Epistelpredigten
Friedrich Locher aus „Predigten über die Episteln des Kirchenjahres zu den
Sonn- und Festtagen“
Epistelpredigt
zum vierten Advent ueber Philipper 4,4-7: Von dem Frieden Gottes
Evangelienpredigten
C.F.W. Walther aus „Gnadenjahr“:
Evangelienpredigt zum ersten
heiligen Christfesttag ueber Lukas 2,1-14: Die wahre Weihnachtsfreude
Predigt zu Karfreitag ueber 1.
Thessalonicher 5,9.10: Christi Tod – unser Leben
Predigt zu Christi Himmelfahrt ueber
2. Koenige 2,1-13: Die Himmelfahrt Elias[1]
Evangelienpredigt zum dritten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas
15,1-10: Jesus, ein Suenderfreund
Evangelienpredigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis ueber
Lukas7,11-17: Der rechte Trost im Sterben
HERR Jesus! In deinem Namen haben wir mit
dem heutigen Tag ein neues Jahr des Kampfes und der Pilgrimschaft deiner Kirche
auf Erden begonnen. Mit Bitten und Flehen erscheinen wir daher vor dir, der du
unser einziger Trost, unsere einzige Hilfe, unsere einzige Zuflucht bist. Was
sollen wir aber bitten? Sollen wir dich darum bitten, dass du auch im neuen
Jahr deine Kirche nicht verlassen, in Gnaden wieder zu ihr kommen und sie
erhalten und schützen wollest? Warum sollten wir das? Du kommst zu ihr wohl ohne
unser Gebet, denn du hast es verheißen, und ehe müssen Himmel und Erde brechen,
ehe du dein Wort brechen und deine auf dich gegründete Kirche überwältigen
lassen könntest. Du bist bei ihr darinnen, darum wird sie wohl bleiben; du
hilfst ihr früh. Darum das ist’s, HERR, warum wir dich anflehen, dass du im
neuen Jahr auch zu uns kommen und uns Gnade geben wollest, dass wir das
Herz dir auftun, wenn du kommst. Siehe, wir gedenken heute an unsere Sünde; wir
denken heute daran, wie oft du in den verflossenen Kirchenjahren zu uns
gekommen bist im Wort und Sakrament, und wir taten dir nicht auf, wir machten
dir nicht Platz in unseren Herzen und verschütteten den Segen, den du uns
zugedacht hattest. Wir wissen es, wir hätten es daher wohl verdient, dass du im
neuen Jahr an uns vorüber gingest. Aber, o du Heiland aller Menschen und auch
unser Heiland! Allein durch deine Fürbitte leben wir ja noch, allein um
deiner Fürbitte willen sind wir ja noch nicht hinweggerissen aus dem
Land unserer Gnadenzeit: O, so tue nun auch zu dieser Gnade noch das hinzu, und
komm in diesem neuen Jahr wieder zu uns und vollende in uns dein Werk; damit,
wenn die Stimme der Mitternacht endlich zur Hochzeit ruft, wir bereit seien,
dir, unserem Bräutigam, mit brennenden Lampen und im hochzeitlichen Schmuck zu
folgen. Erhöre uns, o König der Gnade, erhöre uns. Amen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
„Und ist in keinem
anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir
sollen selig werden“, als der Name Jesu Christi, so spricht der Apostel Petrus.
Nach diesen Worten kann kein Mensch sich selbst selig machen, noch ein Bruder den
anderen erlösen, noch ein Engel des Himmels einem Menschen den Himmel
erschließen, sondern hiernach ist Christus allein die über den Abgrund des
Todes in das ewige Leben geschlagene Brücke, Christus allein die offene Pforte
des Paradieses, Christus allein der Weg in den Himmel. Wer immer unter allen
Menschen selig werden will, der muss nach diesen Worten durch Christus
selig werden, oder alle seine Bemühungen darum sind eitel und vergeblich; und ist
je ein Mensch selig geworden, so ist er es durch Christus geworden.
An dieser Lehre haben sich bisher viele
schon deswegen gestoßen, weil Christus erst viertausend Jahre nach
Erschaffung der Welt in die Welt gekommen ist. Wie? spricht man, gäbe es
außer Christus wirklich für keinen Menschen auf Erden Heil und Seligkeit, würde
er dann nicht sogleich nach Erschaffung der Welt gekommen sein? Würde er dann
so lange ausgeblieben sein und bis zu seiner Ankunft in der Welt so viele
Millionen rettungslos verloren gehen lassen? –
Aber man irrt sich. Um Christus ist es eine
gar wunderbare Sache. Christus war längst in der Welt gewesen, als die heiligen
Engel seine Geburt in himmlischen Lobgesängen priesen. Christi Kommen in die
Welt ist nämlich ein zweifaches, ein leibliches und ein geistliches. Vor über
zweitausend Jahren kam er nun freilich in die Welt, wie er vorher noch nicht
gekommen war, nämlich sichtbar und leiblich; aber geistlich war Christus immer
in der Welt gewesen, so lange es eine Welt gab. Klar und deutlich schreibt
nämlich von ihm Johannes zu Anfang seines Evangeliums: „In ihm war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschjen. Und das Licht scheint in der
Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen. Das war das wahrhaftige
Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.“ Daher
spricht auch Christus selbst von sich: „Ehe denn Abraham war, bin ich. Abraham
ward froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich.“
Des recht zu verstehen, muss man nämlich
dies wissen: Als in den ersten Menschen durch den Fall in die Sünde das Licht
der ihnen anerschaffenen Unschuld und Gerechtigkeit erloschen war, da rief Gott
ihnen alsbald zu: „Der Same der Frau wird der Schlange den Kopf zertreten“, und
mit dieser ersten Verheißung fing Christus schon an, als das einige,
wahrhaftige Licht der Welt zu scheinen; diese Worte waren gleichsam die ersten
Strahlen einer himmlischen Morgenröte, welche die Sündennacht, die sich über
die Erde gelagert hatte, bereits durchbrach. Als aber Gott später noch
deutlicher zu Abraham von dem sprach, durch den alle Völker der Erde gesegnet
werden und der aus dem von ihm abstammenden Volk geboren werden sollte, da
leuchtete Christus schon als die Frühsonne in die in Finsternis und Schatten
des Todes liegende Sünderwelt mächtig hinein. Und als Hierauf ein langer Zug
von Propheten von Jahrhundert zu Jahrhundert in Israel auftrat, die alle wie
aus Einem Mund verkündigten, dass die Ankunft des Verheißenen immer näher
rücke, und als endlich der letzte unter den Propheten, Maleachi, laut in die
Welt hinein rief: „Bald wird kommen zu seinem Tempel der HERR, den ihr sucht,
und der Engel des Bundes, des ihr begehrt. Siehe, er kommt, spricht der HERR
Zebaoth“: - Da stieg Christus, die unsichtbare Sonne der Welt, immer höher und
höher, bis endlich der Himmel zerriss und die himmlischen Heerscharen jauchzend
hervorbrachen und der Engel des HERRN, von des HERRN Klarheit umleuchtet, den
erstaunten Hirten zurief: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem
Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist
Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ In diesem Augenblick ging Christus
der Welt nicht erst auf, sondern stand nun nur als die helle
Mittagssonne über aller Menschen Häuptern.
Weit entfernt also, dass Christus deswegen
erst nach Verfluss von vier Jahrtausenden des Weltalters in die Welt gekommen
sein wollte, weil er erst das Werk der Beseligung der Welt hätte beginnen
wollen, so erschien er vielmehr gerade darum erst jetzt, weil er gleichsam in
der Mitte der Weltzeit stehen und seine rettenden Arme rückwärts und vorwärts
zu allen Verlorenen ausstrecken wollte. Die Weissagung von Christus zieht sich
daher wie ein immer heller und heller werdender himmlischer Lichtstreifen durch
die dunkle Geschichte der Völker. Er war schon der ersten Menschen Trost, als
sie, aus dem Paradies vertrieben, die Not der Erde bitter empfinden und unter
Schweiß und t5ränen das wüste Feld bauen mussten. Er war schon Israels Hoffnung
und aller Völker Sehnsucht; wer daher vor Christi Geburt selig geworden
ist, der ist es durch Christus geworden, auf den er hoffte.
Daher heißt es im 13. Kapitel des Briefes
an die Hebräer: „Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in
Ewigkeit.“ Hieraus sehen wir, wie Christus in der Welt war und fort und fort in
die Welt kam, ehe er kam; so kommt er hiernach auch noch jetzt, nachdem er
bereits gekommen ist, und ist immer im Kommen, bis er kommen wird zur ewigen
Festfeier mit den Seinen im Himmel und das ist der tröstliche
Adventsgegenstand, mit welchen wir uns in dieser Stunde beschäftigen.
Matthäus
21,1-9: Da sie nun nahe an
Jerusalem kamen nach Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zwei
und sprach zu ihnen: Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald
werdet ihr eine Eselin finden angebunden und ein Füllen bei ihr. Löst sie auf
und führt sie zu mir! Und so euch jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der HERR
bedarf ihrer; sobald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf dass
erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der
Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem
Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin und
taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen
und legten ihre Kleider darauf und setzten ihn darauf. Aber viel Volks breitete
die Kleider auf den Weg; die andern hieben Zweige von den Bäumen und streuten
sie auf den Weg. Das Volk aber, das vorging und nachfolgte, schrie und sprach:
Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des HERRN!
Hosianna in der Höhe!
Schon seit uralten Zeiten hat sich die
rechtgläubige Kirche, so oft sie an der Schwelle eines neuen Kirchenjahrs
stand, an der in diesem verlesenen Evangelium enthaltenen Beschreibung des
Einzugs Christi durch die Thore Jerusalems ergötzt und sich dabei des
gnadenvollen unsichtbaren Einzugs getröstet, den der HERR nun aufs Neue durch
die Tore der Kirche, ja, der ganzen Sünderwelt halten wolle. Auch wir wollen
daher unserer lieben geistlichen Mutter hierin heute folgen, indem wir uns in
gegenwärtiger Stunde die Frage beantworten:
Was lehrt uns
Christi einstmaliger Einzug durch die Tore Jerusalems an der Schwelle eines
neuen Kirchenjahres?
Er lehrt uns hauptsächlich zweierlei:
1.
Dass und wie Christus auch bei uns
im neuen Kirchenjahr seinen Einzug halten könne und wolle, und
2.
Wie sich ein Jeder nach dem Zustand
seines Herzens gegen den einziehenden Heiland zu verhalten habe.
1.
Wenn der heilige Evangelist in unserem Text
sagt, Christus habe deswegen einst jenen feierlichen Einzug durch die Tore
Jerusalems gehalten, „auf dass erfüllt würde, das gesagt ist durch den
Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu
dir“, so dürfen wir nicht denken, dass dieser Einzug also nur den
Einwohnern Jerusalems gegolten habe. Nein, so gewiss Christus nicht gekommen
war, den irdischen Königsthron zu Jerusalem zu besteigen, sondern ein König
aller Menschen zu sein, so gewiss geht alle Prediger des Evangeliums, so gewiss
geht auch mich der Befehl an: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König
kommt zu dir.“
Aber wie? Dürfen wir wirklich glauben, dass
Christus noch immer, dass er auch heute noch, auch unter uns seinen Einzug
halten könne? Ist er nicht schon längst aus dieser Welt geschieden? Und zeigt
es nicht gerade jener armselige Einzug in Jerusalem, dass Christus nichts als
ein armer, machtloser, geringer Mensch gewesen sei? Wissen wir nicht, dass
wenige Tage nach jenem Einzug auf das Hosiannarufen des Volks das Kreuzige!
Kreuzige! und eine Krönung mit Dornen gefolgt und der arme König endlich
schmachvoll an das Kreuz geschlagen worden ist?
Hiernach scheint freilich auf den ersten
Anblick nichts törichter zu sein als der Glaube, dass Christus noch heute auch
bei uns als König einziehen könne. Allein, lasst euch von diesem Schein nicht
irren, denn so armselig auch Christus in unserem Evangelium an unseren Augen
vorüberzieht, so groß ist die Herrlichkeit und Majestät, die uns bei genauerem
Aufmerken aus aller Niedrigkeit, in welcher jener Einzug geschah,
entgegenleuchtet. Denn was hören wir? Von Gal8iläa mit seiner Jüngerschar
kommend und nach längerer Abwesenheit Jerusalem sich wieder nahend, hält
Christus plötzlich still und gibt zwei seiner Jünger den Befehl: „Geht hin
in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden
angebunden und ein Füllen bei ihr; löst sie auf und führt sie zu mir.“
Sagt, wie konnte Christus wissen, dass sich, was er hier so genau und
umständlich voraussagte, wirklich so befinden werde? Hiermit bewies Christus
nichts Geringeres, als dass er allwissend sei., Sprecht nicht, wie man das
hieraus schließen könne, da ja die vorausgesagten Umstände so geringfügige
gewesen seien! Je geringfügiger und je zufälliger sie waren, desto mehr
beweisen sie, dass vor Christi Augen nichts in der Welt, auch nicht das
Geringste, verborgen war. Und noch mehr: Christus setzt hinzu: „Und so euch
jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der HERR bedarf ihrer; so bald wird er sie
euch lassen.“ Ich frage euch hierbei ferner: Wie konnte Christus es wissen,
dass der Eigentümer der Lasttiere durch jenen kurzen Bescheid der Jünger
bewogen werden würde, dieselben zu lassen? Hiermit bewies Christus nichts
Geringeres, als dass er Macht habe, auch die Herzen der Menschen, und zwar
selbst in der Ferne, zu lenken, dass er also allmächtig sei. Und noch mehr:
Christus zieht hierauf unter dem Zuruf und Jubel von Tausenden durch die Tore
Jerusalems ein; die ganze ungeheure Stadt wird erregt; alles, jung und alt,
Fremdlinge und Einwohner, strömt zusammen und ruft verwundert aus: „Wer ist
der?“ Selbst Säuglinge tun wunderbar ihren Mund auf und rufen laut: „Hosianna
dem Sohn Davids!“ Sagt, wie war es möglich, dass Herodes, Pilatus und alle
Mächtigen des Landes, welche sich in der Stadt mit großen Scharen gerüsteter
Krieger befanden, jetzt ruhig zusahen? Was hielt diese grimmen Feinde Christi
fest, dass sie Christus nicht als einen Aufrührer und Rebellen gefangen nahmen?
– Erkennt hieraus Christi himmlisches Wirken. Hiermit bewies Christus, dass er
auch ohne Schwert und Heeresmacht ganze feindliche Heere bezwingen, ihr Herz
verzagt machen, ihre Füße Fesseln, ihre Arme lähmen könne. O, was ist darum ein
irdischer König gegen Christus! Eines irdischen Königs Macht ist ein
zerbrechliches Schwert, Christi Macht sein allmächtiges Wort; jenes Thron ist
von Staub und steht auf Staub, zu dem er selbst endlich zurückkehrt, Christi
Herrscherthron ist in den Herzen der Menschen aufgebaut, die er lenkt nach
seinem unumschränkten Willen. Kurz, Christus ist ein allwissender, allmächtiger
König der Herzen, der ewige wahrhaftige Sohn des lebendigen Gottes. Das hat er
bewiesen bei seinem Einzug in Jerusalem und uns damit bezeugt, dass er noch
jetzt, dass er noch heute auch bei uns seinen Einzug halten kann.
Aber wie? sollte er bei uns nicht einziehen
können, sondern auch einziehen wollen? Haben wir nicht alle ihm
in der heiligen Taufe Treue geschworen, und sind wir nicht alle ihm untreu
geworden? Ist er nicht der Allerhöchste und wir ein elender Staub? Ist er nicht
der Allerheiligste und wir Unreine, Ungerechte, verdammungswürdige Sünder? Und
heißt es nicht in dem Propheten: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein
König kommt zu dir“? – Ja, meine Lieben, so heißt es, aber wer war
die Tochter Zion, der diese selige Botschaft gebracht werden sollte? Waren dies
etwa Heilige, die des Kommens Christi zu ihnen würdig waren? O nein! Es waren
dies die Bürger zu Jerusalem; es waren dies also gerade die, denen Christus
schon so oft vergeblich Gnade gepredigt hatte; es waren dies die, die dem HERRN
Gutes mit Bösem, Liebe mit Hass, Wohltat mit Übeltat vergolten hatten; es waren
dies eben die, welche den HERRN noch jetzt mit Mordgedanken aufnahmen und
wenige Tage darauf an das Kreuz schlugen. Ja, die Bürger der mörderischen Stadt
Jerusalem, dieser Haufe zur Hölle reifer Sünder, eben diese waren es, zu denen
Christus in unermüdlicher Geduld und Liebe und Hirtentreue noch einmal kam, sie
heimzusuchen mit allem Reichtum seiner Gnade und Erbarmung, und denen zugerufen
werden musste: „Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig“, ein Helfer,
ein Heiland, ein Seligmacher. O, wie gewiss kann daher ein jeder sein, in
welchem Zustand er sich auch befinden möge, dass Christus auch bei ihm
einziehen wolle! Oder wer ist unter uns, der da denken dürfte, Christus wolle
und werde im neuen Kirchenjahr nicht zu ihm kommen? Ach, wahrlich! Keiner,
keiner darf dies von seinem treuen Heiland denken, und wenn er ihm bisher noch
so untreu gewesen, ja, wenn er bisher Christi ärgster Feind gewesen wäre.
Schaut hin nach den offenen Toren Jerusalems und seht, wie da der König der
Gnade so sanftmütig und voll brennender Sehnsucht nach der Seligkeit einer
ganzen in alle Abgründe der Sünde versunkenen Stadt in dieselbe einzieht, und
lernt daraus: nichts, keine Unwürdigkeit, keine Sünde, kein noch so tiefer Fall
kann ihn abhalten, heute an der Tür des Herzens, auch eines jeden unter uns,
anzuklopfen, Einlass zu begehren und bei ihm einzuziehen, so er ihm auftut. Mag
unsere Sünde noch so groß, mag sie berghoch sein, seine Liebe und Gnade ist
noch größer. Sünder, große Sünder sind es eben, die Christus sucht. Getrost
rufe ich darum einem jeden unter uns zu: „Siehe, dein König kommt zu dir“,
er kommt, er kommt!
Aber, werdet ihr nun fragen, wie kommt er
denn? – Wollt ihr da wissen, wohlan, so schaut hin auf Christi Einzug zu
Jerusalem; da ist es uns abgemalt in einem lieblichen Bild. Da sehen wir aber,
Christus steigt nicht selbst auf das Lasttier, seinen Einzug zu halten. Seine
Jünger sind es, die ihn darauf heben und unter deren Geleit und Hosiannaruf er
einzieht. So hält es Christus noch heute. Wo seine Diener sein Wort predigen,
wo seine Diener in seinem Namen rufen: „Seht, euer König kommt“, wo seine Jünger
versammelt sind, die ihn anrufen und sprechen: „Hosianna dem Sohn Davids;
gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN! Hosianna in der Höhe!“ da ist
auch Christus allezeit in ihrer Mitte, da folgt ihnen auch Christus allezeit
auf dem Fuß nach, kurz, da hält Christus seinen Einzug: Da ist das Heil und die
Seligkeit vor aller Herzen Tür. O wohl daher euch allen, die ihr die Gnade
genießt, heute am Anfang des neuen Kirchenjahres Christi Gnadenwort zu
vernehmen! Mag die Welt es verachten, mag es ihr Torheit und Ärgernis sein:
Unter dem Schall dieses verachteten Wortes geschieht doch das grüßte wunder der
Gnade, denn mit ihm zieht Christus, der Herzog der Seligkeit, noch heute
überall ein, wo man ihm auftut. O wohl allen, die ihm auftun! Doch das führt
mich auf das Zweite, was uns Christi einstmaliger Einzug durch die Tore
Jerusalems an der Schwelle eines neuen Kirchenjahres lehrt.
2.
Wie sich nämlich ein jeder nach dem Zustand
seines Herzens gegen den in Wort und Sakrament wieder einziehenden Heiland zu
verhalten habe.
Werfen wir nochmals einen Blick auf den
feierlichen Zug, der uns in unserem heiligen Evangelium begegnet, so
unterscheiden wir darin deutlich zwei verschiedene Chöre. Der erste Chor
besteht nämlich aus den Jüngern, welche Christus schon auf seinen Wanderungen
begleitet hatten und mit ihm eben von Galiläa ankamen. Was tun nun vorerst
diese? Erstlich, sie verlassen jetzt Christus nicht, obgleich ihnen derselbe
auf dem Weg bereits wiederholt vorausverkündigt hatte, dass es nun in Leiden
und Tod gehe. Sie schließen sich jetzt im Gegenteil nur desto inniger an
Christus an. Und nicht nur dies, sie zeigen sich auch eifrig, Christi Willen in
allem zu erfüllen. Christus sendet sie, etwas zu tun, was vor der Vernunft
höchst töricht zu sein schien; sie weigern sich nicht; eilends gehen sie. Sie
begleiten aber Christus nicht nur selbst, sondern suchen auch, so viel sie
vermögen, Christi Einzug bei anderen zu fördern; sie heben Christus auf das
herbeigebrachte Lasttier, unterlegen ihm ihre Kleider, gehen als seine Herolde
ihm voraus und, laut ihn bekennend als den König, der da komme sollte, und ihn
laut lobend und preisend, reizen sie so auch andere, Christus zu erkennen und
aufzunehmen.
Seht da, ihr Lieben, dir ihr bis heute
schon mit Christus gewandert seid, wie vorerst ihr euch gegen den wieder
einziehenden Heiland zu verhalten habt. Das Erste, was von euch gefordert wird,
ist, dass ihr doch Christus, zu dem ihr euch bisher gehalten habt, nicht etwa
nun im neuen Jahr verlasst. Und warum solltet ihr das auch? Müsst ihr nicht
bekennen, dass ihr, so lange ihr es mit Christus gehalten habt, von ihm nur
Gutes empfangen, nur Liebe erfahren, nur Friede und Freude im Heiligen Geist
genossen und es bei ihm besser gehabt habt als bei der Welt? O, vergesst doch
nun auch dies nie und schaut nicht lüstern wieder zur Welt zurück, ihren
Gütern, Freuden und Ehren; ihr würdet es sonst zeitlich und ewig bereuen;
sondern bleibt bei ihm, wenn ihr auch nach den Stunden der Freude hienieden
noch manches Trauerstündlein, ja, eine ganze Marterwoche erfahren müsstet;
bleibt bei ihm, dem treuen Heiland, bis er euch bracht hat zum ewigen
Vaterland. Doch, wie die Jünger nicht nur im Glauben bei Christus blieben, sondern
auch in immer brünstigerer Liebe ihm immer eifriger und williger dienten, so
auch ihr. Gelobt es heute dem HERRN, dass ihr euch im neuen Kirchenjahr ihm
ganz widmen, von den alten euch noch immer anklebenden und träge machenden
Sünden euch im neuen Kirchenjahr mehr losmachen und in der Heiligung des
Geistes größeren Eifer beweisen wollt. Das gelobt heute und bittet ihn um
Gnade, euer Gelübde zu halten. Wie aber einst die lieben Jünger nicht allein an
sich dachten, sondern auch an die, welche Christus noch nicht erkannten und
seine Gnade noch nicht genossen, und daher alles taten, was sie vermochten,
Christi Einzug in Jerusalem zu fördern und das tote Volk zu beleben und zu
entzünden und in ihre geistliche Freude und in ihren Jubel über Christus und
seine Gnade hineinzuziehen: so auch ihr. Bedenkt, wie viele noch ohne
Erkenntnis Christi nicht nur unter den armen Heiden, sondern auch um und neben
euch dahin gehen, wie viele daher täglich durch den zeitlichen Tod in den
Abgrund eines ewigen Todes fallen und verloren gehen! Darum lasst euer Licht
leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und den Vater im
Himmel mit euch preisen. Hebt für die, welche noch in Finsternis und Schatten
des Todes sitzen, fleißig eure Hände zu Gott und betet mit Ernst: „HERR, dein
Reich komme“; tut aber auch eure milden Hände auf, damit Christi Boten in die
unwirtlichen Wildnisse der irrenden Schafe hinaus gehen und dieselben
herzuholen können, und die Eine Herde unter dem Einen Hirten immer größer, der
Jubel der erlösten Schar immer lauter und der Name des HERRN in allen Landen
immer herrlicher werde, und der Tag bald erscheine, wenn Christus allem Jammer
ein Ende machen und mit den Seinen triumphierend einziehen will durch die
Perlentore des ewigen Jerusalems zur ewigen königlichen Hochzeit in dem Haus
seines himmlischen Vaters.
Doch, meine teuren Zuhörer, bei dem
einstmaligen Einzug Christi durch die Tore des irdischen Jerusalems finden wir
außer dem Chor der Jünger, welche bis dahin schon bei Christus gewesen waren,
noch einen zweiten Chor von Teilnehmern an dem herrlichen Einzug, die bis dahin
von Christus fern geblieben waren.
Was hören wir aber nun von diesen? Wir
hören von ihnen, als sich in Jerusalem die Kunde von dem Nahen des HERRN
verbreitet, verlassen sie eilends die Stadt und gehen Christus entgegen, und
sobald sie ihn erblicken, huldigen sie ihm sogleich als ihrem wahren König,
breiten ihm ihre Kleider auf den Weg, schmücken denselben, so gut sie vermögen,
mit Palmenzweigen und Maien und stimmen endlich in die Jubelchöre der Jünger
laut jauchzend ein.
Hier hört nun endlich ihr, wie ihr euch
gegen den wieder einziehenden Heiland verhalten sollt, die ihr nicht sagen
könnt, dass euer voriges Leben und besonders das verflossene Kirchenjahr eine
Zeit der Wanderung mit Christus gewesen ist, die ihr vielmehr gestehen müsst,
dass ihr in dem vorigen Jahr euch wenig oder nichts um Christus gekümmert, mehr
euch selbst als Christus gedient, mehr irdische Güter und Freuden und Ehren als
Christi Gnade gesucht habt. Wie? Solltet ihr in diesem traurigen Zustand auch
im neuen Kirchenjahr bleiben wollen? Ohne die Gnade und ohne das Wohlgefallen
Gottes, ohne Frieden des Gewissens und ohne Freude des Heiligen Geistes, ohne
Hoffnung des ewigen Lebens und ohne Gewissheit der Seligkeit? Solltet ihr auch
im neuen Kirchenjahr die Sorge für eure unsterbliche Seele hintansetzen und vor
allem für euren sterblichen Leib und die vergänglichen, nichtswürdigen Dinge
dieser Welt und für die veränderliche Gunst der Menschen sorgen, die Staub und
Asche sind und endlich mit all ihrer Herrlichkeit verfaulen? Nein, nein, das
sei ferne! Schon ist in dieser Morgenstunde an euer Ohr die Kunde gedrungen: „Siehe,
dein König kommt zu dir sanftmütig!“ O, lasst diese Kunde auch in euer Herz
dringen. Auf, auf, euer König, der schon so oft zu euch kam und den ihr immer
abwiest, siehe, heute kommt er in Wort und Sakrament wieder zu euch; verlasst
das sündenvolle und friedlose Jerusalem dieser Welt und eilt im Geist hinaus,
wo die Jünger Christi mit Christus einher ziehen. Zieht die Kleider eurer
eigenen Gerechtigkeit eilends aus und legt sie Christus zu Füßen; das heißt,
erkennt euch für nackte, arme, verlorene Sünder und werft euch Christus zu den
Füßen, bereitet ihm den Weg in euer Herz mit den Palmenzweigen brünstiger
Gebete und mit den Maien aufrichtiger Seufzer und Tränen, aber nehmt ihn auch
als euren Gnadenkönig im Glauben an und huldigt ihm und stimmt mit allen
gläubigen Jüngern auch ein in das brausende Hosianna, damit diese heute in
aller Welt ihn begrüßen und beglückwünschen. O selig, selig seid ihr, die ihr
dem noch jetzt in dem Zion der neutestamentlichen Kirche erschallenden
Adventsruf folgt! Euch tut sich das neue Kirchenjahr wie ein lachendes Tal auf,
durch das ihr wandern sollt, an dessen Ende ein von der Sonne der Gnade
vergoldeter Berg liegt, auf welchem die himmlische Stadt leuchtet mit für euch
Tag und Nacht offenen Toren.
Auf denn, ihr alle, meine geliebten
Zuhörer, lasst uns uns gegenseitig die Hände reichen und gemeinsam, Christus in
unserer Mitte, die schöne Wanderung antreten und wie mit Einer Stimme rufen: „Hosianna
dem Sohn Davids; gelobt sei, der da kommt, ein König, im Namen des HERRN!
Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Amen. Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die
Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Solange es eine Christenheit in der Welt
gibt, so hat es auch Menschen gegeben, welche geglaubt haben, dass das Ende der
Welt nahe sei. Zu allen Zeiten ist das der Welt verkündigt worden, aber wohl zu
keiner Zeit mehr als in der unsrigen. Besonders in den USA sind ganze Sekten
aufgestanden, die von nichts anderem predigen als davon, dass der HERR nun bald
in den Wolken des Himmels kommen werde, zu richten die Lebendigen und die
Toten. Diese Sekten haben sich jedoch nicht damit begnügt, von einer baldigen
Erscheinung Christi zum Gericht zu predigen, sie hat auch in schwärmerischer
Einbildung den Tag wiederholt angegeben, an welchem jenes große Ereignis
erfolgen werde. Diese Schwärmer sind freilich mit allen ihren Zeitbestimmungen
zuschanden geworden; die festgesetzten Termine sind vorübergegangen, und der
Lauf der Welt geht fort wie zuvor.
Was ist nun geschehen? Die Welt ist dadurch
nur desto frecher geworden und nun nur in einen desto tieferen Schlaf der
Sicherheit verfallen. Überall jubelt und jauchzt man nun, dass die Bibel und
das Christentum eine neue große Niederlage erlitten und die Vernunft einen
glänzenden Sieg davongetragen habe. Seht, rufen nun ungläubige Prediger und
Zeitungsschreiber ihren Zuhörern und Lesern zu, seht, es ist nichts mit den
Weissagungen der Schrift, der Apostel und Propheten; alle die Tage, an welchen
die Welt untergehen sollte, sind verstrichen, und die Welt steht noch. Lasst
darum nur euer Vertrauen auf eure Bibel fahren; ihre Prophezeiungen sind Träume
einer aufgeregten Phantasie. Seht, in welche Narrheiten jetzt viele geraten
sind und in welches Unglück sie sich dadurch gestürzt haben, dass sie so
zuversichtlich die Erfüllung der biblischen Vorausverkündigungen erwarteten!
Aber, meine Lieben, lasst euch hierdurch
nicht irre machen. Nicht Gott mit seinem heiligen Wort, sondern nur Menschen
mit ihren Träumen sin d zu Spott und Schanden geworden. Nirgends ist in der
Heiligen Schrift der Tag und die Stunde bestimmt, wann Christus wiederkommen
wird. Im Gegenteil sagt der HERR deutlich und bestimmt: „Von dem Tag aber und
der Stunde weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel, auch der Sohn nicht,
sondern allein der Vater.“ Und an einer anderen Stelle verwirft er daher alles
Forschen danach als etwas Unziemliches und Unchristliches und spricht: „Es
gebührt euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht
vorbehalten hat.“
Vergeblich bürdet also die ungläubige Welt
dem Evangelium das auf, was der Vorwitz törichter Menschen verschuldet
hat. Aber das ist der Welt Art; missbrauchen sündige Menschen das göttliche
Wort und entstehen daraus Sünden, Verkehrtheiten und Unglück, so rufen sie:
Seht da, das sind die Früchte eures so hochgepriesenen Christentums!
Aber mögen sie immer fortfahren, die
Liebhaber der Lüge, mit solchen in das Gift der Lüge getauchten Pfeilen wider
die christliche Kirche zu streiten. Alle Lüge wird endlich offenbar und
zuschanden werden, aber die christliche Wahrheit wird und muss siegen.
Mag das Ende dieser Welt immerhin nicht gekommen sein an den Tagen, an
welchen es nach menschlicher trüglicher Berechnung eintreten sollte; dass ein
solcher Tag doch einmal anbrechen werde, das steht fest. Dass jetzt so viele
falsche Weltuntergangspropheten aufgetreten sind, das ist geschehen durch
Wirkung des Satans; eben dadurch sucht er die arme Welt immer sicherer und
sicherer zu machen, in einen geistlichen Todesschlaf zu versenken und sie zu
überreden, dass das Wiederkommen Christi eine lächerliche Fabel sei. Bald wird
der Satan sein Ziel erreicht haben; denn wenn nach den vielen unerfüllten
falschen Prophezeiungen alle Welt mit den Jüngsten Tag nur ihre Kurzweil
treiben und sagen wird: Er kommt nicht; lasst uns essen, trinken und fröhlich
sein! Dann wird er kommen, schnell und plötzlich, und alles unbereitet finden;
in einem unvorhergesehenen Augenblick wird er auf einmal da sein; da wird
Christus erscheinen, die Posaune ertönen, die Toten werden erwachen, die ganze
Welt im Feuer stehen, alle Gottlosen heulen und die Frommen, verklärt, hoch in
den Lüften zur Rechten des Sohnes Gottes schweben. O, dass dieser Augenblick
uns alle recht gerüstet und vorbreitet finden möchte!
Wie wir uns nun hierauf vorzubereiten
haben, davon spreche ich jetzt unter Gottes Beistand zu euch. Lasst uns ihn
darum anrufen usw.
Lukas
21,25-36: Und es werden
Zeichen geschehen an der Sonne und Mond und Sternen; und auf Erden wird den
Leuten bange sein und werden zagen; und das Meer und die Wasserwogen werden
brausen. Und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der
Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich
bewegen. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit
großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so seht
auf und hebt eure Häupter auf, darum dass sich eure Erlösung naht. Und er sagte
ihnen ein Gleichnis: Seht an den Feigenbaum und alle Bäume! Wenn sie jetzt
ausschlagen, so sehet ihr’s an ihnen und merket, dass jetzt der Sommer nahe
ist. Also auch ihr, wenn ihr dies alles seht angehen, so wisst, dass das Reich
Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage euch, dies Geschlecht wird nicht vergehen,
bis dass es alles geschehe. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte
vergehen nicht. Aber hütet euch, dass eure Herzen nicht beschweret werden mit
Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell
über euch; denn wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden
wohnen. So seid nun wacker allezeit und betet, dass ihr würdig werden mögt, zu
entfliehen diesem allem, was geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen
Sohn.
Nach diesem verlesenen Evangelium lasst
mich jetzt zu euch sprechen:
Von der rechten
Vorbereitung des Christen auf das Hereinbrechen des Jüngsten Tages
Sie besteht nach unserem Text in dreierlei,
1.
Er soll auf die demselben
vorhergehenden Zeichen fleißig merken,
2.
Er soll sich hüten, sein Herz mit
dem Irdischen zu beschweren, und
3.
Er soll nicht müde werden, zu
wachen und zu beten.
1.
Gott hat es, meine Lieben, aus großer Liebe
so eingerichtet, dass es kein Mensch weiß, was ihm in Zukunft, ja nicht, was
ihm in der nächsten Stunde begegnen werde; denn wüsste der Mensch im Voraus,
dass es ihm wohlgehen werde, so würde er dadurch sicher und stolz werden;
wüsste er hingegen alles sein Unglück voraus, so würde er auch in glücklichen
Umständen verzagt sein. Obgleich daher dem Menschen offenbart hat, dass er
einmal sterben müsse, so hat er doch die Stunde des Todes vor seinen
Augen verborgen. Doch hat uns Gott gewisse Zeichen gegeben, durch welche wir
stets an die Gewissheit unseres erfolgenden Todes erinnert werden und an
welchen wir seine Nähe erkennen können. Der Mensch wird täglich älter und
älter, er sieht, wie schnell die Jugendzeit schwindet, die Kräfte abnehmen,
Wange und Haar verbleichen, Sehen und Hören ihre Schärfe verlieren, der Rücken
sich beugt, die Hände zu zittern beginnen, immer mehr Krankheiten den Körper
aussagen und wie so die Frucht seines Lebens zum Abfallen immer reifer und
reifer wird; dies alles sind fortwährende Zeichen und Vorboten des Todes.
Eine ähnliche Bewandtnis hat es auch mit
dem Jüngsten Tag. Er ist ebenso gewiss, wie unsere Todesstunde; Christus
spricht daher in unserem Text die Beteuerung aus: „Wahrlich, ich sage euch, dies
Geschlecht“, nämlich das jüdische Volk, „wird nicht vergehen, bis dass
es alles geschehe. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen
nicht.“ Wann aber der Tag dieses Weltuntergangs sei, das weiß keine
Kreatur das steht allein geschrieben in den verborgenen Büchern der geheimen
göttlichen Ratschlüsse. Gott hat jedoch in seinem offenbarten Wort Zeichen
angegeben, an denen der Christ die Nähe dieses großen Tages erkennen kann.
Davon spricht Christus in unserem Evangelium: „Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne und Mond und
Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein und werden zagen; und das
Meer und die Wasserwogen werden brausen. Und die Menschen werden verschmachten
vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der
Himmel Kräfte werden sich bewegen.“ Dass aber diese merkwürdigen außerordentlichen
Erscheinungen in der sichtbaren Natur und in der Menschenwelt lauter Zeichen
sind, auf welche der Christ merken muss, als auf Vorboten der Nähe des HERRN,
dies sagt er selbst, indem er hinzusetzt: „Und alsdann werden sie sehen des
Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber
dieses anfängt zu geschehen, so seht auf und hebt eure Häupter auf, darum dass
sich eure Erlösung naht.“
Es entsteht
daher nun die Frage: Was ist von jenen Zeichen zu halten? Sind sie schon
geschehen oder sind sie noch zu erwarten? Die christlichen Ausleger sind hier
verschiedener Meinung. Einige meinen nämlich, jene Zeichen würden erst kurz vor
dem Ende der Welt, vielleicht ein Jahr, vielleicht nur kurze Tage und Stunden
zuvor eintreten; da werden Sonne, Mond und Sterne ihren Schein verlieren, das
Meer brausen und seine Ufer verlassen, die Erde hin und wieder erbeben, die
Sterne ihre Bahnen ändern und unter den Menschen Angst und Verzweiflung
herrschen. Diese Auslegung stimmt jedoch, wie es scheint, nicht mit dem ganzen
Zusammenhang der Heiligen Schrift.
Christus gibt
nämlich selbst, um uns in dem Verständnis seiner Worte zu Hilfe zu kommen, das
Gleichnis in unserem Text: „Seht an den Feigenbaum und alle Bäume. Wenn sie
jetzt ausschlagen, so seht ihr’s an ihnen und merkt, dass jetzt der Somme nahe
ist; also auch ihr, wenn ihr dies alles seht angehen, so wisst, dass das Reich
Gottes nahe ist.“ Hieraus müssen wir schließen, dass die Zeichen des
Jüngsten Tages langsam erfolgen sollen, wie der Frühling sich allmählich
entwickelt und das Grünen und Ausschlagen der Bäume und das Aufbrechen ihrer
Knospen und Blüten nur nach und nach, keineswegs aber wie mit einem
Zauberschlag geschieht.
Wir dürfen
daher keineswegs meinen, dass die in unserem Evangelium beschriebenen Zeichen
noch nie dagewesen und daher alle erst noch zu erwarten seien. Wohllassen sich
noch immer in jedem Jahr neue sehen, aber die meisten liegen schon hinter uns
und sind bereits durch alle Jahrhunderte der christlichen Zeit hindurch schon
erfolgt. Schon oft sind Sonne, Mond und Sterne vor den Augen der Menschen
verfinstert worden, schon oft hat die Menschen Bangigkeit und Zagen ergriffen,
schon Unzählige sind vor Furcht und Erwartung der kommenden Dinge
verschmachtet, das Meer hat schon oft greulich getobt und die Erde gezittert,
als wollte sie bersten; dies alles hat daher den Menschen schon oft laut
zugerufen: Wacht auf, ihr Schläfer! Das Ende naht.
Wohl ist es
wahr, dass die Astronomen und Naturforscher die natürlichen Ursachen solcher
auffallenden Erscheinungen oft nachweisen können, sie sind und bleiben aber
darum nichtsdestoweniger von Gott uns gegebene Zeichen des nahen Umsturzes und
der Zerstörung des ganzen großen Weltgebäudes. Denn ist es nicht Gott, der die
Welt regiert, der den Mond vor die Sonne führt, dass diese uns verdeckt und ihr
Licht uns entzogen wird und dergleichen? Bedenkt, wenn wir gleich die
natürlichen Ursachen unserer Krankheiten sehen, sind und bleiben sie nicht dem
ungeachtet Vorboten unseres gewiss erfolgenden Todes? So hat nun auch die Welt
schon 2000 Jahre gleichsam gesiecht und gekränkelt, die Sonne, das Auge der
Welt, hat schon oft, so zu sagen, das Licht und die Sehkraft verloren und in
dem ganzen großen Körper der Welt sind schon krampfhafte Zuckungen entstanden;
dieses alles zeigt uns an, dass die Todesstunde der Welt vor der Tür sei.
Mögen es daher
die Ungläubigen immer als einen Aberglauben verlachen, dass die Christen in den
auffallenden natürlichen Erscheinungen Gottes Sprache zu vernehmen glauben, so
lasst ihr euch dadurch nicht stören, die ihr glaubt an Gottes heiliges Wort.
Bereitet euch vielmehr auf die große bevorstehende Veränderung der ganzen
Schöpfung auch dadurch täglich vor, dass ihr ernsthaft merkt auf die Zeichen
der Zeit. Lernt Gott immer besser verstehen, so oft er durch allerhand
schreckliche, ungewöhnliche Vorfälle in der Welt zu uns deutlich redet. Glaubt
es, es ist bereits genug geschehen, es sind bereits genug Vorboten da, noch
heute könnte daher Christus erscheinen, noch der heutige Tag könnte der Jüngste
Tag, der Tag der Auferstehung, der Tag des Weltgerichts sein. Schon zur Zeit
der Apostel durften die Christen nicht sicher sein; schon da waren viele
Zeichen geschehen; aber da vor Gott tausend Jahre sind wie ein Tag und ein Tag
wie tausend Jahre, so hat sich die Zeit noch 2000 Jahre durch Gottes Geduld verzogen.
Jetzt aber, da nun auch der geweissagte große allgemeine Abfall geschehen und
auch der Antichrist offenbart ist, jetzt dürfen wir keinen Augenblick mehr
sicher sein, noch ehe wir diese Kirche verlassen, ja, schon im nächsten
Augenblick kann Christus wie ein Blitz aus heiterem Himmel hervorbrechen, schon
im nächsten Augenblick können Himmel und Erde in Flammen und Gottes
Richterstuhl vor unseren Augen stehen.
2.
Hört daher nun von dem zweiten Stück der
Vorbereitung hierzu, welche darin besteht, dass sich der Christ auch ernsthaft
hüten soll, sein Herz mit dem Irdischen zu beschweren. Denn Christus fährt in
unserem Evangelium so fort: „Aber
hütet euch, dass eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen und
mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch.“
Darin besteht
also zwar nicht etwa die rechte Vorbereitung auf den Jüngsten Tag, dass man
seinen irdischen Beruf verlässt, nicht mehr arbeitet, sondern allein betet,
oder dass man alle seine irdische Habe verkauft und sie unter die Armen
austeilt. Das sei ferne! Eben darum hat uns Gott Zeit und Stunde nicht
offenbart, dass wir, so lange nicht Gott selbst den Schauplatz dieser Welt
zerstört, in unserem Beruf bleiben, unsere Pflichten gegen die Unsrigen und
überhaupt gegen unseren Nächsten fort und fort erfüllen und uns von Christus,
wenn er wieder kommen wird, auf dem Posten finden lassen sollen, wohin er uns
in dieser Welt gestellt hat.
Nicht das Essen
und Trinken und nicht das treue Besorgen dessen, was zu unseres Leibes Nahrung
und Notdurft gehört, ist es, was Christus verbietet, sondern das Beschweren des
Herzens mit diesen Dingen.
Du, der du in
Essen und Trinken deinen Himmel auf Erden suchst; der du lieber deiner Seele
als deinem Leib eine Pflege, Nahrung und Erquickung abschlägst; der du lieber
das Brot des Lebens, das Wort Gottes, entbehrst, als an dem irdischen
Brot Mangel leidest; der du darauf ausgehst, stets ein ruhiges, behagliches,
vergnügliches Leben zu führen; der du daher Gott gerne seinen Himmel ließest,
wenn er dir nur immer auf Erden Gesundheit, Geld und gute Tage bescherte; der
du dich so mit niedlichen Speisen voll füllst, dass du untüchtig wirst, deine
Seele zu Gott zu erheben, oder dich so mit starken Getränken berauschst, dass
dein Blut erhitzt wird und deine Zunge lallt: Du bist es, der vor Gott sein
Herz mit fressen und Saufen beschwert, wenn du es auch vielleicht nicht denkst.
Und du, der du dir vorgenommen hast, reich zu werden, ein Kapitel nach dem
anderen zurückzulegen, oder dien Geschäft immer mehr zu erweitern, oder dir ein
Haus zu bauen; und der du nun mit diesen Gedanken aufstehst und dich niederlegst;
der du dich mit diesen deinen irdischen Plänen beschäftigst, wo du gehst und
stehst; der du mit Begierde in die Zukunft blickst und mit Freude schon im
Geist siehst, wie alle deine immer größeren Wünsche erfüllt sein werden: Du
bist es, der sein Herz mit Sorgen der Nahrung beschwert. Ach, wie viele mag es
unter uns geben, die in dieser Beschreibung ihren Zustand, ihr Leben, Sinnen
und Wesen finden, und ganz gute Christen zu sein vermeinen!
Heiß0t das
aber, sich auf den Hereinbruch des Jüngsten Tages vorbereiten? O, wahrlich
nicht! Wer so handelt, der glaubt gewiss nicht ernsthaft, dass jener große Tag
ihm jeden Augenblick bevorstehe; ein solcher denkt gewiss in seinem Herzen:
Mein Herr kommt noch lange nicht.
Ja, ihr alle,
die ihr jetzt einen großen Teil unserer Gemeinde ausmacht, deren Herz fast
immer mit Gedanken und Sorgen für die Zukunft erfüllt ist, die ihr bei eurem
kleinen Geschäft in eurem Gemüt ebenso wohl von euren kleinen Spekulationen
eingenommen seid, wie die Besitzer der ungeheuersten Summen, die ihr von
Verlangen nach immer größerem Gewinn brennt und euch mehr über die
Lebhaftigkeit des Geschäfts vor dem Christfest als über das himmlische
Geschenk freut, um welches willen dieses Fest gefeiert wird; o ihr irdisch
gesinnten Seelen, ihr beschwerten Herzen, wie schlecht seid ihr bereit auf das
nahe Ende dieser Welt! Ihr sprecht, ihr glaubt, dass Gott bald Himmel und Erde
mit Feuer verzehren werde, und doch klammert ihr euch immer fester an das Irdische
an! Ihr sprecht, ihr glaubt, dass Christus noch heute kommen könne, Gericht zu
halten, und doch sorgt ihr nicht nur für den anderen Morgen, sondern sogar auf
lange Jahre hinaus! O, wie täuscht ihr euch doch selbst! Wenn es heute
noch hieße: „Der Bräutigam kommt, auf, ihm entgegen“, so würde euch das eine
Schreckenspost sein; zwischen euch und den Weltkindern würde kein Unterschied
sein; ihr würdet eure Häupter nicht freudig emporheben, darum, dass sich eure
Erlösung naht; der Weltuntergang würde euch der Untergang aller eurer Hoffnung
und alles eures Glücks sein, denn ihr setzt eure Hoffnung nicht auf Christus,
sondern auf den ungerechten Mammon. Wollt ihr denn in solchem elenden Zustand
verharren? Wollt ihr fort und fort euer Herz voll sein lassen vom Irdischen,
dass das Hmmlische darin keinen Platz findet? Wollt ihr denn nicht anfangen,
die Welt zu verlassen, ehe sie euch verlässt? O, kehrt um, erkennt euren
Irrweg, er führt zur Verdammnis, wenn ihr auch sonst ehrbar lebt; reißt euch
los und sucht die himmlischen Güter der Gnade in Christus; dann mag der letzte
Tag der Welt kommen heute oder morgen, so werdet ihr nicht erschrecken, sondern
fröhlich sein und eingehen zu ewiger Freude und Seligkeit.
3.
Damit dies aber geschehe, ruft uns allen Christus endlich noch zu: „Wie
ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen. So seid nun
wacker allezeit und betet, dass ihr würdig werden mögt, zu entfliehen diesem
allem, was geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.“ Wachen und
Beten ist also das dritte Stück der Vorbereitung auf das Hereinbrechen des
Jüngsten Tages.
Christus sagt nämlich, der Jüngste Tag
werde kommen wie ein Fallstrick über alle, die auf Erden wohnen. Ein Fallstrick
wird aber dahin gelegt, wo man es am wenigsten vermutet; ungehindert meint das
Wild, seinen gewöhnlichen weg wie immer fortsetzen zu können, und siehe!
Unversehens tritt es in den Fallstrick und ist gefangen. Wo du daher gehst und
stehst, da sollst du wachen und beten, o Christ; allenthalten sollst du daran
denken: Hier liegt vielleicht der Fallstrick, vor dem dich Christus gewarnt
hat; hier ist vielleicht der Ort, wo Christus dir erscheinen und wo er dich
abholen will in sein ewiges Reich.
Christus sagt ferner, er werde erscheinen
wir ein Blitz; ein Blitz naht aber nicht langsam, sondern schneller, als unser
Auge folgen kann, zuckt er von einem Ende des Himmels bis zum anderen. So
schnell wird also die große Veränderung geschehen sein. Da wird keine Zeit
sein, erst noch um Gnade zu seufzen, eine Zeit, sich zu bekehren, keine Zeit,
sich vorzubereiten. Darum wacht und betet jetzt, dass ihr dann schon
gerüstet seid.
Christus spricht aber auch endlich, er
werde kommen wir ein Dieb in der Nacht. Ein Dieb aber meldet nicht vorher an,
dass er um diese oder jene Stunde kommen werde. Christus wird also kommen, da
es niemand meint; der Tag seiner Zukunft wird sich von den anderen Tagen nicht
unterscheiden; die Sonne wird ebenso heiter aufgehen wie sonst; der Mensch wird
an jenem großen Morgen mit denselben Hoffnungen sein Lager verlassen wie sonst;
man wird an seine Arbeit gehen, man wird essen und trinken, man wird lachen und
scherzen, man wird fluchen, toben und lästern, man wird sündigen wie sonst; es
wird alles seinen gewöhnlichen Gang haben, wie sonst. Niemand wird denken:
Heute kommt der HERR; man wird vielmehr denken: Heute ist’s, wie es gestern
war, und morgen und übermorgen und fort und fort wird es sein, wie es heute
ist; und siehe, während alles wie ein Rad sich unaufhaltsam bisher drehte, da
wird urplötzlich alles still stehen, in einem Augenblick wird Gottes Sohn vor
aller Menschen Augen sich darstellen, aller Orten und Enden werden die heiligen
Engel erscheinen, Gottes schmetternde Posaune in aller Ohren schallen und Berg
und Tal und Meer sich öffnen und alle Toten werden auferstehen – wie? ist es
daher nicht nötig, dass wir wachen und beten, damit wir jeden Augenblick würdig
seien, zu entfliehen diesem allen, und bereit, zu stehen vor des Menschen Sohn?
O, meine teuren Zuhörer, wenn wir die Lehre
von dem Jüngsten Tag nur recht fest und ohne Zweifel glaubten, wie viel
wachsamer, wie viel eifriger im Gebet, wie viel ernsthafter in unserem ganzen
christlichen Wandel würden wir sein! So bittet denn Gott selbst, dass er euch
einen tiefen unauslöschlichen Eindruck davon gebe; setzt darüber eure
Betrachtungen nach Anleitung des Wortes Gottes auch zu Hause fort; befehlt
jeden Augenblick eure Seele im Glauben eurem barmherzigen Heiland, so werdet
ihr auch, ihr mögt dann wachen oder schlafen, arbeiten oder ruhen, lachen oder
weinen, doch durch Christus würdig sein, vor ihm zu stehen. Er tue es an uns
allen um seiner Liebe willen. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben unserem teuren Heiland,
geliebte Brüder und Schwestern!
„Bist du, der da kommen soll, oder
sollen wir eines anderen warten?“ So ließ nach dem Bericht unseres heutigen
Sonntagsevangeliums Johannes der Täufer Christus fragen; Christus sollte also
sagen, ob er nicht ein bloßer weiser Mann oder ein bloßer Prophet oder sonst
ein bloßer Gesandter Gottes sei, sondern ob er wirklich der Messias sei, der
nach den Weissagungen aller Propheten des Alten Bundes kommen sollte, und auf
welchen das ganze gläubige Israel nun schon so lange sehnlichst gewartet habe.
Die Frage geht, meine Lieben, auch uns an;
sie war nicht nur einst für die Juden zur Zeit Christi von höchster
Wichtigkeit, sondern sie ist dies auch für uns noch heute. Es ist nicht genug,
dass wir nur glauben, Jesus sei ein großer Wohltäter der Menschheit, der
Stifter einer neuen vortrefflichen Religion oder auch ein Heiland der Welt und
der wahrhaftige Sohn Gottes gewesen; soll unser Glaube festgegründet sein, so
müssen wir auch wissen und ohne allen Zweifel glauben, dass Christus eben der
und kein anderer als der schon den Vätern des Alten Testamentes Verheißene war,
kurz, der von allen rechtgläubigen Juden erwartete Messias oder Erlöser der
Welt.
Das Christentum ist auf das Judentum
gegründet und daraus als aus seinem Stamm wie ein ästereicher, fruchtbringender
Baum hervorgewachsen; das Neue Testament beruht auf dem Alten; dieses enthält
die Verheißung, jenes die Erfüllung. Wäre daher das alte Judentum und die
Bücher des Alten Testaments, worin es enthalten ist, falsch, so wären auch das
Christentum und die Bücher des Neuen Testaments, worin dieses niedergelegt ist,
falsch. Fällt das eine, so fällt auch das andere. Daher spricht Christus bei
Johannes im fünften Kapitel: „Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir;
denn er hat von mir geschrieben. So ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie
werdet ihr meinen Worten glauben?“
Glauben wir daher nicht, dass Christus eben
der Messias sei, der da kommen sollte, eben der Same Abrahams, in welchem
gesegnet werden sollen alle Geschlechter der Erde, der von den Juden einst und
noch heute erwartete König Israels und Erretter der Menschen, so glauben wir
entweder an gar keinen Christus oder an einen falschen. In der Zeit des Alten
Testaments reichte es zur Seligkeit hin, überhaupt zu glauben, dass Gott den
Menschen durch einen Messias oder Erlöser helfen wolle, in der Zeit des Neuen Testaments
aber, nachdem Jesus in die Welt gekommen ist, ist es zu unserem Heil unbedingt
nötig, dass wir glauben, dass dieser Jesus der Christus sei, der
da kommen sollte. Diese Wahrheit, Jesus ist der Messias, ist die Scheidewand
zwischen den Christen und den jetzigen Juden; sie ist auch der Grund unserer
Hoffnung und Seligkeit. Daher spricht Petrus von dem Namen Jesu: „Und ist in
keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darin wir
sollen selig werden.“ Und daher spricht auch Johannes in seinem ersten Brief:
„Wer da glaubt, dass Jesus sei der Christ, der ist von Gott geboren.“
Ich zweifele nun gar nicht, dass ihr alle,
die ihr diese Kirche zu besuchen pflegt, die Lehre für wahr haltet, dass Jesus
eben der sei, der da kommen sollte; aber Petrus verlangt von Christen noch mehr
als eine solche Überzeugung; er spricht: „Seid allezeit bereit zur
Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in euch ist.“ Um
euch nun zu solcher Bereitschaft und Fertigkeit behilflich zu sein, lasst mich
euch heute über jene Lehre einen zwar kurzen, aber möglichst gründlichen und
vollständigen Unterricht erteilen.
Matthäus
11,2-20: Da aber Johannes im
Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zwei und ließ ihm
sagen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? Jesus
antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr seht
und hört: Die Blinden sehen, und die Lahmen gehen; die Aussätzigen werden rein,
und die Tauben hören; die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium
gepredigt; und selig ist, der sich nicht an mir ärgert. Da die hingingen, fing
Jesus an zu reden zu dem Volk von Johannes: Was seid ihr hinausgegangen in die
Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her webt? Oder
was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen
Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige
Häusern. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten
sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist denn ein Prophet. Denn dieser
ist’s, von dem geschrieben stehet: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her,
der deinen Weg vor dir bereiten soll.
Johannes der Täufer war ohne Zweifel fest
überzeugt, dass Jesus der Messias sei. Er konnte hierin nicht wankend
werden, denn Gott hatte zu ihm gesagt: „Über welchen du sehen wirst den Geist
herabfahren und auf ihm bleiben, derselbe ist es, der mit dem Heiligen Geist
tauft.“ Und Johannes sah dies, da er Jesus taufte, und er hörte zugleich dabei
die Stimme Gottes vom Himmel: „Das ist mein lieber Sohn, an welchem ich
Wohlgefallen habe.“ Daher predigte er auch: „Bereitet dem HERRN den Weg. Er ist
mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Siehe, das ist Gottes
Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Johannes ließ daher keineswegs um
seinetwillen, sondern um seiner noch schwachen Jünger willen Jesus fragen: „Bist
du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?“ Diese Frage
kommt jetzt auch uns zugute; denn Christus hat sie in unserem Evangelium in
einer Weise beantwortet, dass wir daran unseren Glauben mächtig stärken können.
Ich zeige euch hiernach jetzt:
Dass Jesus
wahrhaftig der Messias ist, der da kommen sollte
Wir sehen dies nämlich unwidersprechlich
nach unserem Text
1.
Aus den Werken, die er
vollbracht hat,
2.
Aus der Lehre, die von ihm
gepredigt worden ist,
3.
Aus den Schicksalen, mich
welchen seine Erscheinung auf erden verbunden war, und endlich
4.
Aus der Familie, dem Ort
und der Zeit, in welcher er geboren wurde.
1.
Um darüber gewiss zu werden, ob Jesus
wirklich der Messias sei, der da kommen sollte, dazu gibt es keinen anderen Weg
als diesen, dass wir darüber das Alte Testament um Rat fragen. Dahin weist
daher auch Christus die Juden und spricht: „Sucht in der Schrift, denn ihr
meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist’s, die von mir zeugt.“
Darauf nämlich kommt es bei dieser Sache allein an, ob das in Jesus wirklich
eingetroffen ist, was die Propheten von dem zukünftigen Messias vorausgesagt
haben. Ist Jesus wirklich so beschaffen, wie die Propheten den Messias
schildern, sehen wir die von dem Messias ausgesprochenen Weissagungen,
Verheißungen und Hoffnungen in Jesus wirklich erfüllt, dann ist er auch
unwidersprechlich die Person, die da kommen sollte, und wir dürfen nun auf
keinen anderen warten.
Das Erste nun, wodurch sich nach den
Propheten der Messias auszeichnen und zu erkennen geben sollte, sind seine
außerordentlichen Wunderwerke. Dass diese ein unerlässliches Kennzeichen
des Messias seien, das war zu Christi Zeit eine unter allen Juden unbestrittene
Sache. Daher kam es, dass nicht nur das Volk, sondern auch die Pharisäer und
Schriftgelehrten Christus so oft aufforderten, es durch Zeichen und Wunder zu
beweisen, dass er der Messias wirklich sei.
Denn so schreibt unter anderem der Prophet Jesaja im 35. Kapitel seiner
Weissagungen: „Sagt den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht!
Seht euer Gott kommt zur Rache (nämlich für die Unbußfertigen); Gott,
der da vergilt, kommt und wir euch helfen (nämlich den Bußfertigen). Alsdann
werden der Blinden Augen aufgetan werden und der Tauben Ohren werden geöffnet
werden. Alsdann werden die Lahmen löcken wie ein Hirsch, und der Stummen Zunge
wird sagen.“
Dieses alles ist buchstäblich in Jesus
erfüllt worden. Auf jene Frage des Johannes des Täufers antwortete er daher in
unserem Evangelium: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr seht und
hört; die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und
die Tauben hören und die Toten stehen auf.“ Damit, will Christus sagen,
beweise ich es, wer ich bin; seht, ich schaffe neue Augen; Menschen, vor deren
Seele von Geburt an die Schöpfung in Nacht gehüllt war, geht durch meine Hand
endlich der Tag auf; getrennte Glieder fügen sich wieder zusammen; erstorbene
Hände regen sich auf meinen Wink mit neuem Leben; gelähmte Füße springen
plötzlich auf; verschlossene Ohren öffnen sich, laut ertönen vorher gebundene
Zungen und alle Krankheiten weichen, ja, auf meinen Befehl fliehen die bösen
Ge9ster, die Teufel verlassen die lange bewohnten Seelen der Besessenen, und
die Toten steigen lebend wieder aus ihren Gräbern.
Weit entfernt daher, dass Christus auch nur
das Geringste übriggelassen haben sollte, was nach den Weissagungen der Schrift
durch den Messias geschehen sollte, so hat er im Gegenteil alle Weissagungen
und darum auch alle Erwartungen noch weit übertroffen. Er hat allein mehr
Wunder getan, als alle Propheten zusammengenommen, und Werke verrichtet, die
bisher unerhört waren; so dass einstmals ein Israelit voll Verwunderung
ausrief: „Von der Welt an ist es nicht gehört, dass jemand einem geborenen
Blinden die Augen aufgetan habe.“
Hierzu kommt noch dieses Besondere, dass
Christus nicht nur selbst Wunder tat, sondern auch die Macht, in seinem Namen
Wunder zu tun, anderen erteilte, die sie wieder anderen mitzuteilen die Gewalt
empfingen. In dem unserem Text vorhergehenden Kapitel heißt es: „Und er rief
seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unsauberen Geister,
dass sie dieselben austrieben, und heilten allerlei Seuche und allerlei
Krankheit.“ Diese Gabe, die Wunderkraft mitzuteilen, hatte kein Prophet. Als
Elisa seinem Diener Gehasi gebot, seinen Stab auf des toten Knaben Antlitz zu
legen, da erwachte er noch nicht; der Prophet musste erst selbst kommen. Noch
weniger aber konnten die Apostel und Propheten in ihrem eigenen Namen
Wunder tun oder die Gabe, dieselben in ihrem Namen zu tun, anderen mitteilen.
Vielmehr rief Petrus, als alles Volk mit Verwunderung auf ihn sah, nachdem er
einen Lahmen gesund gemacht hatte, in heiligem Eifer dem Volk zu: „Was wundert
ihr euch darüber? Oder was seht ihr auf uns, als hätten wir diesen
wandeln gemacht durch unsere eigene Kraft oder Verdienst? Der
Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat sein Kind Jesus
verklärt; und durch den Glauben an seinen Namen hat er an diesem, den ihr seht
und kennt, bestätigt seinen Namen.“ Seht da, in seinem eigenen Namen konnte
allein Jesus Wunder tun, und er offenbarte damit, dass er dieselben verrichte
in seiner eigenen Kraft.
O, wie fröhlich, getrost und zuversichtlich
können wir daher das Geschwätz der Ungläubigen verachten, die Christus zu einem
bloßen weisen Menschen machen wollen, dessen Weisheit daher wohl für seine Zeit
hervorragend gewesen sei, die aber von jetzigen noch aufgeklärteren Männern
verbessert werden müsse! Tretet auf, ihr Weisen dieser Welt, und versiegelt
eure Weisheit auch, wie Christus, mit solchen göttlichen Wunderwerken! – Aber
ihr Ohnmächtigen könnt nur hoffärtig reden, aber mit nichts euch als
Prediger der Wahrheit beglaubigen. Darum wird Christi besiegeltes Wort ewig
bleiben, und eure Worte werden verwehen, wie der Staub eurer Leiber.
2.
Doch, hätte sich Christus nur durch Wunder
ausgezeichnet, so würden wir daraus noch nicht vollkommen gewiss werden können,
dass er der Messias wirklich sei, der da kommen sollte. Wir gehen daher
weiter, denn wir sehen dies auch zweitens aus der Lehre, die von ihm
gepredigt worden ist. Es ist nämlich auch die besondere Beschaffenheit seiner
Lehre schon von den Propheten vorausverkündigt worden. Nach deutlichen
Aussprüchen des Alten Testaments sollte der Messias eine ganz andere Lehre
führen als Mose, der Mittler des Alten Bundes. Mose sprach nach seiner Lehre
nur denen die Seligkeit zu, die das Gesetz vollkommen erfüllen würden; weil
aber dies kein Mensch tut, so verkündigte sein Amt allen Tod und Verdammnis.
Daher heißt es im 5. Buch Mose, am Ende des 27. Kapitels: „Verflucht sei, wer
nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt, dass er danach tue.“ Von Christus
wird hingegen durchgängig geweissagt, dass zu seiner Zeit allen Verschmachteten
Erquickung, allen Betrübten Trost, allen Sündern Gnade angeboten werden würde.
So spricht unter anderem der Evangelist des Alten Testaments, Jesaja: „Er
wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören
auf den Gassen“, das heißt, er wird nicht poltern mit Gesetzesdonner. „Das
zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht
auslöschen. Er wird nicht mürrisch noch greulich sein.“ An einer anderen Stelle
führt derselbe Prophet den Messias so redend ein: „Der Geist des HERRN HERRN
ist über mir, darum hat mich der HERR gesalbt“, das heißt, zum Messias oder zum
Gesalbten gemacht. „Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die
zerbrochenen Herzen zu verbinden; zu Elenden zu predigen, die zerbrochenen
Herzen zu verbinden; zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen
eine Öffnung; zu predigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der Rache
unseres Gottes; zu trösten alle Traurigen.“ Daher spricht auch Zephanja:
„Alsdann“, nämlich zur Zeit des Messias, „will ich den Vätern anders
predigen lassen mit freundlichen Lippen, dass sie alle sollen des HERRN Namen
anrufen und ihm dienen einträchtig.“
Seht hier das Bild, welches die Propheten
von der Lehre des Messias entworfen haben. Vergleichen wir nun hiermit die
Lehre, die von Jesus gepredigt worden ist, finden wir da nicht in ihm die wahre
Erfüllung? Er beruft sich selbst darauf in unserem Text, indem er zu seinen
Wunderwerken hinzusetzt: „Und den Armen wird das Evangelium gepredigt.“
Was ist aber das Evangelium? Es ist kein neues Gesetz, nicht eine neue, reine
und strenge Moral, nicht eine Lehre von den Werken, die wir tun sollen, nicht
eine predigt von der Verdammnis für Sünder, sondern es ist eine Gnadenpredigt,
es ist die fröhliche Botschaft, dass Jesus die Sünder annimmt, dass, wer an ihn
glaubt, selig werden soll, es ist ein Herzulocken der Elenden und Irrenden und
ein Trösten und Aufrichten der Gefallenen und Erschrockenen.
Nun hat zwar Christus auch das Gesetz
ausgelegt, aber das war nicht seine eigentliche Predigt; dies tat er als ein
Prophet, um die Sicheren zu erwecken, den Selbstverblendeten und
Selbstgerechten ihre Sünden zu zeigen, die harten Herzen zu zerschlagen und zu
erweichen und so die Menschenfähig zu machen für den Trost, den er ihnen
bringen wollte. Seine eigentliche Amtspredigt war das tröstliche Evangelium.
Sein Zuruft an die Menschen war: „Kommt her alle, die ihr mühselig und beladen
seid; ich will euch erquicken, und bei mir sollt ihr Ruhe finden für eure
Seelen“; und den Inhalt seiner ganzen Lehre gibt er mit den Worten an: „Also
hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle,
die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
Dieselbe Lehre gebot daher auch Christus
seinen Jüngern zu predigen, da er die Welt verließ. Er spricht zu ihnen: „Geht
hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. Wer da glaubt und
getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird
verdammt werden.“ Und was erklären daher auch die Apostel, als Diener und
Gesandte Jesu, für den eigentlichen Inhalt der ihnen aufgetragenen Lehre? Sie
sprechen: „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt
durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“
Es ist sonach unwidersprechlich: Jesus hat
auch durch seine Lehre sich als der Messias bestätigt, der da kommen sollte.
Dass er aber dies sei, das sehen wir fernen drittens aus den Schicksalen, mit
welchen seine Erscheinung auf Erden verbunden war.
3.
Darauf weist Christus selbst in unserem
Text mit den Worten hin: „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert.“ Es
stehen nämlich in den Propheten viele Beschreibungen des Messias als eine
großen Königs mit großer Herrlichkeit; darauf sahen daher die Juden am meisten
und das tun sie noch jetzt, und weil sie diese Herrlichkeit des messianischen
Reiches von einer leiblichen verstehen, so meinten sie einst und meinen sie
noch jetzt, Jesus könne der Messias nicht sein. Aber, o entsetzliche,
bedauerungswürdige Verblendung! Dass jene prachtvollen Schilderungen nicht von
einer irdischen Herrlichkeit zu verstehen sein können, sehen wir daraus, dass
die Schicksale des Messias auf dieser Welt zugleich als höchst kläglich
beschrieben werden. Darum ruft Christus aus: „Selig ist, der sich nicht an
mir ärgert“; denn schon Jesaja hat von ihm geschrieben: „Viele werden sich
über ihn ärgern, weil seine Gestalt hässlicher ist als anderer Leute, und sein
Ansehen als der Menschenkinder.“
Welche Schicksale sind es aber, die von dem
Messias vorausverkündigt werden? David sagt von ihm im 118. Psalm, er sei der
Stein, den die Bauleute verworfen und der zum Eckstein geworden sei; das ist
von den Juden geschehen. Der 41. Psalm sagt, der Freund, dem er sich
anvertraute, der sein Brot aß, werde ihn mit Füßen treten; das ist von dem
Verräter Judas geschehen. Der 22. und 69. Psalm sagt, er werde
verspottet und mit Galle und Essig getränkt werden in seinem großen Durst, man
werde ihm Hände und Füße durchgraben, über seine Kleider das Loos werfen, er
werde einem Wurm gleich sein und keinem Menschen, und sich von Gott verlassen
klagen; Jesaja sagt, er werde seinen Rücken darhalten denen, die ihn
schlagen, und seine Wangen denen, die ihn raufen, sein Angesicht werde er nicht
verbergen vor Schmach und Speichel. Er werde keine Gestalt noch Schöne haben,
er werde der Allerverachtetste und Unwerteste sein, dass man sein Angesicht vor
ihm verbergen und ihn nichts achten werde; er werde den Übeltätern gleich
gerechnet, gemartert, verwundet und zerschlagen werden; aber wie ein
Schlachtschaf verstummen und endlich wie ein Gottloser begraben werden. Sacharja
sagt ferner, man werde ihn für dreißig Silberlinge verkaufen und seine Seite
zerstechen; der HERR Zebaoth werde sagen: „Schwert, mache dich auf über meinen
Hirten und über den Mann, der mir der nächste ist; schlage den Hirten, so wird
die Herde sich zerstreuen.“ Endlich sagt auch Daniel, „Christus werde
ausgerottet werden und nichts mehr sein.“
Doch finden wir auch Weissagungen von dem Sieg
des Messias und dem endlichen herrlichen Ausgang seiner so tiefen Erniedrigung.
Jesaja sagt, wenn er sein Leben werde zum Schuldopfer gegeben haben, so
werde er Samen haben und in die Länge leben; dies bestätigt der 16. Psalm,
nach welchem des Messias Fleisch sicher liegen, seine Seele nicht in der Hölle
gelassen und nicht verwesen solle. Hierzu kommen noch andere Weissagungen Davids
im 68. und 110. Psalm, dass der Messias in die Höhe fahren und das Gefängnis
gefangen führen und sich setzen werde zur Rechten Gottes. Das Ganze aber
beschließen Joel und alle Propheten mit der Verkündigung, dass der
Messias dann vom Himmel den Heiligen Geist ausgießen und alle Völker in sein
Reich berufen und diese ihm anhangen würden.
Nun sagt, ist nicht diese alles in der
Person Jesu von Nazareth wörtlich in Erfüllung gegangen, so dass es, man möchte
sagen, auch ein Blinder sehen muss? Reden nicht alle seine Schicksale laut:
Dieser Jesus ist wahrhaftig der Messias, der da kommen sollte? Finden wir nicht
in Jesus das Bild des Messias wieder, auch da, wo es die Propheten bis auf die
kleinsten und geringsten Züge seiner Lebensumstände entworfen haben? An welcher
Person ist das noch einmal geschehen? – O, dass Gott dem verblendeten Israel
die Augen auftun und sie erkennen lassen möchte, dass dieser Sohn Davids das
Heil sei, nach welchem sie schmachten! Dass sie ausrufen möchten: „Gelobt sei,
der da kommt im Namen des HERRN!“
4.
So kommen wir denn nun auf das letzte
Kennzeichen, aus welchem wir ersehen können, dass Jesus der sei, der da kommen
sollte; wir erkennen dies nämlich viertens auch aus der Familie, dem Ort
und der Zeit, in welcher er geboren wurde. Ich kann mich hierbei umso
kürzer fassen, da ihr hiervon bereits in der letzten Adventswochenpredigt
gehört habt.
Deutlich ist in den Schriften des Alten
Testaments die Familie angegeben, aus welcher der Messias abstammen solle. Mit
jedem Jahrhundert offenbarte dies Gott immer deutlicher. Zuerst wurde der
Messias als ein Sohn Adams verheißen, hierauf unter seinen Söhnen der Familie
Sets, sodann unter den Söhnen Noahs der Familie Sems, ferner unter Sems
Nachkommen dem Abraham, Isaak und Jakob, und unter den zwölf Söhnen Jakobs dem
Juda und seinem Stamm; und als sich auch dieser Stamm immer weiter und weiter
ausbreitete, so gab endlich Gott dem David, dem Sohn Isais aus Bethlehem, die
Verheißung, dass sein Geschlecht das auserwählte sein und ein Zweig aus der
Wurzel Isais Frucht bringen werde für alle Völker und Zeiten. Endlich tat
Jesaja auch noch dieses hinzu, dass eine Jungfrau aus der königlichen
davidischen Verwandtschaft die auserkorene Mutter des Heilandes sein sollte.
Dass nun dies alles in Jesus erfüllt ist, bedarf keines Beweises. Die
Geschlechtsregister, die uns im Alten wie im Neuen Testament aufbewahrt sind,
beweisen dies unwidersprechlich.
Wo aber der Messias das Licht der
Welt erblicken sollte, dies sagt Micha; dieser spricht: „Und du Bethlehem
Ephrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir
kommen, der in Israel Herr sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her
gewesen ist.“ Nicht umsonst steht hier das Wort Ephrata noch bei Bethlehem,
denn es gab noch ein anderes Bethlehem im Stamm Sebulon. Wir können also gewiss
sein, das Kindlein zu Bethlehem und kein anderes ist es, das Gott uns
geschenkt, an das wir glauben und durch das wir selig werden sollen.
Das Letzte endlich, was uns von dem Messias
offenbart ist, ist die Zeit, in welcher er erscheinen sollte. Diese
geben uns nämlich Jakob, Haggai und Daniel so deutlich an, dass auch der
mindeste Zweifel verschwinden muss. Jakob sagt nämlich erstlich: „Es wird das
Zepter von Juda nicht entwendet werden, noch ein Meister von seinen Füßen, bis
dass der Held komme; und demselben werden die Völker anhangen.“ Wenn also Juda
das Zepter oder die Herrschaft werde verloren haben, dann werde der Verheißene
kommen. Haggai sagt ferner, dass aller Heiden Trost kommen müsse, wenn der
zweite Tempel noch stehen werde, und endlich sagt Daniel, von dem Befehl an,
dass Jerusalem wieder gebaut werden solle, bis zu Christus seien es noch
siebzig Wochen, nämlich prophetische Jahrwochen oder 490 Jahre.
Hieraus ist es denn unwiderleglich gewiss:
Der Messis muss gekommen sein, denn schon beinahe 2000 Jahre liegt der zweite
Tempel in Schutt und Asche, das Zepter Judas ist dahin und jene 70 Jahrwochen
sind nun schon ebenso lange im Meer der Ewigkeit.
Darum lasst uns fröhlich sein! Unser Glaube
an Jesus ist keine Täuschung; er ist dem Gold gleich; je schärfer er geprüft
wird, desto heller und klarer erscheint er. Gott ist treu in seinen
Verheißungen. O, lasst uns nur alle fest daran halten, so werden wir auch nicht
zuschanden werden, sondern einst nach treuem Kampf des Glaubens gelangen zum
ewigen Anschauen.
Das helfe uns allen Jesus Christus, der
gekommen ist, selig zu machen das Verlorene! Amen.
Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott,
unserem Vater, und dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der
Wahrheit und in der Liebe sei mit uns! Amen.
Geliebte in dem HERRN Jesus!
Nie hat Jesus Christus erst eines
menschlichen Zeugnisses bedurft, um zu beweisen, dass er wirklich Gottes Sohn
und der Menschen Heiland und Seligmacher sei. Dass er dies sei, davon
konnte er selbst sein unumstößliches göttliches Zeugnis ablegen; und er
hat es abgelegt ebenso durch seine Worte wie durch seine Taten. Wenn er redete,
so redete er gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten, und offenbarte mit
seinen Worten nicht nur das, was noch in ferner Zukunft lag, ja, nicht nur den
heimlichen Rat menschlicher Herzen, sondern auch den verborgenen ewigen
Ratschluss des unsichtbaren und unerforschlichen Gottes, der weder in eines
Menschen, noch in eines Engels Herz je gekommen war; und davon spricht er: „Wir
reden, das wir wissen, und zeugen, das wir gesehen haben.“ Christus ist
nicht bei den Weisen dieser Welt in die schule gegangen, sondern in niedriger
Stille aufgewachsen, und hat doch eine Weisheit verkündigt, die alle Gelehrten
aller Zeiten, wenn sie auch nicht daran glaubten, doch bewundert und als unübertrefflich
angestaunt haben. Christus beurkundete damit selbst, dass er der eingeborene
Sohn sei, der in des Vaters Schoß ist. Ein gleich unumstößliches Zeugnis gaben
aber auch seine großen göttlichen Wunderwerke, so dass er auf die Frage: „Bist
du, der da kommen soll?“ ohne weiteren Beweis mit den Worten antworten konnte:
„Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die
Tauben hören, die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium
gepredigt.“ „Ich habe“, konnte er sein, „ein größeres Zeugnis als des
Johannes Zeugnis; denn die Werke, die mir der Vater gegeben hat, dass ich sie
vollende, dieselben Werke, die ich tue, zeugen von mir.“ Das größte aber
aller Zeugnisse von Jesus, wovor der Unglaube schamrot werden muss und worauf
der Glaube sich unbeweglich gründen kann, das ist das Zeugnis, welches Gott
selbst gezeugt hat von seinem Sohn. Denn so schreibt der Evangelist Matthäus:
„Da Jesus getauft war, stieg er bald heraus aus dem Waser; und siehe, da tat
sich der Himmel auf über ihm. Und Johannes sah den Geist Gotts, gleich wie eine
Taube, herabfahren und über ihn kommen. Und siehe, – eine Stimme vom Himmel
herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich W0hlgefallen habe.“ –
Was bedürfen wir weiter Zeugnis?
So gewiss es aber auch ist, meine Zuhörer,
dass derjenige, welcher Zeugnis bekam vom Himmel, ein solches von der Erde
nicht bedufte, noch bedarf: so würden wir uns doch sehr irren, wenn wir
meinten, dass auch wir eines menschlichen Zeugnisses von Jesus nicht bedürfen,
und dass es Christi Wille nicht sei, dass wir Menschen ihn bekennen.
Nein, meine Geliebten, Gott hat nicht nur das Predigtamt dazu eingesetzt und
Menschen übertragen, dass durch dasselbe ein immerwährendes Zeugnis der
Menschen von Christus gestiftet sei; niemand soll auch denken, dass es genug
sei, den Glauben an Christus in seinem Herzen zu haben; diejenigen, welche
Christen sein wollen, sollen auch „Lichter in dem HERRN“ sein, die vielen
leuchten; sie sollen Städte sei, die gebaut sind auf hohen Bergen und niemandem
verborgen bleiben. „So du“, spricht der Apostel Paulus, „mit deinem Mund
bekennst Jesus, dass er der HERR sei, und glaubst in deinem Herzen, dass ihn
Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du selig. Denn so man von Herzen glaubt,
so wird man gerecht, und so man mit dem Mund bekennt, so wird man selig.“ Und
Jesus Christus selbst ruft uns zu: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will
ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor
den Menschen, den will ich wieder verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“
Erkennt hieraus, meine Zuhörer, wie
notwendig es sei, dass auch ein jeder von uns ein gutes Zeugnis von Jesus
Christus ablege, da wir außerdem seine Jünger nicht sein, noch das ewige Leben
ererben können.
Nicht jedes Zeugnis von Christus aber ist
auch das rechte; da liegt die Täuschung gar nah; nicht jeder „HERR, HERR“-Sager
ist auch der rechte Bekenner des Namens Jesu Christi; hier ist eine ernstliche
Prüfung nötig. Da uns nun unser heutiges Evangelium Gelegenheit zu einer
solchen Prüfung gibt, so lasst uns in der Furcht Gottes in gegenwärtiger Stunde
eine solche Prüfung des rechten Zeugnisses von Christus miteinander anstellen.
(Es liegt dies dem heutigen Tag, dieser
versammelten Gemeinde, wie mir selbst umso näher, da ich, wie euch bewusst ist,
heute diese heilige Stätte betreten habe, ein Zeugnis meines Glaubens vor euch
abzulegen.)
Lasst uns zuvor Gott im stillen Gebet um
seinen Gnadenbeistand anrufen, wenn wir miteinander werden gesungen haben
(Dresdner Gesangbuch) 225,9.
Johannes
1,19-28: Und dies ist das
Zeugnis des Johannes, da die Juden sandten von Jerusalem Priester und Leviten,
dass sie ihn fragten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht; und er bekannte:
Ich bin nicht Christus. Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elia? Er sprach:
Ich bin’s nicht. Bist du ein Prophet? Und er antwortete: Nein. Da sprachen sie
zu ihm: Was bist du denn? dass wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben.
Was sagst du von dir selbst? Er sprach: Ich bin eine Stimme eines Predigers in
der Wüste: Richtet den Weg des HERRN! wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Und
die gesandt waren, die waren von den Pharisäern und fragten ihn und sprachen zu
ihm: Warum taufst du denn, so du nicht Christus bist noch Elia noch ein
Prophet? Johannes antwortete ihnen und sprach: Ich taufe mit Wasser; aber er
ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Der der nach mir kommen
wird, welcher vor mir gewesen ist, des ich nicht wert bin, dass ich seine
Schuhriemen auflöse. Dies geschah zu Bethabara, jenseits des Jordans, da
Johannes taufte.
Die Zeit, meine Zuhörer, in welcher der
Messias nach den Weissagungen der Propheten erscheinen sollte, war gekommen und
schonerwartete das Volk, unter dem Druck der römischen Herrschaft seufzend, den
lange Verheißenen mit großem Verlangen. Da geschah es, dass Johannes der Täufer
in einer den Meisten rätselhaften Gestalt unter dem jüdischen Volk auftrat:
Angetan mit einem Kleid von Kamelhaaren, einem ledernen Gürtel um seine Lenden,
sich nährend von Heuschrecken und wildem Honig, tauft und predigt er in der
Wüste und lässt sich oft mit den Worten vernehmen: „Tut Buße, das Himmelreich
ist nahe herbeigekommen!“ Es gehen zu ihm hinaus „die Stadt Jerusalem und das
ganze jüdische Land und alle Länder an dem Jordan“; sie hören seine
erschütternden Ermahnungen zur Buße, sie lassen sich von ihm taufen und
bekennen ihre Sünden. So beginnt denn das Volk in seinem herzen nach und nach
dem Gedanken immer mehr Raum zu geben: „ob Johannes vielleicht Christus wäre“.
– Dieses alles und besonders die Besorgnisse wegen dieser Meinung des Volks von
Johannes lenkten bald die Aufmerksamkeit des Hohen Rats zu Jerusalem, welcher
in Sachen der Religion zu entscheiden hatte, auf denselben. Man beschloss
daher, eine Gesandtschaft an Johannes selbst abgehen zu lassen, und zwar eine
Gesandtschaft von Predigern und Leviten, welche zu der Sekte der bei dem Volk
hoch stehenden Pharisäern gehörten. Diese sollten den Beruf und das eigentliche
Amt des Johannes untersuchen und ihm eine Erklärung über sich selbst öffentlich
vor allem Volk abverlangen. Es geschah; - und unser heutiges Evangelium führt
uns den Erfolg dieser Gesandtschaft vor. Johannes legt nämlich darin,
von sich selbst abweisend, ein herrliches Zeugnis von Jesus Christus ab, ein
Zeugnis, welches gewiss uns allen zu einem nachahmungswürdigen Muster dienen
kann. Lasst mich daher nach Anleitung dieses unseres Textes euch jetzt
vorstellen:
Die rechte
Beschaffenheit unseres Zeugnisses von Jesus Christus
Wir untersuchen:
1.
Wovon man zeugen müsse,
oder des Zeugnisses rechten Inhalt, und sodann
2.
Wie man zeugen müsse,
oder des Zeugnisses rechte Weise
HERR Jesus Christus, der du unser
barmherziger Hoherpriester und Fürsprecher für uns bist bei deinem Vater, wenn
unsere Sünden uns bei ihm verklagen, wir bitten dich, lehre uns, wie auch wir
wieder von dir zeugen und dich so bekennen können, dass deine Ehre und unseres
Nächsten Heil daraus erwachse. Lehre du es uns, wir wissen es nicht; lehre es
uns aus deinem Wort und mache mich aus Gnade in dieser Stunde zu der Stimme,
durch welche du zu uns redest, du großer Prediger, und mache alle diese Zuhörer
zu lebendigen und gesegneten Zeugen deiner Herrlichkeit und Gnade durch Worte
und Werke. Ach, HERR; erhöre uns um dein selbst willen. Amen.
1.
Fragen wir, meine Zuhörer, zuerst danach,
was unser Zeugnis von Christus denn eigentlich enthalten müsse, oder wofür
wir Christus bekennen müssen, so sagt uns dies Johannes der Täufer durch seinen
Vorgang klar und deutlich. Ich mache euch hierbei nur vorerst auf die Worte
aufmerksam, wenn er in unserem Text von Christus so spricht: „Der ist es,
der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist, des ich nicht wert bin
dass ich seine Schuhriemen auflöse!“ Welche Sprache, meine Zuhörer! – „Der
nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist!“ Ist es
nicht uns allen bekannt, dass Johannes älter war als Jesus? Wie konnte er da
von Christus sagen, dass er vor ihm gewesen sei? – Aus keinem anderen
Grund, als aus welchem der HERR selbst von sich spricht: „Wahrlich, wahrlich,
ich sage euch: Ehe denn Abraham war, bin ich!“ Seht also in jenen Worten
ein herrliches Zeugnis des Täufers davon, dass Jesus Christus nicht ein
bloßer geschaffener Mensch, sondern das Wort sei, welches schon im Anfang war,
als Gott Himmel und Erde erst schuf; dass er der ewige Sohn Gottes, des
Allerhöchsten sei. – Johannes bekennt aber weiter, dass er jene stimme eines
Predigers in der Wüste sei: „Richet den Weg des HERRN!“ wovon schon der
Prophet Jesaja geweissagt habe: Damit bezeugt er ferner unumwunden, dass Jesus
Christus der verheißene HERR, oder nach der Ursprache Jahwes, sei, der in das
Fleisch kommen sollte, der Messias und Heiland aller Welt, der „von welchem
alle Propheten gezeugt haben, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben,
Vergebung der Sünden empfangen sollen“. Johannes legt also von Christus ein
herrliches Doppelzeugnis ab, nämlich erstens, dass Christus der Gottmensch sei,
und sodann, dass er der verheißene Heiland sei.
Das ist ein schönes Muster für alle, welche
auch noch heute Christus bekennen wollen. Soll hiernach unser Zeugnis vorerst
dem Inhalt nach recht beschaffen sein, so kommt es auf zwei Stücke an: Ob wir
nämlich recht von Christi Person und ob wir recht von seinem Amt
zeugen.
Der Hauptgrund, meine Lieben, warum wir
überhaupt Christus vor der Welt bekennen sollen, ist, weil sie, wie Johannes
von den Pharisäern sagt, ihn nicht kennt und ihn verleugnet; damit nämlich doch
Christus bekannt und geehrt und, wo es nur möglich ist, ihm Seelen gewonnen
werden mögen. Nun leugnet aber nicht leicht jemand, dass Christus ein wahrer
Mensch, gewiss auch nicht, dass er ein guter und weiser Mensch gewesen sei, ein
großer Prophet Gottes, der eine Lehre lehrte, so vollkommen, wie sonst kein Mensch.
Das, sage ich, verleugnet wohl nicht leicht jemand. Aber daran ärgert sich die
Welt, dass dieser Jesus, dieser verachtete Jesus, der in der Krippe lag, der
nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegen konnte, und endlich schimpflich und
schmachvoll am Kreuz starb, dass dieser „der HERR der Herrlichkeit, der
wahrhaftige Gott und das ewige Leben, der Gott über alles, gelobt in Ewigkeit“
sein soll; und dass er nicht gekommen sei, uns nur die Tugend zu lehren,
sondern uns durch sein Leiden und Sterben vom zeitlichen und ewigen Tod zu
erlösen; dass allein der Glaube an ihn, das Vertrauen aufs ein
teuer erworbenes Verdienst uns gerecht und selig machen könne. (Der Gekreuzigte
ist es, meine Freunde, der noch heute allen Jüdisch-Selbstgerechten ein
Ärgernis und allen Heidnisch-Selbstklugen eine Torheit ist.) Das , das ist es,
was die Welt hauptsächlich verleugnet, und das ist es daher auch, was ein
wahrer Christ von Jesus Christus vor der Welt bekennen soll.
Davon müssen wir Zeugnis ablegen, dass wir
Christus für mehr als einen Menschen, ja, für mehr als alle Engel und Erzengel
halten; für den HERRN, für den Jahwe, vor dem Johannes hergehen musste, ihm den
Weg zu bereiten; für den, der ewig ist und eher war als alle, die vor ihm
leiblich geboren wurden; für den, vor dem sich alle Propheten, j, auch der, der
mehr war als ein Prophet, nämlich Johannes,, beugen musste und sich nicht
wert achten durfte, ihm die Schuhriemen aufzulösen; für den eingeborenen Sohn des
lebendigen Gottes. Bekennen müssen wir aber dann auch die Wahrheit seiner
Wunder, die Wahrheit seiner siegreichen Auferstehung und Himmelfahrt, die
Gewissheit seines Sitzens zur Rechten des Vaters und seines Kommens zum
Gericht. Bezeugen müssen wir, dass wir von Herzen glauben, „dass in keinem
anderen Heil, auch kein anderer Name den Menschen gegeben sei, darinnen sie
sollen selig werden“, als allein der teure Name Jesu. Bezeugen müssen wir
endlich, dass Christus wahrhaftig die Sünder annimmt, dass wir bei ihm
wahrhaftig Vergebung der Sünden, den Trost des Heiligen Geistes, die Gewissheit
unserer Seligkeit, eine wahrhafte Ruhe unserer Seelen, ja, alles, alles bei ihm
finden, was den Menschen hier und dort, in Zeit und Ewigkeit ganz befriedigen
und glücklich und selig machen kann.
Wenn dies der Inhalt unseres Bekenntnisses
von Christus ist, dann ist es biblisch, dann ist es recht beschaffen,
dann können wir das tröstliche Vertrauen zu der Kraft des göttlichen Wortes
haben, dass es, wie das Zeugnis des Johannes, Christus Jünger zuführen und zu
seiner Ehre gereichen werde, und dann dürfen wir endlich auch hoffen, dass
Christus auch uns einst wieder bekennen werde vor seinem himmlischen Vater. O,
welch unaussprechliche Gnade ist das, dass ein Sünder dem anderen zurufen kann:
Freue dich, Gott ist ein Mensch geworden, er will unser Heiland sein, denn wer
an ihn glaubt, soll ewig selig werden! Ist einem Menschen ein großes irdisches
Glück widerfahren, dass er noch nicht weiß, o, wie gern will da jeder der Erste
sein, der ihm die fröhliche Botschaft hinterbringt! Welche Freude sollte es uns
daher sein, die allerfröhlichste Botschaft auszubreiten, wo wir nur können,
dass Christus gekommen ist, die Schuldigen zu begnadigen, die Verlorenen zu
erretten, ja, alle Sünder selig zu machen!
2.
Aber, meine Zuhörer, bisher haben wir nur
von dem rechten Inhalt unseres Zeugnisses von Christus gehört; zur rechten
Beschaffenheit desselben gehört auch zweitens, dass es auf die rechte
Weise geschehe. Auch dies lasst uns an dem Beispiel Johannes‘ des Täufers in
unserem Text zu erkennen suchen.
„Ich taufe mit Wasser“ spricht er, „aber
er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt.“ „Den ihr
nicht kennt“, spricht er; er will damit im Gegenteil sagen, den aber ich
kenne. Ja, wohl kannte er ihn, und zwar im Glauben. Nicht Fleisch und Blut,
sondern der Vater im Himmel hatte es ihm offenbart, dass Christus wahrhaftig
sein lieber Sohn sei, an welchem er Wohlgefallen habe, und dass er das Lamm
Gotte sei, das der Welt Sünde trägt. Dies wusste er; er hatte es erfahren;
darum drang es ihn, des allezeit und allerwärts zu bekennen. – Aber hierzu war
er auch berufen. Er tut dies nicht nach eigener Wahl oder in sträflichem
Vorwitz. Und dies zu beweisen, verteidigt Johannes in unserem Text seinen
Beruf, indem er darauf hinweist, dass er jene Stimme in der Wüste sei,
von welcher einst Jesaja geweissagt habe. Und als man ihn fragt: „Warum
taufst du denn, so du nicht Christus bist, noch Elia, noch ein Prophet?“ so
antwortet er: „Ich taufe mit Wasser.“ Er will sagen: Ich taufe nur auf
Befehl, nicht als der HERR, sondern als der Diener und Vorläufer Christi; ich
gebe nur das Wasser, aber Christus kann allein durch dieses Wasser mit seines
Geistes Gabe und Gnade kräftig sein.
Diese eigene Erfahrung, dieser eigene
lebendige und herzliche Glaube an Jesus Christus, und dieser gewisse Beruf,
welchen der Täufer, von Christus zu zeugen, hatte: Dies beides wirkte in ihm
die rechte Weise, Christus zu bekennen. Er hatte die göttliche Hoheit seines
Meisters und seine eigene Niedrigkeit erfahren; er wusste, dass auch er, wie
alle Menschen, nur durch das Opfer Jesu Christi vor Gott bestehen könne; dies
machte ihn erstlich so demütig, dass er gern nicht mehr sein wollte, als
er war, nämlich nur eine Stimme Gottes in der Wüste, der durch ihn, als sein
Werkzeug, redete; er wollte nicht jener Elia oder jener Prophet, welche man
damals mit Christus zugleich erwartete, viel weniger Christus selbst sein; ja,
er erklärte: „Ich bin nicht wert, dass ich seine Schuhriemen auflöse“;
er achtete sich also selbst dazu für viel zu gering, Christus die geringsten
Sklavendienste zu tun. Wie gering muss er da erst von allen seinen anderen
guten Werken gedacht haben! Er hatte aber auch erfahren die Liebe Jesu
Christi, und so war denn diese auch in seinem Herzen ausgegossen, dass er ihn
bekennen musste, damit doch alle zu Christus kommen und ´durch ihn selig
werden möchten.
Gab nun dem Johannes sein Glaube an
Christus die rechte Demut und Liebe zu seinem Bekenntnis von ihm, so gab ihm
sein Beruf auch den rechten Gottesmut dazu, dass er ebenso wenig die
Lockungen wie Drohungen der Welt achtete. Das Volk hielt ihn für Christus und
war bereit, ihn als solche anzuerkennen und mit ihm Hand anzulegen zur Gründung
seines herrlichen messianischen Reiches; die Vornehmen aber hassten sein
Zeugnis und sannen auf sein Verderben. – Was tat er? Des Volkes Gunst
verachtete er und bedachte, dass ihm Gott unvergleichlich mehr gab als alle
Welt ihm bieten konnte, und gegen den Hass der Großen vertraute er auf den, der
ihn berufen hatte und der ihm gegen alle Verfolgungen mächtig zur Seite stand;
und so bekannte er denn beides unverhohlen gegen das Volk: „Ich bin nicht
Christus!“ und setzte unerschrocken gegen die Pharisäer hinzu: Aber „Der
ist es, der nach mir kommen wird; der mitten unter euch getreten ist, den ihr
nicht kennt.“
Wollt ihr nun, meine Zuhörer, dies alles,
was wir hier von Johannes gehört haben, auf euch anwenden, so lernt daraus
Folgendes: Vor allem erkennt, dass es nicht nur darauf ankommt, dass man den
rechten und ganzen Christus bekenne, sondern dass man auch selbst ein rechter
Bekenner sei. Man kann, sehen wir hieraus, manches Gute und Wahre, ja, lauter
Gutes und Wahres von Christus sagen und dennoch vor Gott mit seinem ganzen
Zeugnis verwerflich sein. „Ich glaube, darum rede ich!“ muss man mit Johannes
dem König David nachsprechen können. Wer seinen Mund zum Bekenntnis Christi vor
der Welt öffnen will, der muss den lebendigen Glauben an ihn im Herzen haben.
Sonst wird er gleich sein einem tönenden Erz und einer klingenden Schelle, von
denen zwar ein lieblicher Klang ausgehen kann, die aber in sich selbst leer und
ohne Leben sind. Man würde die Torheit begehen, anderen etwas anpreisen zu
wollen, was man selbst der Annahme nicht wert achtet.
Wer glaubt aber an Christus? Derjenige,
meine Zuhörer, der nicht nur den Zeugnissen glaubt, welche wir von Christus in
dem göttlichen Wort des Alten wie des Neuen Testamentes finden, sondern [auch
dem Heiligen Geist nicht widerstrebt hat, als der ihn seiner Ohnmacht gegenüber
Gott, seiner abgrundtiefen Verdorbenheit, der Nichtigkeit seiner eigenen
Gerechtigkeit überführte und daher von sich wegsah und im herzlichen Vertrauen
auf sein Evangelium Christus und dessen Gerechtigkeit aufnahm, ergriff als den,
der auch seine Sünden auf sich nahm, auch für sie das vollkommene
Lösegeld bezahlte, Gott auch mit ihm versöhnte und so auch ihm Vergebung
der Sünden, Frieden mit Gott und ewiges Leben erworben hat.][2] Wer dies[ im Glauben
ergriff][3], als er, seine Schuld vor
Gott erkennend, sich zu Gott in Demut wandte, im Verlangen nach Gnade und
Befreiung von seinen Sünden: Der glaubt an Christus, der ist und nur der
ist fähig, ein gutes Zeugnis von Christus abzulegen.
Wollen wir nun dies, so müssen wir uns
prüfen, ob Christus unser Ein und Alles geworden sei, ob wir mit den Aposteln
den Christusfeinden wirklich zurufen müssen: „Wir können es ja nicht lassen,
dass wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört“ und erfahren haben;
es dringt uns nämlich unsere Liebe zu Christus und zu unseren Brüdern,
die mit uns erlöst sind, zu bekennen, wie gut wir’s bei Jesus haben, und sie
einzuladen, dass doch auch sie an ihn glauben und bei ihm finden möchten, was
sie hier und dort selig machen kann. Gewiss, dann werden wir uns überall,
ebenso unter den Unwissenden wie unter den Spöttern, für den ohne eitle
Streitlust bekennen, der uns mit seinem Blut erworben hat; wir werden dabei
nicht das unsrige suchen, sondern des Nächsten Heil und Seligkeit. Und wie
sollten wir dann dabei nicht demütig sein, da wir ja, wenn wir Christus
recht bekennen, auch gestehen, dass wir bei ihm Vergebung der Sünden, Gnade,
Barmherzigkeit erlangt haben! Gewiss, wir werden es uns anmerken lassen, dass
wir uns über niemanden erheben, sondern nur gern alle mit uns gerettet sehen
möchten.
Wie aber, endlich, meine Zuhörer, den
Täufer sein Beruf zum Zeugen von Christus so freudig und unerschrocken
machte, dass er, im Bewusstsein, in Gottes Diensten zu stehen, gern der Welt
den Dienst aufsagte und sich nicht fürchtete vor ihrem Trotzen und nicht
erschreckte: So muss es auch mit uns stehen, wenn wir unseren HERRN und Heiland
vor seinen Feinden oder Freunden bekennen.
Ohne Furcht und
ohne Grauen
Soll ein Christ,
Wo er ist,
Stets sich lassen
schauen.
Wollt ihn auch der
Tod aufreiben,
Soll der Mut
Dennoch gut
Und fein stille
bleiben.
So sang einst Paul
Gerhardt, der teure Bekenner Jesu Christi; und so sollen wir auch singen
können. Dies können wir aber nur dann, wenn wir wissen: Gott ist mit uns, wenn
uns Gott sendet und dann das Zeugnis, was wir ablegen, eigentlich nicht
unser, sondern Gottes, des Heiligen Geistes, Zeugnis in und durch
uns ist. Ein unberufenes Zeugnis ist, es scheine, wie es wolle, immer ohne Liebe,
denn die Liebe kommt von dem, der beruft; ohne Demut, denn es geschieht
in eigener Kraft; ohne den rechten Mut, denn man kann sich dabei nicht
auf den HERRN HERRN verlassen: Es ist Frevel. Wohl sandte Christus seine Jünger
in die Welt; ach, die Schafe unter die Wölfe! – Aber sie konnten getrost gehen;
Christus begleitete sie; und siehe, – schnell hat ihr Zeugnis die Welt erfüllt
und überall Siege über die falschen Götter davongetragen. Aber wir dürfen
deswegen nicht auch aus falschem Bekehrungseifer die Welt aufsuchen und
uns vorwitzig mengen unter die Feinde des Kreuzes Christi, um ihnen zu predigen
und sie zu bekehren: Wirr würden so sie nicht erretten; wir würden unter
und mit ihnen umkommen.
Mit unseren Werken, durch unsere
Gemeinschaft mit wahren Gläubigen, durch unsere Keuschheit, Sanftmut, Demut,
Liebe – Christus und dass wir seine Jünger sind, zu bekennen: Dazu sind
wir alle und zwar jederzeit berufen, und mag es auch die Welt für
Heuchelei achten, dieses Licht sollen wir immer und freudig leuchten
lassen. Besonders aber soll der Prediger seiner Gemeinde, und zwar einem jeden
Glied derselben, der Lehrer seinen Schülern Christus anpreisen, die Eltern den
Kindern, der Gatte der Gattin, sie dem Gatten, der Hausherr seinen Dienstboten,
der Freund dem Freunde. Diese alle tun es im Beruf und sollen es tun mit
Freudigkeit, ja, ein jeder, bei dem man Grund fordert der Hoffnung, die in ihm
ist, den man nach seinem Glauben fragt – sollte auch die Antwort mit Gefahr Leibes
und Lebens, der Ehren und Gutes verbunden sein – hier ist Beruf; da soll man
allezeit bereit sein zur Verantwortung jedermann; Gott ist es, der uns fragen
lässt, er lenkt ja die Herzen wie Wasserbäche. Gereichte es daher auch nicht
zur Seligkeit dem, dem wir bekenne, so soll es doch uns nicht an unserer Seele
schaden; schadete man uns aber am Irdischen, nähmen sie uns den Leib, Gut, Ehr,
Kind und Weib – lass fahren dahin, ruft Luther uns zu, sie haben’s kein Gewinn,
das Reich Gottes muss uns bleiben.
Geliebte Zuhörer! Es kommt eine Stunde, wo
wir alle werden versammelt stehen vor dem Richterstuhl dessen, von dem
es nur hier hieß: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und demütig; ach,
welches Zagen wird dann die ergreifen, welche mit Donnerstimme sich werden
zurufen hören müssen: Du hast mich nicht bekannt vor der Welt, du hast mich verleugnet,
du hast dich mein geschämt; gehe von mir, ich kenne dich nicht! – O, darum
lasst uns alle in der Zeit unserer Seele raten, damit keiner von uns zu
Schanden werde in seiner Zukunft.
Du aber, o Jesus, wollest selbst das, was
wir von deinem Bekenntnis gehört haben, in unser Herz schreiben und selbst
durch die Macht deiner Gnade uns tüchtig machen, von dir zu zeugen, allezeit
mit unserem Wandel, oft mit unserem Mund und, sollte es dein Wille sein, auch
einmal gern mit unserem Blut, gewiss aber, es geschehe, wie und wo es wolle,
mit unserem durch dich seligen Tod. Amen.
(diese Predigt ist entnommen dem
Predigtbuch: Festklänge, S. 156 ff.; 176 f.)
HERR Jesus, Du
eingeborener Sohn Deines himmlischen Vaters, heut erblicken wir Dich als ein
lächelndes Kindlein in einer Krippe liegen und hören Dich mit holdseliger
Stimme uns zurufen: O Mensch, siehe, hier liege ich um deinetwillen, da hast du
mich, nimm mich hin, ich bin dein! O süßes Wort: Ich bin dein! O, dass wir es
glauben und Dir antworten könnten: Und Du bist mein! Aber wir vermögen das
nicht. So bitten wir denn Dich, freundliches, liebliches Kind, da Du einst den
finstern Stall nicht verschmähet hast, darin geboren zu werden, und die harte
Krippe nicht verschmähet hast, darin zu ruhen, verschmähe doch heute auch unser
armes finsteres hartes Herz nicht, darin auf es neue geboren zu werden und
darin auf es neue zu ruhen. Ja,
offenbare es heut an uns allen, dass Du wirklich unser Seligmacher bist, und
mache uns zu so seligen Menschen, deren Herzen Deine Herberge sind. So wollen
auch wir mit Bethlehems Hirten Dich anbeten als unsern Gott und Heiland und
Dein Lob verkündigen, so lange wir leben, bis wir Dich einst droben schauen
werden auf Deinem Thron. Amen.
Jesaja 9,6-7: Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben,
welches Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunderbar, Rat,
starker Gott, Ewig–Vater, Friedefürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und
des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass er’s
zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.
Von Gott
geliebte, hocherfreute Zuhörer!
O, was für ein herrliches, liebliches,
freudenreiches Fest ist doch das Weihnachtsfest, welches wir in diesen Tagen
wieder feiern! Da hören wir von einem freundlichen Kindlein, welches einst
heute vor über 2023 Jahren wunderbarerweise von einer reinen Jungfrau in
dunkler Nacht in einem Stalle zur Welt geboren, in Windeln gewickelt und in
eine Krippe gelegt worden sei. Da hören wir, dass hierauf alsbald ein Bote vom
Himmel herab gekommen sei, die geschehene Wundergeburt den Menschen gemeldet
und ihnen zugerufen habe: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große
Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute
der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt
Davids.“ Ja, da hören wir, dass diesem Boten alsbald die unzählbare Menge der
himmlischen Heerschaaren gefolgt sei, die, Gott laut lobend, wie mit Einem
Munde gesungen habe: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den
Menschen ein Wohlgefallen.“
O, welche
Freude! -- Oder wie? -- Gott selbst lässt uns Menschen heut sagen: „Siehe, ich
verkündige euch große Freude“; Gott selbst lässt uns sagen: jenes
Kindlein in der Krippe sei der „allem Volk“ geborene „Heiland“; Gott selbst lässt
uns sagen: dieser Heiland sei „der HERR“, der HERR aller Engel, Gottes
hochgelobter eingeborener Sohn selbst, worauf alle Engel des Himmels in lautes
Lob Gottes ausbrechen: - und das sollte nicht Freude, nicht große Freude für
uns sein?
Ja, wahrlich,
meine Lieben, das ist Freude über alle Freude. Bedenke doch, o lieber Mensch,
wer du auch sein magst: Heut hörst du, Gott der Vater hat für alle Menschen,
also auch für dich, den HERRN des Himmels, seinen eigenen Sohn, in die Welt
gesendet, auf dass alle Menschen, also auch du, einen Heiland, einen
Seligmacher habest! Darfst, kannst du also nun noch fürchten, dass Gott dich
hasse, dass er dir zürne, dass er dir feind sei? Nein, tausendmal nein; es ist
vielmehr hiernach ganz gewiss, Gott liebt dich, Gott liebt dich
unaussprechlich, Gott hat dich schon von Ewigkeit geliebt. Oder darfst, kannst
du also nun noch fürchten, dass Gott dein Unglück wolle, Lust habe an deinem
Tode, dein ewiges Verderben beschlossen habe? Nein, tausendmal nein; es ist
vielmehr nun ganz gewiss, Gott will dein Glück, Gott will, dass du lebest,
schon von Ewigkeit hat Gott deine Seligkeit gewollt. Und das solltest du heut
hören können, und dich doch nicht freuen? Ja, du solltest heute selbst bekennen
müssen: Wohl weiß ich es nun ganz gewiss, dass Gott mich liebt, mich
unaussprechlich liebt, mich schon von Ewigkeit geliebt hat, dass Gott mich
selig machen, mich ewig selig machen will, -- und doch solltest du darüber
heute nicht fröhlich werden, nicht frohlocken, jubeln und jauchzen?! -- Das ist
unmöglich! -
Doch
vielleicht sagst du: Wohl ist es mir eine große Freude, dass Gott seinen
eingeborenen Sohn der ganzen Welt und also auch mir gesendet hat: Aber was
hilft es mir, dass ihn Gott für mich in die Welt gesendet hat, wenn er noch
nicht mein ist? - Du hast recht, mein lieber Zuhörer, es kann etwas zwar wohl
für dich bestimmt, und doch noch nicht dein sein; aber lass dich diesen
Gedanken in deiner Weihnachtsfreude nur nicht stören; denn siehe! Gott hat
seinen eingeborenen Sohn nicht nur für alle Menschen in die Welt gesendet und
geboren werden lassen, sondern Gott hat ihn auch schon allen Menschen gegeben
und geschenkt. Denn wie spricht hiervon Christus selbst? „Also hat Gott die
Welt geliebt“, ruft er selbst voll Verwunderung aus, „dass er seinen eingeborenen
Sohn gab“. Merke wohl, Christus sagt nicht bloß: dass er seinen eingeborenen
Sohn sandte, sondern: dass er ihn „gab“! Daher singt denn auch unsere liebe
evangelisch-lutherische Kirche an jedem Weihnachtsfest mit Frohlocken:
Lobt Gott, ihr
Christen allzugleich,
In seinem
höchsten Thron,
Der heut schließt
auf sein Himmelreich
Und schenkt
uns seinen Sohn.
Und noch mehr,
meine Lieben! Was Christus einst, als er bereits öffentlich ausgetreten war,
beteuert, dass Gott seinen eingeborenen Sohn der ganzen Welt schon gegeben
habe, das hat der Prophet Jesaja schon mehr als siebenhundert Jahre vor Christi
Geburt beteuert und in unserm Text für alle Zeiten mit den Worten
niedergeschrieben: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“
O, hört es, meine Lieben, er sagt: „Gegeben! Gegeben!“ Hiernach lasst mich denn
in dieser festlichen Stunde ein wenig künden:
Von der großen
Freude, dass Gott seinen Sohn nicht nur für uns Menschen hat geboren werden
lassen, sondern ihn uns auch schon gegeben hat;
wir erwägen
hierbei,
1. was das
heiße, dass uns Gott seinen Sohn schon gegeben hat, und
2. warum
gerade dies eine so große Freude für uns ist.
I.
„Uns ist
ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben“, so heißt es also in unserm
Text. Dass unter diesem Kind und Sohn niemand anders, als das holde
Christkindlein, zu verstehen sei, dies geht unwidersprechlich aus den hohen,
göttlichen Namen hervor, welche der Prophet Jesaja diesem Kind und Sohn gibt.
Denn er fährt so fort: „Und er heißt Wunderbar, Rat, starker Gott,
Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde, und des
Friedens kein Ende, auf dem Stuhl Davids, und seinem Königreich; dass er es
zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“
Dies alles kann offenbar von keinem bloßen menschlichen Kind, sondern nur von
dem von allen Engeln angebeteten Kind in der Krippe gesagt sein.
Was heißt aber
das nun erstlich, dass dieses Kind und. dieser Sohn uns nicht nur geboren,
sondern auch schon „gegeben“, schon geschenkt sei?
Wird uns,
meine Lieben, sonst ein Kind geschenkt, so wird uns dasselbe nicht wirklich
geschenkt, sondern uns eigentlich nur die Sorge für ein solches Kind auf
das Herz gelegt, als wäre es unser eigenes. Wir bekommen damit die
Verpflichtung, das Kind zu speisen und zu kleiden, es vor Gefahren zu
beschützen und aufzuziehen. Hat nun ein solches Kind von seinen natürlichen
Eltern etwa ein großes Vermögen geerbt, so wird uns daher auch dieses Vermögen
keineswegs zugleich mit dem Kinde geschenkt; vielmehr erhalten wir damit nur
das mühevolle Amt, dem Kinde sein Vermögen zu verwalten und ihm zu
bewahren.
Mit dem Jesuskindlein
hat es aber eine ganz andere Bewandtnis. Dieses wird uns wirklich gegeben oder
geschenkt (denn Gott sagt es); es wird uns daher nicht, wie ein anderes
Waisenkind, dazu übergeben, dass wir für dasselbe sorgen und es pflegen,
sondern vielmehr dazu, dass dasselbe für uns sorge und uns
pflege; und was das Christkindlein hat, das sollen nicht wir ihm bewahren,
sondern das will dasselbe vielmehr uns bewahren.
Doch wie? Hat
sich nicht gerade das Christkindlein aller seiner Güter, alles seines Reichtums
entäußert? Ist es nicht, ob es wohl reich war, arm geworden, und zwar so arm,
dass es nicht hatte, da es sein Haupt hinlegen konnte? hat es nicht, obwohl es
vollkommen heilig war, sogar die Sünden aller Sünder auf sich genommen? ist es
nicht, obwohl es der König aller Könige war, ein Knecht aller Knechte geworden?
hat es nicht, obwohl es der allerhöchste Gesetzgeber selbst war, sich unter das
Gesetz tun lassen? hat es sich nicht, obwohl es hätte mögen nur Freude haben,
in ein ganzes Meer von Leiden versenken lassen? hat es nicht, obwohl es der HERR
der Herrlichkeit war, alle nur erdenkliche Schmach und Verachtung getragen? ja,
ist es nicht, obwohl es der Fürst des Lebens selbst war, auch endlich von Tod
und Grab verschlungen worden? Was hilft es uns nun, dass uns Gott ein solch
armes, nacktes Kind und alles sein Elend „gegeben“ und geschenkt
hat?
O, meine
Lieben, das hilft uns gar viel, ja, was sage ich? das hilft uns alles! Christus
ist als ein elendes Menschenkind geboren worden, um uns dadurch zu Gottes
Kindern zu machen; Christi elende Geburt ist daher ein unaussprechlich
köstliches Geschenk, denn mit dieser seiner elenden Geburt hat. uns Gott das
Recht, seine Kinder zu sein, geschenkt. Christus ist arm geworden, um uns
dadurch reich zu machen. Christi Armut ist daher ein unermesslich großes
Geschenk, denn mit dieser seiner Armut hat uns Gott alle Schätze des Himmels
geschenkt. Christus hat die Last unserer Sünden auf sich genommen, um dadurch
unsere Sünden zu tilgen. Christi schwere Sündenlast ist daher ein
unvergleichlich wertvolles Geschenk, denn mit dieser seiner Sündenlast hat uns
Gott die vollkommene Tilgung aller unserer Sünden geschenkt. Christus ist ein
Knecht aller Knechte geworden, um uns dadurch zu freien Herren zumachen.
Christi Knechtschaft ist daher ein unbegreiflich hohes Geschenk, denn
mit dieser seiner Knechtschaft hat uns Gott die hohe Würde, Herren über Sünde,
Welt, Tod und Hölle zu sein, geschenkt. Christus hat sich unter das Gesetz tun
lassen, um uns dadurch von allen Drohungen des Gesetzes zu befreien; Christi Unterwerfung
unter das Gesetz ist daher ein unbezahlbar wertvolles Geschenk, denn mit
dieser seiner Unterwerfung unter das Gesetz hat uns Gott Freiheit von allen
Drohungen des Gesetzes geschenkt. Christus hat sich in Leiden ohne Zahl
versenken lassen, um uns dadurch die ewige Freude zu verdienen; Christi Leiden
ist daher ein unschätzbar teures Geschenk, denn mit diesem seinem Leiden hat
uns Gott schon die ewige Freude geschenkt.
Christus hat alle nur erdenkliche Schmach und Schande getragen, um uns
dadurch ewige Ehre und Herrlichkeit zu erwerben. Christi Schmach und Schande
ist daher ein über alle Maßen herrliches Geschenk; denn mit dieser seiner Schmach
und Schande hat uns Gott ewige Ehre und Herrlichkeit geschenkt. Christus
hat sich endlich von Tod und Grab verschlingen lassen, um uns dadurch eine
selige Auferstehung und das ewige Leben zu erringen; Christi Tod und
Begräbnis ist daher das Geschenk über alle Geschenke, denn mit diesem
seinem Tod und Begräbnis hat uns Gott schon die selige Auferstehung und das
ewige Leben geschenkt.
Seht da, das
ist es, was die Worte unseres Textes sagen wollen: „Uns ist ein Kind
geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ Es ist wahr: mit dem Christkindlein
sind uns also keine irdischen Schätze gegeben, denn diese hatte das
Christkindlein selbst nicht; es hatte sich ja aller derselben entäußert und
dafür Armut erwählt. Es ist wahr: mit dem Christkindlein sind uns auch keine zeitlichen
Freuden gegeben, denn auch diese hatte das Christkindlein selbst nicht; es
hatte sich ja aller derselben verziehen und dafür Leiden ohne Zahl erwählt. Es
ist wahr: mit dem Christkindlein ist uns auch keine Ehre vor Menschen
gegeben, denn auch diese hatte das Christkindlein selbst nicht; es hatte ja
aller Ehre vor Menschen entsagt und dafür Schmach und Schande erwählt. Aber
wohl uns, dass uns Gott mit dem Christkindlein keinen vergänglichen Erdentand
geschenkt hat. Denn so viel das Himmlische größer ist, als das Irdische, das
Göttliche größer, als das Menschliche, das Ewige größer, als das Zeitliche, so
viel größer ist, was uns Gott mit dem Christkindlein geschenkt hat; denn damit
hat er uns gegeben: seine Gnade, Vergebung aller unserer Sünden, vollkommene
Gerechtigkeit, Erlösung von allem Uebel, Errettung von Tod und Hölle, ewige
Gemeinschaft mit Gott und allen seinen heiligen Engeln, Leben und Seligkeit
droben in den Wohnungen des Himmels von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Seht, das, das
ist Gottes Weihnachtsbescherung, welche er mit den Worten vor uns ausgebreitet
hat: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“
Sollte das
nicht Freude sein? -- Ja, wahrlich, meine Lieben; und warum gerade dies, dass
uns Gott mit dem Christkindlein dieses alles schon gegeben und geschenkt hat,
für uns eine so große Freude ist, davon lasst mich nun noch zweitens zu euch
sprechen.
II.
Dass das
Christkindlein der ganzen Welt geboren sei, das glauben, meine Lieben,
alle wahren Christen, denn ohne diesen Glauben kann niemand ein Christ sein;
aber dass das Christkindlein der ganzen Welt bereits vor mehr als 2000 Jahren
wirklich und wahrhaftig gegeben sei, das glauben nur wenige. Und darum
fehlt es auch selbst den meisten wahren Christen an der vollen wahren
Weihnachtsfreude. Denn wer zwar glaubt, dass das Christkindlein der
ganzen Welt „geboren“, nicht aber, dass es derselben schon „gegeben“
sei, der kann immer noch zweifeln, ob er es nun auch annehmen und sein nennen
dürfe. Aber -- Gott sei dafür ewig Lob und Preis! -- in unserm Text heißt es
nicht nur: „Uns ist ein Kind geboren“, sondern auch: „Ein Sohn ist
uns gegeben.“ O köstliches Wort! Ich behaupte kühnlich, dieses Wort
ist das tröstlichste Wort der ganzen Heiligen Schrift. Wie die Sonne unter
allen Sternen des Himmels hervorleuchtet, so leuchtet dieses Wort unter allen
Bibelworten hervor. Wie das köstliche Rosenöl ein Extract aller süßen Düfte
ist, welche die Rosen enthalten, so ist dieses Wort: „Ein Sohn ist uns
gegeben“, gleichsam der köstliche Extrakt aller Süßigkeiten des
Evangeliums.
Bedenkt: Wenn
uns jemand etwas wirklich und nicht nur zum Schein schenkt, müssen wir da etwa
erst etwas tun, damit es unser werde? Nein, denn dann ist es ja schon unser!
Dann handelt es sich bei uns nur noch darum, dass wir es nicht verwerfen oder
wieder wegwerfen, sondern annehmen und behalten. Schenkt ein Reicher einem
Armen wirklich etwas, was erwartet er da von dem Armen? Nichts, als dass
derselbe sein Geschenk nehme. Sobald der Reiche fordert, dass der Arme erst
etwas dafür tue, so ist sein angebliches Geschenk eben kein wirkliches
Geschenk. Nun hat aber Gott bereits vor mehr als 2000 Jahren das Christkindlein
und alles, was es hat, allen Menschen schon wirklich geschenkt (denn was Gott
sagt, das ist gewiss wahr), daher soll nun auch kein Mensch es sich mit seiner
Reue, mit seiner Besserung, mit seinen guten Werken erst verdienen, kein Mensch
es sich erst erarbeiten, kein Mensch es sich erst erkaufen, kein Mensch es sich
erst erkämpfen und erringen, ja, auch kein Mensch es sich erst erbeten und
erflehen. Denn weil es ihm ja schon gegeben, das heißt, frei und umsonst zugesprochen
ist, so ist es ja schon sein. Warum? Weil er ein Mensch ist. Sehet da: In den
Worten: Ein Sohn ist uns „gegeben“, liegt daher ein wahres Meer von
Trost für alles, was Mensch heißt, das nie ausgeschöpft werden kann. Die
wenigsten Christen haben kaum eine Ahnung davon, welch ein Schatz des Trostes
in den Worten: "Uns ist ein Sohn gegeben", enthalten ist. In wessen
Seele diese Worte in ihrer wahren Bedeutung aufgehen, in dessen Seele geht auch
erst die volle Sonne der Gnade auf. Ganz kann sie ein Christ hienieden gar
nicht fassen. Wer sie schon in diesem Leben ganz fasste, der würde, wie Luther
mit Recht sagt, vor Freude sterben, und wenn Gott einen solchen Menschen zur
Probe seines Glaubens in die Hölle würfe, so würde derselbe selbst mitten im
Ofen der Hölle, wie die drei Männer im feurigen Ofen, voll himmlischen Trostes
und voll seliger Hoffnung sein. Ja, wenn die verdammten Geister in der Hölle im
Glauben sagen könnten: „Uns ist der Sohn Gottes gegeben“, so würde sich alsbald
ihre Hölle in den Himmel, ihre Pein in Seligkeit verwandeln.
Sprich aber nicht:
Aber ich bin voll Leiden und Trübsale; mein Haus drückt Krankheit, Armut,
Verachtung und Elend. Wie kann ich mich freuen? O, siehe über diesen Jammer
hinaus, mein Christ; dein Heiland hat durch seine Armut und Niedrigkeit es dir
erworben, dass, je größer hier deine Not ist, desto größer auch dort deine
Seligkeit werden soll. Dieser Zeit Leiden ist nicht wert der Herrlichkeit, die
an dir um Christi willen soll offenbaret werden. Jede Träne, jeder Seufzer,
jeder Kummer ist nun ein köstliches Samenkorn, das du im Himmel wiederfinden
sollst, aufgewachsen zu einem großen Baume unaussprechlicher Seligkeit. Wie
darfst du also traurig sein?
Sprich nicht:
Aber, ich wollte wohl gern alle leibliche Noth tragen, aber ich seufze hier in
der Hölle der Anfechtung. Ich fühle nichts als Tod und Verdammnis, keine
Empfindung des Trostes kommt in mein elendes Herz; es scheint mir fast immer,
als habe mich Gott ganz verlassen und als habe er meiner ganz vergessen, wie
kann ich mich freuen? Höre, o Christ, nicht auf dein Herz, das ist ein falscher
Prediger; höre auf das Weihnachtswort deines Gottes: „Fürchtet euch nicht;
siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ An
dieses Wort halte dich, du Angefochtener, und bedenke: Lässt dich Gott hier
seine Gnade nicht fühlen, so kommt doch ein Tag, wo du nicht mehr im Finstern
wirst glauben müssen, da wird dein Leib und deine Seele nichts fühlen, als Güte
Gottes; da wirst du ausruhen von deinen Kämpfen, da wird die Last dir ewig abgenommen
sein, die du hier tragen musst, da wird dein Seufzen in ewiges Jauchzen, dein
Weinen in ewiges Lachen, dein Klagen in ewigen Jubel verwandelt sein. O, daran
denke, und ein Strahl der Freude wird auch in deine Seele fallen.
Sprich aber
endlich auch nicht, o Christ: Ich stehe an den Pforten des Todes und der
Ewigkeit; ich fühle schon den nahen Tod in meinen siechen elenden Gliedern;
oder ich bin ein Greis und habe bereits einen Fuß in meinem Grabe; wie kann ich
mich freuen? O du, der du in dieser Welt nichts mehr zu fordern hast, siehe
über die schwarze Totenbahre und über das dunkle Grab nur hinweg; hältst du
dich an das Kindlein in der Krippe, so ist deine Todesnähe ein Nahesein bei der
Krone, ein Eilen zur Herrlichkeit; siehe, schon rufen dich die jubelnden Chöre
der Engel und aller Seligen in ihren Kreis; wie darfst du traurig sein? --
O, meine
Lieben, so freut euch denn, o freut euch! Ihr könnt wahrlich nur dann nicht
selig werden, wenn ihr das Christkindlein, das euch schon geschenkt ist,
verwerft. Nehmt ihr es im Glauben an, so dürft ihr dann nicht mehr fragen: Was
sollen wir tun, dass wir selig werden? Das Christkindlein hat ja schon alles
getan und sein Tun euch schon geschenkt; nehmet ihr es an, so habt ihr
daher schon auch selbst alles getan, was Gott von euch fordert. Ihr dürft aber
dann auch (nicht sprechen: Aber unserer Sünden sind viele
und sie sind groß und schwer; wie können wir in den Himmel kommen, in den
nichts Unreines und Gemeines eingehen soll? Das Christkindlein hat ja schon
alle eure Sünden von dem Angesicht Gottes hinweggetragen und dies ist euch auch
schon geschenkt; nehmt ihr es an, so sieht daher Gott keine Sünde mehr an euch.
Sprechet aber auch nicht: Aber wie erlangen wir die Gerechtigkeit, ohne
welche niemand vor dem heiligen Gott erscheinen und bestehen kann? Die
Gerechtigkeit vor Gott hat euch ja das Christkindlein schon erworben und die
ist euch schon mit demselben geschenkt; nehmt ihr es an, so seid ihr daher vor
Gott gerecht. Sprechet aber auch nicht: Dürfen wir denn auch glauben,
dass wir so selige Menschen sind, welche rühmen können: Das Christkindlein und
alles, was es hat, ist unser? -- Ihr dürft nicht nur, ihr sollt
dies auch glauben, so gewiss ihr nicht nur glauben dürft, sondern auch
glauben sollt, dass Gottes Wort wahr ist: „Ein Sohn ist uns gegeben.“
Sprecht aber endlich auch nicht: Aber unser Glaube ist so schwach, denn unser
Herz ist kalt, finster und hart, voll von Furcht und Zweifeln. O bedenkt doch,
das Christkindlein ist euch schon, mit allem, was es hat, geschenkt; nehmt ihr
es nun mit einer wenn auch noch so schwachen Glaubenshand an, so habt ihr es
doch, wie das schwache Kind die ihm geschenkte köstliche Perle hat, die es in
seinen kleinen Händen hält; und mag dann immerhin sich das Christkindlein nicht
an euren kalten Herzen erwärmen, so wird doch euer Herz an dem Liebesfeuer des
Christkindleins warm werden, und endlich werdet ihr auch mit freudigem, starkem
Glauben triumphierend ausrufen: Ja, ja, es ist wahr: Das Christkindlein ist
auch mir „gegeben“. Halleluja!--
Wohlan, meine
Lieben, so habe ich euch denn hingeführt an den himmlischen Weihnachtstisch,
den euer Vater im Himmel euch auf Erden gedeckt und wirklich mit dem wahren „heiligen
Christ“ geschmückt hat; o steht nun nicht schüchtern von ferne, sondern lernt
hierbei etwas von euren Kindern: Hüpft und springt im Geist um den himmlischen
Weihnachtstisch und nehmt getrost den auch euch bescherten heiligen Christ in
eure Hände. So wird er euch in eurem Herzen zurufen: „Ich bin dein“, und
ihr werdet ihm dann antworten können: „Und du bist mein.“
O seliges
Weihnachtsfest, welches so schließt! Da ist auch das härteste Herz zur Krippe
geworden, in welcher das Christkindlein liegt, und da ist auch die
vertrocknetste Seele zum grünenden bethlehemitischen Feld geworden, über
welchem die himmlischen Heerschaaren jauchzen: „Ehre sei Gott in der Höhe, und
Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Amen.
„Fürchtet euch nicht; siehe, ich
verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, so ließt
du, HERR Jesus, einst am Tag deiner Geburt einen himmlischen Boten den
erschrockenen Hirten Bethlehems zurufen. O welch ein Zuruf! Welch eine süße
Botschaft! Nicht Furcht, nicht Traurigkeit, sondern Freude, große Freude ist es
also, womit die Verkündigung deiner Geburt die Herzen der Menschen erfüllen
soll. O, so gib denn, dass die Weihnachtsbotschaft auch in diesen Tagen alle
Furcht und Traurigkeit von uns nehme und unsere Herzen mit Freude erfülle.
Nicht ein Strom, HERR Jesus, nein, ein Tröpflein, nur ein Tröpflein wahrer
Weihnachtsfreude ist es, um das wir dich bitten. Das schenke uns, so genügt
uns. So wollen wir dann auch mit einstimmen in den Lobgesang deiner heiligen
Engel, heute hier auf Erden an deiner Krippe, einst aber droben im Himmel an
den Stufen deines Thrones von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Lukas
2,1-14: Es begab sich aber zu
der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt
würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da
Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe,
ein. jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus
der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids die da heißt
Bethlehem, darum dass er von dem Haus und Geschlecht Davids war, auf dass er
sich schätzen ließe mit Maria, seiner vertrauten Frau, die war schwanger. Und
als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar
ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe;
denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in
derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre
Herde. und siehe des HERRN Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des HERRN
leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen:
Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk
widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist
Christus, der HERR, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet
finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald
war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und
sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein
Wohlgefallen!
In dem neugeborenen Heiland, herzlich
geliebte Zuhörer!
Gibt es je eine Zeit, in welcher es ganz
unnötig, ja töricht zu sein scheint, innerhalb der christlichen Welt noch zur
Freude aufzumuntern, so ist das ohne Zweifel in der fröhlichen Christfestzeit
der Fall. Wer freut sich da nicht schon? Da sehen wir alle Kirchen gefüllt mit
ganzen großen Scharen festlich geschmückter Zuhörer, welche alle mit fröhlichen
Mienen und mit lauter Stimme ein Freudenlieb nach dem anderen anstimmen und den
Jubelgesängen ihrer Sängerchöre mit gleicher Freude lauschen. Da sehen wir,
dass alle Wohnungen, die der Armen wie die der Reichen, zu lauter Wohnungen der
Freude geworden sind. Selbst manche, welche sonst nichts von Christus wissen
wollen, sprechen am Christfest zu ihren Kindern von dem lieblichen
Christkindlein, das ihnen heute so viele schöne Sachen vom Himmel herabgebracht
habe. So scheint es denn, als ob wirklich die Weissagung des Propheten Jesaja
von der Freude am Tag der Geburt Christi an der ganzen christlichen Welt sich
auch heute wieder auf das herrlichste erfüllte, die Weissagung nämlich: „Vor
dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte; wie man fröhlich
ist, wenn man Beute austeilt.“
Wohl ist es auch wahr, meine Lieben, Ursache
sich zu freuen hat ja freilich heute jeder Mensch. Der Geburtstag Christi ist
wirklich der große Freudentag der Menschheit, der ganzen Welt; er ist’s für die
Kleinen wie für die Großen, für die Armen wie für die Reichen, für die Knechte
wie für die Herren, für die Gefangenen wie für die Freien, für die Kranken wie
für die Gesunden, für die Unglücklichen wie für die Glücklichen, für die
größten Sünder wie für die größten Heiligen, ja, für die Ungläubigen wie für
die Gläubigen. Denn so ruft ja der von Gott selbst aus dem Himmel auf die Erde
gesandte erste Christfestprediger aus: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich
verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll“,
worauf die Menge der himmlischen Heerscharen in vollem Chor singt: „Ehre sei
Gott in der Höhe und Friede auf Erden, und den Menschen ein
Wohlgefallen.“ Seht da, meine teuren Zuhörer, die Aufforderung zur Freude
ergeht also heute an „alles Volk“, ja, an alles, was nur „Mensch“
heißt, also auch an einen jeden unter uns, an mich und dich; keiner, auch nicht
einer von uns ist hier ausgenommen. Einem jeden unter uns ruft Gott
heute selbst durch seinen himmlischen Herold zu: Freue dich, o Mensch, freue
dich! –
Doch, meine Lieben, nicht jede Freude am
Christfest ist darum auch eine Christfestfreude. Damit ihr euch
nun heute nicht nur freut, sondern auch recht freut, so lasst mich euch in
dieser Stunde vorstellen:
Die wahre
Christfestfreude
Ich zeuge euch hierbei dreierlei:
1.
Worin die wahre Christfestfreude
bestehe,
2.
Wie sie in das Herz eines Menschen
komme, und endlich
3.
Wie wichtig es sei, dass jeder
Mensch, also auch wir, alle diese Freude in unserem Herzen erfahren.
1.
Wollt ihr, meine Lieben, wissen, ob eure
Freude am Christfest die wahre Christfestfreude sei, so kommt bei dieser Frage
alles darauf an, erstlich, was der Gegenstand und zum anderen, welches
die Art eurer Freude sei, oder mit anderen Worten, erstlich worüber
und zum anderen, wie ihr euch freut.
Ist nämlich erstlich der Gegenstand
eurer Freude hauptsächlich dies, dass ihr euch in diesen Tagen an einer mehr
als sonst reich besetzten Tafel leiblich ergötzen könnt, oder dass ihre euren
Kindern allerlei Schönes beschert und dieselben darum fröhlich jubelnd um euch
her springen und singen, oder dass ihre euren Freunden Weihnachtsgeschenke
austeilt und solche wieder von ihnen empfangt, oder dass ihr euch von lauter
Menschen mit fröhlichen Mienen und Gebärden umgeben seht und mit ihnen
fröhliche Gespräche halten könnt, oder dass ihr in diesen Tagen lauter
fröhliche Predigten hört und lauter fröhliche Lieder singt: Mögt ihr euch über
dies alles noch so sehr am Christfest freuen, eine wirklich, die wahre
Christfestfreude ist das noch nicht. Warum nicht? – Weil sie erstlich nicht den
rechten Gegenstand hat.
Worin dieser bestehe, das hat schon der
erste Weihnachtsprediger klar und deutlich gesagt. Nachdem nämlich der Engel
des HERRN den Hirten zugerufen hatte: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich
verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, da setzte
er sogleich hinzu: „Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist
Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ Seht da, der Gegenstand
der wahren Christfestfreude ist also kein anderer als dieser, dass uns heute „der
Heiland“ geboren worden ist, der zugleich Gott „der HERR“ vom Himmel
selbst ist.
Wer es sich also zu Weihnachten nicht nur
gern vorpredigen lässt, sondern sich auch vor allem darüber freut,
dass Gott uns von ihm abgefallene Menschen nicht, wie er ja hätte tun können,
verstoßen, sondern sich unser erbarmt und uns einen Heiland, einen Erretter,
einen Erlöser, einen Seligmacher gesendet und gegeben hat; wer sich zu
Weihnachten vor allem darüber freut, dass Gott aus unbegreiflicher heißer Liebe
zu uns armen Sündern sogar seinen eingeborenen Sohn selbst ein Menschenkind hat
werden lassen, damit er die Menschenkinder weder zu seinen lieben Gotteskindern
mache; wer sich zu Weihnachten vor allem darüber freut, dass der ewige Sohn
Gottes selbst, um uns aus der Tiefe unseres Sündenelendes zu erretten, sich so
tief herabgelassen hat, dass er sich von einem armen Mägdlein in einem
finsteren schmutzigen Stall mitten unter den Tieren hat geboren werden lassen,
in armselige Windeln wickeln und, anstatt auf ein sanftes Ruhebettlein, in
einer harten Krippe auf Heu und Stroh legen lassen; wer sich zu Weinachten vor
allem darüber freut, dass die heiligen Engel, welche einst den gefallenen
Menschen den Eingang zum irdischen Paradies verwehrten, nun, nachdem Gottes
Sohn ein Mensch geworden ist, wider der Menschen Freunde geworden sind und
ihnen daher zuerst die Freudenbotschaft von der Geburt ihres Heilandes gebracht
haben; wer sich zu Weinachten vor allem darüber freut, dass die himmlischen
Heerscharen Christi Geburt mit den Worten besungen haben: „Ehre sei Gott in
der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“, dass also
durch Christi Geburt Gott die ihm von uns Menschen geraubte Ehre, die Erde den
verlorenen Frieden mit dem Himmel und die Menschen das verscherzte Wohlgefallen
Gottes wieder erlangt haben; wer zu Weihnachten sich vor allem darüber freut,
dass Satan, welcher die Menschen von Gott auf ewig los machen und sie mit sich
in die Hölle ziehen wollte, nicht gewonnen, sondern verspielt hat und durch die
Menschwerdung des Sohnes Gottes für immer besiegt ist; wer zu Weihnachten sich
vor allem darüber freut, dass durch Christi Geburt alles, was der Mensch böse
gemacht, wieder gut gemacht worden, aller Menschen Sündenschuld getilgt, allen
Menschen eine vor Gott gültige Gerechtigkeit wieder erworben, allen Menschen
die Seligkeit wieder teuer erkauft und allen Menschen der Himmel wieder
aufgetan worden ist: Wer, sage ich, zu Weihnachten sich vor allem über dies
alles freut, dessen Freude hat den rechten Gegenstand, dessen Freude am
Weihnachtsfest ist daher auch die wahre Weihnachtsfreude.
Vielleicht wird aber nun mancher unter euch
sagen: Wohl ist es, Gott weiß es, wirklich das Christkindlein selbst, worüber
ich mich in dieser Christfestzeit vor allem freue; aber ach! meiner Freude
fehlt die rechte Art; denn wenn ich bedenke, wie groß die Liebe Gottes
ist, die sich in Christi Geburt offenbart hat, und wie unwürdig gerade ich
dieser Liebe bin, so muss ich mich schämen, dass ich mich noch so wenig darüber
freue. Ach, meine Augen sollten heute von heißen Freudentränen überfließen,
mein Herz sollte vor lauter Freude wallen wie ein Meer, mein Mund sollte
überströmen von Lob und Preis Gottes, meine Füße sollten vor großer Freude
hüpfen und springen wie Davids Füße vor der Bundeslade; aber meine Freude über
das Christkindlein ist leider nur wie ein unter der Asche von allerlei Sorgen
und Zweifeln glimmerndes Fünklein. – O meine teuren Brüder und Schwestern, die
ihr so klagt, seid nur getrost! Wohl ist es etwas Köstliches, wenn ein Christ
am Christfest so recht mit Maria jubeln kann: „Meine Seele erhebt den HERRN,
und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.“ Wohl ist es etwas
Köstliches, wenn ein Christ am Christfest mit Paulus sagen kann: „Ich bin
überschwänglich in Freuden.“ Allein, solche Freude gibt Gott nicht immer. Darin
besteht darum auch die rechte Art der wahren Christfestfreude nur
selten. Zwar haben allerdings die reinen Engel sich so gefreut; aber von
einer solchen überschwänglichen Weihnachtsfreude der Menschen am
Tag der Geburt des Heilandes lesen wir nichts. Das Einzige, was uns von den
bethlehemitischen Hirten erzählt wird ist, dass sie nach gehörter Engelspredigt
„eilend“ nach Bethlehem gingen, dass also ihre Freude nichts anderes als
das Christkindlein zum Gegenstand hatte,
und dass und nicht anderes der Magnet war, der sie mit süßer Gewalt nach
Bethlehem zog. Siehe darum, mein lieber Zuhörer, wen auch deine Freude etwa nur
darin besteht, dass auch du nach gehörter Christfestpredigt mit deinem Herzen
nach Bethlehem eilst, wenn auch du dich an dem Christkindlein nicht satt sehen
und über die in ihm offenbarte Liebe Gottes dich nicht genug verwundern kannst,
und wenn daher der finstere Stall, in welchem die menschgewordene Liebe Gottes
liegt, dir herrlicher und kostbarer erscheint und dir viel tausendmal lieber
ist als alle Prachtpaläste der Reichen dieser Welt: Dann ist das Tröpflein
deiner Freude die wahre Christfestfreude
und vor Gott schon ein mächtiger Strom, der endlich hineinfließen wird
in das unermessliche Meer der Freude des ewigen Lebens.
2.
Doch, meine Lieben, es entsteht nun die
wichtige Frage: Wie kommt eine solche Freude in eines Menschen Herz? Dies sei
daher auch nun das zweite, was ich euch durch Gottes Gnade zeigen will.
Wie die wahre Christfestfreude in das Herz
eines Menschen komme, das können wir ohne Zweifel wieder am besten und
sichersten an den bethlehemitischen Hirten lernen, welchen die Geburt Christi
einst unter allen Menschen zuerst verkündigt wurde. Was ist nun aber das Erste,
was uns von ihnen in unserem Evangelium erzählt wird? Es heißt da von ihnen,
als ihnen der himmlische Christfestprediger, mit des HERRN Klarheit umleuchtet,
erschien: „Und sie fürchteten sich sehr.“ Wie merkwürdig! Weit entfernt
also, das sie gedacht haben sollten, der Engel werde ihnen eine
Freudenbotschaft bringen, so meinten sie vielmehr, dass er gekommen sei, sie zu
schrecken. Ach, haben sie ohne Zweifel gedacht, das ist ein heiliger Engel, und
wir sind Sünder! Das ist ein Bote des großen Gottes, wir aber haben seine
heiligen Gebote, ach! so vielfach und noch heute übertreten und ihn daher ach!
so oft beleidigt und erzürnt! Wehe uns! Wehe uns! Wohin sollen wir fliehen, um
uns vor ihm zu verbergen? – Doch was geschieht? – Der Engel tut seinen Mund
auf, und siehe! Nicht schreckende, sondern die allerholdseligsten Worte gehen
über seine Lippen. Er spricht: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige
euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der
Heiland geboren, welcher ist Christus der HERR, in der Stadt Davids. Und das
habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer
Krippe liegen.“ Mit sprachloser Verwunderung hören das die lieben Hirten
an. Das Wort „euch, euch ist heute der Heiland geboren“ dringt wie
erquickender Himmelstau in ihre von Furcht erfüllten Seelen; dieses Wort
erleuchtet ihren Verstand, bewegt ihren Willen und erzeugt selbst in ihren
Herzen den Glauben daran; und siehe! Alle ihre Furcht ist plötzlich aus ihren
Seelen verschwunden, und Freude, große, unaussprechliche Freude zieht nun in
ihre Herzen ein.
Seht da, meine Lieben, das, das ist die Art
und Weise und keine andere, wie die wahre Weihnachtsfreude in eines Menschen
Herz kommt. Dieselbe entsteht nicht dadurch, dass sich ein Mensch am Christfest
selbst in eine fröhliche Stimmung zu versetzen sucht. Im Gegenteil: Wie man ein
schon mit Wasser angefülltes Gefäß nicht auch noch mit köstlichem Wein anfüllen
kann, so kann auch in einem mit selbstgemachter Freude erfüllten Herzen die
wahre Weihnachtsfreude keinen Raum finden. Der stets Vorläufer derselben ist
vielmehr bei jedem Menschen, wie einst bei den Hirten, die Furcht,
nämlich die Furcht vor Gottes Ungnade um seiner Sünden willen. Hört dann aber
ein solches furchtsames, verlegenes Herz die Weihnachtsbotschaft: „Fürchte dich
nicht, denn dir, ja, auch dir ist heute der Heiland geboren“, welch einen
Eindruck macht dies dann auf dasselbe! Dann kann ein solches Herz nicht anders,
es glaubt dieser Botschaft und mit diesem Glauben dringt dann die wahre
Weihnachtsfreude, wie eine Hochflut, mit Macht in dasselbe ein.
Wohl darum euch die ihr vielleicht heute
Morgen an diesem größten Freudenfest der Christenheit mit schwerem Herzen von
eurem Lager aufgestanden und daher auch vielleicht mit schwachem Herzen in
dieses unser Christfest-Kirchlein gekommen seid, ja, wohl euch, sage ich. Denn
meint nicht, dass euch darum von Gott ein freudenloses, trauriges Christfest
beschieden sei. Nein, tut nur das Eine: Hört aufmerksam auf die
Weihnachtsbotschaft: „Euch, auch euch ist heute der Heiland geboren“, so
wird das selbst den Glauben daran in euren Herzen anzünden, es leicht machen,
alle Furcht daraus vertreiben und mit Freude über Freude erfüllen. Ihr aber,
die ihr schon diesen Morgen mit Freude über den neugeborenen Heiland erwacht
und darum auch schon mit Freude hier versammelt seid, o, dankt nicht nur Gott
für diese große Gnade, sondern hört auch nur umso begieriger auf das Wörtlein „euch“,
„euch“, und verwandelt es in „mir“, „mir“; so wird die geheime Glut
eurer heutigen Christfestfreude zur hellen Flamme werden. O selig, selig seid
ihr, die ihr heute so Weihnachten feiert!
3.
Doch wie? meine Lieben, ist es denn auch
wirklich so wichtig, dass jeder Mensch, also auch wir alle die wahre
Weihnachtsfreude in unserem Herzen erfahren? Ja, wahrlich, meine Lieben. Und
das ist’s denn, worüber ihr mich endlich noch drittens einige Worte hinzusetzen
lassen wollt.
Mein Hauptgrund für die Wichtigkeit der
Weihnachtsfreude ist dieser, weil überhaupt nicht Traurigkeit, sondern Freude
das letzte allen Menschen von Gott für Zeit und Ewigkeit gesteckte Ziel ist.
Zwar ist die Erde jetzt kein Freuden-, sondern ein Jammertal. Aber nicht darum,
weil Gott, sondern weil der Mensch selbst sich durch seine Sünde die schöne
Erde zu einem Trauerort gemacht hat. Wäre der Mensch nicht von Gott abgefallen,
so würde daher auch die Erde für ihn nur ein Freudenort gewesen und
geblieben sein, aus welchem er nach kurzer Prüfung in den Ort vollkommener
Freude, in den Himmel, übergegangen wäre. Denn geschaffen ist der Mensch von
Gott nicht zur Traurigkeit, sondern zu zeitlicher und ewiger Freude. Und wie
der selige Gott, dieser ewig überfließende Brunnen aller Freude, die Menschen
allein zu zeitlicher und ewiger Freude geschaffen hat, so hat auch der
Sohn Gottes die Menschen allein zur Wiedererlangung dieser zeitlichen und
ewigen Freude erlöst. Daher denn auch der erste Bote, welcher von Gott
gesandt war, den Menschen die Geburt ihres Erlösers zu verkündigen, ihnen dabei
zurufen musste: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude.“
Der Zweck des Christfestes ist nicht dieser, dass wir nur nicht vergessen, dass
Christus geboren sei, sondern vor allem dieser, dass wir Christen zur Freude
über das Christkindlein erweckt werden. Wer daher das Christfest gefeiert hat,
ohne an demselben zur Freude über das Christkindlein erweckt worden zu sein,
der hat das Christfest vergeblich gefeiert.
Auf denn, meine Lieben, auf, freut euch! –
Oder warum wolltet ihr euch denn nicht freuen? – Etwa darum nicht, weil ihr
Sünder seid? O ihr Toren! Eben darum sollt ihr euch freuen; denn allein
um der Sünder willen ist ja Christus einst in Bethlehem geboren worden. Wären
die Menschen in der ihnen anerschaffenen Unschuld geblieben und keine Sünder
geworden, so wäre auch Gottes Sohn nicht vom Himmel gekommen. Gerade weil
ihr Sünder seid, habt ihr auch Ursache, euch zu freuen. – oder denkt und
sprecht ihr etwa, dass ihr euch darum nicht über das Christkindlein freuen
könnt, weil ihr von der Not dieses Lebens niedergedrückt seid? O ihr Toren!
Eben darum solltet ihr euch freuen, damit ihr sagen könnt: Wohl hat die
Welt für mich keine Freude, aber wohl mir, im Christkindlein habe ich eine
Freude, die mir alles ersetzt, was mir fehlt, so dass ich in aller meiner Not
mit jenem gläubigen Dichter sprechen kann:
Warum sollt ich
mich denn grämen?
Hab ich doch
Christus noch.
Wer will mir den
nehmen?
Wer will mir den
Himmel rauben,
Den mir schon
Gottes Sohn
Beigelegt im
Glauben? –
Oder wollt ihr
endlich etwa darum nichts von der Freude über den Heiland wissen, weil euer
Herz an den Freuden dieser Welt hängt? Die ihr vielleicht in diesem Augenblick
die Predigt nur mit halbem Herzen hört, weil ihr – ich meine besonders euch,
ihr jungen Männer und Frauen, – jetzt an die Weltfreuden denkt, denen ihr euch
in diesen Tagen hingeben wollt? O ihr Toren! Die Freuden dieser Welt sind
eitel, in Not und Tod verschwinden sie wie bunte Traumbilder und verwandeln
sich endlich in ewiges Herzeleid; aber die Freude über den Heiland bleibt auch
in Not und Tod, zeigt gerade da ihre selige Kraft und verwandelt sich endlich
in ewige Seligkeit.
Wohlan, meine herzlich geliebten Zuhörer,
so nehmt denn in diesen Tagen das Freudenkindlein zu Bethlehem aus seiner
Krippe heraus, legt es im Geist auf die Arme eures Glaubens und drückt es an
euer Herz. Was gilt’s? – Es wird euch freundlich anlachen. O, lacht es nur dann
wieder an; das ist alles, was dieses Kind von euch begehrt. Dann wird eure
Weihnachtsfreude auch nicht mit den Weihnachtslichtern verlöschen, sondern in
euren Herzen fortleuchten und fortbrennen, euch begleiten durch euer ganzes
Leben, alle Bitterkeit desselben, ja selbst den bitteren Tod euch süß machen
und euch endlich dahin führen, wo Freude die Fülle und liebliches Wesen zur
Rechten Gottes sein wird immer und ewig. Amen.
HERR Jesus! Du eingeborener Sohn des
lebendigen Gottes, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom
wahrhaftigen Gott, du bist nicht nur um uns Menschen und um unserer Seligkeit
willen vom Himmel gekommen und ein Mensch geworden, gleichwie wir; sondern hast
auch, um deine vom Himmel gebrachte Seligkeit unter allen Menschen auszuteilen,
dies allen Menschen predigen lassen. Und schon haben auch wir in diesen Tagen
diese wunderbare, süße, selige Predigt vernommen. Für solche deine
unaussprechliche Liebe sei dir darum Lob, Preis und Dank gesagt heute und in
alle Ewigkeit. Aber, HERR Jesus, wir bitten dich auch, lass doch diese Predigt
auch an unser keinem vergeblich sein. Ach, du weißt ja, dass wir nicht
nur aus uns selbst keinen Rat wussten, wie wir selig werden könnten,
sondern dass wir, nachdem du für uns Rat geschaffen und uns denselben
offenbart hast, ihn nun auch nicht aus eigener Vernunft noch Kraft verstehen
und annehmen können. O, so öffne denn unser erblindetes Auge, dass wir die
Weisheit deines Rates zu unserer Seligkeit erkennen, und erfülle unser
erstorbenes und kraftloses Herz mit Leben und Kraft, dass wir diesem deinem Rat
auch folgen. Bewahre uns, dass wir nicht zu denen gehören, über die du klagst:
„Mit sehenden Augen sehen sie nicht und mit hörenden Ohren hören sie nicht.“
Behüte uns aber auch davor, dass wir uns nicht schon damit genügen lassen, die
Predigt von deiner wunderbaren und gnadenreichen Geburt nur etwa mit einer
vorübergehenden freudigen Verwunderung gehört zu haben; sondern hilf, o hilf,
HERR Jesus, dass, was uns in diesen Tagen gepredigt wird, wie Licht und Feuer
vom Himmel tief in unser Herz falle und das Licht des wahren Glaubens und das
Feuer brünstiger Liebe darin anzünde. Ach ja, ist es gestern in unseren Seelen
noch finster, öd und tot geblieben, so lass es heute endlich noch Weihnachten
werden, Weihnachten voll Licht, Leben und Freude. Amen! Amen!
Lukas
2,15-20: Und da die Engel von
ihnen zum Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen
nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR
kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Joseph, dazu
das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das
Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt war. Und alle, vor die es
kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber
behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten
kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, was sie gehört und gesehen
hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.
Von Gott hochgeehrte und hochgeliebte
Zuhörer!
Was für eine Predigt ist gestern an unser
Ohr gedrungen! – Ach, welch eine Predigt! – Wahrlich, wenn wir heute wieder
daran denken, so müssen wir, was Christus einst seinen Jüngern zurief, heute
auch uns zurufen: „Selig sind die Ohren, die da hören, das wir gehört haben.
Denn wahrlich, viele Propheten und Könige wollten hören, was wir gehört haben,
und haben es nicht gehört.“ Denn was war es, was gestern in unser Ohr scholl? –
Es war eine Predigt nicht aus Menschen-, sondern aus Engelsmund. Und ihr Inhalt?
– Ein Wunder über alle Wunder und eine Freude über alle Freude. Denn wie
lautete des Engels Predigt? Sie lautete so: Gott der HERR selbst, der ewige,
allmächtige Schöpfer Himmels und der Erde, ist vom Himmel zu euch herab
gekommen, hat eure Natur an sich genommen, ist ein Mensch geworden, ein Mensch
wie ihr. O des Wunders über alle Wunder! Welches Wunder lässt sich mit diesem
vergleichen? Was ist selbst das Wunde der Schöpfung des Weltalls aus Nichts
gegen das Wunder, dass der unermessliche Schöpfer dieses Weltalls ein Mensch wird?
– Aber noch mehr: Nach der gestern unter uns erschollenen Engelspredigt ist
Gott nicht nur ein Mensch geworden, sondern eben dadurch auch unser Heiland
geworden. Was heißt das aber? – O Freude über alle Freude! Das heißt: Gott
selbst ist durch seine Menschwerdung aller Menschen vollkommener Erlöser
geworden aus allem ihrem zeitlichen und ewigen Wehe, aller Menschen
Gerechtigkeit wider ihre Sünde, aller Menschen Leben wider ihren Tod, aller
Menschen Heil und Seligkeit wider ihre Verdammnis.
Wie nun, meine Zuhörer? Gehört habt ihr sie
ja gestern alle, diese himmlische Wunder- und Freudenpredigt; habt ihr sie aber
auch bereits zu eurem Heil gehört? Hat sie auch ihren Endzweck an
euch erreicht? – Ach, eine solche Predigt vergeblich hören ist etwas
Schreckliches. Da hatte Gott mächtig, mit aller Gewalt seiner Liebe an das Herz
geklopft, aber man hat ihm nicht aufgetan; da hatte Gott in freier Gnade den
Himmel weit, weit geöffnet, aber man ist durch das weit geöffnete Gnadentor
nicht eingegangen.
Doch, meine Zuhörer, wie immer ihr euch
auch gegen die gestern gehörte himmlische Weihnachtspredigt verhalten haben
mögt, und wenn ihr dieselbe im Rausch der irdischen Weihnachtsfreude ganz
überhört hättet bis zu dieser Stunde: Noch ist die Christfestzeit nicht
verflossen, noch fließt ihr Gnadenstrom in unverminderter Stärke, noch sind
einige kostbare Stunden dieser gnadenvollen Zeit uns übrig, – o, lasst nur
nicht auch sie noch verrinnen, ohne dass ihr den Weihnachtssegen erlangt
hättet!
Wohlan, das gestrige Evangelium enthielt
die himmlische Christfestpredigt selbst; in dem heutigen Evangelium
werden uns nun in den Hirten von Bethlehem die ersten rechten Zuhörer
dieser Predigt vor die Augen gestellt. An ihrem Beispiel lasst mich daher auch
heute zeigen:
Was sollen Zuhörer
tun, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben,
sondern den vollen Segen derselben erlangen?
Ich antworte: Sie
sollen nach dem Beispiel der bethlehemitischen Hirten
1.
Dieselbe vor allem im Glauben
annehmen, aber
2.
Dieselbe in ihrem Herzen [Frieden
und Freude vertiefen][4],
und endlich
3.
Durch dieselbe nun auch selbst
lebendige Weihnachtsprediger zu werden anfangen
1.
Hätte es, meine Lieben, uns Gott zwar
predigen lassen, dass er selbst ein Mensch und dadurch unser Heiland geworden
sei, hätte er uns aber nicht auch offenbart, was wir tun müssten, damit uns
jene größte Tat seiner Liebe nicht vergeblich gepredigt werde, so müssten wir
uns nur verwundern über das Weihnachtsgeheimnis; aber zu einer wahren
Weihnachtsfreude könnten wir dann nicht kommen. Denn dann würden und müssten
wir denken: Je größer die Gabe sei, die uns Gott anbiete, etwas umso Größeres
und Schwereres werde gewiss auch das sein, was Gott von uns fordere. Aber
siehe, in seiner großen Liebe zu uns hat es uns Gott nicht nur gesagt,
was wir zu tun haben, sondern uns sogar lebendige Beispiele vor unsere Augen
gestellt, an denen wir dies, so zu sagen, mit Augen sehen können;
nämlich die lieben bethlehemitischen Hirten in unserem heutigen
Weihnachtsevangelium.
Was ist nun aber das Erste, was wir an
ihnen erblicken? Es ist nichts anderes als ein fester, unzweifelhafter
kindlicher Glaube an das, was ihnen gepredigt worden war. Wie sprechen
sie nämlich, nachdem der Engel des HERRN seine Weihnachtspredigt vollendet
hatte, die himmlischen Heerscharen ihr Jubellied ausgesungen hatten und endlich
alle diese himmlischen Weihnachtsgäste wieder zum Himmel gefahren waren? Sie
sprachen nach unserem Text: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die
Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat.“
Seht, sie sagen nicht zweifelnd und ungewiss: „Lasst uns die Geschichte
sehen“, die da geschehen sein soll, sondern: „Die da geschehen ist“;
sie sind also in ihrem Herzen ganz gewiss, dass das geschehen sei, was der
Engel ihnen gepredigt hatte. Sie sagen daher auch ferner von der ihnen
gepredigten Geschichte nicht: Die uns der Engel kundgetan hat, sondern: „Die
uns der HERR kundgetan hat“; sie achten also die Predigt des Engels nicht
für bloßes Engelswort, viel weniger für Menschenwort, sondern für des „HERRN“
Wort, also für das ewige, wahrhaftige, untrügliche Gotteswort, und den Engel
nur für Gottes Botschafter und Diener. Und noch mehr: Die Hirten sagen auch
nicht: Die der HERR den Menschen oder der Welt kundgetan hat;
sondern, das Wörtlein „Euch“, welches der Engel gebraucht hatte, in das
Wörtlein „Uns“ umwandelnd, sprechen sie wie triumphierend: „Die der
HERR uns, uns kundgetan hat“, und eignen sich so die ganze
wunderbare Freudenbotschaft, die sie gehört hatten, selbst zu und wollen also
damit sagen: O wir seligen Leute! Denn „uns“, „uns“ ist die große Freude
verkündigt, dass „uns“, „uns“ heute der Heiland geboren ist. – O welch
ein herrlicher Glaube! –
Oder hätten sie etwa, wenn sie ihrer
Vernunfthätten folgen wollen, keine Ursache gehabt zu zweifeln? Ja, wahrlich,
Ursache genug! Sehen wir doch auch aus den Schlüssen, die sie machten, dass
sie, obgleich nicht gebildete Leute, doch zum Zweifel klug genug waren. Nach
ihrer Vernunft hätten sie erstlich denken können, als die himmlische Klarheit
verschwand und es wieder plötzlich finstere Nacht um sie her wurde: Ach, was
wir eben zu hören und zu sehen gemeint haben, ist wohl nur ein liebliches
Phantasiespiel oder ein süßer kurzer Traum gewesen, aus welchem wir nun wieder
erwacht sind. nach ihrer Vernunft hätten sie auch denken können: Wie wäre es
möglich, dass eine solche herrliche himmlische Erscheinung, wenn sie keine
Täuschung wäre, nicht vielleicht den Hohen, den Reichen, den Weisen und Klugen,
den Priestern und Hohenpriestern zu Jerusalem, oder dem König und seinen
Gewaltigen, als gerade uns armen, einfältigen, verachteten Hirten zu Bethlehem
geschehen sein sollte? Wie wäre es auch möglich, dass eine so hohe Gnade und
Ehre nicht vielmehr etwa einem heiligen Propheten als gerade uns armen, großen,
unwürdigen Sündern widerfahren sein sollte, die wir im Gefühl unserer
Sündhaftigkeit schon beim Anblick eines Engels erschrecken? Nach ihrer Vernunft
hätten die Hirten aber endlich auch denken können: Wie! Ein in elende Windeln
gewickeltes, in einer Krippe, also in einem Stall liegendes Kindlein soll der
geweissagte Messias und König Israels, ja, soll Gott der HERR selbst und unser
und aller Welt Heiland sein!? – Ja, so hätten die lieben Hirten denken und
sprechen müssen, wären sie hier nach ihrer Vernunft vorgegangen. Aber was tun
sie? Sie geben keinem Zweifel Raum: Sie glauben. Ist das nicht
wunderbar? Worin liegt der Grund dieses Geheimnisses? Darin, meine Lieben:
Während die Klarheit des HERRN, von welcher der Engel umflossen war, sie nur
erschreckt und ihr Auge geblendet, und während die überirdischen Melodien der
himmlischen Heerscharen nur ihr Ohr ergötzt hatten, so war hingegen das Wort
der Engelpredigt mit so süßer Gottesgewalt in ihr Herz gedrungen, dass keine
Vernunftanstöße in ihrer Seele aufkommen konnten, sondern ein durch nichts
auszulöschender Glaube wie ein in ihrer Seele angezündetes Himmelslicht in
ihnen zu leuchten begann.
Seht da, meine Lieben, das Erste, was
Zuhörer tun müssen, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht
vergeblich gehört haben! Nicht eigene Gerechtigkeit und Heiligkeit ist also das
Nötige, nicht irgendein eigenes Verdienst oder eine eigene Würdigkeit, nicht
große schwere Werke, ja, gar kein Werk, sei es groß oder klein, sei es leicht
oder schwer, sondern allein – Glaube.
O, beraubt euch denn, meine Lieben, nicht
selbst durch Unglauben des Christfestsegens, den Gott einem jeden auch unter
uns zugedacht hat. O, lasst es doch darum nicht dabei bewenden, dass ihr die
trostvollen Weihnachtspredigten nur fleißig gehört habt oder dass ihr doch
durch dieselben mit einer freudigen Verwunderung erfüllt worden seid; denn auch
von den ungläubigen Einwohnern Bethlehems heißt es in unserem Text
ausdrücklich: „Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen
die Hirten gesagt hatten.“ Nein, folgt dem Beispiel der Hirten. Glaubt mit
ihnen: Was einst der Engel des HERRN predigte, ist gewiss und wahrhaftig
geschehen. Glaubt mit ihnen: Der HERR selbst ist es, der das Wunder über alle
Wunder durch den Engel kundgetan hat. Wohl könnt ihr diesen Glauben euch nicht
selbst geben; das kann Gott allein tun, aber er will es tun, und ihr, ach, ihr
könnt es hindern. O, so folgt denn auch darin den lieben Hirten, dass ihr nicht
auf die Stimme eurer Vernunft, sondern allein auf das Wort der
Weihnachtspredigt hört, so wird dieses Wort mit göttlicher Gewalt auch in euer
Herz dringen und ohne alles euer Zutun das Himmelslicht eines durch keine Welt
auszulöschenden Glaubens auch in euch anzünden, so dass auch ihr endlich mit
den Hirten jubilieren könnt: O wir seligen Meschen! O der großen Freude! Auch
uns, auch uns ist heute der Heiland geboren! Halleluja heute hier in der Zeit,
Halleluja einst dort in alle Ewigkeit!
2.
Doch, meine Lieben, aus dem Beispiel der
lieben Hirten von Bethlehem ersehen wir, dass diejenigen Zuhörer, welche die
gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben, sondern den vollen
Segen derselben erlangen wollen, dieselbe auch an ihrem Herzen zu erfahren
suchen müssen. Davon lasst mich daher nun zweitens zu euch sprechen.
Warum gingen wohl die Hirten nach
Bethlehem? Offenbar nicht darum, weil sie erst sehen und dann glauben wollten;
sie glaubten ja offenbar schon, ehe sie sahen; sie sprechen ja, wie wir gehört
haben, ausdrücklich: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte
sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat.“ Sie
sagen also nicht: Lasst uns gehen, um uns nun auch von der Wahrheit dessen, was
wir gehört haben, zu überzeugen; lasst uns sehen, ob die Geschichte
geschehen sei; nein, im festen Glauben sprechen sie: „Die da geschehen ist.“
Die Hirten sind aber auch nicht darum nach Bethlehem gegangen, weil es ihnen
etwa streng geboten gewesen wäre. Denn obwohl es der Engel des HERRN allerdings
vorausgesetzt hatte, dass sie das tun würden, indem er sprach: „Ihr werdet
finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“, so hatte er
doch, dass sie das tun sollten, ihnen mit keinem Wort geboten. Sie
gingen also ganz freiwillig und ungezwungen, und zwar mit brennendem Verlangen
und wallender Herzensfreude; denn es heißt in unserem Text: „Und sie kamen
eilend.“ Sie gingen also in dunkler Nacht über Berg und Tal, wie im
Wettlauf: keiner wollte zurückbleiben, keiner auch nur der Letzte, vielmehr
jeder der Erste sein. Warum aber? Das sagt unser Text, wenn es darin heißt: „Da
sie es aber“, nämlich das Kindlein, „gesehen hatten, breiteten
sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt war, … und kehrten
wieder um.“ „Sehen“ wollten sie also das neugeborene Wunderkindlein,
an dessen gnaden- und freudenreiche Geburt sie schon glaubten, um sich an
seinem holdseligen Anblick zu weiden. Dies allein und nichts anderes hatte sie
getrieben, ihre Herden zu verlassen und nach der Stadt Davids zu eilen; denn
nachdem sie das Kindlein gesehen und ohne Zweifel mit unaussprechlicher Freude
betrachtet hatten, kehrten sie, im Glauben mächtig gestärkt, alsbald wieder um.
Seht da, meine Lieben, das ist also das
Zweite, was Zuhörer tun müssen, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt
nicht vergeblich gehört haben, sondern ihres vollen Segens teilhaftig werden.
Auch sie müssen nämlich dann nach Bethlehem gehen. – Nicht dass sie also etwa
auch, wie die Hirten, mit ihren Füßen an jene heilige Stelle wallfahrten
müssten. Ach nein! Das himmlische Kind liegt ja längst nicht mehr dort in der
Krippe im finsteren Stall, sondern thront vielmehr bereits zur Rechten der
göttlichen Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart und Majestät in der Höhe, auf
Gottes Stuhl. Nein, was ein rechter Zuhörer, nachdem er die Weihnachtspredigt
wie die Hirten im Glauben angenommen, dann zu tun hat, ist, dass er nun im Geist
nach Bethlehem eilt, das ist, dass er nun, was er glaubt, [nun ihm auch von
Gott bekräftigt und Frieden und Freude vertieft werden][5].
Es ist nämlich freilich falsch, wenn man
nicht eher glauben will, als bis man das zu Glaubende in seinem Herzen
erfahren, gefühlt und empfunden hat; denn das ist es ja, was Christus einst an
Thomas mit den Worten strafte: „Dieweil du mich gesehen hast, Thomas, so
glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Allein nicht
weniger falsch ist es, wenn manche meinen, und damit ihr totes Kopfchristentum
rechtfertigen wollen, ein wahrhaft Gläubiger sei ein Mensch, der über dem, was
er glaube, [nicht Frieden und Freude fühlen und empfinden dürfe][6]; das sei nur
Gefühlsschwärmerei. Das wahre Christentum soll also bloß eine Sache des
Verstandes sein. Aber so ist es nicht. Das Reich Gottes ist, wie die Schrift
sagt, wohl zuerst Gerechtigkeit, aber dann auch Friede und Freude im Heiligen
Geist. Wie daher einen wahrhaft Gläubigen hungert und dürstet nach
Gerechtigkeit, so hungert und dürstet ihn auch nach diesem süßen Frieden und
nach dieser seligen Freude; wie denn David im Gefühl seiner Sünde ausdrücklich
seufzt und fleht, nicht nur: „Gib mir einen neuen gewissen Geist“, sondern
auch: „Und der freudige Geist enthalte mich.“
Wer daher mit den Hirten von Bethlehem die
himmlische Weihnachtspredigt gehört und im Glauben angenommen hat, der kann es
dann auch nicht lassen, der muss dann auch ungeheißen nach Bethlehem eilen, um
das Kindlein Jesus, an das er bereits glaubt, auch im Geist zu sehen, sich an
seinem Anblick zu weiden, kurz, [durch Vertiefung in das Wort][7] zu sehen und zu schmecken,
wie freundlich der HERR ist. Fühlt er sich nämlich auch nach der
Weihnachtspredigt kalt, finster, hart, tot, und leer, so zweifelt er zwar darum
nicht daran, dass der Neugeborene auch sein Heiland und er sein Begnadigter
sei, er spricht: „Ich glaub‘, was Jesu Wort verspricht, ich fühl‘ es oder fühl‘
es nicht“; aber es tut ihm weh, dass sein Herz so kalt und empfindungslos ist.
Er lässt es daher nicht dabei bewenden, dass er von Christi Geburt in der
Kirche hat predigen hören, er sucht ihn nun auch, aus der Kirche zurückgekehrt,
in seinem Haus, und zwar im geschriebenen Wort Gottes, in freudigen Liedern und
andächtigen Betrachtungen, ob er sich von ihm auch fühlen und finden lasse
wolle; oder er sucht einen Joseph und eine Maria auf, die Jesus in ihrer Mitte
haben, und erquickt sich durch geistliche Gespräche mit ihnen; oder er wirft
sich endlich in seinem Kämmerlein auf seine Knie und fleht: „O Jesus, mein
Heiland, an den ich glaube, o komm doch auch in mein armes Herz!“ Und siehe!
Sein Gebet wird ihm dann zumeist, wiewohl nicht immer, nach seinem Wunsch auch
endlich erhört; sein Kämmerlein verwandelt sich in ein Bethlehem, sein Herz in
eine Krippe, in der Jesus liegt. Da feiert er denn so selige Stunden, dass ihn
däucht, er sei schon im Himmel; Stunden, gegen die er aller Welt Gut, Freude,
Ehre und Herrlichkeit für nichts achtet. [Gibt ihm aber Christus solche
Empfindungen nicht, so ist er doch zufrieden und hält sich an das Wort und
dankt über dem, was er im Wort liest und Gott ihm darin zugesagt hat.][8]
[Solche Zuhörer haben die Weihnachtspredigt
nicht vergeblich gehört.][9]
3.
Doch, meine Lieben, zum vollen Segen
derselben gehört noch eins, und das ist: Dass sie durch die Weihnachtspredigt
nun auch selbst lebendige Weihnachtsprediger zu werden anfangen. Darüber
lasst mich denn nun drittens nur noch einige wenige Worte hinzusetzen.
Kaum waren die Wechselgesänge der
Engelchöre verklungen, da öffneten nach unserem Text nun die Hirten ihren Mund,
die bisher nur sprachlos gehört und gestaunt hatten. Und wovon redeten sie nun?
Unterhielten sie sich etwa über den strahlenden Glanz des Erzengels, den sie
gesehen, oder über die himmlische Musik, die sie gehört hatten? Nein, die Predigt,
die sie gehört hatten, ist der Gegenstand ihrer Rede. Die hat ihr Herz so
gänzlich erfüllt, dass sie darüber selbst die gesehene und gehörte himmlische
Herrlichkeit ganz vergessen oder doch nicht groß achten. Der Engel schweigt, so
wird nun ein Hirte des anderen Weihnachtsprediger. Aufmunternd rufen sie
einander zu: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen,
die da geschehen ist.“
Nachdem sie aber hierauf alle wie im Flug
nach Bethlehem geeilt und daselbst angekommen sind, da ist zwar das Erste, was
sie hier tun, dass sie das in der Krippe liegende Himmelskind mit stummer
Freude beschauen; „da sie es aber gesehen hatten“, heißt es in unserem
Text, „breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt
war“. Die sonst so verlegenen und nicht redebegabten Hirten werden also nun
ganz Bethlehem und selbst Josephs und Marias Weihnachtsprediger, durch die das
ganze Städtlein eine mächtige Erweckung der Herzen erfährt; denn es heißt: „Und
alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt
hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“
Dass nun aber die Hirten nicht etwa in
geistlichem Stolz oder in schwärmerischem Sinn als Weihnachtsprediger unter
sich und gegen andere auftraten, dies sehen wir daraus, dass es am Schluss
heißt: „Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles,
das sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ Sie geben
also allein Gott alle Ehre, den loben und preisen sie, und sie achten sich nun
nicht etwa für zu hochbegnadigte Personen, um ferner Hirten zu bleiben; nein,
sie kehren zu ihrem irdischen Beruf zurück, um in demselben Christus nun auch
mit ihren Berufswerken in einem neuen Leben im Glauben zu predigen. –
Warum mag nun aber der Heilige Geist gerade
hiermit seine Beschreibung der ersten Zuhörer der ersten Weihnachtspredigt auf
Erden schließen? – Erstlich ohne Zweifel darum, damit wir Christen, die wir die
gnadenvolle Weihnachtspredigt auch gehört haben, darüber schamrot werden, wenn
wir nach derselben über das Gehörte darum stumm sind, weil entweder unser Herz
so leer geblieben ist, dass es freilich nicht überfließen kann, oder weil wir
uns schämen, den Heiland gegen andere, namentlich gegen Ungläubige über unsere
Lippen zu bringen. Zum anderen will aber der Heilige Geist uns ohne Zweifel
durch das Beispiel der Hirten anfeuern, dass wir nach gehörter
Weihnachtspredigt nun auch selbst lebendige eifrige Weihnachtsprediger werden
mit Worten und Werken.
O, so lasst uns denn, meine Teuren, unser
diesjähriges Christfest nicht schließen, ohne anzufangen, solche
Weihnachtsherolde zu werden. Nachdem die einfältigen Hirten darin vorangegangen
sind, kann nun kein Mensch sich damit ausreden, er sei zu einem
Weihnachtsprediger zu einfältig, er trage den Segen wohl im Herzen, aber
denselben in Worten auszudrücken, das sei nicht seine Gabe. Ach, wenn nur unser
Herz voll von Jesus ist, so wird auch unser Mund von ihm übergehen; ja, da
werden auch wir, wie die Hirten selbst den himmlischen Glanz und die himmlische
Musik über der Weihnachtspredigt vergaßen, über derselben noch vielmehr den
irdischen Festglanz vergessen. Dann werden in diesen heiligen Tagen die eitlen
Reden in unseren Häusern verstummen, und Vater und Mutter werden zu ihren
Kindern, der Gatte zu seiner Gattin, der Hausherr und die Hausfrau zu ihren
Angestellten, Brüder und Schwestern zu ihren Geschwistern, Freunde zu ihren
Freunden, Nachbarn zu ihren Nachbarn vor allem von dem reden, was ihnen in diesen
Tagen gepredigt worden ist. Dann werden wir aber, wie die Hirten, auch nach
dem Christfest lebendige Weihnachtsprediger bleiben, indem wir zu unserem
irdischen Beruf zurückkehren, und nun nicht allein mit Worten, sondern auch mit
den Werken eines neuen Lebens predigen und so unsere Häuser, Gast- und
Speisezimmer, Schlafkammern, Werkstätten und Geschäftsplätze zu lauter Kanzeln
unseres geistlichen Priestertums machen.
Nun denn, meine teuren Brüder und
Schwestern in dem HERRN, noch wenige Stunden – und unser schönes Christfest ist
wieder dahin, und Gott alleinweiß es, wer unter uns noch einmal ein Christfest
erleben wird; so rufe ich euch denn am Ausgang dieses zu:
Lobt ihn mit Herz
und Munde,
Welchs er uns
beides schenkt.
Das ist ein selge
Stunde,
Darin man sein
gedenkt.
Sonst verdirbt
alle Zeit,
Die wir zubringn
auf Erden;
Wir sollen selig
werden
Und bleibn in
Ewigkeit.
Amen.
In deinem Namen, o Jesus, fangen wir heute
wieder ein neues Jahr unserer irdischen Pilgerschaft an. In deinem Namen, o
Jesus! – Darum gedenken wir heute der tausendfältigen Wohltaten, welche du im
vergangenen Jahr uns aus laut er Gnade und Barmherzigkeit nach Seele und Leib
hast genießen lassen. Wer kann sie zählen, die Beweise deiner Liebe, die wir
Unwürdige erfahren haben! – Aus wie viel Nöten hast du uns errettet, in wie
viel Gefahren hast du uns geschützt, in wie viel Bedrängnissen uns geholfen,
bei welchem Mangel uns doch allezeit gespeist, getränkt, bekleidet, beherbergt,
aus wie viel Irrwegen uns zurückgeführt, wie viel Torheiten und Sünden an uns
mit Geduld und Langmut getragen! Wie gnädig hast du besonders deine Hand über
dieser teuren Gemeinde gehalten! Wie mächtig hast du den Ratschlag des Satans
zunichte gemacht, sie ins Verderben zu führen! Wie kräftig hast du dich dieser
teuer erkauften Seelen selbst angenommen! O Jesus, du hast uns wohl gezüchtigt
um unserer Sünde willen, aber deine Gnade hast du nicht von uns gewendet. Dafür
danken wir dir heute in diesen ersten Stunden des neu uns geschenkten Jahres
mit demütigem Herzen und geben deinem heiligen Namen dafür Lob, Preis, Macht
und Ehre.
Aber, o Jesus, wie du im alten Jahr mit uns
gewesen bist, so begleite uns nun mit deiner Gnade, Geduld und deinem Segen
auch in das neue. Lass vor allem keinen unter uns in Unbußfertigkeit in
dasselbe eintreten, und hilf, dass wir in dem neuen Jahr alle, alle ein neues
Leben anfangen und nun alle in wahrer Gottesfurcht, in Eifer, in Liebe und
Frieden gemeinschaftlich unverrückt dem Weg zum Himmel gehen. O lieber HERR,
wovor sollten wir uns dann fürchten? Durch deine Gnade werden wir dann in
unserer Schwachheit stark und durch deinen Segen in unserer Armut reich sein.
Mag unsere Zukunft dunkel und ratlos scheinen und kein Mensch uns helfen
wollen: Auf dich werfen wir alle unsere Sorgen, und da können wir ruhig sein;
du wirst uns leiten nach deinem Rat und alles herrlich hinausführen. Du wirst
zuschanden machen, die uns Übels gönnen, und zunichte machen die Weissagungen
derer, die uns Unglück verkündigen. Nun, HERR, wir trauen auf dich; lass uns
nimmermehr zuschanden werden. Amen. Amen.
Geliebte in dem HERRN Jesus!
Jesus soll aller unserer Dinge A und O,
Anfang und Ende sein. Auf seinen heiligen Namen sind wir getauft; wir sind
daher nicht mehr ein Eigentum unserer selbst, sondern Jesu Eigentum; ihm haben
wir uns in unserer Taufe mit allem, was wir sind und haben, denken, begehren,
reden und tun verschrieben und verlobt. In Jesu Namen sollen wir daher alles
anfangen, fortsetzen und vollenden. Wir sollen nicht nur nach dem Zeugnis des
Wortes Gottes in Jesu Namen beten, nicht nur in seinem Namen uns versammeln;
St. Paulus verlangt mehr; in diesem Namen schließt er alles ein; er spricht
Kol. 3,17: „Alles, was ihr tut, mit Worten oder mit Werken, das tut alles im
Namen des HERRN Jesus.“ Nichts ist also ausgenommen; in Jesu Namen sollen nicht
nur die Werke von uns getan werden, welche sich auf das ewige Leben beziehen,
sondern auch die, welche das gegenwärtige Leben angehen, nicht nur die Werke
unseres Christentums und der Gottseligkeit, sondern auch die unseres irdischen
Berufs, nicht nur die großen wichtigen, sondern auch die kleinsten und
geringsten.
Aber was heißt das: Wir sollen alles in
Jesu Namen tun? Das heißt: Wir sollen nichts tun nach eigenem Willen und
Gutdünken, sondern allein das, wovon wir gewiss wissen, Christus habe es uns
entweder befohlen oder doch vergönnt; es gefalle ihm daher wohl. Ferner heißt
dies so viel: Wir sollen nichts anfangen, nichts tun auf unsere eigene Kraft
und Weisheit, sondern in Demut, in Verzagen an uns selbst, im alleinigen
Vertrauen auf den Beistand und den Segen des HERRN. Denn gleichwie der Mund
spricht: „Das walte Gott“, so muss das Herz auch gewiss sein und mit festem
Glauben dafürhalten, dass Gott über dem Werk walte und das Gedeihen gebe; wie
St. Petrus spricht: „Wer etwas tut, der tue es aus dem Vermögen, das Gott
darreicht.“ Weiter heißt „in Jesu Namen alles tun“ so viel: Alle unsere Werke
nicht auf eigenen Nutzen oder Ruhm, sondern einzig auf Gottes Ehre und zu des
Nächsten Nutzen richten und selbst keine Ehre davon genießen wollen; wie St.
Paulus spricht: „Ihr esst nun oder trinkt oder was ihr tut, so tut alles zu
Gottes Ehre.“ Endlich heißt „in Jesu Namen alles tun“ auch: Alles unter
herzlicher, inbrünstiger und gläubiger Anrufung Christi, unter stetem Bitten
und Seufzen um seine Gnade alles vornehmen.
Wer also etwas tut, was ihm von Christus
nicht befohlen oder doch vergönnt ist oder im Vertrauen auf seine Kraft und
Klugheit, auch in irdischen Dingen; wie viel mehr in himmlischen! Oder wer
etwas tut zu seinem Nutzen und zu seiner Ehre und nicht einzig zu Gottes Ehre
und nicht in herzlicher Liebe zu seinem Nächsten, sondern in Hass, Bitterkeit
und Feindschaft oder endlich ohne Anrufung Christi, ohne in seiner Gnade zu
stehen und von seinem Geist getrieben zu werden: der tut alles in seinem
eigenen Namen; an dessen Werken ist nichts Gutes, Gott sieht sie nicht an, sie
sind ihm ein Greuel und er verwirft sie, hätten sie auch einen noch so guten
Schein und wären sie auch mit noch so großer Arbeit und Mühe verbunden. Was
aber auf Christi Geheiß, in demütigem Vertrauen auf seine Hilfe, mit
Verleugnung unserer selbst, zu Christi Ehre und unseres Nächsten Heil unter
herzlichem Seufzen und Flehen unternommen wird, das geschieht in Jesu Namen,
hat unter seinem Beistand guten Fortgang und gefällt Gott in Christus wohl, so
klein, gering und unansehnlich auch das Werk sein mag.
Welch eine große Aufgabe hat also der
Christ! Wer vieler Leben und Werke werden an diesem Probierstein zuschanden!
Wie wenige tun alles im Namen Jesu! Manchem wird das vielleicht unmöglich
schienen. Aber es ist wohl möglich; wer in Christi Gnade steht und Christus in
sich wohnen hat, seine Liebe, seine Demut, seine Sanftmut und den Trieb des
Heiligen Geistes, dem ist dies alles nicht so schwer, ja, nach seinem neuen
Menschen kann er dann gar nicht anders; er müsste erst Christi Gnade, Glauben
und gutes Gewissen wegwerfen, ehe er nicht alles im Namen Jesu tun sollte, und
übereilt ihn einmal eine Schwachheit kehrt er schnell weinend zu seinem Heiland
zurück, klopft wieder an seiner Gnadenpforte und ruht nicht, bis sein Gewissen
wieder gereinigt ist.
Sollen wir nun, liebe Freunde, alles im
Namen Jesu tun, wie sollen wir da wohl das neue Jahr anfangen? Auch nicht in
unserem, sondern in Jesu Namen. Darauf weist uns das heutige Evangelium.
Lukas 2,21: Und
da acht Tage um waren, dass das Kind beschnitten würde, da ward sein Name
genannt Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe denn er in Mutterleib
empfangen ward.
Das verlesene Evangelium ist ohne Zweifel
zuerst darum auf den heutigen Tag verlegt worden, weil Christus gerade heute,
nämlich acht Tage nach seiner Geburt, beschnitten worden ist. Aber da Christus
hierbei der Name Jesus das erste Mal öffentlich beigelegt worden ist, so sollen
wir unstreitig dadurch daran erinnert werden, dass ein christlicher Anfang des
neuen Jahres im Namen Jesu geschehen müsse. Damit beschäftige sich daher auch
jetzt unsere Andacht:
Wie wahre Christen
das neue Jahr im Namen Jesu anfangen
1.
Jesus ist es, dessen sie sich
trösten bei der Erinnerung an die Sünden der Vergangenheit;
2.
Jesus ist es, dem sie sich
übergeben bei ihren Entschließungen in der Gegenwart; und
3.
Jesus ist es, auf den sie hoffen
bei ihrem Blick in die Zukunft.
1.
Die Feier des Neujahrsfestes ist, meine
Freunde, erst seit ungefähr 800 Jahren in der Christenheit eingeführt worden.
In den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung war der heutige Tag
kein Fest- sondern ein Trauertag, an welchem man betete, fastete und weinte. An
diesem Tag stellten nämlich die Heiden große Opfer, prächtige Gastereien,
unzüchtige Tänze und blutige Schauspiele an. Augustinus sagt daher: „An diesem
Tag fasten wir Christen und seufzen für die Heiden, die daran fröhlich sind.“ Wir
sehen hieraus, welchen großen Ernst und Eifer die ersten Christen gegen die
Sünde bewiesen. Selbst bei den Sünden anderer, die in ihrer Nähe vorgingen,
begegneten sie ihrem Gott und reifen ihn bußfertig an, dass er sie dieser
Sünden nicht teilhaftig werden lassen und dieselben ihnen nicht zurechnen
wolle. Sie trachteten mit großem Ernst danach, in das neue Jahr keine
unvergebenen Sünden mit hinüber zu nehmen, sondern dasselbe unter Gottes Gnade
und Wohlgefallen anzutreten.
Haben nun die ersten Christen solchen Ernst
gegen fremde Sünden bewiesen, wie viel mehr wird es nötig sein, ihn gegen die
eigenen zu beweisen!
Ja, liebe Zuhörer, wollen wir das neue Jahr
in Jesu Namen anfangen, so müssen wir vor allem danach trachten, in seiner
Gnade es zu beginnen und bei der Erinnerung an die Sünden der Vergangenheit uns
seiner trösten zu können. Der wahre Christ weicht heute der Erinnerung an seine
vorigen Sünden nicht aus; er denkt nicht, weil es Sünden vergangener Zeiten
sind, dass sie darum auch mit jenen Zeiten von selbst vergangen seien; er wähnt
nicht, dass die Zeit Wunden des Gewissens heilen könne; er sucht sie nicht zu
vergessen und aus seinem Gedächtnis zu vertilgen; er glaubt nicht, wenn er
ihrer nicht mehr gedenke, dass sie auch bei Gott in Vergessenheit geraten; er
sucht sich nicht darüber zu beschwichtigen. O nein, seine Sünden sind dem
Christen die erste Sorge im neuen Jahr. Die Abrechnung seiner Sündenschuld ist
die erste Rechnung, die er hält. Damit muss er sogleich aufs Reine kommen. In
Jesu Namen will er anfangen, und er weiß, das kann er nur, wenn er durch ihn
Gnade hat. Die ersten Fragen, die der wahre Christ daher im neuen Jahr an sich
tut, sind diese: Sind mir auch meine Sünden vergeben? Sind mit dem alten Jahr
auch alle meine alten Sünden verschwunden? Habe ich keine mit hinübergenommen?
Stehe ich in Gnaden? Stehe ich im Glauben? Kann ich gewiss sein, Gott sehe
heute auf mich mit Wohlgefallen herab als auf sein Kind? Kann ich gewiss sein,
Gott spreche heute auch zu mir: „Fürchte dich nicht und lass dir nicht grauen,
ich bin mit dir; ich werde dich, mein Kind, nicht verlassen noch versäumen, ich
begleite dich durch das neue Jahr“? Und siehe, auf alle diese Fragen spricht
der wahre Christ ebenso freudig wie demütig: Ja, ich weiß es, du bist mein
Jesus, mein Seligmacher, mein Heiland, mein HERR, der meine Gerechtigkeit ist;
ich habe dich in meiner Sündennot angerufen, und du hast mich erhört und hast
mir das Pfand meiner Erlösung und Versöhnung gegeben, nämlich deinen Geist,
durch welchen ich rufe: Abba, lieber Vater! Darum ergreife ich auch heute
wieder deine Gerechtigkeit und wasche im Glauben mein Gewissen durch dein Blut.
Nun, meine Geliebten, habt ihr auch so den
heutigen Tag angetreten? Sind diesen Morgen auch eure Sünden die ersten Sorgen
des neuen Jahres gewesen? Habt ihr auch auf jene Fragen nach eurem Gnadenstand
mit Ja antworten und Christus im Glauben ergreifen können? Oder habt ihr an
eure Sünden gar nicht gedacht, oder habt ihr sie zu vergessen gesucht, oder
habt ihr sie euch selbst vergeben, ohne die Kennzeichen des wahren Glaubens an
euch wahrzunehmen? Dann habt ihr nicht in Jesu Namen angefangen, sondern in eurem
eigenen Namen. O, wie wollen wir denn dann unsere Sünden loswerden, wen wir sie
aus einem Jahr in das andere hinübernehmen? Wenn wir das Werk unserer Bekehrung
immer weiter und weiter hinausschieben? Wir wissen ja nicht, ob nicht schon
dieses das letzte unserer Lebensjahre sei. Soll der Tod uns ohne Christus
ereilen? Nun, noch ist der heutige erste Jahrestag nicht verstrichen; lasst uns
noch heute bußfertig zu Christus gehen; wer heute nur den Anfang macht, seine
Gnade redlich zu suchen, schon der fängt dann das Jahr in seinem Namen
an; seine Gnade geht schon heute über ihn auf, um seine Gefährtin zu sein durch
das ganze Jahr, ja, durch das ganze Leben, bis sie ihn durch einen seligen Tod
hinüberleitet in das Land der Vollendung und Seligkeit.
2.
Doch wahre Christen zeigen zweitens auch
dadurch, dass sie das neue Jahr in Jesu Namen anfangen, da er es ist, dem
sie sich übergeben bei ihren Entschließungen in der Gegenwart.
Zwar ist an einem Tag, wie der heutige,
gewöhnlich auch der Mund der falschen Christen und Weltkinder voll guter
Vorsätze und Versprechungen; aber sie haben weder den rechten Grund noch den
rechten Ernst noch den rechten Inhalt. Sie fangen daher das neue Jahr darum
noch nicht im Namen Jesu an. Der Grund ist bei ihnen: Sie wollen mit ihren
Versprechungen ihr Gewissen beruhigen und Gott wieder einmal zufriedenstellen;
aber heute versprechen sie, das ganze Jahr ein andres Leben anzufangen, und
schon morgen beginnen sie den alten Lauf; ihre Rührungen sind nichts als
Bewegungen ihres natürlichen Herzens, die schnell wieder verschwinden; sie
wissen auch gar nicht, was sie Gott eigentlich geloben sollen, sie kennen weder
sich noch die Erfordernisse des wahren Christentums.
Ganz anders ist es bei einem wahren
Christen. Der Grund seiner Versprechungen und Gelübde an dem heutigen Tag ist
der in ihm lebendige Trieb der Gnade, von der Sünde immer mehr befreit zu
werden und in der Heiligung zu wachsen, die Liebe zu Christus, zu seinem Wort
und Willen und zu allem, was gut, geistlich und himmlisch ist. Daher ist es
einem wahren Christen heute mit seinem Vorsatz ein wahrer Ernst, sich in dem
neuen Jahr ganz seinem Jesus zu ergeben. Er freut sich, dass sich ihm wieder
ein ganzes Jahr öffnet, in welchem er sich seinem Heiland opfern kann. Er freut
sich, noch in der Gnadenzeit zu leben, um nach manchem Fallen und Straucheln,
nach immer wiederkehrender Untreue Gott aufs Neue beweisen zu können, dass er
seine Sünden hasse und gern und wahrhaftig sein Gelübde der Besserung halten
und Gott bessere und reichere Früchte seiner Gnade bringen wolle.
Aber, was die Hauptsache bei einem wahren
Christen ist, er verspricht Gott nicht Besserung, ohne recht zu wissen, was er
damit meine. Er weiß nicht nur, was zum wahren Christentum gehört, er kennt
sich auch selbst; er weiß, worin es anders mit ihm werden muss; er kennt seine
Schwachheiten, er kennt seine bösen Lieblingsneigungen, er weiß, was ihn am
ersten stürzen und seiner Seele Gefahr bringen kann, er weiß, was es heißt,
versucht zu werden.
Wenn nun der wahre Christ heute das neue
Jahr in Jesu Namen anfangen will, so achtet er alles, was er vorher getan hat,
für nichts; er hält sich für einen unnützen Knecht und verwirft sein ganzes
voriges Leben. Er kündigt heute alles seinen Schwachheiten und
Lieblingsneigungen den krieg an; er beschließt, in dem neuen Jahr keiner
Trägheit wieder Raum zu geben, dem Willen seines Fleisches auf immer abzusagen,
und was seinem Fleisch angenehm ist, gern zu verleugnen, ehe er dadurch die
Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes an sich hindern sollte; er will sich nie
wieder schonen, sich keine Ruhe gönnen und gegen die Sünde kämpfen bis aufs
Blut. Er gelobt Gott mit Ernst: In dem neuen Jahr soll kein unnützes Wort über
seine Lippen gehen; die Hoffart will er aus seinem Herzen verbannen, seinen
Eigenwillen unterdrücken, alles Vertrauen auf Menschen fahren lassen und keine
Lust noch Sorge dieser Welt soll sein Herz abziehen und beschweren.
Hingegen will er nun im neuen Jahr das
Evangelium zieren in allen Stücken; nie soll der Eifer in ihm erkalten; stets
soll sein Herz dem Heiligen Geist offen stehen; über alle Bewegungen seines
Herzens will er wachen; die Flamme des Gebets soll stets in ihm brennen; er
will als ein Auserwählter schreien zu Gott Tag und Nacht; das Wort Gottes soll
nicht von seinem Mund und nicht aus seinem Herzen kommen; Demut und Sanftmut
will er nun allezeit an sich sehen lassen; er will allezeit gering von sich
halten, mit den Niedrigen und Verachteten gern umgehen; die Stille suchen und
über niemand sich erheben; er will auch gern mit jedermann Frieden halten,
soviel an ihm ist; sich liebreich, freundlich und dabei ohne Falschheit gegen
jedermann beweisen. Auch seine irdischen Güter sollen ihm nie an seinem Herzen
kleben; der Arme soll in dem neuen Jahr ihrer reichlich genießen. Kurzum, der
wahre Christ gelobt Gott das Gelübde: Jesus will er seinen Leib, seine Seele,
sein Herz, seine Kräfte, seine Zeit, seine Gedanken, Worte, Gebärden und Werke,
ja, alles, alles, opfern, was er ist und hat; in sein Bild will er sich jeden
Tag mehr verklären lassen; er will den alten Menschen ablegen und den neuen
anziehen; im neuen Jahr soll es von ihm heißen: „Er ist eine neue Kreatur,
siehe, es ist alles neu geworden.“ Christus soll bei ihm werden alles in allem.
Er seufzt heute:
Höchster Priester,
der du dich
Selbst geopfert
hast für mich,
Lass doch, bitt
ich, noch auf Erden
Auf mein Herz dein
Opfer werden.
Trage Holz zu dem Altar
Und verbrenn mich
ganz und gar.
Ach, du
allerliebste Liebe,
Wenn doch nichts
mehr von mir bliebe!
So fängt der
Christ das neue Jahr im Namen Jesu an.
Nun, meine Zuhörer, fühlt ihr heute auch
einen solchen lebendigen Trieb der Gnade in eurem Herzen, euch nun Christus
aufs Neue ganz zu übergeben? Freut ihr euch auch darauf, einem neuen Abschnitt
eures Lebens entgegenzugehen, in welchem ihr nun eine ganz andere Treue, einen
ganz anderen Ernst und Eifer als vorher beweisen wollt? Oder verspürt ihr
nichts von einem solchen Drang und von einer solchen Freude? Nichts von einer
solchen Liebe zu Christus, seinem Wort und Willen? Schweben eure Vorsätze nur
auf euren Lippen; kommen sie nicht aus dem Grund eures Herzens? Dann sucht
seine Gnade, so werden bald die ernstlichsten Entschließungen folgen.
3.
Das dritte endlich, wodurch ein wahrer
Christ das Jahr in Jesu Namen anfängt, ist dieses: Dass es auch Jesus ist,
auf den er hofft bei seinem Blick in die Zukunft.
Der Ungläubige ist bei dem Blick in die
Zukunft, selbst wenn sie noch so trübe ist, oft auch nicht hoffnungslos, aber
er baut seine Hoffnung auf etwas Falsches. Auf nichts weiter, als auf Christus
zu setzen, ist ihm unmöglich; das dünkt ihm doch zu gewagt, allein im Vertrauen
auf ihn in die unbekannte verhüllte Zukunft hineinzugehen. Oft sucht sich aber
der, welcher einen toten Glauben hat, zu bereden, er hoffe allein auf Christus,
aber ist ein solcher heute getrost, so ist er’s doch im Grund nur darum, weil
er sich auf das Gold und Silber verlässt, das er etwa noch hat; oder auf die
guten Freunde, von denen er sich Hilfe und Beistand in der Not verspricht; oder
er denkt: Was willst du sorgen? Du bist ja gesund und kannst arbeiten, du bist
geschickt und hast allerlei Fertigkeiten dir erworben, dir stehen tausend Wege
offen, dir dein Brot zu erwerben; oder er denkt: Du bist klug, du wirst schon
ein Mittel ausfindig machen, dir zu helfen. Elende Menschen! O des sterblichen
und zerbrechlichen Gottes, des sie sich trösten! Wie schnell kann Gott solche
Götzen umreißen! Gott sagt hierzu mit großem Ernst: „Verflucht ist, wer sich
auf Menschen verlässt und hält Fleisch für seinen arm und mit seinem Herzen vom
HERRN weicht!“ O des kläglichen sandigen Grundes, worauf sie ihre Hoffnung
bauen! Mit großem Ernst sagt Gott hiervon: „Die Hoffnung des Heuchlers wird
verloren sein. Denn seine Zuversicht vergeht und seine Hoffnung ist ein
Spinngewebe.“
O, wie ganz anders blickt hingegen der
Christ heute in das vor ihm liegende neue Jahr! Er tut es im Namen Jesu. Er
verhehlt sich zwar nicht die kümmerliche Lage, in welcher wir uns befinden; er
erkennt unsere völlige Entblößung von aller menschlichen Hilfe gar wohl; er
verbirgt sich’s nicht, wie gering die Vorräte und Mittel zu unserer Erhaltung
sind; ja, er erwartet von dem neuen Jahr viel neue Leiden, Trübsale, Mangel,
Bedürftigkeit und Bedrängnisse; und noch viel größere Anfechtungen erwartet er
im Geistlichen und Kirchlichen; mit Wehmut sieht er neuen noch nicht erfahrenen
Versuchungen zum Abfall, neuen Ärgernissen, allerlei Zerrüttungen, Entzweiungen
und Verwirrungen der Gewissen entgegen; er weiß es: Wo die wahre Kirche Christi
gepflanzt wird, da pflanzt sich notwendig auch das Kreuz auf; da kann der Satan
nicht feiern; kann er sie nicht überwältigen zur Rechten, so greift er sie zur
Linken an.
Aber um aller dieser trüben Aussichten
willen verzagt doch der Christ nicht. Er tröstet sich seines Jesus. Er weiß es:
„Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.“ Gott wird den
Seinen nicht mehr auflegen, als sie ertragen können; er lässt sie nicht
versucht werden über Vermögen. Er lässt sie wohl eine kleine Zeit leiden, aber
nicht, um sie zu verderben, sondern damit ihr Glaube bewährt werde wie das Gold
im Feuer, und damit Gott zeigen könne, dass er sei ein Gott, der da hilft, und
ein HERR HERR, der auch vom Tod errettet. Der Christ weiß es auch: Der die
Vögel unter dem Himmel nährt, die nicht säen noch ernten, und der die Lilie auf
dem Feld so wunderbar kleidet, die doch nicht arbeitet noch spinnt, der wird
auch den Seinen geben, was sie bedürfen; so sie aber Nahrung und Kleidung
haben, so lassen sie sich genügen. Und warum sollte der Christ sich ängstigen
wegen der Gefahren, die der heiligen Kirche Christi drohen? Was vermögen alle
List, alle Klugheit, alles Macht, alle Ratschläge der Widersacher wider sie?
Hat sie nicht einen unbeweglichen Grund, einen göttlichen Stifter, einen
allmächtigen Schutzherrn, der darein sehen und mit starker Hand die Seinen
erretten und ihnen das Kleinod des Wortes Gottes, der unverfälschten
Sakramente, der Schlüssel des Himmelreichs, des rechtes Gottesdienstes und des
wahren Glaubens erhalten wird?
Oft kommen war dem wahren Christen hierbei
die Gedanken ein: Aber seid ihr nicht Sünder? Seid ihr eurem Gott nicht sehr
untreu gewesen? Kann nun nicht Gott zur Strafe eurer Sünde den Feinden
gestatten, euch in zeitliches und ewiges Elend zu stürzen? Aber auch hierbei
ist Jesus sein Trost; er ist gewiss, Gott straft keine vergebenen Sünden. Er
spricht daher mit Paulus: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Welcher
auch seines eingebornen Sohnes nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns
alle dahingegeben. Wie sollte er mit ihm uns nicht alles schenken? Wer will die
Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will
verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch
auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes uns vertritt uns.“ Will dennoch
das schwache Herz des Christen sich nicht zufrieden stellen, so redet er es mit
David an: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre
auf Gott; denn ich werde ich ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe
und mein Gott ist.“
Welch ein getroster, in Gott ergebener und
herrlicher Anfang ist also der Anfang des neuen Jahres im Namen Jesu! O,
möchten wir alle so anfangen können! So würde gewiss für uns alle das kommende
Jahr ein gnädiges Jahr des HERRN sein, und wenn die Sonne dieses Jahres unseren
Grabhügel bescheinen sollte, so würden wir doch nur von allem Übel erlöst und
uns ausgeholfen sein zu Gottes himmlischem Reich, und dort würden wir
angefangen haben das große neue Hall- und Jubeljahr aller Seligen und
Auserwählten.
Nun, das gebe euch allen Jesus Christus,
euer Seligmacher. Er segne euch vor allem mit Gnade und Vergebung der Sünden,
mit seinem Heiligen Geist, mit Kraft und Licht, mit Beständigkeit und Treue. Er
segne euch mit Trost in allen Leiden und Ängsten, mit Friede und Freude in
allem Schmerz und aller Unruhe, mit Hilfe in aller Not und mit Erquickung in
aller Krankheit. Er segne euch mit seinem Wort und Sakrament, er segne eure
Kirche und Schule, er segne eure Kinder, eure Witwen und Waisen; er segne eure
Felder, Nahrungen und Hantierungen. Er segne euch im Tod, lasse euch Gnade
finden vor seinem Angesicht und schenke euch die Krone der Gerechtigkeit. Amen,
in Jesu Namen. Amen.
Es gibt kein Buch in der ganzen Welt,
dessen Verständnis m9it so vielen Schwierigkeiten verbunden ist, wie die
Heilige Schrift, Sie ist eine so tiefe und reiche Fundgrube der teuersten,
seligmachenden Wahrheiten, dass die Weisesten auf Erden nun schon dreitausend
Jahre Tag und Nacht darin geforscht haben, ohne ihren Reichtum ausgeschöpft und
ohne alle ihre geheimnisvollen Aussprüche zur vollen Klarheit gebracht zu
haben. Über kein Buch der Welt sind so viele Auslegungsbücher geschrieben
worden, wie über die Heilige Schrift. Und doch sind alle die vielen tausend
Bände nicht hinreichend, sie vollkommen zu erklären.
Diese Tiefe der Heiligen Schrift wird in
der römischen Kirche gewöhnlich als Grund angegeben, warum nicht jeder Laie sie
in seiner Muttersprache lesen solle. Man spricht, die Schrift sei dunkel, daher
werde sie von keinem Laien recht verstanden werden, wenn nicht die Kirche sie
auslegte. Aber hierin verbirgt man nur seine Schalkheit. Denn es ist etwas
ganze anderes, zu behaupten, die Schrift sei geheimnisvoll und unerforschlich,
als zu sagen, sie sei dunkel. Werdet ihr sagen, die Sonne sei dunkel,
weil wir Flecken an ihr wahrnehmen, die noch kein Naturforscher hat erklären
können? Gewiss nicht. Ebenso wenig ist auch die Heilige Schrift dunkel. Weil
sie Gottes Wort ist, enthält sie freilich unzählige Stellen, über deren Sinn
wir immer wieder zu forschen haben, aber der Rat Gottes zu unserer Seligkeit
ist darin so klar und helle offenbart, dass auch das einfältigste Kind ihn
darin lernen kann. Nein, die Heilige Schrift ist nicht dunkel, sie ist die
rechte Sonne aller Seelen, ohne welche sie nur in Nacht und Finsternis liegen
können. Daher David von ihr sagt: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte“ usw. Und
Jesaja sagt von ihr: „Sucht nun in dem Buch des HERRN und lest, es wird nicht
an einem derselben fehlen; man vermisst auch nicht dies oder das.“ Auch Christus
spricht zum Volk: „Sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewigen
Leben darin; und sie ist’s, die von mir redet.“ Von den Beroensern wird vor
allem gerühmt, dass sie forschten in der Schrift, ob sich’s auch so verhielte,
wie Paulus ihnen gepredigt hatte. Wird es nun an den Beroensern gelobt, dass
sie die Lehre der heiligen Apostel nach der Schrift prüften, wie viel wichtiger
ist es daher, dass ein jeder Laie jedes Menschen Lehre nach dem Wort Gottes
prüfe! Soll er das aber tun, so erkennen wir hieraus, dass die Schrift nicht
dunkel, sondern deutlich, hell und klar auch für den Einfältigsten sein müsse.
(Daher Johannes in dem Schlussbuch der Heiligen Schrift schreibt: „Selig ist,
der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin
geschrieben ist.“ Denn wie könnte Gott den Zuhörern nach einem Prüfstein prüfen
heißen, den sie selbst nicht verstünden?)
Gibt es aber irgendeine Geschichte Heiliger
Schrift, aus welcher wir erkennen können, dass das geschriebene Wort nicht
dunkel, sondern hell und klar, ja, der helle Leitstern ist allen, die den Weg
zum Himmel gehen wollen, so ist es unsere Festgeschichte von den Weisen aus dem
Morgenland. Diese wurden zuerst durch einen Wunderstern erweckt, aber derselbe
konnte sie nicht zu Christus führen, er verschwand bald wieder. Das Wort war
es, das sie nicht verließ, sondern ihnen immer hell voranleuchtete, als jener
sie längst verlassen hatte. Dies veranlasst mich, euch heute das Wort Gottes
als unseren rechten Leitstern zum Himmel anzupreisen.
Matthäus
2,1-12: Da Jesus geboren war
zu Bethlehem im jüdischen Land, zur Zeit des Königs Herodes; siehe, da kamen
die Weisen vom Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene
König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen,
ihn anzubeten. Da das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm das
ganze Jerusalem. Und ließ versammeln alle Hohenpriester und Schriftgelehrten
unter dem Volk und erforschte von ihnen, wo Christus sollte geboren werden. Und
sie sagten ihm: Zu Bethlehem im jüdischen Land. Denn so steht geschrieben durch
den Propheten: Und du Bethlehem im jüdischen Land bist keineswegs die kleinste
unter den Fürsten Judas; denn aus dir soll mir kommen der Herzog, der über mein
Volk Israel ein HERR sei. Da berief Herodes die Weisen heimlich und erlernte
mit Fleiß von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und wies sie nach
Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn
ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass ich auch komme und es anbete. Als sie
nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im
Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen hin, bis dass er kam und stand oben
über, da das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und
gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen
nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold,
Weihrauch und Myrrhen. Und Gott befahl ihnen im Traum, dass sie sich nicht
sollten wieder zu Herodes lenken. Und sie zogen durch einen anderen Weg wieder
in ihr Land.
Das Wort Gottes
der rechte einzige Leitstern auf dem Weg zum Himmel
1.
Das Wort allein lässt uns Christus
finden.
2.
Durch das Wort allein werden wir
auch bei ihm erhalten.
1.
Der Stern, meine Lieben, von dem unser
Evangelium berichtet, kann kein gewöhnlicher, natürlicher gewesen sein. Er
konnte ja nicht wie die anderen am Firmament gestanden haben. Denn dann wäre
unmöglich, dass derselbe, wie Matthäus berichtet, gerade oben über dem Haus, da
das Kindlein war, gestanden habe. Die natürlichen Sterne stehen so hoch, dass
wir bei unseren Bewegungen von einem Ort zum anderen keine Veränderung ihres
Standes wahrnehmen können. Dazu kommt noch dies: Bethlehem lag von Jerusalem
gegen Süden oder Mittag. Da nun der Stern die Weisen von Jerusalem nach
Bethlehem begleitet, so hat er daher von Mitternacht (Nord) nach Mittag (Süd)
seinen Lauf genommen. Alle gewöhnlichen Sterne gehen aber ohne Ausnahme nach
Morgen (Osten). Mit jenem Stern hatte es daher eine besondere Bewandtnis. Er
war von Gott besonders geschaffen und nicht an das hohe Firmament, sondern in
den niederen Luftkreis unserer Erde gestellt worden.
Obgleich nun die erwähnten Weisen aus dem
Morgenland höchst wahrscheinlich Gelehrte aus dem sogenannten glücklichen
Arabien gewesen sein mögen[10], die hauptsächlich in der
Stern- und Naturkunde erfahren waren, denn sie werden in der griechischen
Ursprache Magier genannt, womit dergleichen Gelehrte bezeichnet werden, so
haben sie doch die Bedeutung jenes Sternes nicht aus der natürlichen Wissenschaft
erfahren können. Gott musste daher dieselbe ihnen aus unmittelbarer Offenbarung
kundgetan haben.
Jener stumme Stern war es daher nicht, der
ihnen den Weg zu Christus gezeigt. Ohne Offenbarung des Wortes Gottes würde er
auch den Weisen ein Rätsel geblieben sein. Das Wort, das sie von Gott
vielleicht im Traum gehört, das war der unsichtbare Leitstern, der dem
sichtbaren erst Licht gab. Das Wort rieb die Weisen, in das jüdische Land zu
gehen und da den neugeborenen König der Juden zu suchen. – Da sie nun noch kein
Wort Gottes dafür hatten, an welchem Ort er zu finden sei, gingen sie zuerst in
die Hauptstadt des Landes; da, wo der Tempel stand mit allen seinen sichtbaren
Heiligtümern, wo ein König in seinem fürstlichen Schloss residierte und die
hohe Geistlichkeit, der Hohepriester und die Schriftgelehrten ihren Sitz
hatten, da, meinten sie, und nirgends anders sei der erschienene Thronerbe zu
suchen. Doch hierher hatten die Weisen nur ihre eigenen menschlichen Gedanken
geführt. In Jerusalem wusste man nicht nur nichts von einem neugeborenen König,
sondern die ganze Stadt, anstatt von Jubel erfüllt zu sein, erschrak, als sie
Kunde davon erhielt. Doch Herodes ließ hierauf alle Schriftgelehrten und
Hohenpriester sich versammeln, um aus der Schrift Antwort zu geben, wo nach den
Propheten der erwartete König geboren werden müsse. Die Antwort war: in Bethlehem.
Denn der Prophet Micha spricht: „Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist
unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel HERR
sei.“ Diese prophetischen Worte waren der himmlische Leitstern, der ihnen,
nachdem der irdische sie verlassen, nun wieder aufging. Auf diesen hellen Stern
des göttlichen Wortes wandten nun die Weisen allein das Auge ihres Glaubens,
nach diesem richteten sie sich, ohne zu fragen, ob Herodes und seine Großen mit
ihnen gingen. Sie achtete nun auf gar nichts mehr, auch nicht darauf, wie die
ganze Welt sich gegen den neugeborenen König stellte. Ohne Aufenthalt eilten
sie nach dem durch das Wort bezeichnete Bethlehem. Freude durchströmt ihr Herz,
da sie auf einmal den Stern wieder erblickten, und mit Jubel und Staunen werden
sie erfüllt, da sie ihn über einem kleinen Stall stehen bleiben sehen. Eilends
treten sie ein und sehen nun das Kindlein, aus dessen Antlitz unnennbare Milde,
gepaart mit göttlicher Majestät, strahlte.
Wer kann nun ihre Freude beschreiben? – Da
sie aus dem Mund der Maria hörten, was schon an diesem Kindlein geschehen, wie
der Engel seine Geburt angekündigt und den Namen Jesus ihm gegeben, wie bei
seiner Geburt der Engel den Hirten erschienen und die himmlischen Heerscharen
ihre Loblieder gesungen; da sie das hörten, fielen sie nieder auf ihr Angesicht
und beteten das wunderbare Kind an.
Seht, da haben wir ein herrliches Vorbild
für die, welche den rechten Weg zum Himmel und Christus Jesus in seiner Krippe
finden wollen. Wir Menschen sind von Natur alle den Weisen gleich, wir wohnen
erst alle auf Erden wie in dem glücklichen Arabien, das heißt, wir suchen in
dieser Welt unser Glück, wir durchsuchen wie die Weisen die Erde und finden den
rechten Schatz nicht schauen hinauf zum Himmel und finden den rechten Stern
nicht, gehen sicher dahin und wissen nicht, was zu unserem Frieden dient, keiner
trachtet nach dem Einen, das not ist, und so hängt unser Herz an den Dingen,
Freuden, Sorgen und Ehren dieser Welt.
Doch wenn uns große Not in dieser Welt
betrifft, wenn das Gesetz Gottes in seiner Schärfe und mit seiner Drohung
gepredigt wird, so geschieht es, dass wir nun durch Gottes Gnade einsehen
lernen: In dieser Welt ist nicht das wahre Glück zu finden; wir erkennen uns
als arme Sünder, die keinen gnädigen Gott im Himmel haben, in unserem
gegenwärtigen Zustand nicht selig werden können. Wenn wir dahin kommen, so wird
Gott einen Stern im Morgenland erscheinen lassen, so dass wir in der Welt keine
Ruhe mehr finden können, mit den Weisen ausgehen und rufen: „Wo ist der
neugeborene König der Juden?“ O, wohl dem Menschen, der durch Gottes Gnade
so weit gekommen, dass er in der Welt keine Befriedigung mehr für sein Herz
findet! Wohl dem, den Gold, Weihrauch und Myrrhen dieses irdischen Arabiens
nicht mehr fesseln! Wohl dem, bei dem die Sünde endlich aufwacht, dass in
seinem herzen Verlangen nach Trost, Vergebung der Sünde, nach Gottes Gnade
entsteht.!
Aber was tun nun die meisten in diesem
Zustand der Unruhe? Sie gehen mit den Weisen nach Jerusalem, das heißt, suchen
sich selbst zu helfen, gehen allerhand eigene Wege, sich Ruhe zu verschaffen,
suchen durch eigene Werke Gottes Gnade, deren Mangel sie fühlen, zu erringen.
Sie beten, seufzen, kämpfen gegen die Sünde, wollen sie los werden, erst rein
werden, ehe sie vor Gott zu treten und sich mit seiner Gnade zu trösten wagen.
Aber was geschieht dann? Sie fallen nur
tiefer ins Elend, fassen tausenderlei gute Vorsätze und können sie doch nicht
halten, verlieren so auch diesen Stern wie die Weisen, der sie aus dem Schlaf
erweckte, und sehen sich aufs Neue von Finsternis befangen. Woran fehlt es? An
dem rechten Leitstern. Dieser ist das Wort Gottes und besonders das Evangelium.
Viele finden es wohl wie die Hohenpriester und Schriftgelehrten und hören es
wohl, wie Herodes, aber hängen nicht daran mit ihrem Herzen, glauben es nicht
einfältig, stellen nicht ihre ganze Herzenszuversicht darauf, sitzen wohl im
Tempel des HERRN, wo das Evangelium gepredigt wird, haben Bethlehem vor der
Tür, gehen aber nicht hinein. O liebe Seelen, die ihr selig werden wollt, lasst
Satan euch nicht betrügen um eure Seligkeit! Es ist wahrlich nicht genug, dass
ihr anfangt, euer sündliches Leben und die Welt zu verlassen; es ist wahrlich
nicht genug, dass ihr euch nur täglich in einigen gottseligen Übungen, im Beten
und Lesen finden lasst; es ist wahrlich nicht genug, nur euer sündliches Elend
zu fühlen und darüber zu klagen; seid ihr noch nicht weiter gekommen, noch
nicht in Bethlehem angelangt, erst mit den Weisen in Jerusalem, dann ist die
Hauptsache noch übrig. Seht ihr nicht den hellen Stern des Evangeliums? Weist
derselbe nicht mit jedem von ihm ausgehenden Strahl nach Bethlehem allein zu
Christus hin? Seht, das ist nun die Hauptsache, dass ihr das gewisse und
wahrhaftige, das teure und werte Wort vernehmt: Jesus Christus ist in die Welt
gekommen! Sucht ihr für eure Seelen im mindesten einen anderen Grund, wollt ihr
im mindesten etwas dazu tun, euch gewiss zu machen, so irrt ihr, bleibt
ungewiss, findet Christus nicht, seid verloren. Hätten die Weisen nicht nach
dem Wort Michas nach Bethlehem gehen wollen, so hätten sie immer alle Länder
und Meere durchforschen können, den neugeborenen König der Juden hätten sie
vergeblich gesucht, ihn nicht gefunden. So ist es auch heute noch. Könnte ein
Mensch alle die Tränen der bußfertigen Sünder vergießen, die Reue aller
erschrockenen Sünder in der Welt empfinden, die heiligen Werke aller Heiligen
in der Welt tun, so würde er dadurch auch nicht einen Schritt näher der ewigen
Seligkeit kommen, wenn er nicht alles das für nichts achtet und sein Vertrauen
allein setzt auf das Wort des Evangeliums, das den Sündern Gnade verheißt.
Ja, gerade dann, wenn ein Sünder sich müde
gelaufen, in seinen eigenen Werken müde gearbeitet, müde gebetet und gerungen,
wenn er nun endlich sieht, dass alles nichts helfen, nicht selig machen könne,
wenn er endlich still wird, nichts mehr selbst wirken will, ganz an sich selbst
verzagt, sich der Erbarmung Gottes überlässt und sich allein auf das Wort
beruft, in dem ja allen Sündern Gnade gepredigt wird, dann kommt der selige
Augenblick, da der Sünder endlich in Bethlehem ankommt und hinfällt vor der Krippe
seines Jesus, das holde Kind mit Freudentränen benetzt, auf die Arme seines
Glaubens nimmt und mit den Küssen seiner Liebe bedeckt.
O, wie selig der, der das Wort seinen
Leitstern sein lässt, der findet Christus gewiss!
Doch, meine Lieben, das Wort lässt uns als
der rechte Leitstern auf dem Weg zum Himmel Christus nicht nur finden, sondern
durch das Wort allein werden wir auch bei ihm erhalten und davon lasst uns
zweitens reden.
2.
Sobald die Weisen das Wort des Propheten
Micha ins Herz fassten, hatten sie auch schon Christus gefunden, obgleich sie
noch nicht leiblich in Bethlehem waren. Sobald sie aber Christus gefunden,
erfuhren sie auch nicht wenig Anstöße, dadurch sie leicht wieder von Christus
hätten losgerissen werden können. Sie waren von ferne gekommen, erwarteten in
Jerusalem alles in freudiger Bewegung zu finden, und siehe! Hier ist alles
still. Niemand wusste von dem König, und da sie von ihm Nachricht bringen, ist
alles bestürzt. Man erklärte ihnen wohl, der verheißene Herzog der Seligkeit
solle in Bethlehem geboren werden, aber niemand begleitet sie. Was für ein
Kampf muss nun in ihren Herzen entstanden sein! Wird es nicht in ihren Herzen
geheißen haben: Vielleicht sind wir betrogen; wäre es möglich, dass der
verheißene ewige König der Juden geboren wäre, ohne dass sein auserwähltes Volk
etwas von ihm wüsste? Ohne dass vor allen diejenigen, die Priester seines
Tempels und in der Heiligen Schrift erfahrenen und ihre bestellten Ausleger
sind, ihn längst erkannt und ihm gehuldigt haben? Wodurch werden sie aber diese
Anstöße haben abwenden können? Durch nichts anderes als allein durch das Wort.
Das ließen sie sich gewisser sein als aller Menschen Zeugnis; daran hielten sie
sich, obgleich sie alles dagegen streiten sehen.
Doch das sind nicht ihre letzten Anstöße.
Ohne Zweifel erwarten sie, in dem verkündigten Thronerben einen Königssohn mit
aller Pracht eines morgenländischen Fürsten umgeben zu sehen, und doch
erblicken sie das alles nicht, sondern nur Armut und Niedrigkeit. Es konnte ja
kaum ein Mensch in elenderen, geringeren Umständen gefunden werden als das
Jesuskindlein. Was hat sie über alle diese Zweifel erhoben, sie bewegen können,
vor diesem Bettelkind niederzufallen und es anzubeten? Wahrlich nichts anderes
als das Wort Gottes, das sie fest und unwandelbar ins Herz geschlossen. Da
dieser Stern in ihren Herzen aufgegangen war, so war alle ihre Weisheit
verdunkelt, in dem Glanz dieses Sterns erschien ihnen die Hütte als das
prächtigste Königsschloss in der ganzen Welt. In seinem Licht erkennen sie in
dem elenden Kindlein den Herzog der Seligkeit.
Wie nun, meine Lieben, die Weisen einst,
sobald sie Christus gefunden, allerlei Anstößen begegneten, so auch heute alle
Sünder, die Christus ergreifen. Sie hören wohl aus dem Wort Gottes, Christus
sei der HERR aller Herren, der König aller Könige; aber was erblicken sie, wenn
sie sich in der Welt umsehen? Gerade die Mächtigsten, Klügsten und Weisesten,
Vornehmsten, Höchsten und Reichsten dieser Welt verachten Christus, und nur ein
kleiner, verachteter und verstoßener Haufe armer Sünder bekennt ihn für ihren
HERRN und König. O, wie viele haben sich schon an dem Ansehen der Feinde
Christi gestoßen und gedacht: Wenn das Evangelium wahr wäre, so würden es
gewiss die Gelehrtesten erkennen und mit Freuden annehmen. Aber wir einfältigen
Leute, die sich wider die Großen dieser Erde setzen und aller ihrer Weisheit
widersprechen, wir sollten sagen können, wir allein hätten die Wahrheit?
Willst du nun, lieber Mensch, hierdurch
nicht Schiffbruch erleiden an deinem Glauben, so tue wie die Weisen aus dem
Morgenland. Siehe ab von allen Menschen, denn sie sind nichts vor Gott, voll
Irrtum und Torheit, und alle ihre Weisheit ist vor Gott nichts als Narrheit.
Siehe allein auf den rechten Himmelsstern, auf das teure Wort Gottes, das sagt
dir 1. Kor. 1,26-29: „Seht an, liebe Brüder, eueren Beruf; nicht viel Weise
nach dem Fleisch, nicht viele Gewaltige, nicht viele Edle sind berufen. Sondern
was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er die Weisen zu
Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er
zuschanden mache, was stark ist, und das Unedle vor der Welt und das Verachtete
hat Gott erwählt, und das da nichts ist, dass er zunichte mache, was etwas ist,
auf dass sich vor ihm kein Fleisch rühme.“ Darum halte dich an Christus und
achte es nicht, dass du, wenn du Christus bekennst, verachtet bist in der Welt.
Achte es nicht, wen du siehst, dass das Häuflein der Gläubigen klein ist; es
muss so sein, dass die Schrift erfüllt werde. Lass die Hohenpriester und
Schriftgelehrten, ja alle Klugen der Welt den verachteten Heiland der Welt
verwerfen, du aber bete ihn in Demut an, wirf dich vor ihm nieder, bringe ihm
dar das Gold des Glaubens, den Weihrauch des Gebets, die bitteren aber vor Gott
köstlichen Myrrhen der Bußtränen, so wirst du ihn auch schon sehen auf dem
Thron seiner ewigen Herrlichkeit.
Doch, meine Lieben, wie bei den Weisen, so
ist auch bei uns der Anstoß, dass so viele Christus verwerfen, nicht der
größte. Viel größer und schwerer zu überwinden ist dieser, dass sich Christus
selbst so arm und schwach gegen uns stellt. Haben wir nämlich Christus das
erste Mal gefunden, sind auch wir zu der Gewissheit gekommen: Auch wir sind
seine Erlösten und Erwählten, so durchströmt gewiss anfangs unaussprechlicher
Friede unser von der Gnade aufgerichtetes Herz. Da meinen wir denn, so lange
wir Christus im Herzen haben, werde auch unser Herz den süßesten Frieden und
die lebendigste Freude im Heiligen Geist genießen. Aber dem ist nicht so. Je
länger ein Mensch im Glauben an Gottes Wort verharrt, desto öfter erfährt er,
wie sich Christus in seinem Herzen gleichsam vor ihm verbirgt, sich schwach und
elend stellt. Da ist den gläubigen Christen oft, als ständen sie nicht mit dem
HERRN der Herrlichkeit im Bund, als ständen sie wie die Weisen zweifelhaft vor
einer elenden Hütte, in der ein armes elendes Kindlein liege, das ihnen keine
Kraft zum Überwinden geben könne. Kurz, gläubige Christen verlieren oft das
Gefühl der göttlichen Gnade aus ihren Herzen, fühlen sich so tot, kraftlos,
elend, dass sie es nicht beschreiben können.
Was ist es, womit sie diese Anfechtung
überwinden? Es ist das gewisse und feststehende Wort, das Wort des Gottes des
Himmels und der Erde, das ihnen die Seligkeit verheißt. Dieses Wort ist ihnen
gewisser als alle Gefühle ihres Herzens, das bleibt mit seinem Trost ihnen
unveränderlich, so oft sich auch der Stern ihres irdischen Glücks verändert;
das ist immer ihr Licht, wenn es ihnen auch noch so finster in ihrer Seele
geworden ist; daher spricht ihr Glaube: Mag es in mir dunkel werden, ich blicke
nach dem leuchtenden Stern des Wortes, der verführt uns nicht; mag ich nun
denken, ich sei kraftlos, ja tot, so ergreife ich das Wort, das ist lebendig
und kräftig, das bringt mir Christus ins Herz und kein Teufel soll mir ihn
rauben.
O, so lernt denn alle, meine Lieben, dies
Hauptkunst gläubiger Christen, euch allein an das Wort zu halten. Dieses ist
unseres Fußes Leuchte und das rechte einzige Licht auf unserem weg zum Himmel.
Wir haben ein festes prophetisches Wort und darum tun wir wohl, wenn wir darauf
achten, bis dass der Morgenstern aufgehe in unseren Herzen. Lernt den
Kunstgriff des Teufels recht erkennen, der nichts mehr sucht, als uns vom Wort
abzuziehen; denn er weiß, wenn wir uns dahin bringen lassen, so hat er
gewonnen, wir verloren. Hangen wir mit unserem ganzen Vertrauen nicht am Wort,
so lieft uns unser Glaube nichts, denn dann ist es kein wahrer Glauben; dann
hilft uns all unser Beten, Seufzen, Tun nichts, ja, wir sind dann ohne
Christus, der sich nur in dem Wort finden lässt.
Luther sagt daher über unser Evangelium die
wahren Worte: „Natur will fühlen und gewiss sein, ehe sie glaubt, Gnade will
glauben, ehe sie fühlt.“ So sprecht denn zum Schluss mit mir:
Ohne Fühlen will
ich trauen,
Bis die Zeit
kommt, ihn zu schauen,
Bis er sich zu mir
gesellt;
Bis ich werd in
seinen Armen
In gar süßer Lust
erwarmen
Und er mit mir
Hochzeit hält.
Amen.
Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters, und die Gemeinschaft
Gottes, des Heiligen Geistes, sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Die schönste Zeit unseres Lebens ist ohne
Zweifel die Zeit unserer Kindheit und Jugend. Wie der Frühling mit seinen
duftenden Blüten und Knospen und mit seinen noch milden Sonnenstrahlen die
lieblichste unter den vier Jahreszeiten ist, so sind Kindheit und Jugend die
schönsten unter allen Altersstufen, welche wir in dieser Welt betreten.
Deutlich bezeugt dies das Wort Gottes
selbst. Wenn z.B. über den Stamm Asser ein recht herrlicher Segen ausgesprochen
werden soll, so heißt es: „Dein Alter sei wie deine Jugend.“ Ja, Salomo
spricht: „Denke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe denn die bösen Tage
kommen und die Jahre herzutreten, da du wirst sagen: Sie gefallen mir nicht.“
Im Vergleich mit der Jugendzeit sind also hiernach die Tage und Jahre des
Alters böse Tage und Jahre, die uns nicht gefallen.
Und wer unter uns, wenn er schon im Mittag
oder am Abend der menschlichen Lebenszeit steht, sollte nicht, durch eigene
Erfahrung überzeugt, hierzu Ja sagen müssen? Wo gibt es einen Vater oder eine
Mutter, wo ein graues Haupt oder eine Greisin, die nicht alle von Herzen
ausriefen: O Tage meiner Kindheit und Jugend, lieblich wie ein klarer Bach seid
ihr mir dahingeflossen! Goldene Zeit! O, dass du noch einmal wiederkehrtest!
Und dass wir alle mit solcher Wehmut auf
die so schnell dahingeschwundene Jugendzeit zurückschauen, beruht keineswegs
auf Täuschung. Dieses Leben wird wirklich für Christen und Nichtchristen mit
jedem Jahr ernster, und der Pfad, den wir nach der Ewigkeit gehen, wirklich mit
jedem Schritt immer enger, steiler und dornenvoller, bis wir an den dunklen
Toren des Todes ankommen.
Welch ein Vorzug der Kindheit und Jugend
ist es vor allen anderen Lebenszeiten, dass man sich da noch nicht mit so
vielen Sorgenlasten schleppt, sondern sorglos und fröhlich in die Zukunft
blickt! Welch ein Vorzug ist es, dass die Herzen der Kinder und überhaupt der
Jugend noch nicht von so großen Wünschen bewegt werden, dass sie noch nicht so
unersättlich sind und auch durch etwas Geringes schon erfreut und befriedigt
werden können! Der allergrößte Vorzug aber, den die Kindheit und Jugend vor dem
Alter hat, besteht darin, dass es viel leichter ist, dem HERRN in frühen als in
späten Jahren zu dienen. Junge Herzen sind ein Acker, der noch nicht durch böse
Gewohnheiten so festgetreten ist und in welchem noch nicht so viele Dornen und
Disteln der Sünde sich festgewurzelt haben wie in alten Herzen. Jugendliche
Gemüter sind noch leicht durch Drohungen zu heilsamer Furcht und durch
liebliche Lockungen zu heilsamen Rührungen zu bringen. Kinder, Jünglinge und
Jungfrauen haben auch noch ein treueres Gedächtnis, das aus Gottes Wort
Gelernte zu behalten, und eine lebendigere Phantasie, das ihnen Gelehrte
aufzufassen, während das Alter den Verlust eines treuen Gedächtnisses und einer
lebendigen Auffassung nur zu oft beklagen muss. Hierzu kommt, dass uns
besonders in der frühen Jugend so viel Zeit gegeben ist, Gottes Wort zu treiben
und wichtige Kenntnisse für die Ewigkeit einzusammeln, wie wir später nie
wieder bekommen. Während ferner Erwachsene, wenn sie den schmalen Weg des
Glaubens und der Gottseligkeit gehen wollen, sogleich Spott und Feindschaft
vieler, ja wohl ihrer eigenen Hausgenossen auf sich laden, so kann hingegen ein
frommes Kind nicht leicht, selbst von Gottlosen nicht, gehasst werden; es
genießt Gnade bei Gott und den Menschen. Endlich aber sind auch Kinder und
überhaupt junge Seelen nicht nur ein besonderes Augenmerk des heiligen Engel,
die ihnen besonders zugesellt sind, sondern Christus selbst trägt um sie, als
um seine zarten Lämmer, eine besonders zärtliche Sorge, er hat daher nicht nur
einst gesagt: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn
solcher ist das Reich Gottes“; sondern er hat auch das allerschrecklichste Wehe
besonders über diejenigen ausgesprochen, welche die Jugend ärgern und ihre ihm
so teuren Seelen, die er in der Taufe zu seinen Tempeln gemacht hat, vergiften
und verführen.
O, sie selig ist daher derjenige, der der
Ermahnung Salomos nachgekommen ist: „Denke an den Schöpfer in deiner Jugend!“
Wer seine Jugend wohl ausgekauft hat, hat für die bösen Tage einen großen
Schatz und ist wohl versorgt auch für die Jahre, die ihm nicht gefallen. Er ist
wie ein Baum, der früh gepflanzt wurde an die Wasserbäche, der seine Frucht
bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das
gerät wohl. Aber ach, groß und unersetzlich ist hingegen der Verlust derjenigen,
die die schönste Zeit ihres Lebens verschwendet und verloren haben. O, wenn sie
dann doch wenigstens mit aufrichtiger Reue auf die verlorenen goldenen
Morgenstunden ihres kurzen Lebenstages zurückblicken, durch Gottes Gnade
umkehren und, was Christus von allen fordert, die in das Himmelreich kommen
wollen, wieder Kinder werden möchten! Damit dies nun von uns geschehe, lasst
uns jetzt einen Blick tun auf Christi heilige Jugend und damit die unsrige
prüfend vergleichen.
Lukas
2,41-52: Und seine Eltern
gingen alle Jahre nach Jerusalem auf das Passahfest. Und da er zwölf Jahre alt
war, gingen sie hinauf nach Jerusalem nach der Gewohnheit des Festes. Und da
die Tage vollendet waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb das Kind Jesus
zu Jerusalem, und seine Eltern wussten’s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter
den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den
Verwandten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum nach
Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich, nach drei Tagen fanden sie ihn im
Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte.
Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner
Antworten. Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Seine Mutter aber sprach
zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich
haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Was ist’s, dass ihr
mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines
Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete. Und er
ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine
Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit,
Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.
Seit dem letzten hohen Fest der Geburt
Christi haben wir ihn allein in seiner Kindheit betrachtet; das verlesene
Evangelium aber enthält nun dasjenige, was uns Gott in seinem heiligen Wort
auch von Christi Jugend hat aufzeichnen lassen. Aufgrund dieses
wichtigen Teils der heiligen Geschichte lasst mich euch daher jetzt zeigen:
Wie wichtig der
Blick auf Christi heilige Jugend bei der Rückerinnerung an unsere eigene
Jugend sei
Es ist dies nämlich
1.
Ein zur Buße auffordernder Blick,
wenn wir Christi heilige Jugend mit der unsrigen gebührend vergleichen, und
2.
Ein tröstlicher Blick, wenn wir den
gnadenvollen Zweck des Jugendlebens Christi reuig und gläubig erwägen.
HERR Jesus, du Sohn Gottes! Auch das
Jugendalter hast du einst durchlebt, damit wir an dir das Vorbild einer
wahrhaft Gott geheiligten Jugend, aber auch einen mitleidigen Hohenpriester für
unsere Jugendsünden hätten. Wir bitten dich daher, lass uns nicht nur an deinem
allerheiligsten Vorbild lebendig und mit Scham und Reue erkennen, wie weit wir
uns schon in der Jugend von unserem Gott entfernt haben und wie wir schon da
vor seinen Augen um unseres tiefverderbten Herzens willen verwerflich waren,
sondern, wenn wir darüber gebeugt und zerbrochen sind, o, so schreibe auch den
Trost in unser armes Herz, dass du ein Heiland bist auch für eine sündliche und
verdammliche Kindheit und Jugend. Diesen Glauben schenke uns, durch diesen
Glauben gib uns Frieden des Herzens, durch diesen Glauben erneuere uns hier und
mache uns dort ewig selig. Amen.
1.
Es ist ein unvergleichlich
bewunderungswürdiges Bild der heiligen Jugend Christi, das wir in unserem
heutigen Evangelium erblicken.
Wir hören darin zuerst im Allgemeinen, dass
Christus, obgleich in ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnte, uns
Menschen nicht nur durch seine menschliche Geburt, sondern auch in seiner
ganzen Kindheit und Jugend völlig gleich geworden sei, alleinausgenommen die
Sünde. Denn es heißt von ihm an Schluss unseres Evangeliums: „Und Jesus nahm
zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ O welch ein
Wunder! – Er, der der Vater der Ewigkeiten war, zählte nun sein Dasein nach
irdischen, vergänglichen Tagen und Jahren und nahm zu an Alter, ging durch alle
Stufen des langsamen menschlichen Wachstums und durch alle Entwicklungsgänge
unserer Natur hindurch, lernte, wie wir, erst sitzen, stehen ,gehen, stammeln,
lallen und reden; und redete nun wie ein Kind, spielte wie ein Kind und weinte
wie ein Kind, dies alles nur ohne Sünde. Er, in welchem doch alle Schätze der
Weisheit und Erkenntnis verborgen lagen, entäußerte sich dieses auch seiner
Menschheit mitgeteilten göttlichen Lichtes, und nahm daher täglich, wie wir
Menschen, zu an Weisheit und Erkenntnis. Er, der Gottes-Sohn, an welchem Gott
von Ewigkeit Wohlgefallen hatte, erwarb sich auch als ein Menschenkind durch
die Holdseligkeit aller seiner Gebärden, Worte und Werke immer größere Gnade,
immer größeres Wohlgefallen bei Gott und Menschen.
Außer dieser allgemeinen
Beschreibung des Jugendlebens Christi hat uns der Evangelist Lukas, getrieben
von dem Heiligen Geist, in unserem Text noch einen besonderen Vorfall
darauf aufbewahrt. Er erzählt nämlich, dass die Eltern Christi nach dem Gesetz
alljährlich auf das Passahfest nach Jerusalem zu gehen pflegten. Ehe Christus
das zwölfte Jahr erreicht hatte, scheinen sie ihn, vielleicht aus Furcht vor
dem König Archelaus, dem Sohn des Herodes, nicht mitgenommen zu haben; als aber
der heilige Knabe zwölf Jahre alt war, forderten sie ihn auf, sie in die
heilige Stadt zur Feier des großen Festes zu begleiten. Und siehe! Obgleich der
Weg von Nazareth nach Jerusalem drei starke Tagereisen weit war und über die
steilen Gebirge Gilboa, Ebal und Ephraim führte, so legte doch das himmlische
Kind den beschwerlichen Weg willig mit Maria und Joseph zu Fuß zurück., Sie
kommen in der großen Stadt an; so neu aber auch die Pracht und das große, bunte
Menschengewühl dieses Sammelplatzes aller Juden dem jungen Knaben war, so
konnte doch dieses alles sein himmlisch gesinntes Herz nicht einnehmen; der
Tempel allein, wo sein himmlischer Vater in Gnaden gegenwärtig zu sein
verheißen hatte und wo sein heiliges Wort gelesen und gepredigt wurde, dies war
die Stätte, wo das göttliche Kind seine Festfreude suchte.
Doch was geschah? – Das Fest war zu Ende,
und Maria und Joseph traten nun den Rückweg nach Nazareth an, und ohne dass sie
es wussten, blieb das Kind Jesus in Jerusalem. Da dasselbe nicht in ihrem Zug
war, meinten sie, es werde wohl mit Verwandten bereits vorausgeeilt sein, mit
denen sie verabredetermaßen in der ersten Nachtherberge wieder zusammentreffen
wollten. Als sie aber da ankommen, weiß niemand etwas von dem heiligen Knaben.
Welch eine Schreckensbotschaft mag dies für Maria gewesen sein! welche peinigenden
Vorwürfe mag ihr jetzt ihr Gewissen gemacht haben, dass sie den Knaben, dessen
sorgfältige Bewahrung ihr bei der Flucht nach Ägypten und bei der Rückkehr nach
Judäa so ernstlich anbefohlen worden war, so nachlässig und sorglos aus ihren
Augen und Händen hatte kommen lassen! Ach, wird sie gedacht haben, vielleicht
ist das Kind in die Hände seiner Verfolger gefallen; vielleicht von dann
geschleppt in ein fernes Land; vielleicht gar schon ermordet. Und du, du bist
schuld daran, dass die ganze Welt ihren Heiland verloren hat. O große,
schreckliche Schuld und Sünde! Wie willst du vor Gott bestehen, der das Kind
von deinen Händen fordern wird? Das werden für sie tage der bittersten Tränen
gewesen sein, und in denselben schon die Weissagung des alten Simeon in
Erfüllung gegangen sein: „Es wird ein Schwert durch deine Seele dingen.“ Doch
endlich nach drei Tagen des Weinens und Jammerns finden die Eltern den Knaben
im Tempel wieder. Und welch ein Anblick! Er sitzt mitten unter den Lehrern. Er,
dem alle Menschen und Engel zuhören sollten, hört armen, irrtumsfähigen
Menschen zu; er, der groß ist von Rat, bei dem alle Welt nach Wahrheit fragen
sollte, fragt sie. Seine Fragen sind jedoch freilich so, dass nur die
Weisheit selbst so fragen kann, denn „alle, die ihm zuhörten“, heißt es,
„verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antwort“. Doch Maria
kann sich nicht halten, sie muss die wichtige Unterredung unterbrechen; zu
Jesus sich wendend, spricht sie: „Mein Sohn, warum hast du uns das angetan?
Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Dies war ein
Vorwurf, den Maria in der Bestürzung zu machen wagte. Auf diesen Vorwurf ward
nun zwar der heilige Knabe nicht unwillig, doch wies er ihn in heilig ernster
Freundlichkeit mit den Worten zurück: „Was ist es, dass ihr mich gesucht
habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“
Christus will sagen: Ihr sprecht von einem Vater, der mich gesucht habe? Wisst
ihr nicht, wer mein Vater ist? und wisst ihr nicht, welch eine Tagewerk mir
dieser aufgetragen hat? Habt ihr vergessen, was die Hirten, was die Weisen aus
dem Morgenland, was Simeon, was Hanna von mir gezeugt haben? – Doch was geschah
nun weiter? Es heißt: „Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und
war ihnen untertan.“ Was dies heiße, „er war ihnen untertan“, dies
sehen wir daraus, dass später die Feinde sagen: „Woher kommt diesen solche
Weisheit und Taten? Ist er nicht eines Zimmermanns Sohn?“ Er also, dem Legionen
Engel zu dienen bereit sind, erniedrigte sich bis zum gehorsamen Knecht armer
Menschen; er, dessen Willen alle Kreaturen unterworfen sind, unterwarf sich dem
Willen zweier Sünder; er, der die Erde gegründet und das Himmelsgewölbe
aufgeführt hat, führte als erniedrigter Menschensohn in seiner Hand das
Zimmerbeil und aß, Menschenhütten bauend, hier sein Brot mit uns im Schweiß
seines Angesichts!
Seht da, dies ist nur ein flüchtiger Blick
auf Christi heilige Jugend, und o! welche Reinheit, welche Unschuld, welche
Demut, welchen Gehorsam gegen Gott und Menschen, welche heilige Wissbegierde,
welchen Eifer in Erfüllung seines himmlischen Berufs, welche Liebe zu seines
Vaters Wort, welche völlige Aufopferung im Dienst des HERRN finden wir da!
Wenn wir nun hiermit unsere eigene Jugend
aufrichtig vergleichen, wie? sollte dann der Blick auf Christi Jugend nicht für
uns alle höchst beschämend, strafend und niederschlagend sein?
Gibt es erstlich nicht manche unter uns,
die in vielen offenbaren Sünden, deren die leichtfertige Jugend fähig ist,
aufgewachsen sind? in Ungehorsam gegen die Eltern, in Verachtung ihrer Zucht
und Ermahnung, in Lügenhaftigkeit, in Naschhaftigkeit und heimlichem Diebstahl,
in Faulheit und Müßiggang, in Eitelkeit und schändlichen fleischlichen Lüsten,
in Eigensinn, Zanksucht, Hader und Neid?
Oder wenn Gott hingegen andere vor solchen
groben Sünden und Lastern der Jugend bewahrt hat, dass sie nicht dem verlorenen
Sohn gleich geworden sind, auf dessen Gewissen unzählige Seufzer und Tränen
bekümmerter Eltern lasteten: Sind sie dann nicht vielleicht doch ohne wahre
Furcht Gottes, ohne wahre Liebe zu Jesus und ohne Folgsamkeit gegen die Triebe
des Heiligen Geistes aufgewachsen? – Die ihr aber endlich in der Jugend zwar
nicht offenbar gottlos gelebt, aber doch euer junges Herz nicht dem HERRN aufg4eopfert,
nicht in der steten Gegenwart Gottes gelebt, nicht Gottes Wort und Christi
Gnade über alles geliebt, nicht fleißig und brünstig gebetet, vielmehr den in
der heiligen Taufe über euch ausgegossenen Geist der Gnade aus eurem Herzen
verloren habt und in Geringachtung und Vergessenheit Gottes dahingegangen seid:
Habt nicht auch ihr dann doch eure Jugend verschwendet und verloren und sie,
anstatt Gottes, der Sünde, der Welt und dem Teufel geopfert? Und habt ihr als
Kinder nicht vielleicht schon oft Rührungen und Gnadenzüge Gottes an eurem
Herzen empfunden, bei welchen in euch der Vorsatz entstand, den HERRN zu
suchen, und ihr seid dennoch in eurem jugendlichen, Gott vergessenden
Leichtsinn verblieben? –
Doch, meine Lieben, sollte es auch wirklich
einige unter uns geben, die schon als Kinder Gott von Herzen gesucht und ihm
mit Abel, Samuel, Josia und anderen frühzeitig gedient haben, die daher auch
mit David sagen können: „Du bist meine Zuversicht, HERR HERR, meine Hoffnung
von meiner Jugend an; Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt“, müssen sie
dann nicht dennoch mit demselben frommen David seufzen: „HERR, gedenke nicht
der Sünden meiner Jugend noch aller meiner Übertretung“? Wer unter uns kann sagen,
dass nicht auch an ihm erfüllt worden sei, was Gottes Wort bezeugt: „Das
Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“? Wer
unter uns hat seinen Taufbund gehalten, bei welchem er dem Teufel gänzlich
entsagte, samt allen seinen Werken und allem seinem Wesen? Wer unter uns kann
sagen, dass er das bei seiner Konfirmation vielleicht mit heißen Tränen der
Liebe abgelegte Versprechen, Gott allein zu dienen, mit wahrer, unwandelbarer
Treue erfüllt habe? Wer unter uns muss nicht klagen, dass sein Herz von Jugend
auf böse war und als eine Sündenquelle in unzähligen bösen Gedanken, Worten und
Werken übergegangen ist? Wer unter uns muss nicht bekenne, dass er dem Kampf
mit Fleisch, Welt und Teufel nicht ohne viele und tiefe Wunden seines Gewissens
entgangen ist? Wer trägt nicht an seiner Seele den und jenen geheimen
Schandfleck einer Jugendsünde, dass er wohl, wenn große Not hereinbricht, mit
Hiob denken möchte: „Du willst mich umbringen um der Sünde willen meiner
Jugend“? – Ach, es ist nur zu offenbar, dass die meisten, die dem HERRN jetzt
dienen, ihn nicht schon in der Jugend, sondern erst später gesucht und
gefunden, und ihre schönste Zeit ihrem Schöpfer geraubt haben! Es ist nur zu
gewiss, dass wir heute alle nur mit tiefer Scham auf den heiligen Jesusknaben
blicken können, wenn wir uns im Geist neben ihn stellen in der Zeit, da wir
noch Kinder, noch Jünglinge und Jungfrauen waren.
2.
Doch, meine Lieben, dieser Blick auf
Christi heilige Jugend ist nicht nur beschämend, sondern zweitens auch höchst
tröstlich, wen wir nämlich dabei den gnadenvollen Zweck des Jugendlebens
Christi reuig und gläubig erwägen.
Christus ist nicht nur um seinetwillen in
die Welt gekommen und ein Mensch geworden, sondern auch nicht um seinetwillen
ein Knabe und Jüngling gewesen. Durch seine Gott freiwillig zum Opfer gebrachte
jugendliche Heiligkeit und Frömmigkeit hat er auch unsere Jugendsünden vor Gott
gut gemacht; durch seinen freiwilligen Gehorsam gegen Gott und Menschen als
Knabe, besonders gegen seine armen Eltern, hat er auch unseren jugendlichen
Ungehorsam, unsere Störrigkeit und kindischen Trotz gut gemacht; durch seine
bewunderungswürdige Kindesdemut hat er gut gemacht auch unsere kindische
Eitelkeit; durch seinen Eifer im Hören des Wortes Gottes und im Dienst des
HERRN hat er gut gemacht unseren frühzeitigen irdischen Sinn und unsere
frühzeitige Verdrossenheit und Trägheit für geistliche und himmlische Dinge.
Kurz, was unser keiner war, das wurde der Sohn Gottes, nämlich ein vollkommen
reiner, keuscher, heiliger Knabe und Jüngling, damit wir an ihm auch einen
Tilger unserer Jugendsünden und einen Heiland und Seligmacher auch für die Zeit
hätten, da wir als Kinder, Jünglinge und Jungfrauen Gott unser Herz entweder
ganz oder doch zum Teil entwendeten.
Für euch nun, die ihr euch nicht mit
leidtragenden Herzen eurer Jugendsünden erinnert, die ihr euch entweder noch
gar nicht von denselben bekehrt habt oder wohl einmal durch Gottes Gnade zu
einer seligen Umkehr gekommen, aber wieder zurückgefallen seid und daher jetzt
keine Reue wegen der Vergangenheit empfindet; die ihr ohne Abscheu vor eurem
vormaligen Leben, ohne wahre Gottesfurcht und Liebe Christi seid; die ihr wohl
gar mit Lachen und Scherzen die bösen Stücke erzählt, womit ihr eure Jugendzeit
geschändet habt; die ihr leichtsinnig sprecht: Jugend hat einmal nicht Tugend;
die ihr euch damit entschuldigt, dass man von jungen Leuten nicht fordern
könne, dass sie so ernstlich Gott dienen wie Bejahrte; die ihr meint, es
verstehe sich von selbst, dass Gott das vergebe, was man als ein unverständiges
Kind oder als ein leichtsinniger Jüngling Böses getan habe: Euch freilich ist
Christi heilige Jugend nicht tröstlich, sondern euch ist sie noch nur eine
Bestrafung und Beschämung. Lernt erst vor diesem heiligen Bild schuldbewusst
niederfallen und einsehen, welch ein Greuel ihr in eurer Jugend Gott wart, da
ihr ihn in dieser schönsten Zeit eures Lebens nicht gesucht und nicht ihm,
sondern eurem eitlen Willen und den Lüsten eures Fleisches gedient habt; lernt
erst, Gott euren frühen Abfall von ihm reuig klagen und nach Vergebung
aufrichtig seufzen, sonst bleiben, wie eure jetzigen Sünden, so auch eure
Jugendsünden auf euch liegen zu eurer ewigen Verdammnis. Denn denkt ihr noch
leichtsinnig von euren Jugendsünden, so denkt ihr auch noch leichtsinnig über
alle Sünden; dann hat Gott sein Werk noch nicht in euch, dann werdet ihr noch
nicht vom Heiligen Geist regiert, dann liegt ihr noch sicher und tot unter der
Herrschaft eurer Sünden und werdet, so ihr nicht erwacht und nicht wahre Buße
tut, so gewiss ewig verloren gehen, so gewiss Gottes Wort Wahrheit und Gottes
Drohungen kein Scherz sind. Bedenkt es wohl: Ihr seid hiermit nun gewarnt; auf
euch liegt nun die Verantwortung, euer Blut ist nun auf eurem Haupt.
Ihr aber, die ihr, so oft ihr an eure
Jugend denkt, euch im Geist vor Gott beugt und im Inneren zu ihm seufzt: „Ach
HERR, rechne mir meine Torheiten nicht zu! Gedenke doch nicht der Sünden meiner
Jugend! Siehe! Ich gedenke ihrer mit Wehmut, du aber wollest dein
Antlitz von ihnen abwenden und sie hinter dich werfen und mich das süße Wort
hören lassen: „Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben“; ihr, die ihr oft
mit Betrübnis klagt, wie es in jenem Lied heißt:
Ach, dass ich dich
so spät erkennet,
Du hochgelobte
Schönheit du,
Und dich nicht
eher mein genennet,
Du höchstes Gut
und wahre Ruh!
Es ist mir leid
und bin betrübt,
Dass ich so spät
dich hab geliebt –
Ihr gedemütigten
und betrübten Seelen: Schaut auf den holden Jesusknaben; dieser hat durch die
Heiligkeit seiner Jugend Gott geleistet, was ihr ihm versagt, und durch die
Mühsal seines Knabenalters gebüßt, was eure Jugend verschuldet hat, – auf ihn
beruft euch daher vor Gott dem Vater und bittet ihn, dass er euch um dieses
unschuldigen Knaben willen euren frühen Abfall von ihm vergeben und eure späte
Rückkehr und späte Liebe zu ihm annehmen wolle, so wird sich Gott auch euer
erbarmen, euch um des Jesusknaben willen die Sünden auch eurer Jugend vergeben
und euch so gnädig annehmen, als hättet ihr ihm von Jugend auf eifrig in reiner
Heiligkeit und Unschuld gedient wie Jesus.
Habt ihr aber in Christus Trost gefunden,
ihr Lieben, gegen eure Jugendsünden, so trachtet dann auch durch seine Gnade
danach, ihm auch nachzufolgen und euch je mehr und mehr in sein heiliges Bild
verklären zu lassen. Kehrt um und werdet, wenn ihr auch schon Väter und Mütter
wäret, wieder Kinder; wandelt nämlich nach dem Vorbild des holden Jesuskindes
stets in kindlicher Zuversicht, Liebe und Treue vor dem Angesicht eures
himmlischen Vaters. Könnt ihr Christus auch hienieden nie an Heiligkeit gleich
werden, so streitet doch desto eifriger durch seine Gnade gegen alle Sünde,
Trägheit und Leichtfertigkeit und haltet ihn fest im Glauben, bis ihr ihn einst
selbst schauen werdet, wenn er mit den Seinen das ewige Osterfest feiern wird
in dem Tempel des himmlischen Jerusalems. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade durch die
Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben unserem teuren Heiland,
herzlich geliebte Zuhörer!
Dass es einen Gott gibt, das kann
zwar ein jeder Mensch schon von Natur wissen; die ganze Welt ist ja ein vor
allen Menschen aufgeschlagenes Buch, in welchem es mit leserlicher Schrift
geschrieben steht: Es ist ein Gott! Und in dem Gewissen aller Menschen hallt
dieses große Wort laut und vernehmlich wieder. Wie aber Gott beschaffen,
und besonders, wie er gegen uns Menschen gesinnt sei, davon kann weder
der Himmel, noch die Erde, noch die Stimme des Gewissens dem Menschen genaue
Kunde geben. Darüber wankt und schwank der Mensch ohne die Offenbarung fort und
fort bald nach dieser, bald nach jener Vorstellung. Geht es einem Menschen hier
wohl, und blickt er nun mit heiterem Herzen hinauf zum Himmel, und sieht er da
Sonne, Mond und Sterne sich wie Himmelsaugen über der Erde freundlich öffnen
und die Wolken mit Segen herabregnen, sieht er die allenthalben lachende und
mit aller Fülle der Gaben prangende Natur, da ruft auch wohl ei natürlicher
Mensch freudetrunken aus: O, es muss ein guter, ein freundlicher Gott diese
Welt geschaffen haben und sie, über den Sternen thronend, voll Liebe erhalten
und regieren! Geht es hingegen einem Menschen hier übel, und blickt er nun mit
zitterndem herzen hinauf zum Himmel und sieht er ihn umwölkt, sieht er zuckende
Blitze aus der Wolkennacht herabfahren und da und dort Tod und Verderben
bringen, hört er den zürnenden Donner über seinem Haupt rollen und sieht er
Hagel und Wasserflut in wenigen Augenblicken die Hoffnung eines ganzen Jahres
verwüsten; oder seufzt er in Krankheit, Schmerz, Hunger und Blöße vergeblich
schon lange nach Hilfe; sieht er Krieg, Teuerung und Pest wie böse Engel, von
oben gesandt, über die Erde schreiten und unter ihren Fußtritten ganze Völker
jammern, dann kann der natürliche Mensch nicht mehr ausrufen: Gott ist die
Liebe! In seinem grollenden Herzen heißt es dann vielmehr: Gott muss ein
finsteres Wesen sein, in dessen Herzen kein Erbarmen wohnt, das sich eine Erde
gebaut hat zu einem großen Altar, auf welchem es sich Menschenglück und
Menschentränen opfert. Von Natur glaubt daher der Mensch entweder, Gott sei ein
Gott der Liebe ohne Zorn, oder ein Gottes des Zornes ohne Liebe.
Das Erstere ist besonders in unseren Tagen
sehr gewöhnlich. Die Vernunftprediger und Apostel einer sogenannten Aufklärung,
welche jetzt besonders überhand genommen haben, verkündigen es jetzt von den
christlichen Kanzeln herab, eben darin bestehe die Lehre, die Christus gebracht
habe. Zur Zeit des Alten Testaments habe man sich Gott als einen zornigen Jahwe
gedacht; so habe ihn Mose, so ihn alle Propheten gepredigt; aber da sei
Christus gekommen und habe der furchtsamen Welt die Botschaft gebracht, dass
Gott nicht zornig, dass er die ewige Liebe, dass er aller Menschen gütiger
Vater sei und dass alle ohne Ausnahme seine geliebten Kinder seien, der Keinem
weh tun könne und werde, den niemand fürchte dürfe und solle.
Diese Lehre von Gott glaubt aber wohl
derjenige, der noch nicht weiß, dass er ein Sünder ist, oder der doch noch
nicht weiß, was Sünde heißt, der ihren Stachel noch nicht in seinem Gewissen
empfunden hat. Wird es aber einem Menschen offenbar, dass er ein von Gott
abgefallenes Geschöpf sei, wird es ihm offenbar, dass er den allerhöchsten Gott
mit seinen Sünden beleidigt und sich ihm zu seinem Feind habe; wacht einem
Menschen sein Gewissen auf, heißt es in seinem Herzen: Was hast du getan? Du
hast Gottes Gebote nicht gehalten! Dein ganzes vergangenes Leben ist
verwerflich gewesen, denn du hast nicht Gott, sondern der Welt, dir selbst, ja,
dem Feind Gottes gedient. Gott will und muss dich nun strafen; er hat Tod und
Verdammnis allen Übertretern gedroht; diese Drohungen werden dich treffen; Gott
kann und wird dich nicht annehmen, sondern – verstoßen, verdammen – : ach, dann
verwelken in dem Herzen des Menschen alle Gedanken daran, dass Gott die Liebe
sei, wie grüne Blätter vor einer Feuerglut, und der Mensch wagt nicht, sich
Gott mit Vertrauen zu nahen, sondern, wenn er könnte, würde er fliehen, um sich
vor ihm im entferntesten Winkel der Schöpfung zu verbergen.
Seht hieraus, meine Lieben, wie nötig es
dem Menschen war, dass sich Gott ihm offenbarte! Aber wohl uns, er hat
sich uns offenbart. Zwar hat er nicht nur im Alten Testament verkündigen
lassen, dass er „nicht ein Gott sei, dem gottloses Wesen gefällt, wer böse ist,
bleibt nicht vor ihm“, sondern auch Christus selbst spricht von ihm: „Fürchtet
euch vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle“, und auch die
Boten Christi reden von einem zornigen Gott, sie sprechen: „Gottes Zorn vom
Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der
Menschen“; aber Gott hat auch zugleich offenbart: Wer unter den sündigen
Menschen vor seinem Zorn erschrickt, wer es erkennt, dass um seiner Sünden
willen der heilige Gott für ihn ein verzehrendes Feuer sei, der soll nur zu
Christus fliehen, dem eingeborenen Sohn Gottes; in diesem ist Gott offenbart im
Fleisch; aber in diesem will Gott kein zorniger Gott mehr sein, in diesem soll
jeder einen gnädigen Gott finden, in diesem brennt kein anderes Feuer als das
Feuer der ewigen Liebe Gottes zu allen Sündern, in ihm ist nicht der Zorn,
sondern die Gnade, das Erbarmen, die Freundlichkeit Gottes erschienen.
O wohl darum allen, die, wenn sie Gott
suchen, ihn nirgends als in Christus suchen und sich Gott nirgends als in
Christus nahen, denn in Christus kommt uns Gott erst als ein freundliches Kind,
sodann als ein freundlicher Knabe und endlich als ein freundlicher Helfer in
aller Not entgegen. So erblicken wir ihn auch in unserem heutigen Evangelium;
in dieser Gestalt lasst uns ihn daher jetzt betrachten.
Johannes
2,1-11: Und am dritten Tag
war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa; und die Mutter Jesu war da. Jesus aber
und seine Jünger wurden auch auf die Hochzeit geladen. Und da es an Wein
gebrach, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben nicht Wein. Jesus spricht zu
ihr: Frau, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht
gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es
waren aber allda sechs steinerne Wasserkrüge gesetzt nach der Weise der
jüdischen Reinigung, und gingen in je einen zwei oder drei Maß. Jesus spricht
zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser. Und sie füllten sie bis obenan. Und
er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister. Und sie brachten’s. Als aber der
Speisemeister kostete den Wein, der Wasser gewesen war, und wusste nicht, woher
er kam (die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten), ruft der
Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zum ersten guten
Wein, und wenn sie betrunken worden sind, alsdann den geringeren; du hast den
guten Wein bisher behalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen
zu Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten
an ihn.
Wollen wir, meine Lieben, einen
tatsächlichen Beleg dafür, dass der Apostel Paulus in seinem Brief an Titus die
Erscheinung Christi mit den Worten beschreibt: „Da aber erschien die
Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes“, so finden wir dies
in unserem heutigen Evangelium, so zu sagen, vor unsere Augen gemalt. Lasst
mich daher jetzt zu euch sprechen:
Von der
Freundlichkeit, welche Christus auf der Hochzeit zu Kana offenbart hat
Und zwar
1.
Wie und warum Christus dieselbe da
offenbart habe, und
2.
Wozu wir diese Offenbarung anwenden
sollen.
HERR Gott Vater! Dich erkennen und den du
gesandt hast, Jesus Christus, das ist das ewige Leben. Darum bitten wir dich,
tue uns auf die Augen unseres Geistes, dass wir nicht blind bleiben, wie wir
von Natur sind, sondern voll werden deiner Erkenntnis und darin wachsen, bis
wir dich dort schauen von Angesicht zu Angesicht. Lass uns besonders in dieser
Stunde in dem Spiegel deines Wortes das freundliche Bild deines eingeborenen
Sohnes mit Freuden beschauen und dadurch zum Glauben an ihn und zur Liebe zu ihm
gereizt und gelockt werden. Erhöre uns um desselben, unseres HERRN und
Heilandes, willen. Amen.
1.
Unser Evangelium beginnt, meine Lieben, mit
den Worten: „Und am dritten Tag“; diese Worte weisen uns auf das unserem
Text unmittelbar Vorhergehende zurück. Da wird uns aber erzählt, dass kurz nach
Christi erstem öffentlichen Auftreten in Judäa eines Tages Nathanael, dieser
Israelit, in welchem kein Falsch war, zu Christus gekommen und durch einen
Beweis von der Allwissenheit Christi zum Glauben an ihn gebracht worden sei.
Christus hatte dem Nathanael aber, als dieser erstaunt ausgerufen hatte:
„Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel“, hierauf entgegnet:
„Du wirst noch Größeres als das sehen.“ – So finden wir denn Christus drei Tage
darauf in Kana in Galiläa. Nathanael, der aus dieser Stadt gebürtig war, mag
Christus gebeten haben, mit ihm nebst den anderen von ihm bereits gesammelten
Jüngern dahin zu gehen, und Christus hatte ihm auch seine Bitte gewährt. Da es
aber in Kana ruchbar wird, dass Christus mit seinen Jüngern in die Stadt
gekommen sei, und da hier gerade in diesen Tagen eine Hochzeit gefeiert wird,
wie es scheint, bei armen Verwandten der Mutter des HERRN (denn diese hatte
sich hier schon vorher eingefunden), so werden „Jesus und seine Jünger auch
auf die Hochzeit geladen“. Und was tut Jesus? Er nimmt die Einladung an und
erscheint wirklich mit allen seinen Jüngern in dem hochzeitlichen Haus.
Wüssten wir nun auch von den hierauf
erwählten anderen wichtigen Vorgängen auf dieser Hochzeit nichts, sagt selbst,
müssten wir nicht schon die Freundlichkeit bewundern, die der Sohn Gottes
allein dadurch offenbart hat, dass er sogleich bei dem Antritt seines Lehramtes
mit seinen Jüngern auf eine Hochzeit geht? Denn aus welcher anderen Ursache
kann dies geschehen sein, als damit seine Freundlichkeit offenbar werde? Oder
sollte Christus um seiner selbst willen, um nämlich etwa selbst eine Erquickung
zu genießen, auf eine arme irdische Hochzeit gegangen sein? Das sei ferne! War
er nicht der Sohn Gottes, der selbst die Quelle aller Freude, bei dem Freude
die Fülle und liebliches Wesen zu seiner Rechten ist immer und ewig? Hätte er
sich selbst freuen wollen, wäre er nicht vom Himmel, dem Ort der Seligkeit,
herabgekommen. Von ihm heißt es vielmehr ausdrücklich: „Ob er wohl reich ist,
so ward er doch arm um unseretwillen, auf dass wir durch seine Armut reich
würden“, und an einer anderen Stelle: „Welcher, da er wohl hätte mögen Freude
haben, erduldete er das Kreuz.“ Es ist hiernach gewiss: Nicht um selbst eine
Freude zu genießen, sondern um den Menschen seine Freundlichkeit zu offenbaren,
ging Christus mit seinen Jüngern auf die Hochzeit zu Kana.
Warum hat denn aber wohl Christus gerade
diese Weise der Offenbarung seiner Freundlichkeit erwählt? Christus hätte ja
denken können: Was werden die Pharisäer sagen? Werden nicht sie und alle
Frommen unter den Juden sich daran stoßen, dass ich, der ich eine so heilige
Person, nämlich der von den Propheten verkündigte allerheiligste Messias sein
will, an den zeitlichen Freuden einer Hochzeit teilnehme? Christus hätte ferner
denken können: Was werden die Reiche und Vornehmen im Land dazu sagen, wenn sie
mich an dem Festtisch armer Leute sitzen sehen? Wird das nicht in ihnen
verächtliche Gedanken von mir erwecken? Christus hätte ferner denken können,
seine Jünger seien neu erweckte Leute, diese dürfte er nicht auf ein
Freudenfest führen, diese müsse er vielmehr anleiten, sich vor allem in der
Buße zu üben und in ihrem Christentum recht tiefen Grund mit Beten, Kämpfen und
Ringen zu legen. Christus hätte endlich denken können, da er eben jetzt sein
öffentliches Lehramt angetreten habe und zur Verwaltung desselben nur drei
kurze Jahre bestimmt seien, so dürfe er seine kostbare Zeit nicht mit
Hochzeitsfeiern hinbringen, er habe viel nötigere Dinge zu tun, er wolle lieber
die Traurigen, Elenden, Angefochtenen, Kranken und Sterbenden aufsuchen und
dergleichen.
So natürlich nun solche Gedanken uns sind
und so gewiss auch Christus an dies alles selbst gedacht hat, so hat er sich
doch durch diese Gedanken der Menschen nicht abhalten lassen, der erhaltenen
Einladung zu folgen. Warum, das ist nicht schwer zu erraten. Denn, nicht wahr,
hätte Christus nur solche werke getan, welche seine hohe Heiligkeit
offenbarten; hätte er sich nur mit geistlichen gottseligen Übungen beschäftigt;
wäre er nur mit Heiligen umgegangen; hätte er jede weltliche oder doch jede
heitere Gesellschaft geflohen und hätte er sich nur im Tempel oder in der Wüste
Tag und Nacht fastend und betend aufgehalten; hätte er mit seinen Jüngern und
mit anderen Menschen keinen anderen Umgang gepflegt, als dass er ihnen Gottes
Wort gepredigt und mit ihnen auf seinen Knien gelegen und gebetet hätte:
Welcher Mensch würde dann wohl ihm zu nahen gewagt haben? Welcher Sünde würde
dann wohl zu ihm Vertrauen gewonnen haben? Würde sich nicht jeder, den sein
Gewissen einer Unheiligkeit und Südhaftigkeit überzeugte, vor Christus, als vor
einem heiligen, höheren Wesen, gescheut und gefürchtet haben? Und was für
Gedanken würden die Menschen von dem Christentum, nämlich von dem Sinn, leben
und Wandel bekommen haben, den Christus fordere? Würde nicht jeder gedacht
haben, wer ein Jünger Christi werden wolle, der müsse die schwersten Lasten und
das drückendste Joch auf sich nehmen und ein Leben in Geistlichkeit der Engel
und in steter saurer Arbeit, in Plage, Angst und Traurigkeit führen? Jeder
Beschäftigung mit irdischen Dingen sei etwas Unchristliches, sei eine
Befleckung der Seele? Zumal jede irdische Freude sei etwas Sündliches, sei eine
Erzürnung Gottes? – Seht, Christus offenbarte sich durch seine Teilnahme an
einer irdischen Hochzeit in so holdseliger Freundlichkeit, um erstlich alle
Menschen, und auch die größten Sünder zu sich zu locken, und um zu zeigen, dass
das Joch, das er den Seinen auflege, sanft, und dass die Last, die er ihnen zu
tragen gebe, leicht, dass das Christentum nichts Trauriges, nicht ein saurer Dienst,
nicht ein mönchisches, mürrisches, menschenfeindliches Wesen, sondern etwas
Leichtes, Liebliches, Fröhliches, Seliges sei. O des treuen Heilandes, der
darum selbst auf eine armselige irdische Hochzeit ging, um den Sündern Mut zu
machen, dass sie zu ihm kämen!
Doch es wird uns in unserem Evangelium
nicht nur erzählt, dass Christus jener Einladung mit seinen Jüngern Folge
leistete; wir hören ferner, als es in Kurzem wegen der Menge der
hinzugekommenen ungerechneten Gäste an Wein gebrach und die Mutter des HERRN,
die hier heimisch sein mochte, die Verlegenheit des Brautpaares merkte, so
lispelte dieselbe Christus zu: „Sie haben nicht Wein.“ Maria, die alle
Worte, welche von ihrem Sohn von dem Engel, von den Hirten, von dem Propheten
Simeon und der Hanna und von Christus selbst ausgesprochen worden waren, in
ihrem Herzen wohl erwogen hatte, wusste wohl, dass es Christus nur ein Wort
koste, um dem Mangel abzuhelfen. Doch jetzt hatte sie aus menschlicher
Schwachheit Christus zur Unzeit erinnert; Christus antwortet ihr daher: „Frau,
was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“
Christus zeigte hiermit, dass in seinem Amt auch seine Mutter keine Stimme
habe. Doch Maria nahm auch diese Zurückweisung in tiefer Demut willig
an, ward darum in ihrem Glauben an Christi helfende Liebe nicht irre, und
sprach daher zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut.“
Was geschieht? Vor dem Hochzeitshaus
standen sechs große steinerne Wasserbehälter zu dem Zweck, dass man nach den
jüdischen Gesetzen sich vor und nach Tisch waschen konnte. Diese Wasserbehälter
befiehlt Christus mit Wasser zu füllen; die Diener gehorchen. Christus heißt
ihnen ferner: „Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister.“ Sie bringen
es. Verwundert bemerkt nun der Speisemeister, dass das ihm Dargereichte der
köstlichste Wein ist; er ruft daher den Bräutigam und spricht: „Jedermann
gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie trunken geworden sind“, das
heißt, wenn die Gäste zur Sättigung getrunken haben, „alsdann den
geringeren; du hast den guten Wein bisher behalten.“ Christus hatte mit
Absicht nicht sogleich nach dem Eintritt des Mangels das Wunder getan;
die
Gäste hatten erst
alle deutlich merken sollen, dass der Wein wirklich zu Ende gegangen sei. Wer
mag daher das Erstaunen schildern, dass jetzt die Gäste und unter ihnen
besonders die Jünger ergriffen haben mag, da sie sehen und schmecken, welch ein
herrliches Wunder Christus in diesem Augenblick getan habe! Daher heißt es denn
auch hierauf: „Und seine Jünger glaubten an ihn.“ Hiermit soll angezeigt
werden, obgleich die Jünger schon vorher einen schwachen Glauben an Christus
gewonnen hatten, so war er doch eben noch sehr schwach gewesen; nun aber, als
das in Erfüllung ging, was Christus drei Tage vorher zu Nathanael gesagt hatte:
„Du wirst noch Größeres als das sehen“, nun wart ihr Glaube erst recht hell und
stark in ihrem Herzen.
Hierdurch offenbarte, heißt es, Christus
seine Herrlichkeit. Diese Herrlichkeit bestand aber nicht allein in der
göttlichen Macht, sondern auch, und zwar vor allem, in der wunderbaren
Freundlichkeit, welche Christus hierdurch offenbarte. Denn ist es nicht so,
liebe Zuhörer: Welch ein freundliches Herz muss Christus damit gegen uns
entdecken wollen, dass er nicht nur mit auf die Hochzeit geht, sondern dass er
dieselbe auch mit einem Wunder krönt, dass er gerade da das erste unter allen
seinen Wundern tut, dass er mit seinem herrlichen Wunder einer Not abhilft, die
kaum eine Not zu nennen ist, und dass er gerade ein solches Wunder tut, Wasser
in Wein verwandelt, mit welchem er die Gäste erquickt, und zwar so viel
Wein verschafft, dass das junge Ehepaar davon eine jahrelange Erquickung haben
konnte? Wer mag nun daran zweifeln, dass Jesus ein freundlicher Heiland sein
müsse, dessen Herz von Liebe gegen die Menschen brennt und wallt, dessen Lust
es ist, uns hier fröhlich und dort selig zu machen, der bereit ist, für uns den
bitteren Tränenkelch zu leeren und uns mit dem süßesten Wein der Freude und
Seligkeit zu tränken und zu erquicken? Möchten wir nicht, wenn wir heute dies
hören, wieder singen, wie an der Krippe des Jesuskindleins:
Er wird ein Knecht
und ich ein Herr,
Das mag ein
Wechsel sein,
Wie könnt es doch
sein freundlicher,
Das
Herze-Jesulein!?
2.
Lasst uns daher nun zweitens erwägen, wozu
wir diese Offenbarung der Freundlichkeit Christi anwenden sollen.
Die rechte Anwendung dieser Offenbarung
besteht erstlich darin, dass wir uns durch das Gefühl unserer Unheiligkeit und
Sündhaftigkeit ja nicht abhalten lassen, zu Christus zu gehen. Denn halten wir
Christus für einen „harten Mann“, der, wie jener Knecht spricht, „nimmt, das er
nicht gelegt hat, und erntet, das er nicht gesät hat“; halten wir Christus für
einen Feind der Sünder, der da gekommen ist, die Sünder zu richten und zu
verdammen; glauben wir, dass Christus einen Sünder von sich stoßen oder doch betrübt
von ihm weggehen lassen könne: So machen wir uns selbst einen falschen
Christus, so werden alle solche Gedanken durch das Verhalten Christi in Kana
widerlegt, und als gottlose Gedanken, die unser Herz sich von Christus selbst
macht oder die der Satan uns von ihm einbildet, verdammt und verworfen. Darum
du, der du gern selig werden möchtest, der du aber wegen deiner Sünden, wegen
deines Abfalls, wegen deiner Untreue, welcher du dich bis diese Stunde schuldig
gemacht hast, dir nun nicht getraust, zu Christus zu gehen; der du immer
denkst, Christus werde nichts von dir wissen wollen: Schaue doch Christus an,
wie er in Kana sich mitten unter arme Sünder setzt, wie er ihr Hochzeitsfest
sogar mit einem Wunder krönt, wie er da lauter Liebe und Freundlichkeit an sich
blicken lässt; so fasse doch daher zu diesem freundlichen Heiland ein Herz,
glaube an ihn, mische dich getrost unter seine Jünger, ja, versuche es nur, und
du wirst’s erfahren: Er wird dich gewiss nicht unfreundlich von sich stoßen und
auch dir gewiss endlich von dem süßen Wein seines Trostes einschenken.
Es gibt jedoch auch solche Sünder, die sich
nicht die Furcht, aber die Furcht vor dem Christentum abhalten lassen, der Welt
Valet zu sagen und wahre Christen zu werden. Sie denken, wer die Welt
verlassen, ein Jünger Christi werden und nichts anderes in dieser Welt genießen
solle als die Freude am Evangelium und die Hoffnung des ewigen Lebens, der
müsse auch aller Freude Abschied gegen, der müsse ein unglücklicher Mensch
werden und schwermütig und trübsinnig sein kurzes Leben vertrauern. Sind auch
vielleicht unter uns solche, die dergleichen Gedanken vom Christentum haben, so
frage ich sie: Wer hat solche Vorstellungen von dem wahren Christentum in euch
erweckt? Wollt ihr das Christentum nach denen beurteilen, die sich’s mutwillig
zu einer steten Mühe, Angst, Arbeit und Traurigkeit machen? In Gottes Wort
findet ihr diese Bild nicht. Schaut Christus in unserem heutigen Evangelium an;
seht, in welcher freundlichen Gestalt er einhergeht; er zeigt euch hiermit,
dass er nicht gekommen ist, die Menschen in einen traurigen, betrübten Zustand
zu versetzen, sondern sie zu erquicken und ihnen eine Freude und einen Frieden
in das Herz zu geben, den ihr in der Welt und ihren Freuden und Gütern nicht
findet. So lange ein Mensch noch eigene Wege geht, so lange er noch nicht
wirklich zu Christus kommt und so lange er noch zwischen Christus und der Welt
sein Herz teilen will, so lange ist freilich das Christentum ein elendes,
trauriges Ding; da ist keine Ruhe, kein Friede, keine Gewissheit, keine Freude,
keine lebendige Hoffnung, keine selige Christengemeinschaft, sondern ein stetes
Grämen und Härmen, und ein Laufen und Rennen nach ungewissem Ziel, ein Fechten
und Ringen mit Streichen in die Luft. Wendet sich aber ein Mensch ohne Umwege
zu Christus und tröstet er sich seiner und traut seinem Wort, seinem Herzen,
der Welt und dem Satan zum Trotz, da wird er ein fröhlicher Christ, der sich
glücklicher dünkt selbst in der Not als der Glücklichste bei seinen guten Tagen
sich dünken kann. Darum ihr, die ihr euch bisher vor dem Christentum gefürchtet
habt, lasst euch doch durch Christi Freundlichkeit zu ihm locken und ihr werdet
es erfahren, was er selbst spricht: „Mein Joch ist sanft, und meine Last ist
leicht.“
Doch zu rechter Anwendung der
Freundlichkeit, die Christus zu Kana offenbart hat, gehört auch ferner, dass
ein Christ in keiner Not verzage, selbst wenn Christus auch auf das erste Gebet
um Hilfe antwortet: „Mensch, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde
ist noch nicht gekommen.“ Habt ihr Christen nicht gehört, wie Christus
selbst in der geringen Verlegenheit, da es auf der Hochzeit an Wein gebrach,
doch endlich durch ein herrliches Wunder Rat geschaffen? Könnt ihr nun glauben,
dass Christus euer Gebet unerhört lassen werde, wenn ihr vielleicht in viel
größerer Not ihn anruft? O, hört doch nicht auf euer Herz, dass in der Stunde
der Trübsal, wenn die Hilfe nicht gleich erscheint, an Christi Liebe zweifeln
will. Denkt doch nicht gleich, dass Christus euch um eurer Sünde willen in der
Not verlassen werde. Er tut es wahrlich nicht. Er ist ein Freund der Sünder.
Wenn er mit seiner Hilfe verzeiht, will er nur euren Glauben, eure Geduld und
eure Liebe zu ihm auf die Probe stellen. Folgt daher der Maria und werdet auch
nicht an Christus irre. Müsst ihr auch erst ein großes Maß voll Tränen füllen
bis obenan: Wenn Christi Stunde schlagen wird, so wird euer Tränenwasser in den
Wein der seligsten Freude verwandelt werden. Er legt es selbst an einer anderen
Stelle so seinen Jüngern aus, wenn er zu ihnen spricht: „Ihr werdet traurig
sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden.“
Endlich aber, meine Lieben, da Christus,
unser HERR, sich so freundlich erwiesen, so lasst uns bedenken, dass er uns
auch damit ein Vorbild gelassen hat, dass wir nachfolgen sollen seinen
Fußstapfen. Wollen wir Jünger des freundlichen Heilandes sein, so lasst es uns
daher auch mit der Tat beweisen, lasst uns so wandeln, dass die Welt sehe, dass
wir keine Menschenfeinde sind und dass das Christentum nichts Finsteres und
Schwermütiges sei, lasst uns wandeln, wie es fröhlichen und seligen Christen
gebührt, freundlich gegen jedermann, im Herzen, in Gebärden und mit Worten und
Werken. Auf unserem Antlitz stehe das Wort des Apostels geschrieben: „Als die
Traurigen, aber allezeit fröhlich.“ Amen.
Die Gnade unsers HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Es wird gewiss wenige Menschen geben, die,
wen sie noch an einen Himmel und an eine Hölle glauben, nicht glauben sollten,
dass sie einst in den Himmel kommen werden. Fragt man sie aber, worauf sie denn
diesen ihren Glauben gründeten und warum sie denn eine so gute Hoffnung für
sich von der Ewigkeit hegten, so geben die Meisten auf diese Frage eine solche
Antwort, dass man deutlich sieht: Ihr Glaube ist grundlos, nichts als eine
leere Einbildung, in welcher sie sich einst betrogen finden werden.
Denn was antworten die Meisten auf die
Frage: Warum glaubst du denn, selig zu werden? – Der Eine spricht: Ich glaube
es darum, weil Gott ein gutes Wesen ist, ein lieber Vater im Himmel, der gewiss
nicht so streng und hart sein wird, mich ewig von sich zu stoßen und zu
verdammen. Wer aber aus diesem Grund selig zu werden hofft, der bau seinen
Glauben darauf, dass Gott bloß die Eigenschaft der Liebe, aber nicht die
Eigenschaft der Gerechtigkeit habe, der baut also auf Sand, sein Glaube ist
eine leere Einbildung, ein süßer Traum, aus welchem er in der Ewigkeit gewiss,
aber dann zu spät, erwachen wird, denn Gott ist ebenso gerecht wie liebevoll.
Ein anderer spricht daher: Ich weiß wohl,
dass Gott nicht bloß liebevoll, sondern auch gerecht und heilig ist; ich glaube
aber darum, selig zu werden, weil Gott mir von Jugend auf bewiesen hat, dass er
mich liebe und mir gnädig sei. Ich habe oft zu Gott in der Not gebetet, und er
hat meine Gebete oft erhört; er hat mich in Zeitlichem gesegnet; ich sehe, wie
mir Gott, was ich anfange, gelingen lässt. Hieraus sehe ich deutlich: Gott muss
mich liebhaben, warum sollte ich also an meiner Seligkeit zweifeln? Wer aus
diesem Grund selig zu werden hofft, der baut seinen Glauben darauf, dass Gott
an denjenigen, welchen er viel Wohltaten erweist, schon sein Wohlgefallen haben
müsse, der baut daher auch auf Sand. Denn Gott hat nicht nur uns Menschen geboten,
auch unseren Feinden Gutes zu tun, sondern er tut dies auch selbst. „Er ist“,
wie Christus spricht, „gütig über die Undankbaren und Boshaften.“ Weit entfernt
also, dass die gütigen Erweisungen Gottes immer Gottes Wohlgefallen an einem
Menschen offenbaren, so sind sie vielmehr bei den meisten Menschen nur
Lockungen dazu, dass sie erst Buße tun sollen; denn so spricht der heilige
Apostel: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut?
Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“
Noch andere sprechen daher: Wir wissen
wohl, wenn ein Mensch in Sünden lebt, so steht er doch nicht bei Gott in
Gnaden, wenn er gleich, wie der reiche Mann im Evangelium, mit göttlichen
Wohltaten überschüttet wird und Gott im Schoß zu sitzen vermeint; wir aber
glauben darum, selig zu werden, weil wir uns, Gott sei Dank, keiner großen
Sünden, wie andere gottlose Menschen, bewusst sind; wir haben uns, so viel in
unseren schwachen Kräften steht, von Jugend auf fromm und rechtschaffen
gehalten; es kann uns niemand etwas Schlechtes nachsagen; Sünder sind wir
freilich alle: Wollte Gott aber alle diejenigen verdammen, die solche
Schwachheitssünden haben wie wir, dann könnte ja niemand selig werden. Wer nun
darum selig zu werden hofft, der baut seinen Glauben darauf, dass Gott
kleingeachtete Sünden nicht strafen könne und dass Gott an ihm nicht mehr
Sünden sehe als er selbst; auch der baut daher auf Sand, denn bei Gott sind
alle Sünden groß, und wo wir Eine Sünde sehen, da sieht Gott bis in unser Herz
dringendes Auge tausend. Daher heißt es auch von jenem Pharisäer, der auch
sagte: „Ich danke dir, dass ich nicht bin wie andere Leuchte, kein Räuber, kein
Ungerechter, kein Ehebrecher“, und desgleichen, dieser ist nicht gerechtfertigt
in sein Haus gegangen, er sei also mit seiner ganzen Ehrbarkeit, Gerechtigkeit
und Frömmigkeit verdammt worden.
Dass man nun dadurch nicht selig werden
könne, sehen andere ein. Sie sprechen daher: Ich weiß wohl, dass ich durch
meine Frömmigkeit nicht in den Himmel kommen kann, und dass Gott auch meine
Fehler und Schwachheiten bestrafen muss, aber ich habe schon in dieser Welt so
viel Kreuz, Not und Trübsale ausgestanden; der liebe Gott hat mich für meine
Sünden schon hier so hart mit vielen Krankheiten, mit Schmerzen, mit Armut
gestraft und mich dieselben abbüßen lassen; ach, ich habe in diesem Leben wenig
fröhliche Tage und Stunden gehabt! So denke ich doch, in jener Welt werde ich’s
dann desto besser haben. Wer nun darum selig zu werden hofft, auch der baut
seinen Glauben auf Sand; denn wenn auch ein Mensch hundert Jahre keine frohe
Stunde hätte, so könnte er damit auch nicht Eine Sünde abbüßen und wieder
gutmachen, denn Gott hat auf die Sünde den Tod, nämlich den zeitlichen und
ewigen Tod, gesetzt. Wer daher auf die Abbüßung seiner Sünden bauen will, der
kann sie nicht hier, sondern muss sie in jener Welt abbüßen von Ewigkeit zu
Ewigkeit.
Doch, meine Lieben, es gibt, Gott sei Dank,
noch Menschen, welche sagen, sie gründeten ihre Hoffnung, selig zu werden,
nicht auf die bloße Liebe Gottes, nicht auf die Wohltaten, die sie schon
genossen hätte, nicht auf ihre Ehrbarkeit und nicht auf ihre Leiden in dieser
Welt, sondern sie hoffen selig zu werden allein durch Christus. Obgleich aber
nun diese Antwort schon besser klingt, so kann doch ein Mensch meinen, er
glaube wirklich an Christus, und in der Tat ist sein Glaubensgrund doch etwas
ganz anderes. Fragt einen Schwärmer unserer Zeit, der in einem durchaus
falschen Glauben steht, wodurch er denn selig werden wolle? So wird auch er
euch sagen: durch Christus. Hierdurch darf man sich aber nicht täuschen lassen;
denn nur der hat den rechten Glauben an Christus, der ihn auf das Wort gründet.
Matthäus
8,1-13: Da er aber vom Berge
herabging, folgte ihm viel Volk nach. Und siehe, ein Aussätziger kam und betete
ihn an und sprach: HERR, so du willst, kannst du mich wohl reinigen. Und Jesus
streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach: Ich will’s tun; sei gereinigt!
Und alsbald ward er von seinem Aussatz rein. Und Jesus sprach zu ihm: Siehe zu,
sag’s niemand, sondern gehe hin und zeige dich dem Priester und opfere die
Gabe, die Mose befohlen hat, zu einem Zeugnis über sie. Da aber Jesus einging zu
Kapernaum, trat ein Hauptmann zu ihm, der bat ihn und sprach: HERR, mein Knecht
liegt zu Hause und ist gichtbrüchig und hat große Qual. Jesus sprach zu ihm:
Ich will kommen und ihn gesund machen. Der Hauptmann antwortete und sprach:
HERR, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein
Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit
untertan, und habe unter mir Kriegsknechte; doch wenn ich sage zu einem: Gehe
hin! so geht er, und zum andern: Komm her! so kommt er, und zu meinem Knecht:
Tue das! so tut er’s. Da das Jesus hörte, verwunderte er sich und sprach zu
denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch, solchen Glauben habe ich
in Israel nicht gefunden. Aber ich sage euch: Viele werden kommen vom Morgen
und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen. Aber
die Kinder des Reichs werden ausgestoßen in die äußerste Finsternis hinaus, da
wird sein Heulen und Zähneklappen. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Gehe hin;
dir geschehe, wie du geglaubt hast! Und sein Knecht ward gesund zu derselben
Stunde.
Nach diesem Evangelium lasst mich euch
jetzt vorstellen:
Dass nur das der
rechte Glaube sei, der sich allein an das Wort hält
Denn
1.
Nur ein solcher Glaube hat den
rechten Grund, und
2.
Nur ein solcher Glaube bringt die
rechte Frucht.
1.
In unserem heutigen Evangelium finden wir
zwei Beispiele von einem Glauben, der durch den Erfolg bestätigt, ja, zum Teil
von Christus selbst als ein Musterglaube bewundert und gerühmt worden ist. Wir
können daher an diesen Beispielen den rechten Glauben kennenlernen, bei welchem
sich ein Mensch gewiss nicht betrogen finden wird.
Worauf gründen nun die beiden Gläubigen,
die uns in unserem Text vorgestellt werden, ihren Glauben, und woran hielten
sie sich denn dabei? Was war dies erstlich bei dem Aussätzigen? Von diesem
heißt es, er habe Christus angebetet und gesprochen: „HERR, so du willst,
kannst du mich wohl reinigen.“ Bei dem ersten Anblick scheint es, als habe
der Aussätzige nach dieser Rede gar keinen Glauben gehabt, sondern vielmehr
Zweifel und Misstrauen gegen Christus in seinem Herzen getragen. Aber es
scheint nur so. Wir müssen nämlich bedenken, dass der Aussätzige nicht um
Gnade, nicht um Vergebung der Sünden, nicht um Seligkeit seiner Seele bat,
sondern um ein zeitliches, leibliches Gut, um Gesundheit. Nun wusste der
Aussätzige wohl, dass Gott manchem Menschen ein leibliches Übel zuschickt zu
seinem Seelenheil; er dachte daher daran, dass die Krankheit des
Aussatzes, mit der er beladen war, vielleicht auch ihm zu seinem Heil nötig
sei; unbedingt um Heilung zu bitten, achtete er daher für eine Vermessenheit;
er bittet daher wohl um die leibliche Hilfe, aber mit der Bedingung, so
Christus wollte, das heißt, so es Christi gnädigem Willen nicht entgegen
wäre. Er will sagen: Christus wisse freilich besser, was ihm gut sei, ob
Krankheit oder Gesundheit; er stelle daher die Erfüllung seiner Bitte in seinen
Willen; doch dass er, wenn er wolle, ihn auch reinigen könne,
das sei ihm gewiss. Seht, meine Lieben, was war es also, was der Aussätzige von
Christus begehrte und worauf er seinen Glauben, auch an die wirkliche Hilfe,
gründen wollte? Es war Christi ausdrückliche zusage und Wort. Ehe
freilich Christus das Wort ausgesprochen hatte: „Ich will es tun, sei
gereinigt“, da wagte der Aussätzige nicht, mit Gewissheit die Heilung zu
erwarten, dieses Wort wollte er erst in sein Ohr schallen hören, das aber
sollte ihm genügen.
Wie war ferner der Glaube des Hauptmanns
von Kapernaum beschaffen? Auch dieser bat um ein leibliches Gut. Was verlangte
er nun, um der Hilfe gewiss zu sein? Er lässt, wie wir aus dem Bericht des
Evangelisten Lukas erfahren, Christus bitten: „HERR, mein Knecht lieg zu
Hause und ist gichtbrüchig und hat große Qual.“ Da nun Jesus sogleich
spricht: „Ich will kommen und ihn gesund machen“, was lässt hierauf der
Hauptmann Christus sagen? Dieses: „HERR, ich bin nicht wert, dass du unter
mein Dach gehst; sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“
Seht, der Hauptmann begehrt von Christus nicht, dass er irgendein Zeichen
gebrauche, etwa die Hand auf den Kranken lege, oder etwas Ähnliches, wie andere
oft baten, ja, er begehrt nicht einmal, dass Christus in sein Haus komme;
Christus soll nur ein Wort sprechen, mehr begehrt er nicht; das und nichts
anderes ist der Grund, darauf er seinen Glauben gebaut hat, und daran er sich
so fest hält, dass ihn dann nichts, selbst die leibliche Abwesenheit Christi nicht,
irre und in seinem Glauben wankend machen kann. Ja, er stellt es Christus
deutlich vor, warum er sich so fest auf sein Wort verlasse, und spricht weiter:
„Denn ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit untertan, und habe unter mir
Kriegsknechte; doch wenn ich sage zu einem: Gehe hin, so geht er; und zum
anderen: Komm her, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tue das, so tut er’s.“
Der Hauptmann will sagen: Mein Wort ist ein Menschenwort, und doch richtet es
so viel aus, dass das augenblicklich geschieht, was ich denen sage, die mir
unterworfen sind; wie dürfte ich nun zweifeln, dass, wenn du dein göttliches
Machtwort aussprichst, alles alsobald geschehen werde? Ich bin ein Mensch, du
bist der Sohn Gottes, dir sind daher nicht nur Menschen, sondern auch alle
Mächte in Himmel und auf Erden untertan; auf dein Wort kann man sich verlassen;
du sprichst ein Wort, und schnell müssen Krankheit, Tod und Teufel weichen. „Du
sprichst, so geschieht’s; du gebietest, so steht’s da.“ Damit wir nun nicht
zweifeln können, dass dies der rechte Glaube sei, wie ihn Christus haben will,
so wird uns in unserem Evangelium weiter erzählt: „Da das Jesus hörte, verwunderte er sich und sprach zu
denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch, solchen Glauben habe ich
in Israel nicht gefunden. Aber ich sage euch: Viele werden kommen vom Morgen
und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen. Aber
die Kinder des Reichs werden ausgestoßen in die äußerste Finsternis hinaus, da
wird sein Heulen und Zähneklappen. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Gehe hin;
dir geschehe, wie du geglaubt hast! Und sein Knecht ward gesund zu derselben
Stunde.“
Prüfen wir nun hiernach den Glauben derer, die da sagen, dass sie auch
durch den Glauben an Christus selig werden wollen, so werden wir bald finden,
dass leider nur zu vielen, ohne es zu ahnen, nicht im rechten Glauben stehen.
Denn worauf gründen die Meisten diesen ihren Glauben, und zwar oft diejenigen,
die sich ihr Christentum einen rechten Ernst sein lassen wollen? Der Eine sagt:
Ich glaube, dass auch ich durch Christus selig werde, denn ich habe eine wahre
Buße getan, ich bin zu einer lebendigen Erkenntnis meiner Sünden und zu einer
großen Reue über dieselben gekommen, darum darf ich gewiss nun auch glauben,
dass mir um Christi willen meine Sünden vergeben seien. Ein anderer spricht:
Das glaube ich darum, denn ich habe es erfahren an meinem Herzen; ich war einst
in großer Angst über meine vielen Sünden, ich wusste keine Ruhe mehr in der
ganzen Welt zu finden; meine Missetaten stand wie Berge vor meiner Seele: Da
habe ich mich auf meine Knie geworfen und Gott herzlich angerufen, er wolle
sich doch meiner erbarmen, und siehe, bald habe ich reichen Trost in meinem
herzen empfunden; es war mir, als spräche eine innere Stimme zu mir: Deine
Sünden sind wir vergeben; da kehrte süßer Friede und eine himmlische Ruhe in
meinem Herzen ein; so bin ich denn nun gewiss, dass ich bei Gott in Gnaden
stehe. Ein Dritter sagt: Auch ich war einstmals in großer Seelennot; ich sah,
dass ich mit meinem bisherigen ehrbaren Leben nicht vor Gott bestehen könne;
Gottes Wort hatte mir wie eine Donnerstimme in das Herz gerufen: Du bist der
Mann des Todes! Ich geriet in Verzweiflung und Verzagen. Doch, da fing ich an
zu beten und zu seufzen und zu kämpfen und zu ringen mit Gott, und habe darin
fortgefahren Tag und Nacht und nicht geruht, bis ich endlich das Zeugnis des
Heiligen Geistes in meinem Herzen empfand. Und siehe! Endlich bekam ich auch
dieses Zeugnis; ich konnte nun jauchzen: Ich habe das Kleinod errungen! Ich bin
nun Gottes Kind! Ich bin ein Erbe des Himmels! Christus ist mein! Ich bin
selig! Halleluja! Es gibt ferner solche, die sagen, sie glauben darum, dass sie
durch Christus selig werden würden, weil sie ganz andere Menschen geworden
seien. Vorher hätten sie nach der Welt Weise in mancher offenbaren Sünde oder
doch in mancher Eitelkeit der Welt dahin gelebt und sich um Gott und sein Wort
und ihrer Seelen Seligkeit nicht bekümmert, aber seit einer gewissen Zeit seien
sie wie umgewandelt; sie hätten die alten Sünden abgelegt, sie machten jetzt
die eitlen Vergnügungen der Welt nicht mehr mit, sie lebten jetzt eingezogen, nun
verginge bei ihnen kein Tag, an dem sie nicht beteten und etwas in Gottes Wort
läsen, sie gingen nun fleißig zur Kirche und zum heiligen Abendmahl, sie hätte
nun auch ganz andere Einsichten in Gottes Wort und die ganze christliche Lehre;
darum meinten sie, dass sie gewiss glauben könnten, dass auch ihnen ihre Sünden
um Christi willen vergeben seien und dass auch sie selig werden würden, wenn
sie Gott durch den Tod abfordern würde. Endlich gibt es auch solche, die dies
darum glauben, weil sie, wie sie sagen, einmal nach einem heftigen Gebet
Christus selbst gesehen, den Heiligen Geist leibhaftig gefühlt oder sonst
merkwürdige himmlische Erscheinungen und Offenbarungen gehabt hätten.
So
gewiss nun ist, dass diejenigen, welche von solchen Erfahrungen erzählen
können, wie sie nämlich einmal eine tiefe Reue über ihre Sündhaftigkeit, einen
süßen Frieden des Herzens, ein
himmlisches Wehen des Heiligen Geistes, eine Umänderung ihres Lebens und
dergleichen erfahren hätten, so gewiss es ist, sage ich, dass diese nicht ohne
Erweckungen der göttlichen Gnade geblieben sind, dass Gott an ihnen gearbeitet,
an ihren Herzen angeklopft und sie heimgesucht hat, sie zum rechten
seligmachenden Glauben zu bringen, so haben doch alle, die nun auf solche ihre
Erfahrungen ihren Glauben und ihre Hoffnung der Seligkeit bauen, einen
falschen, wankenden und schwankenden Grund. Ach und wehe denen, die ihren
Glauben auf ihre Buße bauen, denn auch die ernstlichste Buße bleibt
unvollkommen und auch die tiefste Reue macht vor Gott nicht würdig! Wehe denen,
die auf das süße Friedensgefühl sich verlassen, das in ihnen einmal entstanden
ist, denn dieses Gefühl ist vorübergehend! Wehe denen, die ihren Gnadenstand darauf
gründen, dass sie das Zeugnis des Heiligen Geistes einmal empfunden haben, denn
dieses Zeugnis ist keineswegs immer im Herzen! Wehe denen, die um ihres neuen
Lebens willen sich des Rechtes der Kindschaft Gottes trösten, denn auch das
beste Leben ist verdammt, wenn es Gott nicht zudeckt mit seiner Gnade.
Den
einzig rechten Grund, den unser Glaube haben soll, zeigt uns das Beispiel des
Aussätzigen und des Hauptmanns in unserem Evangelium: Es ist das Wort.
Wer sich allein darauf verlässt, dass Gott selbst in seinem Wort sagt: „Wer da
glaubt und getauft wird, der wird selig werden“; wer sich allein darauf
verlässt, dass Christus selbst spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht
hinausstoßen. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen
Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das
ewige Leben haben“; kurz, wer aus keiner anderen Ursache es wagt zu glauben,
dass auch ihm seine Sünden vergeben seien und dass auch er einst ewig selig
werde, als weil es Gott in seinem Wort offenbart hat, dass alle Menschen, alle,
auch die größten Sünder, durch Christus mit ihm versöhnt und durch ihn, wenn
sie an ihn glauben, selig werden sollen, der hat einen festen, gewissen,
unwandelbaren Glaubensgrund; denn des HERRN Wort ist wahrhaftig, und was er
zusagt, das hält er gewiss. Wenn ein solcher Gläubiger auch keine Gnade mehr
fühlt, sondern nur Zorn empfindet, so verzagt er doch nicht; er spricht: Mein
Herz verkündigt mir Zorn, aber das Wort, das nicht lügen kann, verkündigt mir
Gnade. Wenn ferner ein solcher Gläubiger auch in große Not gerät, so dass es
scheint, als habe Gott ihn ganz vergessen, so verzweifelt er doch nicht; er
spricht: Gott führt mich zwar durch das dunkle Tal der Trübsale, aber das Wort
sagt mir, dass er mein Vater ist. Und wenn nun endlich ein solcher Gläubiger in
Todesnot kommt, mag dann immer der Satan seine feurigen Pfeile nach seinem
Herzen abdrücken, mag er ihn seines ganzen vergangenen Lebens halber verklagen,
so ist er doch getrost und spricht: Ich will nicht mit dir streiten, o Satan,
ob ich ein guter oder schlechter Christ gewesen bin, aber das Wort
sollst du mir nicht nehmen, das allen Sündern, die ihre Zuflucht zu Christus
nehmen, Gnade, Vergebung, Gerechtigkeit und Seligkeit verheißt; an dieses Wort
will ich mich jetzt im Glauben halten; auf dieses Wort will ich jetzt sterben
und mit diesem Wort will ich vor Gottes Gericht getrost treten; Gott kann nicht
lügen; was er verheißen hat, muss er halten; er kann mich daher auch nicht
verdammen; er muss mich selig machen; er wird auch zu mir sagen: „Wie du
geglaubt hast, so geschehe dir, gehe ein zu deines HERRN Freude.“
2.
Doch, meine Lieben, der Glaube, der sich allein an das Wort hält, hat
nicht nur allein den rechten Grund, sondern bringt auch allein die rechte
Frucht. Davon lasst mich nun noch zweitens Einiges hinzusetzen.
Wie
fruchtbar der Glaube sei, der sich allein an das Wort hält, dies sehen wir vor
allem an dem Beispiel des Hauptmanns in unserem Text. Besonders zwei Tugenden
sind es, die an diesem Man auf das herrlichste hervorleuchten, nämlich seine
große Demut und seine eifrige Liebe. Christus war besonders bei allen Vornehmen
sehr verachtet; die meisten der angesehenen Juden schämten sich seiner und
meinten, es sei für Christus eine große Ehre, wenn sie ihn zu sich einluden.
Wie dachte aber der heidnische Hauptmann? Er achtete sich für so unwürdig, dass
er Christus nicht nur nicht zu sich einladen, und, wie Lukas erzählt, nicht
selbst zu ihm zu gehen wagte, und daher jüdische Älteste zu ihm schickte,
sondern, als der HERR sich bereit erklärte, zu ihm zu kommen, selbst da ließ er
es ihm nicht zu, sondern sprach: „HERR, ich bin nicht wert, dass du unter
mein Dach gehst.“ Welch eine Demut! – Doch wir hören auch von ihm, dass er
mit der Krankheit und der Qual seines Knechtes ein so herzliches Mitleid hatte,
wie es nur ein Vater mit der seines eigenen Kindes haben kann. Bedenken wir
nun, dass besonders in jener Zeit die Sklaven gewöhnlich auf das gefühlloseste
behandelt und kaum für Menschen angesehen wurden, so müssen wir umso mehr das
väterliche Herz bewundern, dass dieser alte Krieger gegen seinen kranken
Sklaven hier offenbarte. Hierzu kommt noch, dass dieser Hauptmann nach dem
Bericht des Lukas bei den Juden wegen seiner Liebe zu dem Volk Gottes und ihrer
Religion bekannt und beliebt war, die er unter anderem auch dadurch mit der Tat
bewiesen hatte, dass er den Juden zu Kapernaum aus seinen Mitteln eine Schule
erbaut hatte. Wir sehen hieraus, dass der Glaube an Christus und an die
Gewissheit seines Wortes bei ihm kein müßiger Gedanke, sondern etwas
Lebendiges, Geschäftiges, Tätiges und Kräftiges in seinem Herzen war, der ihn
zu einem neuen Menschen umgewandelt hatte, der da reich war an christlichen
Tugenden und wahrhaft guten Werken.
Wie
sich aber der Glaube, der sich fest an das Wort hält, einst bei dem Hauptmann
erwies, so erweist er sich immer bei allen, die ihn in ihrem Herzen tragen. In
unseren Tagen zwar hört man nicht selten aus dem Mund der Ungläubigen den
Vorwurf, dass der Glaube allen Eifer in guten Werken aufhebe, ja, selbst die
Glieder der schwärmerischen Sekten, die sich doch so laut ihres Glaubens
rühmen, sprechen es jetzt nicht selten aus, dass ein Glaube, der sich auf das
bloße Wort verlasse, ein totes Ding sei, wobei keine Veränderung in dem Herzen
des Menschen vorgehe: Aber warum urteilt man so? Man hat es nicht erfahren.
Ein
Glaube, der sich allein an das Wort hält, scheint freilich etwas sehr Leichtes
und Bequemes zu sein; aber es scheint nur so. Kein Mensch kann sich solch einen
Glauben selbst geben. Viele meinen wohl, dass sie ihn haben, aber in der Stunde
der Anfechtung, wenn die Sünden aufwachen, oder in der Stunde des Todes, wenn
sie das göttliche Gericht nahen sehen, wird nur zu oft das Gegenteil offenbar.
Da zeigt sich’s, dass die Meisten, die sich des Glaubens an das Wort rühmen,
ihr vertrauen doch eigentlich auf ihre Werke setzen und daher in jenem bösen
Stündlein keinen Trost haben.
Zu
dem rechten Glauben, der sich allein an das Wort hält, kommt der Mensch nur
dann, wenn er vorher hat erkennen lernen, dass es sonst keinen Glaubensgrund
und Hoffnungsanker für ihn gibt; diesen Glauben senkt daher der Heilige Geist
in das Herz eines Menschen dann, wenn dieser anfängt, vor Sünde, Hölle und am
meisten vor Gott selbst zu erschrecken. Der Heilige Geist leitet dann einen
solchen erschrockenen Sünder dahin, dass er, an allem seinem Können, Wollen, Zubereiten,
Werken und Frömmigkeit verzagend, es wagt, sich ganz allein an das Wort zu
halten.
O,
wohl aber einem Menschen, der endlich dahin kommt, dass er ausruft: Ach, ich
kann mit meiner Buße, mit meinen Vorsätzen, mit meiner Besserung, mit meiner
Heiligung nimmer vor Gott bestehen; ich will mich daran halten und anklammern,
dass Gott den armen Sündern, die nichts als Sünde haben, Gnade verheißt in
Christus; er kann ja sein Wort nicht widerrufen; er muss sich also doch meiner
erbarmen! O wohl, sage ich, dem, der vom Heiligen Geist endlich dahin geleitet
wird und sich in diesem Sinn und Glauben erhalten lässt bis an sein Ende! Ein
solcher Gläubiger wird gewiss dann auch bald herrliche Früchte dieses seines
Glaubens zeigen, wie der an das Wort gläubige Hauptmann in unserem Evangelium.
Ein solcher Gläubiger fängt dann an, wahrhaft demütig zu werden; er4 führt dann
nicht nur, wie die geistlich stolzen Schwärmer, demütige Gebärden und Worte,
sondern er steht wirklich vor Gott und Menschen in der tiefsten Armut des
Geistes; er achtet sich aller Gnade unwürdig; er achtet sich nicht würdiger als
den größten unter allen Sündern und erscheint täglich vor Gott als ein nackter
und bloßer Bettler, der nicht Recht, sondern Gnade begehrt.
Wie
wäre es aber nun möglich, dass derjenige, welcher in Wahrheit glaubt, dass ihn
nichts als Gottes Barmherzigkeit täglich leiblich und geistlich erhalten und
mit unzähligen Wohltaten überschütte, nicht auch mit Liebe zu Gott und seinen
Brüdern erfüllt werden sollte? Wie wäre es möglich, dass das lebendige Wort
Gottes in ein Herz aufgenommen werden und es nicht lebendig machen sollte? –
Nein! Das göttliche Wort, das ein solcher Gläubiger in seinem Herzen trägt, ist
wie eine glühende Kohle, die ihn nicht kalt bleiben lässt, sondern auch sein
Herz erwärmt und auch ihn göttlich gesinnt macht. Es erweist sich in ihm als
der göttliche unvergängliche Same, dadurch er von Gott gezeugt wird zu einem
Erstling seiner Kreaturen.
Möge denn der Heilige Geist selbst in einem jeden unter uns einen
lebendigen Glauben, der sich an das Wort hält, wirken, so werden wir nicht nur
damit in Not und Tod bestehen, sondern auch leuchten als Lichter in dieser
Welt. Das tue er an uns um Jesu Christi, unseres einigen Heilandes, willen.
Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die
Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heilligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Wir leben in einer Zeit, in welcher viele
Prediger ein Christentum ohne Christus predigen und viele Zuhörer ein solches
Christentum ohne Christus haben wollen. Man hört daher in unseren Tagen nicht
selten den Grundsatz aussprechen: Zu wissen, wer Christus eigentlich nach
seiner Person sei, das sei durchaus nicht nötig, und sich darüber viel streiten
sei die größte Torheit. Die Hauptsache sei, Christi weisheitsvolle Lehre
zu kennen, seinem erhabenen Beispiel zu folgen und seine heiligen Gebote
zu halten. Wenn ein Mensch das tue, dann möge er doch immerhin von
Christus glauben, was er wolle; man solle ihn bei seinem Glauben lassen; denn
dann komme weniger oder nichts darauf an, ob er Christus für eine göttliche
oder für eine menschliche Person, für den Sohn Gottes oder bloß für einen
frommen Menschen halte.
Sollte dies wohl wahr sein? Ich meine: Wer
nur einige Erkenntnis hat, der sieht wohl, was diejenigen, welche solche
Grundsätze aussprechen, damit im Schild führen. Es ist ihnen damit keineswegs
ein Ernst; sie achten es ohne Zweifel selbst keineswegs für gleichgültig, ob
jemand Christus für den Sohn Gottes oder für einen bloßen Menschen halte; sie
erklären dies vielmehr nur darum für gleichgültig, weil sie wünschen, dass
jedermann von Christus gering denken und ihn, wie sie selbst, für einen bloßen
Menschen halten möge.
So lasse sich denn niemand durch solche
jetzt so gangbaren Reden irre machen. Weit entfernt, dass nichts darauf
ankommen sollte, was ein Mensch von Christi Person hält, so kommt vielmehr
darauf alles an. Dies lehrt uns schon unsere Vernunft. Christus verheißt uns in
seiner Lehre, er wolle uns unsere Sünden vergeben, er wolle uns von Gottes Zorn
und Ungnade, vom Tod und von der Hölle erlösen, uns einst am Jüngsten Tag von
den Toten auferwecken, uns im Tod den Himmel öffnen und uns dort ewig selig
machen. Sollte es nun gleichgültig sein, ob der, welcher uns solche Dinge
verheißt, ein bloßer Mensch oder der wahrhaftige Gott und das ewige Leben sei?
– Verspricht uns jemand nur tausend Taler, wird es uns dann einerlei sein, ob
derselbe reich oder arm sei, ein Besitzer von Millionen oder ein Bettler?
Gewiss nicht. Wie? Und Christus verspricht uns, was der allmächtige Gott
allein geben kann, und uns sollte es gleichgültig sein, ob Christus der
allmächtige Sohn des Allerhöchsten oder ob er ein ohnmächtiger Mensch sei wie
wir? – Dies streitet aber auch gegen die ganze Heilige Schrift. Nach derselben
ist die Lehre von Christi Person die erste, die wichtigste, die Haupt- und
Grundlehre des ganzen Christentums. Die Apostel nennen das Christentum geradezu
die Predigt von Christus und besonders von dem gekreuzigten Christus, und sie
erklären: „Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist,
welcher ist Jesus Christus.“ Ein Christentum ohne Christus ist also nach der
Schrift ein in die Luft gebautes Haus ohne allen Grund, eine Sonne ohne schein,
eine Schale ohne Kern, eine Quelle ohne Wasser.
Eben dadurch unterscheid sich nämlich
Christi Lehre von allen anderen Religionen, dass er selbst den Hauptinhalt
seiner Lehre ausmacht. Alle anderen Religionen sind aus der Vernunft
herausgesponnene Lehrsysteme, die eine Reihe von Behauptungen und Geboten
enthalten, ohne in irgendeiner Beziehung zu denen zu stehen, welche diese
Systeme erfunden haben. In der Lehre Christi aber ist Christus selbst der
leuchtende Mittelpunkt, von welchem alles ausgeht, um den sich alles bewegt und
auf den sich alles wieder zurückbezieht.
Christus spricht nicht bloß wie andere
Lehrer: Ich zeige euch den rechten Weg, ich lehre die Wahrheit,
ich führe zum ewigen Leben, sondern er spricht geradezu: „Ich bin
der Weg, ich bin die Wahrheit, ich bin das Leben.“ Christus spricht ferner
nicht bloß: Wer an meine Lehre oder an Gott glaubt, der hat das ewige
Leben, sondern geradezu: Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben.“
Christus spricht ferner nicht bloß: Wendet euch zu Gott, sondern er spricht
geradezu: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“
Christus sagt aber auch endlich ausdrücklich, dass es nicht genug sei, Gott den
Vater zu erkennen; er spricht: „Das ist das ewige Leben, dass sie dich, dass du
allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus,
erkennen.“ Christus erklärt also die Erkenntnis Christi für ebenso nötig wie
die Erkenntnis Gottes des Vaters.
So hat kein Philosoph geredet und so konnte
keiner reden; diese konnten sich allein auf ihre Lehre berufen, auf sich
selbst aber konnten sie nicht hinweisen, das hat nur Christus getan.
Was sollen wir also von denen halten, die
da sagen: Zu wissen, was Christus eigentlich sei, sei nicht nötig, wenn man nur
seine Lehre kenne? Solche sind entweder von anderen Verführte oder selbst
Verführer, die Christus aus dem Christentum austilgen möchten, um eben damit
das Christentum selbst zu vertilgen und an die Stelle desselben die dem Fleisch
freilich bequemere Moral der alten Heiden wieder einzusetzen.
O, möchte es jetzt nicht so viele, selbst
mitten in der Christenheit, geben, die nichts von Christus wissen wollen! In
einer solchen Zeit ist es freilich höchst nötig, dass man sich in seinem
Glauben an Christus immer tiefer gründen und zu stärken suche. Lasst uns daher
unser heutiges Evangelium dazu anwenden, Christi göttliche Macht und
Herrlichkeit uns recht lebendig zu vergegenwärtigen.
Matthäus
8,23-27: Und er trat in das
Schiff, und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, da erhob sich ein großes
Ungestüm im Meer, also dass auch das Schifflein mit Wellen bedeckt ward; und er
schlief. Und die Jünger traten zu ihm und weckten ihn auf und sprachen: HERR,
hilf uns, wir verderben! Da sagte er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid
ihr so furchtsam? Und stand auf und
bedrohte den Wind und das Meer; da ward es ganz still. Die Menschen aber
verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und
Meer gehorsam ist?
Aufgrund dieses
herrlichen Evangeliums lasst mich jetzt zu euch sprechen:
Von der göttlichen Macht und Herrlichkeit, welche
Christus einst auf dem galiläischen Meer offenbart hat
Lasst mich euch
hierbei darauf hinweisen,
1.
Wie deutlich und herrlich Christus
dieselbe hier einst offenbarte, und
2.
Wozu Freund und Feind diese
Offenbarung anwenden sollen.
1.
Die in unserm heutigen Evangelium erzählte
Geschichte enthält, meine Lieben, eine so herrliche Offenbarung Christi, dass
es ein Wunder ist, wenn sie ein Gläubiger lesen oder hören sollte, ohne dabei
einen innerlichen Drang zu empfinden, laut zu jauchzen und zu jubeln: O, wie
groß und mächtig ist doch Jesus Christus! O, wohl mir, dass ich einen solchen
Heiland habe! Aber ein Wunder ist’s auch, wenn nicht jeder Ungläubige beim
Anhören unseres Evangeliums vor sich selbst erschrickt und um Erbarmen flehend Christus
zu den Füßen fällt.
Denn was hören wir? – Christus hatte einst
eines Tages am Ufer des galiläischen Meeres viele Kranke geheilt und dem Volk
in vielen Gleichnissen die seligmachende Wahrheit eifrig gepredigt, bis der
Abend hereingebrochen war. Christus begab sich daher, dem fernen Zudrang des
Volkes ausweichend, endlich in ein Schiff, um hinüber nach dem
entgegengesetzten Ufer des Sees zu fahren. Seine Jünger folgen ihm, und noch
mehrere andere Schiffe fahren zu derselben Zeit mit ab. Ruhig durchschneiden
erst die Fahrzeuge die dunkle Flut. Christus, von den während des Tages
verrichteten Wunderheilungen und gehaltenen Predigten ermüdet, legt sich
alsbald auf dem Hinterteil des Schiffes, ein Kissen unter seinem Haupt,
schlafen.
Doch was geschieht? Es heißt in unserem
Text: „Und siehe, da erhob sich ein großes Ungestüm im Meer.“ Durch das
Wörtlein „siehe“ soll angezeigt werden, dass die Veränderung schnell und
plötzlich, wider alles Erwarten der Schiffenden, entstanden sei. Das Wort „Ungestüm“
aber bezeichnet nach dem Griechischen eine Erschütterung, wie sie bei einem
Erdbeben wahrgenommen wird. Es entstand also plötzlich, da sie auf die hohe See
kommen, ein unterirdisches Geräusch, auf welches das Wasser umher in eine ganz
ungewöhnliche Bewegung geriet; bald tut sich eine Tiefe auf, als wollte sie das
Schifflein verschlingen, bald türmen sich die Wasserberge, die auf das Fahrzeug
herabzustürzen drohen. Aber das ist noch nicht genug. Nach dem Bericht von
Lukas und Markus kam hierauf noch ein Windwirbel oder eine Windsbraut hinzu,
die sich aus der Luft in den See brausend herabstürzte, die bereits empörten
Wasser wie eine Schraube erfasste, wie einen Kreisel herumdrehte, und so Welle
auf Welle in das Schifflein warf, dass dasselbe in wenig Augenblicken mit
Wellen bedeckt und von Seewasser ganz erfüllt war. Lukas sagt daher
ausdrücklich: „Und sie standen in großer Gefahr.“
Wie drohend diese Gefahr gewesen sein
müsse, sehen wir daraus, dass alle Jünger jetzt zitterten und zagten. Unter den
Jüngern war nämlich wohl keiner, der nicht schon oft auf dem Wasser gefahren
wäre; ja, einige waren darunter, welche, wie wir gewiss wissen, als Fischer von
Jugend auf auf dem Wasser ihre Geschäfte getrieben hatten und daher mit den
Gefahren und Schrecknissen des Meeres wohl vertraut und dagegen abgehärtet
waren. Da nun alle, selbst ein mutiger Petrus, von Furcht und Schrecken
ergriffen werden, so müssen wir daraus schließen, dass sie jetzt so
schreckliche Dinge erlebten, wie sie sie bis dahin noch nicht erlebt hatten.
Alle Elemente sahen sie gegen sich in Aufruhr: Unter ihnen war es, als wollte
die erbebende Tiefe das Meer selbst verschlingen, über ihnen sauste der
Windwirbel wie ein Wetter und auf sie stürzte das Wasser in ganzen Strömen
herab; aller menschliche Widerstand zeigte sich völlig vergeblich; dazu war es
Nacht. Schon fürchteten daher die Jünger, im nächsten Augenblick werde das
Schifflein in Stücke zerschellt und in grausigen Abgrund hinabgezogen sein.
Doch, da der HERR in ihrer Mitte war, so
nahmen sie noch zu ihm ihre letzte Zuflucht, traten vor den Schlafenden hin,
weckten ich auf und riefen laut: „HERR, hilf uns, wir verderben!“ Und
was tut Christus? Furchtlos schaut er, von seinem Schlummer erwacht, hinaus in
den furchtbaren Aufruhr der Natur. Das Erste ist, dass er die zagenden Jünger
straft und spricht: „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“
Hierauf steht er auf, bedroht den Wind und das Meer und spricht: „Schweig und
verstumme!“ Und siehe, augenblicklich wird es ganz still. In dem Griechischen
wird hier ein Wort gebraucht, welches so viel bedeutet, dass die Oberfläche des
Sees wie eine Spiegelfläche geglättet worden sei und dass sich über die ganze
Gegend eine lachende Heiterkeit ausgebrietet habe.
Als dies die Jünger sahen, da, heißt es,
fürchteten sie sich sehr, „verwunderten sich und sprachen: Was ist das für
ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ Die Jünger erkannten
hieraus, dass Christus unmöglich ein bloßer Mensch sein könne, sondern dass er
vielmehr der sein müsse, vor dem sich fürchten muss alle Welt, nämlich Gott der
HERR selbst.
Und das müssen auch wir, meine Lieben, noch
jetzt aus dieser herrlichen Geschichte erkennen. Ihr wisst ja wohl alle aus
Erfahrung, wie es um alle menschenmacht in einem Meeressturm getan ist. Wenn
uns Menschen irgendwo unsere völlige Ohnmacht recht lebendig vor die Seele
tritt, so ist es gerade auf dem Meer. Wenn da der Sturm über den Häuptern der
Schiffenden daher braust, die Segel zerreißt, die Masten krachend zerbricht und
die Wellen und Wogen peitscht, dass sie wie große Gebirge auf das schwache Fahrzeug
losbrechen und hier Tiefe und da eine Tiefe sich, wie der Rachen des Abgrundes,
öffnet, da sieht man, wie doch der Mensch so gar nichts sei. Was tat aber
Christus in solcher Lage? Zagte auch er? Ja, ermahnte er auch etwa nur seine
Apostel, zu Gott zu flehen und sich in alles, was da kommen würde, ruhig zu
ergeben? – Nein! Ruhig steht er auf, bedroht die entzügelten Elemente und,
während sonst das wellenschlagende Meer immer nur langsam, nachdem der Wind
sich schon längere Zeit gelegt hat, sich beruhigt, so schweigt auf Christi Wort
nicht nur augenblicklich der heulende Sturm, sondern in demselben Augenblick
verschwinden auch plötzlich alle Wogen und glatt, wie ein Wiesenplan, lacht
heiter wieder des Meeres Spiegel.
Seht hier in Christus denselben HERRN, der
einst die Wasser des Roten Meeres trennte, sie für die Kinder Israel zu Rechten
und zur Linken zur Mauer machte und ihnen auf der Meerestiefe einen trockenen
Fußpfad bahnte. Seht hier in Christus denselben HERRN, der einst dem
Jordanstrom gebot, still zu stehen und sich wie ein Berg aufzuhäufen, damit
sein Knecht Josua mit seinem ganzen Heer trockenen Fußes hindurchgehen konnte.
Hier hat Christus mit der Tat bewiesen, dass es Wahrheit sei, was er von sich
selbst sprach: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, hier
erfüllte sich die über den Messias im 8. Psalm ausgesprochene Weissagung: „Du
wirst ihn zum Herrn machen über deiner Hände Werk; alles hast du unter seine
Füße getan.“
Sturm und Meer hat noch kein Mensch
gezügelt; soll daher Gottes Größe recht lebendig in der Heiligen Schrift
vorgestellt werden, so wird besonders seine macht über diese mächtigen,
ungebändigten Elemente beschrieben. So fragt zum Beispiel im Buch Hiob im 38.
Kapitel Gott den vorwitzigen Menschen: „Wer hat das Meer mit seinen Türen
verschlossen, da es herausbrach wie auch Mutterleib? Da ich ihm den Lauf brach
mit meinem Damm und setzte ihm Riegel und Tür und sprach: Bis hierher sollst du
kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen.“ Daher
heißt es ferner in dem 89. und 93. Psalm: „HERR, Gott Zebaoth, wer ist, wie du,
ein mächtiger Gott? Und deine Wahrheit ist um dich her. Du herrschst über das
ungestüme Meer. Du stillst seine Wellen, wenn sie sich erheben. Die Wasserwogen
im Meer sind groß und brausen greulich; der HERR aber ist noch größer in der
Höhe.“
Was hat also einst Christus auf dem
galiläischen Meer bewiesen? Er hat bewiesen, dass er tun kann, was Gott allein
sich vorbehalten hat, dass er ein Herr sei nicht nur über die Erde, sondern
auch über die Luft und das Meer, dass selbst die stummen, toten Kreaturen seine
stimme hören und ihr gehorchen, dass er gleich sei dem Schöpfer, der da
„spricht, so geschieht’s, der da gebietet, so steht’s da“; kurz, dass er sei
der HERR Himmels und der Erde, der HERR aller Herren, der wahrhaftige Sohn
Gottes und der ewige und allmächtige Gott, mit dem Vater und dem Heiligen Geist
gleich groß und herrlich.
2.
Da ist kein Zweifel; lasst mich euch daher
nur noch zweitens darauf hinweisen, wozu Freund und Feind diese Offenbarung der
göttlichen Macht und Herrlichkeit anwenden sollen. – Wer ist erstlich ein
Freund Christi? #Ein Freund Christi ist derjenige, welcher aus Gottes Gesetz
erkannt hat, dass er ein Sünder sei, der sich nicht selbst selig machen kann,
der daher, gedrückt von der Last seiner Sünde, bei Christus seine einzige
Zuflucht gesucht und ihn im Glauben angenommen hat und mit den lieben Jüngern
nun bereit ist, Christus nachzufolgen und bei ihm auszuharren bis zum Tod. Wer
ein solcher Freund Christi ist, wozu soll der die Offenbarung der Herrlichkeit
Christi auf dem galiläischen Meer anwenden?
Erstlich dazu, dass er recht lebendig
erkennt, welchen guten, festen und unerschütterlichen Grund sein Glaube an
Christus und an sein Evangelium habe. Siehe daraus, du Freund Christi, du
täuschst dich nicht, wenn du Christus für den Sohn Gottes und sein Evangelium
für das Wort Gottes hältst; Christus hat es besiegelt durch die herrlichsten
Wunder. Alle Königsthrone werden fallen, aber diesen König aller Könige wird
nichts von dem Thron seiner Macht und Herrlichkeit stürzen. Himmel und Erde
werden vergehen, aber Christi Worte werden nicht vergehen. Alle Reiche der
Welt, alle Machwerke der Menschen werden untergehen und zerstört werden, aber
Christi Kirche und Reich werden auch die Pforten der Hölle nicht überwältigen,
denn er ist allmächtig. „Wenn gleich das Meer wütete und wallte und von seinem
Ungestüm die Berge einfielen. Sela. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig
bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott
ist bei ihr drinnen, darum wird sie wohl bleiben; Gott hilft ihr frühe.“
Bekenne darum nur getrost fort und fort deinen Heiland mit Worten und Werken,
du wirst und kannst nicht zuschanden werden.
Ein Freund Christi soll daher jene
Offenbarung seiner Herrlichkeit auch dazu anwenden, dass er nie verzagt, weder
in einer leiblichen, noch in einer geistlichen Not. Siehe, weil du an Christus
glaubst, so ist auch Christus stets in Gnaden bei dir, wie bei den Jüngern im
Schiff. Entstehen nun Stürme der Trübsal, beginnt das Schifflein deines Lebens
auf dem bewegten Meer dieser Welt zu wanken und zu schwanken, mit den Wellen
der Not und Gefahr oder innerlichen Anfechtungen wegen deiner Sünden bedeckt zu
werden, ja, gar zu sinken, o, seid getrost; scheint’s auch, als schliefe dein
Heiland und als kümmere er sich nicht um dich: Ist deine Not am höchsten, so
ist Christi Hilfe am nächsten. Wecke nur deinen Heiland auf und rufe ihm in
festem Glauben zu: „HERR, hilf mir!“ so wird er auch für dich aufstehen
und den Sturm deiner Not und die Wogen deiner Anfechtung bedrohen, deinem
Herzen und Gewissen Stille, Ruhe und Frieden geben und dir herrlich helfen.
Denn Christus kann auch da helfen, wo kein Mensch helfen kann, in den höchsten
Nöten, in der Not der Sünde und in der Not des Todes.
Doch wie sollt ihr endlich jene Offenbarung
der Herrlichkeit Christi anwenden, die ihr noch seine Feinde seid? Die ihr
nämlich entweder gar nichts von Christus wissen wollt oder ihn doch zu einem
bloßen frommen Menschen macht und nicht durch ihn, sondern durch eure eigenen
Werke selig werden wollt? Ihr sollt aus jenem Wunder erkennen, was ihr doch
tut, indem ihr Christus zu einem bloßen Menschen macht. Habt ihr wohl, nachdem
Christus jenes Wunder getan hat, noch eine Ursache, sicher zu sein? Etwa darum,
weil es scheint, als sei Christus schwach, weil er zu allen Lästerungen gegen
ihn bisher geschwiegen hat, und sich bisher von Tausenden ungestraft hat
verachten lassen? O wahrlich nicht! Überlegt doch, wie sich Christus einst im
Sturm auf jenem See offenbart hat: Erst schlief er, als ein Mensch wie wir, als
Gott schlief noch schlummerte er nicht, sondern wachte; aber endlich stand er
auf und bedrohte als Gottmensch die entfesselten Elemente, und Wind und Meer
waren ihm gehorsam. So schläft Christus auch jetzt, und es scheint, als sei er
ein Mensch wir ihr; aber wisst, es kommt ein Tag, das ist der schreckliche Tag
des Weltuntergangs, da wird Christus erwachen und alle Feinde zum Schemel
seiner Füße legen. O, darum schließt doch mit diesem König aller Könige in
rechtzeitig Frieden, damit ihr einst nicht von ihm als seine Feinde mit Gewalt
niedergeschmettert, sondern als seine Freunde zu seiner Rechten erhoben werdet
auf immer und ewig. – Sprecht nicht, es sei gegen eure Vernunft zu glauben,
dass Christus der wahrhaftige Gott sei. Blickt hin, wie er als ein Herr der
Natur im Schiff steht und alles ihm gehorsam ist: Und ihr wollt ihm nicht zu
Füßen fallen, ihm, dem Allgewaltigen? Siehe, so wird einst am jüngsten Tag der
auf Christi Allmachtswort verstummende Sturmwind seinen Mund öffnen und wider
euch zeugen. Wehe euch aber dann! Dieses Zeugnis wird alle eure
Entschuldigungen zu Boden schlagen und euren Unglauben verdammen. Und wollt ihr
jetzt Christi Stimme nicht hören und ihr folgen; wohl – ihr werdet nicht gezwungen,
ihm hier zu gehorchen; aber einst in euren Gräbern werdet ihr
doch Christi Stimme hören müssen, wenn sie euch zur Auferstehung des Gerichts
rufen wird. O, darum hört jetzt auf Christus, jetzt ist seine Stimme eine
Stimme der Gnade auch für seine Feinde; dort aber wird er sprechen: „Jene aber,
die nicht wollten, dass ich über sie herrschen sollte, die bringt her und
erwürgt sie vor meinen Augen.“
Nun, Er, dem alle Kreaturen dienen, der
unterwerfe sich auch unser aller Herzen durch sein allmächtiges Wort, dass auch
wir ihm hier mit Freuden dienen, ihn als unseren Gott und Heiland bekennen und
anbeten, ihm in aller Not fröhlich vertrauen, durch seinen beistand einst auch
über den Abgrund des Todes glücklich hinübersegeln und fröhlich ankommen an den
Ufern der jenseitigen seligen Welt, wo kein sturm der Not mehr brauchst und
keine Welle der Anfechtung mehr tost, sondern ewige, selige Friedensstille
wohnt. Amen.
HERR Gott, himmlischer Vater! Du hast dir
aus dem verlorenen und verdammten menschlichen Geschlecht eine ewige Kirche
deiner Auserwählten gesammelt und nach deiner wunderbaren Gnade auch uns in
dieselbe berufen und aufgenommen. O, so schenke uns denn auch die Gnade, dass
wir uns durch keinen Schein der falschen Kirche blenden und in ihre
Gemeinschaft verlocken lassen, sondern bei deiner wahren Kirche, bei den
Schafen, die deine Stimme hören, bei denen, die dich lieben und dein Wort
halten, bei deinen wahren Jüngern, die bei deiner Rede bleiben, ausharren und
bei ihrer Schmach, auf dass wir einst als Kinder deines Reichs nicht
hinausgestoßen, sondern gesammelt werden in die Scheuern des Himmels. Dazu
segne dein Wort auch in dieser Stunde um Jesu Christi, deines lieben Sohnes,
unseres HERRN und Heilandes, willen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Die sogenannte römisch-katholische Kirche
hat so viele und so offenbare Irrtümer, dass dieselben jeder Katechismusschüler
leicht erkenne, ja, dass sie, man möchte sagen, ein Blinder mit Händen greifen
kann.
In der römischen Kirche wird durch die
Anrufung der Jungfrau Maria und anderer verstorbener Heiliger die offenbarste
Abgötterei betrieben, während Gottes Wort sagt: „Du sollst anbeten Gott, dienen
HERRN, und ihm allein dienen.“ „Rufe mich an in der Not, so will ich dich
erretten, und du sollst mich preisen.“ „Verflucht ist, wer sich auf Menschen
verlässt“. In der römischen Kirche wird das heilige Abendmahl schändlich
verstümmelt und den Kommunikanten der Kelch geraubt, während Christus klar
sagt: „Trinkt alle daraus“; in der römischen Kirche wird täglich das sogenannte
Messopfer dargebracht, während Gottes Wort sagt, dass zwar im Alten Testament
die Priester oftmals einerlei Opfer getan, dass aber nun im Neuen Testament
Christus „mit Einem Opfer in Ewigkeit vollendet habe, die geheiligt werden“. In
der römischen Kirche wird den Priestern, Mönchen und Nonnen die Ehe verboten,
während in Gottes Wort das Verbieten, ehelich zu werden, eine Teufelslehre
genannt wird. In der römischen Kirche wird gelehrt, dass sich der Mensch durch
seine Werke, Reue, Beichte und Genugtuungen die Rechtfertigung und Seligkeit
verdienen könne und solle, während Gottes Wort sagt, „Wer nicht mit Werken
umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein
Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit“. In der römischen Kirche herrschen, den
Papst an der Spitze, die Priester und Bischöfe über das Volk und über seinen
Glauben, während Gottes Wort den Dienern der Kirche warnend zuruft: „Nicht als
die über das Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde“; und selbst
die Apostel sagen von sich: „Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern
Gehilfen eurer Freude“. In der römischen Kirche wird gelehrt, dass es in jener
Welt ein Fegfeuer gebe, in welchem die Gläubigen erst gereinigt werden, um in
den Himmel eingehen zu können, während Gottes Wort sagt: „Selig sind die Toten,
die in dem HERRN sterben, von nun an“; „Heute noch wirst du mit mir im Paradies
sein“; und ferner: „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, darnach das
Gericht“. In der römischen Kirche galt lange das Lesen der Heiligen Schrift für
eine dem gemeinen Christen gefährliche Sache, weil die Bibel dunkel und
missverständlich sei, während der Prophet Jesaja dem ganzen jüdischen Volk
gebietet: „Sucht in dem Buch des HERRN und lest“; ferner Petrus den Christen
zuruft: „Wir haben ein festes prophetisches Wort, und ihr tut wohl, dass ihr
darauf achtet, als auf ein Licht“; ferner Christus selbst: „Sucht in der
Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin, und sie ist’s, die von
mir zeugt.“[11]
Doch, wann wollte ich heute fertig werden,
wenn ich euch auch nur alle die gröbsten Irrtümer der römischen Kirche
herzählen wollte?
Wie ist es nun möglich, dass die römische
Kirche trotz ihrer zahllosen so offenbarer Irrtümer und Greuel so viele Seelen
dennoch verführt?
Ihr Hauptmittel zur Seelenverführung ist
die Lehre, dass sie die wahre Kirche sei. Sie macht nämlich dabei folgenden
Trugschluss: Weil sie die alte, erste, allein wahre Kirche sei, so könne sie
sich auch nicht irren, weil sie sich aber nicht irren könne, so könne auch
nichts, was sie lehre und was man für Irrtum halte, Irrtum sein, sondern müsse
Wahrheit sein. Hat sich nun ein Mensch durch das Geschrei: Die römische Kirche
ist die wahre Kirche, verblenden lassen, dann ist er freilich in eine Falle
gegangen, aus welcher kein Ausweg ist. Ein solcher Verführer ist einem Menschen
gleich, der darum seinen Irrweg gar nicht mehr sehen kann, weil er sich die
Augen hat verbinden lassen.
Worin offenbart sich aber der Betrug?
Darin: Man darf nicht etwas für Wahrheit halten, weil es die angebliche wahre
Kirche lehrt, sondern man darf vielmehr nur diejenige für die wahre Kirche
halten, welche vorher beweist, dass sie die Wahrheit lehrt; Wahrheit ist etwas
nicht dann und darum, wenn und weil es die Kirche sagt, sondern umgekehrt, eine
Gemeinschaft ist nur dann und darum die Kirche, wenn und weil sie die Wahrheit
sagt. Ein Irrtum ist nicht darum Wahrheit, weil ihn die angeblich wahre Kirche lehrt,
sondern eine Kirche ist dann eben darum die wahre Kirche nicht, weil sie Irrtum
lehrt; wie ein Mensch nicht damit beweist, dass er nicht gestohlen habe, weil
er ehrlich sei, sondern damit beweisen muss, dass er ehrlich sei, weil er nicht
gestohlen habe.
Kurz, meine Lieben, eine Kirche, welche
Irrtümer lehrt, kann nicht Christi wahre Kirche, sondern muss eine falsche
sein. Von einem solchen Kennzeichen der falschen Kirche redet auch unser
heutiges Evangelium, indem Christus darin seiner wahren Kirche verbietet, das
Unkraut auszujäten, das heißt, die Ketzer oder Irrlehrer zu verfolgen und zu
töten.
Matthäus
13,24-30: Er legte ihnen ein
anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen,
der guten Samen auf seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam sein
Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Da nun das Kraut
wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte
zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker
gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat der Feind
getan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es
ausjäten? Er aber sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit
ausrauft, so ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur
Ernte; und um der Ernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuvor
das Unkraut und bindet es in Bündlein, dass man es verbrenne; aber den Weizen
sammelt mir in meine Scheuern.
Aufgrund unseres heutigen Evangeliums lasst
mich euch daher jetzt vorstellen:
Dass eine Kirche,
welche die Ketzer verfolgt und tötet, gewiss Christi wahre Kirche nicht sei
Und zwar
1.
Darum, weil sie damit gegen Christi
ausdrückliches Wort und Gebot, und
2.
Darum, weil sie damit gegen Christi
wahren Geist und Sinn handelt.
1.
Christus vergleicht, meine Lieben, in
unserem Evangelium sein Himmelreich oder seine Kirche auf Erden mit einem
Menschen, der guten Samen auf seinen Acker sät, womit er nach seiner eigenen
Auslegung anzeigen will, dass alle Kinder des Reiches, das heißt, alle wahren
Glieder seiner wahren Kirche dies durch den guten Samen des Wortes Gottes
werden und daher denselben bei sich tragen. Zugleich offenbart uns aber auch
Christus, dass hingegen der Teufel darnach trachtet, zwischen den Weizen sein
Unkraut auszusäen, womit Christus zum anderen anzeigen will, dass durch Satans
Anstiften mitten unter den Kindern des Reiches auch Kinder der Bosheit
aufstehen, welche hingegen durch den Unkrautsamen der falschen Lehre entstehen
und denselben ebenfalls bei sich tragen, also Ketzer und Irrlehrer sind.
Was soll nun aber mit diesem Unkraut
geschehen? Auf die Frage der Knechte: „Willst du denn, dass wir hingeben und
es ausjäten?“ spricht der HERR: „Nein, lasst beides miteinander wachsen
bis zu der Ernte.“
Was will der HERR hiermit wohl sagen? –
Manche haben diese Worte so verstanden, als wolle Christus sagen, man solle
keine Kirchenzucht, keinen Ausschluss, keinen Bann anwenden, sondern alle
Gottlosen, Irrlehrer und Ketzer ruhig in der Kirche bleiben, schalten und
walten lassen, bis Christus kommt und ihrem Wesen selbst ein Ende macht. Es ist
dies aber ein großer Irrtum und Missverstand. Christus sagt ja nicht: Hegt und
pflegt das Unkraut und behandelt es wie guten Weizen, sondern er spricht nur: „Nein!“
Jätet es nämlich nicht aus, sondern „lasst beides miteinander wachsen
bis zu der Ernte“. Christus sagt auch nicht, dass der Acker, auf welchem
man das Unkraut wachsen lassen soll, seine Kirche sei, sondern er spricht
ausdrücklich in der Auslegung seines Gleichnisses: „Der Acker ist die Welt“,
also nicht die Kirche. Wenn also Christus das Unkraut der Irrlehrer und Ketzer
auszujäten verbietet und spricht: „Lasst es wachsen bis zu der Ernte“,
so will er damit ganz offenbar sagen, dass das Unkraut der Irrlehrer und Ketzer
zwar aus der Kirche, aber nicht aus der „Welt“ ausgejätet, dass sie also
nicht getötet werden sollen.
Diese Lehre, dass die Kirche das leibliche
Schwert nicht gebrauchen und dadurch die Irrlehrer und Ketzer nicht töten
solle, findet sich daher nicht nur in unserem Evangelium, sondern in der ganzen
Heiligen Schrift sowohl Alten wie Neuen Testaments. Gerade von dem Reich
Christi wird es geweissagt, dass Christus darin als ein „Friedefürst“
regieren werde, und von den Gliedern seiner Kirche heißt es im zweiten Kapitel
des Propheten Jesaja ausdrücklich: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen
und ihre Spieße Sicheln machen.“ Selbst von dem Antichrist weissagt Daniel im
achten Kapitel: „Er wird ohne Hand zerbrochen werden.“
Gehen wir nun in das Neue Testament, so
finden wir dieselbe Lehre. Christus spricht es vor Pilatus feierlich aus: „Mein
Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, so würden
meine Diener darob kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber
nun ist mein Reich nicht von dannen.“ Als daher Petrus bei der Gefangennahme
Christi sein Schwert zog und dem Knecht des Hohenpriesters Malchus das Ohr
abhieb, da strafte ihn Christus und sprach: „Stecke dein Schwert in die
Scheide; denn wer das Schwert nimmt, der soll durch’s Schwert umkommen.“
Nachdem daher die heiligen Apostel durch den Heiligen Geist endlich vollständig
erleuchtet worden waren, erklärten sie: „Die Waffen unserer Ritterschaft sind
nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott, zu zerstören die Befestigungen,
damit wir zerstören die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebt gegen die
Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam
Christi.“
Wohl ist es wahr, dass sowohl im Alten wie
im Neuen Testament die Kirche Christi als eine stets streitende und gegen ihre
Feinde kämpfende dargestellt wird, die vor ihren Feinden nie in Ruhe und
Frieden leben könne; aber die Waffen, die sie dabei gebraucht, sind nach der
Heiligen Schrift nichts als Gottes Wort, Glaube, Liebe, Geduld, Gebet und
Tränen. Wohl wird schon im Alten Testament Christus ein Stab, ja, ein eisernes
Zepter zugeschrieben, mit dem er seine Feinde schlage, aber dies wird im elften
Kapitel des Propheten Jesaja so ausgelegt: „Er wird mit dem Stab seines Mundes
die Erde schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten.“ Was ist
aber der Stab des Mundes Christi und der Odem seiner Lippen? Es ist dies nichts
anderes als sein Wort. Wohl wird ferner auch den Christen nach dem Neuen
Testament ein Schwert und Schild, ein Helm, ein Brustharnisch und ein Gurt,
kurz, eine vollständige Waffenrüstung zugeschrieben, damit sie kämpfen, aber
nicht ein eisernes Schwert, sondern das Schwert des Geistes, welches ist das
Wort Gottes, und nicht ein stählerner Schild, sondern der Schild des Glaubens,
damit sie auslöschen können alle feurigen Pfeile des Bösewichts, ein Helm des
Heils, ein Krebs (Panzer) der Gerechtigkeit, ein Gurt der Wahrheit.
So ist denn kein Zweifel: Wenn Christus in
unserem Text von dem Unkraut der Ketzer und Irrlehrer sagt, man solle es nicht
aus dem Acker der Welt ausjäten, sondern ausdrücklich gebietet: „Lasst
beides miteinander wachsen bis zu der Zeit der Ernte“, so verbietet er
damit, Irrlehrer und Ketzer mit leiblichen Waffen zu verfolgen und so mit dem
Tod zu bestrafen.
Eine Kirche, welche dies tut, handelt daher
gegen Christi ausdrückliches Wort, kann daher unmöglich Christi wahre Kirche,
sondern muss eine falsche, eine widerchristliche oder die Kirche des
Antichrists sein. Christus spricht ja klar und deutlich, dass nur die seine
wahre Kirche sei, welche sich seinem Wort gehorsam unterwerfe. Er spricht:
„Meine Schafe hören meine Stimme. Wer mich liebt, der wird mein Wort halten und
mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm
machen. So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger
und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Eine
Kirche, welche gegen Christi ausdrückliches Wort: „Lasst beides miteinander
wachsen bis zu der Zeit der Ernte“, die Ketzer dennoch tötet, ist daher
nicht die Herde der Schafe Christi, welche Christi Stimme hören, sie ist nicht
die Gottes-Wohnung derjenigen, die Christus lieben und sein Wort halten, nicht
die Gemeinschaft der rechten Jünger Christi, die bei seiner Rede bleiben, also
nicht die wahre Kirche der Kinder des Reichs, sondern die falsche Kirche, die
Satansschule der Kinder der Bosheit.
2.
Doch, meine Lieben, eine Kirche, welche die
Ketzer verfolgt und tötet, ist nicht nur darum gewiss Christi wahre Kirche
nicht, weil sie damit gegen Christi ausdrückliches Wort und Gebot, sondern auch
darum, weil sie damit gegen Christi wahren Geist und Sinn handelt. Und davon
lasst mich nun noch zweitens zu euch sprechen.
Christus verbietet, meine Lieben, nicht nur
in unserem Text, die Ketzre zu töten, sondern er gibt auch die Gründe dafür an,
indem er hinzusetzt: „Auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft,
wenn ihr das Unkraut ausjätet.“
Christus will sagen: Wie der, welcher das
mit einem Weizenacker mitten unter dem Weizen stehende Unkraut ausjäten will,
nicht anders kann, als auch zugleich guten Weizen mit auszuraufen, so kann auch
der, welcher die Ketzer tötet, nicht anders, als auch Kinder des Reichs zu
töten.
Und so ist es, meine Lieben, Erstlich kann
es nämlich gar leicht geschehen, dass diejenigen, welche sich für die wahre
Kirche halten, gerade die Zeugen der Wahrheit als Ketzer töten. Oder ist das
nicht wirklich laut der Schriften des Alten und Neuen Testaments vielfach
geschehen? Haben nicht die Juden, welche sich für die wahre Kirche hielten,
alle Propheten als Ketzer leiblich verfolgt und die meisten getötet? Nennt
daher nicht Christus die Juden seiner Zeit „die Kinder derer, die die Propheten
getötet haben“? Und ruft nicht auch Stephanus dem Hohen Rat zu Jerusalem zu:
„Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt und sie getötet?“ Und was
haben die Juden zu Christi und der Apostel Zeit selbst getan? Haben sie nicht
Christus gerade darum, weil er ihnen die Wahrheit verkündigte, als einen
ketzerischen Samariter und Verführer des Volks an das Kreuz geschlagen? Haben
sie nicht den heiligen Stephanus gerade darum, weil er ihnen ihren Messias
verkündigte, als einen Lästerer Moses und ihres Tempels gesteinigt? Haben sie
nicht den Apostel Jakobus gerade darum, weil er Christus nicht lästern wollte,
sondern bekannte, als einen Ketzer von der Zinne des Tempels herabgestürzt,
gesteinigt und endlich mit einer Keule erschlagen? Seht da, sie wollten das
Unkraut ausjäten und haben anstatt desselben den guten Weizen ausgerauft.
Das geschieht aber zum anderen auch darum,
weil mancher, welcher ein wirklicher Ketzer ist, später zur Erkenntnis der
Wahrheit kommen und noch ein gesegneter Zeuge werden kann. Saulus war vor
seiner Bekehrung ohne Zweifel ein Ketzer, denn er verfolgte die Wahrheit und
die Bekenner derselben blutig: Was wäre nun geschehen, wenn Saulus damals von
den Christen getötet worden wäre? Es wäre mit dem Unkraut der beste Weizen
ausgejätet worden, denn derselbe Saulus bekehrte sich später und wurde ein
Paulus, der größte unter den Aposteln, der die ganze Welt mit dem Evangelium
erfüllte und durch den Hunderttausende auf den Weg zur Seligkeit gebracht
wurden. Auch der Kirchenvater Augustinus war vor seiner Bekehrung Glied der
schändlichen Sekte der Manichäer und ein Bekämpfer der christlichen Kirche: Was
wäre aber geschehen, wenn Augustinus in dieser Zeit als Ketzer getötet worden
wäre? Es wäre mit dem Unkraut der köstlichste Weizen ausgerauft worden; denn
Augustinus bekehrte sich später und wurde ein Licht in der Kirche, welches
durch alle Jahrhunderte hindurch helle leuchtete und noch heute leuchtet durch
seine Schriften. Endlich lesen wir von den Samaritern, dass sie Christus, der
bei ihnen eine Herberge begehrte, diese verweigerten, weil er auf dem Weg nach
dem, wie sie meinten, ketzerischen Jerusalem war. Entrüstet hierüber sprachen
daher Johannes und Jakobus: „HERR, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer
vom Himmel falle und verzehre sie, wie Elia tat?“ Was tat aber Christus? Er
bedrohte sie und sprach: „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des
Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern er
erhalten.“ Was wäre nun geschehen, wenn Christus die Samariter durch Feuer vom
Himmel hätte verzehren lassen? Mit dem Unkraut wäre der Weizen ausgerauft
worden; denn im achten Kapitel der Apostelgeschichte lesen wir, dass nach
Christi Himmelfahrt viele von jenen Samaritern durch das Zeugnis der dahin
geflohenen Christen und durch die Predigt des Philippus, Petrus und Johannes bekehrt
und aus ihnen eine herrliche christliche Gemeinde gesammelt wurde.
So ist es denn gewiss, meine Lieben: Ketzer
töten ist nicht nur gegen Christi ausdrückliches Gebot und Wort, sondern auch
gegen Christi wahren Geist und Sinn. Denn Christi Geist und Sinn ist nicht, der
Menschen Seelen zu verderben, sondern sie zu erretten und selig zu machen.
Eine Kirche, welche Ketzer verfolgt und
tötet, kann daher unmöglich Christi wahre Kirche sein. Mag eine solche Kirche
immerhin in greulicher Verblendung meinen, damit Gott einen Dienst zu tun, so
offenbart sie gerade durch diese Meinung, dass Christi Geist von ihr fern ist;
wie denn Christus ausdrücklich den heiligen Aposteln im Voraus verkündigt hat:
„Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen
Dienst daran. Und solches werden sie euch darum tun, dass sie weder meinen Vater
noch mich erkennen.“
Legt nun, meine Lieben, diesen Prüfstein an
die römisch-päpstliche Kirche, welche vor allen anderen die wahre, ja, die
allein seligmachende Kirche sein will. Ganze Ströme Christenblutes hat sie
unter dem Vorgeben, die Ketzer strafen und ausrotten zu müssen, zu allen,
Zeiten, wo sie die Macht dazu hatte, vergossen. Als im 13. Jahrhundert die
sogenannten Waldenser und Albigenser gegen die päpstlichen Irrtümer und Greuel
auftraten, stifteten die Päpste nicht nur die sogenannte Inquisitionsgerichte,
welche dieselben aufspüren, mit Anwendung der schrecklichsten Qualen ihnen
beschwerende Geständnisse erpressen und sie richten mussten; sondern sie
zwangen auch die Fürsten unter Anwendung des Bannes, die angeblich von der
Kirche Verurteilten zu strafen, sie gefangen zu setzen, von Haus und Hof zu
vertreiben, ihre Güter einzuziehen, ihnen ihre bürgerlichen Rechte zu nehmen
oder auch, sie zu töten. Ja, sie nötigten die Fürsten, förmliche Heere gegen
sie auszurüsten, wie gegen die Türken einen sogenannten Kreuzzug zu eröffnen
und alle, welche nicht widerrufen und dem Papst und seiner Kirche nicht
völligen Gehorsam schwören wollten, hinzurichten. Als im Jahr 1572 eine
Hochzeit am königlichen Hof zu Paris gefeiert werden sollte, lud man die
vornehmsten Protestanten, dort Hugenotten genannt, dazu ein; aber mitten in der
Nacht ertönte eine Glocke, welche verabredetermaßen das Zeichen dazu gab, alle
Protestanten zu überfallen und zu ermorden, Mann und Frau, Alt und Jung. Dies
war die sogenannte Pariser Bluthochzeit. Als Papst Gregor XIII. davon hörte,
ließ er ein Freudenfest anstellen, mit allen Glocken läuten und eine
Jubelfestdenkmünze schlagen, auf deren eine Seite sein Brustbild und auf der
anderen die Pariser Mordszene abgebildet war. Als ferner um diese Zeit der blutrünstige
katholische Herzog Alba in den Niederlanden nach und nach 18.000 Protestanten
hatte hinrichten lassen, da sandte ihm Papst Pius V. zur Belobung dafür einen
von ihm geweihten Hut und Degen. Nur durch die ausgesuchtesten Martern hat die
päpstliche Kirche das Werk der Reformation, welches auch in Italien und Spanien
begann, wieder unterdrückt. Zwar suchen die Römischen in den protestantischen
Ländern, wo sie geduldet werden, dies alles zu beschönigen, ja, gänzlich zu
leugnen, und die Schuld auf die weltliche Obrigkeit zu schieben; aber sie
handeln da wie die Juden, welche auch sagen, sie hätten Christus nicht
gekreuzigt, obgleich sie es ja waren, welche Pilatus durch ihr „Kreuzige,
kreuzige ihn!“ und dadurch, dass sie sagten: „Lässt du diesen los, so bist du
des Kaisers Freund nicht“, zur Kreuzigung Christi genötigt haben. –
So seid denn schließlich gewarnt, meine
Lieben, vor dem blutdürstigen Papsttum und vor seiner ihm gehorsamen Kirche.
Sie ist die geistliche Hure, von welcher die Offenbarung des St. Johannes
geweissagt hat, sie werde trunken werden von dem Blut der Heiligen; während
Mohammed und seine Nachfolger, die auch ihre Religion mit Feuer und Schwert
ausbreiteten, der morgenländische Antichrist sind außerhalb der Kirche, so sind
die römischen Päpste der abendländische, eigentliche Antichrist innerhalb
derselben.
Lasst uns darum bei unserer lieben
lutherischen Kirche bleiben, die nicht nur die Kennzeichen der wahren Kirche,
reines Wort und unverfälschtes Sakrament, hat, sondern auch sich nicht mit dem
Blut der Ketzer befleckt und ihre Waffen nichts anderes sein lässt als das Wort
Gottes, ihr Gebet und ihre Tränen.
Mag das Unkraut noch so hoch wachsen; es
kommt endlich ein Tag der Ernte, da wird es in Bündlein gebunden und geworfen
werden in den Feuerofen der Hölle; hingegen der gute Weizen wird endlich
gesammelt werden in die Scheuern des Himmels. Das helfe uns Jesus Christus,
unser Heiland. Amen.
HERR Jesus, du ewiger Sohn Gottes! Wie hoch
ist in dir unsere sterbliche Menschennatur geehrt und erhoben! Du bist vom
Himmel herabgekommen und hast nicht nur in ihr Wohnung gemacht, sondern hast
sie auch in deine allerheiligste göttliche Person auf ewig aufgenommen, ihr
deine ganze göttliche Majestät und Herrlichkeit mitgeteilt und sie auf deinen
Stuhl zur Rechten deines Vaters gesetzt. In dir, mit dir und durch dich ist
darum nun auch unsere Menschennatur angebetet im Himmel und auf Erden, von
Engeln und Menschen, in Zeit und Ewigkeit. O du wahrhaftiger Mensch, voll
göttlicher Herrlichkeit, tue uns doch unser einfältiges Auge auf, dass wir dich
auch in der Herrlichkeit deiner Menschheit erkenne, anbeten, als den Schönsten
unter allen Menschenkindern über alles lieben, dir dienen und um deinetwillen
alles, Gut und Ehre, Leib und Leben, mit Freuden dahingeben, einst aber lass
uns mit diesen unseren Augen dich auch in der göttlichen Herrlichkeit deiner
Menschheit schauen und bei dir in vollkommener Freude und Seligkeit sein und
bleiben immer und ewig. Amen.
Matthäus
17,1-9: Und nach sechs Tagen
nahm Jesus zu sich Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und führte
sie bei Seite auf einen hohen Berg. Und er ward verklärt vor ihnen, und sein
Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht.
Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia, die redeten mit ihm. Petrus aber
antwortete und sprach zu Jesus: HERR, hier ist gut sein; willst du, so wollen
wir hier drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Da er noch also
redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme
aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen
habe; den sollt ihr hören. Da das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr
Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und
sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Da sie aber ihre Augen aufhoben,
sahen sie niemand als Jesus allein. Und da sie vom Berge herabgingen, gebot
ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt dies Gesicht niemand sagen, bis des Menschen
Sohn von den Toten auferstanden ist.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Dieses Evangelium, welches für den
Verklärungssonntag bestimmt ist[12], nämlich für den letzten[13] Sonntag nach dem Fest der
Erscheinung Christi, dieses Evangelium, sage ich, gehört nicht nur zu den
schönsten und lieblichsten, sondern auch zu den reichhaltigsten unter den
sonntäglichen evangelischen Texten. Lasst mich euch nur einige der allerwichtigsten
Lehren nennen, welche uns darin auf das herrlichste offenbart werden.
Die erste hochwichtige Lehre, welche in
diesem Evangelium offenbart ist, ist die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit;
denn es wird uns darin erzählt, wie erstlich Gott der Vater vom Himmel herab
gerufen hat: „Dies ist mein lieber Sohn“, wie zum anderen Gott der Sohn in
verklärter Menschheit dagestanden, und wie endlich drittens Gott der Heilige
Geist in Gestalt einer lichten Wolke die gegenwärtigen Zeugen überschattet
hatte.
Eine zweite in diesem Evangelium enthaltene
hochwichtige Lehre ist die Lehre von der Auferstehung des Fleisches und vom
ewigen Leben; denn es wird uns darin berichtet, wie nicht nur der einst in
einem feurigen Wagen lebendig zum Himmel gefahrene Elia, sondern auch der einst
von Gott selbst begrabene Mose aus der Welt der Seligen zurückkehren,
leibhaftig erschienen sind und mit Christus geredet haben. Es war dies ein so
herrliches Vorspiel der seligen Auferstehung und des ewigen Lebens, dass
Petrus, davon entzückt, sogleich ausrief: „HERR, hier ist gut sein; willst
du, so wollen wir drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“
Eine dritte in diesem Evangelium klar
gegründete hochwichtige Lehre ist die Lehre von der Beschaffenheit des Reiches
Christi; dass dasselbe nämlich nicht ein leibliches, irdisches und zeitliches,
sondern ein geistliches, himmlisches und ewiges Reich sei, eine Kirche, die
ihre Glieder ebenso im Alten wie im Neuen Bund, ebenso im Himmel wie auf Erden
habe und daher teils eine auf Erden noch leidende und streitende, teils eine
bereits im Himmel triumphierende und doch nur Eine ist; denn wir erblicken hier
Mose und Elia als die Repräsentanten der alttestamentlichen und triumphierenden
und die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes als die Repräsentanten der
neutestamentlichen und streitenden Kirche, und zwar sie alle um Christus, ihr
himmlisches Haupt, in seliger Eintracht versammelt.
Eine vierte in diesem Evangelium uns vor
Augen gestellte hochwichtige Lehre ist die Lehre, dass nach Gottes des Vaters
unveränderlichem Ratschluss Christus der einige Lehrer aller Menschen und dass
daher in keinem anderen Heil und den Menschen kein anderer Name gegeben ist,
darin sie sollen selig werden; denn Gott der Vater ruft selbst aus den Wolken
feierlich und majestätisch vom Himmel auf Christus herab: „Dies ist mein
lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“ –
Doch, meine Lieben, so klar diese vier
hochwichtigen Lehren in unserem Evangelium gegründet sind, so sind es doch ohne
Zweifel nicht eigentlich diese Lehren, deren Offenbarung unser Evangelium vor
allem zum Zweck hat; es ist dies vielmehr offenbar keine andere als die Lehre
von der göttlichen Herrlichkeit auch der Menschheit Christi; denn diese tritt
ganz unleugbar in der wunderbaren Geschichte unseres Textes hell wie die sonne
vor allen anderen Lehren hervor. Lasst mich euch denn daher heute aufgrund unseres
Evangeliums vorstellen:
Die Offenbarung
der göttlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi auf dem Berg der Verklärung
Wir betrachten herbei:
1.
Die wunderbare Beschaffenheit
dieser Herrlichkeit und
2.
Wozu diese Offenbarung derselben
uns auffordere.
1.
Was, meine Lieben, die eigentliche
Bedeutung des in unserem Evangelium erzählten wunderbaren Vorgangs gewesen ist,
darüber kann darum unter Christen gar kein Zweifel sein, weil dies Petrus
selbst, der einer der auserwählten Augen- und Ohrenzeugen desselben war, es
ausdrücklich sagt. Denn so schreibt Petrus hiervon im ersten Kapitel seines
zweiten Briefes: „Wir sind nicht den klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kund
getan haben die Kraft und Zukunft unseres HERRN Jesus Christus; sondern wir
haben seine Herrlichkeit selbst gesehen, da er empfing von Gott dem
Vater Ehre und Preis, durch eine Stimme, die ihm geschah von der großen
Herrlichkeit dermaßen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel gebracht, da wir mit ihm waren auf
dem heiligen Berg.“ Der wahre eigentliche Endzweck der Verklärung Christi schon
im Stand seiner Erniedrigung war also mit kurzen Worten kein anderer als die
Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit auch seiner heiligen Menschheit.
Lasst uns denn jetzt vorerst die wunderbare
Beschaffenheit dieser Herrlichkeit ein wenig kennen zu lernen suchen.
Unser Text beginnt mit den Worten: „Und
nach sechs Tagen“, nachdem nämlich Christus sein Leiden voraus verkündigt
hatte, „nahm Jesus zu sich
Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und führte sie bei Seite auf
einen hohen Berg. Und er ward verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete
wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht.“ Welch ein wunderbares
Ereignis! Zwar haben manche gemeint, es werde hier etwas erzählt, was nur in
dem Geist der Apostel vorgegangen, nicht aber wirklich geschehen sei. Allein,
der Evangelist sagt ausdrücklich, Christus sei „vor ihnen“, nämlich vor
den Aposteln, verklärt worden. Die Verklärung war also nicht ein Vorgang in der
Vorstellung oder in der Phantasie der Apostel, sondern etwas außer ihnen, vor
ihren leiblichen Augen wirklich Geschehenes. Andere haben daran erinnert, dass
auch Mose der ja nur ein Prophet gewesen, auf dem Berg Sinai etwas Ähnliches
widerfahren sei; denn auch dieser sei mit einem so glänzenden Angesicht vom
Berg gekommen, dass er, weil das Volk den von seinem Angesicht ausgehenden
Strahlenglanz nicht habe ertragen können, sein Angesicht mit einer Decke habe
verhängen müssen. Allein was das Schattenbild gegen die wirkliche Sache ist,
das was Moses Glänzen gegen Christi Verklärung. Lasst uns nur beide Vorgänge
miteinander vergleichen. Von Mose lesen wir erstlich, er habe anfänglich selbst
nicht gewusst, dass ein blendender Strahlenglanz von ihm ausgehe. Dass hingegen
Christus seine Verklärung schon im Voraus wusste, ersehen wir daraus, dass er
die drei Apostel schon vorher zu Zeugen derselben ausgewählt hatte. Von Mose
heißt es ferner ausdrücklich, er sei „davon glänzenden Angesichts
geworden, dass er mit Gott geredet hatte“; Christus hingegeben verklärte sich
selbst, ehe noch Gott der Vater in einer Stimme aus der lichten Wolke erschien.
Während also der Glanz Moses nur ein Widerschein, nur, so zu sagen, eine Abspiegelung
des Glanzes Gottes war, so war hingegen Christi Klarheit seine eigene Klarheit.
Von Mose lesen wir daher ferner, dass nur sein Angesicht glänzte;
hingegen von Christus, dass sein ganzer Leib verklärt wurde. Von Mose lesen wir
endlich, dass eine Decke seinen Glanz den Augen des Volkes alsbald verhüllte;
von Christus hingegen hören wir, dass die Strahlen seiner Majestät selbst die
Decke seiner Kleider durchbrachen, also, dass, während Christi Angesicht „wie
die Sonne leuchtete“, seine Kleider von den seinem heiligen Leib
entströmenden himmlischen Lichtstrahlen „weiß wurden wie ein Licht“,
oder, wie Lukas und Markus es beschreiben, dass sie „glänzten und hell und sehr
weiß wurden, wie der Schnee, dass sie kein Färber auf erden kann so weiß
machen“.
Seht da, meine
Lieben, Christi Verklärung auf jenem hohen Berg, wahrscheinlich dem Berg Tabor,
war also wirklich, wie Petrus in seinem zweiten Brief bezeugt, eine Offenbarung
der göttlichen Herrlichkeit seiner heiligen Menschheit. Da geschah wirklich
das, was Johannes im ersten Kapitel seines Evangeliums von dem ewigen Wort
sagt: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen
seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.“ Bei dieser seiner Verklärung offenbarte Christus
wirklich schon im Stand seiner Erniedrigung vor den Augen von drei seiner
Jünger, was Paulus im Brief an die Kolosser von Christus bezeugt, wenn er
daselbst schreibt: „In Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“,
das heißt: Wie die Seele eines Menschen in seinem Leib wohnt, so dass beide
Eine menschliche Person ausmachen, so wohnt in Christi Menschheit seine
Gottheit, so dass beide Eine göttliche Person ausmachen. Während sonst Christi
Gottheit in seiner Menschheit im Stand seiner Erniedrigung wie eine in Wolken
eingehüllte Sonne sich verbarg, so brachen bei seiner Verklärung Strahlen
dieser Sonne wie Blitzesleuchten, wie ein verschlossen gewesenes Feuer,
unaufhaltsam auf einmal hervor. Durch seine Verklärung offenbarte Christus
zugleich: Wie die Seele dem mit ihr persönlich vereinigten Leib ihre geistigen
Eigenschaften mitteilt, nämlich die Eigenschaften zu sehen, zu hören, zu
empfinden, zu reden und sich zu bewegen, so hat auch die Gottheit Christi der
mit ihr persönlich vereinigten Menschheit ihre göttlichen Eigenschaften,
nämlich Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit, mit einem Wort, göttliche
Majestät mitgeteilt. Christi Menschheit war daher mit seiner Gottheit vereinigt
wie das Feuer mit dem glühenden #Eisen. Wie nämlich das glühende, vom Feuer
durchdrungene Eisen ebenfalls des Feuers Eigenschaft erhalten hat und daher wie
Feuer leuchtet und brennt, so leuchtete auf Tabor die mit der Gottheit
vereinigte und von derselben durchdrungene Menschheit ebenfalls im göttlichen
Glanz. Wohl konnten und können Gottes Eigenschaften nimmermehr die wesentlichen
Eigenschaften der Menschheit Christi werden; denn die Menschheit Christi ist
weder mit der Gottheit vermischt, noch in dieselbe verwandelt worden; allein wie
der Mond in dem ihm mitgeteilten Licht der Sonne leuchtet, die ihn bescheint,
so leuchtete auf dem Berg Tabor und wird in alle Ewigkeit leuchten die
Menschheit Christi in dem ihr mitgeteilten Glanz der mit ihr vereinigten
Gottheit. Es war und ist dies die Folge jener Salbung ohne Maß, von welcher
schon David weissagt, wenn er im 45. Psalm dem Messias zuruft: „Du liebst
Gerechtigkeit und hasst gottloses Wesen; darum hat dich, Gott, dein Gott
gesalbt mit Freudenöl, mehr als deine Gesellen.“
Doch, meine
Lieben, so deutlich die Verklärung Christi selbst die göttliche Herrlichkeit
seiner Menschheit offenbart hat, so setzt doch dasjenige, was auf Christi
Verklärung unmittelbar folgte, dieser Offenbarung erst die Krone auf. In
unserem Evangelium wird uns nämlich weiter erzählt, nachdem Christus verklärt
gewesen, seien nicht nur Mose und Elia aus der Welt der Seligen, und zwar, wie
Lukas ausdrücklich berichtet, in himmlischer Klarheit, erschienen, sondern es
heißt hierauf auch weiter: „Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach:
Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr
hören.“ Es ist das eine unaussprechlich wunderbare Rede; denn Gott der
Vater sagt hier von dem Menschen Jesus nicht etwa nur: In diesem
Menschen ist oder wohnt mein lieber Sohn; sondern ohne alle Einschränkung: „Dies,
dies ist mein lieber Sohn.“ Den Menschen Jesus nennt also Gott der Vater
gerade seinen lieben Sohn! Wir befinden uns hier auf dem Gipfel der Offenbarung
der göttlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi.
Seht da, meine
Lieben, nachdem der Sohn Gottes ein Mensch geworden ist, ist also nun nicht nur
Gott ein Mensch, sondern auch ein Mensch Gott; denn wie im Menschen die Seele
den Leib in die Gemeinschaft ihrer Persönlichkeit aufgenommen hat, so hat, wie
gesagt, der Sohn Gottes die menschliche Natur in die Gemeinschaft seiner
Persönlichkeit aufgenommen, und wie im Menschen der Leib der Seele und die
Seele dem Leib sich mitteilt und zu eigen gibt, so ist in Christus die
menschliche Natur der göttlichen und die göttliche Natur der menschlichen
mitgeteilt und zu eigen gegeben. Wer daher wohl glaubt, dass Gott in dem
Menschen Jesus ist, nicht aber, dass nun auch der Mensch Jesus wirklich und
wahrhaftig Gott ist, der glaubt das kündlich große gottselige Geheimnis: „Gott
ist offenbart im Fleisch“, und: „Das Wort ward Fleisch“, noch nicht. Denn wie
Christus nach seiner Gottheit schon von Ewigkeit anbetungswürdig war, so heißt
es nun, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, auch von diesem Menschen:
„Es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.“ Wie Christus nach seiner Gottheit
schon von Ewigkeit auf Gottes des Vaters Stuhl thront, so hat Gott der Vater,
nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, nun auch zu diesem Menschen
gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ist lege deine Feinde zum
Schemel deiner Füße.“ Wie Christus nach seiner Gottheit schon von Ewigkeit den
Namen über alle Namen, nämlich den Namen des HERRN, Jahwehs, Gottes des
Allerhöchsten, trug, so hast Gott, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist,
auch diesen Menschen, wie Paulus schreibt, 2erhöht und hat auch ihm
einen Namen gegeben, der über allen Namen ist, dass ist in dem Namen Jesu sich
beugen solle alle derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde
sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der HERR sei, zur
Ehre Gottes des Vaters.“
2.
Doch, meine
Lieben, nachdem wir nun einen Blick in die göttliche Herrlichkeit der
Menschheit Christi getan haben, die sich einst auf dem Berg der Verklärung
offenbart hat, so lasst uns nun zweitens erwägen, wozu diese Offenbarung uns
auffordere.
Das Erste,
wozu sie uns auffordert, ist ohne Zweifel, dass wir daraus die unaussprechlich
große Liebe Gottes zu uns Menschen erkennen. Denn bedenkt: Gott hat den
Menschen heilig und gerecht nach seinem Ebenbild zum ewigen Leben erschaffen,
ihm das Paradies zu seiner Wohnung angewiesen, ihn zum Herrn der Erde und alles
dessen, was darin ist, gemacht, ausgestattet mit allem, was sein Herz nur
wünschen konnte. Und was ist geschehen? Der Mensch ist von Gott abgefallen, ist
ein Knecht der Sünde geworden und hat an die Stelle seines gütigen Schöpfers
die Welt, das Sichtbare, das Zeitliche, sich selbst, ja, den Teufel selbst zu
seinem Gott gemacht, ist Gottes Feind und damit unaussprechlich elend geworden.
Wie sollte, wie konnte nun dem Menschen geholfen werden? Gott hatte auf die
Sünde den zeitlichen und ewigen Tod gesetzt; und was der gerechte und
wahrhaftige Gott festgestellt und gedroht hatte, das musste geschehen, ob auch
die ganze Welt darüber zugrunde ginge. So konnte denn weder der Mensch sich
selbst, noch irgendeine andere Kreatur ihm helfen, denn niemand im Himmel und
auf Erden konnte der unverletzlichen Gerechtigkeit Gottes für ihn genugtun. So
stand denn der Mensch rat- und hilflos am Abgrund eines ewigen Verderbens,
während er den großen Gott sich zu seinem Feind gemacht hatte und selbst nichts
als Hass und Feindschaft gegen Gott in seinem Herzen trug. Und was tot Gott?
Ehe noch der Mensch gefallen war, ja, schon von Ewigkeit hatte Gott
beschlossen, wenn der Mensch sein Feind und dadurch aussprechlich elend
geworden sein würde, ihn aus diesem verschuldeten Elend zu erretten, nämlich
selbst seine Gerechtigkeit zu befriedigen, um so allein seine ewige Liebe und
Erbarmen über ihm walten lassen zu können. Und wie führte Gott diesen
Ratschluss aus? Um für den Menschen leiden und sterben zu können, wurde Gott
selbst ein Mensch, nahm die Gestalt des sündlichen Fleisches an, wurde ein
wahrhaftiges Kind des gefallenen Adam, ein Glied der Familie der Sünder und
Gottesfeinde, ein Mitgefangener in dem Gefängnis der des ewigen Todes
schuldigen Verbrecher, ein Knecht aller Knechte, ja, ein Sünder aller Sünder,
der endlich, beladen mit der Sündenschuld der ganzen Welt, als ein Verfluchter
unter Schmach und Qual und unter dem Hohngelächter der Hölle und unter dem Spott
der verruchten Welt starb. Und noch mehr, meine Zuhörer. Während Gott durch
seine Menschwerdung in alle Tiefen der Schmach und Höllenpein hinabstieg, so
hat er dadurch hingegen den Menschen, seinen ihn hassenden Feind, in den
Himmel, ja, des Menschen Natur über alle Himmel auf den Thron der Majestät in
der Höhe erhoben. Denn durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes sind alle
Menschen Gottes Brüder und Blutsverwandte, eine menschliche Jungfrau eine
Mutter Gottes und Gottesgebärerin, ja, ein Mensch ist ein untrennbarer Teil der
zweiten göttlichen Person, und so in die ewige Gemeinschaft und in den Rat der
hochheiligen dreieinigen Gottheit selbst aufgenommen, ein Mitregent des Himmels
und der Erde und ein Gegenstand göttlicher Ehre und göttlicher Anbetung aller
zum ewigen Leben geschaffenen Kreaturen geworden.
Wer kann
hiernach die Breite und die Länge, die Höhe und die Tiefe dieser Liebe Gottes
gegen uns Menschen ermessen, ausreden oder ausdenken? Die Große dieser Liebe
kann kein Mensch, kein Engel, kein Erzengel fassen; sie kann nur in tiefster
Demut bewundert werden und wird einst von allen Engeln und Auserwählten unter
dem Klang aller himmlischen Harfen besungen werden von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Aber, meine
Lieben, noch eins ist’s, wozu uns daher die Offenbarung der göttlichen
Herrlichkeit der Menschheit Christi auffordert; dazu nämlich, dass, nachdem
Gott unsere Menschennatur so hoch erhoben und geehrt hat, auch wir dieselbe auf
das höchste ehren. Oder ist es etwa nicht so? Bedenkt: Gott hat unsere
Menschennatur so hoch geachtet, dass er zu ihrer Erlösung ein Wunder der Liebe
getan hat, das Himmel und Erde in ewiges Erstaunen setzt, was tust du nun, wenn
du deine Seele gering achtest? Gott hat unsere Seele nicht mit Gold oder
Silber, sondern um den unermesslichen Preis des Todes seines Sohnes wieder
erkauft, was tust du nun, der du deine Seele für Gold und Silber, für diesen
blinkenden Erdenkot, verkaufst und verschacherst? Muss man dir dann nicht
zurufen, wie Petrus dem Zauberer Simon: „dass du verdammt werdest mit deinem
Geld“? Gott hat unsere Menschennatur durch seine Menschwerdung in den
göttlichen Adelsstand erhoben; was tust nun du, der du dahin lebst, als wärest
du ein Tier, das seine Begierde mit Fressen und Saufen stillt? Oder der du doch
dahinlebst, als wärest du nur für diese Erde zu einem Kind dieser Welt
geschaffen, das auf Erden ist, sich die Zeit mit Spielen und Tanzen zu
vertreiben, Schätze zu sammeln, die Rost und Motten fressen und da die Diebe
nach graben, mit de Welt lustig zu leben und den Rauch der Menschenehre zu
suchen, und dann in das Nichts dahin zu fahren? Gott ist schon von Ewigkeit auf
das Heil unserer Seele bedacht gewesen, hat um derselben willen einen ewigen
Ratschluss unergründlicher Liebe gefasst und ich auf das herrlichste ausgeführt
und geht nun unseren Seelen allenthalben nach und arbeitet an ihnen Tag und
Nacht; was tust nun du, der du dahinlebst, als hättest du keine unsterbliche
und teuer erlöste Seele, sorgst selbst in der kurzen Spanne deiner Lebenszeit
nicht um sie, lässt am Sonntag dir etwas vorpredigen, aber in den Wochentagen
ist das Trinkhaus deine Kirche, spielst mit der Sünde, um welcher willen sich
Gott selbst am Fluchholz des Kreuzes geopfert hat, ja, dienst durch deine
Sünden willig dem Teufel, aus dessen Gewalt dich zu erlösen Gott selbst vom
Himmel gekommen ist? Kurz: Gott hat unsere Natur über alle Himmel erhoben; was
tust nun du, der du sie zur niedrigsten Sklavin machst und hinab in den Staub
und Schmutz der Erde und Sünde drückst? –
O, meine
Lieben, da wir heute im Geist uns auf den Berg der Verklärung gestellt und da
im Geist unsere in Christus verherrlichte Menschheit angeschaut haben, so lasst
uns nun auch hören auf den Mahnruf des heiligen Apostels: „Ihr seid teuer
erkauft; darum so preist Gott an eurem Leib und in eurem Geist, welche sind
Gottes.“ Lasst uns keinen Augenblick unseres Lebens vergessen, dass wir mit
unserer menschlichen Seele einen Schatz besitzen, der unendlich wertvoller ist
als die ganze Welt, und daher unsere Seele mit Furcht und Zittern in den Händen
tragen. Lasst uns bedenken: Aus unseren Sünden konnte allein Gott durch seine
Menschwerdung uns erretten; verachten wir aber auch diese Errettung, so kann
dann auch Gott selbst uns nicht erretten; denn allein der Mensch Jesus ist es,
auf welchen Gott der Vater vom Himmel herab gerufen hat: „Dies ist mein
lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“ Nur in dem menschgewordenen
Sohn ist also Gottes Wohlgefallen, außer ihm Zorn und ewiger Fluch.
O so lasst uns
mit jenem gottseligen Dichter seufzen:
Drum, o Jesus, du alleine
Sollst mein Ein und Alles sein;
Prüf, erfahre, wie ich’s meine,
Tilge allen Heuchelschein;
Sieh, ob ich auf bösem, betrüglichem Stege,
Und leite mich, Höchster, auf ewigem Wege.
Gib, dass ich hier alles nur achte für Kot,
Und Jesus gewinne: Dies eine ist not.
Amen.
Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Was einst die Juden zu dem Propheten
Maleachi sprachen, wie wir im dritten Kapitel seiner Weissagungen finden: „Es
ist umsonst, dass man Gott dient; und was nützt es, dass wir sein Gebot
halten und ein hartes Leben vor dem HERRN Zebaoth führen?“ das ist die
Gesinnung unzähliger Menschen zu allen Zeiten gewesen. Und es ist wahr: Hätten
die Christen dafür, dass sie Gott dienen, keinen anderen Lohn zu erwarten, als den
sie in dieser Welt dafür bekommen, so möchte es wohl scheinen, als arbeite
niemand vergeblicher als ein eifriger Christ. Denn was ist des Christen
gewöhnlicher Lohn in dieser Welt? Je mehr er Gottes Freundschaft sucht, desto
mehr ist die Welt ihm feind; je treuer er Christus nachfolgt, desto weniger
wollen Menschen von ihm wissen, ja, desto mehr wird er von ihnen verachtet und
verfolgt; kurz, je gewissenhafter er in allem nach Gottes Wort geht, desto
schmaler und trübseliger ist sein Weg. Ein Christ werden und sein Kreuz auf
sich nehmen; ein Christ werden und alles verleugnen und verlassen, was dem
Fleisch angenehm ist; ein Christ werden und dieser Welt Glück verlieren: Das
sind unzertrennliche Dinge, ja, ist ganz ein und dasselbe.
Mag es aber darum so scheinen, als
sei es daher umsonst, dass man Gott dient, es scheint nur so. Der
Prophet Maleachi setzt zu jenen Worten hinzu: „Aber die Gottesfürchtigen
trösten sich untereinander so: Der HERR merkt es und hört es“ (nämlich, was wir
tun und leiden); „und ist vor ihm ein Denkzettel geschrieben für die, so den
HERRN fürchten und an seinen Namen denken. Und ihr sollt sehen“ (spricht der
HERR), „was für ein Unterschied sei zwischen dem Gerechten und dem Gottlosen
und zwischen dem, der Gott dient und dem, der ihm nicht dient.“ Seht, es soll
also nicht umsonst sein, im Dienst Gottes gestanden zu haben. Einst will Gott
den Unterschied zwischen seinen Dienern und den Dienern der Welt so offenbar
machen, dass ihn die Welt mit Schrecken und die Gottesfürchtigen mit Staunen
und Frohlocken sehen werden. Ein herrlicher Gnadenlohn soll den treuen Knechten
Gottes werden. Nichts Gutes, was ein Mensch hier um Gottes willen getan, und
wäre es ein Becher kalten Wassers, den er jemandem um Christi willen gereicht
hat, soll vergessen werden und ihm unvergolten bleiben. Mag er daher immerhin
um Gottes willen arm an irdischen Gütern bleiben müssen, dafür wartet dort
seiner ewiger Reichtum an himmlischen Gütern; mag er immerhin hier um Gottes
willen verachtet und geschändet, und sein Name als der eines Gottlosen
verworfen werden, dafür wartet doch seiner unaussprechliche Ehre und
Herrlichkeit vor Gott und vor allen Engeln und Auserwählten; kurz, mag er
immerhin hier viel um Gottes willen aufopfern und verlassen müssen, das alles
wird ihm dort mehr als tausendfältig ersetzt werden. O, es hat’s kein Auge
gesehen und kein Ohr gehört und ist in keines Menschen Herz gekommen, was Gott
bereitet hat denen, die ihn lieben. Wo Christus ist, da soll sein Diener auch
sein; wer mit ihm stirbt, soll mit ihm leben; wer mit ihm duldet, soll mit ihm
herrschen; wer mit ihm leidet, soll zu der Zeit der Offenbarung seiner
Herrlichkeit auch mit ihm Freude und Wonne haben.
Aber wie? Ist es hiernach nicht recht, wenn
ein Mensch allein um dieses einstigen Lohnes willen Gott dient? Ist es also
nicht recht, wenn ein Mensch nur darum fromm ist, um sich mit seiner
Frömmigkeit den Himmel und die Seligkeit zu verdienen? – Nein, meine Lieben,
eine solche lohnsüchtige Frömmigkeit hat keinen Wert vor Gott, ja, sie macht
vor Gott verwerflich. Christus warnt uns daher davor in unserem heutigen
Evangelium. Lasst uns jetzt seine Warnung hören.
Matthäus 20,1-16: Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Denar zum Taglohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und ging aus um die dritte Stunde und sah andere an dem Markt müßig stehen und sprach zu ihnen: Geht