PASTOR
REMMER JANSSEN
Ein Brief Christi
Von
Günther Maske
und
Johannes Mindermann
Auf der Grundlage der Ausgabe von 1973
neu herausgegeben
von
Roland Sckerl
Durmersheim
2007
Inhaltsverzeichnis
Sein
Ringen nach einem heiligen Leben
Liebe zu Christus im Sakrament des
Altars
Der Mann
mit dem weiten Blick und dem großen Herzen
Ein Bericht
über das Strackholter Missionshaus
„Darum auch wir, dieweil
wir eine solche Wolke von
Zeugen um, uns haben,
lasset uns ablegen die Sünde und
aufsehen auf Jesum.“
(Hebr. 12, 1 u. 2)
Zeugen unseres Herrn Jesus Christus hat es zu allen Zeiten gegeben. Durch ihr Leben und Wirken gaben und geben sie Zeichen für viele, und der Herr gibt Gnade, daß sie vielen anderen Wegweiser werden auf dem schmalen Wege zur seligen Ewigkeit.
Ein solcher Zeuge war Pastor Remmer Janßen von Strackholt. Als
achtzehnjähriger Schüler erlebte er unter dem gesegneten Direktor Reuter als
Schüler des Gymnasiums in Aurich seine Bekehrung und Wiedergeburt. Die
Furchtbarkeit der Erbsünde trieb ihn
zum Lobpreis der Versöhnung durch Jesus.
Er erzählte: „Gott hat mich aus einem Satanskind zu einem
Gotteskind gemacht.“ Seine Lebenslosung war: „Ich nichts, Jesus alles.“ Im
Jahre 1877 wurde er zum Pastor der Gemeinde Strackholt gewählt. Diese Gemeinde
erfuhr unter der vollmächtigen Verkündigung ihres jungen Hirten eine
durchgreifende Wandlung. Der neue Pastor stand auf der Kanzel wie ein Löwe und
war doch im Umgang mit den Menschen von großer Güte und Zartheit. „Er war wie
ein Engel“, sagte ein Schiffer von seinem Seelsorger. Wie es nicht anders sein
konnte, war Remmer Jarißen ein inniger Beter. Er hat durch schwere Anfechtungen
gehen müssen. Diese inneren und äußeren Nöte machten ihn demütig und gaben ihm
Verständnis für seine Brüder, die er innig liebte. Er durfte die Siegeskraft Jesu
Christi erfahren. Auf seinem Sterbebett wußte er: „Ich gehe zu den Lebendigen.“
Am 18. Mai 1931 wurde er heimgerufen.
Dürfen die segensreichen Jahre der Erweckung in Strackholt der
Vergessenheit anheimfallen?
Es hat sich einem Manne wie ein Befehl Gottes auf das Herz gelegt: Erforsche, was in Erfahrung gebracht werden kann, ehe die Menschen, die Pastor Janßen noch persönlich kannten, ihre Augen schließen. So ist er fünfundzwanzig Jahre lang den Spuren dieses Erweckungspredigers nachgegangen und hat sich von vielen berichten lassen. Mit herzlichem Dank seien hier besonders genannt: Kirchenvorsteher Cassen Ackermann in Strackholt, Lehrer G. Baumfalk in Fiebing, Landessuperintendent Theodor Elster, Pastor Georg Elster, Landschaftspräsident Georg von Eucken, Frau Martha Köppen‑Bode, Heinrich Lambertus, Pastor Johann Lambertus (USA), Superintendent Linnemann, Pastor Möhlmann, Pastor A. Ottersberg, Waverly (USA), Superintendent Orten, Altschiffszimmermann Johann Piepersgerdes, Pastor Reuter, Pastor Riedielmann, Generalsuperintendent W. Schomerus, Missionsdircktor C. Schomerus sowie Justizrat Steinbömer.
Um der Wahrhaftigkeit willen glaubte der Sammler, nicht auf
die Festhaltung auch der Schattenseiten in diesem Lebensbilde verzichten zu
dürfen.
Der Leser wolle erwägen, ob nicht das Heilige in diesem
Freunde Gottes in Wirklichkeit vielleicht herrlicher gewesen sein mag, als
Feder und Papier es wiederzugeben vermögen. Die Erinnerungen sprechen über
Remmer Janßen. Hier spricht nicht Remmer Janßen selbst.
„Es mag nicht menschenmöglich sein, die apostolische und
prophetische Persönlichkeit Remmer Janßens in ihrer Einmaligkeit genau zu
treffen. Es ist die Unzulänglichkeit des Menschen gegenüber der Frage: Was
sollte er, was wollte er! Die Ewigkeit wird es lehren“ (Th. Elster).
Viel ist für immer in das Meer der Vergessenheit
hinabgesunken.
Worin das Geheimnis dieses Lebens gelegen hat, hat den Sammler
zweieinhalb Jahrzehnt bedrängt. Er legt nun vor, was ihm unter dem Beistand des
Höchsten deutlich geworden ist. Voll Furcht und Scheu, mit viel Gebet zu dem
Heiligen Geist, unter gutem brüderlichem Beistand ist er an die Aufgabe
gegangen, die Augenzeugenberichte zu sammeln und zu sichten.
Der Herausgeber der 1. Auflage des Lebensbildes, Günther
Maske, hat von Canada aus den Weg des Buches treu begleitet und schrieb:
„Leider ist es mir bei dem Lebenstempo Canadas nicht möglich, diese Biographie
weiter zu bearbeiten. Dies würde mir auch heute noch viel Freude und
Befriedigung bereiten, wenn ich die zeitliche Möglichkeit dazu sähe. Ich freue
mich, daß das Buch so eifrig verbreitet wird. Gott gebe weiterhin seinen
Segen.“
Superintendent Otten, der früher in Janßens
Missionshause Inspektor und später Pastor und Ephorus im 9. ostfriesischen
Kirchenkreise, zu dem Strackholt gehört, war, schreibt: „Ich glaube sagen zu
können, daß das Lebensbild in bezug auf Wahrhaftigkeit jeder Kritik standhält.
Es spricht daraus nicht Menschenehrung, sondern die Herrlichkeit Gottes über
einem Menschen.“ (17. 5. 1953)
Jan Berghaus, ostfriesischer Regierungs-
und Landschaftspräsident, schrieb: „Das in dieser Schrift dargestellte
Lebensbild ist so gezeichnet, wie ich es im wesentlichen in Erinnerung habe.
Pastor Rernmer Janßen war als Mensch, Prediger und Seelsorger einzig in seiner
Art. Es ihm gleichzutun, schien völlig unmöglich. Ich habe ihn in Weene 1889 über den Gnadenstrom predigen
hören. Es dauerte zwei Stunden, und er war zuletzt wie in Schweiß gebadet. Aber
selbst wenn er noch eine Stunde gepredigt hätte, meine Aufmerksamkeit wäre
nicht erlahmt.“ Wenige Wochen vor seinem Heimgang sagte Jan Berghaus: Remmer
Janßen hat vor einem halben Jahrhundert unserem Ostfriesland sein Gepräge
gegeben."
Möchte die Arbeit eine rufende Stimme in der Wüste der
Gegenwart sein, mitten in der Wüste der ungelösten Schuld, der Unruhe, der
gesteigerten Technik, die uns so todeinsam macht und die doch nach Gottes guten
Gedanken über uns die Bestimmung in sich trägt, eine glückliche Wüste zu
werden, die uns hungrig macht nach Jesus.
Dies Buch möchte, darum betet der Herausgeber, helfen, daß in
uns die Stimme Gottes, des guten Vaters, hörbar werde, der uns freundlich
zuruft: Ich will euch locken und in eine Wüste (die Stille vor ihm) führen und
freundlich mit euch reden, damit ihr wieder singet wie zur Zeit eurer Jugend,
und ich will mich mit euch verloben in Ewigkeit, ich will mich euch vertrauen
in Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ihr werdet mich erkennen. Ich, der
Herr, will euch erhören!« (Hosea, Kap. 2, Vers 16‑19)
So möchte das Buchwerk ein kleines Lichtlein sein auf dem Wege
der Nachfolge des armen Lebens Jesu, der doch so reidi macht und der
zusammenführt zum gemeinsamen Leben in IHM.
Ich will von meinem Jesu singen,
von seiner Gnade, Lieb und Treu,
von seinem bittern Todesleiden,
von seiner Blutskraft, die macht frei!
Am Ende grüßt der
Herausgeber alle lieben Leser mit den Worten des Apostels Paulus: Nicht, daß
wir Herren seien über euren Glauben, sondern wirsindGehilfen eurerFreude"
(2.Kor. 1,24) und Jrüder! Betet für uns« (l. Thess. 5, 25).
Johannes
Mindermann Pastor i. R.
Spetzerfehn
Wenn du dich dermaleinst
bekehrst,
so stärke deine Brüder!
(Lukas 22, 32)
Im
nordwestlichsten Zipfel Deutschlands liegt im satten Grün der Marschen, umzogen
von einem Netz aus Gräben, Kanälen und Hecken, das Dorf Werdumer Altendeich.
Zwei knappe Wegstunden nur trennen es vom Meer, dessen herber Atem, vom Winde
landeinwärts getragen, bis in die Bauernstuben dringt und die Menschen an die
immerwährende Nähe höherer Gewalten erinnert.
In Werdumer Altendeich wurde dem Bauern Johann Rernmer Janßen und dessen Ehefrau Tina, geborene Janßen, das zweite Kind geboren (6. 11. 1850). Es war ein Sohn, sie nannten ihn Remmer und ließen ihn am 4. Dezember taufen.
Gevatter war der Vater selbst. Janßens Elternhaus war ein kirchlich-weltliches Haus. Bekehrung und Wiedergeburt waren darin fremd (Linnemann). Die Eltern schickten den jungen Remmer ins Gymnasium nach Aurich. Er war ein lebenslustiger Schüler. Mit dem Alkohol befreundete er sich soweit, daß er an einem Kommersabend ein Bierfaß erklomm und den Geistern des Rausches eine zündende Rede widmete.
Alle seine Mitschüler kannten ihn. Er war beliebt und der Sprecher seiner Klasse, und es ist bezeichnend, daß der selbst noch junge Remmer denen, die ihm näherstanden, ein treuer und zuverlässiger Freund wurde, in einem Maße, daß sie ihm weit über seine Jahre hinaus Achtung entgegenbrachten.
Und Remmer selbst? Er urteilte späterhin: „Es war eine böse Zeit.“ Auch daß er nach eigenem Zeugnis „in tiefe Laster“ geriet, soll hier, wo es darum geht, die Hand Gottes sichtbar werden zu lassen, nicht verschwiegen sein. Sein naiver Unglaube, von den Eltern übernommen, vertiefte sich stetig durch den Religionsunterricht, in dem, wie Jarißen später erzählte, das Gebet aus dem Unterricht verbannt war und in dem sich keine Gelegenheit bot, den drängenden religiösen Fragen der Schüler entgegenzukommen.
Doch als der Sekundaner Janßen achtzehn Jahre alt wurde, trat in sein Leben ein Mann von fünfundfünfzig Jahren, Rektor Reuter, ein Bruder des Göttinger Professors der Kirchengeschichte Hermann Reuter, Großvater des späteren Berliner Oberbürgermeisters.
Nun pflegt in Lebensbeschreibungen großer Männer Gottes derjenige Abschnitt am schönsten und eindrucksvollsten zu sein, der uns den tiefsten Einblick in ihre Seele vermittelt: die Geschichte ihrer Wandlung. Denn wo könnte die Allmacht Gottes sichtbarer werden als hier, wo Sein Geist sich eines sündigen Menschen bemächtigt und ihn zu Seinem Knecht erhebt? Doch da Janßen zu den keuschen Seelen zählt, die über ihre eigene Bekehrung ebenso ungern sprechen wie über ein zartes, uneingestandenes Herzensgeheimnis, bleibt in unserem Bericht notgedrungen eine Lücke, die dadurch nicht geringer wird, daß wir aus Andeutungen schließen dürfen, wie sehr sd-imerzhaft und plötzlich jene Umkehr vonstatten ging. Wissen wir nur wenig darüber, wie Janßen bekehrt wurde, so hat er doch deutlich gesagt, daß er mit 18 Jahren bekehrt wurde. Jarißen hat später gesagt:
„Gott hat mich aus einem Satanskind zu
einem Gotteskind gemacht“ (J. Piepersgerdes). Gewiß ist, daß der ebengenannte
Rektor Reuter sein junges und ungläubiges, aber empfängliches Herz wie eine
Fackel in Brand setzte und ihm zeigte woran er krankte und wo es zu suchen
gelte, um zu finden.
Hierbei bewies ihm Reuter große Geduld. Der junge Remmer, heißblütig wie er war, hat eine Zeitlang die Schule verlassen. Reuter ging ihm nach und holte ihn zurück. Er verstand es, dem ungestümen Jüngling ohne Zwang ein geistiger Vater zu werden. Janßen erzählte: „Der diensteifrige Rektor zog mich langsam zu sich hin, so daß ich nach und nach zu der Überzeugung kam, daß er es gut mit mir meinte.“ Remmer hing mit solcher Leidenschaft an seinem Munde, daß ihm jede Silbe wie ausschließlich für ihn gesprochen, jeder Gedanke nur wie für ihr gedacht erschien und jede Erkenntnis sein sofortiges, festes Besitztum wurde.
In der Prima, als Reuter die Klasse und damit Janßen verließ, war ihm das Gotteswort längst ein lebendiger Brunnen, und der achtsam gelegte Same trug bereits manche, wenn auch oft noch wilde Frucht. So zeigte sich das ungewöhnliche jeden herkömmlichen Rahmen sprengende Bild: Der Primaner Janßen steht gegen einen glaubensfernen Lehrer auf und verficht mit einem Eifer, der das Rot in seine Wangen trieb, mutig das teuer gewordene Evangelium. Von seinen Mitschülern haben viele das erregte Wortgefecht nicht vergessen.
Georg von Eucken-Addenhausen schreibt von seinem Mitschüler Janßen: „In meiner Auricher Zeit war mir Janßen Vorbild männlicher Tugend. Er war Überwinder! Er schämte sich des Evangeliums von Christo nicht, auch als ein Lehrer anders dachte. Gegen denselben trat der Primaner Jarißen mutig auf. Das haben ihm alle seine Mitschüler zutierst gedankt. Noch heute danke ich es ihm über das Grab hinaus.“
Sie vergaßen auch anderes nicht: So galt Janßen z. B. lange Zeit als der geschickteste Werfer im „Klootschießen“, einem auch heute noch beliebten Bauernsport. Und der Erinnerungen, wie selbstverständlich und erfolgreich der kräftige Remmer den Schwächeren zu Hilfe kam, sind viele. Mut offenbart sich früh und vielgestaltig.
An den Sonntagen wanderte Janßen, anstatt
nach Hause zu reiten, oft nach Westerholt hinüber, wo der Methodistenprediger
Klüsner in einer billigen Bretterscheune herzandringend predigte. Janßen
hat ihm für das damals Empfangene bei mancher späteren Gelegenheit gedankt.
Klüsner in Neuschoo war der gesegnete Typus eines Urmethodisten. Es wird von
ihm berichtet, daß Menschen, in denen sein Zeugnis arbeitete, ihn vor dem
Gericht verklagten. Der Prozeß sollte stattfinden. In der Gerichtsverhandlung
reichten seine Ankläger ihm die Hand zur Versöhnung. Lebenslängliche
Freundschaft verband ihn mit Klüsner. Es muß schon damals eine eigenartige
Kraft von dem jungen gläubigen Christen ausgegangen sein; denn sein Mitschüler
Steinbömer berichtet: „Wer irgendeinen Kummer hatte, brauchte sich nur an
Janßen zu wenden, und er fand Ruhe.“
In seinem Arbeitszimmer stand ein Schrank. An dessen Seitenwand malte er ein fußgroßes „ICH“ und ein gleichgroßes „ER“. Jedesmal, wenn Remmer erneut in einen alten Fehler verfallen war oder Zeichen des Ungehorsams wider den Herrn an sich entdeckte, trieb er mit heftigen Hammerschlägen einen Nagel in das „ICH“. Binnen kurzem wurde es offensichtlich: Sein ICH war unter den rostigen Nägelkuppen völlig verschwunden - was blieb, war „ER“: Jesus allein!
Nach bestandenem Abitur kam für Janßen nunmehr kein anderes Studium als das der Theologie in Frage. Es wurde erzählt, daß er sich dieses Studium von seinem Vater habe schwer erkämpfen müssen. Janßen studierte zunächst an der Universität Leipzig und dann in Göttingen.
An der Theologischen Fakultät in Göttingen wirkte Albrecht Ritschl. Janßen hielt ihn für ein Irrlicht und wollte sich nicht von ihm blenden lassen. In seinem Werke „Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung“ bestritt Ritschl die stellvertretende Bedeutung des Heilstodes Christi. Er hatte zunächst ja bei Ritsch1 eine Vorlesung belegt. Bald sah er ein, daß er diese nicht weiter besuchen könne, ohne mit seinem Gewissen in Zwiespalt zu geraten. Er wollte jedoch nicht stillschweigend fernbleiben. So ging er kurzerhand in Ritschls Wohnung und bat um die Rückgabe des Kolleggeldes. Ritschl war über das vermeintlich ungebührliche Verhalten sehr aufgebracht. Er gab ihm das Geld zurück.
Ob das ehrliche Zeugnis des Studenten Janßen vergeblich geblieben ist? Als Ritschl im Sterben lag, betete er, sein theologisches System beiseite werfend:
,Christi Blut und Gerechtigkeit,
das ist mein Schmuck und Ehrenkleid.
Damit will ich vor Gott bestehn,
wenn ich zum Himmel wird’ eingehn!’
Das war es, was Remmer Janßen gemeint hatte.
In welchem Geist Janßen sein Studium auffaßte, zeigt folgender Brief an Pastor Linnemann (den Vater des späteren Superintendenten Linnemann in Leer):
Es hat sich in den
letzten Wochen noch ein sehr trauriger und beklagenswerter Todesfall
zugetragen, der Ihnen in seinem Detail vielleicht noch nicht bekannt sein
dürfte. Vor einigen Wochen nämlich hieß es eines morgens, der stud. theol. W.
ist gestorben, und zwar hat er diese Nacht mit der Lampe Unglück gehabt und ist
sozusagen bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Sache soll sich nun so verhalten,
daß W. nachts um ½ 2 Uhr von einer Tour nach Nörthen betrunken zurückgekommen
ist, sich dann, nachdem er das Licht angezündet hat, ins Sofa gelegt hat. Hier
scheint er eingeschlafen zu sein, und so ist das Licht (Talgkerze) auf ihn
gefallen und hat seine Kleider angezündet. Wie er aufgewacht ist, muß der Brand
schon ziemlich weit um sich gegriffen haben, denn man hat beim Sofa am Boden
die Nägel und Haut seiner Fingerspitzen gefunden. Dann hat er sich nach den
Blutspuren an der Wand nach der Stubentür hinfühlen wollen, aber ist in die Schlafstube
hineingerathen und hat sich mit den angebrannten Kleidern; ins Bett geworfen.
Hier findet ihn Morgens um 4 Uhr der Stiefelputzer noch am Leben und bei vollem
Bewußtsein. Man ruft sogleich einen Arzt, aber wie dieser ihn untersucht,
stellt sich heraus, daß er unrettbar verloren ist, weil die ganze Haut
gleichsam verkohlt ist. Nach 3 Stunden gewiß schrecklicher Qual ist er dann um
7 Uhr gestorben.
Richten über diesen
Fall steht uns nicht zu, aber trauern soll man gewiß darüber, daß ein
zukünfliger Diener am Wort auf solche Weise seinen Tod gefunden hat und daß
überhaupt auf Hochschulen von den Theologen so wenig in der Zucht des Geistes
gelebt wird, daß ein Fall wie dieser sich ereignen kann. Hiermit habe ich meine
Rundschau, die nur Trauriges zum Resultat hatte, beendet und ich kann Ihnen
jetzt nur noch Einiges über meine Verhältnisse in diesem Semester mitteilen. Da
ich dieses letzte Semester von Anfang an zur Repetition ausersehen hatte, so
war es natürlich, daß ich die Zahl der Vorlesungen beschränkte. Ich hatte
beschlossen, nur die prakt. Theologie bei Ehrenfeuchter zu hören, aber derselbe
ist noch immer durch Krankheit verhindert. Daher habe ich ein anderes Kolleg
belegt, nämlich Dogmengescbichte bei Wagenmann. Ich höre dieselbe jetzt mit großer
Selbstüberwindung, denn der Inhalt ist so sehr in Einzelheiten zersplittert,
daß man vor lauter Einzelheiten die Entwicklung des Ganzen der kirchlichen
Dogmen nicht erkennt. Außer diesem Colleg habe ich noch eine dogmatische
Sozietät bei Schöberlein, die sehr anregend ist, und eine exegetische bei
Wiesinger, die nur für das Examen fast Wert hat und deshalb eben nicht sehr
interessant ist. Hieraus können Sie leicht schließen, daß ich in diesem
Semester an der Universität wenig zu genießen habe, sondern daß ich fast ganz
auf eigene Beschäfligung angewiesen bin ...
Soll ich nun ein
Gesamturteil über meinen jetzigen Studienstand aussprechen, so muß ich sagen,
daß es mir große Freude macht, soweit es sich wirklich auf die Erkenntnis der
Wahrheit und des Lebens bezieht, aber daß es mir langweilig und unerträglich
wird, wenn es in die schwankende Kritik und lebensleere Schulweisheit übergeht.
Da nun die letztere Art des Studiums an der hiesigen Universität fast nur
Nahrung findet, so werden Sie begreifen können, daß ich mich unendlich freue,
daß ich Ostern meine Studien an der Göttinger Universität beschließen kann ...
Ich glaube doch, daß es fürs Examen auf ein bißchen Wissen mehr oder minder nicht ankommt, daß auch diese kleine Unterbrechung nicht so gefährlich sein kann. Überhaupt ist es meine Ansicht, daß ein festes Vertrauen auf den Herrn und Mut mehr im Examen hilft als ein Gedächtnis voll Zahlen und Fakta, obgleich ich letzteres natürlich nicht verachten will. Wenn der Herr nicht hilft, dann hilft alles nichts, und wenn er hilft, dann genügt das Kleinste. Darum sei ihm alles befohlen. Auch glaube ich, daß nach dem Examen das eigentliche und schwerste Examen erst beginnt, ich meine das Examen in der Ausführung des Dienstes am Wort. An dieses denke ich jetzt fast mehr als an das wissenschaflliche Examen in Hannover ...
Meine liebste Wahl
geht nun dahin, daß ich eine Prädikantenstelle in Ostfriesland übernehmen
könnte, bei der es mir dann nicht so sehr auf Gehalt als auf die Möglichkeit
der eigenen Weiterbildung und einigermaßen ersprießlicher Wirksamkeit ankäme
...
Professor Wagenmann, bei dem Remmer Janßen Dogmengeschichte gehört hat, war bekannt dafür, daß er über ein enormes Einzelwissen verfügte. Er galt in Göttingen seiner Zeit als wandelnde „Realenzyklopädie“. Es ist also durchaus möglich, daß den Studenten aus seinen Vorlesungen die Gesamtschau nicht so deutlich geworden ist und daß Janßen das vermißt hat. (So schrieb sein Enkel an den Herausgeber 1970.)
Remmer Janßen ist 26 Jahre alt. Mit ruhigen Augen sitzt er im Jahre 1876 vor der Prüfungskommission in Hannover, vor der er sein erstes theologisches Examen abzulegen hat. Seine Personalakte enthält das Urteil:
„Er macht durdi seine Bescheidenheit und Gediegenheit einen recht günstigen Eindruck. In seiner Predigt besonders zeigt er eine zu erfreulichen Hoffnungen berechtigende Art“
Nach diesem Examen endlich geht Janßens
lebhafter Wunsch, ohne Verzug in die Gemeindearbeit zu gelangen, in Erfüllung.
Er wird dem Superintendenten Schatteburg in Nesse, Kreis Norden, zur Seite
gegeben und wirft sich hier mit schonungslosem Eifer auf die Arbeit, obenan die
Predigt. Die Kanzel ist sein Element. Scharf ist seine Predigt. Der bedeutend
ältere und darum maßvollere Superintendent nimmt oft genug daran Anstoß und ist
recht ungehalten, wenn sein junger Freund nach seiner Meinung des Guten zuwenig
und des Bösen zuviel predigt. „In seinem großen Ernst erkannte Janßen die
Gefahr des Tanzes. Als auf einer Familienfeier im Haus seines Vorgesetzten
getanzt wurde, schwieg Janßen nicht dazu. Er wurde aus dem Hause verwiesen.
Einen befreundeten Bauern bat er, daß er ihn in seinem Hause wohnen lassen
möchte. So geschah es.“ (Dr.).
„Um sük mal wär utschellen to laten“ (um
sich einmal wieder ausschelten zu lassen), besuchten bislang völlig
unkirchliche Menschen seinen Gottesdienst.
Und Janßen sorgte dafür, daß sie nie
enttäuscht nach Hause gingen. Der Kirchenbesuch stieg an, es war, als riefen
die Glocken von Mal zu Mal eindringlicher und als hallte ihr dunkles: Komm,
Komm, Komm! weit über die Gemeinde hinaus bis in die entlegensten Häuser der
Nachbardörfer. Remmer Janßen erlebte seine ersten beglückenden Erfolge. Die
Kirche füllte sich of, bis zum letzten Platz, und manche ungläubige Seele fand
durch ihn ihren Heiland und kam zur Ruhe.
Einer jener früh Bekehrten war Bauer
Steffens, der sich ihm in lebenslänglicher Freundschaft verband. Als später die
Missionsfeste regelmäßig stattfanden, konnte man Janßen unter der Menge suchend
umherirren sehen, und dann erst verklärte die Freude sein Antlitz, wenn
Steffens, der Langentbehrte, ihm schmerzhaft fest die Hände drückte.
In der Gemeinde herrschte damals viel
Armut. Täglich zogen Bedürftige von Haus zu Haus, baten um Pfennige und
bettelten um Brot oder Suppe. Am Pfarrhaus des Superintendenten klopfte selten
jemand vergeblich an; doch eines Tages geschah es, daß nichts vom Mittagstisch
übrig blieb. An der gedeckten Tafel saß die Familie, das Essen dampfte auf den
Tellern, und in der Tür stand ein hungriges altes Weiblein.
Janßen bat den zögernd zustimmenden
Superintendenten um Erlaubnis, führte die Frau auf seinen Platz und drückte ihr
die Gabel in die zittrige Rechte. Dann ging er in die Küche, und während er an
einer Handvoll Brotrinde knabbert, sieht er durch das Fenster nach draußen, wo
der Regen dichte Schnüre durch den naßkalten Herbsttag zieht.
In der Gemeinde war ein alter Kapitän, der
einst Gold aus Australien geholt hatte. Er war im Alter so verbittert, daß er
auf Kinder, die ihm begegneten, mit seinem Stock schlug, wenn er diese
erreichen konnte. Es dauerte kein Jahr, da war unter Janßens Zeugnis aus dem
Wolf ein Lamm geworden. Er kam unter Janßens Predigt zum Frieden mit Gott und
Menschen.
Remmer Jarißen sagte in Nesse: „Das Wort Sünde besteht aus fünf Buchstaben und das Wort ‚Gnade’ ebenfalls.“ Dann nahm er zwei Untertassen, drehte die eine um und legte diese auf die andere, so daß sich beide mit den Rändern deckten. „Sehen Sie“, so sagte er, „es ist nichts mehr da, was von der oberen Untertasse nicht bedeckt ist. So deckt die Gnade der Sünden Menge vollkommen. Dasselbe kann man mit dem Wort ‚Satan’ machen. Der Name JESUS deckt ihn völlig zu.“ So schlicht und einfach sprach Janßen (J.D. 1960).
Der Ruf des jungen Predigers drang auch
nach Strackholt. Dort war die Pfarrstelle im Sommer 1877 vakant geworden.
Obwohl die „Wahlpredigten“ schon gehalten waren, konnte die Gemeinde sich nicht
zu einer endgültigen Wahl entschließen, weil sich die Gedanken auf den jungen
Hilfsprediger in Nesse gerichtet hatten. Da wurde von den stimmberechtigten
Gemeindegliedern der Beschluß gefaßt, mit der Wahl so lange zu warten, bis der
Kandidat Janßen sein zweites theologisches Examen abgelegt hätte und damit
wählbar geworden sei. Das Konsistorium in Hannover gestattete daraufhin Janßen,
sein Examen vorzeitig abzulegen.
Es ist anzunehmen, daß Janßen zur
eigentlichen wissenschaftlichen Vorbereitung, schon wegen des vorzeitigen
Termins, nicht die erforderliche Muße gefunden hat. So erklärt es sich auch
wohl, daß er die Prüfung nur mit „genügend“ bestand. Es wurde ihm nahegelegt,
sich wissenschaftlich weiterzubilden, was er später in hohem Maße auch getan
hat.
Wie ist das Urteil über die Predigt
ausgefallen? Der Vorsitzende urteilte: „Eine eigentümliche Predigt, textmäßig,
eindringlich, warm, aber durch und durch subjektiv und besonders das Gefühl
anregend. Es geht ein pietistischer Zug durch die Predigt. Ohne diesen
gar zu stark hervortretenden subjektiver. Zug würde ich zu ‚fast gut’ kommen.“
„Fast genügend!“
Das zweite Gutachten schloß sich dem ersten
an: „Den Fleiß und das Wohlwollen verkenne ich nicht. Aber die Ausführung ist
doch wenig geschickt, gar nicht predigtmäßig. Daher komme ich zu ‚genügend’.“
Dem dritten Prüfenden muß Janßen dagegen
geradezu das Herz abgewonnen haben. Denn sein Urteil lautete entgegengesetzt
den vorigen: „Ich habe die Predigt mit größter Befriedigung gelesen. Klarer
Anfang, richtige und vollständige Schriflauslegung, verständige Durchführung,
Ruhe, Sicherheit und Popularität und dabei ein Zug seelsorgerlicher Liebe. Ich
kann nicht weniger geben als ‚gut’.“
Den Einblick in Janßens Prüfungsakten
erlangte der Herausgeber (P. Mindermann) unter unvergeßlichen Umständen: Ende
September 1943 erhielt er als Soldat bei der Wehrmacht zur Sammlung dieser
Erinnerungen vom Landeskirchenamt in Hannover die gütige Erlaubnis, die
Personalakten Janßens einzusehen. Die Einsichtnahme geschah nur einige Tage vor
jenem schwarzen Tage, dem 9. Oktober 1943, an dem ein großer Teil der
Provinzialhauptstadt und auch das Landeskirchenamt durch einen Bombenangriff in
Asche sank.
Janßen eilte nach Ostfriesland zurück, voll
Sehnsucht, in einer eigenen Gemeinde dem Herrn dienen zu können. Sein Sehnen
sollte bald in Erfüllung gehen.
Strackholt ist ein „Loog“, eine Mischung
von Straßen- und Haufendorf, im Unterschied zu den langgestreckten „Fehnen“,
jenen an Kanälen entlang gelegenen, aufgelockerten Siedlungen. Zur
Kirchengemeinde Strackholt gehörten ferner die Ortschaften Voßbarg, Fiebing,
Zwischenbergen und die Fehngemeinden Auricher-Wiesmoor II, Spetzerfehn,
Wilhelmsfehn IL
Die Strackholter Kirche, ein frei
stehender Bau aus roten Backsteinen, mit hohen Fenstern im gotischen Stil und
spitzgiebliger Bedachung, weist einen kreuzförmigen Grundriß auf. Da der Turm
fehlt, erhebt sich neben ihr ein Glockenstuhl im gleichen sparsamen, etwas
nüchternen Stil.
Drinnen schmückt den Altar eine zwar anspruchslose, trotzdem aber.eindrucksvolle Plastik der Kreuzigung Jesu, das erstaunliche Werk des Dorfkünstlers Kloppenburg aus der Zeit um 1850. Am Ende fällt der schweifende Blick auf die weißleuchtende Kanzel, über der das Wort steht: „Erhebe deine Stimme wie eine Posaune. Rufe laut und schone nicht!“
Strackholt war kein unbearbeiteter Boden.
Janßen hatte treue Vorgänger im Amte gehabt. Von 1. 805 bis 1852 amtierte dort Willrath.
Eigenartig ist es, daß dieser Mann die Erweckung, die Gott später schenken
sollte, vorausgeahnt hat. In seiner Amtszeit ist einmal eine schreckliche Dürre
zur Sommerzeit gewesen. Die Erde wurde rissig. Die Ernte drohte
verlorenzugehen. Das Vieh dürstete auf den verbrannten Weiden nach Wasser.
Willrath hatte einen Amtsbruder ersucht,
eine Bußpredigt zu halten. Am Schluß des Gottesdienstes fühlte der fremde
Prediger (sein Name konnte nicht mehr ermittelt werden) sich getrieben, eine
innige Bitte um Regen zu Gott emporzusenden in einem Gebet, das kniend
gesprochen und von der Gemeinde mitgebetet wurde. Zu Hause angekommen, meinte
Pastor Willrath dem Gaste gegenüber, ein solches Gebet sei doch immer ein
kleines Wagnis. Ob man nicht lieber in Geduld die Züchtigung Gottes hinnehmen
sollte, als daß die Leute in Verzweiflung kämen, wenn Gott nicht erhören würde?
Er hätte es eben nicht anders können, war die Erwiderung des Predigers.
Und es geschah als ein Wunder. In der
folgenden Nacht trieben schwärzliche Wolken heran. Das Klopfen schwerer Tropfen
trommelte einen verheißungsvollen Auftakt, und als der rauschende Regen auf die
sonnverdorrte, glühmüde Erde niederströmte,
wurden die Bauern hellwach. Selbst wer keine Hände faltete, schickte doch ein „Gott sei
Dank!“ zum Himmel.
Auch im Pfarrhaus ermunterten sich die
Schläfer und lauschten dem nächtlich rinnenden Segen, als plötzlich eine Stimme
in der Diele schallte: „Herr, nun sendest Du einen gnädigen Regen und
erquickest das Erdreich, das durstig ist!“
Am anderen Morgen begrüßte Pastor Willrath
ernst seinen Gast: „Du hast mir heut nacht nicht nur den Text für meine nächste
Predigt in den Mund gelegt, sondern auch eine Vision ausgelöst, die mein Herz
sich froh erregen läßt!“
Und es war am folgenden Sonntag, als er von
der Kanzel herab die ahnungsschweren Worte sprach: „ ... welch ein erschütterndes
Erlebnis! So wird dereinst auch über Strackholt der erquickende Wolkenbruch
einer Erweckung niedergehen, hundertfach mehr Leben weckend als dieser Regen.
Jene Erweckung wird wie ein Sturmwind durch die Gemeinde fahren, der Morsches
niederreißt und lange Verschüttetes freilegt. Und folgen wird der stillere
Mahnruf gleich einem sanften beständigen Säuseln.
Das empfinde ich im Geiste!“
Auf Willrath folgte Karl Heinrich Schaaf
(1852 bis 1857). Als Schaaf seine Wirksamkeit begann, glaubten einige, diese
Erweckung sei schon gekommen, weil er ein begnadeter Prediger war, aber dafür
war sein Wirken zu kurz. Janßen schrieb von ihm: „Während seiner Zeit wurden
zunächst die Sonntagsmärkte und die sogenannten Löskoopen (Loskaufen: z. B. bei
Hochzeiten und dergleichen mußte der Gefeierte ein Trinkgeld geben) abgestellt.
Es entstand in der ganzen Gemeinde ein Fragen nach dem ‚einen, das not ist’.
Besonders die konfirmierte Jugend zeigte Empfänglichkeit für Gottes Wort. Der
Zudrang zu seiner Predigt wurde so groß, daß die Kirche die Besucher nicht zu
fassen vermochte und man dieselbe durch einen Anbau an der Langseite des
Schiffes vergrößern mußte. Diese Vergrößerung wurde im Jahre 1853 ausgeführt
und durch einen Aus- bzw. Aufbau des westlichen Giebels vervollständigt. Schaaf
selber hat bezeugt, daß er Gemeindeglieder gehabt habe, die ihn in der
christlichen Erfahrung überragt hätten, und daß er durch diese innerlich
gewachsen sei. Auch habe er gewußt, daß unter der Kanzel treue Beter gesessen
hätten, deren Blicke voll Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet gewesen seien.“
Über seinen letzten Vorgänger, Ludwig
Valentin Köppen, berichtete Janßen: „Er hat sein Amt nach menschlichen
Forderungen in Treue ausgeübt und ist von seiner Gemeinde wegen seiner
Freundlichkeit und Einfachheit im Umgang sehr geliebt worden . . .“
Im Jahre 1877 wurde der junge Pastor Remmer
Janßen von der zweitausend Einwohner zählenden Gemeinde Strackholt einstimmig
zu ihrem Seelsorger gewählt. Viele rieten ihm ab und führten gewichtige Gründe
an. Das Kirchspiel sei zu groß, zu weit verstreut, und selbst wenn seine Kräfte
den Aufgaben, die seiner harrten, gewachsen sein sollten, bekäme er doch immer
nur mehr Arbeit als Geld. Einem Freunde erwiderte Pastor Janßen lakonisch: „Du
siehst es verkehrt - die Seelen sind meine Einnahme, das Geld ist mir Arbeit!“
Er sagte zu.
Die Strackholter zeigten aller Welt, was
der neue Pastor ihnen wert war. Mit der besten Kutsche, die sich nur auftreiben
ließ, gezogen von blankgestriegelten Pferden in glänzendem Geschirr, so holten
sie ihren Pastor vom Wohnort seiner Eltern ab, daß ein kleiner Triumphzug
daraus wurde. In Schirum stießen fünfundzwanzig Reiter zu der Kutsche, die zu
viert vorantrabten und das Ehrengeleit gaben. Cassen Ackermann, Janßens späterer
Kirchenvorsteher, waltete seines Amtes als Vorreiter in würdigster Weise. Vor
der Pastorei war eine ansehnliche Menschenmenge versammelt. Kinder sangen ein
von Hauptlehrer Thaden verfaßtes Gedicht, das schloß:
„Zieh froh herein, du Gottesmann,
zum Heil uns zugesandt,
du, den das Herz schon liebgewann,
eh wir dich ganz gekannt.“
Von der Treppe des Pfarrhauses legte Janßen in kurzer Ansprache dar, wer er sei, was er für sich und die Gemeinde erhoffe, und bekannte sich am Ende warm zu seinem Heiland: „Ihr Strackholter, Ihr habt mich weit her geholt, aus Damsum aus dem Harlingerland, Gott hat mich weiter her geholt, aus dem Abgrund der Hölle.“
Superintendent Bode führte Remmer Janßen
ein mit Hes. 3, 17-21: „Du Menschenkind, ich habe dich zum Wächter gesetzt über
das Haus Israel; du sollst aus meinem Munde das Wort hören und sie von
meinetwegen warnen.
Wenn ich dem Gottlosen sage: Du mußt des
Todes sterben, und du warnst ihn nicht und sagst es ihm nicht, damit sich der
Gottlose vor seinem gottlosen Wesen hüte, auf daß er lebendig bleibe: so wird
der Gottlose um seiner Sünde willen sterben; aber sein Blut will ich von deiner
Hand fordern.
Wo du aber den Gottlosen warnst und er sich
nicht bekehrt von seinern gottlosen Wesen und Wege, so wird er um seiner Sünde
willen sterben; aber du hast deine Seele errettet.
Und wenn sich ein Gerechter von seiner
Gerechtigkeit wendet und tut Böses, so werde ich ihn lassen anlaufen, daß er
muß sterben. Denn weil du ihn nicht gewarnt hast, wird er um seiner Sünde
willen sterben müssen, und seine Gerechtigkeit, die er getan hat, wird nicht
angesehen werden; aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern.
Wo du aber den Gerechten warnst, daß er
nicht sündigen soll, und er sündigt auch nicht, so soll er leben, denn er hat
sich warnen lassen; und du hast deine Seele errettet.“
Superintendent Bode war ein priesterlicher
Beter. Johann Piepersgerdes sen. berichtet von ihm: „Wenn ich unseren
Superintendenten besuchte, pflegte er zum Schluß sein Käppi abzunehmen und zu
sagen: Nun wollen wir noch eben miteinander beten. Dann beteten Gastgeber und
Gast und waren gesegnet.“
Superintendent Bode hielt Jarißen in der
Einführungspredigt an, die Gottlosen und die Gerechten zu warnen.
Remmer Janßen hat später das Wort Hesekiels
treulich beachtet und meisterlich das Wort Gottes zu teilen versucht, indem er
die, die noch keinen Anfang der Bekehrung gemacht hatten, zur Versöhnung mit
Gott rief, die anderen, die dem Herrn gehörten, zur Heiligung zu führen suchte,
ohne die niemand den Herrn sehen wird.
Bei seiner Einführung sprach er über das
Wort Ap-. 2, 42: „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre, in der
Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet.“ In fesselnden Worten zeigte er der
neuen Gemeinde, wie unsere Kirche ein Haus Gottes und eine Pforte des Himmels
werden könne.
Wie kann unser Gotteshaus eine Pforte des
Himmels werden?
(Aus der Antrittspredigt über Apg. 2, 42 am 11. 12. 1877)
„Wenn ich jetzt nach meinem Gang vom Altar
zur Kanzel, euch zurufen soll, was mein Herz bewegt, so muß ich ausrufen: 0 wie
heilig ist diese Stätte, hier ist nichts anderes denn Gottes Haus und die
Pforte des Himmels. Ja wirklich, dieses Gotteshaus ist ein Gottes-haus,
ein Beth-el. Das Gotteshaus ist für uns die Pforte, die enge Pforte des
Himmels. Aber damit ist nicht gesagt, daß alle, die in dies Gotteshaus gehen,
damit in den Himmel eingehen. Nein, dies Gotteshaus ist ja nur die Pforte des
Himmels, die enge Pforte des Himmels, die uns hier geöff riet wird. Wer hier
nicht eingeht durch die enge Pforte, sondern vor der engen Pforte, obwohl sie
weit genug geöffnet ist, stehenbleibt, geht hier nicht zum Himmel ein, wenn er
auch sein Leben lang jeden Sonn- und Festtag zur Kirche geht. Nicht jeder geht
in den Himmel ein, der ins Gotteshaus geht, aber wer gern einmal in den Himmel
eingehen möchte, der geht sein Leben lang gern ins Gotteshaus. Die Kirche
bringt uns nicht in den Himmel, aber der Himmel bringt uns in die Kirche, und
wen der Himmel nicht in die Kirche bringt, den bringt die Kirche nicht in den
Himmel. Darum kommt denn von heute an in die Kirche mit dem Himmel im Herzen,
mit einem himmlischen Verlangen und Sinn, sooft die Kirchentüren geöffnet
werden, dann wird dies Gotteshaus für uns zur Pforte des Himmels werden. Ich
kann mir denken, daß ihr in der ersten Zeit fleißig und zahlreich zur Kirche
kommen werdet. Denn in der ersten Zeit, wenn ein neuer Pastor kommt, kommen
viele aus Neugierde zur Kirche. Wird aber diese Neugierde nicht zur Begierde,
dann ist es mit der Neugierde bald vorbei. Die Neugierde ist eine Eintagsfliege
und hat ein kurzes Leben, gewöhnlich nur einen Tag lang. Darum ist’s nicht
genug, wenn ihr heute und in der ersten Zeit ins Gotteshaus kommt. Ihr müßt von
heute an immer kommen. Nicht genug, daß wir heute einen guten Anfang machen, es
muß auch so bleiben und auch immer besser werden. Hierzu haben wir nichts nötig
als Beständigkeit. Zu solcher Beständigkeit ermahnt unser Text. So laßt euch
denn, Geliebte, nach Anleitung unseres Textes heute bei meinem Eintritt zur
Beständigkeit erniahnen und euch unter Gottes Gnadenbeistand zurufen:
Bleibt beständig!
1. Bleibt beständig in der Apostel Lehre!
2. Bleibt beständig in der Gemeinschaft!
3. Bleibt beständig im Brotbrechen!
4. Bleibt beständig im Gebet!
1. Bleibt beständig in der Apostel Lehre
- so heißt es in unserem Text von den ersten Christen. Aber bevor dies von den
ersten Christen gesagt werden konnte, war etwas anderes mit ihnen vorgefallen. Sie
hatten Pfingsten gefeiert, sie hatten Buße getan über ihre Sünden, waren
gläubig geworden an den Herrn Jesum, sie hatten Vergebung der Sünden und den
Heiligen Geiste empfangen. Dies alles muß erst mit Euch geschehen sein,
bevor ich Euch sagen kann: Bleibet in der Apostel Lehre, denn solange dies
nicht an Euch erfüllt ist, solange seid Ihr nicht in der Apostel Lehre,
und wie könnt Ihr dann drin b1eiben? Sagt an: Habt Ihr denn alle ohne
Ausnahme Buße getan? Seid Ihr alle gläubig geworden? Habt Ihr alle Vergebung
der Sünden und den Heiligen Geist empfangen? Alle? ‚Ach nein’, müssen die
meisten klagen, ‚was wollten wir wohl?’ Bekennt’s nur gerade so, wie’s ist:
Laßt’s Euch nur sagen, wie’s mit Euch steht. Nicht wahr, Ihr seid alle getauft,
konfirmiert, seid auch einmal mit Christi Leib und Blut gespeist, weil’s so
Sitte ist, aber ohne gründliche Buße, ohne lebendigen Glauben an den Heiland,
an Vergeltung und Gericht habt Ihr so in den Tag hinein gelebt und ganz nach
Eurem Fleischessinn in dem alten Naturzustand Euer bisheriges Leben
hingebracht, ohne einmal auch nur zu fragen: ‚Was will das werden?!’ 0, Ihr
armen unglücklichen Seelen, bleibet stehen und höret doch und vernehmt der
Apostel Lehre! Die Apostel lehren uns, daß wir allesamt Kinder des Zorns sind
von Natur, daß wir allzumal Sünder sind, daß wir ohne den gekreuzigten und
auferstandenen Heiland ewig verloren und verdammt sind. Sie lehren uns aber
auch, daß Jesus für uns gestorben und auferstanden ist, daß wir durch ihn von
allen unseren Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels erlöst sind. Darum
tut Buße und glaubet an den Herrn Jesum Christum, so werdet Ihr empfangen
Vergebung der Sünden und die Gabe des Heiligen Geistes. Ist das große Wunder
der Pfingsten an Euch geschehen, dann: ‚Bleibet in der Apostel Lehre!’ Es
ist ein großer Unterschied, ob ich in einem Hause als Eigentümer oder a1s
Mietsmann wohne. Ich kann der Apostel Lehre angenommen haben als bloße
Lehre, als leere Lehre oder als volles Leben, als Redensart
oder als Lebensart, und das ist ein großer Unterschied. Darum bleibet in
der Apostel Lehre, aber bleibet recht drin. Bleibet nicht so drin, daß
der Apostel Lehre ein toter Buchstabe ist, der Euch tötet, oder eine laue
Redensart, die Ihr im Munde führt, bei der aber weder Hand noch Fuß sich rührt.
Nein, bleibet so drin, daß Euch der Apostel Lehre zur Lebensart wird. Es ist
der Krebsschaden der heutigen Christenheit, daß das Christentum jetzt keine
Lebensart sondern nur eine Redensart ist. Der apostolische Glaube
wird mit dem Munde in allen Gotteshäusern bekannt, aber nicht mit dem Herzen
geglaubt. Man glaubt seinen Glauben nicht und lebt seines Glaubens nicht. Man
redet im Leben von Weltverleugnung und lebt in aller Weltförmigkeit und
Weltseligkeit dahin. Man redet von Opferfreudigkeit und lebt im ärgsten Geiz.
Wollt Ihr so in der Apostel Lehre bleiben, dann seid Ihr noch nie drin gewesen.
Nein, bleibet recht in der Apostel Lehre. Wenn ich Euch in Zukunft der
Apostel Lehre predige, daß ihr verdammt seid ohne den Heiland, dann tut Buße
und glaubet an den Heiland, dann g1aubt Euren Glauben und lebt
Euren Glauben in Welt- und Selbstverleugnung in Opferfreudigkeit. Weiter
bleibt beständig in der Apostel Lehre. Wenn der Teufel Euch die Buße
anfechten will mit Zweifel, Unglauben, wenn die Welt Euch verfolgt mit Spott
und Hohn, wenn Euer eigenes Fleisch Euch quält mit Trägheit und Unlust, bleibet
beständig! Ganz besonders auch, wenn Leute kommen und wollen Euch mit
Menschenpfündlein von der reinen Apostellehre ablocken, bleibet beständig! Wenn
Ihr aber fühlt, daß Ihr allein nicht standhalten könnt, so hört denn
2. Bleibet beständig in
der Gemeinschaft!
Es wird in unserer Zeit viel darüber geklagt, daß es so viele Spaltungen und Sekten in unserer Kirche gibt. Die Klage ist begründet. Aber worin liegt der Grund? Es fehlt an der Gemeinschaft in den Gemeinden. Jeder Christ ist ein Christ für sich. Daher kommt das tote Wesen, das kalte Wesen. Wenn ein Feuer auseinandergeworfen wird, so ist’s bald ausgegangen, bleibt’s aber zusammen, so brennt’s länger. Darum, meine Lieben, mehr Gemeinschaft! Lasset uns mehr Gemeinschaft pflegen in Versammlungen, im täglichen Umgang. Damit Ihr aber zum Bleiben in der Apostel Lehre und zur Gemeinschaft möget gestärkt werden, höret
3. Bleibet im
Brotbrechen!
Es gibt so viele Christen, die gerne an der
Himmelsleiter hinaufsteigen möchten, aber sie können nicht hinauf - sie haben
keine Kraft. Woher kommt das? Sie bleiben nicht im Brotbrechen. Das Brot gibt
Kraft. Darum bleibet im Brotbrechen: Seid ihr bis jetzt im Brotbrechen
geblieben? Ich fürchte, die meisten werden bekennen müssen: Ach ja, ich habe
einmal, als ich korfirmiert wurde, das gesegnete Brot des Abendmahls genossen,
aber seitdem nicht wieder. 0 mein Christ, wärest Du doch drin geblieben! Denn
ich weiß, es ist mit Dir zurückgegangen, seitdem Du das gesegnete Brot nicht
gebrochen, Du bist kraftlos und schwach geworden, darum kehre wieder und komme
zum Tisch des Herrn, das Brot zu brechen. Sieh, wenn Dein Heiland seinen Leib
hat für Dich brechen lassen im Tode, so solltest Du nicht kommen, das Brot zu
brechen in seinem Abendmahl? Sieh!, wenn Du hier auf Erden das Brot nicht essen
wirst, so wirst Du es auch nicht essen im Reiche Gottes. Darum kommt und
bleibet im Brotbrechen! Ja, wenn Ihr einmal geschmeckt habt und gesehen, wie
freundlich der Herr ist, so werdet Ihr bleiben im Brotbrechen, Ihr werdet nicht
wieder den Tisch des Herrn verlassen. Wenn Ihr auch manchmal Euch unwürdig
fühlen möget, so betet, daß ihr würdig werdet und kommt. Bleibt nicht weg vom
Tisch des Herrn sondern: Bleibet im Brotbrechen bis an Euer Ende, bis Ihr
droben das große Abendmahl halten werdet. Wenn Ihr so die Gnadenmittel des
Worts und Sakraments in rechter Gemeinschaft gebraucht und beständig bleibet in
der Apostel Lehre, in der Gemeinschaft und im Brotbrechen, so wird Euch das
Gotteshaus gewiß zur Pforte des Himmels. Damit Ihr aber diese Gnadenmittel
recht gebrauchen könnt, möchte ich Euch noch ein Mittel empfehlen, das auch zum
rechten Gebrauch helfen kann, nämlich das Gebet, und sagen
4. Bleibet beständig im
Gebet!
Ihr betet gewiß alle, denn
Beten ist das erste, was ein Sünder tut, und das letzte, was er läßt, d. h.,
solange Gottes Geist in ihm wirkt. Aber Beten und Beten ist zweierlei. Manche
beten wie der Prophet klagt: Ihr nahet Euch zu mir mit den Lippen, aber mit dem
Herzen seid Ihr ferne von mir. Das ist so, wie der Heiland sagt, daß sie
plappern wie die Heiden und meinen, daß sie erhört werden, wenn sie viele Worte
machen. Darum recht beten! Der Apostel sagt: ‚Ohne Unterlaß.’ Ihr betet
vielleicht am Abend und am Morgen, wenn Ihr Euch niederlegt und aufsteht, aber
bei der Arbeit wird das Beten unterlassen. Das ist verkehrt. Beten und arbeiten
heißt nicht, erst beten und wenn das Beten abgemacht ist, dann arbeiten, nein,
sondern beten und arbeiten zugleich. Wer bei der Arbeit Gott ruft an, wird
finden, daß er wohlgetan. Darum bleibet im Gebet. Aber für wen denn? Da
mögt ihr mit Euch selber anfangen. Dann betet für die Euren, für Mann und Weib
und Kind, für Knecht und Magd, für Freund und Nachbar, für die Gemeinde, für
die Kranken, Armen, Alten und Sterbenden, für Prediger und Lehrer, für Heiden,
Juden und Türken, für Verfolger und Feinde, für alle Menschen. Ganz besonders
bitte ich einen jeden von Euch- Betet für mich! So laßt uns bleiben im Gebet,
damit täglich Tausende von Gebeten zum Gnadenthron Gottes emporsteigen. Dann
wird das Gebet auch zur Himmelsleiter und das Gotteshaus zur Himmelspforte.
Darum bleibet im Gebet! Tut Ihr das, so werdet Ihr das andere nicht lassen
können, Ihr werdet auch bleiben in der Apostel Lehre, in der Gemeinschaft und
im Brotbrechen.
So laßt uns denn zum
Schluß die Hände ineinanderlegen - legt Eure Hand in meine Hand - ich lege
meine Hand in des Herrn Hand und laßt uns geloben:
Ja, wir wollen beständig bleiben in der Apostellehre,
in der Gemeinschaft,
im Brotbrechen
und im Gebet, ja, mit Gottes Hilfe!
Laßt uns darauf singen: Die wir uns allhier
beisammenfinden, schlagen unsere Hände ein, uns auf deine Marter zu verbinden,
Dir auf ewig treu zu sein, und zum Zeichen, daß dies Lobgetöne deinem Herzen
angenehm und schöne, sage Amen und zugleich:
Friede! Friede! sei mit Euch! Amen! Amen!“
Was Pastor Willrath geahnt hatte, wurde
Wirklichkeit. Eine Erweckung brach in der Gemeinde aus. Die Zahl der
Gottesdienstbesucher stieg auf 1000 an gewöhnlichen Sonntagen, auf 1500 an
Festtagen. Zu den Mittwochs-Bibelstunden kamen etwa 700 Menschen. Schon nach
drei Jahren mußte die unter Janßens Vorgänger Schaaf vergrößerte Kirche
nochmals erweitert werden. Dabei erhielt sie ihre heutige Gestalt als
Kreuzkirche. Bei der Einweihung sprach Janßen die denkwürdigen Worte: „Wir
haben nun eine Kreuzkirche. Möge nicht einmal ein Kirchenkreuz daraus werden.“
Nach einem Jahr konnte Janßen auch eine
Reform des Gottesdienstes vornehmen. Neues Leben bedarf auch der neuen Form.
Die Gemeinde gewann die Liturgie lieb. Man sang dem Herrn ein neues Lied!
Über die Erweckung in Strackholt berichtet
Janßen in der Chronik der Kirchengemeinde in seiner Demut das Folgende:
„Mit Furcht und Zittern wage ich es, an die
Beschreibung des kirchlichen Lebens in hiesiger Gemeinde heranzutreten. Der
gnädige Gott gab einen gesegneten Anfang. Der Zudrang wurde von Sonntag zu
Sonntag größer, so daß die Sonntagsbänke auf den Gang gestellt werden mußten
... Es wurden Hausandacht und Tischgebet eingeführt. Auch wurden Betstunden an
sechs bis sieben verschiedenen Stellen am Sonntagabend und in der Woche
gehalten. Die kirchliche Zucht und Ordnung wurde nach und nach eine würdige.
Die Gemeinde versammelte sich vor dem Altardienst und blieb auch bei den
Kindtaufen und nach der Predigt ausnahmslos zugegen ... Eine sittliche
Förderung erfuhr auch das tägliche Leben der Gemeinde: Der Branntweinverbrauch
kam sehr in Abgang ... Nacheinander gingen fünf Branntweinschenken in der Gemeinde
ein ... An Sonntagabenden wie auch sonst herrschte Ruhe und Ordnung. Ebenso
wurde alle Sonntagsarbeit unterlassen. Am auffälligsten war die Umwandlung
unter der Jugend. Am 1. Advent 1878 gründeten ungefähr 50 Jünglinge einen
Posaunenchor und einen Sängerchor (unter der Leitung des rühmlich bekannten
Hauptlehrers Thaden). Im folgenden Jahr kam noch ein Jungmännerverein von 20
bis 30 Mitgliedern hinzu. Auch entstanden unter Frauen und Jungfrauen
Nähvereine.“
Die Erweckung blieb nicht auf die Gemeinde
Strackholt beschränkt. Ein Bauer sagte, Janßens Auftreten habe wie ein
Glockenschlag gewirkt und die Menschen zusammengeläutet. Besonders die seit
1882 eingeführten Strackholter Missionsfeste wirkten wie ein Feuerbrand.
Nach Strackholt kamen die Kinder Gottes aus ganz Ostfriesland zusammen.
Zwei Zeugnisse statt vieler:
„Von Wiesens gingen in der Erweckungszeit
sehr viele Menschen sonntäglich zu Fuß 15 Kilometer nach Strackholt zur Kirche.
Sie opferten ihre Schmucksachen für die Mission. Das war ganz
selbstverständlich“ (Frieda Focken). „Meine Schwester war in Schortens
verheiratet. Sie machte sich an Sonntagen um vier Uhr früh mit dem Fahrrad auf
den Weg, um den Gottesdienst in Strackholt zu besuchen.“ (Frau Bleß aus
Spetzerfehn, 1970).
Der „Gottesdienst“ beschränkte sich nicht bloß auf den Sonntag. Auch auf der Arbeit des Alltags lag eine frohe Weihe. „Im Sommer zogen wir morgens um halb vier Uhr ins Moor zum Torfstechen. Da bildeten sich Gruppen von zwei oder drei Leuten, und wir sangen Lieder aus der ‚Frohen Botschaft’“ (Witwe Hinrichs, Spetzerfehn).
Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig!
(l. Petrusbrief 1, 6)
Ein Bekehrter war Janßen. Die Bekehrung ist
nur der Anfang des geistlichen Lebens, ein Durchgangspunkt. „Christus ist uns
von Gott zur Heiligung gemacht“ (l. Kor. 1, 30). Janßen wollte selber sein, was
er andere lehrte. Er selbst würde freilich tief erschrocken gewesen sein, wenn
man ihn einen „Heiligen“ genannt hätte, er, der für seinen eigenen Leichenstein
die Worte bestimmt hatte:
In seinen Augen war er klein,
durch Christi Blut von Sünden rein.
Janßen war ein Mensch, der von sich selbst sagte. „Was bin ich, wenn es mich betrifft? Ein Abgrund voller Sündengift“, der aber auch mit Woltersdorf rühmen durfte: „Was bin ich, wenn ich IHN betracht'? Ein Goldrubin in seiner Pracht.“ Gibt es ein heiliges Leben?
Wir müssen zum biblischen Sprachgebrauch
des Wortes „Heiliger“ zurückkehren, wenn wir die rechte Vorstellung von dem
Begriff „Heiliger“ haben wollen. Es ist nicht biblisch, zu sagen: „Es gibt
keine Heiligen.“ Paulus redet in allen seinen Briefen, vom Römerbrief bis zum
Kolosserbrief, mit Ausnahme des Galaterbriefes, die Empfänger als Heilige an
(Römer 1. 7, 1. Kor. 1, 2; Eph. 1, 1; Phil. 1, 1; Kol. 1,2). Heilige sind
Menschen, die in der göttlichen Gnade stehen, die der Welt entnommen und für
Gott geweiht sind, ohne daß ihre Fehler und Gebrechen damit auch schon von
ihnen ganz genommen wären. Auch Jesus sagt, daß Er uns heilig machen will: „Ich
heilige mich selbst für sie, daß auch sie geheiligt werden“ (Joh. 17, 19). In
diesem Sinne war Remmer Janßen ein Heiliger.
Der gesegnete Erweckunsprediger Finney hat
einmal gesagt: „Eine geistliche Erweckung ist die natürliche Folge eines
geheiligten Lebens.“ So war es auch bei Janßen. Worte belehren, Beispiele
ziehen. Das gab seinem Zeugnis den nachhaltigen Eindruck, daß auch sein Wandel
eine Predigt war.
Söderblom hat das schöne Wort geprägt:
„Heilige sind Menschen, durch die es anderen leichter wird, an Gott zu
glauben.“ Remmer Janßen lebte aus Christus für Christus, er lebte die Bibel in
seinem Wandel, er war die lebendige Bibel selbst, Lehre und Leben waren bei ihm
eins. Er pflegte zu sagen: „Ich stehe nicht allein! Mein König steht hinter
mir.“ „Jaget nach der Heiligung, ohne welche niemand kann den Herrn sehen“, so
mahnt der Apostel (Hebr. 12, 14). Janßen hat nach diesem Worte gehandelt. Er
äußerte einmal, er kenne kein Predigtbuch, das ihn in seinen Ausführungen über
den inneren Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung ganz befriedigt habe.
Den ganzen Ernst seines Strebens nach Heiligung vermag diese Darstellung nicht
wiederzugeben; sie kann nur versuchen, ein wenig davon nachzuempfinden
und ahnen zu lassen.
Remmer Janßen konnte unter der Allgewalt der göttlichen Gnade, die Wollen und Vollbringen schafft nach Gottes Wohlgefallen, schaffen, daß er selig wurde mit Furcht und Zittern und in voller menschlicher Verantwortung Gott und den Seelen dienen.
So will ich das Abendmahl mit ihm halten
und er mit mir!
(Offenbarung 3, 20)
Ob einer wohl glühender den Heiland im
heiligen Mahl lieben konnte? Sonntag für Sonntag teilte janßen das heilige
Abendmahl aus. Der leiblichen, wahren und wirklichen Gegenwart Christi war er
sich so bewußt, daß er, wenn er das gesegnete Brot und den gesegneten Kelch in
den Händen hielt, nach Aussagen von Gemeindegliedern gesagt hat. „Ich trage
Jesus in meinen Händen.“ Menschen, die dies berichteten, sagten, daß sie
durchschauert gewesen seien von der Gegenwart Gottes. Janßen machte dann den
Eindruck des greisen Simeon im Tempel, der das Kind Jesus in seinen Armen hielt
als den von ihm erkannten Christus Gottes und vor Freude in die Worte ausbrach:
„Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast, denn
meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“
Janßen machte suchenden Seelen Mut, zum
heiligen Abendmahl zu gehen: „Das heilige Mahl ist für aufrichtige arme Sünder
da. Jesus will sie von allen Sündenschäden heilen. Aber die Selbstgerechten
sollen lieber fernbleiben, die da glauben, Gott müsse sich freuen, daß sie so
fromm wären. Deshalb sei es eine schreckliche Ehrfurchtslosigkeit, daß manche
aus bloßer Sitte kommen und die anderen, die kommen dürften, fernbleiben.“
Fernbleiben vom heiligen Mahl sah er ebenso
als einen Schaden an wie unwürdigen Empfang. So sagte er: „Manche verdursten
ohne das heilige Abendmahl. - Andere vergiften sich am heiligen Abendmahl.“
Der Abendmahlsbesuch zeigt sich in den
folgenden Zahlen. Es gingen in Strackholt zum Tisch des Herrn:
Im Jahr 1777 334 1879 2293
1876 531 1880 2947 Menschen.
1878 1579
Was diese Zahlen bedeuten, kann nur der
ermessen, der die ostfriesische Abendmahlsscheu kennt, die nur den Menschen,
die wirklich „mit Jesus gehen“, den Abendmahlsgang gestatten. Die Kommunikanten
bildeten in Ostfriesland - und darin ist in lutherischen und reformierten
Gemeinden kein Unterschied - die Kerngemeinde.
(Dazu ist heute, 1970, zu sagen, daß diese
ostfriesische Eigenart jetzt abgeschliffen ist.)
Es war kein Wunder, daß die Gemeinde von
der Liebe des Hirten zum Tisch des Herrn erfaßt wurde. „Janßen mußte dazu
übergehen, das heilige Abendmahl erst monatlich, dann allsonntäglich
auszuteilen. An keinem Sonntag ist in den 44 Jahren von Janßens Amtstätigkeit
das heilige Abendmahl ohne Gäste, und somit ist nie der Tisch des Herrn
vergeblich gedeckt gewesen.“ Der, den er trug, der trug ihn! „Die
Abendmahlsfeier war ein Ruheort zu Jesu Füßen.“
Haltet fest an der Demut!
(l. Petrusbrief 5, 5)
Er war ein Mann, „vor Könige stolz, doch still vor Gott zu
treten“, wie Ernst Moritz Arndt es dem Freiherrn vom Stein nachgesagt hat.
Klein war er vor sich selbst, groß aber in seinem Herrn. Janßens Demut war
nicht eine „bucklige Demut“, welche die echte Demut in Mißkredit gebracht hat.
Demut ist „Mut zum Dienen“ in der Kraft dessen, der uns allen Diener gewesen
ist. Von dieser Art war auch Janßens Demut. Janßen wußte sich wirklich mit Paul
Gerhardt eins, der singt:
„An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd’.
Was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert.“
Persönlichen Ehrgeiz liebte er nicht. In seinem Gartenhäuschen, in dem er des Sommers oft ganze Tage verbrachte, finden wir wieder auf einer Papptafel die beiden Worte „ICH“ und „ER“, das erste dick durchgestrichen, das zweite dick unterstrichen. Er hielt sich an des Täufers Wort wie an eine heilige Verpflichtung: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen“ (Joh. 3, 30). Hochmütige Gedanken an menschliche Sündlosigkeit blieben ihm fremd. Derb und drastisch sagte er einmal: „Ein Christ wächst wie ein Kuhschwanz. Der Sündendreck zieht ihn nach unten.“ Öffentliche Ehrungen fürchtete Janßen wie alle wahrhaft Großen im Geist. Während des Krieges hatte Janßen einen Orden mit einem persönlichen Schreiben Kaiser Wilhelms II. erhalten. Er sagte aber niemandem etwas darüber. Dem Vaterlande zu dienen war ihm Selbstverständlichkeit. Seinen Pflegekindern war es nun durchaus nicht recht, daß er die Auszeichnung verheimlichte. „Onkel Pastor müßte doch seinen Orden tragen!“ sagten sie. So trugen sie einfach seinen Gehrock zum Schneider Lubinus, um das Ordensband an den Rock nähen zu lassen. Janßen bemerkte das Band nicht einmal. Als er zu einer Pfarrkonferenz nach Aurich fuhr, wurde er dort von den Pfarrbrüdern sehr herzlich begrüßt und zu seiner Auszeichnung beglückwünscht. Da fragte er ganz erstaunt: „Woher habt ihr denn das gehört?“ Strahlend wiesen die Amtsbrüder auf das Ordensband am Rock. - Als er wieder zu Hause angekommen war, ließ er es sofort abnehmen. „Watt geiht dat annere Lüe an“, schalt er (und das kräftig). - Wie konnte dieser Mann nur so demütig bleiben angesichts des in Ostfriesland beispiellosen Vertrauens? Wie manchem wäre dieser Zulauf von Tausenden zu Kopf gestiegen! Janßen jedoch nahm keine Ehre von den Menschen, die seinem Herrn gebührte. Er erachtete das alles mit dem Apostel für „Schaden und Dreck“. Zu sehr lebten Himmel und Hölle vor seiner Seele, als daß er die Vergänglichkeit irdischer Ehren nicht durchschaut hätte. „Nicht uns, Deinem Namen gib Ehre um Deiner Wahrheit willen“, das war sein Anliegen. Gott ist darin wirklich streng mit uns. Er segnet niernana, der Ehre von den Menschen nimmt. Er spricht: „Ich will meine Ehre keinem andern geben!“ Aber er ist bereit, mit Segen zu überschütten den, der Gott alle Ehre gibt. Mit Thomas a Kempis hätte Janßen sagen können: „Willst du etwas Rechtes lernen und wissen, so lerne die große Kunst, gerne unbekannt und für nichts gehalten zu sein“ (Nachf. Christi 1, 2). Ihm war das Wort dieses Einsamen von Kempen aus der Seele gesprochen: „Wie sollte eitles Ruhmgeschwätz ein Herz noch in die Höhe treiben können, das die Wahrheit einmal tief genug unter Gott gebeugt hat“ (Nachf. Chr. 111, 14). Janßens Demut könnte in dem alten Gebet ihren Ausdruck finden: „Herr, nimm mir alles, was mich trennt von Dir. Herr, gib mir alles, was mich führt zu Dir. Herr, nimm mich mir und gib mich Dir“ (N. v. d. Flüe).
In seiner Schlichtheit vermied Janßen alles
Auffällige. Einst holte ein junger Mann den alten im Ruhestand in Egels
wohnenden Pfarrer mit einem Wagen zu einem Dienst ab. „Ich kann noch gehen“,
sagte Janßen. Auf Bitten des Mannes bestieg er jedoch den Wagen mit den Worten:
„Besser demütig gefahren, als stolz gegangen.“
Die Liebe Gottes ist ausgegossen
in unsere Herzen durch den Heiligen Geist
(Römer 5, 5)
„Wenn ich mit Menschen- und mit
Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts“, sagt der
Apostel. Einmal wurde ein Mann nach Janßens Konfirmandenstunden gefragt. Da
wurde dem Mann warm ums Herz, und er sagte: „He wör nett so (gerade so) wie min
Vader.“ Janßens Lehrer, Direktor Reuter, besuchte ihn in Strackholt und
fand die Wirksamkeit Janßens ganz außerordentlich. Reuter fragte: „Woher kommt
das?“ und gab sich die Antwort: „Das kommt von der Liebe!“ Man sagte von
Janßen, er sei auf der Kanzel ein Löwe, unter der Kanzel ein Lamm gewesen. Ein
Schiffer aber meinte: „Nein, nicht ein Lamm, ein Engel.“ Janßen hatte ein
scharfes Auge. „Die Brille, die er trug, konnte freilich nicht die Ursache
dieser Schärfe sein. Ich glaube vielmehr, daß seine große Menschenliebe ihm
dazu verhalf. In seinen Augen lag sein ganzes Herz, und das war wie ein klarer,
tiefer See, in dem der Sonnenglanz des Himmels sich widerspiegelte. Es war
geradezu erstaunlich, daß er Menschen, die er nur einmal im Leben kennengelernt
hatte, sofort wiedererkannte und persönlich zu benennen wußte, wenn sie ihm
nach zehn oder zwanzig Jahren wieder begegneten. Auf meine erstaunte Frage, wie
so etwas möglich sei, erwiderte er, daß das Bild des betreffenden Menschen sich
gleichsam auf seiner Netzhaut eingeprägt habe.“
Ein Mann, der Janßen kannte, schreibt: „Ich
sehe noch das freundliche, gütige Gesicht des lieben Pastors Janßen, wie
seine Augen durch seine Brille strahlten, und höre den Ton seiner Stimme, in
dem sich die ganze Tiefe seines kindlich gläubigen Herzens erschlossen hatte.
ja, die Liebe war die Macht, die in seinem Herzen lebte, die heilige Unruhe,
die ihn zur unermüdlichen Tätigkeit anspornte und die jeden erfaßte, der mit
ihm in Berührung kam. Es war die Macht einer brennenden Liebe, die aus einem
kindlichen, felsenfesten und gewissen Glauben geboren wurde. Man gewann den
Eindruck von Pastor Janßen als einer Persönlichkeit, die tief im christlichen
Glauben steht, liebenswert und in jeder Hinsicht original. Er gab sich ganz hin
im Gespräch und gab sein ganzes Herz. Besonders eindrücklich wurde dabei seine
kindliche Offenheit und Demut. Er suchte nicht sich selbst. Ihm war es nur um
die Sache zu tun, der er sein Leben geweiht hatte. Er wollte nicht herrschen,
sondern dienen, ein Mitgehilfe der Freude sein. Darum fühlte man sich so wohl
in seiner Nähe. Dabei war er voll Geist und Feuer in der Unterhaltung. Aus
seinen Augen sprühte förmlich das Leben. Er hatte nichts Steifes und
Gezwungenes an sich, und darum konnte man sich auch so ungezwungen bei ihm
geben. So konnte es auch gar nicht anders sein, als daß er die Herzen der
Menschen gewann und der Segen Gottes spürbar auf seinem Wirken lag.“
„Janßens Wirken, durchglüht von Heilsfreude, das lodernde Feuer seiner
Rede, das ihm so zahlreiche Herzen warb, eines vermochte es lange nicht: den
heißgeliebten Vater zu überzeugen und zu gewinnen. Der Vater, der es seinem
Sohne lange nicht verzeihen konnte, daß er gegen seinen väterlichen Willen das
Studium der Theologie ergriff, lehnte es rundweg ab, eine Predigt seines Sohnes
zu hören.
Den fortwährenden Bemühungen der Frau war
es schließlich doch gelungen, ihren Mann zu bewegen, einer Predigt seines
Sohnes beizuwohnen. Nur mit innerem Widerstreben gab er den Bitten nach.
Schon während der Predigt, bei der Janßen
mit gewohnter Eindringlichkeit sprach, wurde der Vater unruhig und konnte nur
mit größter Mühe von seiner Gattin an seinem Platz festgehalten werden. Aber am
Schluß des Gottesdienstes verließ er, der wahrscheinlich jedes Wort als eine
gegen sich gerichtete Spitze empfunden hatte, in stürmischer Eile die Kirche.
Draußen angelangt, befahl er dem Knecht,
sofort heimzufahren. Er war gerade im Begriff davonzurollen, als sein Sohn, der
das Gotteshaus nicht eher hatte verlassen können, da es wie immer gedrängt voll
war, zu ihm trat. ‚Geh mir aus dem Wege!’ schrie Jarißens Vater in höchstem
Zorn, als Remmer ihn bescheiden bat, wie verabredet, das Mittagessen in der
Pfarre einzunehmen. Als der Sohn tiefgekränkt in Erregung vorsprang und den
Pferden in die Zügel griff, schlug der Vater, erbittert und jeder Besinnung
bar, mit der Peitsche auf die Pferde ein, so daß diese sich hochbäumten, den
Sohn fast meterhoch emporrissen. Nach Berichten von Augenzeugen war der sich
abspielende Vorgang so gefährlich anzusehen, daß der Vater selbst erschrocken
vom Wagen sprang, um Unheil zu verhüten. Er war aber kein Mensch, der jemals an
ein Nachgeben dachte - - und fuhr trotzdem.“
Alle weiteren Bemühungen der tiefbekümmerten Mutter, dennoch eine Versöhnung herbeizuführen, schlugen fehl. An dem Herzeleid, das dieser Sonntag brachte, hatte Remmer noch lange zu tragen. Das Herz des Vaters wurde später milder und milder. Er sah es gerne, als noch ein zweiter Sohn Pastor wurde. Wenn Christus Janßen auch höher stand als Vater und Mutter, so hielt er es doch allezeit mit dem 4. Gebot: „Ehre Vater und Mutter!“ Er liebte seine Eltern mit der Liebe, die Jesus schenkt. Obgleich sein Vater fortan selten nach Strackholt kam, erlebte Janßen die große Freude, daß seine Mutter selig heimgehen durfte. Er war darüber so froh, daß er in einer Predigt sagte: „Meine Mutter ist glücklich aus dieser Welt geschieden.“
Ich muß in deinem Hause einkehren
(Lukas 19, 5)
Das Pfarrhaus in Strackholt (die Ostfriesen
sagen Pastorei) war ein Haus in der Sonne. Weil man einen Menschen am ungeschminktesten
in seiner Häuslichkeit kennenlernt, ist es diesen Besuch wohl wert. Riechelmann
hat davon erzählt: „Wer Janßen daheim in seiner stillen Klause besuchte, hatte
Gelegenheit, ihn noch intimer zu sehen. Dicht neben seinem Hause befand sich
ein kleines Wäldchen, vom Garten aus zugänglich. Dort hatte er sich eine
schöne, solide Laube errichten lassen, mit Schreibtisch, bequemen Stühlen und
Bücherbord versehen. In günstiger Jahreszeit studierte er dort gern seine
Predigten und konferierte mit seinen Besuchern. Bei ihm habe ich manche traute
Stunde verbracht und dabei nähere, mir unvergeßliche Einblicke getan in sein
weitherziges Gemüt voll Liebe und Güte.“
Wenn wir über Janßens Heim berichten, darf
seine treue Haushälterin, Gretje Ottersberg, nicht vergessen werden. Nachdem
sich seine erste Wirtschafterin verheiratet hatte, führte Gretjemöh über
fünfzig Jahre lang den Haushalt. Ihr zu Seite stand Anna Schmidt, die er
Annamöh nannte; sie verrichtete die gröberen Arbeiten und versorgte das Vieh.
Glaube und Humor standen im Pfarrhaus in frohem Bunde. Einer von Janßens
Neffen, Remmer, hatte von Pastors Gretje den Auftrag bekommen, einen steinernen
Krug mit Honig zu holen. Das Gefäß war auf die Straße gefallen und
entzweigegangen. Den Rest drückte der junge fest an seine Brust. So erschien er
vor Gretie. Diese wurde sehr böse und rief den Pastor, damit er einmal
ordentlich schelte. Janßen kam aus seiner Studierstube. „Sieh, Gretje, das ist
nun ein Schatz im irdenen Gefäß“, sagte Janßen, zog sich freundlich wieder
zurück, und alles war gut.
Janßen, der unverheiratet war, hat
insgesamt 31 Waisenkinder in seinem Hause aufgezogen. Darunter war auch sein
Neffe Fooke Janßen mit sechs Geschwistern. Die Mutter dieser Kinder war früh
gestorben.
Rührend war es, wie Janßen für seine vielen,
vielen Pf1egekinder sorgte. Wo Not war, griff er zu. So kamen zwei
Schwestern, Hilde und Paula, zu ihm, deren Vater, ein Arbeiter in Elberrfeld,
seine Frau verloren hatte. Die stillere Hilde, die stundenlang über ihren Konfirmandenaufgaben
sitzen konnte, nannte er Maria, die mehr lebhaftere Schwester Martha.
Paula erzählte: „Janßen liebte uns :innig.
Er wollte uns so viel wie möglich um sich haben. Bei uns ging es immer fröhlich
zu.“ Paula heiratete aus seinem Hausstand fort. Als die Inflationszeit kam,
fragte Janßen bei den Schwestern an, ob nicht eine zu ihm ziehen möchte. Beide
waren in einer kaufmännischen Stellung. Da entschied der Vater: „Der gute alte
Pastor hat euch so viel Liebe erwiesen. Nun dürft ihr ihn nicht allein lassen.“
Paula erzählte: „Ich habe ihn bis zu seinem Tode pflegen dürfen. Das war die
glücklichste Zeit in meinem Leben.“
Janßen suchte alle Kinder zum Herrn zu
führen. Als sein Neffe Fooke Kaufmann werden wollte, schrieb ihm der Onkel ins
Album:
„Ein Kaufmann suchte mit Fleiß und Verstand,
Bis er die kostbare Perle fand.
Darob verkaufte er all sein Gut
Und suchte die Perle mit frohem Mut.
Mein lieber Fooke, mach’s ebenso,
Dann wirst Du glücklich und selig und froh.
Dies wünscht Dir Dein Onkel,
Der Dich herzlich liebt,
Und Dir nun diesen Segen gibt.“
Ein Zeugnis seiner Liebe zu seinen
Pflegekindern ist der Brief, den Janßen 1893 aus einem Kuraufenthalt in
Langeoog schrieb:
Langeoog,
den 14. Septbr. 1893
Herzliebe Kinder Reinder und Johann!
Ihr wißt, daß ich jetzt auf einer Insel
bin, die Langeoog heißt, um mich hier gesund zu baden. Ihr habt mir nach hier
ja beide einen Brief geschrieben, und Johann hat seinen Brief mit „Langeoog“
überschrieben. Ihr wollt gewiß gerne etwas von mir über diese Insel Langeoog
hören oder lesen. Ich will Euch jetzt deshalb ein wenig über Langeoog
schreiben.
Langeoog ist durch das tiefe Meer von dem Festland, auf welchem Ihr wohnt, getrennt, so daß ohne Schiff kein Mensch vom Festland nach Langeoog und von Langeoog kein Mensch nach dem Festlande herüberkommen kann. Ihr denkt hierbei vielleicht an das ernste Evangelium von dem reichen Mann und dem armen Lazarus, in welchem uns von einer Kluft zwischen Himmel und Erde erzählt wird. Über diese Kluft kann auch niemand herüber und hinüber. Wenn hier auf Langeoog nur lauter fromme Leute wären, so wäre Langeoog der Himmel, und wenn auf dem Festlande lauter böse Leute wären, so wäre das Festland die Hölle. Aber hier auf Langeoog sind auch viele böse, gottlose Leute, und besonders unter den Badegästen. Deshalb ist der Himmel auf Langeoog noch nicht. Es ist auf Langeoog gerade wie bei uns auf dem Festlande. Es gibt hier böse und gute Leute, auch böse und fromme Kinder, wie ich glaube. Ich wohne hier bei frommen Leuten und habe es hier gut, so daß der Himmel mir nicht ferne ist. Auch Euch wird der Himmel nicht ferne sein, wenn Ihr fromm seid und fleißig betet. Ihr wißt, daß ich hier auf Langeoog bin, um gesund zu werden. Ich kann Euch zu meiner Freude mitteilen, daß ich hier wirklich gesund geworden bin. Das hat der liebe Vater im Himmel getan, den wir ja in der 4. Bitte des Vaterunsers nach Luthers Erklärung täglich um Gesundheit bitten. Jetzt denke ich noch daran, was der Name „Langeoog“ heißen mag: Langes Auge, das heißt ein Auge, das weithin sehen kann. Ich kann nicht sehen, ob Ihr jetzt Böses oder Gutes tut, aber denkt an den lieben Gott im Himmel, der hat ein langes Auge und sieht alles. Wenn Ihr einmal Böses tut und ungehorsam seid, so bittet um Vergebung und bessert Euch mit Gottes Hilfe. Wenn Ihr aber gut und fromm seid, so wird der liebe Gott mir sagen, daß ich Euch allerlei Gutes und Schöne mitbringe, wie Ihr es gewünscht habt. Hier gibt es gar vieles, was Ihr noch nicht gesehen habt. Am Strande liegen schöne Muscheln, Schneckenhäuschen, Spiegelchen und dergleichen. In den Läden gibt es Spielsachen, Schreibzeug, Musikinstrumente, Bälle, Armbrüste zum Schießen und dergleichen zu kaufen, aber freut Ihr Euch auch selbst darüber, daß ich wiederkomme? Ich freue mich, Euch wiederzusehen.
Grüßt alle und seid gegrüßt
von Eurem Onkel und Pflegevater Remmer Janßen.
Ein Zeugnis neueren Datums über den Geist der Liebe in Janßens Haus ist der folgende Brief an den Herausgeber (P. Mindermann):
San Francisco, den 5. Oktober 1966
Sehr geehrter Herr
Pastor!
Es war in der Tat eine freudige
Überraschung, als das Buch „Vorn Geheimnis Christi“ in unseren Besitz gelangte.
Wir danken Ihnen von ganzem Herzen! Es ist für mich eine doppelte Freude, da es
mir vergönnt war, meine Kinderjahre vom 8. bis zum 15. Lebensjahre unter Onkel
Remmers liebevoller Erziehung zu verleben. Viele liebe Erinnerungen werden
wach, wenn ich das Buch zur Hand nehme.
Es mag Sie interessieren, Herr Pastor, zu
wissen, daß ich als erster die Ehre hatte, eins von den von Onkel
neugedichteten Liedern ihm vorzusingen, sofern mir die Melodie bekannt war. So
sang ich damals „Mara“, „Manna“, „Die heilge Weihnacht“, „Der Herr ist
auferstanden“ und verschiedene andere, an die ich mich erinnere.
Oftmals weilen meine Gedanken in
Strackholt, im Sommerhaus im Hilligen Holt und auf dem Friedhof, wo Onkel ruht.
Dem lieben Onkel habe ich viel zu danken.
Ich denke manchmal: Da der Herr über Leben und Tod meine liebe Mutter zu sich
nahm, als ich zweieinhalb Jahre alt war, gab der gütige Gott mir einen
Erzieher, der nicht allein für mein leibliches Wohl, sondern vor allem und
zuerst für meine Seele Sorge trug.
Auf meinen Wunsch gab er mir als
Konfirmationsspruch: Sprüche 23, Vers 26 und als Vers: „Für dich sei ganz mein
Herz und Leben.“
...Man hat einen gläubigen, überzeugten
Diener Gottes begraben, und mir war er mehr.
Herr Pastor, mit diesem Brief geht durch
das hiesige Hauptpostamt eine Postanweisung an Ihre werte Adresse ab. Wir
bitten Sie, diese Anweisung gütigst anzunehmen und nach Gutdünken zu verwenden
(50 Dollar).
Nochmals bestens dankend zeichnen
hochachtungsvoll
Gerhard
Janßen und Frau
Um des Himmelsreichs willen
(Matthäus 19, 12)
Remmer Janßen ist unverheiratet geblieben.
Er fragte seinen Herrn und Meister, was er tun sollte.
Eines Tages fuhr der junge Pfarrer mit
seinem treuen Kirchenvorsteher Cassen Ackermann zu einer Familie, wo er um die
Hand der Tochter anzuhalten erwog. Während der Unterhaltung mit der Mutter
wurde Janßen innerlich deutlich: „Eine Ehe ist nicht Gottes Weg für mich. Es
kann nicht sein.“ Zu Ackermann sagte Janßen: „Gott hat es gut mit mir gemeint -
ER hat mich bewahrt.“
Es ist auch nach dem Beweggrund gefragt
worden. Von Janßen selbst liegt eine Antwort nicht vor. Wir sind hier auf Vermutungen
angewiesen. Als seine erste Haushälterin, Fräulein Seehusen, sich verehelichte
und ihm der freundliche Rat gegeben wurde, den gleichen Schritt zu tun,
antwortete er in aller Bescheidenheit und Demut: „Ich habe soviel zu tun mit
meinem alten Adam! Wenn ich jetzt noch eine Eva bekäme, wo sollte ich da wohl
bleiben?“
Janßens Ehelosigkeit bleibt das Geheimnis
seines Lebens und Wirkens, sein eigenes Geheimnis, das er gehütet hat und in
das wir nicht so sehr einzudringen versuchen sollten.
Augustin sagte einmal vor seiner Gemeinde
in einer Predigt. „Ich vereinige in mir gleichsam zwei Personen: Ich bin Christ
und ich bin Seelsorger. Christ bin ich meinetwegen, Seelsorger bin ich
euretwegen.“ Vielleicht darf man sagen, daß für Janßen ein gleicher Beweggrund
entscheidend gewesen ist. Ihm war es offenbar nicht genug, nur für seine Person
Gott zu dienen, sondern er wollte auch andere zu diesem Dienst führen unter
Aufopferung seiner ganzen Persönlichkeit. Er war wohl der Überzeugung, daß er
ehelos dieser seiner Lebensaufgabe am besten und treuesten dienen könnte. Die
Art und Weise wie Janßen seinen Beruf ausübte, berechtigte wohl zu dieser
Meinung. Für ihn waren Ehe und Jungfräulichkeit nur zwei Seiten des einen
Lebens in Christus (gemäß dein Worte des Herrn: „Wer es fassen kann, fasse es“
[Matth. 19,12]).
Janßens Seele war viel zu demütig, als daß
er auf die herabgeschen hätte, die es „nicht fassen“.
Wer Pastor Remmer Janßen kannte, wußte, daß
dessen Ehelosigkeit in edlen Motiven ihre Wurzel hatte, und empfand nichts
Anstößiges oder Bedenkliches in dem Entschluß ihres Seelsorgers.
Bauer Kobus Buhr in Fiebing gab auf die
Frage nach dem Grunde von Janßens Ehelosigkeit als Antwort die geheimnisvolle
Bibelstelle in Matthäus 19, 12, wo der Herr von denen spricht, die um des
Himmelreiches willen auf die Ehe verzichtet haben. Er fügte die Worte Christi
hinzu: „Das faßt nicht jedermann, sondern dem es gegeben ist.“ Ein anderer
Zeuge erklärte: „Bei Pastor Janßen hätte vielleicht eine Ehe sehr leicht zu einer
Katastrophe führen können, wenn er so, wie er es tat, in dem Dienst Gottes
aufgehen wollte, daß alles andere für ihn nur zweitrangigen Wert hatte, - wie
es auch tatsächlich bei ihm der Fall gewesen ist“ (M. Köppen-Bode).
Diese Beurteilung spiegelt in ihrer
Einfachheit und Schlichtheit sehr gut die Auffassung der Zeitgenossen Pastor
Janßens wider. In ihnen findet sich weder begeisterte Zustimmung noch
einseitige Kritik, wohl aber positives Verständnis für den Schritt Janßens.
Wenn auch das evangelische Kirchenvolk im allgemeinen die Ehe für seine
Pastoren wünscht, so hat es doch auch ein feines Verständnis für die Haltung
eines Pastors, der wie Janßen sich um des Himmelreiches willen anders
entscheidet.
Janßen hat so herzlich an dem Zustandekommen
guter Ehen Anteil genommen, daß Brautleute, die ihr Aufgebot bei ihm
bestellten, spürten, wie er sich mit ihnen freute. Man würde Janßen in einem
wichtigen Punkt verkennen, wollte man annehmen, daß er sich leichtsinnig und
oberflächlich in dieser Angelegenheit entschieden haben könnte. Schließlich
gleicht kein Mensch dem anderen. Was für den einen ein Segen sein kann, braucht
es für den anderen nicht zu sein. Der Weg der Treue ist kein Schema, er wird
von der besonderen Veranlagung, den Gaben und Fähigkeiten eines Menschen, von
seinem Gewissen vorgezeichnet. Janßens Ehelosigkeit war demnach durchaus nicht
einer negativen Auffassung von Ehe und Familie entsprungen, als hätte er sich
auf eine bequeme Weise den Sorgen und Mühen eines Familienvaters entziehen wollen,
sondern war - so dürfen wir wohl mit Recht annehmen - in seiner persönlichen
Auffassung von seinen Aufgaben als Seelsorger begründet.
Einige
Worte bedeutender Theologen hierzu:
Wilhelm
Löhe, der mittelfränkische Gründer der Neuendettelsauer Werke, schreibt: „Ehe
und Ehelosigkeit sind zwei Stände, die nur durch einander gehalten werden. Der
Ehestand soll in Würden bleiben. Aber Paulus nennt es doch etwas Edles, ehelos
zu bleiben, gottgewollt und hingegeben in Christi Dienst.“ (Aus Löhe, Der ev.
Geistliche)
Der Erlanger
Professor Paul Althaus sagt: „Die vollständige Enthaltung einzelner von der
Ehe, die natürlich in einem besonderen ‚Berufe’ begründet sein muß, bedingt für
die ganze übrige Gemeinde eine spürbare Kraft zur reinen Ehe. Wir erkennen zwei
Pole, die einander fordern...“ (Relig.-Sozialismus, S. 98)
Martin Luther hat
einmal gesagt: „Es gibt etliche Menschen, die ehelos geblieben sind, um dem
Evangelium und der Kirche besser zu dienen. Solche haben ein engelisches Leben,
nur daß sie sich keinen Ruhm daraus machen.“ Pastor Remmer Janßen tat nach Dr.
Martin Luthers Rat.
Und schließlich - hat Janßen nicht 31 Kindern Behausung, Erziehung und Charakterbildung gegeben? Schon diese Tatsache zeigt zur Genüge, wie weit er von dem bequemen Dasein eines Junggesellen entfernt war, der die Ruhe über alles liebt. Doch wenn man Pastor Remmer Janßen gerecht werden will, so muß man den Blick noch weiter werfen, über seine Häuslichkeit hinaus. War nicht die ganze Gemeinde „seine Familie“, war nicht jeder in seiner Gemeinde - ob Mann, Frau oder Kind - ein Stück seines Herzens und dessen Freude auch seine Freude und dessen Leid auch sein eigenes Leid? Wurde er nicht so der Vater vieler? Hier enthüllt sich vor uns vielleicht das Geheimnis der geistigen Vaterschafc, dessen sich seine Pfarrkinder ihm gegenüber immer bewußt gewesen sind.
Verkaufe, was du hast, und gib es den Armen,
so wirst du einen Schatz im Himmel haben;
und komm und folce mir nach!
(Matthäus 19, 21)
„Janßen stand über dem Gelde.“ Auf einen
Teil seines Erbes verzichtete er
zugunsten von Geschwistern. Traf er wirkliche Not, so ließ er auch wohl
sein eigenes Bett zu bedürftigen Menschen tragen. Als einmal eine solche Liebestat
bekannt wurde, brachte ein befreundeter Kaufmann ihm ein neues Daunenbett. Er
schenkte manchmal buchstäblich „das Hemd vom Leibe weg“. Er lebte in der
Nachfolge dessen, der nichts hatte, da er sein Haupt hinlegen konnte. An einem
Sonntagmorgen mußte er wirklich seine Alltagshose anziehen. Die neue, für den
Sonntag bestimmte, hatte er einem aus dem Zuchthause entlassenen Manne gegeben.
Im Laufe der Woche mußte der Schneider Lubinus eine neue Sonntagshose
anfertigen.
Eine Lehrerstochter erzählte: „In
Zwischenbergen war ein Arbeiter, der fleißig und treu schaffte und
gottesfürchtig war, so daß er kein Stück Brot ohne Gebet aß. Er hatte ein Stück
Moorland kultiviert und ein Darlehn von 300 Mark aufgenommen. Nun wurde ihm
dieses gekündigt. Janßen kam zu meinem Vater und sagte: ‚Jakobohms Land wollen
sie verkaufen. Da müssen wir helfen.’ Niemand wollte dem Manne Geld leihen.
Lehrer und Pastor sprangen beide ein. So wurde dem Mann geholfen, er konnte
sein Land behalten.“
„Eine Frau hatte Typhus. Darauf wurde
früher wenig geachtet. Pastor Janßen erfuhr davon. Er begab sich in die Wohnung
der Kranken. Es sah entsetzlich darin aus. Die Eltern lagen zu Bett. Die Kinder
waren sich selbst überlassen. Als er alles gesehen hatte, eilte er zum Nachbarn
und sagte: ,Klaasohm, da möt wi helpen!’ Der Nachbar ging mit. Bald war
frisches Bettzeug zur Stelle. Wie sah es in der Küche unordentlich aus! ‚Nu,
Klaasohm, möt wi ok de Kök fegen un Ordnung maken un Sand streuen.’ Nun war es
Sitte, dort, wo die Stühle in der Reihe standen, keinen Sand zu streuen und eine
Kante zu machen. Weil nun Klaasohm den Sand nur so hingeworfen hatte, sagte
Janßen: ‚Ne, Klaasohm, wi möten ok kantjen’ (d. h. der Sand muß fein gestreut
werden und der Raum unter den Stühlen frei bleiben und mit Trockensand eine
Schlangenform abgekantet werden). Und so geschah es.“
In der Gemeinde war ein Mann, der schon
lange Jahre die Gicht hatte. Er hatte ein schlechtes Unterbett. Janßen kam von
dem Besuch in diesem Hause heim und erzählte seiner Haushälterin, wie er den
Epkeohm angetroffen habe. Ob wir nicht noch ein Unterbett haben?“ fragte er
ganz treuherzig und unschuldsvoll. Dabei hatte er die Frau des Kranken schon
für den nächsten Tag zu sich bestellt. Die Haushälterin entgegnete: „Nein, Herr
Pastor, das geht nicht, wenn Ihre Mutter kommt, kann sie doch nicht ohne
Unterbett schlafen.“ Janßen sagte nichts. Am folgenden Morgen, als Antjemöh des
Pastors Bett machen wollte, war das Unterbett verschwunden. Janßen hatte
kurzerhand sein eigenes Unterbett der Frau gegeben, ihr gesagt, sie solle aus
der Seitentür gehen, denn Antjemöh dürfe es nicht wissen! Nun müssen Sie eben
auf Stroh schlafen!“ war Antjemöhs Antwort.
Als einmal ein Kollektant einer im Kreise
Aurich gelegenen Kirchengemeinde für die Anschaffung von Hörnern für einen
Posaunenchor sammelte, wurde Janßens Herz so warm, daß er gleich 300 Mark dem
Manne mitgab, so daß ihm nicht einmal etwas Geld für das Brot geblieben war. Es
mußte erst jemand zu seinem Neffen, der Kaufmann war, gehen, um Geld zu leihen.
Als Janßen später im Ruhestande lebte, sagte er einmal zu einem Freunde: „Ich
wußte das Datum noch nicht, an dem mein Gehalt kam, da kamen schon Leute, die
um Geld baten.“ Daß Janßens Haushälterin, Gretje Ottersberg, im ostfriesischen
Platt „Pastors Gretje“ genannt, es nicht immer leicht hatte und daß es manchmal
im Haushalt knapp zuging, ist zu verstehen. Janßen gab ja sogar den Speck und
die Räucherwaren weg, die unter der Küchendecke hingen. Es ist oft vorgekommen,
daß Gretje nichts zum Kochen hatte. In ihrer Not ist sie einmal zum Kirchenvorsteher
Jann Harbers gegangen, um ihre Not zu klagen. Die Kirchenvorsteher machten
daraufhin einen Rundgarig und brachten der Haushälterin Geschlachtetes. Als
Janßen die Schätze an der Decke hängen sah, spürte man ihm die Freude an, nun
wieder etwas für die Armen zu haben. Die Kirchenvorsteher jedoch kannten ihren
Pastor zu genau und sagten energisch: „Herr Pastor, dat is Ihrs nicht, dat
gehört Gretje! Wenn Se dorbi gahn, sünd Se en Deew!“ Dieser Sprache bedurfte
es, um der Haushälterin ihr Recht zu belassen, und diesen von Liebe
eingegebenen Worten wagte Jarißen nicht zu widersprechen. Das Geschlachtete
blieb zu Gretjes Verfügung. Wie es nicht anders bei seiner Mildtätigkeit zu
erwarten war, ist er auch oft ausgenutzt worden. Er hatte eben den einen großen
Fehler: „Die Liebe glaubt alles, hoffet alles!“ (l. Kor. 13). Janßen ist in
seinem Optimismus gewiß oft weit gegangen. „Aber er ist mit seinem Optimismus
doch auch weit gekommen und hat viele Herzen gewonnen.“
Einmal hatte Janßen sein Haus voller Gäste,
als ein kranker Schriftenbote erschien und um Aufnahme bat. Ein gerade
anwesender Schiffer vom Fehn sagte: „Herr Pastor, dat is tau völ.“ Die
Haushälterin meinte, daß sie keinen Platz mehr habe und das Haus voll sei.
Janßen sagte darauf: „Wo dat Water een leeg Stell find't, dor löpt
tohopen" (Wo das Wasser eine tiefe Stelle findet, da läuft es zusammen).
Darauf der Schiffer: „Man bloot, Herr Pastor, wenn dat Water aber kien Aftog
hätt, dann fangt' an to stinken“ (Nur, Herr Pastor, wenn das Wasser aber keinen
Abzug hat, dann fängt es an zu stinken). „Hast recht“, entgegnete Janßen und
besorgte dem Gast ein gutes Quartier im Gasthof.
Janßen ließ seine linke Hand nicht wissen,
was die rechte tat.
„Seine Hilfe wurde auch mißbraucht. Ich
selbst war (etwa 1907) Zeuge eines Gesprächs in der Kleinbahn. Ein Kolonist aus
Iheringsfehn erzählte einem anderen leise, ihm sei eine Kuh verendet, er sei
bei Pastor Janßen in Strackholt gewesen, der ihm Geld zum Ankauf einer Kuh
gegeben habe, die er sich dann auch bereits beschafft habe. Doch er gehe jetzt
wieder zu ihm und werde ihm die Geschichte der toten Kuh noch einmal erzählen.
Er werde dann noch einmal von ihm Geld bekommen, da Janßen einfach jedem
Bittsteller gäbe und bestimmt nicht wüßte, daß er schon einmal bei ihm gewesen
sei. - Ich bin dann in Strackholt ausgestiegen und habe Janßen mein Erlebnis
erzählt, so daß er nicht auf diesen Mann hereinfiel“ (Otten, 1952).
In großer Freigebigkeit schenkte Janßen,
wie die Frau des Lehrers Holzenkämpfer in Spetzerfehn bekundet hat,
buchstäblich manchmal das Hemd vom Leibe weg, so daß er nicht wechseln konnte.
Janßens Eltern zürnten ihm wegen seiner
entschieden christlichen Haltung und wegen seiner Liebe zur Armut Christi, die
sie für den Sohn eines reichen Marschbauern als anstößig empfanden. Die Mutter
tadelte ihn, er gebe alles weg, er behielte keine Hose, Janßens Eltern nannten
ihn einen Judas, weil er sein Erbe weggäbe. Er entgegnete, es sei zwischen ihm
und Judas doch ein Unterschied. Er gebe sein Geld aus der Tasche, aber Judas
habe es in die Tasche gegeben.
Mancher Jünger Jesu hat den zehnten Teil
seines Einkommens Gott gegeben nach dem Wort: „Bringet die Zehnten ganz in mein
Kornhaus und prüfet mich, ob ich euch nicht des Himmelsreichs Fenster auftun
werde und Segen herabschütten die Fülle“ (Maleachi 3, 10). Janßen aber hielt es
mit dem Zöllner Zachäus. „Als der Herr bei diesem eingekehrt war, sprach er:
Die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen“ (Luk. 19, 8).
Ein Mann nannte Janßen mit innigem Dank
seinen Vater. Seine Einnahme hatte er auf Janßens Anweisung in drei Teile
geteilt. Den ersten Teil brauchte er zum Lebensunterhalt, den zweiten lieh er
aus, den dritten Teil gab er den Armen. Nun war die Inflation gekommen. Was er
ausgeliehen hatte, war entwertet. Mit Tränen in den Augen erzählte er Janßen
seinen Kummer. Darauf Janßen: „Das ist schade. Aber vielleicht hast du noch zuwenig
gegeben. Versuche es einmal: gib die Hälfte Gott, und dein Gott wird dann fürs
Alter sorgen.“ Später konnte dieser Mann erklären: „Das habe ich geglaubt,
getan und erfahren. Ich bin Rentner und darf noch Freude am Geben haben. Obwohl
ich in Wilhelmshaven ausgebombt bin, habe ich es doch sehr gut.“
Janßen klagte in seiner großen Liebe sich
selbst bitter an, nicht genug für die Armen getan zu haben. In Fiebing
wohnte ein armer Schlucker, Lübbert Stein. Er war verlottert, verlaust und
bettelte, ein Spott der Leute, besonders der Kinder. Die Leute boten ihm nicht
gern einen Stuhl an, aus Furcht vor Ungeziefer.
Er kam zum Pastor mit der Bitte, ganz bei
ihm wohnen zu dürfen. Janßen konnte sich nicht entschließen „ja“ zu sagen. Ein
halbes Jahr darauf starb Lübbert Stein. Mit schmerzerfüllter Stimme rief Janßen
an dem Grabe: „0 Lübbert Stein, wenn auch sonst niemand mich am jüngsten Tage
verdammt, du bist es vielleicht, weil ich dir die Aufnahme verweigert habe.“
(H.)
„Habt ihr je Mangel gehabt“, so fragte der
Heiland seine Jünger, und sie antworteten: „Herr, nie!“ So hat der Herr auch
seinen treuen Jünger Janßen die lichtvolle Kehrseite der Armut um „des
Meisters willen“ reichlich erfahren lassen.
Als in der Inflation die große Geldentwertung viele aus ihrem Reichtum in eine schwer zu ertragende Armut gestürzt hatte, sagte Janßen: „Alle Menschen, die früher Geld hatten, sind jetzt unglücklich, weil sie ihr Geld verloren haben. Wie glücklich bin ich, daß ich alles verschenkt habe, nun brauche ich nicht zu sorgen.“ Es kamen die Hungerjahre der Nachkriegszeit. Der alte Pastor, der bereits im Ruhestande lebte, hungerte. Janßen. gebot seinem Dienstmädchen streng, nichts davon verlauten zu lassen. Das Mädchen aber erzählte bei einem Besuch in Strackholt, wie der alte Pastor darben müsse. Als die Strackholter das erfahren hatten, hieß es: „Unser alter Pastor muß hungern. Wir müssen helfen.“ Da hatte alle Not ein Ende. Mit Wagen kamen die Leute aus der alten Gemeinde und brachten Mehl, Butter, Brot, Käse, ja sogar Torf zum Brennen. Die Strackholter haben ihn in diesen Notjahren ganz unterhalten. Hinter seinem Hause floß ein Bach. Öfter pflegte er zu sagen: „Das ist mein Bach Krith! Ich lebe wie Elia am Bache Krith. Die Raben Gottes kommen und versorgen mich!“ Diese Raben kamen sogar von weit her geflogen. Es waren Dollarscheine aus Amerika von dankbaren Schülern seiner Missionsschule.
Die Zucht halten ist der Weg zum Leben
(Sprüche 10, 17)
Für Janßen gab es keinen Bereich, in dem er
nicht dem Geiste Gottes gehorchen wollte. Christus will unser Leibesleben
ebenso heiligen wie unsere Gedankenwelt. So sagt der Apostel: „Ich zähme meinen
Leib, damit ich nicht anderen predige und selbst verwerflich werde“ (l. Kor. 9.
27). Janßen wußte, daß Leib und Geist aufeinander einwirken und daß manche
Versuchungen des Geistes daher rühren, daß das Leibesleben nicht in der Zucht
des Geistes steht. „Remmer Janßen wollte dem Bösen, das im Körper aufsteigt,
durch Fasten wehren. Er ließ seinem Körper in der ersten Zeit nur das Nötigste
zukommen.“ Er wußte auch von der Bedeutung des Fastens für die Seelsorge, wovon
der Herr in dem Worte spricht: „Diese Art fährt nicht aus, denn durch Fasten
und Beten“ (Matth. 17, 21). Es besteht ein geheimnisvoller Zusammenhang
zwischen dem Fasten eines Seelsorgers und dem Weichen des bösen Feindes aus den
Seelen. In der Lebensbeschreibung von Johann Christoph Blumhardt (+ 1880) tritt
das deutlich hervor. Dieser schwäbische Pfarrer erlebte oft überraschende
Gebetserhörungen, wenn er mit dem Beten das Fasten verband. Ohne Zweifel hat
Janßen in der ersten Zeit das gesunde Maß überschritten. Die ernste Strenge
hielt er nur wenige Jahre aus. Der Preis, den er zahlen mußte, war ein gänzlich
ruinierter Magen und ein mit bösen Schmerzen verbundenes Nervenleiden.
Er war damals ein Mensch mit bleichen
Zügen, hohlen Wangen und tiefgebetteten Augen.
„Wer ihn sah, sprach mit dem Ausdruck
tiefsten Bedauerns von ihm, ja, man sprach sogar von seinem baldigen Ende.
Diese Finger! Zum Durchsehen! Dies schmale Gesicht ... ! Wir erschraken. Dabei
stand der große Umfang seiner Arbeit in gar keinem Verhältnis zu seiner
Leibesschwachheit. Er war manchmal zum Erschrecken müde und matt, geradezu
hinfällig. Doch dann konnte er nach kurzer Zeit wieder frisch und fröhlich
sein. Er selbst meinte ja von sich: ‚De Inholten sünd goot.’ (Das Innere, Herz
und Lunge, sind gut.) Daß aus diesem Asketen noch eine kräftige Männergestalt
geworden ist, erscheint wie ein Wunder.“ (v. Zwietering, Rustenburg,
Transvaal.)
Einige Male warnten ihn seine Nerven. Er
litt es ohne Murren. Doch schließlich empörte sich der Magen. Janßen krümmte
sich, lag zu Bett und mußte dem Gottesdienst fernbleiben. Dieses Muß schmeckte
bitter! Sicher war es ein göttliches Halt.
„Längere Zeit konnte er mit der rechten
Hand nicht schreiben und war gezwungen, linkshändig zu schreiben. In der ersten
Zeit seines Amtes, als Remmer noch ein ‚Renner’ war, konnte er überhaupt nicht
im Bett schlafen. Die Nerven machten ihn in der Bettwärme ruhelos. Da ließ er
sich vom Tischler den Schreibtisch in der Mitte ausbuchten. Zur Nacht stellte
er seinen Stuhl hinein; legte die Ellenbogen auf die beiden Seiten, die der
Tisch nun bekommen hatte. jetzt konnten sie den Kopf halten. So hat er
geschlafen! - Die Magennerven machten auch seine Ernährung schwierig. Er zeigte
uns einmal geröstete Feldbohnen, die er stets in den Manteltaschen hatte. Mit
ihnen stillte er ohne Beschwerden seinen Hunger.“
Janßens Arzt, Doktor Jilden in Remels,
verordnete ihm eine Kur in Wiesbaden. Janßen jedoch entgegnete ihm: „Dazu
brauche ich nicht zu verreisen. Hinter dem Hause habe ich Wiesen und Wasser zum
Baden: Da habe ich Wiesbaden.“ Er sagte zu seiner Haushälterin: „Der Arzt kann
viel verordnen! Ich kann es nicht verantworten, so viel Geld für mich
auszugeben.“ Die Haushälterin klagte ihre Not dem Arzt. Dieser erklärte ihm aber
kategorisch: „Herr Pastor, Sie haben gesagt, Sie könnten die Ausgaben für Ihre
Gesundheit nicht verantworten. Ich aber sage Ihnen: Wenn Sie nicht das Nötigste
für Ihre Gesundheit tun, liegen Sie mit Ihren 30 Jahren bald in der Erde und
faulenzen. Können Sie das verantworten?“ Das schlug durch. Etwas
Schlimmeres konnte sich Janßen wirklich nicht denken, als schon so früh
abtreten zu müssen. Ein Vierteljahr tat er keinerlei Dienst. Sein Körper hat es
ihm gedankt!
Im Jahre 1893 finden wir Janßen - seltsamerweise
- einmal im Nordseebad Langeoog. Das dürfte immerhin eine Ausnahme gewesen
sein. „Solange ich Janßen kenne, hat er weder Ferien gemacht, noch Kurorte
besucht“, schreibt C. Schomerus. „In der Kirche gibt es keine Ferien“, sagte
er. Wohl ging er im Sommer ein paar Sonntage weg, um auf Missionsfesten zu
reden. Sonst nahm er keinen Urlaub.
Seine Härte gegen den Körper sollte vor
allem der Seelsorge dienen. Für die Armen sparte er sich manche Genüsse vom
Munde ab. Die Kräfte des Leibes wurden rückhaltlos in den Dienst Gottes und der
Menschen gestellt. Er verwendete das ersparte Geld für die Heidenmission. Wie
oft sah man ihn unterwegs für andere, auf Gängen zu den Kranken. In der
weitverstreuten Gemeinde ist dies sicher sehr anstrengend gewesen. Wie oft auch
wurde er nachts herausgerufen zu den Kranken und Sterbenden! Wo er Not sah,
half er sofort.
Janßens Freund Christoph Schomerus erzählt:
„Als ich, noch ein Student, Janßen zum ersten Male in der Bahn sah, erblickte
ich einen Menschen mit bleichen Zügen, abgezehrten Wangen und tiefliegenden
Augen. Wie ganz anders ist das Bild des späteren Janßen - das Bild eines
freundlichen, gutgenährten Mannes, voller Milde und innerlicher Güte.“
Die Zucht hat Janßen letzten Endes nicht
geschadet, im Gegenteil: „Seine körperliche Rüstigkeit setzte später selbst
seine ostfriesischen Bauern in Erstaunen, z. B., wenn er sich, ohne den
Steigbügel zu benutzen, auf sein Reitpferd schwang. Er hat es lange Zeit
benutzt auf den Sandwegen seiner zerstreuten Gemeinde. Bei seiner Lebensweise
ist er über 80 Jahre alt geworden."
„Sein Gesundheitszustand war im allgemeinen
gut. Er hatte eine breite, kräftige Brust. Der muskulöse Hals trug einen
schönen, wohlgeformten Kopf, der von geistiger Kapazität zeugte. Sein Blut war
gesund und pulsierte in seinen Adern mit großer Lebhaftigkeit. Seine
Lebensweise war durchaus frugal (einfach) und kräftig. Sein kleiner Haushalt,
den eine Wirtsdiafterin leitete, bot ihm einfache ländliche Kost. Aber es gab
auch nahrhafte und kräftige Speisen. Alkoholika mied er sehr streng“
(Riechelmann).
Wie viele Pastoren seiner Zeit, war auch er ein starker Raucher. Als sein Arzt ihm riet, das Rauchen zu lassen, gab er dies von einem zum anderen Tage auf. „Eine ganze Nacht durchbetete er. Dann hatte er den Sieg.“ Diese Willensleistung setzte seinen Arzt in Erstaunen. Jaiißen verschenkte den restlichen Tabak an den Vater zweier seiner Pflegekinder, einen Arbeiter in Elberfeld. Bald jedoch hatte er wieder Rauchwaren in seinem Zimmer stehen für seine Gäste. Er selbst verzichtete. So hat sein Körper ihm gedient, wie ein edler Renner seinem Herrn.
Daß dieser Mann nie „den Pastoren ablegte“, sei gleichsam am Rande vermerkt. „Er war immer Pastor.“ „Geheiligt dem Herrn“ war er auch in so äußeren Dingen wie der Kleidung. Es gibt eben nichts Äußeres, das nicht ein Spiegel des Inneren wäre. „So trug er auch immer den schwarzen, oben zugeknöpften Gehrock mit weißer Halsbinde. Auf keinem Bild sicht man ihn anders. Das war für ihn eine selbstverständliche Äußerlichkeit.“
Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit
(l. Korinther 1, 30)
Was Janßen als Student geschrieben hatte,
ist ihm Lebensregel geworden: „Das Studium macht mir große Freude, soweit es
sich wirklich um die Erkenntnis der Wahrheit und des Lebens handelt. Es wird
mir langweilig und unerträglich, wenn es in eine schwankende Kritik und
lebensleere Schulweisheit übergeht.“ Janßen studierte bis in sein hohes Alter
hinein. Seine Theologie war gebetete Theologie. „Er besaß alle wichtigen
theologischen Bücher.“ „Auf seinem Schreibtisch lagen die neuesten Werke.“ „Er
beherrschte das jeweilige theologische Gespräch vollkommen.“ In einer dem Leben
aus Gott entfremdeten Theologie sah er eine Wegbereiterin kommender Gerichte Gottes
und sagte: „Wenn diese Eier, die viele Professoren, Pastoren, Doktoren und
andere Toren gelegt haben, einmal ausgebrütet sein werden, werden wir sehen,
was für Basilisken herauskommen.“ Aber ehrfürchtige Theologie liebte er.
„Manchen Examenskandidaten hat er bei seinen Prüfungsarbeiten beraten.“
Professor Ihmels äußerte, man könnte sich mit janßen über jede theologische
Frage gewinnbringend unterhalten. „Auf den Pfarrkonferenzen bildeten Vorträge
Janßens Glanzpunkte wegen ihrer Durchsichtigkeit. Nach einem Vortrag Janßens
auf der Konferenz der 9. Ostfriesischen Inspektion, zu der Strackholt gehört,
sagte Generalsuperintendent D. Süßmann, er käme jedesmal mit großen Erwartungen
nach Großefehn, wenn Janßen ein Referat habe, aber diesmal sei seine Erwartung
noch übertroffen worden."
Man hatte bei Janßen den Eindruck: „Dieser
Mann sieht mehr als andere Menschen.“ Er hat oftmals gesagt: „Der Glaube ist
ein sechster Sinn, weit über alle Sinne hin.“ So lebte Janßen im Angesichte der
oberen Gemeinde, die den Kampf überstanden hat und nun am Ziel ist. Er wußte
aber auch um die Realität eines Reiches der Finsternis, verkörpert in Satan und
seinem Anhang. Ab und zu schenkte Gott ihm solch einen „prophetischen“ Blick.
Als der Familie Sikke Lambertus der siebente Sohn geboren wurde, sagte Janßen:
„Der wird Pastor.“ Aus der Arbeiterfamilie Lambertus mit zehn Kindern wurden
zwei Söhne Pfarrer.
Ein Mann äußerte einmal gegenüber Janßen,
daß ihm erst eine Ader im Gehirn springen müßte, ehe er an die Geburt des
Heilands von der Jungfrau Maria glauben könne. „Ganz recht“, entgegnete Janßen,
„die Vernunftader muß Ihnen noch springen.“ Dann sagte er weiter, daß Gott noch
viel Trübsal über ihn verhängen und ihn so zum Glauben bringen würde. Janßens
Voraussage ist wunderbar in Erfüllung gegangen. Aus dem Kritiker wurde ein
gläubiger Bekenner, der im Dritten Reich seine Glaubenstreue bewiesen hat und
dessen Andenken in Liebe und Verehrung fortlebt. Das ist der tieffromme
ehrwürdige Konsistorialrat Friedrichs in Aurich gewesen.
Da liegt in Spetzerfehn ein Konfirmand im
Sterben. Er freut sich über den Heimgang. Janßen bittet ihn: „Wenn du oben
bist, dann bete für mich, daß ich das Netz recht vollkriege.“ „Das will ich
tun“, antwortete der Sterbende (wie die Mutter des bald Entschlafenen später
erzählte). Dieses Bewußtsein von der langen, langen und zugleich so nahen
Ewigkeit, der Wirklichkeit von Himmel und Hölle, gab Janßen in seiner Arbeit
die Dringlichkeit, aber auch jene letzte Klarheit und Sicherheit.
Wir haben aber solchen Schatz in irdenen
Gefäßen, damit die überschwengliche Kraft sei
Gottes und nicht von uns
(2. Korinther 4, 7)
Janßen hatte - wir wir alle - seine
Schranken und Grenzen! Was ihm zu fehlen schien, war der Sinn für die Kunst. Wie
herrlich ist ein Gotteshaus, das mit guter Kunst geziert ist! Janßen ließ zwar
gleich im ersten Jahr seiner Wirksamkeit den „Ort, wo Gottes Ehre wohnt“,
erneuern. Aber er hatte keinen Ratgeber, und so glückte die Erneuerung nicht
ganz.
Janßen hat in den späteren Jahren bedauert,
daß er leichte Singweisen alten kernigen vorgezogen habe. „Hätte ich doch mehr
Musik und Kunstgeschichte studiert“, sagte er zu seinem Lehrer Baumfalk. - An
echter Kunst hatte er aber auch seine Freude. Über eine von Gott losgelöste
Kunst äußerte er: „Die Künstler verderben die Kunst.“
Eine merkwürdige Erscheinung bei dem
eifrigen Seelsorger war, daß es ihm am 0rtssinn fehlte. So stand er
einmal in dem gewiß doch sehr übersichtlichen Bahnhof Leer, ohne sich
durchfinden zu können. Einen Amtsbruder, den er sah, begrüßte er mit Freuden:
„Du kommst mir wie ein Retter. Wie komme ich hier nur heraus?“ Als er in
Ochtelbur im Ruhestand war, besuchte er öfter in dem nahen Riepe die Pastorei.
Das Pfarrhaus war durch eine Baumallee vor dem Hause und auch sonst leicht zu
erkennen. Aber immer fragte Janßen doch ein Kind: „Sag einmal, Kind, wo wohnt
hier euer Pastor?“
Ein Gewährsmann sagte in dieser Hinsicht:
„Merkwürdig war, daß er sich in ganz bekannter Umgebung nur schwer zurechtfinden
konnte. Er irrte oft in den Wegen, die er einschlug, selbst in den Zimmern ihm
gut bekannter Häuser. Man erzählte davon kuriose Einzelheiten.“
Janßen selbst bemerkte einmal scherzend:
„Es gibt Innen- und Außenmenschen, und wir Janßens sind Innenmenschen.“ Sein
mangelnder Ortssinn war in Wahrheit der Zeuge einer straffen, inneren Sammlung.
Bei Janßen war eben sein Beruf alles, so daß er manches andere Wichtige darüber
vergessen konnte. Es klingt unwahrscheinlich und ist doch die Wahrheit: Dieser
sehr gütige Erzieher führte einen schweren Kampf gegen seine Anlage zur
Heftigkeit, zum Jähzorn und gegen seine Nervosität. „Konnte ein Kind im
Unterricht nicht folgen oder störte es, so konnte Pastor Jarißen sich gewaltig
aufregen. Wir merkten es ihm an, wie er dann darunter litt und danach einem
Kinde, das er gestraft hatte, mit doppelter Liebe entgegenkam. Wir liebten
ihn.“
„Auf Remmer Janßen konnte man das Wort des
Apostels Paulus anwenden: Wir haben unseren Schatz im irdenen Gefäß, damit die
überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns' (2. Kor. 4,7).“
Das ostfriesische Volk spricht ein hohes
Lob für einen Prediger aus, wenn es sagt: „He steiht darachter.“ (Er steht
dahinter.) Dieses Zeugnis stellten ihm alle aus, seine Gegner nicht weniger als
seine Freunde und Anhänger. Ein Gemeindeglied erzählte, daß Janßen einmal mit
strahlenden Augen in einem Gottesdienst gesagt habe: „Ich stehe nicht allein,
mein König steht hinter mir.“ Seine schlichten, von oben eingegebenen Worte
schlugen oft wie Blitze ein. Er hatte eben „Vollmacht“. Das Konsistorium in
Aurich sah gewiß richtig, wenn es ihm das Zeugnis ausstellte: „Janßen hat
offenbar die Gabe, den einfachsten Worten und Gedanken einen solchen Nachdruck
zu verleihen, daß sie die Einwirkung auf Herz und Gemüt nicht verfehlen.“ Er
war einer von den gesegneten Menschen, die erkennen, wie Großes Gott in ihnen
und durch sie wirken wird, wenn sie sich ganz der Führung durch Gott
überlassen.
Ihr werdet meine Zeugen sein
(Apostelgeschichte 1, 8)
Es gibt einen gewaltigen Unterschied
zwischen einem Zeugen und einem Referenten. Ein Zeuge ist mehr als ein
Referent. Letzerer kann die biblischen Wahrheiten zwar wiedergeben, aber sein
Wort zündet nicht. Ein Zeuge sagt, was er persönlich erfahren hat. Ein solcher
war Janßen. Es lag in seinem Wesen etwas Ganzes, er kannte keine Halbheiten.
Sein Lebensziel war, Christus in sich Gestalt gewinnen zu lassen. Alle seine
reichen geistigen Gaben setzte er schonungslos ein, um auch seine Mitmenschen
für Christus zu gewinnen. Dieses Herzensanliegen war irgendwie seinem Gesicht
abzulesen. Wer immer diese Schrift zu lesen verstand, wurde erfüllt von einem
ehrfurchtsvollen Staunen; er fühlte sich angetrieben zur Nacheiferung oder
Ablehnung – oder sogar zum Haß. Wer die Finsternis mehr liebt als das Licht,
meidet das Licht und möchte es verdunkeln und ihm die Leuchtkraft nehmen. So
ist es nicht verwunderlich, daß man auch bittere Kritik an Janßen übte. Man
warf ihm vor, er sei weltfremd, voreingenommen gegen abweichende Ansichten
anderer, zu einseitig in seinem Urteil, ja geradezu verletzend und taktlos in
seinen unbesonnenen Außerungen. Indessen ließ sich Janßen durch solche Vorwürfe
keineswegs irremachen. Wo die innere Stimme ihm gebot, zu reden, redete er kühn
und mutig und nahm zuweilen auch kein Blatt vor den Mund. Aus schwarz machte er
nicht weiß, aus sauer nicht süß. Wo er glaubte, im Dienste seines Herrn zeugen
zu müssen zu Gottes Ehre und nach dem Worte der Heiligen Schrift, scheute er
kein Ansehen der Person und strafte weltliches Leben und Treiben mit den
schärfsten Worten, ohne es mit dem „Mantel der Liebe“ zuzudecken.
Sein Verhalten wäre nur dann kritikwürdig
und verletzend gewesen, wenn er sich selbst dabei zum bloßen Richter über
andere gesetzt hätte und wenn nicht sein persönliches Leben hinter seinen
Worten gestanden hätte, wenn er selbst ein Mann nur des Wortes, nicht aber der
Tat gewesen wäre. Doch in diesem Ruf stand er wahrhaftig nicht. Er fühlte tief
und schmerzlich die Macht der Sünde im eigenen Herzen und litt unsäglich unter
dem Zweikampf der beiden Seelen in der eigenen Brust. „Ich habe ihn oftmals,
bevor er zum Gottesdienst oder zur Amtshandlung ging, auf den Knien liegen
sehen. Seine Worte waren echt und wahr.“ „Alle Gaben Gottes konzentrierte er
gewissermaßen zuerst auf sich selbst im ständigen Kampf wider das eigene
Fleisch und Blut, um sie dann geläutert und rein einsetzen zu können für die
Arbeit an den Seelen. Sie zündeten wie Sonnenstrahlen, wenn sie in einem
einzigen Brennpunkt vereinigt sind. Er selbst trug die selige Gewißheit in
sich, durch Christi Blut erlöst zu sein. Die Liebe zu seinen Mitmenschen wurde
die treibende Kraft, die ihn unablässig anspornte, sich für die Rettung ihrer
Seelen einzusetzen und zu opfern. Mit welchem Eifer er sich diesem Werke
hingab, ist mit Worten nicht zu schildern. Man muß ihn selbst gesehen und
gehört haben. Er war ganz Feuer und Flamme. Aus seinen Augen glühte helle
Begeisterung. Über seine Lippen ergoß sich wie ein Lavastrom die vernichtende
Glut des Verdammungsurteils über die Sünden und Schändlichkeiten der gottfernen
Welt. Wenn es galt, zu warnen, ging ein Zittern und Beben durch alle Glieder
seines Leibes. Seine ganze Natur war dann in größter Aufregung.“ „Oft raste
sein heiliger Zorn wie ein Sturm daher, so daß sich die Leute duckten.“ „Oft
konnte er aber auch so sonnig predigen, daß Leute fröhlich auflachten, und es
konnte sein, daß sie im nächsten Augenblick wieder tieferschüttert waren“
(Schw. 1962). Das schlichte Gebet, das sich an die Predigten anschloß, war wie
ein Widerschein der inneren Kämpfe, die er selbst durchlebt hatte, und der
geistigen Geburtsschmerzen, die der Predigt vorangegangen waren. Janßen erfuhr
an sich selbst die Schmerzen, von denen Paulus als von geistigen Geburtswehen spricht,
„damit Christus in euch Gestalt gewinne“ (Gal. 4, 19). Er sagte öfter, sein
Körper sei nach dem Sonntagsgottesdienst erst am Mittwoch wieder in Ordnung.
Man mag das kaum glauben. Eine Hausgehilfin aber bezeugt: „Es war schrecklich.
Erst am Mittwoch oder am Donnerstag war er für seine Hausgenossen zu
gebrauchen.“ Nach jeder Predigt war er ganz durchgeschwitzt. Zwischen Predigt
und Schlußliturgie brachte ihm ein Kirdienvorsteher frische Wäsche in die
Sakristei, die Janßen dann anzog, um sich vor einer Erkältung zu schützen.
Janßens Predigten waren die Frucht eines außerordentlichen Fleißes. Manche Predigt hat er dreimal aufgeschrieben. Von Sonnabendmittag an schloß er sich ganz ein. Im Sommer studierte und betete er draußen in seinem Gartenhäuschen, das im benachbarten Gehölz, nahe dem Friedhof stand. Dann war er - außer in dringenden Fällen - für niemanden zu sprechen. Janßens Nachfolger, Pastor Schnuis, konnte feststellen: „Jede Predigt hat Janßen in Kladde geschrieben und dann in Reinschrift, jede Konfirmandenstunde ist bis zum Eingangs- und Schlußgebet ausgearbeitet. In seinem Schrank lagen sauber geordnet 44 Jahrgänge Predigten und Konfirmandenstunden.“ „Vor jeder Leichenrede nahm er sich zwei bis drei Stunden Zeit, in denen er für niemanden zu sprechen war.“ Dabei stand Janßen über dem Konzept. Er hielt sich nicht daran, sondern er predigte frei, so daß die Zuhörer manchmal den Eindruck hatten: Es wird ihm von oben gegeben’.“
Tut Buße!
(Markus 1, 15)
Drei Predigtanliegen bewegten Janßen:
Erstens Buße und Erweckung, dann Bekehrung, drittens Heiligung und Mission. Die
Predigt „Sauli Bekehrung“ zeigt dies deutlich. „Ich habe nie wieder eine Anrede
an die Hörer gehört, die so von heiligem Ernst und strahlender Liebe zeugte,
wie bei Pastor Janßen. Er fing die Predigt so an: Geliebte in dem Herrn! Liebe
Brüder und Schwestern in Christo Jesu!“ So berichtete ein
Fünfundsiebzigjähriger vierzehn Tage vor der Drucklegung dieses Buches (1973).
Sein erstes Anliegen war die Erweckung aus dem geistlichen
Schlaf. Dazu dienten ihm Gesetz und Evange1ium. „Gesetz und Evangelium
waren ihm Nadel und Faden.“ Erst muß die Nadel vorangehen, muß stechen, ehe der
Faden folgen, verbinden kann. Wo keine Nadel vorangegangen ist, kann der Faden
nichts ausrichten. Wo die Seelen nicht durch die Predigt vom Gesetz, von der
Heiligkeit und dem Gericht Gottes erschüttert sind, richtet auch das Evangelium
nichts aus. Das Gesetz allein wiederum kann wohl Wunden verursachen, aber nicht
heilen. Darum predigte Janßen die frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu den
Sündern in Christus Jesus.
Er predigte also zunächst das Gesetz zur Buße und Erweckung.
Dabei war das Thema die Hölle und ihre Entsetzen erregende Furchtbarkeit.
Himmelreich, Hölle, Glut und Teufel waren ihm keine mittelalterlichen Märchen,
sondern Dinge, so gewiss wie die irdischen Zuchthäuser. Da sind die Dämonen,
deren satanisches Wirken unsere Tage verfinstert, die sich der Menschen
bemächtigen und Besessene aus ihnen machen. Er sah sie allerdings im Kampf mit den
heldischen, gottestreuen Engeln stehen. Wie verwahrte er sich dagegen, auch nur
eine Partei verniedlicht zu sehen. Pausbäckige, geflügelte Engel und
überlistete dumme Teufel? Wer die hintergründige Welt so sah, der kannte weder
die Bibel, noch wusste er um den Kampf des Lichtes gegen die Finsternis.
Janßen predigte also das heilige Gesetz
Gottes, um zur Buße und Erweckung zu führen. Über die Hölle und ihre Schrecken
und über das jüngste Gericht predigte er so ernst, daß der Zuhörer ahnte,
dieses alles könnte morgen schon für ihn hereinbrechen. Sünden deckte er
schonungslos auf und zeigte, wie der heilige Gott sie ansieht. Was in der
Gemeinde an Ungerechtigkeit vorgefallen war, kam schonungslos auf die Kanzel,
auch wenn es sich um einen Reichen handelte. „Wer also ein schlechtes Gewissen
hatte, scheute sich, zur Kirche zu gehen. Doch konnte er auch nicht wagen,
wegzubleiben, weil das die Sache nur verschlimmerte.“
Er blieb auch in den Leichenreden bei der Wahrheit. Für jeden Prediger
können Leichenreden leicht eine Versuchung zur Lobrednerei und Schönfärberei
werden, von denen es darum im Volke heißt: „Leichenreden - Lügenreden!“ Die
Furcht vor Gott legte sich nach Leichenreden Janßens auf die Versammlung, oft
so erschütternd, daß Menschen bange wurde. In Janßens erste Amtszeit fallen die
folgenden Begebenheiten. In Strackholt fand einmal in Gegenwart von Vertretern
der Behörden die Leichenfeier für einen angesehenen Einwohner statt, dessen
Leben wenig christlichen Geist verraten hatte. Janßen klopfte an den Sarg und
rief: „Er brennt schon!“ Pastor Möhlmann, Emden, berichtete: „Bei einer
Beerdigung im Jahre 1882 klopfte Janßen hart auf den Sargdeckel und sprach
dabei recht harte Worte, so daß wir entsetzt waren. Am 28. Januar 1882 wandte
sich Janßen auf einer Trauerfeier an die einzelnen Trauergäste und rief,
herumzeigend: ‚Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht lebendig
bleiben.’ Ein Mann, den er namentlich anredete, wurde totenblaß. Das Entsetzen
wurde auch nicht geringer, als Janßen fortfuhr: ‚Ich meine es ja gut’.“ Diese
Predigt trug Janßen eine Anzeige beim Landeskirchenamt ein. Sein Superintendent
Bode trat aber ritterlich für ihn ein.
„In späteren Jahren hat Janßen manches
anders gemacht. In seiner ersten Zeit mußte er so handeln.“
Ein Mann hatte während seiner Krankheit
Janßens Besuche als nicht passend abgewiesen. Die Leichenfeier war stattlich.
Der Landrat und andere Herren waren zugegen. Jarißen predigte über Apg. 24, 25:
„Gehe hin auf diesmal, wenn ich gelegene Zeit habe, will ich dich wieder rufen
lassen.“ Er sprach von der Gelegenheit, die nicht wiederkehrt, und von dem
Ernst der Ewigkeit.
Seine Predigtregel hieß:
„Das ‚Du’ und ‚Ihr’ wend’ öfters an.
Mit Nathan sprich: ‚Du bist der Mann’.“
In einer seiner Predigten sagte Janßen: „Du
Heuchler kommst des Sonntags in die Kirche, um dich in der Woche darüber lustig
zu machen und deine fromme Frau zu peinigen! Du brauchst dich nicht zu wundern,
wenn deine gute Frau plötzlich von dir genommen wird. Dann wirst du dir herzzerreißende
Vorwürfe machen. ‚Oh, hätte ich besser an ihr gehandelt!’“
Ein Mann, von dem Janßen gar nichts wußte,
sah sich durch diese Worte demaskiert. Der Eindruck wurde noch vertieft, als
seine Frau unerwartet verschied.
Janßen predigte in einer Vakanzzeit in
Timmel. Da er die Sünden deutlich beim Namen nannte, waren verschiedene Leute
so beleidigt, daß sie unter der Predigt aus der Kirche gingen. In einer
Wirtschaft zogen sie dann über Janßen her. Ein Mann, der davon erfahren hatte,
wollte am nächsten Sonntag auch in die Kirche gehen. Er wurde gewarnt. In der
Predigt rief Janßen, der den Gast nicht kannte: „Du, lieber Mann, bist in den
besten Jahren. Deine Bosheit ist so groß, daß du bald in die Hölle gestoßen
wirst.“ Das hat den Mann so getroffen, daß er mit Tränen zu ihm kam, Janßen
betete mit ihm, und dieser Mann kam zum Glauben an Christus. Fortan pilgerte er
mit Freuden den langen, einige Stunden weiten Weg von Timmel nach Strackholt zu
Janßens Gottesdiensten.
Rücksichtslos ging der Pastor auch dein
Alkohol zu Leibe. Es gab damals acht Branntweinstokereien in der Gemeinde, in
denen Schnaps gebrannt wurde. Alle Stokereien gingen ein. „Janßen ging in die
Gaststätten und fegte die Gläser vom Tisch herunter. Er predigte oft: ‚Alkohol
- Teufelstrank – Höllenwasser’.“ Der Alkohol wurde auch von Frauen aus
Teetassen getrunken, daher ‚kalter Tee’ genannt. Trat Janßen in eine Stube ein,
in der Frauen um die Teekanne saßen, dann fragte er wohl: Wat hewt ji in'n
Teepott?' (Was habt Ihr im Teetopf?) und forderte: ‚Schenkt mir auch davon
ein.’ So kam der Betrug zuweilen ans Licht. Es war dann meist der letzte
Alkohol, den diese Frauen tranken.
Zwei Brüder gab es, die nicht arbeiten
wollten. Sie bettelten und vertranken dann das erbettelte Geld. Als einer von
den beiden starb, ließ Janßen singen: ‚0 Ewigkeit, du Donnerwort’.“
„Ein andermal hatte sich ein Trinker im
Rausche das Genick gebrochen. Janßen predigte: ‚Er brennt in der Hölle!’ Das
war gewiß für die Angehörigen sehr schwer. Später hat Jarißen solche Härten
vermieden.“
„Einst trat er in eine Stube, in der drei
Frauen ihren ‚kalten Tee’ - den Alkohol - tranken. Er begrüßte sie: ‚Guten
Abend, Ihr vier!’ ‚Aber’, entgegneten diese, ‚wir sind doch nur drei!’ Jarißen
antwortete: ‚Der Teufel sitzt mitten unter euch’.“
Ein Gastwirt in Voßbarg war durch eine
Predigt Janßens recht erschüttert worden. Er erkannte, daß er mit seinem
Geschäft viel Tränenschuld auf sich geladen hatte. Zu Hause angekommen, ging er
in den Keller, zog den Hahn am Alkoholfaß auf und ließ den Alkohol in den
Keller laufen. Die Wirtschaft gab er auf. – „Den Alkohol nannte Janßen
Teufelsblut.“ (-r-)
Mit großem Ernst warnte Janßen vor den
Schlichen des Satans. Einmal rief er in der Kirche von Rhaude: D“er Teufel
sitzt heute auf der Kirche und paßt auf, daß ihr euch nicht bekehrt. So sitzt
er immer auf der Kirche und steht am Ausgang und geht mit euch fort. Nur in N.
nicht (dabei nannte er den Namen der Gemeinde). Da sorgt der Pastor schon
dafür, daß die Menschen sich nicht bekehren.“ Seine Amtsbrüder schonte er
nicht. So konnte er einmal sagen, daß schlechte Pastoren in der Hölle den
untersten Platz haben würden.
Kein Wunder, daß er als ein Mann galt, der
Vollmacht hatte. „An einem heißen Sommertage, an dem man die Kirchentür
offengelassen hatte, geschah es unter der Predigt, daß eine arme Frau, offenbar
eine Geistesgestörte, hereinkam, die sonst im Dorf viel Lärm machte. Die Arme
lief den Gang entlang. Janßen hörte im Reden auf, faßte den Eindringling scharf
ins Auge, aber sagte kein Wort. Gegen ihre Gewohnheit war die Frau völlig
still. Sie stieg zum Erschrecken der dichtgedrängten Gemeinde zur Kanzel und
reichte Jarißen ein paar Eier. Jarißen nickte ihr zu, als wollte er sagen:
‚Danke schön.’ Alles ohne Worte. Die Frau stieg ruhig die Kanzel hinab und ging
ebenso ruhig aus der Kirche heraus. Jetzt setzte Janßen da wieder ein, wo er
aufgehört hatte, als wenn nichts Besonderes vorgekommen wäre. Viele glaubten,
Jarnen habe Macht über die Geister, und in gewissem Sinne stimmte das auch.“
„Bei einer Kirchenvisitation war Landrat
Neupert zugegen. Diesem entfuhr das Wort: ‚Herr, Jes . . .’ Jarißen entgegnete:
‚Herr Landrat, das ist ein unbedachtes, unpassendes Wort!’ In der Unterhaltung
fiel wieder dieses Wort. ‚Herr Landrat, Sie haben wieder geflucht.’ Als der
Landrat auf dem Heimwege war, sagte er: ‚Ich konnte dem Manne nicht böse sein,
so freundlich war er’.“
Gelegentlich traf er ein Kind, das für den
Vater Schnaps geholt hatte und denselben unter der Schürze trug. Janßen griff
die Flasche und schleuderte sie weg. Man spürte die rettende Liebe und beugte
sich. Ein Neffe, der 1899 ein Jahr in Janßens Hause war, erzählt: „Das war die
schönste Zeit meines Lebens. Ich kam aus einer Gegend, in der der liebe Gott
verlacht und verspottet wurde. Das ‚Herr Jes . . .’ habe ich nur einmal gesagt.
,Mien Jung, mut lew Gott darünner lieden? Kannst du dat denn nich ook anners
segen?’ sagte Onkel in solcher Liebe, daß ich mich schämte und dieses Wort nie
mehr unbedacht und leichtsinnig aussprach.“
Man warf Janßen vor, er mache es zu
schlimm. „Wenn er in Fahrt kam, ging er oft zu weit. Die Leidenschaft ging mit
ihm durch. Sein hitziges Temperament riß ihn mit.“ Janßen meinte: „Es sei
besser, aus Liebe zu Jesus mit Petrus ein Ohr abzuschlagen, als nichts zu tun.
Der Heiland habe das Ohr wieder geheilt.“ Doch siegte zuletzt die Liebe über
sein Temperament.
„In einem Witzblatt war Janßen abgebildet
als ein Mann, der mit einer großen Schaufel in der Hand vor dem Feuer der Hölle
stand und mit der Schaufel die Seelen aus dem Feuer holte und in den Himmel
warf.“
„In den Gottesdiensten wurden zuweilen
Regierungsbeamte aus Aurich gesehen. Da Beschwerden eingegangen waren, sollten
sie die Predigt überwachen. Sie fanden nichts. Es war nichts einzuwenden“ (A.
v. Halle).
Lic. Ludwig Thimme hörte Janßen vor etwa 85
Jahren. Er schrieb um 1945 an den Herausgeber (P. Mindermann): „Fast alle
Predigten, die ich vor Jahrzehnten hörte, habe ich vergessen, die von Janßen
nicht. Er predigte von den Saatkrähen, die hinter dem Samen herfliegen und den
Samen stehlen. Es war beängstigend, wie er predigte. Die Leute bekamen es mit
der Angst zu tun, so predigte er Buße und Gericht. Es gab keinen Landstrich in
Deutschland, wo man solche Sorge um das Seelenheil trug wie in Ostfriesland.“
Die Angesprochenen seiner Bußpredigten
waren nicht nur die unbekehrten Menschen, sondern auch die bekehrten
Christen. Heftig zog er gegen den Geiz zu Felde. „Den Schnapsteufel habe
ich euch ausgetrieben, der Geldteufel aber ist eingekehrt.“ Auch gegen die
Putzsucht eiferte er mit Macht. Über 1. Petrus 3, 3: „Der Frauen Schmuck soll
nicht auswendig sein mit Haarflechten und Goldumhängen“ predigte er so
eindrücklich, daß eine Frau aus Ostgroßefehn ihre Haarflechten abschneiden
ließ, sie verkaufte und den Erlös an die Mission gab. Es ist aber kennzeichnend
für Janßen, daß er vor besonders ernsten Predigten dieser gehorsamen Frau
bedeutete: „Diesmal mußt du zu Hause bleiben, das ist nicht für dich!“ So wußte
er den Ernst zu mäßigen. Das Haus, in dem dieses Opfer des Gehorsams gebracht
wurde, das möchte der Herausgeber (P. Mindermann) persönlich bezeugen, ist bis
heute (1973) ein Haus gewesen, in dem vielen Gästen Jesus begegnete.
Remmer Janßen hat in seiner Jugend in hitzigem
Eifer und Überdruß die Schule, das Gymnasium in Aurich, eine Zeitlang
verlassen. Sein Direktor Reuter holte ihn mit Liebe und Güte zurück. Janßen hat
seinem guten Direktor zeitlebens gedankt und gesagt: „Im Himmel werde ich
meinen frommen Lehrer wiedersehen.“ Später hat Reuter seinen Schüler in
Strackholt besucht. Staunend stand er vor dem, was unter Janßen geschah. Auf
Fragen nach der Ursache solchen Segens gab er die Antwort: „Das kommt von der
Liebe.“
Der jüngere und der ältere Janßen müssen
füglich auseinandergehalten werden.
Jarißen ist seinem eigentlichen Wesen nach
immer der gleiche geblieben. „Sein Charakter war ‚indelebilis’, d. h.
unzerstörbar“, sagte sein Amtsbruder Paul Köppen von ihm, der jahrzehntelang im
gleichen Kirchenkreis war und mit ihm zusammenarbeitete. Aber Janßen selbst
sagte später: „Früher habe ich mehr das Gesetz gepredigt, jetzt predige ich
mehr das Evangelium.“ Man braucht nur ein Bild des jungen Pfarrers neben ein
Bild des alten Janßen zu halten, um dies zu erkennen. Sein Jugendbildnis zeigt
die tiefliegenden Augen eines Eiferers für seinen Herrn, das des
Siebzigjährigen sonnige Güte. Der junge Janßen erinnert noch an den Donnerssohn
Johannes (Markus 3, 17), der ältere an den Liebesjünger Johannes.
Nehmen wir nun noch die Jugendzeit Remmer
Janßens hinzu, so erkennen wir drei Gesichter.
Da steht seine unbekümmerte Jugend vor uns:
sorgenlos und problemlos. Er ist ein lebensprühender, begabter Schüler, der den
Lehrplan spielend bewältigt und in der Freizeit seine überschüssige Kraft in
die üblichen Bahnen lenkt. Sinn und Leib sind dem irdischen Leben völlig
verhaftet, und wie allen jungen Menschen, so steht auch ihm die Welt mit
märchenhaften Schätzen und Möglichkeiten offen. Bis - jäh wie ein Hagelschlag -
der Geist Gottes ihn erfaßt, ihn durchleuchtet, durchglüht - ihn vom
„Satanskind zum Gnadenkind“ erhebt, um Janßens eigene Worte zu gebrauchen.
Und damit zeichnet sich der neue Mensch ab, der Bekehrte
und Eiferer. Sein Gesicht ist blaß, streng seine Züge. Aus der Tiefe
brennen die hellen und klaren Augen. Er fastet. Er ringt. Er ist Angeklagter
und Kläger zugleich. Seine Worte sind schneidend wie Glas. Er führt den
Menschen vor Augen, wessen sie im Jenseits so oder so gewiß sein werden, und
worum es in diesem vergänglichen Erdendasein letzten Endes geht. „Seht her!“
ruft er ihnen zu. „Dies ist das Bild, wie ich es sehe!“ Und sie schauen in
grelle, schreiende Farben, daß ihre Augen gepeinigt sich schließen und
ängstlich forschend nach innen sehen. Wer ihn mit beschwerten Gewissen zu hören
kam, der gewann seine Ruhe nicht eher zurück, bis daß er sich sein Last
entledigt und der Gnade Gottes vergewissert hatte.
Das ist der Janßen, den wir oben zu schildern versuchten. Und
etwas von dieser Art wird weiterhin sichtbar bleiben, wenngleich sich das Bild
allmählich verschiebt. Was sich jetzt formt, ist „Pastor Janßen“, der weise,
ältere Mann, dem die Güte aus den Augen leuchtet, der lauter Liebe und
guter Helfer ist. Jener Hirte, dem die verkommenste Seele für Jesus zu gewinnen
höchste und schönste Aufgabe ist. Und dieser gereifte, um alles Menschliche
wissende Seelsorger ist es, an dem die Gemeinde mit der gleichen Liebe und
Inbrunst hing wie er an ihr und dessen sich mancher später noch erinnerte, wenn
es hieß „Damals, als Pastor Janßen ...“
Ein Leisetreter ist Pastor Janßen nie geworden. „Gegen den
alten Adam und dessen Lebensäußerungen wurde er in seiner Verkündigung
stellenweise so ausfällig, daß gewiß die Hörer diese Äußerungen von anderen
Predigern nicht entgegengenommen hätten. Ihm gestand man diese Freiheit zu –
und – kam wieder, zu hören. Die Wirksamkeit dieses Zeugen beruhte darauf, daß
auf ihm die Salbung des Heiligen Geistes lag.“
Gesetz und Evangelium sind beide Gottes Gabe,
die wir zu unserm Christentum beständig nötig haben.
Doch bleibt ein großer Unterschied,
den nur ein solches Auge sieht,
das Gottes Geist erleuchtet.
So wurde Janßen auch zum Prediger des
beglückenden Evangeliums von Jesus, der den Sünder annimmt.
Ich will ausgießen meinen Geist über alles Fleisch,
wer des Herrn Namen anrufen wird, soll errettet
werden
(Joel 3, 1.5)
Janßen konnte wirklich Menschen aufrichten, die in Sündennot waren! Kobus Buhr in Fiebing erzählte aus seiner Jugendzeit: „Ich wollte nicht zur Kirche, aber ich mußte hin. Es zog mich dorthin, wie ein Magnet. Ich trug mich mit Selbstmordgedanken und hatte den Strick oftmals in der Tasche. Satan stand neben mir. In der Predigt rief Janßen: ,Und wenn Satan vor dir steht und zeigt auf den Strick, hier ist Jesus der Sieger!’ Erschüttert ging ich aus der Kirche und fragte: ‚Woher wußten Sie, Herr Pastor, was ich vorhatte?’ Janßen entgegnete: ‚Ich habe nichts davon gewußt, aber der Heilige Geist.’ Dann haben wir zusammen auf den Knien gebetet. Der Herr hat mich angenommen. Seitdem sind 70 Jahre vergangen. Janßen hat mich später ermutigt mit den Worten: ‚Der Geist Gottes sagt mir, daß du Gottes Kind bist. Daß du immer Gottes Kind bleiben wirst, darüber gibt er mir keine Gewißheit’.“ „Das treibt mich viel in das Gebet hinein“, so fuhr der Erzähler fort.
Janßen konnte sich herzlich freuen, wenn
Menschen in Jesus den Frieden gefunden hatten. „Wenn ein Mensch zum Frieden
kommt, dann ist das wert, daß mit allen Glocken geläutet werde.“
Janßens Predigten brachten viele suchende
Menschen in sein Haus. Oftmals kniete der Pfarrer mit ihnen nieder, betete
ihnen die Worte vor, die sie nachsprachen. Wie glücklich waren Besucher und
Pastor, wenn Friede mit Gott das Herz erfüllte. In dieser Freude ließ der treue
Hirt of[ Essen und Trinken stehen.
„Unvergeßlich ist mir eine Predigt über den Text. ‚Wer den
Namen des Herrn anrufen wird, der soll errettet werden’ (Joel 3, 5). Die
Predigten Janßens hatten drei Titel: 1. Die allumfassende Einladung: ‚Wer’, 2.
die allergeringste Forderung: ‚seinen Namen ruft’, 3. die allergrößte
Verheißung: ‚soll selig werden’. Janßen brachte ein packendes Beispiel, um den
Sinn seiner Worte recht anschaulich zu machen. Ein Mann, so führte er aus,
gerät im Dämmerlicht in einen großen Sumpf. Verzweifelt bemüht er sich
herauszukommen. Sein Mühen ist vergeblich. Da sieht er plötzlich einen Mann
daherkommen. Er kennt ihn und ruft ihn bei seinem Namen. ,Gerd’, ‚Jakob’,
„Jann’ ruft Janßen ganz laut durch die Kirche, kein Wort weiter. Eine
spannunggeladene Stille herrscht in der ganzen Kirche. Nun sieht der Mann den
Ertrinkenden in seiner Not und eilt zu Hilfe. Und nun kommt die Anwendung:
‚Rufen auch wir den Namen des Herrn an - eine geringe Forderung nur, und doch,
wieviel Segen und Kraft schenkt uns der Herr in seiner Liebe und Güte!’
Ein Mann stenographierte die folgenden Worte der Einladung zu
Jesus mit:
„Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß
werden. Jener Schächer dort, der so schwarz wie die Hölle war, glaubte, und er
ist weiß und rein wie der Himmel selbst geworden. Das Blut Christi entfernt alle
Sünden in dem Augenblick wo du an Christus glaubst. Der Geist Gottes macht
Wohnung in dir, um dich vor Sünden in Zukunft zu bewahren, und das Blut Christi
legt Fürsprache für dich ein. Warum warten? Kommt nur heute, denn euer Herz mag
nie wieder so empfänglich sein. Kommt nun! Morgen mögt ihr nicht mehr in der
Welt sein. Kommt nun, denn morgen mag dein Herz härter sein als Stein.
Heute ist Gottes Zeit. Morgen ist des Teufels Zeit. Warum wollt ihr eure
Glückseligkeit hinausschieben? Wollt ihr euren Hochzeitstag hinausschieben?
Kommt nur! Das Herz Gottes sehnt sich nach euch. Das Auge des Vaters sieht euch
von ferne und er eilt euch entgegen. Kommt nun! Die Gemeinde betet für euch. Es
ist die Zeit der Erweckung. Komm nun, sterblicher Mensch, denn du wirst sterben
und nicht lebendig bleiben. Oh, hätte ich die Kraft, diese Einladung wie einen
Pfeil in deine Seele zu schleudern. Aber ich muß ihn in meines Meisters Hand
lassen. Doch wenn es der innige Wunsch meines Herzens vermöchte, wie sollte ich
euch mit Bitten bestürmen. Sünder, ist dir die Hölle zu angenehm, daß du sie
durchaus erdulden willst? Ist der Himmel so eine Kleinigkeit, daß du ihn
durchaus verlieren mußt? Ist der Zorn Gottes, welcher bleiben wird, kein Grund,
daß du dich nicht bemühen solltest, ihm zu entrinnen? Was, ist eine völlige
Vergebung nicht des Habens wert? Ist das teure Blut Christi so wertlos für
dich? Hat es nichts zu bedeuten, daß der Heiland sterben mußte? Mensch, bist du
ein Narr? Bist du von Sinnen? Wenn du durchaus den Narren spielen willst, so
ehe hin und treibe Mutwillen mit deinem Gold und Silber, aber nicht mit deiner
unsterblichen Seele. Kleide dich wie ein Toller, trage eine Maske und male
deine Wangen. Gehe zum Gelächter durch die Gassen. Mache dich selbst zum
Gespött, aber warum willst du deine Seele zum Scherz in die Hölle werfen? Warum
willst du dein ewiges Heil für ein wenig Bequemlichkeit hienieden drangeben?
Sei weise! O Geist Gottes, mache Sünder weise! Wir predigen wohl, aber du mußt
es auf die Herzen anwenden. Herr, laß es in die Herzen dringen! Erscheine,
großer Geist; Wind, komme herzu aus den vier Winden und blase die Toten an, daß
sie lebendig werden. O Geist Gottes, erscheine! Bei der Stimme des, der einst
dem Winde gebot und ihn und die Wogen des Meeres verstummen ließ, komm, du
Geist des lebendigen Gottes.
In dem Namen Jesu, der einst gekreuzigt ward, glaubet, Sünder,
und betet! Ich predige nicht in meinem Namen, sondern im Namen dessen, der sich
selbst dahingab am Kreuz. Tut Buße und glaubet an den Herrn Jesus, und ihr
werdet selig.“
Janßen wollte ein Diener am Wort sein, das Wort Gottes zum Leuchten bringen. In einer Predigt über Jesaja 45, 22: „Wendet euch zu mir, so werdet ihr selig“, fing ein Junge an zu zählen, wie oft dies Textwort in der Predigt vorkam, und zählte es dreiundsechzigmal. Vielleicht, daß es nun saß! In seinen Bibelstunden hat er das ganze Alte Testament behandelt; Kapitel für Kapitel wurde durchgepredigt. Diese Mittwoch-Bibelstunden zogen 700 Menschen an. Die Liebe, die retten will, trieb Janßen zu größter Einfachheit: „Ich predige für die Dummen; wenn die mich verstehen, dann verstehen die Klugen mich mit.“ Das konnte auch ein einfacher, schlichter Mann, ein Fischer, fassen, wenn Janßen z. B. über Abrahams Glauben so predigte:
„Glaube blind, glaube wie ein Kind,
glaube aufs Wort, glaube sofort.“
Das wurde seine geistliche. Geburtsstunde
(de Wall).
„Geduld ist euch not.“ Über dies Wort sagte
er so treffend: „Geduld ist ein Heilkraut für alles und jeden. Man kann es in
der Apotheke nicht kaufen, es wächst nur an einer Stelle, unter dem Kreuze
Jesu! Man entdeckt es schlecht im Stehen, besser, wenn man sich bückt, am
besten auf den Knien.“
Über Bileams Eselin sprach er: „Das dünkt euch wohl ein
Wunder, daß ein Esel einen Engel sieht? Aber - daß ein Mensch dümmer sein kann
als ein Esel und den Engel nicht sieht, das ist auch ein Wunder!“
Ein Schiffer, der dem Alkohol frönte, hat einmal gehörig über
Janßens Predigt gescholten: „Der mann ist ja kein Pastor, der ist ja ein
schwarzer Polizist.“ Dennoch saß der Stachel in seinem Herzen und es wurde ihm
schwer, wider denselben zu löcken (Apg. 9,5). Der Herr wurde ihm zu stark. Er
brach zusammen, fiel auf seine Knie und betete unter heißen Tränen: „Ich will
von nun an absagen der Sünde bis hin an mein Grab und in ein neues Leben
gehen.“ Dies kostete einen bitteren Kampf gegen die alte Gewohnheit. Der Arzt
riet, ganz allmählich dem Körper das Gift zu entziehen. Er aber sprach: „Keinen
Finger mehr der Sünde, und wenn ich darüber sterben müßte.“ Nach seiner
Bekehrung bat er Janßen, ihm Arbeit zu geben. Der Pastor, der die musikalische
Begabung des Mannes kannte, drückte ihm das Liederbuch „Frohe Botschaft“ in die
Hand: „Nun gründen Sie einen Kirchenchor!“ Mit Gebet wurde der Chor begonnen
und geleitet. Wie freute sich der glückliche Leiter, als er eines Abends an
seinem Fehn entlangging und die Lieder, die er eingeübt hatte, aus den Häusern
erschallten! Der Chor besteht heute noch, nach 70 Jahren (1955). Janßen gab
diesem Mann den Rat, täglich kniend mit seiner Familie zu beten: „Vater gib uns
um deines lieben Sohnes Jesu Christi willen deinen Heiligen Geist. Gib diesen
Segen unseren Kindern.“ Dies Gebet wird in jenem Hause noch heute (1955)
täglich auf den Knien gebetet.
Ein wörtlicher Bericht: „Großvater war ein treuer Kirchgänger. In Strackholt predigte ein Pastor Janßen, der sehr berühmt war. Alle Welt ging hin, ihn zu hören. Das stand Großvater aber gar nicht an. Er sagte: ‚Laß die Leute nur in unsere Kirche gehen und unseren Pastor S. hören.’ Eines Sonntags predigte Pastor Janßen in Timmel. Da hörte Großvater eine Predigt von der Samariterin am Jakobsbrunnen von ihm. Am nächsten Morgen kam Großvater zu uns. Ich sah, wie bewegt er war. Mutter fragte ihn: ‚Vater, was fehlt dir? Bist du krank?’ Er antwortete: ‚Ich habe Pastor Janßen predigen gehört und was er von dem lebendigen Wasser gesagt hat. Ich habe Verlangen nach dem Wasser, das Jesus geben will.’ Tag und Nacht hat er Gott gebeten um einen Tropfen solchen Lebenswassers. Dankbar bekannte er noch kurz vor dem Tode: ‚Ich habe von dem lebendigen Wasser getrunken’.“
Kein Wunder, daß Janßen einmal mit
erhobenen Händen ausrief: „Predigen, predigen, das ist das Schönste, was es
gibt!“ Neben dem Frieden in Jesu predigte Janßen von dem Danke gegen Gott und
von der Arbeit für den Herrn. Er wurde zum Missionsprediger.
Ich will einen neuen Geist in euch geben und
solche Leute aus euch machen,
die meine Rechte halten
(Hesekiel 36, 27)
Der Heilige Geist wirkte durch Janßens
Zeugnis als der Geist des Gehorsams. Menschen, die anderen Schaden zugefügt
hatten, konnten nicht eher Ruhe finden, bis sie Abbitte getan und die Sache
wiedergutgemacht hatten. Janßen drängte auch auf das Sündenbekenntnis,
wo es nottat: „Willst du nur Gott beichten? Ebenso kannst du einem grauen Torf
beichten!“ „Eine Bekehrung ohne Bekenntnis und ohne die Schuld, wenn man kann,
wiedergutzumachen, ist, wie er es einmal recht drastisch ausführte, als wenn
jemand auf seinen Schuhen den Dreck sitzen lasse und doch versuche, mit Bürste
und Schuhkreme sie blank zu putzen. Der Dreck breche doch wieder durch.“ (L.)
Wenn Petrus gesagt hat, daß die Weiber sich
nicht schmücken sollen mit Haarflechten und Goldumhängen, so drängte auch ihn
der Geist Gottes, die Frauen aufzufordern, ihren Goldschmuck dem Herrn zu
opfern. Oftmals konnten sie nicht anders: Sie rissen ihre Ohrringe ab und
gingen ohne ihren Schmuck heim. Fand er nicht gleich Gehör, konnte er auch sehr
deutlich in seiner Predigt werden! „Da sehe ich vor mir die Damen mit ihren
Schlössern um den Hals und ihren goldenen Armbinden. ich rate euch, verkauft
sie. Wie bald bist du eine Leiche! Wenn du keinen anderen Reichtum hast bist du
auf ewig beim Teufel in der Hölle! Heute verfügst du noch über deinen Reichtum!
Wirf darum deinen Flitter von dir. Gib ihn deinem Gott. Er schenkt dir ein
seidenes Kleid und eine Krone, diese behältst du in Ewigkeit.“ In der ganzen
Gemeinde Strackholt wurde so gut wie kein Goldschmuck mehr getragen, und viele
goldene Trauringe wurden geopfert, insbesondere für die Heidenmission. Es gab
Eltern, die ihren Töchtern nur unter der Bedingung die Erlaubnis gaben, zum
Strackholter Missionsfest zu gehen, daß sie allen Goldschmuck zu Hause ließen;
wußten sie doch, daß der Schmuck sonst in die Kollekte gegeben wurde.
„Auf einer Haustaufe in Holtland trugen
einige Strackholter Frauen doch noch Goldschmuck. Auf die erstaunte Frage: ‚Ihr
Strackholter tragt noch Gold?’ entgegneten diese: ,In Strackholt dürfen wir das
nicht tun’.“ Im allgemeinen wurde also kein Gold getragen.
Pastor A. Ottersberg in Iowa (USA) erzählte
aus seiner Kindheit in Strackholt: „Mein Vater hat oftmals bei einem Juwelier
in Emden in Janßens Auftrag Goldschmuck abgeliefert. Einmal hielt Janßen nach
einem Fest einen Briefumschlag hoch und rief: ‚Eben habe ich diesen
Briefumschlag bekommen mit 400 Mark von einem Dienstknecht aus Engerhafe. Wird
zur Nachahmung empfohlen’.“
„Nun habe ich so viel gegeben, daß ich
nicht mehr Geld genug habe, um nach Hause zu fahren“, so erklärte ein
Missionsfestteilnehmer. „Er hat mir alles abgeholt“, sagte ein Bauer, dem es
Janßens gewaltiger Weckruf angetan hatte.
Ein Bauer war von einer Predigt so
erschüttert, daß er nach Hause ging und mit 20 Hundertmarkscheinen zurückkam,
die er Janßen gab.
Besonders auf Missionsfesten wurde die
Ankündigung der Kollekte mit Spannung erwartet.
Wat nu woll kumt?, dachten seine Zuhörer im
stillen. Dabei kam oft Janßens liebevoller, schalkhafter Humor zum Vorschein.
Einmal warb er so für die Kollekte: „Ich ging an einer Weide vorbei. Die Kühe
brüllten. Ich dachte: Warum brüllen die wohl? Sie hatten gute Weide und
frisches Wasser. Da merkte ich: Sie wollen gemolken werden.“ Dann folgte die
naheliegende Anwendung auf die Hörer: sie hätten sich an geistiger Speise nun
gelabt und den Durst ihrer Seelen nunmehr gestillt; aber sie würden erst dann
recht zufrieden sein können, wenn sie reichlich zur Kollekte beigesteuert
hätten.
„Schmeißt nur hinaus das ganze
Portemonnaie“, rief Janßen bei der Empfehlung der Kollekte. „Junge“, sagte ein
Vater, „du hättest doch etwas Geld nach Hause bringen können.“ „Vater, du
hättest ihn hören müssen. Ich konnte nichts behalten. Ich mußte alles in die
Kollekte geben.“ „Wir hatten die Taschen leer, wenn wir hinausgingen“, sagten
viele. Einmal wurde das Drängen auf das Geld einem Amtsbruder doch zuviel:
„Janßen! Diesmal hast du es aber zu arg gemacht“, rief er ihm nach einem
Missionsfest in Timmel erregt zu. Darauf Janßen, eine Weile auf und ab gehend:
„Hast recht, wer mit keinem Worte fehlet, der ist ein vollkommener Mann.“ Dann
nach einer Weile des Stillschweigens: „Wenn es um das Geld geht, dann gehe ich
auf den Geldbeutel los wie ein Ziegenbock auf den gefüllten Hafersack.“
382 642 Mark und 25 Pfennig wurden in 31
Jahren für die Mission gespendet, die anderen Gaben ungerechnet. Das göttliche
Siegel unter Janßens Predigt war eine in die Augen fallende Erweckung.
Die Gewissen erwachten und kamen oft nicht
eher zur Ruhe, als bis sie ihr Seelenleben in Ordnung gebracht hatten. Er
verstand es, vor allem die Gewissen zu schärfen. Ein Mädchen hatte bei der
Konfirmation auf die Frage nach dem Konfirmationsgelübde unbesonnener- oder
leichtfertigerweise statt mit „Ja“ mit „Jahr“ geantwortet. Unter der Predigt
Janßens wurde dem Mädchen dies Wort zu einer schweren Gewissenslast. Es wurde
auf seine Bitte vor der versammelten Gemeinde noch einmal konfirmiert. Janßen
gab ihm nun den Text Römer 8, 14: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind
Gottes Kinder.“ Nun fand es Ruhe.
Ein Küster der Ludgerikirche in Norden,
früher Arbeiter in Berumerfehn, erzählte, daß er öfter von Berumerfehn nach dem
etwa 25 Kilometer entfernten Strackholt zu Fuß gewandert sei. Es habe sich
gelohnt, fügte er hinzu.
Unter einem solchen Zeugnis des Seelsorgers
war der Sonntag in Strackholt in der Tat ein Tag des Herrn. Von Ostern bis zum
Herbst versammelte sich eine halbe Stunde vor dem Gottesdienst der Posaunenchor
und ließ seine Weisen über das Dorf hin erschallen. Die Wagen rollten an, und
dies nicht nur aus der Gemeinde! An gewöhnlichen Sonntagen zählte man 30 bis 40
Wagen, an besonderen Tagen 60 bis 70. Die Menschen kamen sogar aus der Norder
Gegend. Um zwei oder drei Uhr mußten sie aufbrechen. Der Gottesdienst währte
bis 12.30 Uhr. Nachmittags war dann Kinderlehre und Kindergottesdienst. Zuerst
hielt Janßen eine Predigt für die Gemeinde, und nach dem Liede folgte die
Kinderlehre der Konfirmanden, die zwei bis drei Jahre lang noch nach der
Schulentlassung kamen. Es folgte der Kindergottesdienst. „Wir gingen auch nach
der Konfirmation noch weiterhin zur Kinderlehre, bis um Martini der neue
Konfirmandenlehrgang anfing. Janßen nahm mit uns den Heilsweg durch, die Buße,
den Glauben, die Heiligung und die Vollendung. Am Ende veranstaltete er eine
Entlassungsfeier. Wir gingen gerne hin.“
Den Kindergottesdienst wußte er anziehend
zu machen. „Wir gingen vom. 7. Lebensjahre hin. Pastor Janßen war uns alles.“
Wir fragten uns oft: „Was würde Pastor Janßen wohl in unserer Lage tun?“ „Wir
mußten den sonntäglichen Gedankenreim über die Sonntagsevangelien lernen.“ „Er
sprach ernst über die Hölle, aber lieblich kam der Name ‚JESUS’ über seine
Lippen. Pastor Janßen hat es mir einmal in meiner Jugendzeit schwer gemacht.
Wir hatten ‚Schwarzer Peter’ gespielt. Ich war tief erschrocken, als Pastor
Janßen dann so ernst über die Hölle sprach. Ich faßte Mut und gestand meinem
Vater alles. Er mußte mich wieder beruhigen. Wir liebten Pastor Janßen über
alles. Wir hatten eine große Ehrfurcht vor ihm, aber auch ein kindliches
Vertrauen. Nach der Kinderlehre gab er uns Bücher zum Lesen.“ So erzählte eine
nun bejahrte Lehrerstochter aus Zwischenbergen. An die Konfirmanden richtete er
oft die Frage: „Bist du bekehrt?“ Er wollte, daß der Christ danach strebte,
seines Heils froh zu sein.
„Ein Ausspruch Janßens ist mir aus dem
Kindergottesdienst im Gedächtnis geblieben: ‚Fürchte dich vor dem
allergefährlichsten und allergräßlichsten Untier - nämlich vor der menschlichen
Vernunft in göttlichen Dingen’“« (J. M. 1961).
Wie freute Janßen sich, wenn Menschen
aufrichtig waren.
„Zwei Schulmädchen hatten Janßen eine
Botschaft überbracht. Als er einen Augenblick sich entfernt hatte, hatten die
Kinder den Kakao ausgetrunken, der in einer Tasse auf dem Tisch stand. Sie
kamen zu Janßen zurück und bekannten ihre Tat. Janßen freute sich und schenkte
jedem Kinde eine Mark für die Ehrlichkeit und Offenheit.“ (D.)
Ein alter Mann von 84 Jahren berichtete
noch 1944, eine Stunde vor seinem Ende: „Einst hielt Janßen eine erschütternde
Konfirmationspredigt über den Text: ‚Einer unter euch wird mich verraten.’ Er
hatte jedem Konfirmanden einen Liedvers ausgesucht, mir und drei anderen den
Vers: ‚Ich habe nun den Grund gefunden.’ Dann fragte er: ‚Könnt ihr das nun
auch schon von euch sagen?’ Wir hatten es alle vier verneint. Darauf Janßen:
‚Dann sollt ihr den Vers haben: ‚Es ist das ewige Erbarmen . . .’ Als ich aber
den Lehrschein erhalten habe, stand darauf doch das erstere Lied. Janßen sagte:
,Hinrich, bete darum, und Gott wird dir Frieden schenken.’ So ist es auch
gekommen. Bald darauf ist in einer Predigt über den Gichtbrüchigen bei der
Auslegung des Wortes: ‚Dir sind deine Sünden vergeben!’ auch mir klargeworden,
daß der Heiland auch meine Sünden getragen hat. Diese Freude hat mich getragen
mein Leben lang.“ So erzählte der Bauer Hinrich Gronewold in Spetzerfehn vor
seinem Sterben.
Die Erweckung kam um das Jahr 1890, wie
bereits erwähnt, langsam zum Stillstand. Eine Erweckung ist eine
Durchgangszeit. Das Ziel ist das stille Hineinwachsen in Christus. So ist es
auch ein ganz natürlicher Vorgang gewesen, daß sich die Unruhe der ersten
Erweckung in ein stilles und friedvolles Wachstum verwandelte. Die Arbeit
des Heiligen Geistes nahm seinen Fortgang. Kamen zuerst Massenbekehrungen, so
folgten später Einzelbekehrungen. Das stille Leben der Bekehrten im Gehorsam
des Heiligen Geistes aber ging weiter. Strackholt blieb eine „Stadt auf dem
Berge“, die nicht verborgen blieb.
Als die Erweckung nachließ, fragte sich Janßen, welches der Grund sein mochte. War die Gemeinde zurückgegangen? Er schrieb: „Wenn ich den gegenwärtigen kirchlich-sittlichen Zustand der Gemeinde (er schrieb dies 1890) mit dem von vor acht bis zehn Jahren vergleiche, so will es mir scheinen, als wenn meine Gemeinde aus dem Munde des Heilandes, der da hält die sieben Sterne in seiner Hand, der wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern, das Wort hören müßte ,Ich bin wider dich, daß du die erste Liebe verlässest.’ Doch eine längere und tiefere Beobachtung und Überlegung läßt mich jetzt ein anderes Urteil fällen. Es ist wahr, daß das kirchliche Leben vor acht bis zehn Jahren reger oder, ich möchte es ausdrücklich sagen, geräuschvoller war als gegenwärtig. Es ist auch wahr, daß einzelne Seelen aus der ersten Liebe gefallen sind, aber doch darf auch gegenwärtig der in der Stille sich entwickelnde Zustand der Gemeinde ein recht befriedigender genannt werden. Vor etwa zehn Jahren war es in hiesiger Gemeinde, wie es in einem Bauernhause ist, wenn die Hausbewohner des Morgens aufstehen, sich ankleiden usw. Dann gibt’s Geräusch. Wenn aber später im Laufe des Tages die Leute an die Arbeit gegangen sind, dann wird es still in der Küche, daß man das Tick-Tack der Wanduhr hört und das Brodeln des Kochtopfes. In diesem Gleichnis ist die Stille gewiß ebensohoch zu werten. wie das Geräusch. So ähnlich möchte ich auch die stille Entwicklung meiner Gemeinde im allgemeinen beurteilen.“
Janßen wußte auch, daß es besondere Gnadenzeiten
gibt, die man nicht versäumen darf. Es sei damit, so sagte er, wie mit einem
Eisenbahnzug. Man müsse die Stunde ausnützen, wenn ein Gnadenzug fahre. Nachher
fahre oft lange Zeit kein Zug mehr. Wer in der Erweckungszeit in den Gnadenzug
gestiegen sei, der sei wohl dran.
Janßen war ein gesuchter Festprediger auf
Festen der Mission. Hier suchte er die Liebe zu dem Herrn und zur Mission zu
entfachen. Dabei hütete er sich vor jeder Zersplitterung seiner Kräfte. Seine
erste Liebe galt seiner Gemeinde Strackholt. So schlug er viele Rufe nach
auswärts aus. Aber in der Woche und Sonntagnachmittags diente er viel auswärts.
„Stand der Name Janßen auf der Rednerliste, so war ein guter Besuch des Festes
gesichert.“ Gewöhnlich übertrug man ihm die letzte Predigt. Seine Predigten
waren Bußrufe.
„Dieser Prediger hatte etwas Besonderes an
sich“, äußerte ein Festteilnehmer, der noch 15 Jahre später ausführlich den
Inhalt der Rede niederzuschreiben wußte. Sein Name sei hier genannt. Es war der
liebe Bauer Tietje Cordes in Bockhorst bei Bremen. In diesem Hause lernte der
Sammler dieser Erinnerungen als junger Student, was geistliche Wiedergeburt und
Leben aus Jesus ist. Hier hörte er auch zum ersten Male von Remmer Janßen.
Damals erregte ein Buch des Professors
Adolf von Harnack, des großen Berliner Gelehrten, Aufsehen. In diesem seinem
Buch, „Das Wesen des Christentums“, stand unter anderem auch der ungläubige
Satz: „Der Sohn Gottes gehört nicht in das Evangelium, wie Jesus es verkündet
hat.“ Der Strackholter Pastor stellte dem Wort des Professors ausführliche
Stellen aus der Heiligen Schrift gegenüber. Bei einem Strackholter Missionsfest
rief er in die Menge der Hörer hinein: „Nehmt einen Hund, hackt ihm den Schwanz
ab - er bleibt ein Hund. Schneidet ihm die Ohren ab - er bleibt ein Hund. Nehmt
ihm aber das Herz aus dem Leibe - so bleibt nur ein Aas ... Das ist ein
Evangelium ohne Christus, den Sohn Gottes.“
Janßen predigte einmal in einer Hamburger
Kirche. Seine Predigt über Römer 1,17: „Ich schäme mich des Evangeliums von
Christo nicht“, hatte die folgenden drei Teile: 1. Ihr Hamburger, schämt euch,
dessen ihr euch nicht schämt (eurer Sünden), 2. Schämt euch nicht, dessen ihr
euch schämt (des Evangeliums), 3. Ihr Hamburger, schämt euch. Das Wort saß schmerzhaft
fest wie ein Widerhaken, und nach der Predigt traten viele zu ihm, die der
Vorwurf getroffen hatte, und baten um ein persönliches Wort und seinen Segen.
„Dieser hat uns derb die Meinung gesagt!“ hörte Jarißen einen Zirkuskünstler,
der in der Kirche gewesen war, auf der Straße von sich sagen. Von einem
einheimischen Hamburger wurde Janßen nach der Predigt gefragt. „Herr Pastor,
woher kennen Sie unser Hamburg so genau?“ – „Ich kenne ja mein eigenes Herz“,
entgegnete der Gefragte.
Über ein Missionsfest in Hesel möge
der Bericht eines Janßen-Schülers, des späteren Pastors J. Lambertus aus
Amerika, folgen, der anschaulich erzählt: „Als ich im Jahre 1912 nach
20jähriger Abwesenheit die Heimat wieder besuchte, hatte Janßen auf einem
Missionsfest in Hesel zu predigen. Vor Janßen sprachen zwei andere Festredner.
Die Predigten waren gut und durchaus nicht kurz. Als Janßen als dritter Redner
drankam, dachte ich: Nun wird es auch dem besten Prediger schwer werden, die
Aufmerksamkeit zu gewinnen, denn alle waren übersättigt und saßen auf
niedrigen, harten langen Brettern. Pastor Janßen las den Text vor: „Gott sei
mir Sünder gnädig“. „Ihr wundert euch gewiß, liebe Missionsfreunde, daß ich
diesen Tert für ein Missionsfest gewählt habe. Aber ich dachte, wenn hier viele
arme Zöllnerseelen wären, so würden sie nichts lieber hören als das Gebet:
‚Gott sei mir armen Sünder gnädig!’ Und wenn hier viele hochmutige Pharisäer
sind, dann haben sie nichts nötiger, als daß sie anfangen zu beten: ‚Gott sei
mir Sünder gnädig.’ Und wenn Gott etwas noch lieber hört als das Gebet eines
armen Sünders: ‚Gott sei mir Sünder gnädig!’, dann ist's, daß ein hochmütiger
Pharisäer anfängt zu beten: ‚Gott sei mir Sünder gnädig!’ Nach dieser
originellen Einleitung hatte er die Aufmerksamkeit der Hörer gewonnen und
steigerte sie im Laufe seiner Rede zu hinreißender Gewalt. Es war, als wenn er
die Menge in die Hölle hinunterdonnerte und in den Himmel emporhob. Wir
erlebten etwas von der Gewalt der menschlichen Rede und vor allem von der
Gewalt des Wortes Gottes, wie man es selten erlebt. Kein Wunder, daß die
Menschen von weit her kamen, um Pastor Janßen zu hören.“
Da war am 5. August 1885 ein Fest in Westerholt,
das im Harlinger Land liegt, der Heimat Janßens. „.3000 Menschen waren
erschienen, um den 35jährigen ‚Wunderprediger’ zu hören. Der erste Festprediger
brachte die Leute zum Lächeln. Ein junger Mensch beobachtete Janßen während der
Predigt und sah, wie Janßen saß und zitterte und die Zeit nicht erwarten
konnte, bis er an die Reihe kam. Als es soweit war, sprang Janßen auf die
Kanzel. Auf der Kanzeltreppe schon sprach er den Kanzelgruß und dann rief er:
‚Wir wollen beten!’ Janßen betete so furchtbar ernst, so gewaltig, daß rauhen
Viehhändlern die Tränen über die Wangen rollten. Die eben noch gelacht hatten,
weinten jetzt: Janßen führte sie in die Hölle mit ihren Schrecken und in Jesu
Gnadenarme mit ihrer Seligkeit.“ Der nun neunzigjährige Erzähler berichtet
weiter: „Auf dem Nachhauseweg hatten die Menschen auf ihren Pferdewagen noch
Tränen in den Augen. Es waren Tränen, über die Freude bei den Engeln Gottes im
Himmel ist, wenn Sünder sich bekehren.“
Am Upstalsboom, jener alten
ostfriesischen Thingstätte, predigte er erschütternd von dem Ernst und der
Heiligkeit Gottes, der das von uns verdiente Gericht an Christus vollzogen hat.
Es war, als stände der Hörer selbst unter dem für ihn errichteten Galgen vor
seiner Hinrichtung und erlebte die Freude des Freispruchs.
In Hollen predigte er über Offb. 2,
27: „Halte, was du hast.“ „Hollen heißt halten. Man kann Christus aber nicht
halten, wenn man nicht vorher Christus ergriffen hat. Hollen, hast du Jesus
ergriffen? Sonst kannst du ihn nicht halten.“
In Filsum wirkte Pastor Meyer, durch
dessen Predigten Gott eine Erweckung schenkte, die heute (1973) noch spürbar
ist. (Meyer starb 1900.) Wenn Janßen predigte, war der Zustrom zum Missionsfest
so gewaltig, daß die Leute fast erdrückt wurden. Die Kirchenfenster standen
offen, damit auch die Draußenstehenden die Predigt hören konnten. Inmitten seiner
Rede wandte sich Janßen an den Ortspfarrer mit den Worten: „Und du, Bruder,
bist auch wieder lau geworden.“ Der Geist Gottes hatte Macht. Pastor und
Gemeinde beugten sich dem Zeugnis des Geistes Gottes.
Pastor Ubbo Paulus Voß in Resterhafe, vor etlichen
Jahren gestorben als der älteste evangelische Pastor Deutschlands, erzählte:
„Ich hatte vor gut 60 Jahren das Glück, in Hermannsburg Janßens Predigt
über die Eroberung von Jericho zu hören. Als er den ersten Teil, der über die
sieben Mauern handelte, beendet hatte und zu den sieben Posaunen übergehen
wollte, war ich versucht, nach der Uhr zu sehen. Ich wagte es aber nicht, aus
Furcht, ein Wort zu verlieren. Gegen Schluß war ich doch auf dem Sitz steif
geworden und dachte: ‚Ich muß doch eben nachsehen, ob er schon eine Stunde
gepredigt hat.’ Versteckt, um niemanden zu stören, sah ich nach - es waren:
zwei Stunden.“
Auch Moordorf, eine Ansiedlung alter
Soldaten (im Volksmund bezeichnet als der „schwarze Weg“), hatte ihn zum
Missionsfestredner gebeten. Janßen predigte: „Ihr Leute vom ,schwarzen Weg!’
Wir wohnen alle am ‚schwarzen Weg’. Wir Leute vom ‚schwarzen Weg’, wir können
alle schneeweiß werden von unseren Sünden durch das Blut Jesu Christi.“ Da rief
einer unter ihnen: ‚Bröer, du hast recht!’ (,Bruder, du hast recht!’)
Als Janßen bereits im Ruhestand lebte,
hatte ihn der Jugendbund für entschiedenes Christentum in Aurich zu einer
Ansprache auf seinem Jahresfest gebeten. Sein Text war 1. Mos. 49, 14:
„Isaschar wird ein knochiger Esel sein und sich lagern zwischen den Hürden.“ Er
sprach über den Fluch der Halbheit und wünschte: 1. daß die Unentschiedenen
entschieden, 2. die Entschiedenen entschiedener würden. Gewiß eine feine Losung
für ein Jahresfest eines Bundes für entschiedenes Christentum.
Janßen verstand es meisterhaft, sich allen
Situationen geschickt anzupassen und die jeweilige Situation treffend und
sicher zu erfassen.
Ein Urteil des Konsistoriums in Aurich über Janßens
Arbeit lautete: „Die vorgelegten Akten ergeben den erfreulichen Beweis, daß die
Frucht des gepredigten Wortes nicht fehlt. Wir rechnen dahin die ungewöhnliche
Beteiligung an Gottesdienst- und Abendmahlsfeiern, nicht weniger die durchweg
vorhandene Sitte der Hausandachten sowie den im allgemeinen erfreulichen Stand
der Sittlichkeit in der Gemeinde. Insbesondere haben wir davon Kenntnis
genommen, welch ein gutes Zeugnis der ledigen Jugend ausgestellt wird. Mit
Recht wird großes Gewicht darauf gelegt, daß die jungen Leute nicht nur in der
Kinderlehre möglichst lange unter dem heilsamen Einfluß des göttlichen Wortes
gehalten werden, sondern auch in Mußestunden in den Jünglings-, Posaunen- und
Gesangvereinen gesammelt werden.“
Was
zu einer guten Predigt gehört, hat Janßen öfters so zusammengefaßt:
„1. Texteszwang,
2. logischer Zusammenhang,
3. psychologischer Fortgang,
4. heiliger Liebesdrang,
5. fröhlicher Gemeindegesang,
6. guter Predigtklang,
7. das Ganze nicht zu lang.“
„Das ‚ich’ und ‚wir’ brauch nicht zu gern,
besonders nicht, um dich zu ehr’n.
Das ‚du’ und ‚ihr’ wend öfters an,
mit Nathan sprich: ‚Du bist der Mann!’
Das ‚er’ und ‚sie’ brauch nicht zuviel,
denn sie führen nicht zum Ziel.
Das Fürwort ‚man’ ist gar zu unbestimmt,
und rühret niemand, der’s vernimmt.“
Das Zeugnis eines Gemeindegliedes aus Firrel
lautet: „Ich gäbe gern hundert Mark aus, wenn ich Pastor Janßen noch einmal
predigen hören könnte.“
Die Schriftstellerin Martha Köppen-Bode
schreibt: „Als ich dreizehn oder vierzehn Jahre alt war (1878/80), bin ich an
einem Wintertag von Aurich-Oldendorf nach Strackholt zur Bibelstunde gewandert.
Mir ist im Gedächtnis geblieben, daß die Kirche - sie war wohl damals schon
baulich vergrößert bis auf den letzten Platz voll war. In den Bänken standen
oft doppelte Reihen, so daß das beim Schlußgebet übliche Knien oft schwierig
war.“
Als Gattin des Pastors Köppen, der jahrzehntelang im gleichen
Kirchenkreise Janßens Amtsbruder gewesen ist, lernte sie diesen aus nächster
Nähe kennen: „Janßen war ein Prediger, dem die Stimme gehorchte und dem man den
innersten Drang, das seelische Wollen und Müssen stets anmerkte. Ich hörte ihn
einmal mit erhobenen Armen sagen. ‚Predigen, predigen! Das ist das Schönste,
was es gibt!’ Zunächst war ich gewiß noch unreif, aber sooft ich ihn gehört
habe, fesselte er mich vom ersten bis zum letzten Wort. Es konnte vorkommen,
daß er danebenschlug in sseiner temperamentvollen Weise – zur Freude derer, die
ihm nicht wohlwollten -, aber meistens traf er ins Schwarze. Wie beglückt war
Janßen an dem großen Festtag der Gemeinde Strackholt, dem Missionsfest, auf dem
er stets die erste Predigt hielt. Königlich war er in all seiner Bescheidenheit
anzusehen. Und wenn er dann das Dankgebet sprach und der Goldglanz des
Abendsonnenscheins durch die hohen Eichen schimmerte – unvergeßlich! Er war ein
glücklicher Mann, und viele werden ihm in der Ewigkeit danken.“
Geschriebene Predigten und lebendig dargebotene verhalten sich
zueinander wie Eisblumen zu lebendigen Blumen. Erst recht können
Predigteinteilungen nur einen schwachen Widerhall vermitteln. Doch möchten die
folgenden Dispositionen eine leise Ahnung davon wahrnehmen lassen, was Janßens
Anliegen war.
Predigteinteilungen:
Röm. 8,18-23: Wieviel das Leid wert ist:
1. Mehr als alle Eitelkeit der Welt, 2. aber weniger als die
Herrlichkeit des Himmels
Luk. 2,15-20: Kommt, laßt uns kindlich
sein:
1. kindlich glauben an
das Kind, 2. kindlich eilen zu dem Kind, 3. kindlich reden von dem Kind, 4.
kindlich danken für das Kind.
Hebr. 7,23: Jesus kann selig
machen:
1. Er lebt immerdar, 2.
er bittet immerdar, 3. darum kommt immerdar.
Joh. 16,16-23: Über ein Kleines:
1. Welt, freust du dich
nicht mehr, 2. Kind Gottes, weinst du nicht mehr, 3. Seliger, fragst du nichts
mehr.
Joh. 16, 5-15 Komm, Heiliger Geist, Herr
Gott:
1.
tröste die betrübten Sünder, 2. strafe die sicheren
Weltkinder, 3. leit die schwachen Gotteskinder.
Mt. 24,14-18 Das Ende wird kommen:
1. wenn der Greuel der Verwüstung kommt, 2. wenn die
große Trübsal kommt, 3. wenn der wahre Christus kommt.
Mt. 6, 23-29 Das geteilte Herz:
1. halb dem Herrn, 2. halb der Welt, 3. ganz dem Teufel.
Mt. 24, 42 Wachet:
1. denn ihr wisset, daß der Herr kommt, 2. denn ihr wisset
nicht, wann der Herr kommt, 3. darum wachet, wenn der Herr kommt.
Neujahr Ins neue Jahr in
Jesu Namen,
das walte Gott in Gnaden,
Amen!
In Jesu Namen Trübsal
leiden
kann nicht von seiner
Liebe scheiden.
In Jesu Namen alles tun,
darauf wird Gottes Segen
ruhn.
Matth. 2 Laßt uns mit den
Weisen zum Christkind reisen:
1. Sind wir noch von Christus fern, Gottes Wort ist unser
Stern; 2. sind wir dann am rechten Ort, finden wir das Christkind dort; 3.
endlich führt uns Gottes Hand in das rechte Vaterland.
Lukas 17 Wo bist du?
1. Mit den 10 Aussätzigen
auf dem Wege nach Jesu?
2. mit den Undankbaren
fern von Jesu?
3. mit den Dankbaren zu
den Füßen Jesu?
Hes. 33, 10 Silvester. Bekehret
euch:
1. Ihr müßt euch
bekehren, weil ihr gottlos seid!
2. Ihr könnt euch
bekehren, weil Gott euch bekehrt!
Lukas Jesus ruft die
Verkehrten, die sich nicht bekehren wollen,
die Unbekehrten, die sich
bekehren wollen,
die Bekehrten, die gerne
oben sitzen wollen.
Mt. 8, 1 Der angefangene
Glaube spricht: „Herr, Du kannst, wenn Du willst.“
Der wachsende Glaube spricht: „Herr, Du kannst und Du willst."
Gal. 4, 1-6 Gesetz und
Evangelium:
1. Das Gesetz macht
Kinder zu Knechten,
2. das Evangelium macht
Knechte zu Kindern.
Unbekannter Text:
Gott kommt uns zuerst mit dem Guten, dann mit den Ruten,
zuletzt mit dem Bluten.
Auf einem Jubiläumsfest nahm Janßen als Thema: „Jubiläum -
Heucheläum.“
Wir sind mütterlich gewesen bei euch,
gleichwie eine Amme ihre Kinder pflegt
(1. Thessalonicher 2, 7)
„Janßen war ein großer, schlanker Mann,
ebenmäßig gebaut und kräftig. Sein Gang war lebhaft und rasch. Wer ihn in
seinem schwarzen Anzug mit unter dem Halse zugeknöpftem Gehrock und dem
viereckig geformten Barett im Dorfe einherschreiten sah, erkannte in ihm schon
von weitem den Pastor loci (Ortspfarrer), den pflichtbewußten Seelsorger einer
großen Gemeinde, den treuen Seelenhirten. Er machte nicht etwa Spaziergänge,
sondern war meist auf dem Wege, um seiner Gemeinde zu dienen. Jedermann öffnete
ihm gern das Haus, weil er stets als Freund kam, niemals als Feind. Oftmals sah
man ihn auch mit Chorrock und Abendmahlgerät über die Straßen und Wege ziehen,
um an Krankenbetten seines Amtes schönsten Dienst zu verrichten: Denen
Wegzehrung zu bringen, die durch das Tal des Todes schreiten mußten. Für jeden
aber, der ihm begegnete, hatte er ein freundliches Wort. Wer ihm in sein treues
Auge sah, fühlte seinen Blick bis ins tiefste Herz hineindringen. Sein Blick
war forschend und tief, aber zugleich liebevoll, so daß er in allen redlichen
Seelen Liebe erweckte.“
„Wurde er zu einem Kranken gerufen, so kam
er sofort, selbst bei einem schlimmen Unwetter. Ging er nach Zwischenbergen, so
benützte er nicht den Sandweg - der ein Umweg, doch bequemer und leichter war
-, sondern er ging gerade durch, indem er über Wasserzüge und Erdwälle hinweg
sprang. In seiner Hilfsbereitschaft war Janßen vorbildlich.“
Da konnte es vorkommen, daß der nachtblinde
Seelsorger plötzlich stehen bleiben mußte. Eine innere Stimme hinderte ihn,
weiter zu gehen. Vorsichtig tastete er den Weg ab. Da stand er oft vor einem
tiefen Wasser! – „Der Engel des Herrn lagert sich um die hier, die ihn
fürchten“ (Ps. 34, 8).
„Brich dem Hungrigen dein Brot.“ Dieses
Wort wußte Janßen durch Betonung des Wortes „dein“ zu einem eindringlichen
Gottesbefehl zu machen. Er war durchaus nicht zaghaft, wenn er Gemeindeglieder
dazu anhielt, diesem Wort der Schrift nachzukommen.
So erzählen die „Ostfriesischen
Nachrichten“ in Breda (Nordamerika), das „Heimatblatt der Ostfriesen“ in
Amerika, unter dem 11. Juli 1931, das Folgende: Ut de olle Dörpschronik. In’t
Harfst weer’t, in de Tuffelrüdertied, do kweem de Pastor mal van’n arm old
Minske her, de dat man schra und schofel gung. He doch daröber na, dat oll
Blood muß hulpen worn. Nu kehrte he ok eben bi’n Bur in, woar sien erste Blick
up de Wiem fullt, de vull Speck und Wursten hing. Mann und Frau wörn nett beid
in de Köken und de Pastor wör in Hörn nögt. ‚Och, Herr Pastor’, säh dat Ollske,
,wat ist dat got, dat ji kamen. Wi woll’n all hen, us to bedanken vör de moje
Prädigt von Sünndag. As ji Sünndag in de Prädigt uns dat so moje an’t Hart leggt
hebbt, dat wi dankbar wesen müssen fär all dat Gode, wat uns leew Hergott uns
weer so riekelk tokamen let, do hewt wie uns fort vörnehmen, wie wullen an de
armen Heiden godmaken un’n Rieksdaler an de Mission gäwen.’ ‚So’, see de
Pastor, ‚dat ji dankbar sünd, dat mag ik lieden. Kennt ji ok das Spreckwort:
Dat Hemd is mi nader as de Rock?’ ‚Ja, Herr Pastor’, see de Ollske, ‚dat Wort
kennen wi god, un darum löw ik, wi laten dat erst bi een Daler bewenden, wi
möten ja ok vör uns Husholgen und vör uns Lii sörgen.’
‚Nee’, reept de Pastor, ‚so is dat nich
gemeent. Ji möten so’n Spreckwort b’etje minschelker utleggen:. De Rock, dat
sünd de armen Heiden. Man nu kummt dat Hemd! Dat sünd ji nich sühnst; wo kann
een Minske sien eegen Hemd wäsen? Ne, dat Hemd, dar meen ik jor Nabers mit, de
hier üm jo to wohnen, de in Sörg und Not sitten. Un nu kam ik nett von Tinamöh
her, de all hör Lefend arbeit het as en Perd. Nu se old is un nich mehr arbeden
kann, geiht hör dat man naar. De Ollske mut hulpen worn! Mi dücht, ji künn. de
Ollske twee Tünn Tuffels henbringen, denn wohlzutun und mitzuteilen vergesset
nicht. Denn solche Opfer gefallen Gott wohl.’ De Pastor drünk sien Köppke Tee
ut, un darbi fullt hum’t Oog up de Wiem: Wenn ji de Saak vullständig maken
willt, denn mut't Ollske ok noch In Siet Speck hebben!' Darmit greep de Pastor
een Stohl, klauterde derup un - - nehm ’n Siet Speck van de Wiem herunter
mitsamt de Spiel un güng mit de Siet Speck to de Dör ut un brodi ein sühnst na
oll Tinamöh hell.
Vergäten is dis Geschicht nich worden, bit
up dissen Dag.“
Ins Hochdeutsche übersetzt, lautet der
Bericht so:
„Es war im Herbst, da die Kartoffeln
gerodet werden. Der Pastor hatte eine alte Frau besucht, der es übel ging. Sie
war weder auf dem Posten, noch hatte sie ausreichend zu essen. Auf seinem
Rückwege kehrte er bei einem in der Nähe wohnenden Bauern ein, wurde von ihm in
den ‚Sorgenstuhl’ genötigt, und sein Blick fiel sogleich auf die Küchendecke,
die voller Speck und Würste hing. „Ach, Herr Pastor, wie gut ist’s, daß Ihr
kommt. Wir wollten Euch schon immer mal aufsuchen“, sprach die redselige
Bauersfrau. „Ihr habt es uns am letzten Sonntag so schön ans Herz gelegt, für
all das Gute dankbar zu sein, das uns der liebe Herrgott tut. Und wir haben uns
auch gleich vorgenommen, es an den armen Heiden wettzumachen, indem wir der
Mission einen Reichstaler geben.“
„So“, entgegnete erfreut der Pastor, und in
seinen Augen blitzte es auf, „Daß ihr dankbar seid, das mag ich leiden. Kennt
ihr auch das andere Wort: ‚Das Hemd ist mir näher als der Rock’?“
„Ja, Herr Pastor“, sagte die Frau, „das
Wort kennen wir gut; darum glaube ich, wir lassen es erst mit einem Taler genug
sein, denn wir müssen ja auch für Haus und Hof und unsere Leute sorgen.“
„Nein!“ rief da der Pastor, „so ist es
nicht gemeint. Ihr müßt so ein Sprichwort ein bißchen menschlicher auslegen.
Der Rock, das sind die armen Heiden; aber nun kommt das Hemd. Das seid ihr
nicht selber. Wie könnte ein Mensch sein eigenes Hemd sein? Nein, das Hemd sind
eure Nachbarn, die hier um euch herum wohnen und in Sorge und Not sitzen.
Soeben komme ich von Tinamöh her, die ihr ganzes Leben lang wie ein Pferd
gearbeitet hat. jetzt, wo sie alt ist und sich nicht mehr mühen kann, geht es
ihr gar schlecht. Der Alten muß geholfen werden. Mich dünkt, ihr könntet ihr
zwei Zentner Kartoffeln hinbringen - wohlzutun und mitzuteilen vergesset nicht,
denn solche Opfer gefallen Gott wohl.“
Dann trank er sein „Köppke Tee“ aus und
blickte wieder auf den nahrhaften Deckenbehang. „Wenn ihr die Sache vollständig
machen wollt, dann muß die Alte auch eine Seite Speck bekommen.“ Mit diesen
Worten stand er auf, langte aus dem Tischauszug ein Messer heraus, rückte sich
einen Stuhl zurecht und schnitt eine Seite Speck herunter. Freundlich, aber
schnell, ging er dann zur Tür hinaus, Tinamöh das große Geschenk zu bringen. -
Diese Episode ist bis auf den heutigen Tag unvergessen.
Der eifrige Seelsorger gab bei seinen
Besuchen den Kranken vor allen anderen den Vorzug. „Wurde abends nach 10 Uhr an
die Tür geklopft, dann wußten wir, es liegt jemand krank oder im Sterben.“
„Es ging eine Kraft von Janßen aus. Als
siebzehnjähriges Mädchen ging ich des Sonntags von Nortmoor nach Strackholt zur
Kirche. In Strackholt verheiratet, lag ich einst todkrank am Kindbettfieber.
Janßen legte mir bei seinem Besuch das Wort aus: ‚Siehe, das ist Gottes Lamm,
welches der Welt Sünde trägt.’ Der Heiland habe mich und meine Sünde
miteingeschlossen. Aller Druck wich von meiner Seele, ich wurde auch körperlich
gesund.“ So berichtete eine Frau aus Strackholt.
Janßen konnte auch recht herb sein. Dafür
das folgende Beispiel: „Eine Frau aus Großefehn, die keine Kartoffeln mehr
besaß, war in ihrer Not nach Strackholt gekommen. Hier hoffte sie, durch
christliche Nächstenliebe einige Lebensmittel zu erhalten. Als sie aber die
Hand auf die Türklinke eines Hauses legte, schämte sie sich einzutreten.
Schließlich faßte sie sich ein Herz, trat ein und brachte ihre Bitte vor.
Nachdem der Bauer sie angehört hatte, nötigte er sie in die Scheune. Dort
überschüttete er sie mit Schimpf, Vorwurf und Zorn: ‚Ihr wollt faulenzen, wir
sollen arbeiten.’ Er vergaß sich so weit, daß er die Frau schlug.
Janßen erfuhr von dieser Untat durch einen
Nachbarn, der Zeuge dieser Roheit gewesen war. Sofort ging er zu dem Bauern ins
Haus und forderte von ihm, der Geschlagenen fünf Zentner Kartoffeln zu bringen,
ferner zehn Pfund Speck, zwei Pfund Butter und zwanzig Mark Schmerzensgeld. Der
Mann versprach, gerne noch mehr zu geben, wenn Janßen die Sache nur nicht auf
die Kanzel brächte.
,Daß Sie der Frau die Sachen bringen, ist
Gerichtssache. Daß ich die Angelegenheit auf die Kanzel bringe, ist
Gottessache.’ So geschah es. Am nächsten Sonntag kam die Sache auf die Kanzel.“
Man muß Janßens Verhältnis zu seiner
Gemeinde kennen, um zu verstehen, daß er sich solche Dinge erlauben durfte.
Hätte er in diesem Falle geschwiegen, wäre es ihm von dem größten Teil seiner
Gemeinde als ein Zeichen der Menschenfurcht und Schwachheit ausgelegt worden. So
gesehen, verlieren mandie Schroffheiten in seinem Verhalten und in seinen
Predigten viel von ihrer Härte und Rücksichtslosigkeit. Jeder wußte, wie es
gemeint war.
Der Pastor besuchte auch die
verhältnismäßig wenigen, die ihn ablehnten. Er hatte erfahren, daß ein Mann,
der ihm kritisch gegenüberstand, krank war. Janßen ging hin und meldete sich
durch die Klingel. Die Frau öffnete und antwortete auf seine Bitte, den Kranken
besuchen zu dürfen: „Ich muß erst meinen Mann fragen, ob er Besucher empfangen kann.“
Sie kam mit dem Bescheid zurück: „Mein Mann läßt sagen, er sei zu krank. Wenn
ein Löwenbändiger ihn besuche, würde es ihn aufregen und die Krankheit würde
sich verschlimmern.“ Der so Angeredete war erst traurig über diese Antwort.
Still seufzte er zum Herrn. Dann erwiderte er nach einigem Schweigen: „Sagen
Sie Ihrem Mann einen herzlichen Gruß. Wenn er den Löwenbändiger abwiese, darin
könnte der Löwe selbst kommen (1. Petri 5, 8) und sich seine Beute aus der
Herde holen; der beste Raub aber könnte der Hirte selbst sein.“ - Auf dem
Heimwege kam ihm ein freudiger Trost: Wenn er ein Löwenbändiger sein sollte,
dann wollte er auch dafür danken, daß er, wie David, der dem Löwen ein
Schäflein aus dem Rachen riß (1. Sam. 17, 34), so dem Teufel Seelen entreißen dürfe.
Und so ging er still getröstet heimwärts.
Von wundervoller Milde war Janßen gegen
Menschen, die in Sündennot saßen. Schlichten Menschen betete er einfach vor,
wie in folgendem Falle: Mardjemöh hielt sich gern zu Gottes Volk und ging in
die Betstunde. Da wurde sie einmal krank, und in ihrer Seele wurde es dunkel.
Auf die Frage, wie es um ihre Seele stehe, antwortete sie: „Ach, Herr Pastor,
für mich gibt es keine Rettung, der Teufel plagt mich so sehr. Da denke ich:
Ich kann es in der Hölle auch aushalten, wie so viele. Da habe ich gesagt, der
Teufel möge dann meine Seele nehmen.“ Daraufhin Janßen: „Aber Mardjemöh! Ihr
könnt doch dem Teufel gar nicht Eure Seele überlassen, die gehört doch dem
lieben Heiland. Der hat sie doch auf Golgatha durch Leiden, Bluten und Sterben
erkauft.“ Sie glaubte, die Anfechtung wich. Es wurde wieder hell in ihrer
Seele.
Im persönlichen Verkehr war Janßen ganz
anders als auf der Kanzel. „Er konnte einem anderen eigentlich kein
unfreundliches Wort sagen.“ Janßen selbst sagte, sein größter Fehler sei die
Menschenfurcht. Der Mann, der von Stahl und Eisen sein konnte, wenn es galt,
für Gottes Ordnungen zu kämpfen, war gegen suchende Seelen wie ein Lamm, „nein,
mehr- wie ein Engel“.
„Hart wie ein Diamant, doch wie eine Mutter
so weich, das war Remmer Janßen. Da hatte sich seine Schwester Frieda, die
früher wohlhabend, aber in der Inflation völlig verarmte und von Remmer Janßen
seitdem mit stillen Geldgaben unterstützt worden war, das Leben genommen. Durch
seinen Neffen wurde dem Pastor die traurige Kunde überbracht. Er befand sich
gerade auf einer Missionskonferenz in Aurich. Seine barmherzigen, in Tränen
fast erstickten Worte waren nur: ‚Wir wollen Gott danken, der uns vor solchem
Schritt in Gnaden bewahrt hat. Wir wollen Gott bitten, er möge uns vor einem
solchen Schritt fernerhin in Gnaden bewahren. Wir wollen nicht richten und Gott
das Urteil überlassen.’“ (-ss-)
Bußfertige Sünder wußte Janßen zu
ermuntern: „Kein Mensch geht durch seine Sünden verloren, sondern nur durch
seine Selbstgerechtigkeit. Der Mensch denkt von Natur: Ich bin gut. Wenn er nur
erst einsieht, daß er ein Sünder ist und in Reue und Glauben zu Christus kommt,
kann er gerettet werden. Dafür hat Christus sein Blut vergossen. Christus nimmt
sich der Sünder an.“ Mancher ging traurig zu Janßen, um froh heimzukehren.
Dafür die folgenden Selbstzeugnisse: „Mir fehlte der innere Friede. Meine Mutter sagte: ‚Wir wollen nach Strackholt zu Pastor Janßen gehen.’ Wir trafen ihn in seinem Gartenhäuschen. Es war gar nichts Besonderes, was er sagte. Aber alles war so schlicht und herzlich bei ihm. Zuletzt knieten wir gemeinsam nieder; im Gebet legte er mich in Jesu Hand. Ich sagte in seiner Gegenwart mein ja zu Jesus. Da wurde ich froh und frei.“ (-r-)
Ein Schiffer berichtete: „Ich war einmal
von Jesus ergriffen gewesen, dann hatte die Welt mich wieder umstrickt, und die
Verbindung mit dem Herrn war gelöst. Mich quälte das Wort: ‚Es ist unmöglich,
die, so einmal geglaubt haben und geschmeckt die Kräfte der zukünftigen Welt,
wo sie abfallen, wiederum zu erneuern zur Buße’ (Hebräer 6, 4-6). Ich glaubte,
eine Lästerung gegen den Heiligen Geist begangen zu haben, die nicht mehr
vergeben werden könne. Ich ging zu meinem Ortspastor, dann zu einem
Nachbarpfarrer; ohne Erfolg. Da machte ich mich auf zu Pastor Janßen nach
Strackholt. Seine erste Frage war: ‚Was treibt dich hierher? Der Teufel?’
‚Nein’, sagte ich, ‚der kann kein Interesse daran haben.’ ‚Dann ist es der
Heilige Geist, dann siehst du, daß der Heilige Geist nicht von dir gewichen
ist.’ Wir beteten miteinander auf den Knien. Da wurde es wieder hell in meinem
Herzen.“
Inzwischen ist dieser Zeuge an einem 2. Weihnachtstag abgerufen worden. Seine letzten Worte waren: „Euch ist heute der Heiland geboren.“
Ein anderer Bericht lautet: „Ein junges
Mädchen, verlobt, wurde an den Herrn Jesus gläubig. Ihr Verlobter aber wollte
den Weg mit Jesus nicht gehen. Eine Möglichkeit, das Verhältnis zu lösen,
konnte diese Braut nicht sehen. Da bat sie Pastor Janßen um seinen Rat. Der
riet zum Beten und sagte: ,Gott weiß einen Weg.’ Sie betete hernach viel um
innere Klarheit. Da wurde sie ganz plötzlich von einer tödlichen Krankheit
befallen. Nach drei Tagen war sie ihr erlegen. Janßen. sagte in der
Leichenpredigt: ‚Lieber tot im Grabe und selig in der Ewigkeit als lebend ohne
Jesus in der Ehe.’“ (-r-)
Als guter Seelsorger war Janßen auch ein rechter Tröster der Betrübten.
„Im ersten Weltkrieg war mein Mann -
Hausvater in Janßens Missionsschule - gefallen. Meine alten, gebrechlichen
Schwiegereltern baten mich, zu ihnen zu ziehen, um sie zu pflegen. Ich sah
gegen die neue Aufgabe an und bat Pastor Janßen um Rat. Er entschied: ‚Wo Gott
eine Aufgabe stellt, reicht er auch die dazu nötige Kraft dar.’ So ging ich
gestärkt.“ (-r-)
Wie Janßen sich in die Lage der Menschen
einfühlte, zeigt folgende Erzählung: „Ich war etwa 16 Jahre alt. Da wurde einem
Lehrerhause zu seiner großen Kinderschar noch ein Mädchenzwillingspaar
geschenkt. Ich habe der Taufe beigewohnt, die Herr Pastor Janßen hielt. Er
hatte als Tauftext das Wort genommen aus Joh. 17: ‚Ich bitte nicht, daß du sie
von der Welt nehmest, sondern daß du sie bewahrest vor dem Übel.’ Diese
Taufrede hat mich so beeindruckt, daß sie mir bis heute, 70 Jahre danach,
unvergeßlich geblieben ist.“
Bei „Sterbebettbekehrungen“ war Janßen sehr
vorsichtig. Bekehrungen auf dem Sterbebette seien meistens Leichenbekehrungen.
Von fünfzig Menschen, die sich sterbend bekehrt hätten, wie sie sagten, und die
nachher gesund wurden, sei nicht einer treu geblieben.
„Der alte G. war schon seit langem
bettlägerig. Er wollte nur gern gerettet werden. Janßen fragte ihn: ‚Gerdohm,
könnt Ihr mir wohl versprechen, zu beten: Vater, gib mir um deines lieben
Sohnes Jesu Christi willen deinen Heiligen Geist?’ Der Alte entgegnete. ‚Ja,
das will ich tun.’ Jarißen hat ihn noch oft besucht und die Freude erlebt, daß
der Alte zum Frieden kam.“
Janßen hatte in seiner Gemeinde einen
Geistesschwachen, Rolf, der so beschränkt war, daß er sich nicht allein
anziehen konnte. Als dieser 20 Jahre alt war, wurde er sterbenskrank. Eines
Tages sagte er zu seiner Mutter: „Ich sterbe, willst du daß er kommen möchte
und mir das nicht dem Pastor sagen, heilige Abendmahl reichen?“ Wiederholt
drängte Rolf. Die Mutter dachte: Wenn es auch keinen Wert hat, daß er das
Abendmahl bekommt - denn er kann ja den Sinn nicht verstehen -, so will ich
doch seinem Wunsche nachkommen, um wenigstens meine Pflicht getan zu haben. Als
sie Janßen die Sache erzählt hatte, sagte dieser: „Richtet alles für das
heilige Abendmahl her! Ich komme gleich.“ Auf dem Hinwege betete er, Gott möge
doch dem Geist dieses Unglücklichen ein Licht geben. An dem Krankenbett fragte
janßen: „Rolf, mußt du sterben?“ „Ja.“ „Weißt du das?“ „Gott hat zu mir gesagt:,Rolf,
komm!’, dabei bin ich so froh. Denn wenn mir ein Mensch das sagt, dann glaube
ich es nicht. Wenn es mir aber von oben zugerufen wird, muß es doch wahr sein.“
Während der Feier war Rolf ganz verständig. Sein Angesicht strahlte. Er meinte,
daß er zu den glücklichsten Menschen gehörte. Nun konnte er die Zeit kaum
abwarten, bis der Herr ihn abholte. Janßen aber bekannte: „Dieser Besuch ist
mir selber eine Glaubensstärkung gewesen.“
Mit einem Kranken zu beten, war ihm das
wichtigste Anliegen. Wußte er doch, daß der Heilige Geist der rechte Seelsorger
ist. Es kam vor, daß die Krankenstube voll von Besuchern war. Sobald er am
Krankenbett erschien, kniete er nieder und begann zu beten. Alle knieten mit.
Wieviel Mühe und Liebe hat Jarnen auch auf
die Jugend angewandt! 44 Jahrgänge bis ins Eingangs- und Schlußgebet
ausgearbeitete Konfirmandenstundenmanuskripte legen Zeugnis dafür ab. Sonntags
ließ er die Konfirmanden am Gottesdienst teilnehmen. Was sie von der Predigt behalten
hatten, schrieben sie in ein Heft, das Jarißen von Zeit zu Zeit nachsah und
zensierte. In vielen Häusern werden diese Hefte noch heute aufbewahrt. An jedem
Sonntagnachmittag war Kinderlehre für Konfirmanden, die noch zwei bis drei
Jahre nach der Schulentlassung kamen. Die große Schar versammelte sich in der
Pastorei und zog dann unter dem Gesang „Jesu, geh voran“ in die Kirche. Die
Kinder standen in den Gängen („vör de Banken“). Die Eltern aus dem Loog (dem
Dorf Strackholt) gingen dann auch zur Kirche. Janßen fragte gelegentlich auch
die Alten. Der Konfirmandenunterricht war so geachtet und begehrt, daß z. B.
aus dem 30 km entfernten Middels ein junger Mann sich nach Strackholt verdingte
und vom Anfang bis zum Ende daran teilnahm. Der Unterricht dauerte von Martini
(11. November) bis zum Sonntag Estomihi, dem Beginn der Fastenzeit
(Passionszeit). Die Konfirmanden waren bei der Einsegnung durchweg 17 bis 18
Jahre alt. Viele von ihnen kamen bald nach der Konfirmation zum Militär. Für
jeden Sonntag ließ Janßen einen Gedenkreim über das Sonntagsevangelium lernen.
„Ich konnte schon viele, als ich sechs Jahre alt war, denn ich lernte sie von
meinen Eltern. Zum Beispiel den für den ersten Adventssonntag:
Kommst du, mein König, auch zu mir?
Oh, siehe meines Herzens Tür,
die steht dir ganz offen.
Dir soll, o liebster Jesu mein,
das Herz ganz übergeben sein.
Doch kann ich von dir hoffen, daß du,
Jesu, Licht und Leben werdest geben und
dem schenken, den Trübsal und Sünde kränken.
Der Gedenkreim für den
10. Sonntag nach Trinitatis und das Evangelium von Jesu Tränen über Jerusalem
(Lukas 19) hieß:
Können Jesu Blut und Tränen
nicht erretten, nicht versöhnen,
so folgt darauf eine Flut,
die ganz andere Wirkung tut.
Dann kommt Gott mit den Gerichten,
zu verwüsten, zu vernichten
Tempel, Städte und Land und Leut’,
weil das Blut um Rache schreit."
Im Jahre 1944 erinnerten sich viele an diesen prophetischen Gedenkreim, den sie von ihrem Seelsorger einst gelernt hatten und der im Bombenkrieg eine schaurig-ernste Erfüllung fand.
Wie eindrucksvoll Janßen sich um den
einzelnen Konfirmanden mühte, berichtet einer von ihnen selbst:
„Als Janßen mir nach der Konfirmation
meinen Konfirmationsschein überreichte, stellte er mir die Frage: ‚Hast du dich
für oder gegen Gott entschieden?’ Ich wurde verlegen. ,Ja’ durfte ich nicht
sagen. ‚Nein’ wollte ich nicht sagen. Ich weinte. ‚Gott gebe’, sagte Janßen,
‚daß es Bußtränen sind. Das ist das Notwendigste, daß wir uns selbst erkennen.’
Ich ging in die Welt. Neun Jahre waren vergangen, da fand mich der Herr. Ich
glaube, daß die Gebete der Eltern nebst denen von Janßen es waren, denen ich
den Frieden des Herzens zu verdanken habe."
Gehet hin in alle Welt
und predigt das Evangelium aller Kreatur!
(Markus 16,15)
„Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht
predigte! Es liegt ein Zwang auf mir.“ So sagt der Apostel Paulus. Dasselbe
konnte Janßen auch von sich sagen.
Sein „Gemeindesprengel“ war die Welt!
Sein Missionseifer aber zeigte zwei Früchte:
1. Das Strackholter Missionsfest,
2. Das Strackholter Missionshaus.
Selten hat ein Missionsfest eine solche
Volkstümlichkeit erreicht wie das Strackholter. Es hatte bald für Ostfriesland
und Teile des angrenzenden Oldenburgischen Landes eine ähnliche Anziehungskraft
wie das Hermannsburger Missionsfest für die Lüneburger Heide und das übrige
Hannoverland. DasFest war ein „Erweckungsherd“. Hier kamen Menschen zur
Bekehrung. Auf diesem Feste, wie überhaupt auf den Missionsfesten kreuz und
quer im Lande, sprach janßen von der Mission nur im allgemeinen. Er sah die,
die gekommen waren, nicht einfach als glückliche Besitzer des Heils an, sondern
als solche, deren Herzen er erst gewinnen mußte für den Herrn. Nach seiner
Überzeugung waren die Menschen, die vor ihm saßen, noch lange nicht wahrhafte
Christen, sondern solche, von denen der größte Teil noch bekehrt werden mußte,
weil sie noch längst nicht Christus angenommen hatten. So gab er nicht eigentliche
Missionsberichite, sondern hielt Buß- und Erweckungspredigten. Gefragt, warum
er so wenig von der Mission erzähle, antwortete er: „Das kommt ganz auf die
Gemeinde an. Hat man einen lebendigen Kreis derer, die an den Herrn gläubig
sind, dann kann man von der Mission erzählen. In der Regel ist das aber nicht
der Fall. Da ist es besser, erst die Menschen für Christus zu gewinnen.“ So war
ihm die Bekehrung der Menschen zu Christus erstes und wichtigstes Anliegen. Er
betonte immer und immer wieder, wir könnten erst dann Mission treiben, wenn wir
selbst Christen seien. So waren seine „Missionspredigten“ in Wirklichkeit evangelistische
Wortverkündigungen. Auch hier erwies sich Janßen als Meister und Psychologe.
Auf dem Strackholter Missionsfest konnte man
es erleben, wie fröhlich das Wort von Christus macht. Dieses Fest war ein
Freudentag für Tausende. Es fand immer am letzten Mittwoch im August statt.
Dieser Tag galt als Feiertag. Dienstboten schlossen ihren Dienstvertrag nur mit
der Bedingung, zum Strackholter Missionsfest frei zu haben!
Von allen Seiten rollten an diesem Tage die
Wagen heran. Die Pferde trugen Kränze um den Hals. Die Wagen waren mit Grün und
Blumen geschmückt, gleichsam als führen sie zu einem Hochzeitsfest. Eine Woche
vor dem Feste machte die Jugend Strackholts Ehrenbogen. An mehreren Stellen
wurden Kränze zum Schmuck der Kirche gewunden.
„Meistens war schönes Wetter, das eigentlich unbedingt dazu gehörte, um der großen Menschenmenge das Wort Gottes zugänglich zu machen, denn die Festpredigten mußten wegen der großen Zahl der Teilnehmer im Freien gehalten werden. Wie schön war abends die Heimfahrt, wenn die Scharen bei ihrem Abschied von der Segensstätte ihre Kirchenlieder anstimmten, um noch einmal der Freude ihres Herzens Ausdruck zu geben und dem Herrn ihren Dank für seine gnadenvolle Huld zu bekunden. Und wie demütig und bescheiden blieb trotz allem Janßen bei allen seinen Erfolgen. Man darf es ruhig sagen: Ihm war es allein darum zu tun, Seelen für den Herrn zu gewinnen. Sein großer Ernst, gepaart mit liebenswerter Freundlichkeit, hat viel dazu beigetragen, bei diesen Festen aus vielen ‚Gegnern’, viele ‚Freunde’ zu machen.“
Die Gastfreundschaft allein war schon etwas
Herrliches. Jedes Haus nahm ungefähr 10 bis 15 Gäste auf, so daß Janßen mit
Recht sagen konnte: „Unsere Strackholter sind gastfrei ohne Murren.“
Janßen selbst ging in der Gastfreundschaft mit leuchtendem Beispiel voran. An die 100 bis 200 Gäste bewirtete er in seinem Pfarrhaus. Stets kündigte er dies so an: „Die Pastoren mit ihren Familien lade ich zu mir ein. Das ist mein Missionsopfer.“ Natürlich hatte er noch andere Gäste in seinem Hause.
Wer nicht in den Stuben Platz fand, kam auf
die Diele. Hier war für viele Platz. Janßen ließ zu dem Fest eine Kuh schlachten.
Für die Vorbereitung des Missionsfestes sowie für die Bewirtung der vielen
Gäste wurde tagelang vorher gearbeitet. Vom Montag an wurden den ganzen Tag
Kartoffeln geschält. Die Töchter der Nachbarn halfen während dieser Tage. Das
Kalbfleisch wurde immer von dem gleichen Schlachter geliefert. Im
Konfirmandensaal, im Speisesaal und auf der Diele mußten Tische gedeckt werden.
Hatten die ersten gegessen, so trat Janßen freundlich an sie heran und sagte:
„Wer da gegessen hat, der möge sich erheben und sich den Garten und das Gehölz
ansehen gehen, damit die nächsten essen können.“
Ein Beobachter erzählte:
„Janßen ging während des Essens durch die
Reihen, es war ganz wundervoll, wie er sich als Hausvater betätigte. Er
begrüßte jeden und sorgte, daß jeder einen guten Platz und seinen vollen Teller
bekam: Hausvater und Hausmutter in einer Person.“
Strahlende Augen folgten ihm überall. Hier
und da ging er auf einen ihm in Christo innig verbundenen Bruder zu, umarmte
ihn und gab ihm den Bruderkuß, nach dem Wort: „Grüßet alle Brüder mit dem
heiligen Kuß“ (l. Thess. 5, 26). überall spürte man seine warme Liebe, die dem
ganzen Feste seine Seele einhauchte.
In einem Jahr hatte es wochenlang vor dem
Missionsfeste geregnet. Das Korn stand noch draußen. Wenige Tage vor dem Fest
trat endlich Sonnenschein ein. Es war vorauszusehen, daß die Versuchung groß
werden könnte, am Missionsfest das Korn einzufahren. Natürlich hätte das
Missionsfest darunter zu leiden gehabt. Wie betete der treue Hirte, daß die Menschen
trotzdem kommen möchten! Da ging in der Nacht vor dem Feste ein
wolkenbruchartiger Regen auf Strackholt und Umgebung hernieder. Das war Gottes
Antwort! Der Pastor sang, laut: „Lobe den Herren.“ Das Korn konnte am Festtage
nicht eingefahren werden, und das Fest hatte einen großen Zulauf. Nach dem
Missionsfeste konnte das Korn bei schönstem Sonnenwetter geborgen werden.
Einst war Janßen vor dem Fest krank. Es
hieß: „Der Pastor wird nun nicht selbst beim Fest zugegen sein können.“ Diese
Aussicht stimmte allgemein recht traurig. Einige Brüder und Schwestern in
Christo kamen bei Janßen am Abend vor dem Missionsfest an seinem Krankenlager
zusammen und befahlen Gott dem Herrn diesen Tag an. „Der Pastor wird morgen da
sein“, so sprachen sie auf dem Heimwege; sie waren der Erhörung ganz gewiß.
Welch ein Freudenrausch ging durch die Menge, als die Posaunen den Pastor und
die Redner zum Festplatz geleiteten und unser Janßen voranging. Durch die
Missionsgaben konnten zwei Missionsstationen der HermannsburgerMission ganz
unterhalten werden!
Janßens Missionsliebe drängte stets zur
Tat. Zwei Nöte legten sich diesem Gottesmann auf die Seele: das Elend der
Heiden und die seelsorgerliche Not der Deutschen in Amerika, die ohne genügende
geistliche Versorgung waren. Der deutsche Pastor Wynecken war damals aus den
Vereinigten Staaten in die Heimat gekommen mit dem Notruf: „Sendet uns
Seelsorger. Ihr schickt Missionare zu den Heiden, die Eingeborene für Christus
gewinnen, und laßt ganze Scharen von Christen dem Unglauben und den Sekten
anheimfallen.“ Wynecken wandte sich an das Konsistorium in Hannover. Man
verhandelte. Ein Mann handelte.
Janßen erbaute in Strackholt eine
Missionsschule zur Ausbildung von Missionaren in der Heidenmission und von
Pastoren, die einmal unter den Deutschen in Amerika wirken sollten. In der
Missionsschule sollten die Anwärter eine dreijährige Vorbildung erhalten, nach
deren Abschluß sie zur weiteren Ausbildung dem Missionsseminar in Hermannsburg
oder dem Predigerseminar in Dubuque (lowa) oder in die Innere Mission
überwiesen werden sollten.
Das ist alles so einfach erzählt, aber
welche Kämpfe sollte das Missionshaus dem armen Pastor bringen! Es war oft ein
Kampf um Leben und Tod!
Die geplante Eröffnung der Missionsschule
mußte unterbleiben. Es fehlten die Schüler! Janßen bat die Missionsfreunde,
täglich den Herrn zu bitten, Arbeiter in seine Ernte zu sdücken. Aber er mußte
lange warten. Er schrieb einmal: „Wegen eines schweren inneren Kampfes um
unsere Missionssache habe ich in den letzten Jahren nur das Allernotwendigste
über unsere Missionsschule veröffentlichen können. Ich konnte die Missionssache
eineinhalb Jahre lang nicht mehr in der bisherigen Gewißheit und Freudigkeit
fortführen. Die besten und liebsten Missionsfreunde kündigten mit die
Freundschaft und Mitarbeit. Die Missionsgemeinde drohte sich zu spalten. Was
sollte ich machen? Ich war ungewiß. Aus diesem Grunde habe ich etwa 100 bis 150
Briefe, die die Missionssache betrafen, unbeantwortet lassen müssen. Aufrichtig
konnte ich sie nicht beantworten. ich bat den Herrn, mir die Zuversicht und
Gewißheit wiederzugeben.“ So erzählte Janßen, in seinem Blatt „Der
Missionsfreund“. Es kam hinzu, daß die Missionsanstalt in Hermannsburg von der
Notwendigkeit der Gründung einer Missionsschule in Strackholt nicht überzeugt
war. „Man könnte die Ausbildung in der Hauptausbildungsstätte Hermannsburg
billiger und gründlicher machen“, sagte Superintendent Linnemann in Leer.
Janßen stand in dieser Zeit mit seinem Gott
allein. Seinem vertrauten Freund Sikke Lambertus hat er erzählt, wie ihn der
Teufel angefochten habe. Er habe oftmals nachts nicht schlafen können vor
Sorge. Er sei aus dem Bett gesprungen, um im Gebet Kraft zu suchen. Dann seien
die Verzweiflungsgedanken ihm wie ein Sturmwind durch den Kopf gegangen. Das
Wort habe ihm in den Ohren geklungen: „Remmer, gib deine Sache auf! Du wirst
noch wahnsinnig werden.“ Die Stimme habe so herzlich geklungen, als spräche
sein liebster Freund. Es war aber die Stimme des Satans, der sich in einen
Engel des Lichts verkleidet hatte. Nach langem, langem Kampfe sei ihm eine
tröstende Stimme geworden: „Du ungeduldiger Remmer, 21 Jahre habe ich dich in
Geduld getragen, jetzt willst du dir diese kleine Probe nicht gefallen lassen?“
Da sei es still in ihm geworden. Nach diesem Sturm wartete Janßen voll
Vertrauen auf die Hilfe des Herrn.
Schwierigkeiten aller Art dauerten jedoch
noch lange an. In jeder Nummer des Missionsblattes bat er, es möchten sich Zöglinge
melden. Monatelang war es ihm wegen großer Abgespanntheit nicht möglich, den
„Missionsfreund“ zu schreiben. Er schrieb: „Ihr lieben Missionsfreunde, habt
mit meiner Schwachheit ein wenig Geduld! Ich will meine betrübte Seele damit
trösten, daß ich ihr zurufe: ‚Harre auf Gott.’ Ich darf mich der Fürbitte
meiner Missionsfreunde empfehlen.“
Im Frühjahr 1889 hoffte Janßen die
Eröffnung der Missionsschule bestimmt in Aussicht stellen zu können. Am 2.
Pfingsttage 1889 konnte die feierliche Einweihung endlich stattfinden,
eineinviertel Jahr nach dem geplanten Zeitpunkt. Durch welche Tiefen der
Anfechtung war Jarißen geführt worden! Nun brach die Sonne durch. Der
Einweihungstag gestaltete sich zu einem Freudentag. Mit fünf Schülern fing die
Schule an. Hilfreich war dabei die Hand, die sich ihm von Amerika aus
entgegenstreckte.
Professor Fritschel von der lowa-Synode
schrieb: „Es ist der Herr selbst gewesen, der uns zueinander geführt hat.“ Als
Janßens Brief an die Synode angekommen sei, um den Dienst seiner Zöglinge in
Amerika anzubieten, sei gerade ein Brief an Janßen unterwegs gewesen, um ihn um
seine Mitarbeit zu bitten. Darin könne man des Herren Wink erkennen. Wir
schlagen freudig und voll herzlichen Vertrauens ein. Jesus segne unsern Bund.“
So schließt der Brief Fritschels.
Ein anderer Brief von drüben lautet: „Hier
ist die Ernte zum Abfallen reif. Allerdings winken keine Pfründen, sondern
Arbeit und immer wieder Arbeit. Aber auch nirgends hat Gott die Arbeit so
gesegnet wie hier. Das zeigt die Geschichte unserer Kirche zur Genüge.2
96 Schülern hat Janßen durch die
Missionsschule den Weg in den besonderen Dienst Gottes geebnet. Einer ging in
die Hermannsburger Mission, die übrigen zur weiteren Ausbildung nach Amerika
und in die Innere Mission.
„Das Missionshaus war ein Kind seiner
Liebe, aber auch ein Kind steter Sorge“, so urteilte Gerhard Otten, Janßens
Missionslehrer und später Superintendent in Aurich-Oldendorf.
Das Missionshaus wurde im übrigen einen stillen Weg geführt. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde es, weil die Schüler in den Heeresdienst traten, geschlossen. Nach dem Kriege war Janßen ein alter Mann geworden. Das Missionshaus wurde verpachtet und schließlich verkauft (1951). In einem vom Erlös gebauten Haus wohnt ein Hermannsburger Volksmissionar.
Warum, so könnte man fragen, predigt dieses
Haus nicht mehr? Gott läßt es zuweilen zu, daß Werke, die von seinen Dienern
erbaut sind, vergehen. „Wer hat den Sinn des Herrn erkannt?“ (Röm. 11, 34).
Janßen selbst antwortete auf die Frage, warum das Missionshaus nicht erhalten
geblieben sei, demütig: „Was von Menschen gebaut ist, geht auch mit Menschen
zugrunde.“ Uns genüge es zu wissen: Pastor Janßen hat zu seiner Zeit, wie einst
von Daniel gesagt wurde, dem Willen Gottes gedient. Etwa im Jahre 1965 wurde
das Missionshaus abgerissen, um einem Schulneubau Platz zu machen.
Aus der Heidenwelt und der „Neuen Welt“ und
aus unserem deutschen Land werden viele in der Ewigkeit dem Manne danken, der
ihnen Boten des Friedens gesandt hat.
Geblieben ist das Strackholter
Missionsfest. Als es 1955 zum 73. Male mitten in der Woche und in der Erntezeit
stattfand, waren nicht weniger als 3000 Menschen herbeigeströmt. Es wurde bis
1968 alljährlich am letzten Mittwoch des Monats August gefeiert, 1969 wurde es
zum erstenmal auf einen Sonntag verlegt, 1970 fand das Missionsfest zum 89.
Male statt.
Bittet, so wird euch gegeben!
(Matthäus 7, 7)
Es war an einem Neujahrsniorgen. Wieder
stand der Pastor auf der Kanzel. Die Spuren seines nächtlichen Gebetskampfes
waren noch in seinen Gesichtszügen zu lesen. Wie ging es aber den Menschen
durchs Herz, als er sagte: „Ich habe die ganze Nacht gerungen um eure Seelen.“
„Wie manche Nacht hat Janßen auf den Knien
zugebracht, um in den vielen Widerständen und Anfechtungen den Sieg zu
erflehen.“
Kein Wunder, dass seine Worte wie Blitze in regelloser Wucht
einschlugen.
„Wer andern vieles sagen soll,
schweigt viel in sich hinein.
Wer Blitz und Donner senden soll,
muss vorher stumme Wolke sein.“
Aus dem Munde seiner Haushälterin hören wir: „In den ersten Jahren ist der Pastor fast nicht von den Knien gekommen.“
Auf Besucher machte es einen tiefen
Eindruck, wenn sie ihn in seinem kleinen Gartenhäuschen im Gehölz aufsuchten
und ihn betend auf und ab gehen sahen.
Gewiß, in das innere Heiligtum seines
Gebetslebens ist uns der Blick verwehrt. Denn wer recht betet, schließt die Tür
hinter sich und redet mit seinem Gott im Verborgenen Die Quellen für unsere
Darstellung fließen hier nur spärlich. Wir können nur entfernt ahnen, wie viel
dieser Mann gebetet hat. Für seine Predigten hatte das Gebet ebensoviel
Bedeutung wie der fleißig gebrauchte Studiertisch.
Ein Hauch des Friedens von einer anderen
Welt umgab ihn. Wer mit besonderem Anliegen zu ihm kam, wußte da von zu
erzählen, daß sein Pastor jedesmal mit ihm nieder kniete und sein Anliegen dem
Herrn vortrug.
Einige Beispiele mögen die kindlich
vertrauensvolle Art von Janßens Gebet zeigen. Ein Mann erzählte: „Es liegt wohl
40 Jahre zurück. Meine Mutter lag an Lungenentzündung hoffnungslos darnieder.
Mein Vater schickte mich eilends zu Pastor Janßen. Es war Abend, als ich bei
ihm ankam. Nachdem ich alles mitgeteilt hatte, fragte Jarißen: ,Wieviel Kinder
seid ihr?’ ‚Wir sind zehn Geschwister.’ ‚Meint der Arzt, es sei
lebensgefährlich und wenig Hoffnung auf Genesung?’ ‚Ja, der Arzt sagt, sie wird
nicht durchkommen.’ ,Nun, mein Junge, jetzt müssen wir auf die Knie, um zu
erfahren, was der Herr will.’ Nach dem Gebet sagte Janßen: ,Gott wird deine
Mutter wieder gesund machen!’ Danach gab er mir Geld für eine Flasche Wein und
sagte: ‚Jetzt gehst du nach Hause zurück, und morgen früh sagst du mir
Bescheid, wie es um deine Mutter steht.’ Als ich zurück, kam, hatte sich das
Fieber gelegt. Es war um die Stunde des Gebets gewesen, daß das Fieber sank,
und meine Mutter war nach ein paar Tagen wieder gesund.“
Janßen wußte, daß Gott im Kleinsten oft am
größten ist. So brachte er auch die natürlichsten Dinge des täglichen Lebens
im Gebet vor Gott, selbst wenn es sich um ein Tier handelte. Eines Tages
kam ein Bauer aus Fiebing und klagte Janßen, daß er einen Ochsen eingebüßt
habe. (Damals wurde mit diesen meist gepflügt, Pferde gab es noch wenige.)
Janßen machte dem Mann Mut. Dieser fragte: „Meinen Sie, daß ich um einen neuen
Ochsen beten darf?“ „Warum denn nicht, wenn wir nur gläubig beten!“ Der
Besucher meinte, dann wolle er es versuchen. Doch er hätte mehr Mut, wenn der
Pastor auch für die Sache betete. Gern willigte Janßen ein. Der Erfolg jedoch
blieb aus. Ein halbes Jahr verging, der Mann war inzwischen unruhig über sein
Seelenheil geworden und kam zur Kirche. Er fand seinen Heiland. Sein Ochse war
ihm nun zur Nebensache geworden. Beim Fortgehen fragte Janßen: „Wie ist es
geworden mit dem Ochsen?“ „Ach, darüber bin ich hinweg, das hilft sich schon.“
„Nun, ich merke, wir haben die Sache unsererseits versäumt. Wir wollen nun
niederknien und dies dem Herrn anheimstellen.“ Janßen schloß die Tür ab. Mitten
im Gebet wurde geklopft. Janßen schloß auf. Herein trat der Geldbriefträger und
überbrachte Janßen 500 Mark, mit folgendem Begleitschreiben: „Da ich in der
letzten Zeit viele Pferde verkauft und ungewöhnlich hohe Überschüsse erzielt
habe, möchte ich davon abgeben an Leute, die Hilfe brauchen. Da ich niemanden
kenne, sende ich Ihnen 500 Mark, weil ich weiß, daß Sie das Geld besser
unterbringen werden.“ „Sehen Sie“, sagte Janßen, „unser Gebet ist erhört. Hier
haben Sie das Geld, kaufen Sie den besten Ochsen, den Sie bekommen können.“
Nach kurzer Zeit brachte der Mann 200 Mark, die er übrigbehalten hatte, zurück.
Der Pastor könne sie anderweitig verwenden. Beide waren nun glücklich. Beim
Abschied sagte Janßen: „Hier sehen wir, wir haben einen wunderbaren Gott, der
sich auch um die Ochsen kümmert, ja, der einen Ochsen benutzen kann, um einen
Menschen zu sich zu führen.“
Einmal war Janßen in arger Verlegenheit. Er hatte all sein Geld weggegeben. So trug er sein Anliegen dem himmlischen Vater im Gebet vor: „Himmlischer Vater, der Teufel hat mich eingefangen. Du mußt mir wieder heraushelfen.“ Er ging zu einem Landwirt, um Geld zu leihen. Dieser gab ihm die Antwort: „Nein, Herr Pastor, ich gebe Ihnen nichts, denn ich möchte nicht, daß Sie als Schuldner im Grabe liegen.“ Das war ein Schlag! Janßen fragte: „Wem bin ich etwas schuldig geblieben?“ Der Bauer: „Sie sehen manchmal Not, und wenn Sie nicht gleich helfen können, borgen Sie. So könnte es kommen, daß ich das Geld nicht wieder zurückbekäme.“
Nun war Janßen noch mehr in die Enge, ins
Gebet getrieben. Nach ein paar Tagen bekam er Besuch von einem Domänenpächter,
der ihn beim Abschied fragte, ob er wohl mal in Geldverlegenheit stecke?
Treuherzig bejahte Jarißen das und erzählte ihm sein Erleben. Da überreichte
ihm der Päditer 700 Mark. Auf das Erstaunen Janßens, wie er dazu komme,
erklärte der Besucher: „Unser gemeinsamer Freund, Jesus, schickt mich zu
Ihnen.“
Morgens, mittags und abends wurde auch hier
die Betglocke geläutet. Dann nahm Janßen seine Kopfbedeckung ab und betete.
Schlug die Betglocke während des Unterrichts, so hielt er inne und rief:
„Lasset uns beten.“
Dann betete er das ‚Christe, du Lamm
Gottes’, oder das Vaterunser oder:
„Herr, die Stunde schlägt nun wieder,
denk an uns und unsere Brüder,
die mit uns im Glauben stehn.
Leite uns, die wir hier wallen,
Herr, nach deinem Wohlgefallen,
bis wir in den Himmel gehn.“
Janßen schätzte auch das gemeinsame
Gebet. In der Gemeinde Strackholt bildeten sich acht sonntägliche
Betstunden. Janßen nahm, soviel er konnte, daran teil. Manchmal kam er erst
nach der Betstunde oder auch erst gegen Schluß, besonders wenn er viel Arbeit
hatte. Er wollte dann doch gerne wenigstens „Amen“ sagen. In den zehn Tagen vor
Pfingsten, „der Wartezeit“, versammelte sich eine Schar von Menschen zum täglichen
Gebet um die Gaben des Heiligen Geistes. „Da war Janßen in seinem Element!“
Da konnte er denn auch wohl sagen: „Sind wir eigentlich schon im Himmel oder
nicht?“
Remmer Janßen war eine priesterliche Seele,
ein Mann, der Fürbitte leistete für das Volk. Wie hätte da im Gottesdienst sein
Mund nicht überfließen sollen, besonders wenn er am Altar stand in Lob und
Dank, Bitte und Gebet! Es drängte Janßen, in der großen Gemeinde Gott zu loben
und zu preisen. Er wollte wieder zu den Schätzen der vergessenen Liturgie
greifen und sie seiner Gemeinde lieb machen. Ein Jahr nach seinem Einzug in
Strackholt führte er daher die volle Liturgie mit den von der Gemeinde
gesungenen Responsorien (Wechselgesängen) ein. Gebetet wurde stets kniend.
Dem Glaubensbekenntnis fügte Janßen die Worte bei: „Ich glaube, Herr, hilf
meinem Unglauben. Mehre mir den Glauben.“
Den Pastor Janßen zog es immer mit Gewalt
auf die Knie. Die Gemeinde folgte ihrem Hirten. In den späteren Jahren gingen
einige Gemeindeglieder - meist wohl die Gebrechlichen - dazu über, sich
lediglich nach vorn zu beugen. Von der Mehrzahl wurde jedoch das kniend
gesprochene Gebet vorgezogen. „War die Predigt zu Ende, so brauchte Janßen kaum
erst zum Beten aufzufordern. Es war wie ein Schlag und alle lagen auf den Knien.“
„Janßen wußte sich selbst im Gottesdienst
von dem Gebet der Gemeinde getragen.“
Das „allgemeine
Kirchengebet“ war mit dem vorgeschriebenen Inhalt gefüllt. Janßen betete
sonst auch im Gottesdienste frei. Sein Gebet war dabei natürlich, einfach und
schlicht. Er brachte vor den Herrn, was die Gemeinde und ihn bewegte. Als
einmal eine Mutter aus Spetzerfehn, die kein Kindermädchen hatte und doch den
Gottesdienst nicht versäumen wollte, ihr Kind auf dem Rücken mit in die Kirdie
genommen hatte, fing das Kind an zu weinen. Janßen fügte seinem Gebet die
treuherzigen Worte hinzu: „Und das Kind, das weint, laß auch dereinst selig
werden.“ Das Vaterunser wurde bei dem an jedem Sonntag gefeierten heiligen
Abendmahl von dem Liturgen gesungen. Hier belebte ihn die besondere Nähe seines
Heilandes, der seinen Leib und sein Blut gab.
Habt die Brüder lieb!
(l. Petrusbrief 2,17)
„Wir wissen aber, daß wir aus dem Tode zum Leben gekommen sind, denn wir lieben die Brüder“ (l. Joh. 3, 14).
Liebe zu denen, die durch Gottes Wort zu
Gottes Kindern wiedergeboren waren, das war Janßen eine Herzenssache. Schon als
Göttinger Student verkehrte Remmer in einer Schuhmacherfamilie; hier hatte er
ein lebendiges Christentum vorgefunden. So mußte Janßen ja ein Mann werden, der
die Gemeinschaft mit christlichen Brüdern suchte und brauchte. Wenn Zinzendorf
sagte: „Ohne Gemeinschaft statuiere ich kein Christentum“, so war dies Wort des
Begründers der Brüdergemeine dem jungen Theologen aus dem Herzen gesprochen.
„Janßen war im tiefsten Grunde ein einsamer
Mensch. So wie er war, so wie er an Jesus hing - wen fand er so?“
„Unser lieber Pastor Janßen war ein
einsamer Mensch. Er war ja immer allein: Allein mit sich, seinen Gedanken und
Nöten; allein auch mit seinen körperlichen Leiden und Schmerzen. Niemand war
da, mit dem er sich einmal ganz aussprechen konnte. Immer allein, das war sein
Los. Trotzdem war Janßen zugleich ein fröhlicher Mensch unter Fröhlichen.“
„Als Janßen in Strackholt auftrat, wirkte
das wie ein ,Glockenschlag’ durch ganz Ostfriesland.“ Die „Stillen“ im Lande
schlossen sich ihm gleich an. Sie sagten das nicht. Sie organisierten sich
nicht. Aber auf jedem Missionsfest in Strackholt trafen sie sich. Es hat in
Ostfriesland immer Kreise von gläubigen Menschen gegeben. Diese waren nicht
durch Janßen erweckt, aber sie wurden durch ihn angezogen. Beim Strackholter
Missionsfest rollten von überall her die Wagen an, auch aus dem reformierten
Rheiderland und aus Krummhörn. Janßen war nicht der Meinung, daß der
sonntägliche Gottesdienst und die Bibelstunden für den gläubigen Christen
genügten. Er sagte: „Von den vier Dingen, die zu einer lebendigen Gemeinde
gehören, nämlich der Apostel Lehre, der Gemeinschaft, dem Brotbrechen und dem
Gebet, ist unserer Kirche das zweite weithin verlorengegangen: die
Gemeinschaft.“
Wie stand Janßen zu seinen Amtskollegen?
Ein Freund bezeugte: „Etliche Amtsbrüder schlossen sich von ihm hermetisch ab.“
Die Kehrseite seiner brüderlichen Verbundenheit war so die völlige Einsamkeit
unter anderen.
„In seinen ersten Amtsjahren hat Pastor
Janßen durch harte Äußerungen bei den Amtsbrüdern Anstoß erweckt und Spannungen
verursacht. In späteren Jahren fielen die Spannungen völlig fort, weil er
milder in seinem Urteil geworden war, durchaus ein Mann des Friedens, mit dem
keiner Streit haben konnte und mit dem auch seine Amtsbrüder in freundlichem
Einvernehmen gelebt haben“ (Köppen).
„Remmer Janßen gab unseren Konferenzen
irgendwie eine unvergeßliche Weihe. In seiner Gegenwart war es einfach
unmöglich, lieblose Worte zu reden oder unzufriedener Kritik Luft zu geben.
Seine Herzensgüte umschlang alle mit dem Band brüderlicher Liebe. Sein
apostolischer Bruderkuß (vgl. 1. Thess. 5, 26) hatte symbolische Kraft. Sein
Andenken seil und bleibe gesegnet für allezeit.“ So erzählt Janßens Pfarrbruder
Riechelmann, der von 1895 bis 1911 sein Nachbar in Ostgroßefehn war.
Besonders herzlich war Janßen mit Pastor
Linnemann in Weene verbunden. Eine Predigt Linnemanns hatte beide zusammengeführt.
Janßen hatte aufgehorcht, er hatte einen Prediger entdeckt, dem Jesus als
Retter begegnet war und ihm nachfolgen hieß. Gleich nach Linnemanns Predigt
ging er auf diesen zu, bot ihm das vertrauliche Du an und gab ihm den
Bruderkuß. Linnernann hat Janßen später treu beigestanden, besonders dann, wenn
Janßen mit Arbeit überhäuft war, krank daniederlag oder unter Anfechtungen
litt. Konnte Janßen das Missionsblatt nicht fertigschreiben, dann mußte sein
Freund Linnemann herbeieilen und das Blatt vollenden.
Gleichsam ein geistliches Kleeblatt waren
die Pfarrbrüder Janßen in Strackholt, Voget in Holthusen, der in seiner
Studierstube eine große Zeichnung des himmlischen Jerusalem hängen hatte, und
Janßen in Holtland. Letzterer konnte um eine abgeirrte Seele stundenlang beten
und erfuhr dann oft die Macht des Geistes Gottes, der Sünder zurechtbringt. Von
ihm wurde gesagt, seine drei Anliegen in fast jeder Predigt seien Buße, Glaube,
Heiligung gewesen, während es dem Strackholter Janßen mehr um Buße, Glaube und
Mission gegangen sei. Dieser demütige Jünger und Zeuge seines Heilandes erlitt
einen so bitteren Todeskampf, daß es Menschen, die Jesus nicht kannten, ein
Anstoß werden wollte. In der dunklen Anfechtung im Sterben rief er: „Remmer,
Bröer, kumm, help mi!“ (Remmer, Bruder, komm, hilf mir!), um endlich im Anblick
der himmlischen Gottesstadt preisen zu können: „Ich gehe in Immanuels Land.“
Pastor Voget wurde in der Hitlerzeit an einem hohen Geburtstag von einem
Zeitungsberichterstatter um seine Meinung über das Zeitgeschehen gefragt. Er
antwortete nur: „Suche Jesus und sein Licht, alles andre hilft dir nicht.“
Ein anderer Mitbruder war Pastor Schomerus
aus Weene. Er trat als Hausvater in das Missionshaus in Hermannsburg ein, wurde
später Direktor und bezeichnete Janßen als Werkzeug Gottes, der ihn in die
Mission führte. Janßen hatte seinem Freund erklärt: „Ich bete jeden Tag für
dich, daß du Missionsdirektor wirst.“ Schomerus hatte Janßens Bild in seinem
Arbeitszimmer hängen.
Sodann Pastor Hermann Immer: In seiner
Gemeinde Manslagt hatte Gott eine Erweckung geschenkt. Es trieb ihn, Janßen zu
besuchen. Unvergeßlich blieb es ihm, daß dieser ihn beim Abschied bat: „Möchten
Sie noch mit mir beten?“
Auch mit Prediger Paulsen von der
ostfriesischen landeskirchlichen Gemeinschaft war Janßen durch das Band der
Gotteskindschaft verbunden. Wenn beide sich verabschiedeten, dann war der Kuß
der Liebe - wie bei den ersten Christen das Zeichen, daß ein Höherer sie
verband.
Gern erzählte Prediger Johannes Hasselhorn,
1966 hochbetagt heimgegangen in Heilbronn, wie er von dem im Ruhestande in
Egels wohnenden alten Bruder Remmer Janßen gestärkt wurde. Als Hasselhorn
einmal sein Herz ausschüttete in Trauer darüber, daß er oft den untersten Weg
gehen müsse, tröstete Janßen ihn: „Us Herr Jesus brukt ok Asels.“ (Unser Herr
Jesus braucht auch Esel.), bezugnehmend auf den königlichen Einzug in
Jerusalem, nach Matth. 21.
Ein katholischer Pfarrer aus Aurich äußerte
sich nach einem Dienstbesuch in Strackholt glücklich über die Ehrerbietung und
Herzlichkeit von Gemeindegliedern ihm gegenüber (Mitteilung von Agnus Cassem,
dem Sohn des Erbauers des Strackholter Missionshauses).
Die sonntäglichen privaten Betstunden,
diese „Kirchlein in der Kirche“ hatte Janßen besonders lieb. Gern setzte er
sich als Gast unter die Brüder. In seinen Ankündigungen lud er oft zu dem
Besuch dieser Versammlungen ein. Auch nach Firrel oder Ostgroßefehn kam er in
die Versammlungen und erklärte: „Ich muß die Brüder grüßen.“ Das Konsistorium
in Aurich schrieb nach einer Kirchenvisitation in Strackholt: „Es finden in
manchen Häusern erbaulicheZusammenkünfte statt, die von Laien geleitet werden.
Auch in diesen freien Zusammenkünften erblicken wir erfreuliche Zeichen des
Lebens und kirchlichen Sinnes, der die dortige Gemeinde beseelt.“
Eine dieser Betstunden besteht nunmehr
(1973) 80 Jahre.
Es ruft zur Anbetung der Gnade Gottes, wenn
wir erfahren, daß bei fast allen Besuchern die Eltern, Großeltern und gar
Urgroßeltern durch Janßens Wirksamkeit zum lebendigen Heilsglauben gekommen
sind! So kann man von Pastor Janßen mit den Worten der Heiligen Schrift sagen:
„Er lebt, wiewohl er gestorben ist. Was aus Gott geboren ist, überwindet die
Welt.“
Das Strackholter Pfarrhaus war ein stilles Heiligtum, über dem das Wort Gottes leuchtete: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen“ Ps. 133, Vers 1).
Remmer Janßen war wie ein Magnet, zu dem
sich alle in gleicher Weise hingezogen fühlten: die durch Gottes Gnade bekehrt
waren, die in den Sakramenten lebten, die das Gotteslob in der Liturgie mit
Freuden sangen und die den wiederkommenden Herrn erwarteten. Eins konnte hier
in das andere greifen, eins durch das andere wachsen und reifen.
Ihm stand Tersteegens Wort im Herzen
geschrieben:
0 wie lieb ich Herr die Deinen,
die dich suchen, die dich meinen;
o wie köstlich sind sie mir!
Du weißt, wie mich's oft erquicket,
wenn ich Seelen hab erblicket,
die sich ganz ergeben dir.
Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet
(Jakobus 1, 12)
Wie noch fast jeder Diener Gottes, der in
Satans Reich hineingriff, die Mächte der Finsternis gegen sich in Bewegung
setzte, so auch Janßen. Diese dunklen Gewalten stürzten ihn in manche
Anfechtung.
Sollen wir die Abgründe von Janßens
Anfechtungen andeuten? Wird es nicht manchem anstößig sein, zu erfahren, durch
welche Tiefen dieser Diener des Herrn ging? Verbirgt die Bibel die Anfechtung
ihrer Gottesmänner? Nein. Ein 80jähriger Christ meinte: „Ja, es müssen auch die
Dunkelheiten in Janßens Leben dargestellt werden. Denn als ich von Janßens
Kämpfen hörte, habe ich in meinen eigenen Anfechtungen Mut bekommen, an die
Durchhilfe des Herrn zu glauben.“
„Wenn ich gewußt hätte, welcher massiven
Kampffront des Fürsten der Finsternis ich begegnen würde, hätte ich es
vielleicht nicht gewagt, das Predigtamt zu übernehmen.“ Dies Wort des
Kirchenvaters Johannes Chrysostomus (+ 407) konnte auch Janßen auf sich
anwenden. Ein Theologe, in Satans Sieb gesiebt, das wurde er. „Wo Gott seine
Kirche baut, da baut der Teufel seine Kapelle daneben.“ Wenn Paulus sagt: „Mir
ist eine große Tür aufgetan“, fügt er bezeichnenderweise hinzu: „Auch sind
viele Widersacher da.“ Wie hätte Janßen ohne Anfeindungen bleiben sollen, aber
gerade nach solchen Kämpfen pflegte er Wunder zu erleben.
„Remmer Janßen ist auch durch viele
Anfechtungen gegangen, die ihm von Menschen bereitet wurden. Aber ich glaube,
daß die Zahl seiner Freunde größer war, als die seinet Feinde.“
Daß seine offene Predigtweise - ohne
jede Schönfärberei - Widerspruch erweckte, ist nur zu verständlich. Ein
paar junge Burschen aus seiner Gemeinde beschlossen einmal, sich an ihrem
Pastor für seine Offenheit zu rächen. Sie schickten des Nachts zu ihm einen
Boten und ließen ihm sagen, er möge - weit weg vom Pfarrhause - zu einem
Kranken kommen. Janßen forderte den Boten auf, hereinzukommen, er komme gleich
mit. Der Bote aber gab an, er müsse zur Apotheke. Die Haushälterin fand die
Sache verdächtig und riet ab. Aber janßen ließ sich nicht abhalten. An dem etwa
eine Stunde von der Pastorei entfernten Hause vernahm Janßen ein lautes
Geräusch. Es war verursacht von jungen Leuten. Das Haus selbst lag still und
dunkel da. Janßen klopfte. Die Leute machten auf. Der Mann aus dem Hause sagte,
als er plötzlich Pastor Janßen vor sich erblickte: „Ich kann es mir schon
denken! Die jungen Leute sind Ihnen böse. Ich will mit Ihnen kommen und Sie
nach Hause begleiten.“ „Ach, mein Freund“, sagte Janßen, „es ist ja gut
gemeint. Doch ich gehe in Gottes Namen. Der Spaziergang tut mir gut, ich gehe
allein zurück.“ Der Rädelsführer wurde bald bekannt. Da kam er zu Janßen und
bat um Verzeihung. Dieser aber begegnete ihm so freundlich, daß er für den
Jugendverein gewonnen wurde.
Es wird ein anderer Fall erzählt: Drei Männer, die sich von Janßens Predigt persönlich bloßgestellt glaubten, hatten vereinbart: Wir werden ihm im Dunkeln auflauern und ihn verprügeln. Schon waren die Stöcke erhoben, um auf den unbewaffneten Seelsorger loszuschlagen. Dieser verharrte jedoch unbeweglich auf seinem Platz. Da ließen die Schläger plötzlich ihre Arme sinken. Sie traten stumm zur Seite und gaben dem Pastor den Weg frei. Sagt nicht der 34. Psalm: „Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten“ (Ps. 34).
Am nächsten Tage suchten sie ihn in seiner
Studierstube auf, stammelten eine Entschuldigung und fragten, was für ein Licht
es gewesen wäre, das am vergangenen Abend um ihn herum gestrahlt hätte: „Ein
Licht?“ fragte Janßen aufs höchste erstaunt. jawohl, versicherten sie
einstimmig, von seiner Schulter sei ein heller Lichtglanz ausgegangen. Der habe
sie erschreckt und zugleich so ernüchtert, daß sie von ihrem Vorhaben
abgelassen hätten. Alle drei baten ihn mit Tränen in den Augen um Verzeihung.
Janßen konnte sie fortan zu seinen Freunden zählen.
Der Psalmist klagt einmal: „Auch mein
Freund, der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen“ (Psalm 41, 10). Solche bitteren
Erfahrungen sind auch ihm nicht erspart geblieben. Mit einem nahen Freunde war
er einst in froher Eintracht zusammen, während in der Mitte sein Schriftenbote
Sikke Lambertus saß. Strahlend rief der Freund aus: „Uns drei bringt doch kein
Teufel auseinander.“ „Der kann noch viel mehr“, erwiderte Lambertus ernst.
Superintendent Linnemann bezeugte später traurig: „Der einstige Freund hat ihn
bis aufs Blut gequält.“ Janßen vertraute seinen Schmerz nicht Menschen an,
sondern trug ihn in das Heiligtum des Gebets. Gutes reden und alles zum Besten
kehren, war seine Waffe. Einmal schüttete Janßen sein Herz gegen einen Freund
aus mit den Worten: „Ich hatte eine Schlange an der Brust, und ich meinte,
einen Freund am Herzen zu haben.“ Selbst nahestehenden Menschen gegenüber
pflegte er liebevoll vom Feinde als Freund zu sprechen. Kobus Buhr gewann in
einem solchen Falle die Überzeugung- „Das war ein lieber Mann.“ Das ist ein
Zeugnis, wie in Janßen das 8. Gebot lebte.
Eine schmerzliche Anfechtung war es für den
treuen Seelsorger, daß auch Pfarrer, die in hohem Ansehen standen, seinem
Werben unzugänglich blieben.
Seine Wirksamkeit hat Janßen viel Kampf
eingetragen. Oft hat er sich sogar dem Gericht in Aurich stellen müssen! Dort
aber achtete und ehrte man ihn schließlich. Besonders in den Anfangsjahren fand
Janßen zumal unter Amtsbrüdern heftigen Widerspruch. Ein Pfarrer hatte
erfahren, daß eins seiner Gemeindeglieder sonntags nach Strackholt in den
Gottesdienst ginge. Bissig und voller Abneigung bemerkte er, er habe von diesem
Manne doch nicht gedacht, daß er von der Strackholter Seuche angesteckt sei. -
Aber nach und nach wurde doch die Zahl seiner Freunde größer. Janßen wurde auch
später milder und rücksichtsvoller in seinen Ausdrücken, ohne jedoch ein
Leisetreter zu werden. Sein Amtsbruder Happach, ein ehemaliger Studienfreund,
stand dem Strackholter Nachbarn und seinem Wirken zuerst recht ablehnend
gegenüber. Janßen hielt ihm vor: „Ihr mit euren Kuhaugen könnt das Reich Gottes
nicht erkennen.“ Dies harte Wort hatte Happach so getroffen, daß er am
folgenden Sonntag nicht zum Gottesdienst kam. Er hatte nicht mehr die Kraft, an
diesem Sonntag im Gottesdienst zu predigen. Die Gemeinde sang ein Lied, zwei
Lieder. Der Pastor kam nicht. Dann ging sie erschüttert nach Hause. Unter
Janßens Wort hatte Gott Happach die Augen geöffnet. Im ehrlichen Ringen mit
Gott drang er zur Wahrheit durch. Am anderen Sonntag stand er als ein anderer
Pastor auf der Kanzel und bezeugte mit neuem Geist das Heil in Christus. Nun
begann ein neues Leben auch in der Gemeinde Ostgroßefehn, und noch heute, nach
70 Jahren, werden alten Leuten die Herzen warm, wenn sie von ihrem jungen
Hilfsprediger Happach erzählen. Nunmehr pilgerte jeden Mittwoch der Hirte mit
seiner Herde im Winter zu den Bibelstunden nach dem sechs Kilometer entfernten
Strackholt, es mochte schneien oder regnen. Er saß nun unter Janßens Kanzel mit
den etwa 700 Zuhörern. Singend kam die Schar oft erst um halb zehn Uhr abends
heim. Fahrräder gab es damals noch nicht. Happach wurde Janßens Mitarbeiter,
der den Büchervertrieb leitete.
Ein Mann in Oldersum meinte, als er einen Spetzerfehner
Schiffer auf der Ems traf und erfuhr, daß er aus Janßens Gemeinde stamme: „Dann
kommen Sie also von dort, wo der Strackholter Freifechter steht.“ „Ja“,
entgegnete Andreas Meinen, „aber nicht einer, der in die Luft streicht“,
anspielend auf ein Wort des Apostels Paulus (l. Kor. 9, 27). Der Kritiker wurde
zum ehrlichen Bewunderer, zum frohen Besucher des Strackholter Missionsfestes.
Viele haben Janßen erst gehaßt. Nachher hatten ihn alle gleich lieb, wenn sie
den Frieden in Jesus gefunden hatten.
Vielleicht die schlimmste Anfechtung erlebte Janßen darin, daß
nach zehnjährigem Wirken die Erweckung langsam zum Stillstand zu kommen schien.
„Der Wind weht, wo er will“ (Joh. 3). Eine Erweckung ist ganz Gottes Werk und
Fügung. Kein Prediger kann sie bewirken aus seiner Macht, wenn es nicht Gottes
Wille ist. Einmal trauerte er, daß er lange Zeit in seiner Gemeinde keine
Bekehrung erlebt hatte. Da trat eine Frau auf ihn zu und erzählte, der Herr
habe sie begnadigt. Das war ein Licht nach dem Dunkel der inneren Verzagtheit.
Oft meinte er, daß er Blätter sähe, aber wenig Früchte.
„Jetzt fährt ein Gnadenzug durch die
Gemeinde, wer einsteigt, tut wohl.“
So hatte er früher sagen können. Nun mußte
er erleben, daß manche sich von ihm abwandten und andere Wege gingen. Wenn die
Gemeinde im Gottesdienst auf die Knie fiel, mußte er zu seinem Schmerz
feststellen, daß ein paar Leute auf den Emporen nicht hinknieten, weil sie
ihren Widerstand auf diese Weise offen zum Ausdruck bringen wollten. Manche
Blüte edler Hoffnung sah Janßen zu Boden sinken. Auch er mußte den schweren Weg
des Verzichtens gehen. Ein Lehrer berichtete: Einmal sagte Janßen zu mir: „Gott
beurteilt uns nicht nach dem, was wir erreicht haben, sondern nach dem, was wir
ehrlich erstreben. Wer sich durch Widerstände zu Boden zwingen läßt, verdient
Verachtung und ist des Kampfes nicht wert.“
Ein Lieblingswort Janßens war: „Wir werden
siegen durch Unterliegen.“
Immer wieder war es für ihn ein besonderes
Erleben, wenn er sah, daß gerade dann, wenn sich die Schwierigkeiten häufen und
Zweifel aufkeimen, Jesus Sieger bleibt!
Ein Erlebnis:
Bei einer Konfirmation im Jahre 1910 wollte
ein Mann, namens H., zum heiligen Abendmahl gehen. Er trieb aber finstere Dinge
der Zauberei, die Gottes Wort ein Greuel nennt. Er ging auf den Altar zu, kam
aber nur bis zur Kanzel - dann blieb er wie gebannt stehen. Er konnte nicht
weiter, schwankte, brach zusammen und wurde vor den Augen der tiefergriffenen
Gemeinde hinausgeleitet. Ein Höherer war gegenwärtig.
Merkwürdiger- oder besser
bezeichnenderweise stellten sich Schwierigkeiten oft kurz vor Segnungen
ein. Satan zeigte auf diese Weise dem Diener Gottes es an, wenn Hechte ins Netz
gingen.
Und noch ein Beispiel:
Vor einer Reise nach Hermannsburg, wo er
eine Missionsfestpredigt zu halten hatte, wurde Janßen von so heftigen
Zahnschmerzen geplagt, daß ihm jede geistige Sammlung unmöglich war. In seiner
Glaubenszuversicht bat er Gott ganz einfach und schlicht: „Nimm mir meine
Schmerzen.“ Als er den Zug in Filsum bestieg, schwanden die Schmerzen, und
während der ganzen Reise hatte er keine Not. Gott hatte geholfen. Als Janßen
auf der Rückreise dem Zuge entstieg, stellten sie sich wieder ein.
In seinen Anfechtungen schenkte Gott Remmer
Janßen in den Jahren um 1882 die Lieder: „0 wie traurig ist mein Herz“, „Mara“
und „0 wie fröhlich ist mein Herz“. (Sie finden sich im „Schwarzbrot Gottes“.)
Der Herausgeber (P. Mindermann) wurde mit ernsten Worten auf die Zeile, in der
Janßen klagt: „Ach, ich möcht erhangen sein“, aufmerksam gemacht.
Ja, das ist Janßen in seiner Not. Auch
seine Kinder läßt der Herr durch die Schule der Leiden und Anfechtungen gehen.
Uns zum Trost! Ist es zu verstehen, daß Janßen oft in seelischem Elend wie
begraben lag und grauenvolle Versuchungen ihn quälten, während Gott ihm Segen
um Segen in einer gewaltigen Erweckung rings um ihn schenkte? Er glich auch
hierin dem Apostel Paulus, der, obwohl er verzückt war in das Paradies und
unaussprechliche Worte hörte, von des Satans Engeln mit Fäusten geschlagen
wurde, damit er sich nicht überhebe (2. Kor. 12, 1-9), und dem doch die Gnade
ausreichte.
Der englische Erweckungsprediger John Wesley sagt: „Diese
tiefen Depressionen (Niedergeschlagenheit) machen den Glauben unabhängig von
Stimmungen und bewirken, daß er ruht im vollbrachten Werk Christi. Wohl ist
Friede und Überwindung der Sünde wesentlich verbunden mit dem Glauben an den
obersten Führer der Seligkeit. Was aber die Entzückung und Freude betrifft, so
hat Gott dieselbe sich vorbehalten, zu schenken oder aufzubewahren nach seinem
Wohlgefallen“ (Rößler, Wesley, S. 23).
Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein
(Johannes 12, 26)
Wenn auch unser äußerer Mensch verdirbt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. (2. Kor. 4,16)
Im Jahre 1921 trat Janßen in den Ruhestand.
Der 70jährige fühlte, daß seine Kräfte den Anforderungen der auf 4000 Seelen
angewachsenen Gemeinde nicht mehr gewachsen waren. „Als Janßen auf einer
Pfarrkonferenz seinem Superintendenten sein Pensionsgesuch gab, baten wir ihn,
im Dienste zu bleiben. Er sei noch frisch genug. Janßen entgegnete: ‚Jetzt mit
70 Jahren habe ich noch so viel klaren Verstand, daß ich einsehe, daß ich in
den Ruhestand gehen soll. Mit 80 Jahren könnte ich nicht mehr so viel Verstand
besitzen’.“
Den Entschluß, in den Ruhestand zu treten,
faßte Janßen in einsamem Gebet vor Gott, dann kündigte er seinen Entschluß den
Kirchenvorstehern an. Er blieb auch fest, als diese, wie dem Herausgeber (P.
Mindermann) 1970 berichtet wurde, „erst recht böse waren“ (J. Sch.). Gebeten,
in der Gemeinde wohnen zu bleiben, sagte er freundlich ernst: „Das ist nicht
gut für den Nachfolger“ (A. H.).
Als er im Gottesdienst ankündigte, er werde
seine Abschiedspredigt halten, traten vielen harten ostfriesischen Männern die
Tränen in die Augen. Der Text seiner Abschiedspredigt, am 25. Oktober 1921, war
2. Kor. 7,2-4: „Fasset uns: Wir haben niemand Leid getan, wir haben
niemand verletzt, wir haben niemand übervorteilt. Nicht sage ich solches, euch
zu verdammen, denn ich habe droben zuvor gesagt, daß ihr in unsern Herzen seid,
mitzusterben und mitzuleben. Ich rede mit großer Freudigkeit zu euch. Ich rühme
viel von euch. Ich bin erfüllt mit Trost. Ich bin überschwenglich in Freuden in
aller unserer Trübsal.“
Eine junge Hörerin berichtet aus dem Inhalt
dieser Predigt folgendes:
„Zum Abschied fasset dreierlei:
1. Mein Amtswirken unter euch
In den 44 Jahren meiner Amtswirksamkeit
unter euch habe ich niemandem Leid angetan. In Liebe habe ich euch gestraft.
Ich habe nicht nur den Stab ‚Sanft’, sondern auch den Stab ,Wehe’ gebraucht.
Soviel ich weiß, habe ich niemand durch Irrlehre verletzt. Ich habe euch beides
gepredigt, Buße und Glauben. Müßt ihr mir nicht bezeugen, daß ich nie jemand
verletzt habe? Ich bin auch der guten Zuversicht, daß ihr mir das Zeugnis
ausstellt, daß ich niemand übervorteilt habe.
2. Mein Hirtenherz für euch
Wie der Apostel Paulus habe ich euch in
mein Herz in Liebe eingeschlossen. Was wäre mir wohl lieber gewesen, als in
eurer Mitte zu sterben. Doch auf den Ort kommt es nicht an. Auf das Herz kommt
es an.
3. Mein letztes Urteil über euch
Ihr seid Unbekehrte und Bekehrte,
Ungläubige und Gläubige, Verlorene und Gerettete. Ihr Unbekehrten habt die
Gnade Gottes vergeblich empfangen, verachtet die Gnadenmittel, arbeitet nicht
für den Heiland, wollt nicht, daß Jesus über euch herrsche. Euer Urteil wird am
jüngsten Tage lauten: ‚Ihr habt es nicht gewollt.’ Doch ich kann euch an meinem
Abschiedstage nicht fahren lassen. Nicht zur Linken, sondern zur Rechten unsers
Heilandes sollt ihr einst stehen. Bekehret euch von Herzen zu eurem Herrn und
Heiland. Ihr Bekehrten und Geretteten, ihr seid Könige auf Erden. Wenn euer
letztes Stündlein kommt, ist droben alles für euch bereit. Ihr lieben Brüder
und Schwestern in Christo, mit euch bleibe ich verbunden. Wir werden uns alle
wiedersehen am jüngsten Tage. Lebet wohl, auf Wiedersehen!“
Janßen hielt diese Predigt unter vielen
Tränen der Gemeinde. „Lasset euren Tränen nur freien Lauf „, sagte er.
Der demütige Mann wünschte, Gott möge
der Gemeinde einen Hirten senden, der sein Wort treuer verkündete, als er es
getan hätte. Danach stieg er zum letzten Male als Pfarrer von der weißen
Kanzel der Strackholter Kirche hernieder. Es war ein Augenblick, der allen
Gottesdienstbesuchern unvergeßlich geblieben ist. Noch 1970 berichtete ein
Hörer, daß bei der Abschiedsrede auch Janßen sich der Tränen nicht habe
enthalten können.
Über den Eindruck dieser Predigt berichtete
ein Hörer: „Mir wurde es klar, so wie Janßen predigt, so ist es, und nicht
anders. Das habe ich noch nicht. Wenn ich ein Christ sein will, will ich es
ganz sein. Das ließ mir keine Ruhe. Janßen hat noch einmal ganz ‚klassisch’
gepredigt, d. h., er hat von zwei Klassen gesprochen: von solchen, die noch
keinen Anfang der Bekehrung gemacht hatten, und von solchen, die in Jesu
Frieden gefunden hatten. Am Ende aber strahlte das Evangelium über alle, indem
er einlud: Komm zu dem Heiland. Es ist alles bereit.“
Janßen übernahm die kleine Pfarrstelle
Ochtelbur! Ob er klug handelte, als er nach seinem großen Pfarrdienst noch den
neuen Pfarrdienst übernahm? Er hat einsehen müssen, daß die Eingewöhnung für
einen alten Mann nicht leicht war. Als er gefragt wurde, welchen Lohn er
fordere, antwortete er mit freundlichem Lächeln, anspielend auf ein Wort des
Herrn Jesus: „Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt’s.“
Er blieb dort drei Jahre.
Als er von Ochtelbur fortziehen sollte,
wußte er nicht, wo er nun seine Bleibe finden würde. Mit Tränen in den Augen
sagte er mir: „Nun muß ich wie Jesus sagen: Die Füchse haben Gruben, und die
Vögel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt
hinlegt.“ (H. Lambertus.) Ein Verwandter seiner Haushälterin, Ehme Gronewold,
holte ihn in sein Haus nach Großefehn.
Die Inflationszeit machte ihn völlig arm.
Gott erweckte die Liebe ehemaliger Missionsschüler, die nun Pastoren in Amerika
waren, ihrem geistlichen Vater zu helfen. Sie sandten ihm Dollars, und Janßens
Neffe, Fooke Janßen, der Kaufmann in Aurich war, kaufte ihm ein kleines
bescheidenes Häuschen in Egels bei Aurich. Dort verbrachte er seine letzten
Lebensjahre. Gefragt, wie ihm das Häuschen gefiele, antwortete er: „Es ist
klein, fein, rein, aber mein.“
Janßen liebte besonders die Blumen. „Blumen
sind Grüße aus dem Paradiese“, meinte er. Vor dem Hause pflanzte er ein Beet
mit Vergißmeinnicht. „Das ist Strackholt“, sagte er. In seiner Hausandacht
betete er kniend für Strackholt. „Im Geiste weile ich Nacht und Tag in meiner
lieben Gemeinde Strackholt“, schrieb er aus Egels im Jahre 1927.
Allsonntäglich saß Janßen, der einst auf der Kanzel so treuen Dienst getan hatte, nun unter der Kanzel der St.-Lambertus-Kirche in Aurich, ein Beter mehr unter der Kanzel. Welche Stärkung mag das für den jeweiligen Prediger gewesen sein! Daß er auch über eine Predigt gelegentlich hat seufzen müssen, deutet ein Wort von ihm an: „Es kommt auch wohl eine Predigt von der Kanzel wie ein kalter Wasserstrahl.“ Wie mag Janßen Seufzer des Gebets zu Gott gesandt haben für den Diener am Wort und den ganzen Gottesdienst, der demütige Beter.
Janßens Kräfte ließen nach. Seine letzten
Jahre waren ein Sterben vor dem Sterben.
Zum 50jährigen Jubiläum des von ihm
gegründeten Posaunenchors predigte er zum letzten Male in Strackholt. Jene, die
ihn noch in seinen ersten Amtsjahren gekannt hatten, waren erschüttert. Unser
Pastor ist alt geworden, dachten sie, als Janßen die Kanzel erstieg. „Drei
Männer mußten ihn hinaufgeleiten.“
Der einst Gefeierte, dem Tausende gelauscht
hatten, mußte nun lernen, in stiller Demut, nur ein „unnützer Knecht, der
getan, was er schuldig ist“ (Lukas 17, 10), zu sein.
„Als Pastor Janßen in der letzten Zeit
seines Lebens in Egels wohnte, besuchte ihn, oft alle acht Tage, ein alter
Bruder, Fooke Saathoff. Zu diesem hat er einmal gesagt: ‚Es tut mir leid, daß
ich in all den Jahren meines Amtes in Strackholt vieles nicht gesagt habe, was
ich hätte sagen sollen.’ (L.) Remmer Janßen dürfte dabei an die Offenbarung
Johannis gedacht haben. Welche uns beschämende Demut dieses treuen Zeugen! Wie
ernst er sein Wächteramt bis zuletzt nahm, darüber ein letzter Bericht:
Die ersten Anfänge des aufkommenden
Nationalsozialismus mußte Janßen noch erleben. Es ist bezeichnend für seine
Hirtentreue, daß er einem Pfarrer, der sich von dieser Bewegung einfangen ließ,
mit betender, suchender Liebe treu nachging. Derselbe hat später, nachdem er
zum alten zurückgefunden hatte, seinem Wohltäter eifrigst gedankt.
Es ist gefragt worden: Wie wäre es Remmer
Jarißen wohl im Dritten Reich ergangen? Die ihn kannten, waren überzeugt, daß
er wahrscheinlich in ein Konzentrationslager geschafft worden wäre, aber auch
dort nicht von Jesus geschwiegen hätte.
„Gern benutzte Janßen zu seinen
Spaziergängen die Straße, die von Aurich über Wiesens durch das schöne Egelser
Gehölz nach Strackholt und seinen Fehnen führt. Hier konnte er auch hoffen,
Bekannte zu begrüßen.“ Ich begegnete Janßen dort in Begleitung meines Vaters.
Mein Vater sagte mir: „Junge, dort geht Pastor Janßen, das ist ein Diener
Gottes.“ ich empfand dabei: „In diesem Wanderer lebt Christus.“ Dieser Eindruck
hat mich nie mehr losgelassen, bis ich selbst von Jesus überwunden wurde,
berichtete ein Zimmermann.
Ein Geschäftsreisender aus Emden erzählte: „Ich fuhr einmal mit dem Rade durch den schönen Wald bei Egels. Um die Güte Gottes in mich aufzunehmen, stieg ich vorn Rade ab. Vor mir schritt ein einsamer Fußgänger. Ich kannte Pastor Janßen - denn der war es - damals noch nicht. Eine innere Eingebung verband mich blitzartig mit diesem Mann. Es drängte mich zu fragen: ‚Bist du auch mit Jesus von Nazareth?’ Ich sagte, daß ich mich freute, die Nähe Gottes hier zu spüren. Janßen erwiderte froh: ‚Gott ist überall zugegen, wenn wir nur die Augen aufmachen, ihn zu sehen, und das Ohr öffnen, ihn zu hören.’ Diese Begegnung blieb mir unvergeßlich, und ich habe oft, wenn mein Weg mich durch Strackholt führte, am Grabe Janßens verweilen dürfen."
Remmer Janßen wußte: „Wo der Mensch horcht, redet Gott, wo der Mensch gehorcht, handelt Gott.“ (Frank Buchman.)
Der greise Seelsorger war bis zuletzt
schlicht und natürlich. An seinen Geburtstagen besuchten ihn in Egels die 30
Gymnasiasten der Schülerverbindung „Braga“ aus Aurich, der er selbst als
Gymnasiast angehört hatte. Janßen dichtete dann jedesmal ein Lied. Alle fühlten
sich bei ihm wohl.
„Retractationes“ (= Zurücknahrnen) hatte
einst Augustin ein Werk seines Alters genannt, in dem er von Worten und Taten
schrieb, die er zurückzunehmen wünschte. Es war auch Janßen. ein Bedürfnis,
vertrauten Freunden zu bekennen, daß er durch sein hitziges Temperament und durch
einseitig,Urteile manchmal seinen Mitmenschen Unrecht getan hätte, und daß er
seine Christen doch nicht immer so hätte selbständig machen können, wie die
schweren Jahre es erforderten. Letzter Trost bei all seinen Sünden und Fehlern,
Lieblosigkeiten und Ungerechtigkeiten waren ihm die Hoffnung auf die
Barmherzigkeit Gottes und die erlösende Kraft des Blutes Christi. So blieb ihm
nichts als das Blut Christi, das für Sünder floß:
"Ach, mein Herr Jesu, wenn ich dich nicht hätte,
Und wenn dein Blut nicht für mich Sünder red’te,
Wo sollt’ ich Ärrnster unter den Elenden
Mich sonst hinwenden?“ (Christian Gregor)
Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden
fahren, denn meine Augen haben deinen
Heiland gesehen
(Lukas 2,29.30)
Was Pastor Janßen einmal in einer Predigt sagte, das erfuhr er an sich selbst: Der Meister macht mit seinen Werkzeugen sein Meisterstück.
Sein Ende sollte ein Siegel unter seinem Glauben werden.
Vor seinem Sterben erhielt Janßen den
Besuch seines Freundes Kobus Buhr aus Fiebing. Dieser war in seiner Jugend
einst durch Janßen zum Glauben gekommen und Mitglied des Jungmännervereins
gewesen. Als er am Krankenbett seines früheren Seelsorgers stand, fand er ihn
in den letzten Zügen liegend. Voll Ergriffenheit erlebte er den letzten Kampf
des Sterbenden. Da fragte er ihn: „Herr Pastor, halten Sie nun fest an dem
Glauben, den Sie uns gepredigt haben?“ Da rief der Sterbende noch einmal
laut: „Er hat alles vollbracht. Sage, Seele, ist’s nicht so?“ Er sprach so
laut, daß der Hund, der neben dem Bette lag, anfing zu bellen. Fest, wie er
geglaubt im Leben, mit festem Glauben ging er seinem Herrn entgegen.
Ein anderes Vorkommnis aus seinen letzten
Tagen ist gleichfalls bezeichnend: „Kurz vor seinem Tode war es. Janßen lag zu
Bett. Sein Gesicht hatte er der Wand zugekehrt. Nun kamen zwei Frauen, die
Janßens Person wie seine Predigt schier vergötterten. Daß sie sich selbst
bekehren müßten, hatten sie bislang nicht ernstlich bedacht. Sie wollten den
lieben Janßen doch noch einmal sehen. Ihnen wurde gesagt, sie könnten nicht
vorgelassen werden. Doch nach langem Bitten wurde es ihnen erlaubt, mit der
Bedingung, sie müßten ganz leise sein, so daß der Kranke nicht gestört werde.
Die Frauen schlichen sich leise an sein Bett heran. Als sie nun eine Weile ihn
beobachtet hatten, flüsterte eine der anderen zu: ‚Es wäre doch schade, wenn er
sterben müßte.’ Der schwerhörige Kranke konnte diese Worte mit seinem
schlechten Gehör unmöglich aufnehmen. Durch den Geist Gottes wurden ihm wohl
die Gedanken der Besucherinnen geoff enbart. Er wandte sich um und sprach mit
lauter Stimme: ‚Gute Nacht, ihr Toten, ich gehe zu den Lebendigen!’ Dann
drehte er sich wieder um zur Wand. Diese Worte schlugen wie ein Blitz in die
Herzen der beiden Frauen ein. Sie sind die ersten gewesen, die sich nach
Janßens Tode bekehrt haben.“
Der Herr wollte seinem treuen Diener noch im Sterben einen
besonderen Erweis seiner Huld geben. Es war der letzte Sonntag in Janßens
Leben, der Sonntag Kantate 1931. An diesem Sonntag hatte sich der
Schiffszimmermann Joh. Piepersgerdes aus Ostgroßefehn auf den Weg nach Hannover
gemacht. Bei der Mühle in Großefehn ließ es der Geist Gottes nicht zu, daß er
seinen Weg fortsetzte (Apg. 16, 6). Er mußte rechts abbiegen auf Aurich zu, fuhr
mit dem Rade über Aurich-Oldendorf, Holtrop und Wiesens und kam so bis nach
Egels. Nun dachte er: „Der alte Pastor pflegt um diese Zeit sich im Auto zur
Kirche bringen zu lassen, ich kann ihn noch antreffen.“ Er begab sich zu
Janßen. In der Tür stand die Haushälterin Gretje Ottersberg, zitternd und
weinend. Sie erzählte: „Der alte Pastor hat einen Schlaganfall bekommen.“ Sie
ließ den Gast herein. Als dieser die Tür auftat, sah er den alten Pastor im
Todeskampfe, der Mund war fest geschlossen, die Augen waren fest auf den
Besucher gerichtet. Dieser sprach: „Herr Pastor, wir feiern heute den
Sonntag Cantate. Cantate heißt singet. Nicht lange mehr, dann singen Sie das
neue Lied droben beim Herrn, wo alle Freunde sind: Pastor Happadi und
Siegmund Bode und Rolf Trauernicht.“ Da tat der alte Pastor den Mund auf. Die
Haushälterin stand daneben und zitterte: Janßen rief: „Und Renkohm und
Hinnertjemöh auch!“ Das waren die beiden Eltern des Besuchers. Dieser fuhr
fort:
„Dort in der Ferne, dem himmlischen Land,
treff ich die Freunde, die hier ich gekannt.
Dennoch wird Jesus, nur Jesus allein,
Grund meiner Freude und Anbetung sein.
Das wird allein Herrlichkeit sein,
wenn frei von Weh ich sein Angesicht seh.“
Der Sterbende bedeutete seinem Freunde, er möge sich zu ihm neigen. Er umarmte ihn und gab ihn einen Abschiedskuß. „Dort, vor dem Throne Gottes, sehen wir uns wieder“, das waren die Abschiedsworte, die der Besucher im Fortgehen dem Sterbenden zurief.
Am Morgen seines Sterbetages sang Janßen das Lied:
Morgenglanz der Ewigkeit,
Licht vom unerschöpften Lichte,
führ uns diese Morgenzeit
deine Strahlen zu Gesichte
und vertreib durch deine Macht
unsre Nacht.
Leuchte uns selbst in jene Welt,
du verklärte Gnadensonne,
führ uns durch dies Tränenfeld
in das Land der süßen Wonne,
da die Lust, die uns erhöht,
nie vergeht.
Am 18. Mai 1931 ging Pastor Janßen heim.
Als die Leiche von Egels nach Strackholt gebracht wurde, läuteten die Glocken
in den Gemeinden, die der Leichenzug berührte. Wenn der Trauerzug die Grenze
einer Gemeinde verlassen hatte, wurde sofort telefonisch die Nachbargemeinde
benachrichtigt, so daß auch hier rechtzeitig mit dem Geläut begonnen werden
konnte. Es war ein tiefes Trauern weit und breit.
Vor dem Altar der Kirdie in Strackholt wurde
der Sarg aufgebahrt. Er war über und über mit Blumen bedeckt. Am
Beisetzungstage folgten dem Sarge dreißig Pastoren im Talar. Unübersehbar groß
war die Trauergemeinde, die zusammengekommen war, um ihrem Seelenhirten die
letzte Ehre zu erweisen. Die Trauerrede hielt Pastor Johannes Remmers aus
Strackholt. „Möge nie eine Zeit kommen, wo gesagt werden könne: ‚Hier kann kein
Remmer Janßen gewirkt haben’“, rief er aus.
Des Pfarrers Nachlaß reichte nicht aus, um
aus dem Erlös ihm einen Gedenkstein zu setzen. In der Armut seines Heilandes,
in der er allezeit gelebt hatte, war er auch gestorben. Die dankbare Gemeinde
Strackholt veranstaltete eine Sammlung, um einen Grabstein zu errichten. Auf
dem Gedenkstein steht die von Janßen selbst verfaßte Inschrift:
"Hier ruhet in geweihter Erde
Inmitten seiner teuren Herde,
Nachdem er suchte das Verirrte,
Der Pastor oder Seelenhirte
Remmer Janßen
geb. 6. November 1850
gest. 18. Mai 1931
In eigenen Augen war er klein,
Durch Christi Blut von Sünden rein,
Hat er auf dieser armen Erde
Geweidet seine teure Herde
In Gnaden 44 Jahre,
Bis ihn zum Grabe trug die Bahre.
Sein Leib ruht hier ohn’ Ungemach
Bis an den lieben Jüngsten Tag.“
Pastor Janßens Grab ist unvergessen. Immer
wieder stehen Menschen in stiller Andacht vor diesem Gedenkstein. Wer sie nach
dem Grunde fragt, erhält wohl die Antwort: „Ich mußte an diesem Stein Gott
danken für das, was er durch Janßen an mir getan hat“ (-gen). Menschen aber,
die die Zeit Janßens erlebt haben, bekennen es offen: „Man bekommt so Heimweh
angesichts des kalten Leichensteins, Heimweh nach der alten Segenszeit, aber
auch Heimweh nach der oberen Heimat, in der der treue Hirte jetzt droben
bei Jesus im Licht anbetet.“
Hier noch ein neuerliches Zeugnis über Remmer Janßen, das in der „Jeverländer Zeitung“ Nr. 264 von 1967 zu lesen war:
„An einem strahlenden Sonntagnachmittag
fuhren wir von Neermoor aus durchs ostfriesische Land. Es war ein schönes
Fahren durch die weite Ebene, die sich mit ihren fruchtbaren Wiesen und Ackerflächen
vor unseren Blicken aufrollte. Die Baumreihen längs der guten neuen Straßen
beleben das landschaftliche Bild in seiner herben Schönheit. Fremdartig und
schön muteten uns die Windmühlen an, die es hier noch gibt und von denen auch
noch manche in Betrieb sind. Auf den Weideflächen, die von niedrigen Laubhecken
begrenzt sind, weidete das schwarzbunte ostfriesische Vieh.
Strackholt heißt der Ort, den wir besuchen
wollten. Von der Dorfstraße fuhren wir einem grünen Gehölz entgegen, hinter dem
der Friedhof von Strackholt liegt. Links hinter dem Eingang, in einem grünen
stillen Winkel, liegt Remmer Janßens Grab mit dem breiten steinernen Kreuz. Der
Hügel ist vonliebendenHänden mitleuchtendenBlumengeschmückt.
Wir stehen in stiller Ergriffenheit und
lesen die von Rernmer Janßen selbst verfaßte Grabschrift: ‚Hier ruhet in
geweihter Erde . . .’ Diesen Leichenstein hat die dankbare Gemeinde einst ihrem
Pfarrer errichtet. Pastor Janßens Nachlaß war so gering, daß eine Sammlung
veranstaltet werden mußte, um den Grabstein zu bezahlen. Er hatte sich keine
Güter erworben ...
Hinter dem Friedhof sahen wir im Walde
einen großen Platz, der von weitem wie ein Heldenfriedhof aussah. Das, was wir
aus der Ferne für Grabsteine angesehen hatten, waren Stützen, über die bei dem
im ganzen Land bekannten Strackholter Missionsfest Bretter gelegt wurden, um
Sitzplätze für die vielen Menschen zu schaffen, die von nah und fern kommen ...
Segen ging von diesem Mann durchs ganze
Land. Ich mußte daran denken, wenn abends in Neermoor die Menschen das Wort
Gottes mit einer Aufmerksamkeit, Stille und inneren Sammlung hörten, wie es
selten zu erleben war. Ob das nicht auch zurückzuführen ist auf solche Männer,
die Gott für dieses Ostfriesland gesetzt hat, zum Segen für ganze Generationen.“
(Ernst Decker)
Pastor Janßen ist in die triumphierende
Gemeinde eingegangen. Er wird vor dem Throne Gottes sein Strackholt und die
Gemeinde Gottes hin und her nicht vergessen.
„Wer sind diese, mit den weißen Kleidern
angetan, und woher sind sie gekommen? Diese sind’s, die gekommen sind aus
großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider helle
gemacht in dem Blute des Lammes. Darum sind sie vor dem Stuhl Gottes und dienen
ihm Tag und Nacht in seinem Tempel“ (Offb. 7, 13-15).
Was ist geblieben von Janßens Wirken? Der
Zeitgeist der Technik will Menschen in die hektische Unruhe hineinziehen, die
das Gehör für Gottes Stimme ertöten möchte, aber es ist heute noch zu spüren,
daß einmal der Pflug der Buße das Feld aufgelockert hat. Oft hört man Menschen,
die ihn gekannt haben, fragen: „Kommt die alte Zeit wohl je wieder?“ Gottes
Wort und Sakrament bleibt. Die Glut unter der Asche ist noch nicht erloschen,
und es gibt Gotteskinder, die zum Herrn seufzen: „Wach auf, du Geist der ersten
Zeugen.“ Dies Sehnen wird nicht ungehört bleiben. „Was aus Gott geboren ist,
überwindet die Welt.“
Wo einmal ein Vorfahr einen Brunnen
gegraben hat, da können die Nachfahren noch lange Wasser schöpfen. Remmer
Janßen hat einen Brunnen gegraben, aus dem lebendiges Wasser kam. Noch lange
kann das heutige Geschlecht aus dem von Janßen gegrabenen Brunnen schöpfen das
Wasser dessen, der gerufen hat:
„Wen da dürstet, der komme und trinke
das Wasser des Lebens umsonst.
Ja, ich komme bald.
*
Amen, ja komm, HERR JESU!“
(Offb. 22, 25).
PREDIGT
gehalten am 9. Sonntage nach Trinitatis 1882
von Pastor Remmer Janßen
„Zwar mein Leben von Jugend auf, wie das
von Anfang unter diesem Volke zu Jerusalem zugebracht ist, wissen alle Juden,
die mich vorhin gekannt haben, wenn sie es wollten bezeugen. Denn ich bin ein
Pharisäer gewesen, welche ist die strengste Sekte unsers Gottesdienstes. Und
nun stehe ich und werde angeklagt über der Hoffnung auf die Verheißung, so
geschehen ist von Gott zu unsern Vätern; zu welcher hoffen die zwölf
Geschlechter der Unsern zu kommen mit Gottesdienst Tag und Nacht emsiglich.
Dieser Hoffnung halber werde ich, lieber König Agrippas, von den Juden
beschuldigt. Warum wird das für unglaublich bei euch gerichtet, daß Gott Tote
auferweckt? Zwar ich meinte auch bei mir selbst, ich müßte viel zuwider tun dem
Namen Jesu von Nazareth. Wie ich denn auch zu Jerusalein getan habe, da ich
viele Heilige in das Gefängnis verschloß, darüber ich die Macht von den
Hohenpriestern empfing; und wenn sie erwürgt wurden, half ich das Urteil
sprechen. Und durch alle Schulen peinigte ich sie oft und zwang sie zu lästern
und war überaus unsinnig auf sie, verfolgte sie auch bis in die fremden Städte.
über welchem, da ich auch gen Damaskus reiste mit Macht und Befehl von den
Hohenpriestern, mitten am Tage, lieber König, sah ich auf dem Wege, daß ein
Licht vom Himmel, heller denn der Sonne Glanz, mich, und die mit mir reisten,
umleuchtete. Da wir aber alle zur Erde niederfielen, hörte ich eine Stimme
reden zu mir, die sprach auf hebräisch: Saul, Saul, was verfolgst du mich: Es
wird dir schwer sein, wider den Stachel zu löcken. Ich aber sprach: Herr, wer
bist Du? Er sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst; aber stehe auf und tritt
auf deine Füße. Denn dazu bin ich dir erschienen, daß ich dich ordne zum Diener
und Zeugen des, das du gesehen hast, und das ich dir noch will erscheinen
lassen; und ich will dich erretten von dem Volke und von den Heiden, unter
welche ich dich jetzt sende, aufzutun ihre Augen, daß sie sich bekehren von der
Finsternis zu dem Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott, zu empfangen
Vergebung der Sünden und das Erbe samt denen, die geheiligt werden durch den
Glauben an mich.“
Apostelgeschichte
26, 4-18
Nichts liegt unserm Sünderheiland mehr am
Herzen als die Bekehrung des Sünders. Das können wir sehen auf Golgatha,
wo er für alle unbekehrten Sünder sein Blut vergießt, wo er am Kreuz noch einen
Sünder am Kreuz, den Schächer, bekehrt. Wie dem Sünderheiland, so sollte auch
jedem bekehrten Sünder die Bekehrung des Sünders am Herzen liegen. Sagt, ihr
bekehrten Sünder, liegt euch die Bekehrung des Sünders am Herzen? Sagt, könnt
ihr keinen unbekehrten Sünder vor euch sehen, ohne zu beten: 0 Herr, bekehre
diesen Sünder doch! Sagt, betet ihr mit mir, wenn ich hier im Gotteshause
oftmals bete: 0 Herr, bekehre doch einen Sünder! Ja, wenn der Herr auch alle
Sünder bis auf einen bekehrte, so sollten wir noch einmal seufzen: 0 Herr,
bekehre noch einen Sünder! Wenn uns die Bekehrung des Sünders nun wirklich sehr
am Herzen liegt, dann ist dies gewiß ein willkommener Gegenstand unserer
andächtigen Betrachtung. Damit wir aber diesen wichtigen Gegenstand bei dem
hellsten Licht betrachten mögen, laßt mich die Bekehrung eines Sünders wählen,
der unter den Unbekehrten der Unbekehrteste war und unter den Bekehrten der
Bekehrteste wurde, nämlich die Bekehrung Sauli.
Diese Bekehrung laßt mich nach unserm Texte in drei Teile zerlegen und zeigen,
1. Daß Saulus bekehrt wurde.
2. Wie Saulus bekehrt wurde.
3. Wozu Saulus bekehrt wurde.
1. Daß Saulus bekehrt
wurde. Laßt mich in diesem Satz zuerst das Wort bekehrt betonen und euch
sagen, was bekehren heißt. Das Wort bekehren hat bei der
unbekehrten Welt eine sehr üble Bedeutung. Wenn ich jemandem sage: Du mußt
ehrbar leben, du mußt zur Kirche gehen, du mußt beten und zum Abendmahl gehen,
so läßt er sich das alles sagen, aber wenn ich ihm sage: Du mußt dich bekehren,
dann ist’s, als wenn ich ihm sein Todesurteil gesprochen hätte. Ja, Geliebte,
bei der Welt heißt bekehren ungefähr so viel als zum Tode verurteilen,
aufhängen und hinrichten. Aber heißt denn das bekehren? Nein, tausendmal nein!
Das lügt der Teufel den Weltkindern vor, und die Weltkinder glauben des Teufels
Lügen. Nein, bekehren heißt das gerade Gegenteil von dem, was die sündige Welt
glaubt. Soll ich euch sagen, was bekehren heißt? Seht, wenn da ein
todeswürdiger Verbrecher zum Tode verurteilt ist und wird begnadigt, das heißt
bekehren. Oder wenn da jemand zappelnd am Strick hängt und wird noch gerade im
rechten Augenblick losgeschnitten, das heißt bekehren. Oder wenn da einer mit
entblößtem Halse unter dem Richtbeil liegt und empfängt Pardon, das heißt
bekehren. Bekehren heißt für den zum ewigen Tode verurteilten Sünder: leben,
ewig leben, wie auch der Herr in seinem Worte schwört: So wahr als ich lebe,
ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose
bekehre und 1ebe. Ferner heißt bekehren, umkehren auf dem breiten
Höllenwege ,und eingehen durch die enge Pforte zum ewigen Leben. Noch mehr!
Bekehren heißt, nicht bloß umkehren auf seinem Wege, sondern auch
umkehren in seinem Wesen, sich umkehren oder richtiger sich umkehren lassen.
Sünder, wenn du bekehrt wirst, so wirst du der umgekehrte Mensch von dem, der
du warst. Warst du ein selbstgerechter Pharisäer, nun wirst du ein armer
Sünder, warst du ein Spötter, nun wirst du ein Beter, warst du ein Feind
Gottes, nun wirst du ein Freund Gottes, warst du ein Verfolger Jesu, nun wirst
du ein Nachfolger Jesu, warst du ein Weltling, nun wirst du ein Fremdling und
sprichst:
Was vormals meine Freud
Macht mir jetzt Herzeleid.
Warst du ein Satanskind,
nun wirst du ein Gotteskind und singst:
Ich bin Gottes Bild und Ehr,
Ja, sein Kind, was will ich mehr?
Warst du ein Höllenbrand, nun ist der Himmel dein Vaterland, und mit dem Pilgerstab in der Hand ziehst du deine Straße fröhlich und fragst triumphierend:
Mein Leben ist ein Pilgrimstand,
Ich reise nach dem Vaterland!
Willst du mit? Willst du mit?
Das heißt bekehren,
und so wurde Saulus bekehrt.
Aber, höre ich einen Unbekannten fragen, muß denn jeder Mensch bekehrt werden, er sei gut oder böse, hoch oder niedrig? Auf diese Frage will ich euch keine Antwort geben, hört, was Paulus in unserm Text von sich sagt:. „Zwar mein Leben von Jugend auf wissen alle Juden - denn ich bin ein Pharisäer gewesen, welche ist die strengste Sekte unsers Gottesdienstes.“ Also von Jugend auf hatte Saulus so ehrbar gelebt, daß alle Juden es wissen durften. Auch hatte er dem Gott seiner Väter mit Beten, Fasten und Almosengeben gedient wie einer. Was sollte der gute Saulus noch mehr? Man sollte sagen, wenn der gute Mensch nicht in den Himmel kommt, dann kommt kein Mensch hinein. Doch hört, was Saulus weiter von sich sagt: „Zwar ich meinte auch, ich müßte viel zuwider tun dem Namen Jesu von Nazareth, wie ich die Heiligen ins Gefängnis verschloß, wie ich das Urteil sprechen half, wenn die Heiligen erwürgt wurden, wie ich sie durch alle Schulen peinigte und zwang zu lästern, ja überaus unsinnig war und sie verfolgte bis in die fremden Städte.“ Nun sagt, muß der Saulus noch bekehrt werden, wenn der Jesus ihn in den Himmel bringen soll, den er so blutig verfolgte, wenn er bei den Christen im Himmel sein will, die er so unsinnig verfolgte? Sagt, muß der gute Saulus noch bekehrt werden? Eure Antwort kann mir nicht fraglich sein.
Aber wenn der gute Saulus bekehrt werden mußte, so müßt ihr guten
Männer und Frauen oder wer ihr seid auch bekehrt werden. Ihr mögt auch von
Jugend auf ebenso ehrbar und noch tausendmal ehrbarer gelebt haben, ihr mögt
getauft und konfirmiert sein, ihr mögt zur Kirche gegangen und mit Christi Leib
und Blut gespeist sein, es hilft euch das alles nichts, gar nichts, so gut als
es sonst ist, wenn ihr nicht bekehrt seid. Es geht euch in eurem
unbekehrten Zustande mit eurem Kirchen- und Abendmahlgehen wie einem
Schlafenden, wenn er im Traum ißt und trinkt. Er ißt und ißt, er trinkt und
trinkt, aber je mehr er ißt und trinkt, je hungriger und durstiger wacht er
auf. ja wirklich, so lange ihr in eurem Sündenschlafe liegt, meint ihr, daß ihr
mit eurem Kirchen- und Abendmahlgehen oder Ehrbarleben in den Himmel kommt,
aber wenn ihr aufwacht, dann wird's euch schrecklich klar, wohin es mit euch
ohne Bekehrung gegangen wäre. Oh, fragt die bekehrten Seelen, sie werden euch
alle sagen, daß sie mit ihrem früheren ehrbaren Leben, mit all ihrem Kirchen-
und Abendmahlgehen, ohne die Bekehrung, ewig verlorengegangen wären. Aber wenn
diese ehrbaren Kirchen- und Abendmahlsgänger ohne Bekehrung ewig verlorengehen
müssen, was soll dann aus euch werden, die ihr nicht einmal ehrbar gelebt habt,
sondern in Saufen und Fressen, in Kammern und Unzucht, in Hader und Neid
gewandelt habt, die ihr von Jugend auf nur dann und wann einmal in das
Gotteshaus gegangen Seid, die ihr seit eurer Konfirrnation nicht ein einziges
Mal wieder das heilige Abendmahl genossen habt. Oh, ihr unbekehrten Sünder,
jung und alt, Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen, was soll aus euch
werden? Was sagt ihr von euch selber? Meint ihr, daß ihr so in den seligen
Himmel kommt? Nein, das glaubt ihr selber nicht.
Endlich mögen auch noch viele, viele unter
euch sein, die mit Saulo meinen, dem Namen Jesu von Nazareth viel zuwider tun
zu müssen. Ihr laßt euch gefallen, wenn euch vorn lieben Gott etwas gesagt
wird, und den lieben Gott nehmt ihr auch noch wohl einmal selber in den Mund,
aber von dem Namen Jesus wollt ihr gar nichts wissen und den mögt ihr
lieber mißbrauchen als gebrauchen. Ach, wie viele von euch, die sich Christen
nennen, meinen, dem Namen Jesu von Nazareth viel zuwider tun zu müssen. Ihr
mögt wohl heute keinen Stephanus mehr öffentlich steinigen, aber wie gerne
werft ihr doch einen Stein auf die, welche die Welt die Frommen nennt. Ihr mögt
die Heiligen nicht ins Gefängnis werfen, aber wie gerne möchtet ihr ihnen ihre
Gemeinschaften und Betversammlungen verbieten. Ihr mögt die Gläubigen eben
nicht öffentlich verfolgen, aber du ungläubiger Mann, wie behandelst du dein
gläubiges Weib, und du ungläubiges Weib, wie behandelst du deinen gläubigen
Mann? Ihr unbekehrten Eltern, wie seid ihr gegen eure bekehrten Kinder? Ihr
weltlich gesinnten Herrschaften, wie denkt ihr über eure bekehrten Dienstboten?
Ihr unwiedergeborenen Gerneindeglieder, wie urteilt ihr über euren bekehrten
Prediger, und ihr unbekehrten Prediger, wie verhaltet ihr euch zu euren
wiedergeborenen Gemeindegliedern? Ihr jungen, ihr klugen, ihr weisen, ihr
reichen Leute, was dünkt euch von den Bekehrten? Sagt, ihr unbekehrten Sünder,
wie steht ihr zu Jesus von Nazareth? Kennt ihr Ihn? Bekennt ihr Seinen Namen?
Habt ihr Ihn herzlich lieb? Könnt ihr freudig für Ihn sterben? Könnt ihr selig
durch Ihn sterben? 0 Seelen, wenn ihr bei diesen Fragen die Hand auf’s Herz
legt und euch aufrichtig prüft, dann werdet ihr gewiß erkennen, daß ein Saulus,
ein unbekehrter Saulus in euch steckt. 0 wer fühlte diesen Saulus nicht in
seiner eigenen Brust? Aber, Sünder, sag’ ob du ein unbekehrter Saulus oder ein
bekehrter Paulus bist. Sag’s frei heraus! Weißt du es nicht? Dann nimm das
Schlimmste an und sprich: Ich bin ein unbekehrter Saulus!
Aber was nun? - Was nun? Nun, du mußt dich
bekehren, mein lieber Saulus. Bekehre dich oder stirb! Also was mußt du? Ja,
sprichst du, ich muß mich bekehren! ich muß mich bekehren! ich
muß, ich muß, ich muß mich bekehren! Was willst du? Ja, sprichst du, ich
will mich bekehren, ich will mich bekehren! ich will, ich
will, ich will mich bekehren! Aber - ich kann mich nicht bekehren! ich
kann nicht! ich kann nicht! ich kann nicht!
Gott sei Dank, liebe Seele, daß es so mit dir steht. Nun weißt
du, daß du dich bekehren mußt. Nun wi11st du dich bekehren, aber du
kannst nicht! Du fragst, wie soll ich’s anfangen, daß ich bekehrt werde.
Wie anfangen? Höre:
2. Wie Saulus bekehrt
wurde. Beachtet zuerst, Geliebte, daß Saulus sich nicht bekehrte,
sondern daß Saul bekehrt wurde, daß Saulus den Saulus nicht
bekehrte, sondern daß Jesus den Saulus bekehrte. Als Saul die wunderbare
Stimme vernahm: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ fragte er:. Herr, wer bist
Du? und die Antwort lautete: Ich bin Jesus! Also Jesus war’s, der den
Saulus bekehrte. Darum Jesus, Jesus und niemand als Jesus kann
und will dich bekehren. Du kannst es nicht, das weißt du. Dein Pastor
kann’s auch nicht, das meinst du. Du meinst, wenn wir doch einen solchen Pastor
hätten, wie der und der, dann würde ich auch noch bekehrt werden; aber du irrst
dich. Kein Pastor, kein Engel und kein Erzengel kann dich bekehren. Wenn es
geschähe, so wäre solche Bekehrung dein größtes Unglück. Ein Prediger ging
abends aus der Versammlung an einern Stadtgraben vorbei nach Hause. In dem
Stadtgraben lag ein betrunkener Mann und schrie aus vollem Halse: „Herr Pastor!
Herr Pastor! Sie haben mich bekehrt! Sie haben mich bekehrt!“ „Leider,
leider“, sagte der Prediger und ging betrübt weiter. Ich sag dir’s noch einmal:
Jesus muß dich bekehren, Jesus und nur Jesus muß dich bekehren.
Nun weißt du also, mein Christ, wer dich bekehren muß.
Aber fragst du, wie mag solches zugehen?
Das geht ganz verschieden zu. Der Herr Jesus bekehrt den einen auf
diese, den anderen auf jene Weise und wohl nicht zwei auf gleiche Weise. Da hat
der Herr Jesus die Weisen aus dem Morgenlande durch einen Stern am Himmel und
den Apostel Petrus durch Fische im Meer bekehrt; da hat er den Jünger Nathanael
unter dem Baum und den Zöllner Zachäus auf dem Baum bekehrt. Da hat er die
Emmausjünger nach dem Wege unter Gebet und Brotbrechen und den Saulus auf dem
Wege unter Donner und Blitz bekehrt. Ich glaube, wenn alle Bekehrten ihre
Bekehrungsgeschichte erzählten, so wären keine zwei da, die der Herr Jesus auf
gleiche Weise bekehrt hätte. Aber, Geliebte, die eine Weise ist ebensogut wie
die andere. Seht, wir sitzen hier jetzt alle in der Kirche. Die einen sind aus
der Ferne, die anderen aus der Nähe gekommen, die einen von Süd, die anderen
von Nord, die einen von Ost, die anderen von West. Ist’s nun nicht ganz
einerlei, woher die Einzelnen gekommen sind? So ist’s auch mit der Bekehrung
und so wird’s auch einmal im Himmel sein. Die Bekehrung ist der einzige Weg zum
Himmel, aber der Bekehrungswege gibt es viele. Darum, liebe Seele, wenn der
Herr dich auf andere Weise bekehrt hat als andere, so zweifle deshalb nicht an
der Richtigkeit deiner Bekehrung.
Gehen wir nun nach dieser tröstlichen
Bemerkung wieder zu Sauli Bekehrung über, so müssen wir sagen, daß Saulus auf
eine ganz wunderbare Weise bekehrt wurde. Zunächst war bei Sauli
Bekehrung dies wunderbar, daß er an einem bestimmten Tage, ja zu einer
bestimmten Stunde bekehrt wurde. Mitten am Tage, also an dem und dem Tage,
mittags 12 Uhr, konnte Paulus sagen, bin ich bekehrt worden. Vielleicht sind
auch unter euch, Geliebte, solche, die ihren geistlichen Geburtstag bis auf Tag
und Stunde angeben können. Ihr könnt den Tag und die Stunde angeben, wo ihr, im
geistlichen Sinne verstanden, singen konntet:
Nackend lag ich auf dem Boden,
Da ich kam, da ich nahm
Meinen ersten Odem.
Oder wären bekehrte Seelen hier, die ihren
geistlichen Geburtstag nicht so genau anzugeben vermöchten, so will ich denen
zum Troste sagen: Beim Geburtstag ist die Geburt wichtiger als der Tag.
Darum macht euch über den Tag eurer Geburt keine Unruhe. Wenn ihr nur eins
wißt, nämlich dies, daß ihr blind waret und seid nun sehend, so wißt ihr gerade
genug. Ob dies nun in einer halben Stunde oder in zehn Jahren geschehen ist,
das ist ganz einerlei.
Noch wunderbarer als die Zeit der Bekehrung
ist das Zeichen, welches bei derselben geschah: „Mitten am Tage, lieber
König, sah ich auf dem Wege, daß ein Licht vom Himmel, heller denn der
Sonnenglanz, mich und die mit mir reisten, umleuchtete.“ Wär’s mitten in der
Nacht gewesen, hätte Saulus auf dem Bette gelegen, so könnte man denken, Saulus
hätte sich getäuscht, Saulus hätte geträumt. Aber es war mitten am Tage, auf
dem Wege, und deshalb war es keine Täuschung und kein Traum, sondern es war
Wirklichkeit und Tatsache. Es kam wirklich, tatsächlich ein Licht vom Himmel,
heller denn der Sonnenglanz. Dies Zeichen war ein naturgetreues Abbild von dem
Zustand des unbekehrten Saulus. Der unbekehrte Saulus ging dahin in dem
Sonnenglanz seiner eigenen Gerechtigkeit und glaubte, ein helleres Licht könnte
es im Himmel und auf Erden nicht geben. Nun umleuchtete . ihn ein Licht, heller
denn der Sonnenglanz. Nun ging die Sonne seiner eigenen Gerechtigkeit unter und
die Sonne der Gerechtigkeit Christi, das helle Licht, ging auf vor seinen
Augen. Zwar blendete dies helle Licht anfangs seine Augen so sehr, daß sie
erblindeten, aber nach drei Tagen erleuchtete dies Licht seine Augen so sehr,
daß sie ihm für alle Ewigkeit aufgetan wurden. Saulus war mit sehenden Augen
blind gewesen und wurde mit blinden Augen sehend. Gerade so, Geliebte, muß
heute noch jeder unbekehrte Sünder erst blind und dann sehend werden. Aber wir
brauchen heute auf kein Licht vom Himmel zu warten, denn wir haben das Licht
vom Himmel bereits in unsern Händen, wenn wir singen:
Dein göttlich Wort, das helle Licht,
Laß ja bei uns auslöschen nicht.
Es kommt nur darauf an,
daß wir für dies Licht das rechte Gesicht bekommen. Denn von Natur wandeln wir
alle wie Saulus in dem Sonenglanz der eigenen Gerechtigkeit oder in dem
nächtlichen Mondschein der Ungerechtigkeit, ja wir wandeln in Finsternis. Der
natürliche Mensch ist nicht bloß blind geworden, sondern er ist blind
geboren. Er ist nicht bloß mit sehenden Augen blind, sondern in seiner
Selbstgerechtigkeit meint er, daß er mit blinden Augen sehen kann. Oh, wäret
ihr blind! sagt deshalb der Heiland zu den blinden Pharisäern, wäret ihr blind,
so hättet ihr keine Sünde, nun ihr aber sprechet: Wir sind sehend, bleibet eure
Sünde.
Darum, ihr unbekehrten Sünder, kommet her
und werdet blind, daß ihr sehen möget. 0 du unbekehrter Sünder, falle mit
deinen blinden Augen nieder auf deine Sündenknie und bete: Jesu, Du Sohn Davids,
erbarme Dich meiner. Wenn Jesus dich dann fragt. Was willst du, daß ich dir tun
soll? so antworte: Herr, daß ich sehen möge. Ja, Geliebte, laßt uns jetzt doch
alle auf unsere Herzensknie niederfallen und mit dem frommen Dichter beten:
Jesu, gib gesunde Augen,
Die was taugen;
Rühre unsere Augen an,
Denn es ist die größte Plage,
Wenn am Tage
Man das Licht nicht sehen kann. Amen.
Wenn dann der Herr Jesus
unsere Augen auftut und das Licht des Wortes Gottes in unsere Herzen
hineinleuchtet, dann bekommen wir unser ganzes Sündenelend zu sehen, unsere
Blindheit, unsere Ohnmacht, unsere Verkehrtheit, dann bekommen wir Jesu Gnade,
Geduld und Langmut zu sehen. Dann sind wir blind gewesen und sehend geworden,
dann sehen wir niemand denn Jesum allein.
So wunderbar nun das Zeichen bei
Sauli Bekehrung war, so wichtig war bei derselben die wunderbare
Stimme. Diese Stimme enthält zuerst eine Frage ohne Antwort:. Saul, Saul,
was verfolgst du mich? und dann eine Antwort ohne Frage: Es wird dir schwer
werden, wider den Stachel zu löcken. In der Frage ohne Antwort nennt der Herr
den Saulus zweimal bei seinem Namen: Saul! Saul! Das ist wichtig, wichtig für
jeden Hörer des Worts, aber doppelt wichtig für jeden Prediger des Worts.
Glaubt es nur, Geliebte, wenn immer gepredigt wird:. Wir und ihr, sie und sie,
die und die, aber nie: du und ich, d. h. du bist der Mann, dann geht das Wort
nicht bloß über die Köpfe hinweg, sondern, was noch tausendmal schlimmer ist,
über die Herzen hinweg. Einmal mit Nathan dem David gepredigt: Du bist der
Mann! ist tausendmal besser als zweimal mit Ahitophel dem David und Absalom
zugleich gute Ratschläge erteilt. Ich meine durchaus nicht, daß eine Predigt
persönlich beleidigend sein soll, nein, aber handgreiflich, d. h. passend und
packend soll sie sein, so daß jeder die Schuhe anziehen kann, die ihm passen
und jeder greifen kann, was ihn packt. Was hilft es mir, wenn ein Schuhmacher
viele schöne Schuhe macht, die keinem passen, die dem einen zu groß, dem andern
zu klein sind. Nein, passen muß die Predigt und wenn sie paßt, dann packt sie.
Freilich ist es nicht Menschenwerk, so passend und packend zu predigen, aber
wenn der Prediger die Sünden und Laster seiner Gemeinde kennt und der Geist
Gottes durch den Prediger redet, dann ist es mit Gottes Hilfe möglich.
Und ist es für den Prediger doppelt
wichtig, seine Zuhörer beim Namen zu nennen, so ist es für die Hörer nicht
unwichtig, ihre Namen zu hören, d. h. einmal zu hören: Sau1, Sau1, was
verfolgst du mich? Sag, lieber Zuhörer, auf welche Weise ist dir einmal ein
Wort zu Herzen gegangen? War’s dir nicht, als wenn der Prediger für dich allein
predigte, als wenn er dich mit jedem Worte meinte, als wenn er alles wußte, was
du nur allein wußtest? So genau paßte alles. Wurdest du auch in dem ersten Augenblick
etwas aufgebracht über.diese Art und Weise der Predigt, so ist es dir nachher
doch zum großen Segen geworden, denn du mußtest sagen: Es ist alles wahr. Darum
laßt mich, liebe Zuhörer, so handgreiflich, so passend und packend predigen,
daß ein jeder seinen Namen heraushören und deutlich die wunderbare Stimme
vernehmen kann: Saul, Saul, was verfolgst du mich!?
Aber der Herr nennt nicht bloß den
Saulus bei seinem Namen, wenn er sagt: Saul, Saul, was verfolgst du
mich? Das hatte Saul nicht geahnt, daß er in den sogenannten Heiligen den
längst gekreuzigten Jesum verfolgte und daß er in dem gekreuzigten Jesu den
Heiland der Welt verfolgte. Nein, aber als ihm nun seine Sünde beim rechten
Namen genannt wurde, da wurde er es gewahr. So ahnen auch wir es nicht, daß
unsere Sünden Sünden sind, wenn sie uns nicht beim rechten Namen genannt
werden. Darum laßt mich eure Sünden nur beim rechten Namen nennen, euer Fluchen
Fluchen, euer Sonntagsschänden Sonntagsschänden, euer Ehebrechen Ehebrechen,
euer Stehlen Stehlen, euer Betrügen Betrügen, euer Lügen Lügen, kurz eure Sünde
Sünde. Sagt dann nicht, euer Pastor schilt immer, sondern dann sprecht: der
Pastor nennt unsere Sünden beim rechten Namen. So höre denn jeder die Frage:
Saul, Saul, was verfo1gst du mich? ..Saul, Saul, was fluchst du? was
mißbrauchst du meinen Namen, wenn du ein ums andere Wort sagst: Teufel! und
Donnerwetter! ach Gott! und ach Herr! Herr Jes! und Herrje! Saul, Saul, was
schändest du meinen Sonntag mit Lustbarkeiten und Arbeiten? Saul, Saul, was brichst
du deinen heiligen Ehebund? Saul, Saul, was machst du in geheimen Sünden deine
Glieder zu Hurengliedern? was stiehlst du? was betrügst du? was lügst du? Oh,
ich kann nicht alle Fragen an euch
richten, fragt euch selber, ich will für alle Fragen die eine Frage noch einmal
wiederholen: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
Was verfolgst du mich? Was? d. h.
aus welcher Ursache verfolgst du mich? Welche Greueltat habe ich dir
zugefügt? Diese, daß ich mein Blut für dich am Stamme des Kreuzes vergossen habe?
Oder diese, daß ich dich vom ewigen Tode erlöset habe durch meinen bittern Tod?
Oder diese, daß ich dich so lange mit Geduld getragen habe? Sprich! Sünder
sprich! Nein, du mußt verstummen, denn du hast durchaus keine Ursache, weshalb
du mich verfolgst, nein du verfolgst mich ohne Ursache. Darum laß ab, mich zu
verfolgen.
Ich frage dich noch einmal: Was verfolgst
du mich? Was meinst du denn? Meinst du, daß du der Mann bist, der mich
einholen und töten könnte? 0 Mensch, wenn ich wollte, ich könnte dich hier auf
der Stelle mit einem Blitzstrahl zerschmettern und in den Abgrund der Hölle
hineinschleudern aber - nun höre auf, mich zu verfolgen, wenn dein Leben
dir noch lieb und deine Seele dir noch wert ist.
Ich f rage dich zum letzten Male: Was verfo1gst
du mich? Bedenke, daß du mich verfo1gst. Bin ich denn wirklich ein so
gefährlicher Feind, daß du mich verfo1gen mußt? Sieh doch auf meinen
Wandel, den ich hier auf Erden geführt habe. Sag, kannst du mich einer Sünde
zeihen? Sieh, da hing ich einst unschuldig am Kreuzesstamm zu bluten und das
für dich! Nun antworte, Sünder, was verfo1gst du mich? 0 Sünder, wie
höre ich dich hinter mir schnauben, wie seh' ich dich hinter mir lauf en und
rennen! 0 Sünder, doch ein wenig langsamer, noch langsamer und noch langsamer,
oh, tritt in ineihe Fußstapfen und verfolge mich nicht, sondern folge
mir nach!
0 Wunder der Gnaden, ich höre dich beten; o siehe, er betet: Herr Jesu vergib mir, daß ich Dich so ohne Ursach verfolgt habe und hilf mir, daß ich ablasse, Dich zu verfolgen und anfange Dir nachzufolgen, ja:
Herr Jesu Christ!
Du bist mein Licht!
Du bist rinein Licht!
Ich folge Dir, so irr’ ich nicht!
Ist dies deine Antwort, liebe Seele, auf die Frage ohne Antwort: Saul, Saul, was verfolgst du mich? dann wird es an dir wahr werden, oder ist es an dir wahr geworden, was die folgende Antwort ohne Frage sagt: Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken.
Als Jesus den Saulus fragte: Saul, Saul,
was verfolgst du midi? wartete er nicht auf Saulus Antwort oder Gegenfrage,
sondern gab selbst eine Antwort ohne Frage: Es wird dir schwer werden, wider
den Stachel zu löcken. Ihr wißt's alle, ein Stachel wird bei dem Ochsen
angewendet, wenn er nicht vorwärts oder nicht nach der rechten Seite will. Ihr
habt’s vielleicht schon gesehen, wie ein Mann einen halsstarrigen Ochsen mit
einem Stachel oder Stock bearbeitete. Bei jedem Schlage schlug der Ochse hinten
aus gegen den Stachel. Seht, das heißt wider den Stachel löcken. Während ihr
dies sahet, habt ihr sicherlich gedacht: ach wenn das dumme Tier doch vorwärts
ginge. Aber nein, erst als die Beulen und Striemen faustdick auf der Haut
lagen, da ging es vorwärts. Was hatte nun das arme Tier von dem Löcken? Nichts
als eine Haut voller Striemen und Beulen. Oh, wie schwer war es doch dem Ochsen
geworden, wider den Stachel zu löcken. Wie leicht hätte er es haben können,
wenn er nicht wider den Stachel ge1öckt, sondern wenn er den Stachel geleckt
hätte, d. h. wenn er gleich nach der rechten Seite vorwärts gegangen wäre.
Nun,
Geliebte, Saulus hat nicht wider den Stachel ge1öckt, sondern er hat,
wenn ich so sagen darf, den Stachel gleich ge1eckt. Als er das Wort
hörte: Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken, hat er gleich
gefragt: Herr, wer bist Du? Und als der Herr ihm geantwortet: Ich bin Jesus,
den du verfolgst, da hat er sich von Stund an zu Jesu bekehrt, ist aus einem
Feinde Jesu ein Freund Jesu, aus einem Verfolger Jesu ein Nachfolger Jesu
geworden. Nun ging’s mit ihm vorwärts unter dem sanften Joch des
Heilandes, nicht um in Damaskus die Heiligen zu töten, sondern um mit den
Heiligen zu beten.
Nun ging’s vorwärts unter dem
ermunternden Zuruf des Heilandes: Steh auf und tritt auf deine Füße! So wurde
es dem Saulus nicht bloß schwer, sondern unmöglich, wider den Stachel zu
löcken. Oh, mein lieber Freund, möchte es dir doch auch in diesem Augenblick
unmöglich werden, wider den Stachel zu löcken! Möglich ist es dir, aber wenn du
es fertig bringst, dann sage ich dir aus dem Munde meines Heilandes vorher: Es
wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken. Sieh, einen Stachel hast
du in deinem Herzen und Gewissen. Vielleicht ist's ein Wort aus einer gehörten
Predigt, oder ein Wort aus dem Munde deines sterbenden Vaters oder deiner
seligen Mutter, oder ein Gelübde am Sterbebett eines deiner Lieben, ein Gelübde
auf deinem letzten Krankenbett, oder ein warnender Traum, oder es ist die Liebe
Jesu wie ein Stachel in deine Seele gedrungen. Sag, willst du nun noch länger
wider diesen Stachel löcken? 0 glaube mir, es wird dir schwer werden! Es
wird dir schwer werden in deinen gesunden und jungen Tagen, denn glaube mir, es
wird den Unbekehrten schwerer, in die Hölle zu kommen als den Bekehrten, in den
Himme1 zu kommen. Es wird dir schwer werden in deinen kranken und alten
Tagen, denn alsdann willst du dich noch bekehren, aber es wird dir sehr, sehr
schwer, wenn nicht gar unmöglich. Es wird dir schwer werden auf deinem
Sterbebett, wenn du den Stachel des Todes fühlst, ja, dann möchtest du auch
wider diesen Stachel löcken, aber es wird dir nicht bloß schwer, sondern
unmöglich, wider den Stachel des Todes zu löcken - du mußt sterben, du
mußt sterben, o schrecklich, unbekehrt sterben. Aber am
schwersten wird es dir in der Hölle werden, wider den Stachel zu löcken; denn
diesen Stachel, wenn auch sonst nichts, nimmst du mit in die Hölle hinein, und
dieser Stachel wird dich peinigen bis in die Ewigkeit hinein, so lange bis der
Wurm stirbt, der nicht stirbt, so lange bis das Feuer erlischt, das nicht
erlischt.
Darum, o Sünder, höre auf, wider den
Stachel zu löcken, folge dem langgefühlten Zuge deines Herzens zum Heiland und
frage jetzt mit Saulo: Herr, wer bist Du? Und siehe, derselbe Jesus, der dem
Saulus geantwortet: Ich bin Jesus, den du verfolgst, antwortet auch dir: Ich
bin Jesus, dein Jesus, den du verfolgst. Glaubst du das? 0 glaube jetzt als ein
armer, verlorener, verdammter, verfluchter und die Hölle verdienender Sünder,
daß Jesus dein Heiland ist. Dann vorwärts unter dem sanften Joch des Heilandes
und nicht eher stillgestanden, bis er dich am Feierabend deines Lebens aus
diesem Erdenjoch zur ewigen Ruhe der Heiligen ausspannt; dann vorwärts unter
dem Schlachtruf des Heilandes:
Fällt’s euch zu schwer,
Ich geh voran,
Ich steh’ euch an der Seite,
Ich kämpfe selbst, ich brech’ die Bahn,
Bin alles in dem Streite.
Ein böser Knecht, der still darf stehn,
Wenn er den Feldherrn sieht angehn.
Ja dann:
"Gott mit uns!" sei uns’re Losung,
Vorwärts! Gloria!
Auf! Uns winkt die Lebenskrone,
Mut, Halleluja!
Vorwärts auf ewig, vorwärts! Wenn wir bei diesem Vorwärts vorwärts schauen, dann drängt sich uns noch eine dritte und letzte Frage auf, nämlich die:
3. Wozu Sau1us bekehrt
wurde. Denn dazu bin ich dir erschienen daß ich dich ordne zum Diener und
Zeugen - sagt unser Text. In diesen Worten sagt der Heiland dem bekehrten
Saulus zunächst, daß er ihn gebrauchen will. Geliebte, der Heiland
bekehrt keinen Sünder zum Müßiggang, sondern jeden vom Müßiggang.
Wenn er einen Sünder am Markte müßig stehen sieht, so sendet er ihn, in der
elften Stunde noch, in seinen Weinberg. Es gibt allerdings faule Maulchristen,
die da meinen, daß die Geschichte zu Ende sei, wenn sie einmal bekehrt worden
sind; aber nein, dann ist die Geschichte nicht zu Ende, sondern dann fängt sie
erst an. Es ist mit den jungen Bekehrten gerade so, wie mit den jungen
Rekruten. Wenn die jungen Rekruten den bunten Rock angezogen haben, dann gehen
sie nicht nach Mutter zu Hause, sondern dann müssen sie nach geleistetem
Fahneneid dienen und unter der Kriegsfahne, wenn’s not tut, sogar ihr Blut
für’s Vaterland vergießen. So sollen auch die jungen Bekehrten, wenn sie den
Blutrock Christi angezogen haben, nicht zur Mutter Welt zurückkehren, sondern
dann sollen sie nach dem geistlichen Fahneneid dem himmlischen König dienen und
unter der blutroten Kreuzesfahne ihr rotes Blut für das himmlische Vaterland
fließen lassen, indem sie unter Trompetenschall das Streiterlied anstimmen:
Wer will ein Streiter Jesu sein
Und nicht ein Widerchrist,
Der stell’ sich auf dem Kampfplatz ein,
Wie er berufen ist!
Die Kreuzesfahne weht - die Fahne weht -
Wohl dem, der bei ihr steht - der bei ihr steht!
Trompeten schallen weit und breit,
Frisch auf, frisch auf, zum Streit!
Seltsam, sogar diejenigen, ja gerade
diejenigen, welche früher dem Teufel und der Welt am treuesten gedient haben,
gerade diejenigen will der Heiland gebrauchen. Wir sehen's hier deutlich an
Saulus, der erst den Heiland verfolgte, und nachher um des Heilandes willen bis
in den Tod verfolgt wurde. Ich denke hier an den Kirchenvater Augustin,
der unter den Lasterhaften der Lasterhafteste war, der ein rechtes Sündenkind
seiner frommen Mutter war, aber nach seiner Bekehrung wirklich ein Kirchenvater
wurde, d. h. ein Vater der Kirche, so daß die gläubigen Väter der Kirche seine
Kinder zu nennen sind. Auch denke ich noch an einen Mann, dessen Leben und
Wirken ich vor einiger Zeit gelesen habe, an Georg Müller in Bristol.
Dieser Georg Müller war in seiner Jugend ein Taugenichts. Als zehnzähriger
Junge bestahl er seines Vaters Kasse und versteckte das Geld in den Schuhen.
Auf der Schule täuschte er seinen Vater mit falschen Rechnungen, verließ die
Schule, vagabundierte herum und zechte in den Wirtshäusern auf Kredit, bis er
endlich zu den Dieben ins Gefängnis geworfen wurde. Als er später trotz alledem
auf die Universität kam, ging das Sündenleben erst recht an. Er belog und
betrog seine Mitstudenten, wo er konnte. Da besuchte er einmal mit einem
Freunde eine Betstunde im Hause eines gläubigen Handwerkers, namens Wegener.
Hier ergriff die Hand des Herrn den Georg Müller und bekehrte ihn. Später wurde
Georg Müller in der Hand des Herrn ein Werkzeug, wie es nur wenige gab.
Zweitausend Waisenkinder standen täglich in seiner Pflege und Millionen von
Markstücken hat er für Zwecke des Reiches Gottes zusammengeglaubt und
zusammengebetet.
Ich könnte euch noch manchen Saulus nennen,
der erst dem Teufel und dann dem Heiland aus allen Kräften gedient hat. Ja,
Geliebte, wenn ich an die Zeit vor meiner Bekehrung zurückdenke, so muß ich mit
wehmütigem Herzen und tränenden Augen sagen: Ich war selber ein solcher Saulus,
und gewiß muß mancher von euch mir nachsprechen: Ich war auch einer. Aber,
Geliebte, gerade solche Taugenichtse kann der Heiland gebrauchen. Darum sage
keiner: Ich bin oder ich war zu schlecht, mich kann der Heiland nicht
gebrauchen, nein, gerade die Schlechtesten sind für den Heiland die Besten.
Weiter heißt es am Schluß unseres Textes:
Aufzutun ihre Augen, daß sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht. Hier
sagt der Heiland dem Saulus ganz bestimmt, wozu er ihn gebrauchen will,
nämlich anderen die Augen aufzutun. Ihr wißt, wie vielen Paulus die Augen
aufgetan hat. Er war so ein rechter Augenarzt, der es verstand, den alten Star
auf den Augen der Heiden zu stechen, daß sie sich bekehrten von der Finsternis
zum Licht, zu empfangen Vergebung der Sünden. Dazu will der Heiland uns auch
gebrauchen, uns, denen er die Augen aufgetan hat. Ihr wißt, daß die Heiden
Jahrtausende in Finsternis gelebt haben. Während dieser Zeit ist der Star auf
ihren Augen reif geworden, und es ist jetzt hochnötig Zeit, daß er gestochen
wird.
Wollen wir uns nun dazu gebrauchen
lassen? Geliebte, denken wir uns, die Heiden wären alle 1eib1ich b1ind
und wir hätten eine Salbe, durch welche wir sie alle mit einem Strich sehend
machen könnten. Wären wir nicht unbarmherziger als die Heiden, wenn wir ihnen
die Augen nicht auftun wollten? Nun sind f reilich die Heiden nicht 1eib1ich
b1ind, sondern, was noch tausendmal schlimmer ist: geist1ich b1ind,
und wir besitzen die Salbe des Evangeliums, durch welche wir sie alle sehend
machen können. Wären wir nun nicht tausendmal unbarmherziger als die Heiden,
wenn wir uns nicht gebrauchen lassen wollten, den blinden Heiden die Augen
aufzutun? Oder denkt euch, da stände vor unsern Augen bei finsterer Nacht ein
Haus in hellen Flammen. Die unglücklichen Einwohner lägen im tiefsten Schlaf.
Könnten wir dies Haus von unsern Augen abbrennen lassen, ohne die unglücklichen
Einwohner zu wecken? Oh, wenn wir’s täten, wie müßte es uns durch Mark und Bein
gehen, wenn wir die armen Einwohner in den Flammen heulen und knistern hörten.
Seht, so liegen die Menschen vor unseren Augen bei finsterer Nacht in einem brennenden Hause. Wenn wir sie nicht wecken, so wachen sie in dem Feuer der Hölle auf. Oh, wie wird es uns dann durch Mark und Bein gehen, wenn wir sie im Feuer der Hölle heulen und knistern hören. Aber, sagt ihr, das ist ja schrecklich, daß alle, welche das Evangelium von Jesu Christo nicht gehört haben, ebenso verlorengehen, und es ist noch hunderttausendmal schrecklicher, daß bekehrte Christen die unbekehrten Christen so gleichgültig verlorengehen lassen. Fragt nicht, wie kann Gott so viele Menschen verlorengehen lassen? Nein, Gott fragt euch: Wie könnt ihr so viele verlorengehen lassen? Wie könnt ihr euer vergängliches Gold und Silber höher schätzen als die unsterblichen Seelen, wie könnt ihr eure guten Tage mehr lieben als die Seligkeit? - Ich habe meinen lieben Sohn und mein Sohn hat sein Blut für die Welt gegeben und was tut ihr für sie?
0 Geliebte, ich fürchte, wenn wir uns nicht
gebrauchen lassen, den Verlorenen die Augen aufzutun, so verdammen sie uns.
Darum an’s Werk, auf’s neue an’s Werk. Alles, was wir bis jetzt an dem Werk der
Heidenbekehrung getan haben, ist gerade so viel, als ein kleiner junge tut, der
ein paar Ahren hinter dem Erntewagen zusammenharkt. Wir sammeln kaum 1000 Mark
für die Mission, während Millionen für Alkohol und Luxus vergeudet werden. Es
stehen zwei bis drei junge Leute im Dienste der Mission, während Tausende im
Dienste des Teufels und der Welt stehen. Und endlich, das Gebet für die armen
Heiden wird noch tausendfach übertönt vom Gespött über Mission. Das ist die
nackte tatsächliche Wahrheit. Deshalb, Geliebte, müssen wir uns schämen, daß wir
bis jetzt so wenig für die Heiden getan haben. Nein, schämen ist nicht genug,
wir müssen uns bessern. Oh, ihr reichen Missionsfreunde, legt euer Geld bei den
Missionskassen auf Zinseszins zu 100000 Prozent. Es soll euch im Himmel
tausendfältig vergolten werden. Ihr Witwen und Kinder, legt euer Scherflein für
die armen Heiden in den Gotteskasten, dann legt ihr noch mehr ein als alle die
anderen zusammen. Ihr jungen Leute, wenn der Herr fragt: Wen soll ich senden?
so antwortet: Herr, hier bin ich, sende mich! Geht zu eurem Prediger und fragt
ihn, wie ihr's anfangen sollt, daß ihr zu den armen Heiden kommt. - Dann laßt
uns alle auf unsere Knie fallen und beten, daß der Herr Jesus allen Heiden und
Christen die Augen auftun wolle, auf daß aus jedem Saulus ein Pau1us
werde. Dazu wurde Saulus bekehrt.
Zum Schluß kann ich nur beten: 0 lieber Heiland, bekehre doch jeden Saulus in der Christen- und Heidenwelt! - - Und wenn du unbekehrter Saulus dich nicht bekehren willst, dann bekenne jetzt und einst vor Gottes Gericht und Angesicht: Der Mann, der diese Predigt hielt und schrieb, ist unschuldig an meinem Blute! Amen, Amen!