
Aber zu wirklichen Verhandlungen über diese Fragen kam es auch mit P. Diedrich
und der Immanuel-Synode nicht, irgendwie fehlte ihnen jegliches Verständnis für
diese Dinge. Als Friedrich Brunn 1867 der Synodalversammlung der
Immanuel-Synode in Magdeburg beiwohnte und des dort zu Gesprächen über die
Differenzen kam, trat ihm nicht nur offener Widerspruch entgegen, sondern vor
allem bei vielen völliges Unverständnis über diese Lehrartikel. Dennoch hoffte
er immer noch, dass es schließlich zu einer Einigung kommen werde, weshalb er
die Kirchengemeinschaft, die ja noch aus der gemeinsamen Breslauer Zeit
bestand, weiter pflegte. Erst später, als es endgültig klar war, dass eine
Einigung nicht zustande kam, auch Immanuel gar kein Interesse an Lehreinheit
zeigte, kam es dann zur Trennung.[98]
Der erste Schritt dazu kam, als Professor Fritschel
von der Iowa-Synode in den USA (der von Schülern Löhes in Nordamerika ausdrücklich
gegen Missouri gegründeten und mit Löhes Sonderlehren belasteten Kirche) in die
deutschsprachigen Staaten kam und bei der Immanuel-Synode freudige Zustimmung
fand. Da aber in den Staaten ja eine klare Trennung zwischen Missouri und Iowa
bestand, musste dies auch auf die hiesigen Verhältnisse Auswirkungen auf. Daher
bat Brunn in seinem Blatt 1870 die Immanuel-Synode, sich doch zu erklären, wo
sie lehrmäßig standen.[99]
Im Zentrum der Lehrauseinandersetzung stand die sogenannte Übertragungslehre.
Richtig hatte ja die Immanuel-Synode erkannt, dass die Kirche im eigentlichen
Sinn die Schar der an Christus Gläubigen ist und dass dieser Schar auch die
gesamte Schlüsselgewalt unmittelbar zukommt. Die Frage, die dann im Raum stand
war die, wie es denn zur rechten Ausübung dieser Schlüsselgewalt komme. Die
Immanuel-Synode verwarf jegliche Idee einer Übertragung dieser Gewalt, während
Brunn ganz richtig genau dies schriftgemäß behauptete, da nur so die Gläubigen
ihre Vollmacht ausüben können – andernfalls sind ihnen ja die Schlüssel
geraubt, da sie dann gar keine Möglichkeit haben, sie zu gebrauchen. Es geht
damit also um die äußere, empirische Gestalt der Kirche und ihrer Ordnung und
wie sie in Beziehung steht zur Kirche im eigentlichen Sinn. Denn wenn die Gläubigen,
also die verborgene Schar der eigentlichen Kirche, ihre Funktionen, Vollmachten
ausüben wollen und daher zusammenkommen, so kann dies gar nicht anders sein,
als dass in diesen äußeren Versammlungen auch Scheinchristen beigemischt sind,
die nur deshalb „Kirche“ sind und richtig auch so bezeichnet werden (auch im
Neuen Testament), weil die Gläubigen ihr Kern sind. Und weil diese Gläubigen
die Schlüsselvollmacht haben und in ihr, der äußeren Versammlung, ausüben,
darum hat auch diese Versammlung diese Vollmacht. Diese äußere Versammlung (sie
sei Ortsgemeinde, Synodalversammlung oder was sonst) ist also Werkzeug, Organ
der eigentlichen Kirche in der Ausübung ihrer Funktionen, tritt letztlich nur
auf als Repräsentantin der verborgenen Gemeinde der Gläubigen.[100]
Die Immanuel-Synode verwarf diese Lehre und beschränkte das allgemeine
Priestertum der Gläubigen auf die private Handhabung im jeweiligen Stand und
Beruf, während man kirchliche Rechte ausschloss. Folglich gab es auf den
Synodalversammlungen der Immanuel-Synode keine Synodaldeputierten, es gab in
den Gemeinden keine Gemeindeversammlungen; erst später zwang die Not zu
gewissen Änderungen. Die Ausübung der Kirchenzucht blieb völlig in der Hand des
Pastors. Überhaupt ging die Immanuel-Synode so weit, dass sie behauptete, die
Kirche hätte die Schlüsselgewalt nur als die Universalkirche, also die
Gesamtheit aller an Christus Gläubigen, dagegen nicht auch jede lokale
Christengemeinde, womit man völlig die Identität der Begriffe für beide im
Neuen Testament übersah. Auch missverstand man dort den Begriff der öffentlichen
Verwaltung der Gnadenmittel durch den Pastor, und meinte ihn als Unterscheidung
zu der behaupteten privaten durch die Laien. Tatsächlich aber geht es
doch darum, dass ja eben die gesamte Kirche die Schlüsselgewalt, damit auch die
Gnadenmittelverwaltung hat, und diese gemäß Gottes
evangelischer Ordnung an einen Mann (oder mehrere) überträgt zur Verwaltung von
Gemeinschaftswegen – das ist dann die öffentliche Verwaltung der Gnadenmittel.[101]
Überhaupt aber, wie schon zuvor angemerkt, war die Immanuel-Synode
gekennzeichnet von einer starken Gleichgültigkeit gegenüber der biblischen
Wahrheit, der reinen Lehre. Dies wirkte sich später dann auch in anderen
Lehrartikeln aus, etwa im Gnadenwahlstreit, als die Immanuel-Synode leugnete,
dass Gott ohne jegliches menschliche Mittun, ohne Voraussetzungen beim Menschen
allein aus Gnaden in Christus zur Rettung durch den Glauben an Christus in
Ewigkeit schon die erwählt hatte, die er in der Zeit mit dem rettenden Glauben
beschenken wollte, dieser Glaube also nicht Voraussetzung der Gnadenwahl (in
Ansehung des Glaubens, intuitu fidei) ist, sondern
vielmehr deren Frucht. Auch beim Kampf um die Inspiration der Heiligen Schrift
fiel die Immanuel-Synode dann der Irrlehre anheim und leugnete die
Verbalinspiration und Irrtumslosigkeit der Schrift (so in Ansätzen schon
Diedrich, vor allem aber Ehlers, Wagner, Scholze). Die Gleichgültigkeit in
Lehrfragen wurde sehr deutlich, als P. Crome die
nassauischen Pastoren zur Synodalversammlung nach Radevormwald einlud,
einschließlich gemeinsamem Abendmahl, unter der ausdrücklichen Angabe, dass
doch die Differenzen nicht kirchentrennend seien – so, als ob falsche Lehre
nicht in jedem Fall kirchentrennend ist. P. Brunn schreib dazu sehr treffend: „Das
werden wir aber keinem Menschen in der Welt einräumen oder zugestehen dürfen,
auch nur das kleinste Stücklein göttlicher Wahrheit für indifferent zu erklären
oder es zum Spielball bloß menschlicher Ansichten zu machen, so lange noch ein
Funken von christlichem und lutherisch-kirchlichem Gewissen in uns ist.“[102]
So kam es zur endgültigen Trennung der nassauischen lutherischen Freikirche
von der Immanuel-Synode, leider nicht ohne schmerzliche Verluste, da Teile der
Frankfurter Gemeinde zur Immanuel-Synode übergingen. Das war auch das Ende der
rheinischen Pastorenkonferenz, aus der Pastor Max Frommel schon früher
ausgeschieden war, da er den klaren bibel- und bekenntnistreuen Weg nicht
mitgehen wollte, sondern die „Weite“ der Landeskirche suchte.[103]
Mehr und mehr trat eine andere Frage immer deutlicher in den
Vordergrund: das Verhältnis zu den Landeskirchen, vor allem ja den sich
lutherisch nennenden. Gerade auch durch die Absolventen des Seminars hatte Brunn
einen immer tieferen Einblick bekommen und die dann auftretende Memminger und
sächsische Frage verdeutlichten nur noch die Lage: Die Landeskirchen waren
selbst da, wo juristisch das lutherische Bekenntnis noch galt, faktisch nicht
mehr lutherisch, sondern der Rationalismus hatte faktisch die Macht bekommen,
und unionistische Praktiken wurden immer häufiger. Auch unter den Gläubigen
in den konservativen Kreisen gab es keine Lehreinheit, sondern Pluralität der
Lehre war allgemein anzutreffen. Das Bekenntnis war nicht mehr wirklich
Grundlage und normierte Norm für das kirchliche Lehren, Leben und Handeln,
sondern stand nur noch für eine Partei innerhalb der Kirche. Es war
unumgänglich, dass es zu einer Entscheidung kommen musste, damit die
uneingeschränkte Geltung der göttlichen Lehre der Schrift und der lutherischen
Bekenntnisse wieder hergestellt werden konnte. Dabei
war es Brunn klar, welch ein tiefer Einschnitt das werden würde. Denn das Landeskirchentum hatte das christliche Deutschland tausend
Jahre geprägt, das gesamte religiöse, geistige, kulturelle und Volksleben.
Aber der Abfall von Schrift und Bekenntnis war so offenbar in allen
Landeskirchen, deren Glieder zu einem immer größeren Teil ungläubig waren.
Bereits 1852 hatte Brunn daher gefordert, dass die Landeskirchen zumindest
keine weiteren ungläubigen Pastoren mehr einstellen sollten. Unterstützt wurde
er von den Breslauern, zu denen er damals noch gehörte, nicht. Dort beruhigte
man sich, wie in vielen konservativen Kreisen, damit, dass doch juristisch die
Bekenntnisse noch in Kraft seien – das der tatsächliche Zustand ein völlig
anderer war und der doch mit Schrift und Bekenntnis übereinstimmen müsse, das
begriff man nicht. Scheinbar schien sogar nach 1852 eine Wendung zum Besseren
einzutreten, als die Obrigkeiten, in Reaktion auf den Aufruhr von 1848 durch
die ungläubigen Massen vermehrt versuchten, gläubige Männer an die
entscheidenden Positionen der Kirchen zu bringen, gute Gesangbücher,
Katechismen, Agenden einzuführen. Gerade hier machte sich aber der elende
Volkskirchencharakter deutlich bemerkbar: Der ungläubige Zeitgeist, unterstützt
durch den Liberalismus, setzte zu einem allgemeinen Sturm gegen die kirchlich
Konservativen und Bibeltreuen an. Die ungläubige Masse, die Liberalen wollten
Anerkennung, Recht, Stimme haben bei der Besetzung der Pfarrämter,
Kirchenvorstände und Synoden. „Da waren unsere deutschen Landeskirchen, ihre
Kirchenregimente und die deutschen Staatsregierungen vor die große
entscheidende kirchliche Frage gestellt, die bis dahin in einem gewissen Grade
geruht hatte, nun aber mit Gewalt sich geltend machte, die Frage: Soll der
Unglaube und Liberalismus (der ja freilich längst im deutschen Volk vorhanden
war), soll dieser Unglaube nunmehr innerhalb der Kirche bleibend geduldet
werden und Berechtigung darin erhalten, so dass der Glaube und das
kirchliche Bekenntnis künftig nur Sache einer Partei neben anderen sind, oder
soll es zur kirchlichen Scheidung zwischen Glauben und Unglauben kommen
und der Glaube wie vor alters als das allein geltende kirchliche Bekenntnis und
Recht öffentlich die Herrschaft haben?“.[104]
Wie aber sah die Antwort aus? Da die Landeskirchen, was sie auch offen
bekundeten, nicht mehr Bekenntniskirche mit allen Konsequenzen sein wollten,
sondern „Volkskirche“, nahmen sie auch alle politischen Strömungen und den
Zeitgeist ohne Lehr- und Kirchenzucht in sich auf und vermengten sich so in
jeder Hinsicht mit der Welt. Der Unglaube bekam, wo immer er es verlangte,
willig Sitz und Stimme. Man wollte um jeden Preis – eben auch den der Aufgabe
der biblischen Wahrheit – die ungläubigen Massen in der Kirche halten, und zwar
mit voller Gleichberechtigung. Eine Erneuerung war bei solch einer
Zusammensetzung von Synoden nicht zu erwarten.[105]
Die Zustände waren zwar, das stellte Brunn anerkennend fest, in mancher
Hinsicht besser als um 1800, da vielfach das Glaubensleben wieder erwacht war,
da vielfach wieder Gottes Wort gepredigt wurde, auch die Liebeswerke der
inneren Mission und die äußere Mission sich zeigten – aber all das betraf
letztlich doch nur einen kleinen Teil des Volkes. Und da lag nun der
entscheidende Unterschied zu 1800: Damals war der Rationalismus vor allem eine
Sache der „Gebildeten“ gewesen, mit jeder Generation aber war er weiter in das
Volk eingedrungen. Der Unglaube, die Gleichgültigkeit in religiösen Dingen war
in den 1860er Jahren schon viel allgemeiner als noch 1800. Schon damals war die
Arbeiterschaft in großen Teilen der Kirche verloren gegangen. Ja, während der
alte Rationalismus doch irgendwie immer noch „christlich“ sein wollte, waren
nun weite Teile im Unglauben, wussten (und wissen) von Gottes Wort und
biblischer Lehre so gut wie nichts mehr, sind auch dem christlichen Glauben
schon damals immer feindseliger gegenüber eingestellt gewesen (und das hat sich
im 20. Jahrhundert alles nochmals verstärkt).[106]
Keine Landeskirche war wirklich durchgreifend erneuert worden, dass es
uneingeschränkt zur Wiederherstellung der Geltung von Schrift und Bekenntnis
gekommen wäre. Kein Kirchenregiment hat sich auch damals daran gemacht, gegen
Irrlehre vorzugehen, Abendmahls- und Kirchenzucht wieder
herzustellen. Vielmehr war auf den Universitäten schon damals, in den
1860eer Jahren, ein neuer Rationalismus, Liberalismus, eine neue Bibelkritik
eingebrochen, abgesehen von den Irrlehren, wie sie an sich schon in Leipzig
oder Erlangen (Erlanger Schule) im Schwange waren. Gerade der Angriff auf die
Autorität der Bibel, auf die Verbalinspiration und Irrtumslosigkeit der Schrift
hat damals neue Fahrt aufgenommen – und ist schon damals auch in die sogenannten
„gläubigen Kreise“ eingedrungen.[107]
Der Katechismusstreit in Hannover 1862, die Liturgie-
und Katechismusfrage in Bayern, die Tauffrage und der
Ordinationseid in Sachsen machten die Lage sehr klar. Im Katechismusstreit
in Hannover, als der König den guten alten Walther’schen
Katechismus wieder einführen wollte, wich die Kirche vor dem Ansturm der durch
die Liberalen aufgehetzten Massen zurück und gab damit faktisch Schrift und
Bekenntnis auf. In Bayern hatte von Harless als
Oberkonsistorialpräsident versucht, die alten lutherischen Ordnungen im Blick
auf Liturgie und Beichte wieder einzuführen – als Antwort auf den Sturm dagegen
wurde die entsprechenden Erlasse einfach wieder aufgehoben. In Sachsen wurde
der alte, eindeutige Ordinationseid gegen einen zweideutigen laxen
ausgetauscht, die lutherischen Altäre auch unierten Christen geöffnet. Die
Kirchenleitungen waren auch gar nicht gewillt, gläubige Pastoren, die die sich
den Zumutungen der Ungläubigen nicht beugen wollten, auch Lehr- und
Kirchenzucht ausübten, zu stärken und zu schützen. Im Gegenteil, diese wurde
gemaßregelt, zwangsversetzt. Es ging (und geht) den Kirchenleitungen nur darum,
die (pluralistische) Einheit der „Kirche“ zu wahren. Die Einheit geht ihnen
über die Wahrheit. Dazu kam die Zulassung Unierter und Reformierter zum
Abendmahl an eigentlich lutherischen Altären. Mit der Einführung der
Kirchenvorstände und Synoden – bei bekenntnistreuen Gemeinden völlig richtig
zur Ausübung des allgemeinen Priestertums der Gläubigen – wurde bei der
Zusammensetzung der Landeskirchen erst recht der ungläubigen Masse die Macht
übergeben, da ja auch keinerlei Anforderungen an die Kandidaten oder die Wähler
gestellt werden.[108]
So war es, vor allem nach biblischer Prüfung (u.a. 1. Kor. 5,11; 2. Kor.
6,14-18; 2. Thess. 3; Röm. 16,17-18) nur folgerichtig, die Kirchengemeinschaft
mit diesen praktisch nicht mehr lutherischen Kirchen aufzukündigen, besonders
nachdem in Sachsen die Lutheranervereine sich von der
Landeskirche getrennt und erste freie lutherische Gemeinden (den Grundstock der
späteren Evangelisch-Lutherischen Freikirche) gebildet hatten.[109]
Der erste einschneidende Zusammenprall mit den schriftwidrigen Zuständen
in den sich lutherisch nennenden Landeskirchen kam im Zusammenhang mit der Steedener Anstalt. Es war nur natürlich, dass die
Seminaristen in ihrer Heimat von dem erzählten, was ihnen dort gelehrt wurde.
Und so wurden in ihrer Heimat etliche erweckt, die weitere Belehrung wünschten.
So hatte er mehrere Jahre hindurch Seminaristen aus der Gegend von Memmingen.
Dort lebten auch Neuendettelsauer Diakonissen.
Zunächst hatte Löhe ja einen entschiedenen Kampf gegen die Konfessionsmengerei
beim Abendmahl geführt, dann aber hatte er es aufgegeben und gemeint, ein
persönlicher Protest genüge, ansonsten aber solle man auch an solchen Altären
kommunizieren. Diejenigen, die sich damit nicht beruhigen konnten, wandten sich
an Friedrich Brunn. Der konnte, schriftgemäß, Löhes Haltung nicht teilen,
sondern riet dringend ab, an Altären das Abendmahl zu empfangen, die nicht mehr
konsequent lutherisch waren. So hielten sie sich an ihn. Brunn reichte ihnen
1869 erstmals bei einem Besuch in Memmingen das heilige Abendmahl. Allerdings,
inkonsequent, weil er es noch aufschieben wollte, drang er noch nicht auf
Trennung von der bayerischen Landeskirche überhaupt. Dies hat dann dazu
geführt, dass der Kreis sich einerseits spaltete, andererseits dann, als Pastor
Hörger aus der bayerischen Landeskirche ausschied,
dieser die Reste des Memminger Kreises übernahm und daraus eine unabhängige
lutherische Gemeinde bildete.[110]
Ähnlich kam es auch in Allendorf, Kreis
Gießen, zur Bildung einer freien lutherischen Gemeinde, die mit Brunn verbunden
war und 1875 einen eigenen Pastor berief. Und in Sachsen hatten sich schon
Jahre zuvor Lutheranervereine gebildet, in Dresden
und auch in Zwickau und Planitz, die vor allem missionarisch tätig waren und das
unverfälschte Gotteswort gemäß lutherischer Lehre verbreiteten und sich mit
missourischer Literatur stärkten. So kam es auch zwischen Ihnen und Brunn zu
einer Annäherung. Sie machten immer wieder eingaben beim Kirchenregiment gegen
die „schweren Versündigungen an dem Bekenntnis der
lutherischen Kirche“. Es ging nicht zuletzt um die fehlende Lehrzucht und die
Aufweichung des Religionseids sowie die gemischte Abendmahlsgemeinschaft, also
die Zulassung von Unierten und Reformierten zu lutherischen Altären. 1871
erklärte das sächsische Kultusministerium, dass es den Eingaben nicht
willfahren könne. Daraufhin kam es dann im Herbst 1871 zunächst zum Austritt
von Eduard Gnauck aus der Landeskirche und Dresden, ihm folgten viele aus dem
dortigen Lutheranerverein und bildeten eine freie
lutherische Gemeinde. Gleiches geschah wenig später in Planitz und in Zwickau.
Sie wandten sich, da kein Pastor ausgetreten war, an die Missouri-Synode um
einen Pastor und beriefen auf deren Rat Pastor Ruhland.[111]
Dann kam es 1875 auch zur Trennung von der Leipziger Mission, die sich
als Mission der lutherischen Landeskirchen verstand und deren theologische
Haltung teilte und entsprechende falsche Lehren (etwa zur Schrift, zur
Kirchengemeinschaft) auch in ihrer Missionsarbeit duldete. Auslösender Faktor
war dabei ein Schreiben von fünf ihrer Missionare (Gruber, Schäffer, Willkomm,
Zorn, Zucker) an Brunn, an den sie sich wandten, nachdem bis zu jenem Zeitpunkt
alle Unterhandlungen mit der Leipziger Missionsleitung ergebnislos verlaufen
waren und sie eine Darstellung der inneren Situation der Leipziger Mission für
nötig hielten. Die Leipziger Mission stand ja auf dem Boden der Landeskirche,
und das zeigte sich auch immer stärker auf dem Missionsfeld, wo die falschen
Lehren auch eindrangen. Dagegen hatten diese Missionare protestiert und
hofften, dass die Leipziger Mission sich von den Landeskirchen lösen würde.
Immerhin waren damals die Missionsvereine in den deutschsprachigen Staaten noch
nicht verkirchlicht, sondern freie Vereine. Die
Missionsleitung hätte die Veröffentlichung der Erklärung in Brunns Blatt gerne
verhindert, kam aber mit ihrem Anliegen zu spät. Ihre Reaktion war, dass sie
auf Rücknahme der Vorwürfe drängte oder sonst den Austritt verlangte, den dann
vier der Missionare auch vollzogen.[112]
Die Leipziger Mission war, was die sie tragenden Vereine anging, leider nicht
klar lutherisch, sondern es gab da lutherische und unierte Vereine
(Vereinslutheraner) und eine Vielzahl theologischer Richtungen. Eine kleine,
eindeutige Ausrichtung der Mission hätte durchaus zu einer – notwendigen –
Scheidung unter den Vereinen führen müssen.[113]
Die Wirkung des Austritts der Missionare war eine umfassende. Durch die Art und
Weise, wie die Missionsleitung und die mit ihr verbundenen Kreise die Sache
darstellten, wurden die Missionare in ein völlig schiefes Licht gerückt, ebenso
auch die sie unterstützenden Kräfte. Zugleich aber war deutlich geworden, dass
hier, aus freien Stücken, durch die Leipziger Mission das lutherische
Bekenntnis zumindest in Teilen aufgegeben worden war, und wie es allgemein in
den sich lutherisch nennenden Landeskirchen um die Treue zur Schrift und zum
Bekenntnis stand (und steht), nämlich dass tatsächlich schon damals alles sehr
zerfahren und verschwommen war in der Lehrhaltung. „Stand es aber so selbst
in den besten lutherischen kirchlichen Kreisen Deutschlands, wo sollte dann
eine Reformation des deutschen Landeskirchentums
herkommen? Nicht einmal auf dem Gebiet der Leipziger Mission war eine solche
Reformation möglich gewesen, sondern entrüstet wies man sie ab, als sie
verlangt wurde.“[114]
Das machte es nun auch für Brunn endgültig klar: „So können wir die
letzteren [die lutherischen Landeskirchen Deutschlands] nicht mehr als
wirklich lutherische Kirchen ansehen, wir müssen darum die lutherische Kirchen-
und Abendmahlsgemeinschaft mit ihnen als aufgelöst betrachten. … Sie sind in
Wahrheit ein ‚Babel‘ geworden, d.i. Gemeinschaften, in denen Welt und Kirche,
Christus und Belial unauflöslich und unentwirrbar ineinander verschlungen und
miteinander vereinigt sind.“[115]
Die selbständigen evangelisch-lutherischen Gemeinden in Sachsen wuchsen
dann recht schnell und breiteten sich aus, etwa in Crimmitschau, Chemnitz,
Frankenberg, so dass sie sich zu einem eigenen Synodalverband
zusammenschlossen.[116]
Der schon zuvor enge Kontakt zu den nassauischen Gemeinden wurde noch ausgebaut,
so dass es 1877 zur ersten gemeinsamen Synodalversammlung der
„Evangelisch-Lutherischen Freikirche von Sachsen und anderen Staaten“ in
Planitz kam.[117]
Aber auch diese junge Freikirche musste durch mancherlei Kämpfe gehen,
nicht zuletzt durch Brunns Schwager, Pastor Julius Hein, der in Frankfurt und
Wiesbaden im Amt war und 1880 mit einer falschen Lehre von der Erniedrigung
Christi hervortrat (die er mit Christi Menschwerdung identifizierte) anstatt
mit dem Nichtgebrauch seiner göttlichen Majestät nach seiner menschlichen
Natur. Ende desselben Jahres aber brandete der Streit um die Gnadenwahl von den
USA auch nach Deutschland. P. Hein schloss sich der Gegenseite an und trat im
März 1881 aus der Freikirche aus.[118]
Etwa zur gleichen Zeit aber kam es dazu, dass in Allendorf/Ulm
eine größere Anzahl Familien aus der Landeskirche austrat und sich schließlich
nach Steeden um Kontaktaufnahme wendete. Nachdem ein Gemeindeglied und dann P. Eikmeier einen guten Eindruck von dem Kreis gewonnen hatte,
ging P. Brunn für etwa ein halbes Jahr dorthin, um ihnen das Wort zu predigen.
So kam es auch dort zur Gemeindebildung.[119]
Zwei Jahre später legte Friedrich Brunn sein Pfarramt in Steeden nieder,
stand aber immer noch zur Aushilfe zur Verfügung.[120]
Am 27. März 1895 rief Gott der HERR ihn in die ewige Heimat ab.
Brunn betonte immer wieder, dass es bei der Separation um die Kirche
geht: um das reine Wort Gottes, das Sakrament, die Lehrzucht, das Bekenntnis.
Nur in einer Kirche, in der das garantiert ist durch ein auch faktisch gültiges
Bekenntnis kann Sammlung, Stärkung und Sendung geschehen, denn in der Kirche
muss Unterweisung sein und damit auch Scheidung von falscher Lehre.[121]
Allein die Bindung an Schrift und Bekenntnis baut die Kirche und führt auch
zu einem kirchlichen Bewusstsein.[122]
So konnte die Freikirche zur ersten und bis 1972 einzigen reichs- (bzw.
bundes-)weiten freien lutherischen Kirche werden.
Anhang 1: Brunn zur Verbalinspiration der Heiligen Schrift[123]
Nur darum nennen wir die heilige Schrift das Wort Gottes, nur darum
ist alles, was in der heiligen Schrift geschrieben ist, göttlich wahr und
gewiss, weil sie vom Heiligen Geist eingegeben oder (mit einem
lateinischen Wort) inspiriert ist. Kraft dieser göttlichen Eingebung der
heiligen Schrift ist es Gott selbst, der wie mit seinem eigenen Mund in der
heiligen Schrift zu uns redet, wenn er auch Mund und Hand der Apostel und
Propheten hierzu als seine Werkzeuge gebracht. Je mehr man aber gerade in
heutiger Zeit die rechte Lehre von der göttlichen Eingebung der heiligen Schrift
zu fälschen und zu vernichten sucht, desto wichtiger ist es für jeden Christen,
gerade in dieser Lehre klar und fest zu sein. Steht und fällt doch mit ihr der
ganze Grund unseres Glaubens, die Gewissheit, dass die heilige Schrift nicht
trügliches Menschenwort, sondern das Wort des lebendigen Gottes ist.
Um die Lehre von der göttlichen Eingebung der heiligen Schrift recht zu
verstehen, wollen wir uns den Unterschied zwischen Erleuchtung und Eingebung
des Heiligen Geistes klar zu machen suchen. Jeder gläubige Christ ist „erleuchtet“
vom Heiligen Geist, sonst würden wir ja ohne alle Erkenntnis des Wortes Gottes
sein. Von Natur ist die Seele völlig blind, ohne alle Fähigkeit, die Wahrheit
zu erkennen. Darum muss der Heilige Geist uns erleuchten, d.h. unsere
Seele das himmlische Licht, die Fähigkeit oder himmlische Kraft und Gabe
verleihen, die göttliche Wahrheit recht zu verstehen, zu glauben und in uns
aufzunehmen. Aber wenn nun durch diese Erleuchtung ein Mensch das Wort Gottes
erkennt und es auch andern lehrt und mitteilt, so ist es dabei doch immer
niemand anders, keine andere Person, als der erleuchtete Mensch selbst,
welcher erkennt, lehrt und redet. So reden alle erleuchteten Christen Gottes
Wort und sie reden es, soweit sie eben erleuchtet sind. In all diesen
Fällen ist denn das Geredete freilich Gottes Wort, aber es ist nicht inspiriert,
es ist nur durch die Erleuchtung durch den Heiligen Geist erkannt und geredet,
und in diesem Sinne ist und bleibt es immer Menschenwort, insofern es nur Aussage
und Rede menschlicher Personen ist, wenn auch aus dem Wort Gottes oder der
heiligen Schrift genommen und geschöpft, Gott ist dabei doch nicht der unmittelbar
oder persönlich Redende. Darum sind die besten Schriften eines Menschen,
z.B. Luthers oder die symbolischen Bücher unserer lutherischen Kirche, doch
nicht der heiligen Schrift irgendwie gleich zu achten, sie sind immer nur menschliche
Schriften, die wohl Gottes Wort enthalten können, aber sie sind nicht
Gottes Wort selbst.
Das ist nun der schwere Irrtum unserer ganzen neueren gelehrten
Theologie: Sie unterscheidet nicht genügend zwischen der hier geschilderten
Erleuchtung durch den Heiligen Geist und der göttlichen Inspiration der
heiligen Schrift. Da sollen den auch die heiligen Apostel nach dieser Lehre der
heutigen Gelehrten eigentlich nicht anders vom Heiligen Geist getrieben worden
sein, wie jeder andere erleuchtete Christ auch, nur mit dem Unterschied, dass
die heiligen Apostel und Verfasser der heiligen Schrift diese Erleuchtung des
Heiligen Geistes in höherem Maße hatten, und zwar so, dass die heiligen
Apostel, Propheten und Evangelisten durch die Erleuchtung, die sie hatten, die
göttliche Wahrheit ganz vollkommen erkannten und sie darum auch in ihren
Schriften ganz vollkommen und ohne Irrtum niederschreiben und uns mitteilen
konnten. So sagt darum einer der besten unter diesen neueren Gelehrten, der
Unterschied der apostolischen Erleuchtung von derjenigen anderer Christen
bestehe „in der unbedingten Vollkommenheit derselben“, während die Erleuchtung
anderer Christen eine „verhältnismäßig unvollkommene“ sei. Desgleichen sagt
derselbe Gelehrte, die Inspiration sei „derjenige Akt (d.i. Wirkung) des
Geistes Gottes auf den Menschengeist, durch welchen letzterer … befähigt wird,
die Wahrheit rein und ungetrübt aufzunehmen und wiederzugeben“. So sei die
Inspiration „der höchste oder absolute Grad der Erleuchtung, bei welchem kein
Irrtum oder keine Trübung durch den Menschengeist mehr denkbar ist“. Mit einem
solchen Begriff von Inspiration meinen denn unsere neueren Gelehrten ganz
genügend bewiesen zu haben, dass die heilige Schrift auch nach ihrer Meinung
die ganz sichere und unfehlbare Quelle der göttlichen Wahrheit sei; denn sie
wollen ja eben streng festhalten und behaupten, dass die heiligen Apostel ganz
vollkommen, ganz rein und ungetrübt die göttliche Wahrheit des Wortes Gottes
erkannt hätten und darum auch fähig gewesen wären, es ohne allen Mangel und
Irrtum uns zu überliefern und mitzuteilen. – Aber selbst das letztere zugegeben,
so bleiben doch immer diese zwei schweren Vorwürfe, die wir der Lehre der
Neueren von der Inspiration machen müssen: Erstlich, sie heben den ganzen
eigentlich Begriff des Wortes Gottes dadurch auf. Denn wen die heiligen Apostel
nur erleuchtet waren, um die Wahrheit zu erkennen und wenn sie nur kraft
dieser Erleuchtung die heilige Schrift geschrieben haben, so ist und bleibt
dieselbe, wie wir oben gezeigt haben, doch immer nur das Wort der heiligen
Apostel, also ein bloß menschliches, d.i. von Menschen geredetes Wort, auch
vorausgesetzt, dass dasselbe nichts als die lautere ungetrübte Wahrheit
enthält. Sind wir doch auch fest überzeugt, dass z.B. Luthers Auslegungen im
kleinen Katechismus nur die ganz vollkommene und reine göttliche Wahrheit
enthalten, die Luther kraft göttlicher Erleuchtung erkannt und
niedergeschrieben hat. Aber es wird doch niemand einfallen, Luthers Katechismus
für inspiriert oder für Gottes Wort zu halten in dem Sinne, wie die heilige Schrift Gottes Wort ist, sondern es sind und
bleiben immer Luthers Worte, die im kleinen Katechismus stehen neben und außer
dem Bibeltext selbst. Und so wäre es auch bei den heiligen Aposteln: Möchten
dieselben noch so hoch und bis zur Freiheit von allem Irrtum erleuchtet gewesen
sein, so bleibe die heilige Schrift, die von ihnen geschrieben ist, doch immer
nur Menschenwort, sie wäre nun und nimmermehr Gottes eigenes Wort, aus Gottes
eigenem Mund zu uns geredet, wenn die heiligen Apostel sie nur geschrieben
hätten kraft eigener erleuchteter Erkenntnis der göttlichen Wahrheit. –
Und ebenso schlimm ist die andere zweite Folge, die aus der falschen
Inspirationslehre der neueren Gelehrten hervorgeht. Denn verstehe wohl, lieber
Leser, die Erleuchtung durch den Heiligen Geist bezieht sich nur auf die
Erkenntnis der Glaubens und der christlichen Lehre und was ganz unmittelbar
damit zusammenhängt; indem nun unsere neueren Theologen sich die Inspiration
der heiligen Schrift nur als einen höheren Grad von Erleuchtung denken, den die
heiligen Apostel hatten, so folgern sie eben daraus diese ihre Lehre, von der
wir schon früher sprachen, nämlich dass nur die eigentliche christliche
Lehre von Gott eingegeben oder inspiriert sei, dagegen alle anderen bloß
äußeren, geschichtliche und geographischen Dinge, die nicht unmittelbar zur
Offenbarung der göttlichen Glaubenswahrheit gehören, seien in der heiligen
Schrift nicht inspiriert, sondern sie beruhten bloß auf der natürlichen
menschlichen Erkenntnis der heiligen Apostel, sie könnten daher mancherlei
Irrtümer und Widersprüche enthalten. Das letztere sprechen darum die Neueren
alle auch ganz ungescheut aus, sie erkennen Irrtümer und Widersprüche in
äußeren Dingen in der heiligen Schrift an, und so halten sie es darum für eine
der wichtigsten Aufgaben der menschlichen Vernunft und Wissenschaft, das zu
erforschen und auszusondern, was in der heiligen Schrift wahrhaft göttlich und was nur menschlich ist. Daher
denn die beliebte Redensart: Gottes Wort sei wohl in der heiligen Schrift enthalten,
aber die heilige Schrift selbst sei nicht Gottes Wort.[124]
Wie ganz anders ist das nun bei dem eigentlichen Begriff von göttlicher
Eingebung oder Inspiration der heiligen Schrift! Dieser Ausdruck gründet sich
auf die Worte des heiligen Apostels 2. Tim. 3,16, wo es heißt: „Alle Schrift von
Gott eingegeben.“ Da gilt es denn zunächst diesen Ausdruck, den der heilige
Apostel hier gebraucht, klar und fest zu fassen: Von Gott eingegeben,
das heißt doch wahrlich nicht „erleuchtet“, d.i. mit einer gewissen geistlichen
Fähigkeit ausgerüstet werden, um etwas zu erkennen, nein, „eingegeben“ kann
nichts anderes heißen als das: Die Worte (nebst darin liegenden Sachen), die da
in heiliger Schrift stehen, hat der Heilige Geist eingegeben, d.h.
hineingelegt in die Seelen und den Mund der heiligen Apostel oder, wie es
noch genauer in der griechischen Sprache heißt, was die heiligen Schriftsteller
schrieben, hat der Heilige Geist ihnen „eingehaucht“, d.i. auf wunderbare Art
ihnen innerlich zugeführt (wie wenn wir Luft einhauchen in ein
Instrument, Trompete oder dgl.). Hierbei bleiben denn auch unsere lutherischen
Väter mit ihrer Lehre einfältig stehen und wir müssen es auch. Es ist diese
göttliche Eingebung der heiligen Schrift ein für die Vernunft unerforschliches
Geheimnis, wir können sie daher nicht näher erklären wollen; wir müssen nur
schlicht dabei bleiben: Das Wort der Apostel und Propheten ist eingegeben,
es rührt also nicht von diesen Menschen her, es ist nicht ihr eigenes Wort, das
sie selbst geredet oder hervorgebracht haben. Ein Wort, welches dem Menschen eingegeben
ist, ist ja nicht die Frucht oder das Produkt seines eigenen menschlichen
Verstandes, Willens oder Denkvermögens. Darum heißt es auch 2. Petr. 1,21, es
sei keine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht, „sondern
die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben vom Heiligen Geist“.
Hiermit stellt also der Apostel beides einander entgegen, den eigenen
menschlichen Willen und die Eingebung durch den Heiligen Geist: Während bei
dem, was erleuchtete Männer reden oder schreiben, es doch immer ihr eigener
Wille und Verstand ist, der ihre Worte hervorbringt, auch wenn der Heilige
Geist sie dabei erleuchtet und regiert, so ist es dagegen bei der heiligen
Schrift ganz anders, die Worte der heiligen Schrift sind gar nicht aus
menschlichem Verstand oder Willen hervorgebracht, wie der heilige Apostel
spricht, sondern lediglich aus der Wirkung oder Eingebung durch den Heiligen
Geist. Nach diesem biblischen Begriff der Inspiration sind es darum gar nicht
die Menschen selbst, die da reden, es sind nicht ihre eigenen Worte, die
sie sprechen, sondern der Heilige Geist, Gott selbst, ist der eigentlich und
unmittelbar im Wort der heiligen Schrift zu uns Redende, Apostel und
Propheten dagegen sind nur die Werkzeuge gewesen, deren sich der Heilige Geist
zur Mitteilung seiner Worte bedient hat. Darum sagen auch unsere alten Väter,
die Apostel und Propheten seien gleichsam nur das Sprachrohr gewesen, durch
welches der Heilige Geist zu uns geredet, oder die Schreibfedern, die der
Heilige Geist bei der Inspiration der heiligen Schrift in der Hand geführt
habe, und darum sei das Wort der heiligen Schrift so ganz unmittelbar und
eigentlich des Heiligen Geistes Wort, wie die Worte eines Menschen, die er
durch ein Sprachrohr redet oder die er mit der Feder schreibt, Worte des
Menschen selbst sind und nicht etwa des Sprachrohrs oder der Feder.
Damit stimmt denn nun auch außer den schon angeführten Sprüchen die
ganze heilige Schrift überein. Gar merkwürdig ist hierbei, was die heilige
Schrift von Beispielen göttlicher Eingebung oder Inspiration bei gottlosen
Menschen erzählt und es kann uns das ganz besonders deutlich und schlagend den
Unterschied zwischen Erleuchtung durch den Heiligen Geist und göttlicher
Eingebung zeigen und beweisen. So wird z.B. von dem bekannten gottlosen
Propheten Bileam erzählt, als er vom Geld des Moabiterkönigs
Balak bestochen kam, um dem Volke Israel zu fluchen,
aber trotzdem von Gott gezwungen ward, das Volk gegen seinen Willen zu segnen:
Da bekennt Bileam selbst 4. Mose 22,38: „Was mir Gott in den Mund gibt,
muss ich reden“, und desgleichen heißt es wiederholt Kap. 23: „Der HERR gab das
Wort dem Bileam in den Mund“, und welche herrlichen Worte und Weissagungen
besonders von dem HERRN Christus spricht nun Bileam aus kraft göttlicher
Eingebung, ganz ohne und wider seinen Willen, ja weit über sein persönliches
Verständnis hinausgehend! Ganz ähnlich wird von König Sauls Boten und ebenso
auch von Saul selbst uns 1. Sam. 19,20 ff. berichtet, als er voll Hass und
Mordgedanken gegen David zu Samuel kam, dass er unter den Prophetenschülern
anfing „zu weissagen“. So wurden auch König Saul und seine Boten gewiss nicht
durch Erleuchtung durch den Heiligen Geist, die ja immer von Bekehrung und
Glauben begleitet ist, sondern ohne und gegen ihren Willen vom Heiligen Geist
ergriffen und als Werkzeuge des Weissagens von ihm gebraucht. Und endlich ist
das, was Joh. 11,50.51 von dem Hohenpriester Kaiphas geweissagt wird, ein
merkwürdiges Beispiel göttlicher Eingebung, wie sie selbst bei einem Gottlosen
ohne alle eigene Erleuchtung und Erkenntnis möglich ist: Kaiphas gibt uns eine
herrliche Weissagung vom Leiden Christi, und der heilige Johannes sagt von
derselben ausdrücklich: „Solches Wort redete er nicht von sich selbst“,
sondern er weissagte, weil er „desselben Jahres Hoherpriester
war“. Gerade diese Beispiele gottloser Menschen, die durch Eingebung durch den
Heiligen Geist prophetisch weissagen und göttliche Worte reden, zeigen uns
überaus klar, was diese göttliche Eingebung ist, nämlich ein Reden göttlicher
Worte und Wahrheiten, sei es nun mündlich oder schriftlich, wobei der Heilige
Geist selbst der eigentlich Redende ist und seine Worte den Menschen als bloßen
Werkzeugen in den Mund legt. Und gebraucht der Heilige Geist in einzelnen Fällen
zu solchen Werkzeugen seiner Rede selbst gottlose Menschen, wieviel mehr und
leichter wird er fromme dazu gebrauchen! So lesen wir darum von den heiligen
Aposteln, besonders in der wichtigen Hauptstelle gleich am ersten Pfingstfest
bei Ausgießung des Heiligen Geistes, Apg. 2,4: „Sie fingen an zu predigen mit
andern Zungen, nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen.“ Es ist dieses
ein um so klareres Beispiel von Eingebung durch den Heiligen Geist, weil es da
bei den heiligen Aposteln sich zugleich um eine Rede in fremden Sprachen
handelte. Da kann also nicht im entferntesten gedacht werden, dass der eigene
Verstand und Wille der heiligen Apostel dabei sei mit tätig gewesen, um etwa
diese fremden Sprachen zu lernen oder auch selbst nur zu wählen, in welcher der
fremden Sprachen jeder einzelne der heiligen Apostel reden wollte, der eine
arabisch, der andere lateinisch usw., nein, es heißt nur schlechthin: „Sie
fingen an zu predigen mit andern Zungen, nach dem der Geist ihnen gab
auszusprechen“: Der Heilige Geist also gab den heiligen Aposteln die Worte ein,
sie waren nichts als nur die Werkzeuge oder der Mund, um sie auszusprechen.
Warum doch unsere neueren Gelehrten eine göttliche Eingebung dieser Art bei
Aposteln und Propheten für undenkbar oder für etwas dieser heiligen
Gottesmänner Unwürdiges halten? Man begreift das in der Tat nicht. Von einer
solchen göttlichen Eingebung aber, bei der Gott der Heilige Geist selbst der
eigentlich Redende, die heiligen Apostel und Propheten aber nur die Werkzeuge
waren, durch welche Gott redete, spricht die heilige Schrift überall. Wie klar
sagt der HERR Matth. 10,19.20 von den heiligen
Aposteln: „Ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es,
der durch euch redet“, ja, der HERR befiehlt ihnen, gar nicht zu sorgen, was
sie reden werden, sondern verheißt ihnen, es solle ihnen zu der Stunde gegeben
werden. Und vergleiche man nun damit alle die vielen Aussprüche der heiligen
Schrift, wo es stehend z.B. von den heiligen Propheten heißt Matth. 1,22; Luk. 1,70: „Gott hat geredet durch den Mund
seiner heiligen Propheten“, Apg. 1,16: „Der Heilige Geist hat geredet durch den
Mund Davids“, und ebenso spricht David selbst 2. Sam. 23,2: „Der Geist des
HERRN hat durch mich geredet und seine Rede ist durch meine Zunge geschehen.“
In dieser ganzen Ausdrucksweise der heiligen Schrift tritt deutlich hervor: Es
handelt sich da gar nicht um Erleuchtung, um himmlische Erkenntnisse, die den
heiligen Propheten und Aposteln gegeben waren und die sie nun verkündigten,
nein, es handelt sich hier um eine ganz andere Sache, es handelt sich um die Person,
die da redet, um die Frage: Sind es erleuchtete Menschen, die im Wort
der Apostel zu uns reden, oder ist es Gott selbst, dessen Werkzeuge,
Mund oder Hand jene Menschen gewesen sind? Letzteres ist die göttliche
Eingebung oder Inspiration der heiligen Schrift, darum ist sie, die heilige
Schrift, Gottes eigenes Wort und Rede, Gottes eigene Stimme, die aus der Person
der Apostel und Propheten heraus zu uns spricht. Das ist aber gerade für ein
Christenherz der höchste Trost, der ihm mehr wert ist als tausend Welten, dass
es weiß und glauben darf: Hier ist das Wort meines Gottes, worin er selbst zu
mir redet, hier in meiner Bibel, da höre ich seine Stimme, da spricht er selbst
meiner Seele seine süßen Trostworte zu, da höre ich aus seinem eigenen Munde
alle die herrlichen Verheißungen seiner Gnade und seiner Hilfe in aller Not,
ja, da bin ich nun aufs festeste gewiss, es werden eher Himmel und Erde
vergehen als dieses Wort, was der allmächtige Gott selbst geredet hat, in
diesem Worte Gottes ist der Grund meines Glaubens und meiner Seligkeit
unerschütterlich fest gelegt, dass kein Teufel und keine Hölle etwas dawider
vermögen.
Die hier erklärte Lehre von der göttlichen Eingebung der heiligen
Schrift ist von den Texten der heiligen Apostel an in der gesamten christlichen
Kirche, sowie auch in der ganzen älteren lutherischen Kirche allgemein und
einmütig herrschend gewesen, bis erst zu Ende des 18. Jahrhunderts der
Rationalismus und ebenso die ganze jetzt herrschende neuere theologische
Wissenschaft die Lehre und den Begriff von wirklicher Inspiration der heiligen
Schrift verwarf und hiermit den Grund alles rechten Glaubens umstürzte. Dabei
will man sich oft mit dem falschen Vorgeben beschönigen, als habe auch Luther
die altkirchliche, biblische Inspirationslehre nicht gehabt. Doch nur in der
Gewissheit einer solchen göttlichen Eingebung, wie sie vorstehend von uns
dargestellt ist, war ganz besonders gerade Luther die heilige Schrift das Wort,
welches Gott selbst vom Himmel herab geredet hat, der unerschütterliche Felsen,
worauf er fest und unbeweglich stand und worauf er das ganze Werk der
Reformation gründete. Das spricht Luther unzählige Mal in allen seinen
Schriften aus. „Also gibt man dem Heiligen Geist die ganze heilige Schrift …,
wie oft gesagt“, dass die heilige Schrift „vom Heiligen Geist geredet,
geschrieben“ sei, das ist Luthers stehende Redeweise. Darum nennt er sie
geradezu „des Heiligen Geistes Buch“; denn „die Schrift, wiewohl sie
durch Menschen geschrieben ist, ist doch nicht von und aus
Menschen, sondern aus Gott“. Wie klar aber hierbei Luther unterschied zwischen einer bloßen Erleuchtung durch den
Heiligen Geist und andererseits einer göttlichen Eingebung, kraft welcher Gott
selbst der in der heiligen Schrift Redende ist, leuchtet daraus hervor, wenn er
öfter sagt, dass „in der heiligen Schrift Gott selbst rede“, und
besonders klar bezeugt er es darin, wenn er von der Inspiration sagt: „Gott
kann sowohl durch Bileam als durch Jesaja, durch Kaiphas als durch St. Peter,
ja durch einen Esel reden“; denn der Heilige Geist hat ihnen „das Wort in
den Mund gelegt“. Nur aus diesem vollen und klaren Begriff von der
göttlichen Eingebung der heiligen Schrift floss bei Luther der Glaube an die
unverletzbare und hohe göttliche Majestät des Wortes Gottes, womit er bekennt:
„An Einem Buchstaben, ja einem einigen Tüttel der heiligen Schrift ist mehr und
größer gelegen, denn an Himmel und Erde.“ Darum „bitte und warne ich einen
jeglichen frommen Christen, dass er sich nicht stoße an der einfältigen Rede
und Geschichte, so ihm oft (in der heiligen Schrift) begegnen, sondern zweifle
nicht daran, wie schlecht es sich immer ansehen lässt, es seien eitel Worte,
Werke, Gerichte und Geschichten der hohen göttlichen Majestät und Weisheit.“
Darum endlich ist ganz selbstverständlich Luther die heilige Schrift in allen
Stücken irrtumslos, „sie kann nicht irren“, etwaige Widersprüche in ihr sind
daher nur scheinbar, denn sie kann nicht „wider sich selbst sein“.[125]
Wir wollen zu dem hier Gesagten nun noch einige Bemerkungen hinzufügen.
Vor allem leuchtet 1. Deutlich ein, dass bei einer Inspiration der heiligen
Schrift, wie wir sie im Vorstehenden beschrieben haben, gar keine Rede davon
sein kann, in der Weise, wie es die neueren Gelehrten tun, die äußeren Worte
der heiligen Schrift und den darin liegenden Sinn oder Inhalt zu unterscheiden
und nur letzteren für eingegeben oder göttlich zu halten. Eine solche
Unterscheidung ist nur bei der Erleuchtung eines Menschen denkbar: Da kann es
wohl sein, dass ein Christ durch Erleuchtung des Heiligen Geistes etwas
erkennt, aber er spricht diese an sich selbst göttliche Wahrheit dann aus mit
seinen eigenen menschlichen Worten. Doch ist das Wort der heiligen Schrift von
Gott eingegeben, nun, dann ist ja Gott selbst der in ihr Redende, wie
wir oben gezeigt haben, und Gott spricht nichts anderes als Worte, ja,
es ist gar nicht möglich, etwas zu reden ohne die Worte, in die es gefasst ist.
Hat also Gott die heiligen Apostel und Propheten nicht bloß erleuchtet, die
Wahrheit zu erkennen, sondern hat er durch sie geredet, dann sind es
eben auch die Worte selbst gewesen, die Gott den heiligen Aposteln oder
Propheten in den Mund oder in die Feder gelegt hat. Von einer Unterscheidung zwischen
den Worten und dem Inhalt, der darin liegt, redet darum hierbei auch die
heilige Schrift nirgends, sie sagt nur ganz schlicht und einfach, 2. Tim. 3,16:
„Alle Schrift, von Gott eingegeben“, also ohne Zweifel alle die Worte, welche
die Schrift sind oder worin sie gefasst ist. Und so heißt es durchweg in all
den oben angeführten Sprüchen, Gott redet durch den Mund der heiligen
Propheten, und was redet er? Doch eben die Worte, die die Propheten
sprechen. Ganz ausdrücklich aber bezeugt auch St. Paulus 1. Kor. 2,13 von der
göttlichen, im Evangelium uns offenbarten Wahrheit, dass er dieselbe lehre
„nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit
Worten, die der Heilige Geist lehrt“. Wort und Inhalt ist nach St. Pauli
Meinung untrennbar; so wenig darum die bloß menschliche Weisheit uns die
himmlische Wahrheit lehren kann, so wenig kann sie auch die Worte lehren, in
welche diese himmlische Weisheit gefasst ist, es müsste sonst diese göttliche
Wahrheit selbst dadurch getrübt werden, gleichsam wie ein Licht, welches durch
ein unreines Glas scheint. Soll darum die heilige Schrift der ganz reine helle
Spiegel göttlicher Wahrheit sein, dann muss sie nach St. Pauli Meinung auch
gefasst sein in „Worte, die der Heilige Geist lehrt“. – Und ebenso wenig
erlaubt uns der richtige Begriff von göttlicher Eingebung der heiligen Schrift,
denselben nur auf Glaube und Lehre beschränken zu wollen, dagegen alle die
äußeren Dinge, Geschichtliches und Geographisches usw., was die heilige Schrift
erwähnt, von der göttlichen Eingebung auszuschließen, wie die heutigen
Gelehrten tun. Wenn Gott da steht, als der in der
heiligen Schrift Redende, so ist kein Zweifel, dass Gott ebenso gut auch solche
äußere oder geschichtliche Dinge reden kann wie andere, wenn er es für gut und
nötig findet. Wir können daher in dieser Hinsicht durchaus die Unterscheidung
nicht billigen, die viele der Neueren machen, als seien in der heiligen Schrift
neben dem, was „zum Heil und zur Seligkeit dient“, wie man sagt, auch viele
ganz geringfügige, bloß äußere Dinge erwähnt, die für das Heil der Seelen ganz
gleichgültig seien. Dadurch lässt man sich denn zu dem falschen Schluss verleiten,
weil doch das Wort Gottes und die ganze göttliche Offenbarung nur da ist, um
uns selig zu machen, so sei folglich auch in der heiligen Schrift nur dasjenige
wirklich von Gott eingegeben und Gottes Wort, was zur Seligkeit dient.
Hiergegen aber müssen wir streng festhalten, dass die heilige Schrift durchaus
nichts anders enthält und redet, was nicht in irgendeinem Zusammenhang mit der
göttlichen Offenbarung und ihrem Zweck steht und was darum für letztere, also
für das Heil der Menschen, nicht irgendwie nötig und nützlich sei, kurz, was
nicht irgendwie „nütze ist zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung
in der Gerechtigkeit“, wie der heilige Apostel ausdrücklich von aller
Schrift dieses rühmt. Das spricht daher auch Luther öfter aus, dass „kein Buchstabe
noch Tüttel vergeblich“ sei, auch gerade von solchen bloß äußeren
geschichtlichen Dingen sei nichts ein bloß „gering, verglich Ding“, sondern
alles, was geschrieben ist, sei uns zur Lehre geschrieben. Ja, von der
göttlichen Eingebung der heiligen Schrift sind nicht einmal solche Dinge
ausgeschlossen, die die heiligen Apostel durch eigene menschliche Erkenntnis
schon wussten, z.B. geschichtliche Ereignisse, die sie selbst als Augen- und
Ohrenzeugen mit erlebt hatten oder von denen St. Lukas Kap. 1,2.3 sagt, er habe
„alles von Anbeginn erkundet von denen, die es von Anfang gesehen“. Auch bei
der Mittelung solcher schon bekannten Geschichts-Erzählungen sind doch immer
die Worte der heiligen Schrift, mit welchen sie erzählt, vom Heiligen
Geist eingegeben, darum erzählt sie uns alles nicht nur ganz unfehlbar richtig
und irrtumslos, sondern auch in der göttlich gesalbten Weise, wie es nur der
Heilige Geist vermag, und was besonders dabei wichtig ist: Die heilige Schrift
erzählt uns ganz genau nicht mehr und nicht weniger, als wir auch von
geschichtlichen Dingen nach Gottes Willen wissen sollen. Darum geht sie bei
ihren geschichtlichen Berichten z.B. nirgends darauf aus, nur die menschliche
Neugierde zu befriedigen, oder diese und jene geschichtlichen Dunkelheiten uns
zu erklären, kurz, uns Dinge zu berichten, die uns nicht irgendwie zur Lehre
oder zur Seligkeit nötig und nützlich sind. Ein bloß menschlicher
Geschichtsschreiber wäre nicht im Stande gewesen, das letztere so sorgfältig
auszusondern, wie es Gott in seinem Worte tut.
Die göttliche Eingebung der heiligen Schrift nötigt uns aber nicht, zu
behaupten 2., dass die heiligen Apostel und Propheten, obwohl sie nichts
anderes als nur die Werkzeuge oder Schreibfedern des Heiligen Geistes dabei
waren, leblose oder bewusstlose Werkzeuge gewesen sind (wie etwa
Bileams Eselin, durch deren Mund ja auch der HERR redete). Das sei ferne, dass
wir uns von den heiligen Aposteln und Propheten solche
unwürdige Gedanken machen sollten! Dazu gibt auch nirgends die heilige
Geschichte uns Veranlassung, sie zeigt vielmehr, wie der eigene Verstand und
Wille der heiligen Gottesmänner überall ist mittätig
gewesen bei dem, was sie redeten und schrieben. Das widerspricht auch dem
nicht, was der heilige Petrus sagt, es sei „keine Weissagung aus menschlichem
Willen hervorgebracht“. Nein, hervorgebracht ist freilich das Wort der
heiligen Schrift nicht aus menschlichem Verstand und Willen, aber es ist nicht ohne
oder gar gegen diesen Verstand und Willen der heiligen Gottesmänner geredet
und geschrieben worden. Wir müssen und können uns vielmehr die Sache gar
einfach so vorstellen: Das vom Heilligen Geist ihnen eingegebene Wort Gottes
haben die heiligen Apostel und Propheten gewiss lebendig denkend
aufgefasst, den Sin dieses Wortes, das die himmlische Stimme zu ihnen sprach,
sich angeeignet und so auch mit eigenem Bewusstsein, Wissen und Willen es
ausgesprochen oder niedergeschrieben. So ist hierbei freilich in diesem Sinne
beides zusammen, der Heilige Geist und der eigene Verstand und Wille der
heiligen Menschen, tätig gewesen, aber doch nur so, dass das Wort der letzteren
immer ganz und eigentlich und unmittelbar des Heiligen Geistes Wort ist, von
ihm hervorgebracht. Wir können uns, wenn wir anders solche göttliche
Geheimnisse mit menschlichen Gleichnissen uns erklären dürfen, das vorstellen,
wie wenn etwa ein Lehrer einem Schüler etwas in die Feder diktiert: Das so vom
Schüler Geschriebene ist jedenfalls ganz allein des Lehrers Wort, nicht
irgendwie aus dem Willen oder Verstand des Schülers hervorgebracht, aber doch
können wir uns sehr gut hierbei denken, dass auch der Schüler nach dem Maß
seiner Erkenntnis die ihm diktierten Worte selbst versteht, sie lebendig
denkend in sich aufnimmt und sie so auch als eigene Überzeugung und folglich
mit seinem eigenen Wissen und Willen niederschreibt. So wäre denn das
Geschriebene zunächst und im eigentlichen Sinne Worte des Lehrers, aber doch
auch vom Schüler selbst aus eigener Überzeugung geschrieben und geredet. So
haben auch die heiligen Apostel und Propheten das ihnen eingegebene und
offenbarte Wort Gottes so lebendig in sich aufgenommen und sich angeeignet,
dass sie es zugleich immer auch als ihre eigene innerste Herzensmeinung und
Überzeugung aussprechen konnten. Und so ist beides vollkommen wahr und recht
geredet, wenn wir vom Wort der heiligen Schrift sagen: Das schreibt oder redet
Gott der Heilige Geist, und doch ist es auch nicht weniger St. Petrus oder
Paulus usw., der da schreibt und spricht. Das ist besonders auch in den Psalmen
der Fall, wenn aus eigenem Herzen heraus die heiligen Psalmisten Gott
lobsingen, oder auch mit eigener tiefer Reue ihre Sünden bekennen: Das reden
sie ja alles gewiss mit eigenem Wissen und Willen, sie sprechen nichts aus, was
nicht ihres eigenen Herzens tiefste Empfindung und Meinung ist, und doch
sprechen sie es aus mit Worten, die der Heilige Geist ihnen eingibt, der
Heilige Geist aber, der die Herzen kennt und weiß, was ihr Sinn ist (Röm.
8,27), der vermag gerade auch bei dem Gebet das Begehren des menschlichen
Herzens in die besten und treffendsten Worte zu fassen.
Endlich wollen wir 3. noch in Kürze erwähnen, dass wir bei der
göttlichen Eingebung der heiligen Schrift uns keine Bedenken machen dürfen aus
der verschiedenen Eigentümlichkeit der einzelnen biblischen Bücher, sowie aus
der Beschaffenheit der äußeren Form und Sprache, in der die heiligen
Schriftsteller reden, oder aus scheinbaren Widersprüchen, die sich in der
heiligen Schrift, besonders nach Meinung mancher Gelehrter und Ungläubiger,
finden sollen usw. Der Heilige Geist hat offenbar bei Eingebung der heiligen
Schrift sich herabgelassen zu der Eigentümlichkeit und Schwachheit der
menschlichen Werkzeuge, die er dazu gebrauchte. Daher all die Verschiedenheiten
der einzelnen biblischen Bücher in ihrer ganzen Sprache und Schreibart oder in
Bezug auf Temperament und Charakter der heiligen Schriftsteller, die sich darin
abspiegeln; wie feurig redet z.B. der heilige Petrus, wie sanft, innig und tief
der heilige Johannes, wie gelehrt oft der heilige Paulus! So ist es auch bei
dem Wort des Heiligen Geistes, wie bei Menschen: Je nachdem die Schreibfeder
ist, mit der man schreibt, wird auch die Schrift verschieden, und doch ist es
immer die Schrift dessen, der die Feder führt. Ja, selbst auch vieles in der äußeren
Form und Sprache der heiligen Schrift in Zeug auf Stil, Satzbau und dgl. können
wir uns daraus erklären, dass sich der Heilige Geist zu der ganzen persönlichen
Eigentümlichkeit seiner menschlichen Werkzeuge herablässt, so jedoch, dass
Inhalt, Zweck und Wahrheit des Wortes Gottes selbst nicht dadurch leiden. Was
aber die scheinbaren Widersprüche betrifft, die sich in der heiligen Schrift
finden, so müssen wir dabei zweierlei durchaus festhalten: Einesteils, dass in
dem von Gott eingegebenen Wort der heiligen Schrift nirgends und nie ein
wirklicher Irrtum, auch nicht in äußeren oder geschichtlichen Dingen sich
finden kann, etwas irgendwie Unwahres kann der Heilige Geist niemals
reden. Es müssen daher auf irgendeine Weise scheinbare Widersprüche in der heiligen
Schrift sich auflösen und miteinander ausgleichen, nur ist uns das oft
verborgen und unerklärlich. Da muss sich ein Christ daher stets seines
schwachen menschlichen Verständnisses bewusst bleiben, in der festen
Überzeugung, dass wir erst in der Ewigkeit die Tiefen der göttlichen Weisheit
werden durchschauen lernen, wo sich dann alle die scheinbaren Widersprüche,
Geheimnisse und Rätsel, die sich hier auf Erden in Gottes Wort, wie in Gottes
Wegen für uns finden, in die schönste und vollkommenste Harmonie auflösen
werden. Andernteils aber ist kein Zweifel, dass Gott mit Absicht uns auch in
äußeren menschlichen Dingen vieles Dunkle und Geheimnisvolle in seinem Worte
lässt, weil er darin nicht von der Weisheit dieser Welt will erfasst und
gemeistert sein, sondern er fordert den Glauben von uns, er will, dass wir die Vernunft
sollen gefangen nehmen lernen unter den Gehorsam Christi (2. Kor. 10,5).
Ja, darum hat Gott ohne Zweifel mit Absicht gar mancherlei Steine des Anstoßes
und unlösbare Rätsel in sein Wort gelegt, damit auch an der heiligen Schrift
die Wahrheit erfüllt werde, dass Christus den einen gesetzt ist zur
Auferstehung, den andern zum Fall und zu einem Stein des Anstoßes und
Ärgernisses.
(nach: Die Lehre von der Kirche. Dresden 1872.)
I. Die Kirche im eigentlichen Sinne
1. Die Kirche im eigentlichen
Sinne ist nichts anderes als die
Versammlung der Heiligen und wahrhaft Gläubigen (Augsb.
Bek. VIII), s.a. Matth. 16,18; Eph. 5,27; 2,19; 1,23,
also solche, die aufgrund ihres Glaubens abgewaschen sind mit dem Blut Christi,
geheiligt und gerecht erklärt. (S. 8 f.)
2. Die Heuchler und
Scheinchristen, die sich zwar zur äußeren Versammlung um Wort und Sakrament
halten, sind damit nicht Glieder der Kirche im eigentlichen Sinne und damit des
Reiches Gottes, sondern immer noch Glieder des Reiches des Teufels. (S. 11) Sie
sind in der äußeren Versammlung den Gläubigen nur beigemischt. (S. 23)
3. Diese Kirche im eigentlichen
Sinne, da sie durch den Glauben konstituiert wird, ist verborgen, da der Glaube
nicht äußerlich gesehen werden kann. (S. 14)
4. Von dieser Kirche im
eigentlichen Sinne spricht die Heilige Schrift in zweifacher Weise: zum einen
von der Gesamtheit aller Gläubigen oder dem Leib Christi (Universalkirche), Matth. 16,18; Eph. 1,22; 5,25-26; 2,19-22; 1. Kor.
12,12-13, und zum anderen von einer lokalen Gemeinschaft von Gläubigen
(Ortskirche), 1. Kor. 1,2. (S. 16-19)
5. Die Kirche im eigentlichen
Sinne ist also ein reines Glaubensreich, denn den Glauben haben wir nur im
Heiligen Geist. Deshalb gehören die äußeren Dinge, wie das Predigtamt, nicht
zum Wesen der Kirche. (S. 28)
II. Die Eigenschaften der Kirche im eigentlichen Sinne
6. Die Kirche ist heilig, weil der Heilige Geist die Gläubigen
im rechten einigen Glauben heilig macht, 1. Kor. 6,11, nämlich gerechtfertigt,
und wirkt in ihnen die Früchte des Glaubens. (S. 35 f.)
7. Die Kirche ist eine allgemeine, nämlich umfasst die ganze
Christenheit auf Erden, nämlich alle wahren Gläubigen, die bei berufen,
gesammelt, erleuchtet, geheiligt und bei Jesus Christus erhalten werden im
rechten einigen Glauben. (S. 36 f.)
8. Die Kirche ist eine, nämlich der eine Leib Christi,
Eph. 4,1-3. (S. 39) Dieser ist zerstreut unter allen Konfessionen, denn die
Gläubigen halten sich an Gottes Wort und haben nicht Teil an den Irrtümern
ihrer Kirchengemeinschaft oder folgen ihr nur aus Schwachheit der Erkenntnis,
das heißt, sie haben die primären Fundamentallehren rein und richtig, aber
sonst die Lehre noch nicht ganz und
vollständig. Diese Einigkeit ist keine Einigkeit in äußeren Dingen, sondern im
rechten wahren Glauben. (S. 41.45)
III. Von den Kennzeichen der Kirche im eigentlichen Sinne
9. Das Wort Gottes (im engeren
Sinn: das Evangelium) und die heiligen Sakramente sind die äußeren, sichtbaren
Kennzeichen der Kirche (notae ecclesiae),
an die ihr Dasein auf Erden gebunden ist. Denn Gott wirkt nur durch sein Wort
und Sakrament den rettenden Glauben und gibt seine Gnadengüter. Nur da, wo Wort
und Sakrament sind, nur da ist Christus, nur da der heilige
Geist, nur da kann daher auch die Kirche sein. Darum ist die rechte Kirche da
zu finden, wo Gottes Wort rein geht und die Sakramente demselben gemäß gereicht
werden (Apol. IV). (S. 48-51)
10. Dadurch, dass die Kirche an
solche äußeren Kennzeichen und deren Verwaltung gebunden ist, gewinnt sie eine
äußere Gestalt, das heißt, es entsteht eine sogenannte äußere Versammlung, die
auch als Kirche im weiteren oder uneigentlichen Sinne (synechdoche)
bezeichnet wird. (S. 48)
11. Weil Wort und Sakrament die
Mittel sind, durch die Gott alle Gnade gibt, so ist die Verwaltung dieser
Mittel auch das Werk oder der Dienst, Amt, welches Gott der Kirche befohlen
hat. Wo die Kirche ist, da ist daher auch Befehl, das Evangelium zu predigen
(Tractatus zu den Schmalk. Art.). Dieses „Amt des
Neuen Testamentes“ ist der ganzen Kirche gegeben, allen, die den Heiligen Geist
haben. Durch dieses Evangelium allein wirkt der Heilige Geist die
Sündenvergebung. Sie ist darum auch allein an Wort und Sakrament gebunden,
nicht an Prediger, Kirchenregiment oder eine Kirchenverfassung. (S. 49 ff.)
IV. Von der äußeren Versammlung um Wort und Sakrament
12. Durch den Gebrauch, die
Verwaltung der Kennzeichen der Kirche oder Gnadenmittel Gottes, also die
Verkündigung des Wortes Gottes und die Verwaltung der Sakramente, entstehen
äußere Christenversammlungen oder eine „sichtbare Kirche“. Das heißt: Die
Christen eines bestimmten, versammelbaren Umkreises
kommen äußerlich zusammen, um die rechte Lehre und Predigt des Wortes Gottes
und die Verwaltung der Sakramente aufzurichten. Dadurch entstehen äußere,
unmittelbare Christenversammlungen. Dass die Christen dies tun, dass sie
äußerlich zusammenkommen und für die rechte christliche Predigt und
Sakramentsverwaltung sorgen, das ist Gottes Befehl, Ordnung und Mandat, denn
Christus hat seiner Kirche befohlen, in alle Welt zu gehen und das Evangelium
allen Völkern zu predigen. (S. 53 f.)
13. Die Verwaltung von Wort und
Sakrament ist es allein und eigentlich, was die äußere Christenversammlung
ausmacht und bildet. (S. 53)
14. Da der Glaube aber aus dem
Wort Gottes kommt, muss es jedem Christen hochwichtig sein, dass eine
rechtgläubige äußere Christenversammlung sei, in der die Gnadenmittel, Wort und
Sakrament, schriftgemäß verwaltet werden. (S. 53 f.)
15. Zur Ausrichtung dieses ihres
Auftrages gibt Christus seiner Kirche auch Gaben und Kräfte, also Prediger,
Hirten, Lehrer, kurz: dazu hat Christus das öffentliche Predigtamt gestiftet
und seiner Kirche als eine Gabe und Werkzeug gegeben. (S. 54)
16. Wo daher äußere
Christenversammlungen sich bilden, müssen sie nach Gottes Ordnung, Willen und
Mandat auch Diener an Wort und Sakrament berufen, damit Wort und Sakrament
öffentlich und ordentlich verwaltet werden. (S. 54)
17. Zur Ausrichtung ihres
Auftrages kann die Kirche, wie es jeweils nötig ist, auch weitere Ordnungen
einrichten, in christlicher Freiheit, aus menschlicher Übereinkunft, denn es
ist uns kein neues Zeremonialgesetz durch Christus gegeben, sondern er hat nur
geordnet, dass alles ehrlich und ordentlich zugehen soll, 1. Kor. 14,40. Dies
schließt ein, dass sich unmittelbare Christenversammlungen, je nach Bedürfnis,
zu größeren Kirchenverbänden zusammenschließen, nicht auf göttlichen Befehl,
sondern aus menschlicher Übereinkunft. (S. 54 f.)
18. Solch einer äußeren
Versammlung um Wort und Sakrament gehören aber als äußere Glieder an den
Gnadenmitteln, nicht nur wahrhaft Gläubige an, sondern auch Heuchler und
Scheinchristen. (S. 55)
19. Ihrem inneren Kern nach ist
die äußere Christenversammlung keine andere Kirche als die Kirche im
eigentlichen Sinne, denn nur dieser hat Christus Wort und Sakrament übergeben
und zu verwalten befohlen. So sind auch nur die wahren Christen, die eigentlich
die äußere Versammlung bilden; die Heuchler und Scheinchristen sind dieser
Versammlung nur äußerlich beigemischt. (S. 56)
20. Die rechte äußere
Christenversammlung soll allein auf Gottes Wort gegründet sein und
zusammengehalten allein durch das Band und Bekenntnis des Glaubens. Die äußere
Versammlung ist also eine Bekenntnisgemeinschaft. (S. 57 f.)
21. Es ist nicht gleichgültig,
welcher äußeren Kirchengemeinschaft ein Christ angehört, denn es ist Gottes
Ordnung und Wille, dass die äußere Christenversammlung rechtgläubig sein, also
Gottes Wort rein und unverfälscht bekannt, gelehrt, gepredigt wird, nicht nur
juristisch, sondern auch faktisch, und die Sakramente schriftgemäß verwaltet
werden. Nur solch eine Christenversammlung ist wahre Kirche, rechtgläubige
Kirche. Andere Versammlungen dagegen, die Christi Wort und Sakrament nicht rein
haben, sind falschgläubige Kirchen. (S. 61)
22. Wiewohl die Kirchenzucht
nicht zum Wesen der Kirche gehört, so ist sie doch von Christus befohlen und
ihr Unterlassen ist Sünde und bringt Verwüstung und Verderben über die Kirche.
(S. 62)
23. Solange der Grund des Wortes
Gottes und die Sakramente noch wesentlich vorhanden sind, ist eine Versammlung,
wenn sie auch falschgläubig ist, immer noch als „Kirche“ zu bezeichnen, weil
sie noch wahre gläubige Christen hat. Um der falschen Lehre aber sind solche
Kirchen keiner „Schwesterkirchen“ der wahren rechtgläubigen Kirche. (S. 64)
24. Eine Union oder irgendwelche
geistliche Gemeinschaft zwischen Recht- und Falschgläubigen ist gegen Gottes
Wort und daher unbedingt zu meiden. (S. 77)
V. Von den Ordnungen der Kirche
25. Ein neues Gesetz oder eine
göttliche Kirchenordnung ist im Neuen Testament nicht gegeben, Christus ist des
Gesetzes Ende, Röm. 10,4. (S. 78)
26. Vom Gesetz, das uns
gewissensverbindliche Pflichten lehrt, deren Unterlassung Sünde ist, sind
Ordnungen zu unterscheiden, die bei einer bestimmten Sache nötig sind, um den
Zweck zu erreichen. Solche Ordnungen gibt es auch im Gnadenhaushalt Gottes. (S.
79)
27. Im Neuen Testament ist dabei
zu unterscheiden zwischen Heilsordnung und Kirchenordnung. Die Heilsordnung ist
dies, dass Gott der HERR uns die von Christus erworbenen Gnadenschätze, nämlich
Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, schenken will und dies allein durch
sein Wort und Sakrament macht. (S. 80)
In seiner Heilsordnung hat Gott
dabei die Einrichtung getroffen, dass Wort und Sakrament nur durch Menschen
verwaltet werden können und hat geboten, dass sie rein und unverfälscht
verwaltet werden und die Frau schweige in der Gemeinde und nicht des Mannes
Haupt sei. (S. 80)
28. Wie dies nun äußerlich
geschieht, wie das öffentliche Predigtamt zu verwalten ist, wie die äußere
Versammlung geordnet werden soll, dazu sind wiederum Einrichtungen zu treffen,
die aber in die Kirchenordnung gehören, die aus menschlicher Übereinkunft in
christlicher Freiheit geordnet wird, um den Zweck zu erreichen, dass Gottes
Wort und die heiligen Sakramente recht verwaltet werden. Die äußeren Ordnungen
sind also nicht ius divinum, sondern ius humanum und
daher nicht die Gewissen bindend. (S. 80 f.)
29. Wir haben dabei einzelne
Stücke in der Kirchenordnung, die Gott in seinem Wort offenbart hat, also dass
die äußere Christenversammlung Diener an Wort und Sakrament (öffentliches
Predigtamt) berufen soll, d.h. das öffentliche Predigtamt ist also von Gott
geordnet, hat Gottes Wille und Mandat, Apg. 20,28; Eph. 4,11. Dabei geht es um
Gottes Gnadenrat und Gnadenwillen, den er der Kirche übergeben hat. Zweck und Inhalt des öffentlichen
Predigtamtes sind die öffentliche Predigt des Evangeliums und die Verwaltung
der Sakramente, um dadurch Seelen zum Glauben zu bringen. (S. 84 f.)
30. Zu den von Gott vorgegebenen
Stücken der Kirchenordnung gehören ferner Lehr- und Kirchenzucht, also das
Meiden falscher Lehre, Lehrer und Kirchengemeinschaften, Tit. 3,10; Röm. 16,17;
sowie das Hinaustun der Bösen, Matth. 18,15-17; 1.
Kor. 5,13. Was dagegen von Sitten und Einrichtungen an sich erzählt wird, ohne
dass es als dauerhafte göttliche Ordnung erkennbar wird, gehört nicht in die
von Gott vorgegebenen Stücke der Kirchenordnung. Was über die von Gott
vorgegebenen Stücke in der Gemeinde- und Kirchenordnung hinaus geht, ist also
aus rein menschlicher Übereinkunft, in christlicher Freiheit. (S. 86-88)
VI. Vom Kirchenregiment
31. Geistlich wird die Kirche
allein durch Gottes Wort regiert. (S. 91)
32. Das Recht und die Macht,
kirchliche Ordnungen zu beschließen und ihre Einhaltung zu überwachen, liegt in
der Freiheit der Christenversammlung als der Versammlung derer, die auch alle
Schlüsselgewalt haben, und weil die Christenversammlung eine Versammlung von
Brüdern ist, Matth. 23,8; Gal. 5,1. Solch eine
Versammlung hat auch das Recht, etliche zu beauftragen, in ihrem Namen
bestimmte Maßnahmen auszuführen oder zu überwachen. (S. 92-100)
Falsche Lehre ist:
-
nur diejenigen gehörten zur Kirche im eigentlichen
Sinne, die einer rechtgläubigen Kirche angehörten;
-
die Kirche im eigentlichen Sinne sei eine sichtbare
Versammlung, in der das Wort rein gepredigt und die Sakramente schriftgemäß
verwaltet werden, also eine bloß äußere Heilsanstalt;
-
dass es „tote Glieder“ am Leib Christi geben könne;
-
es sei genug, um selig zu werden, Glied einer
rechtgläubigen Kirchengemeinschaft zu sein;
-
dass die „allgemeine oder katholische“ Kirche eine
bestimmte Partikularkirche auf Erden sein könne;
-
dass die „eine“ Kirche eine bestimmte äußere Kirchengemeinschaft
sei;
-
dass eine Trennung von einer äußeren
Kirchengemeinschaft „Zerreißung des Leibes Christi“ sei;
-
die wahre Kirche im eigentlichen Sinne könne nur da
sein, wo auch Prediger sind;
-
dass das Kirchenregiment von Gott geordnet sei und zum
Wesen der Kirche gehöre;
-
dass dem Kirchenregiment Gehorsam nach dem 4. Gebot
zukomme;
-
dass das Kirchenregiment den Predigern zukomme;
-
dass die rechten Einigkeit
der Kirche an Amtspersonen gebunden sei;
-
dass es eine allein seligmachende
äußere Kirchenversammlung geben könne;
-
dass die Kraft von Gottes Wort, von Absolution und die
Gültigkeit der Sakramente abhänge von einem ordentlich berufenen und
ordinierten Prediger;
-
dass die Schlüsselgewalt nicht der Kirche im
eigentlichen Sinne, sondern einer äußeren Versammlung gegeben sei;
-
dass die Schlüsselgewalt nur den Ämtern und Ordnungen
in der äußeren Versammlung zukomme;
-
dass die Sündenvergebung nicht nur an Wort und
Sakrament gebunden sei, sondern an Prediger oder ein Kirchenregiment;
-
dass es nicht schriftwidrig sei, wenn es unter
Gläubigen verschiedene Lehren und Glauben gebe, man dennoch Gemeinschaft
untereinander haben könne;
-
dass zur rechten Kirche eine
bestimmten Verfassung nötig sei;
-
dass die unmittelbaren Christenversammlungen (ecclesiae simplices) verpflichtet
seien, sich zu größeren Kirchenverbänden zusammenzuschließen;
-
dass es äußere Christenversammlungen geben könne und
aufzurichten seien, in denen nur wahrhaft Gläubige Glieder seien;
-
dass nicht das Bekenntnis des Glaubens das Band der
äußeren Christenversammlung sei, sondern irgendwelche äußerlichen Ordnungen;
-
dass die äußere Christenversammlung nicht durch den
Glauben gebaut werde, sondern durch äußerliche Ordnungen;
-
dass die äußere Christenversammlung nicht an der
Lehre, sondern an ihrem Leben, ihrem Eifer zu beurteilen sei;
-
dass geistliche Gemeinschaft mit Andersgläubigen
erlaubt sei;
-
dass die Kirchenzucht zum Wesen der Kirche gehöre.
[1]
vgl. Friedrich Brunn: Mitteilungen aus meinem
Leben für meine Kinder und Freunde zu meinem 50jährigen Amtsjubiläum. Zwickau:
Johannes Herrmann. o.J. S. 4
[2]
vgl. ebd. S. 5. 9
[3]
vgl. ebd. S. 5 f.
[4]
vgl. ebd. S. 7
[5]
vgl. ebd. S. 8
[6]
vgl. ebd. S. 9
[7]
vgl. ebd. S. 11
[8]
vgl. ebd. S. 12
[9]
vgl. ebd. S. 13
[10]
vgl. ebd. S. 14
[11]
vgl. ebd. S. 13. 15. 5
[12]
vgl. ebd. S. 16
[13]
vgl. ebd. S. 17
[14]
vgl. ebd. S. 19 f.
[15]
vgl. ebd. S. 22
[16]
vgl. ebd. S. 23 f.
[17]
vgl. ebd. S. 24
[18]
vgl. ebd. S. 24 f.
[19]
vgl. ebd. S. 29
[20]
vgl. ebd. S. 30-31
[21]
vgl. ebd. S. 35
[22]
vgl. ebd. S. 32-34
[23]
ebd. S. 42
[24]
vgl. ebd. S. 37-38. 41
[25]
vgl. ebd. S. 24
[26]
ebd. S. 40
[27]
vgl. ebd. S. 40-42
[28]
vgl. ebd. S. 43
[29]
vgl. ebd. S. 44
[30]
ebd.
[31]
vgl. ebd. S. 45. 51
[32]
vgl. ebd. S. 52
[33]
vgl. ebd. S. 46
[34]
ebd. S. 48
[35]
ebd. S. 49 f.
[36]
ebd. S. 50
[37]
ebd. S. 50 f.
[38]
vgl. ebd. S. 52 f. Die auf den Menschen
fokussierte Lehre ist in den vom Methodismus geprägten pietistischen und
modern-evangelikalen Richtungen ja besonders stark ausgeprägt, besonders durch
die vom Arminianismus herkommenden, von Charles Finney und Dwight D. Moody
besonders ausgebreiteten, auch von Billy Graham eingesetzten
„Entscheidungstheologie“, die davon ausgeht, im Unterschied zur eigentlichen
reformierten Lehre, dass der natürliche Mensch noch einen (wenn auch
eingeschränkten) freien Willen in geistlichen Dingen habe und sich daher, wenn
auch unterstützt von der Gnade, „für Jesus entscheiden“, „sich Jesus übergeben“
könne – was dann als Akt der (Selbst-)Bekehrung aufgefasst wird. Tatsächlich
ist dies eine anthropozentrische Verzerrung der biblischen Lehre von der
Bekehrung und wird vielen die Wiedergeburt zugesprochen, die gerade mal ein
erstes, durchaus ernstes, Interesse am Christentum bekundet haben und nun
eigentlich erst zu rechter Sünden- und Verdorbenheitserkenntnis und dann zu
lebendiger Christus- und Heilserkenntnis und damit rettendem Glauben durch
Gesetz und Evangelium geführt werden müssten. Aber auch die eigentliche
reformierte Weise, wie sie sich bei George Whitefield und Jonathan Edwards
zeigte, war doch schon sehr auf den Menschen abgestellt, auf sein Erleben, Erfahren,
wollte so über das Gefühl, Erleben den Willen bearbeiten und damit „Glauben“
erzeugen (Jonathan Edwards, der heute oft als Vorbild im Calvinismus angesehen
wird, vertrat tatsächlich die New School or New England Theology mit
rationalistischen Einschlägen nicht zuletzt im Blick auf Erbsünde und freien
Willen in geistlichen Dingen vor der Bekehrung. vgl. dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Jonathan_Edwards_(Prediger), besonders: https://en.wikipedia.org/wiki/Jonathan_Edwards_(theologian); https://en.wikipedia.org/wiki/New_England_theology; https://en.wikipedia.org/wiki/Old_School%E2%80%93New_School_Controversy). (Anm. d. Hrsg.)
[39]
vgl. Brunn, a.a.O., S. 54
[40]
vgl. ebd. S. 54 f.
[41]
vgl. ebd. S. 57
[42]
vgl. ebd. S. 58
[43]
vgl. ebd. S. 58. 59
[44]
ebd. S. 59
[45]
vgl. ebd. S. 60-62
[46]
vgl. ebd. S. 63 f.
[47]
vgl. ebd. S. 65. 67
[48]
vgl. ebd. S. 70
[49]
vgl. ebd. S. 71 f.. 74
[50]
vgl. ebd. S. 74-76
[51]
vgl. ebd. S. 75-78
[52]
vgl. ebd. S. 79
[53]
vgl. ebd. S. 81-83
[54]
vgl. ebd. S. 88
[55]
vgl. ebd. S. 112-114
[56]
vgl. ebd. S. 93. 94
[57]
vgl. ebd. S. 96
[58]
vgl. ebd. S. 97
[59]
vgl. ebd. S. 99. 101
[60]
vgl. ebd. S. 103-105
[61]
vgl. ebd. S. 111
[62]
vgl. ebd. S. 106-112
[63]
vgl. ebd. S. 112-115
[64]
vgl. ebd. S. 117 f.
[65]
vgl. ebd. S. 118
[66]
vgl. ebd. S. 122. 124
[67]
vgl. ebd. S. 124
[68]
vgl. ebd. S. 119-121
[69]
vgl. ebd. S. 124 f.
[70]
vgl. ebd. S. 125
[71]
vgl. ebd. S. 130
[72]
vgl. ebd. S. 133
[73]
ebd. S. 126; vgl. auch S. 125 f.
[74]
vgl. ebd. S. 127. Solche falschen Lehren sind
auch in der SELK heute anzutreffen, etwa bei einem Berliner Pfarrer in seiner
Katechismuserklärung, dass die Schlüsselgewalt von Christus den Pastoren
gegeben sei, nicht der Gemeinde; von einem anderen Pfarrer im selben
Kirchenbezirk, dass nur die von einem Pfarrer erteilte Absolution gültig und
kräftig sei. (Anm. d. Hrsg.)
[75]
ebd. S. 128 (Hervorhebungen vom Verfasser)
[76]
ebd. S. 129
[77]
vgl. ebd. S. 131
[78]
vgl. ebd. S. 132. 154
[79]
vgl. ebd. S. 134 f.
[80]
vgl. ebd. S. 156
[81]
vgl. ebd. S. 123. 155
[82]
vgl. ebd. S. 156-158
[83]
vgl. ebd. S. 162 f.
[84]
vgl. ebd. S. 166 f.
[85]
vgl. ebd. S. 167
[86]
Vgl. ebd. S. 168 f.
[87]
vgl. ebd. S. 135-137
[88]
vgl. ebd. S. 138
[89]
vgl. ebd. S. 139-141.
[90]
vgl. ebd. S. 141-143
[91]
Vgl. ebd. S. 143-145
[92]
vgl. ebd. S. 145-147. Im Jahr 1908 kam es zu
einer Wiedervereinigung des größten Teils der von ihm gegründeten
Immanuel-Synode mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Altpreußen, ohne
dass die Lehrfragen wirklich geklärt worden wären. Nur ein kleiner Teil um
Pastor Vollert blieb separiert. Er hat sich dann in den 1960er Jahren der
Evangelisch-Lutherischen Freikirche angeschlossen. (Anm. d. Hrsg.)
[93]
vgl. ebd. S. 148-150
[94]
vgl. ebd. S. 151 f.
[95]
In den Einigungssätzen zwischen der
Evangelisch-Lutherischen Freikirche (ELFK) und der Evangelisch-Lutherischen
Kirche in (Alt-)Preußen (Altlutheraner im engeren Sinn) schienen diese Fragen
dann geklärt zu sein. Dadurch aber, dass diese Einigungssätze nie lehr- und
gewissensverbindlich wurden und damit ein belangloses Papier blieben, ist die
Lage in der Selbst. Evang.-Luth. Kirche (SELK), zu der sich die ELFK in der
alten BRD, die Altlutheraner, die alte SELK und die Bekenntniskirche zusammenschlossen,
heute schier noch schlimmer als früher bei den Breslauern, da nun Stimmen
geduldet werden, die die Ordination zu einem Sakrament machen, durch das der
Ordinierte bestimmte Gaben erhielte; dass gelehrt werden kann, dass die
Gnadenmittel nur den Pastoren, nicht der Gemeinde verliehen sei; dass nur die
durch einen Ordinierten erteilte Absolution wirklich kräftig und wirksam sei.
(Anm. d. Hrsg.)
[96]
vgl. ebd. S. 170
[97]
vgl. ebd. S. 170 f.
[98]
vgl. ebd. S. 171 f.
[99]
vgl. ebd. S. 173 f.
[100]
vgl. ebd. S. 174-176
[101]
vgl. ebd. S. 176-179. Es ist übrigens sehr
interessant, dass nirgends bei P. Brunn in seinen Schriften irgendetwas
auftaucht, dass die örtliche Gemeinde (Ortsgemeinde) im Unterschied zu allen
anderen Versammlungen von Gott eingesetzt sei. Er hebt nur hervor, dass es
Gottes Wille ist, dass die Christen sich verbinden, um die Gnadenmittel
gemeinsam zu verwalten. Und so kommt es dann natürlicherweise zur Bildung von
Ortsgemeinden und, wenn nötig, aus christlicher Freiheit, auch zur Bildung von
Synodalverbänden. Brunn betont, gerade in seinem Büchlein über die Kirche, dass
es im Neuen Testament kein neues Zeremonialgesetz gibt und das alte abgeschafft
ist (S. 57). (Anm. d. Hrsg.)
[102]
vgl. ebd. S. 182-184
[103]
vgl. ebd. S. 185
[104]
vgl. Brunn, a.a.O., S. 187-190
[105]
vgl. ebd. S. 190. 192. 193. Das unterscheidet
sich ja grundlegend von dem, was damals Theodosius Harnack in seinem Buch über
die „freie lutherische Volkskirche“ forderte, nämlich eine Scheidung zwischen
Abendmahlsgemeinde und Missionsgemeinde. Nur diejenigen, die wirklich mit Ernst
Christ sein wollten, sich auch entschieden zu Schrift und Bekenntnis erklärten,
sollten zur Abendmahlsgemeinde gehören, die allein Prediger und Älteste
berufen, Kirchen- und Lehrzucht üben kann, während die anderen die Missionsgemeinde
bilden, an den Gottesdiensten teilnehmen dürfen, auch die Taufe empfangen, aber
sonst keine Stimme in der Kirche haben. August Vilmar hatte die Zeichen der
Zeit sehr deutlich erkannt und daher seit 1848 entschieden die Trennung von
Kirche und Staat gefordert, nämlich die Selbstregierung der vom Bekenntnis
bestimmten Kirche. Allerdings meinte er, die Massen bei der Kirche halten zu
können, indem er die Gemeinden völlig entrechtete durch einen sich selbst
ergänzenden Pfarrerstand und eine episkopale Ordnung, was aber einer
Strangulierung des Priestertums aller Gläubigen gleichkommt und einen
Schlüsselraub darstellt. (Anm. d. Hrsg.)
[106]
vgl. ebd. S. 191 f. Dass an dieser Entkirchlichung
und Entchristlichung weiter Teile des Volkes die Kirche mitschuldig war, ist
eindeutig, lag aber auch daran, dass sie als Staatskirche faktisch
handlungsunfähig war, wenn nicht der Staat das, was nötig war, durchführte.
Otto von Gerlach hatte schon Anfang der 1830er Jahre eine Aufteilung etwa der
immer mehr überdimensionierten Kirchengemeinden in Berlin gefordert (die
Matthäusgemeinde hat dann um 1870 schließlich etwa 100.000 Glieder gehabt, die
natürlich so gar nicht geistlich betreut werden konnten) – aber Jahrzehnte
geschah nichts! Die Verquickung von Kirche und Staat führte dazu, dass das sich
immer mehr verstärkende Elend der Arbeiter durch die Industrialisierung und die
damit einhergehende rücksichtslose Ausbeutung durch eine in weiten Teilen
ungläubige herrschende bürgerliche Klasse von der Kirche kaum angeprangert, noch
dem wirksam begegnet werden konnte. Selbst um 1900 wurden ja konservative
Pfarrer, die sozial eingestellt waren und sich für ihre Arbeiter einsetzten,
von der Kirchenleitung in Preußen gemaßregelt. Christlich-soziale Einstellung
blieb die einer Partei, die misstrauisch beäugt wurde (abgesehen davon, dass
Adolf Stöcker leider dieses Ringen mit immer stärker mit antisemitischen
Parolen verknüpfte und auch nie bereit war, sein kirchliches Amt niederzulegen,
um ganz sich christlich-sozialer Politik zu widmen; es blieb also auch da alles
eine halbe Sache). (Anm. d. Hrsg.)
[107]
vgl. ebd. S. 192-193. Auch einige der sich
lutherisch nennenden selbständigen Kirchen waren davon betroffen (vor allem
Breslau, aber auch später die Hermannsburg-Hamburger Freikirche und die
Hessische Renitenz) (Anm. d. Hrsg.)
[108]
vgl. ebd. S. 194-196
[109]
vgl. ebd. S. 201-202
[110]
vgl. ebd. S. 198-200. Leider kam es nicht zu
einer Einigung zwischen der Evang.-Luth. Freikirche und Hörger, der sich
vielmehr im Gnadenwahlstreit der Gegenrichtung anschloss, die sich zur
„Süddeutschen Evang.-Luth. Freikirche“ zusammenschloss, die erst nach dem
ersten Weltkrieg, als eine neue Generation von Pastoren und Gliedern
herangewachsen war, zu einer Einigung und 1921 zum Anschluss an die Freikirche
kam. Die Memminger Gemeinde selbst aber schloss sich der Freikirche erst 1932
an. Hörger selbst war zunächst in den Dienst der bayerischen Landeskirche
getreten und hatte als Vikar, mit Zustimmung und Anweisung seines Pfarrers, in
Vestenberg zwei Gastwirte ermahnt und einem die Abweisung vom Abendmahl
angedroht, wenn er nicht davon abstehe, Gäste zur Trunkenheit und andere Sünden
zu verführen. Das hatte, wie in der modernen Zeit üblich, zu heftigen Reaktionen
in der Presse geführt und dazu, dass das Konsistorium von ihm die Rücknahme
seiner Kirchenzuchtsmaßnahmen forderte, da so etwas nur dem Kirchenregiment
zukomme (das aber nicht gewillt war, sie durchzuführen). Weil Hörger dies als
gegen Schrift und Bekenntnis stehenden Eingriff in seine ihm mit der Ordination
verliehene Vollmacht der Gnadenmittelverwaltung betrachtete und nicht bereit
war, sich zu unterwerfen, wurde er seines Amtes enthoben und kehrte in seine
Heimat Memmingen zurück und bildete mit den Resten des Memminger Kreises die
unabhängige Gemeinde. (vgl.: Gottfried Herrmann: Lutherische Freikirche in
Sachsen. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. 1985. S. 286-292) (Anm. d. Hrsg.)
[111]
vgl. Brunn, a.a.O., S. 201 f.
[112]
vgl. ebd. S. 204. 207. Es war übrigens schon sehr
frühzeitig in der Leipziger Mission wegen der gemischten Abendmahlsgemeinschaft
zu Problemen gekommen. Bereits 1857 hatten Seminaristen der Breslauer dagegen
protestiert und waren ausgeschieden, woraufhin das Oberkirchencollegium der
preußischen Lutheraner klare lutherische Grundprinzipien einforderte. Die
Mission ging aber nicht darauf ein und wollte nur in Einzelfällen
Gewissensbedenken berücksichtigen. Breslau, wie immer, ließ sich damit
beruhigen und gab klein bei (wie auch später bei dem immer stärkeren Einfluss
unierter Vereine; ähnlich dann auch in der Allgemeinen Ev.-Luth. Konferenz).
Vgl. dazu: Paul Fleisch: Hundert Jahre lutherischer Mission. Leipzig: Verl. der
Evangelisch-lutherischen Mission. 1936. S. 47-49. (Anm. d. Hrsg.)
[113]
vgl. Brunn, a.a.O., S. 206
[114]
vgl. ebd. S. 207-208
[115]
ebd. S. 209
[116]
vgl. ebd. S. 212
[117]
vgl. ebd. S. 221
[118] vgl. ed. S. 224-226
[119] vgl. ebd. S. 232-234
[120] vgl. ebd. S. 235
[121] vgl. ebd. S. 246
f.
[122]
vgl. ebd. S. 246.251
[123]
Entnommen aus: Friedrich Brunn: Gottes Wort und
Luthers Lehr‘. Erklärung des Kleinen Katechismus Dr. M. Luthers für reifere
Christen. 2., verm. und verb. Ausg. Selbstverl. 1892. S. 21-32
[124]
Ganz in demselben Sinne sagen den auch unsere
neueren Theologen, die heilige Schrift sei nicht das Wort Gottes selbst,
sondern nur die „Urkunde“ von demselben, d.h. der nur von Menschen verfasste
geschichtliche Bericht oder bloß menschliche Erzählung von den
Worten und Taten der göttlichen Offenbarung.
[125]
Eine größere Anzahl von Aussprüchen Luthers über
Inspiration, sowie Angabe, wo die hier angeführten bei Luther zu finden sind,
siehe „Lehre und Wehre“, Vorwort 1886. Vgl. auch Rohnert, die Lehre von der Inspiration.