Die Grundvoraussetzungen der historisch-grammatischen Methode
(in Anlehnung an: Raymond F. Surburg:
The Presuppositions of the Historical-Grammatical Method as Employed by
Historic Lutheranism; in: The Springfielder. Vol. XXXVIII, No. 4. March 1975, S. 278 ff.)
Roland Sckerl
Die Auslegung der Heiligen Schrift hat
nicht erst mit der lutherischen Reformation begonnen. Auch zuvor wurde die
Bibel in der Kirche ausgelegt, allerdings war schon sehr bald in der frühen
Kirche der sogenannte „vierfache Schriftsinn“ und vor allem die allegorische
Methode eingerissen, nicht zuletzt durch Origenes und die alexandrinische
Schule, wenn auch in Kontroverse mit der antiochenischen Schule, die mehr am
tatsächlichen Schriftsinn festhalten wollte (später haben auch die victorinische Schule in Paris und Nikolaus von Lyra gegen
die allegorische Auslegung gestanden). Daher haben die Theologen, die dann die
historisch-grammatische Methode entwickelt haben, was erst in der Reformation
geschah durch Männer wie Luther, Calvin, Zwingli, John Knox und andere
Reformatoren, einige Voraussetzungen für die Schriftauslegung von den alten
Theologen übernehmen können. Viele aber haben sie neu erarbeiten müssen, auch
um dadurch aufzuzeigen, warum es wichtig, richtig und notwendig war, den
vorigen, irrigen Weg der Schriftauslegung zu verlassen.
Diese historisch-grammatische Methode war
dann die Weise der Schriftauslegung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, und wieder
in der erneuerten lutherischen Kirche seit dem 19. Jahrhundert.
1. Grundlegende
Voraussetzung der Schriftauslegung, wie sie auch die alte lateinische Kirche
des Westens und die griechische des Ostens festgehalten hatte, ist, dass die
gesamte Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments, vom ersten bis zum letzten
Buchstaben, das geistgehauchte und daher auch absolut irrtumslose, absolut
richtige, absolut wahre, widerspruchslose Wort Gottes ist.
Die Bibel enthält also nicht nur
Gottes Wort, etwa in einem Ineinander von Gottes- und Menschenwort, sie ist
auch nicht das Produkt menschlicher Überlegungen, menschlicher Theologie (etwa
der „Gemeindetheologie“), menschlicher Zusammenstellung, sondern sie ist völlig
und ganz und gar des Heiligen Geistes Buch, ganz und gar von ersten bis zum
letzten Wort in den Urschriften den heiligen Schreibern vom Heiligen Geist
eingehaucht (2. Tim. 3,16; 2. Petr. 1,21). Es wäre auch zu wenig zu sagen, so,
wie die Bibel jetzt vorliegt, ist sie von Gott gewollt (konservative Richtung
der „kanonischen Auslegung“), während man über die Entstehung nichts aussagt
oder menschliche Zusammenstellung (Pentateuchkritik,
Quellenhypothese usw.) durchaus akzeptieren kann. Auch das widerspricht
eindeutig der Lehre der Bibel von ihr selbst.
Weil die Heilige Schrift Gottes Wort ist,
darum hat sie auch Gottes Eigenschaften: Gott lügt nicht (Tit. 1,2), er ist
daher auch alles Falschen abhold. Darum kann die Bibel auch gar keine Irrtümer
enthalten, auch keine Anpassungen an den Zeitgeist, an Zeitgeistdenken, an
menschliche religiöse Auffassungen, Ideologien, Philosophien, Mythologien. Sie
kann nicht gebrochen werden (Joh. 10,35). Gott ändert sich nicht (Mal. 3,6),
darum ändert sich auch sein Wort nicht, auch nicht in seiner Bedeutung, sondern
bleibt ewig (Ps. 119,89-91), ist unwandelbar, nicht anzupassen an den
Zeitgeist, an staatliche oder sonstige Ideologien, Philosophien, Wissenschaft
der Menschen. Gott ist allmächtig (1. Mose 17,1; Matth.
28,18), darum ist auch sein Wort wirkkräftig, denn Gott wirkt durch sein Wort,
was er will (Ps. 33,6.9; Röm. 1,16; 10,14-17; Jes. 55,10.11).
Darum kann und darf die Heilige Schrift
auch nicht menschlicher Kritik, menschlichem Richten, menschlicher Vernunft,
Wissenschaft, Philosophie, Ideologie usw. unterworfen werden, sondern vielmehr
ist alle Vernunft gefangen zu nehmen unter den Gehorsam Christi (2. Kor. 10,5).
Ebenso darf deshalb auch der Wortlaut der
Schrift bei Übersetzungen nicht geändert werden, weil der Sprachgebrauch sich
etwa unter kulturell-ideologischen Maßstäben geändert habe, sondern des
Heiligen Geistes Wort ist unverändert wiederzugeben (gegen den Versuch z.B.,
„Brüder“ mit „Brüder und Schwestern“ zu übersetzen, was unter dem Einfluss der
feministischen Ideologie und des Gender Mainstreaming geschieht, die auch
versuchen, entsprechend die Sprache zu verändern).
2. Der Kanon der Heiligen Schrift ist
nicht von Menschen festgelegt, sondern die Kirche Jesu Christi hat nur
festgestellt, welche Schriften Gott der Heilige Geist durch seine Propheten und
Apostel (und deren direkte Schüler) mittels Inspiration gegeben hat. Daher kann
sie die apokryphen Schriften des Alten Testaments nicht als Teil der Heiligen
Schrift Gottes anerkennen, wie sie auch die jüdische Synagoge nie als Teil des Tenach angenommen hat, sie auch nicht im Neuen Testament
wiedergegeben werden, vielmehr Christi Aussage in Matth.
23,35 den genauen Umfang der hebräischen Bibel wiedergibt.
Der Kanon der Heiligen Schrift ist auch
nicht weiter offen, sondern abgeschlossen, denn die Kirche Jesu Christi ist
gegründet auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der
Eckstein ist (Eph. 2,19); denn Gott hat vorzeiten geredet zu den Vätern durch
die Propheten, am letzten aber in diesen Tagen zu uns durch den Sohn (Hebr.
1,1-2). Die Kirche Jesu Christi hat daher stets darauf geachtet, wenn die Frage
des Umfangs des Kanons an sie herantrat, dass sie nur diejenigen Schriften als
kanonisch feststellte, die von den Propheten und Aposteln Gottes (bzw. direkten
Apostelschülern (Markus, Lukas) geschrieben wurden. Aus diesem Grund ist die Schreiberschaft der Schriften Alten und Neuen Testaments
keine nebensächliche, sondern eine eminent wichtige Frage und sind alle
Hypothesen über unterschiedliche „Quellen“, „Logien“, „Traditionen“,
„Redaktoren“ von vornherein ausgeschlossen.
Die Unterscheidung bei den Schriften des
Neuen Testaments zwischen Homologumena und Antilegomena zeigt nur an, welche Schriften in der Alten
Kirche von allen stets anerkannt werden und bei welchen Schriften das Zeugnis
nicht immer einheitlich war, z.T. wohl auch, weil einfach nicht alle Schriften
bekannt waren, bzw. nicht überall gelesen wurden. Das heißt, es
liegt hier nur ein Unterschied vor in der Anzahl der Zeugen; der Umfang des
neutestamentlichen Kanons ist aber nicht in Frage gestellt.
3. Entscheidend für die Lehre der Kirche
und die Auslegung der Schrift ist allein der Text in seiner ursprünglichen
Fassung in den Originalsprachen (Urschriftinspiration).
Alle Übersetzungen haben also nur eine
mittelbare Autorität; in Streitfragen entscheidet allein der Grundtext, nicht
etwa die Vulgata oder sonst eine Übersetzung.
Da die Originalmanuskripte sowohl für das
Alte als auch für das Neue Testament nicht mehr vorliegen, ist die textkritische
Arbeit, also die Arbeit, den ursprünglichen Text anhand der vorhandenen
Handschriften, Lektionare, Übersetzungen, Zitate usw.
wieder herstellen von besonderer Bedeutung.
Daher ist es auch für den Exegeten
unerlässlich, dass er mit den Originalsprachen (Hebräisch, Aramäisch, Koine)
bekannt ist. Die philologische Methode ist ein charakteristischer Bestandteil
der historisch-grammatischen Auslegung.
4. Die Heilige Schrift Gottes ist die
einzige Autorität in der Kirche, die alleinige Regel und Richtschnur, der
alleinige Probierstein, nach dem alle Lehre und Lehrer in der Kirche zu
beurteilen sind. Diese Autorität kann und darf von keiner anderen Autorität in
Frage gestellt oder gar unterdrückt werden.
Autorität in der Kirche Jesu Christi für
Lehre und Leben ist allein die Heilige Schrift Gottes als Gottes irrtumsloses
Wort, nicht auch noch die „Tradition“ oder die Lehraussagen von Päpsten,
Bischöfen, Konzilen, Synoden, auch nicht die Vernunft, die Wissenschaft, der
Zeitgeist, irgendeine Ideologie, Philosophie, auch nicht die Politik, die
Lebensumstände oder was sonst gegen die Aussage der Schrift in Stellung
gebracht wird.
Die Kirche Jesu Christi steht nicht über
der Schrift, gibt auch nicht der Schrift erst ihre Autorität, sondern sie steht
unter der Schrift, wird durch die Schrift kritisiert und korrigiert.
Auch die Bekenntnisschriften sind keine
Autorität neben der Schrift, sondern haben Autorität in der Kirche nur, weil
sie (quia) die Lehre der Schrift wiedergeben, sind
also nur durch die Heilige Schrift als normierender Norm autorisierte,
normierte, Norm.
Insbesondere kann und darf die Aussage der
Heiligen Schrift nicht eingeschränkt oder umgebogen werden durch
weltanschauliche Voraussetzungen, die der Bibel bzw. der Auslegung der Bibel
übergestülpt werden, z.B. dass die Welt nach außen hin abgeschlossen sei und
Gott nicht in sie hinein wirke; dass es keine Prophetie, keine Wunder gäbe;
dass nur das, was immer wiederholbar sei, was eine Entsprechung in der
natürlichen Welt habe als wirklich anerkannt werden könnte; oder dass die
Schreiber der biblischen Bücher Anleihen bei den heidnischen Religionen
übernommen hätten; oder dass die Aussagen der Schrift Bilder aus dem religiösen
Denken der Menschen seien („Mythen“, „Mythologien“), die in die jeweilige Zeit
zu übersetzen wären; oder dass überhaupt der Sinn der Aussage jeweils abhängige
vom Leser und seiner Situation, seinem Umfeld, seiner Zeit.
5. Der tatsächliche Sinn der Schrift ist
der buchstäbliche oder Literalsinn als der ursprüngliche, eigentliche Sinn der
biblischen Aussagen.
Auch für diejenigen Aussagen, die bildhaft,
gleichnishaft sind, gibt es nicht verschiedene „Sinne“, sondern nur einen, eben
in diesem Bild, Gleichnis intendierten Sinn.
Die Weise der frühen Kirche und der
Scholastik, neben oder hinter dem Literalsinn noch einen allegorischen,
anagogischen und tropologischen zu finden, ist schriftwidrig. Vielmehr muss
jedes Wort in seiner natürlichen Bedeutung stehen, außer die Schrift selbst
durch den engeren oder weiteren Kontext oder die klaren Schriftstellen
(Analogie des Glaubens) zwingt dazu.
Die Klarheit der Heiligen Schrift bedeutet
auch, dass alle Lehrartikel an zumindest einer Stelle hell, klar dargelegt
sind, so dass die biblische Lehre ohne weitere Auslegung durch Gebildete wie
Ungebildete gleichermaßen erkannt und erfasst werden kann. Diese an den hellen,
klaren Stellen der Bibel vorliegende göttliche Lehre wird auch als die „Analogie
des Glaubens“ oder die „Glaubensregel“ bezeichnet, weil nach ihr die
dunklen Stellen der Schrift zu den jeweiligen Artikeln auszulegen sind, da die
Schrift eine Einheit ist und sich nicht widersprechen kann. Die Behauptung,
auch der Sinn der hellen, klaren Stellen der Schrift müsste erst durch
Auslegung im Vergleich mit anderen Stellen gewonnen werden, führt tatsächlich
dazu, dass die Schrift dunkel, unklar und ungewiss wird.
Da, wo die hellen, klaren Stellen der
Schrift einander zu widersprechen scheinen, ist der jeweilige klare Sinn
festzuhalten und nicht zu versuchen zu harmonisieren, sondern beide Aussagen
festzuhalten und ihre Beziehung zueinander anhand der Schrift festzustellen.
Paradoxa und Spannungen in den Aussagen der Schrift sind auszuhalten; und
manche Dunkelheiten und scheinbaren Widersprüche können auch herrühren, dass
wir Sprache, Grammatik nicht gut genug kennen.
6. Die biblischen Bücher sind auch als
literarische Dokumente vom Exegeten zu betrachten und entsprechend in seiner
Auslegung zu berücksichtigen.
Nachdem durch die textkritische Arbeit der
Exeget den Originaltext soweit wie möglich wieder hergestellt hat, studiert er
den Text unter den Aspekten von Schreiberschaft, Zeit
des Schreibens, Ort des Schreibens, Zweck und Ziel des Schreibens, Empfängerschaft, historischer Hintergrund (Isagogik).
Teilweise lassen sich diese Angaben aus der Bibel selbst erheben und haben dann
für die Auslegung ihre Bedeutung. Teilweise können sie aber nur von außen
erhoben werden. Alle Angaben aber, die durch von außen hinzu
kommen, dürfen für die Auslegung des Textes keine relevante Bedeutung
bekommen, da allein Schrift Schrift auslegt.
Die isagogischen
Fragen, vor allem im Blick auf die Schreiberschaft
der Bücher (z.B. Pentateuch, Jesaja) haben für die Auslegung der Bibel durchaus
große Bedeutung, da es z.B. einen Unterschied macht, ob Mose als vom Heiligen
Geist inspirierter Schreiber der fünf Bücher anerkannt wird oder nicht, ob
Jesaja als Schreiber des entsprechenden Prophetenbuches anerkannt wird oder
nicht.
Historische Auslegung heißt aber nicht,
dass man meint, die Aussagen der Schrift seien zeitgebunden (es sei denn, die
Schrift selbst gibt dies an) oder gäben nur eine Auffassung einer bestimmten
Zeit wieder oder hätten Relevanz nur für eine bestimmte Zeit. Wir müssen anhand
der klaren Aussagen der Schrift unterscheiden, wo sie berichtet über das Leben
z.B. in der frühen Kirche, und wo sie mit solchen Berichten auch gleichzeitig
für alle Zeiten gültige Lehre weitergibt und dürfen letztere nicht mit Hinweis
auf die Geschichte abschwächen oder versuchen, dahinter noch eine andere
Wahrheit zu finden (z.B. Wauwatosa-Theologie mit
„Wesen“ und „Form“ im Blick auf Gottes evangelische
Ordnungen zu Kirche und Amt).
7. Weil Gott der Heilige Geist der
eigentliche Autor, Verfasser der Heiligen Schrift ist, darum stellt die Heilige
Schrift, wiewohl sie über 1.600 Jahre von verschiedenen Schreibern
verschiedenster Herkunft, verschiedenster Bildung, verschiedensten Stils unter
unterschiedlichsten Umständen niedergeschrieben wurde, dennoch eine Einheit
dar. Altes und Neues Testament stellen die vollständige Offenbarung Gottes dar
und sind nicht zu trennen, weder das Alte Testament auszulegen, als gäbe es
kein Neues, noch das Neue so, als gäbe es kein Altes Testament. Vielmehr gilt:
Das Neue Testament ist im Alten verborgen, das Alte Testament ist im Neuen
offenbart, entfaltet.
Oftmals wird die Aussage einer
Schriftstelle des Alten Testaments erst durch seine Erfüllung im Neuen
Testament deutlich, z.B. Ps. 110.
8. Weil die Heilige Schrift nur einen
Autor hat, den Heiligen Geist, weil sie daher auch eine Einheit darstellt, sie
daher auch absolut irrtumslos, absolut widerspruchslos ist, weil sie klar ist,
darum kann die Schrift auch dazu verwendet werden, die Schrift auszulegen,
besonders die helleren Stellen, um die dunkleren zu erklären.
So wird der Sinn einer Aussage des Alten
Testament oft erhellt durch die gottgegebene Auslegung im Neuen Testament.
Daher ist es auch wichtig, Parallelstellen,
Paralleltexte herauszufinden und miteinander zum tieferen Verständnis zu
vergleichen.
Jede Stelle ist auch in ihrem Zusammenhang
zu verstehen (engerer und weiterer Kontext). Die Aussagen eines Lehrartikels
sind aber nicht durch die Aussagen eines anderen Lehrartikels abzuschwächen
oder umzubiegen, sondern jede klar in der Schrift vorliegende Aussage ist als
solche auch stehen zu lassen, auch wenn verschiedene Aussagen miteinander in
Spannung stehen mögen, die zwar erklärt, aber nicht unbedingt aufgelöst werden
kann. Es gibt insbesondere kein „Schriftganzes“, das die klare Aussage einer Stelle
beeinflussen, verändern, umbiegen dürfte.
Der Grundsatz, die Schriften eines Autors
durch andere Schriften desselben Autors auszulegen, ist auch ein Grundsatz in
der allgemeinen Literaturwissenschaft.
9. Zentraler oder Hauptartikel der
Heiligen Schrift ist die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden, allein
um Christi willen, allein durch den Glauben (Luk. 24,26-27; 1. Kor. 2,2). Keine
Auslegung der Bibel darf daher diesem Artikel widersprechen, ihn angreifen,
einschränken. (Hauptartikelgrundsatz)
„Dieweil aber solcher Zank ist über dem
höchsten, vornehmsten Artikel der ganzen christlichen Lehre, so dass an diesem
Artikel ganz viel gelegen ist, welcher auch zu klarem richtigen Verstand der
ganzen Heiligen Schrift vornehmlich dient und zu dem unaussprechlichen Schatz
und der rechten Erkenntnis Christi allein den Weg weist, auch in die ganze
Bibel allein die Tür auftut, ohne welchen Artikel auch kein armes Gewissen
einen rechten beständigen gewissen Trost haben oder die Reichtümer der Gnaden Christi
erkennen mag …“ (Apol. IV (II), 2.) (s.a. Schmalk. Art. Teil 2, 1. Artikel)
10. Eng verbunden mit dem Hauptartikel
der Heiligen Schrift ist die Christozentrizität der
gesamten Bibel, Alten und Neuen Testaments (Luk. 24,26-27; Joh. 5,39).
Christus durchdringt auch das Alte
Testament und ist daher auch im Alten Testament zu suchen und zu finden. Alle
Verheißungen des Alten Testaments finden in Christus und seiner Gemeinde ihre
Erfüllung. Der malah Jahweh, der Engel des HERRN im
Alten Bund, war Christus. Die Gläubigen des Alten Bundes wurden gerettet durch
den Glauben an den damals schon verheißenen, aber da noch zu kommenden Messias
(s. 1. Mose 3,15; 12,1-3; 22,18 f.). Die Kirche des Alten Bundes ist daher auch
Kirche Jesu Christi, wenn auch vieles noch unter Bildern verborgen war.
Gerade hier gilt es auch, das Alte
Testament im Licht des Neuen Testaments zu lesen. Daher wird eine „israelistische“ Auslegung des Alten Testaments, besonders
der Propheten, wie sie vor allem von chiliastischen Kreisen gepflegt wird, dem
Alten Testament nicht gerecht, sondern verdunkelt seine Aussage und biegt sie
um.
11. Gott spricht zu uns in seinem Wort
durch Gesetz und durch Evangelium, ein Wort der Verdammnis und ein Wort der
Vergebung.
Es ist eine Grundvoraussetzung, dass diese
beiden Lehren nicht vermengt, sondern ihre Botschaften strikt auseinander gehalten werden. Ohne die saubere Unterscheidung
von Gesetz und Evangelium kann die zentrale Botschaft der Bibel von der
Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden, allein um Christi Gehorsam,
Leiden und Sterben willen, allein durch den Glauben, nicht aufrecht
erhalten und vergewissert werden.
„Nachdem [weil] der Unterschied zwischen
Gesetz und Evangelium ein besonders herrliches Licht ist, welches dazu dient,
dass Gottes Wort recht geteilt und der heiligen Propheten und Apostel Schrift
eigentlich erklärt und verstanden werden: ist mit besonderem Fleiß über
demselben zu halten, damit diese zwei Lehren nicht miteinander vermischt oder
aus dem Evangelium ein Gesetz gemacht, dadurch der Verdienst Christi verdunkelt
und die betrübten Gewissen ihres Trostes beraubt, den sie sonst in dem heiligen
Evangelium haben, wenn dasselbe lauter und rein gepredigt, und sich in ihren
höchsten Anfechtungen wider den Schrecken des Gesetzes aufhalten können. …
Diese zwei Predigten sind von Anfang der Welt her in der Kirche Gottes
nebeneinander je und allewege in gebührendem Unterschied getrieben worden.“ (Konk.Formel, Ausf. Darl., V, 1. 23.)
Wiewohl also die Unterscheidung von Gesetz
und Evangelium eine wichtige Grundvoraussetzung zum rechten Verständnis der
Bibel ist, darf dieser Artikel, so wenig wie der Hauptartikel von der
Rechtfertigung, den anderen Artikeln der Bibel übergestülpt werden, etwa in dem
Sinne, dass es in der Bibel nur auf eine „heilsmäßige“, eine auf die Rettung
des Sünders ausgerichtete, Botschaft ankäme, alles andere aber zweitrangig oder
nebensächlich sei, darin etwa auch falsche Lehre zugelassen werden könnte
(Law-Gospel Reductionism). Jede Lehre der Schrift ist
vielmehr aus den klaren Stellen (sedes doctrinae) unverkürzt zu entnehmen.
12. Der Heilige Geist ist der wahre
Ausleger der Heiligen Schrift. Weil der Heilige Geist der eigentliche Autor und
Verfasser der Bibel ist und die heiligen Schreiber durch seine Inspiration,
unter seiner Leitung geschrieben haben, benötigt jeder rechte Ausleger die
Erleuchtung durch den Heiligen Geist. Daher kann nur der wiedergeborene
Ausleger die Schrift in ihrer Fülle und Tiefe recht, eben unter Leitung und
Erleuchtung des Heiligen Geistes, auslegen (theologia
regeneritorum).
„Meinen sie, dass der Heilige Geist sein
Wort nicht gewiss und bedächtig setze oder nicht wisse, was er rede?“ (Apol. IV (II), 107-108.)
„Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts
vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit und kann es nicht erkennen; denn es
muss geistlich gerichtet sein.“ (1. Kor. 2,14.) Der natürlich
Mensch ist Gottes Feind, denn „fleischlich gesinnt sein ist eine
Feindschaft gegen Gott“ (Röm. 8,7) – und keinerlei Erziehung und Bildung kann
diese Grundsituation des unwiedergeborenen Menschen
ändern. Ohne die Wiedergeburt wird die Bibel auch dem gelehrtesten Theologen
letztlich ein verschlossenes Buch bleiben. „Merke, was ich dir sage! Der HERR
aber wird dir in allen Dingen Verstand geben.“ (2. Tim. 2,6 b.7.)
So, wie der Heilige Geist einen Menschen
bekehren muss, so muss er ihm auch das Herz öffnen, dass er das Wort Gottes
annimmt, ihm glaubt und es versteht.
„Die Vernunft und freier Wille vermag etlichermaßen äußerlich ehrbar zu leben; aber neu geboren
werden, inwendig ein anderes Herz, Sinn und Mut bekommen, das wirkt allein der
Heilige Geist. Der öffnet den Verstand und das Herz, die Schrift zu verstehen
und auf das Wort Acht zu geben, wie Luk. 24,27 geschrieben: ‚Er öffnete ihnen
das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden.‘ Ebenso Apg. 16,14: ‚Lydia
hörte zu, welcher tat der HERR das Herz auf, dass sie darauf Acht hatte, was
von Paulus geredet wurde.‘“ (Konk.Formel, Ausf. Darl., II, 26.)
Die Leitung durch den Heiligen Geist heißt
nicht, dass der Ausleger vom Literalsinn der Bibel abgehen dürfe, oder dass der
Heilige Geist ihm etwas anderes eingeben würde als das, was in den Worten der
Schrift enthalten ist, oder dass der Ausleger nicht den Grundregeln der
historisch-grammatischen Auslegung zu folgen bräuchte, sondern die Leitung
durch den Heiligen Geist hilft dem Ausleger, dass er den von Gott intendierten
Sinn des Textes erfasst. Alles, was über diesen Sinn hinausgeht oder etwas, was
nicht in der Schrift zu finden ist, als des Heiligen Geistes Werk bezeichnet,
ist Schwärmerei, Enthusiasmus.
Der Heilige Geist, der eigentliche Autor
der Bücher des Alten und Neuen Testaments, arbeitet durch Gesetz und Evangelium
an allen, die das geschriebene Wort Gottes hören und lesen.
13. „Alle Schrift, von Gott eingegeben,
ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der
Gerechtigkeit, dass ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk
geschickt.“ (2. Tim. 3,16-17.)
Hier erkennen wir das Ziel Gottes mit
seinem Wort, das, was Robert Preus den „eschatologischen Grundsatz“ nannte(„How is
The Lutheran Church to
Interpret und Use the Old and New Testaments?“ in:
The Lutheran Synod Quarterly. 14. Fall 1973. S. 35;
in: Surburg, a.a.O. S. 287.) Denn: „Was aber zuvor
geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf dass wir durch Geduld
und Trost der Schrift Hoffnung haben.“ (Röm. 15,4.) Was daher diesen Trost und
Hoffnung schwächt, das ist gewiss gegen des Heiligen Geistes Willen und Meinung
verstanden und ausgelegt (Konk.Formel, Ausf. Darl., XI, 92).