Kirche und Kirchenregiment

 

Von

Franz Pieper

(Vortrag gehalten auf der 23. allgemeinen oder 8. Delegatensynode der Missouri-Synode 1896;

aus: Verhandlungen der 23. Allgemeinen oder 8. Delegatensynode von Missouri, Ohio u.a.St. 1896. S. 27 ff.)

(Die Überschriften sind der amerikanischen Veröffentlichung in „The Faithful Word“ von Pastor George Schweikert entnommen.)

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

1. DIE KIRCHE. 2

A. Ihre Glieder 2

B. Ihre Regiermittel 2

C. Ihr Meister 2

D. Keine menschlichen Herrscher 3

E. Menschliche Ordnungen. 3

F. Lutherzeugnisse. 3

G. Keine offene Frage. 4

H. Christen beugen sich unter die Herrschaft von Gottes Wort 4

Zusammenfassung. 5

2. MENSCHLICHE SYSTEME GEGEN GÖTTLICHE REGIERUNG.. 5

A. Der Staat beherrscht die Kirche. 5

B. Das römisch-katholische System.. 6

C. Ostkirchliches Kirchenregiment 6

D.  Protestantische Herrschaft in der Kirche. 6

E. Lutherische Herren. 6

F. Missbrauch des vierten Gebotes. 7

G. Gründe, die christliche Freiheit zu verteidigen. 7

a) Wer über das Wort hinaus geht, setzt Christus ab. 7

b) Die Herrlichkeit der Christen wird durch Menschengebote angetastet 7

c) Menschengemachte Gesetze verursachen Unordnung in der Kirche. 8

d) Menschengesetze treten an die Stelle von Gottes Wort, verursachen Schaden in der Kirche. 8

Zusammenfassung. 8

3. DAS KIRCHENREGIMENT AUS DEM WORT ALLEIN IN DER PRAXIS. 8

A. In der christlichen Ortsgemeinde. 8

B. In einer Gemeindeversammlung. 9

C. In Synodalverbindungen. 9

D. Römer 12,8: Wer regiert …... 10

E. Eine Synode hat keine gesetzgeberische Gewalt über Gemeinden. 11

F. 50 Jahre Erfahrung mit der Herrschaft des Wortes allein in der Missouri-Synode. 11

G. Der alte Adam will andere beherrschen. 12

H. Der Teufel narrt die Kirche, die menschliche Gesetze zu Gottes Wort hinzu tut 12

Schlussfolgerung. 12

 

 

 

 

    Die rechte Lehre vom Kirchenregiment ist praktisch von großer Bedeutung. Durch falsches Kirchenregiment ist der Kirche viel Schaden zugefügt worden. Von einer Form des Kirchenregiments, der Form der Staatskirche, hat König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen gesagt, wenn die Kirche sterblich wäre, so wäre sie unter dem Regiment des Staates längst zugrunde gegangen.

    Unter uns ist die rechte Lehre vom Kirchenregiment eine bekannte Wahrheit, und die kirchliche Praxis stimmt herrschender Weise mit der rechten Lehre überein1. Dennoch dürfte es nicht überflüssig sein, wenn wir uns die Lehre vom Kirchenregiment in ihren Hauptzügen bei unserer allgemeinen Versammlung vor Augen führen. Der fruchtbare Boden für falsches Kirchenregiment, das verderbte menschliche Herz, ist auch noch bei uns vorhanden. Sodann führt uns die Erwägung, was rechtes Kirchenregiment sei, mitten in das Herz der christlichen Lehre hinein. Auch hier tritt uns sofort vor Augen, was Christus, was das Evangelium und die christliche Kirche sei. Auch hier werden wir reichlich Veranlassung finden, die Gnade Gottes zu preisen, die uns zuteil geworden ist.

    Wie alles, was in das Gebiet der christlichen Lehre gehört, überaus einfach ist, so auch die Lehre vom Kirchenregiment. Das Gegenteil wird nicht durch den Umstand bewiesen, dass über dieselbe bis auf diesen Tag innerhalb der Kirche viel gestritten worden ist. Gibt es doch keine christliche Lehre, selbst keine sogenannte Zentrallehre, wie z.B. die Lehren von der Rechtfertigung, von der Person und dem Werk Christi, die nicht durch menschliche Künste schwer und dunkel gemacht worden wären. Besonders spielt bei der Lehre vom Kirchenregiment das menschliche Interesse, bestehende Misstände zu rechtfertigen, eine große, die christliche Erkenntnis trübende Rolle.

    Der rechte Ausgangspunkt für die Darlegung der Lehre vom Kirchenregiment ist die Lehre von der Kirche. Wie und womit die Kirche zu regieren sei, wird am besten verstanden, wenn man weiß und festhält, was die Kirche, um deren Regierung es sich handelt, sei.

 

1. DIE KIRCHE

A. Ihre Glieder

    Was ist die Kirche? Die Kirche sind die Gläubigen, oder, was dasselbe ist: die Christen, die Kinder Gottes. Die Kirche sind die Leute, welche sich Christus durch das Evangelium aus der Welt herausgerufen, durch den Glauben gerechtfertigt und mit allen von ihm erworbenen geistlichen Gütern beschenkt hat. Es sind die Leute, in deren Herzen der Heilige Geist, ja, die ganze heilige Dreieinigkeit wohnt, die im Glauben an Christus als ihrem geistlichen Haupt hängen und sein geistlicher Leib sind. Diese Leute – und keine anderen – sind die christliche Kirche. „Wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.“ Röm. 8,9. Die Gläubigen, und nur die Gläubigen, sind die Kirche.

 

B. Ihre Regiermittel

    Darum ist das Regiermittel für die christliche Kirche nicht äußere Gewalt und äußerer Zwang, nicht Menschengebote, nicht menschliche Weisheit, Klugheit, Geschicklichkeit, Ansehen usw., sondern allein Gottes Wort. Die Christen, die Kinder Gottes, können und sollen mit nichts anderem als mit dem Wort ihres HERRN und Heilandes, mit Gottes Wort regiert werden. Luther sagt kurz und bündig: „Die Christen kann man mit nichts außer allein mit Gottes Wort regieren.“2 Und etwas ausführlicher: „Das heißet nun das Kirchenamt oder Kirchenregiment: Ein solches Regiment, da man allein das Wort hat und damit also regieret, dass man keine Gewalt braucht, noch Hände anlegt, noch einige Macht oder Hoheit vor andern sucht. Warum das? Darum, dass Gott seine Kirche will erhalten und regieren allein durch sein Wort und nicht durch menschliche Macht.“3 Menschen können bei der Regierung der Kirche nur insofern in Betracht kommen, als sie Christi Wort verkündigen und führen. Luther sagt von den „Priestern und Bischöfen“: „Ihr Regieren ist nichts anderes, denn Gottes Wort treiben, damit die Christen führen und Ketzerei überwinden.“4 Das Zepter des Reiches Christi hier auf Erden geht nicht von Rom aus, auch nicht von den grünen Tischen der Konsistorialräte und anderer sogenannter kirchlichen Oberen, sondern das Zepter des Reiches Christi geht von Zion, dem Heiligtum Gottes, aus.

 

C. Ihr Meister

    Die ganze Kirchenregimentsfrage hat Christus selbst entschieden, wenn er spricht: „Einer ist euer Meister, Christus; ihr aber seid alle Brüder“, Matth. 23,8. Hier ist so klar wie möglich, und so bestimmt wie möglich, ausgesprochen, dass es in der Kirche nur einen regierenden Herrn gibt. Das ist Christus. Luther sagt: „Wir (Christen) haben einen Herrn, der ist Christus, der unsre Seelen regiert.“5 Alles, was nicht Christus ist, hat auch in der Kirche nichts zu regieren und zu gebieten. Die Kirche ist die strengste Monarchie, das heißt, ein Reich, in dem es nicht mehrere oder viele, sondern nur einen Herrscher gibt. „Einer ist euer Meister, Christus.“ Was das Verhältnis der Christen zu einander anlangt, so sind sie „Brüder“. Unter ihnen gibt es keine Überordnung und Unterordnung. Sie sind vielmehr alle einander nebengeordnet. Sie bilden, sagt der selige Dr. Walther, eine „große heilige Brüderschaft“, in welcher es keine Gebietenden und Gehorchenden gibt. „Ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen“, Matth. 23,8. „Die weltlichen Fürsten herrschen, und die Oberherren haben Gewalt. So soll es nicht sein unter euch“, Matth. 20,25.26. Der Alleinherrscher Christus übt aber sein Herrscher- und Regieramt aus durch sein Wort, wie er es in der Heiligen Schrift der Kirche gegeben und in derselben bis ans Ende zu lehren befohlen hat. Wie er sich seine Kirche durch sein Wort sammelt und fortwährend mit geistlichem Leben erfüllt, so regiert er sie auch durch sein Wort. Und damit ihm die Alleinherrschaft bleibe und sich nicht nebenbei doch wieder Menschenherrschaft einschleiche, - weil er Menschen zur Verkündigung seines Wortes gebraucht – so befiehlt er allen, die in der Kirche den Mund zum Reden öffnen, dass sie nur Gottes Wort, nicht aber eigenes Wort, laut werden lassen. „So jemand redet, dass er’s rede als Gottes Wort“, 1. Petr. 4,11. So bleibt Christus der einige „Meister“, und die Christen „Brüder“.

 

D. Keine menschlichen Herrscher

    Hält man dies fest, dass die Christen allein mit Gottes Wort aus der klaren Schrift regiert werden sollen, so stürzen alle großen und kleinen hierarchischen Bauten, die man in der Kirche aufgeführt hat, zusammen. Der ganze endlose Streit über die Rangordnung unter den Personen und Ämtern in der Kirche, speziell auch der Streit, ob es außer dem Amt des Wortes noch ein von Gott gestiftetes besonderes Regieramt in der Kirche gebe, ist dadurch zu Ende gebracht und gegenstandslos geworden, dass man festhält: Kein Mensch, mag er sein, wer er wolle, hat für seine Person in der Kirche etwas zu sagen. Christus hat ihnen allen – was eigenes Gebieten betrifft – den Mund geschlossen, wenn er selbst spricht: „Einer ist euer Meister, Christus“, usw, und durch den Apostel Petrus: „So jemand redet, dass er’s rede als Gottes Wort.“ Hier geht’s nicht bloß dem Papst an die Krone, sondern auch allen „kirchlichen Oberen“ in der sogenannten protestantischen Kirche an die Käppchen.

 

E. Menschliche Ordnungen

    Aber man wirft ein: Es gibt in der Kirche doch Dinge zu ordnen, die der Meister, Christus, in seinem Wort nicht geordnet hat. Allerdings! Es sind dies die sogenannten Mitteldinge, z.B. Zeit und äußere Form des Gottesdienstes, die Verbindung der Gemeinden zu Synoden usw. Wer soll hier die nötigen Ordnungen treffen? Das hat Christus mit seinem Wort: „ihr seid alle Brüder“ bereits sehr bestimmt angedeutet. Diese Dinge sind jedenfalls nicht so zu ordnen, dass die Einen sie den Andern auflegen oder gebieten, mögen die Ersteren nun Pastoren oder Synoden sein, denn dadurch würde wieder der Grundsatz der Kirche: „Ihr seid alle Brüder“ aufgehoben und die Kirche abermals in zwei ungleiche Klassen von Leuten eingeteilt werden, in gebietende Herren und unterworfene Diener. Es bleibt nur eine Weise der Ordnung der Mitteldinge übrig, die nicht mit dem Grundgesetz der Kirche in Widerspruch tritt. Dies ist die Weise der freien Übereinkunft aller Beteiligten. Die Christen der einzelnen Gemeinden ordnen diese Dinge selbst, wie es ihnen nach Zeit, Ort und Gelegenheit am Ersprießlichsten zu sein scheint. Sie nehmen hierbei Rat, unter Umständen viel Rat, an. Sie lassen sich hier besonders von ihrem offiziellen Ratgeber, dem Pastor der Gemeinde, beraten. Sie suchen in Bezug auf die kirchlichen Gebräuche auch möglichst den äußeren Zusammenhang mit der alten Kirche zu wahren, sowie in tunlichste Gleichförmigkeit mit den rechtgläubigen Schwestergemeinden der Gegenwart zu kommen. Aber ihrem christlichen Dafürhalten und ihrer freien Entscheidung ist alles anheim zu geben, was Christus selbst nicht geboten hat. Bleiben hier Meinungsverschiedenheiten, so weicht die Minderheit der Mehrheit, oder auch die Mehrheit der Minderheit, wie es die Liebe erfordert. Hier ist ein weites Feld für das Untertansein in der Liebe, welches die Heilige Schrift den Christen so oft einschärft. So bleiben die Christen bei der Ordnung der Mitteldinge Brüder.

 

F. Lutherzeugnisse

    Dass dies und nichts anderes die Lehre Luthers und unserer Kirche von der Ordnung der Mitteldinge sei, ist unter uns allbekannt. Luther sagt bekanntlich: „Weder der Papst, noch ein Bischof, noch irgendein Mensch hat Gewalt, eine Silbe über einen Christenmenschen anzuordnen, es geschehe denn mit seinem Willen; und was anders geschieht, das geschieht aus einem tyrannischen Geiste.“6 Die Konkordienformel sagt: „Wir glauben, lehren und bekennen, dass die Gemeinde Gottes jedes Orts und jeder Zeit derselben Gelegenheit nach guten Fug, Gewalt und Macht habe, dieselben“ (nämlich die von Gott nicht geordneten Dinge) „ohne Leichtfertigkeit und Ärgernis ordentlicher und gebührlicher Weise zu ändern, zu mindern und zu mehren, wie es jederzeit zu guter Ordnung, christlicher Disziplin und Zucht, evangelischem Wohlstand und zur Erbauung der Kirche am Nützlichsten, Förderlichsten und Besten angesehen wird.“7

 

G. Keine offene Frage

    Man hat in neuerer Zeit gesagt, dass unser Bekenntnis die Frage vom Kirchenregiment offen oder doch nahezu offen lasse. Andere haben sich so ausgedrückt: Im lutherischen Bekenntnis finde sich keine positive Lehre vom Kirchenregiment. Das ist ein großer Irrtum. In unserem Bekenntnis wird der Begriff des Regiments in der Kirche positiv und negativ sehr scharf dargelegt. Es wird immer wieder eingeschärft, dass alles Regieren in der Kirche lediglich durch Gottes Wort geschehe, und es wird jedes Regieren verworfen, wodurch Christen etwas über Gottes Wort hinaus geboten wird. Bleiben diese Wahrheiten unangetastet, dann freilich wollten unsere Väter um der Liebe und des Friedens willen sich in jede äußere Ordnung der Dinge schicken. Die Römisch-Katholischen fordern bekanntlich für ihre Bischöfe die Gewalt, in der Kirche Satzungen zu machen, und beriefen sich dabei auf Schriftstellen wie Lukas 10: „Wer euch höret, der höret mich“; Hebr. 13: „Gehorchet euren Lehrern und folget ihnen“ usw. Unser Bekenntnis antwortet hierauf, dass in diesen und ähnlichen Stellen der Schrift den Predigern gegenüber Gehorsam gefordert werde, wenn und in sofern sie Gottes Wort vortragen, nicht aber, wenn sie eigenen Gutdünken Satzungen machen wollten. Die Worte unseres Bekenntnisses lauten bekanntlich: „So ist es auch gewiss, dass dieses Wort des HERRN Christus, Luk. 10: ‚Wer euch hört, der hört mich’, nicht von Menschensatzungen redet, sondern ist stracks darwider, denn die Apostel empfangen da nicht ein mandatum cum libera, das ist einen ganz freien, ungemessenen Befehl und Gewalt, sondern haben einen gemessenen Befehl, nämlich nicht ihr eigenes Wort, sondern Gottes Wort und das Evangelium zu predigen. … Darum kann dieses Wort (wer euch hört, der hört mich) von Satzungen nicht verstanden werden. Denn Christus will da, dass sie alle lehren sollen, dass man durch ihren Mund Christus selbst höre. So müssen sie ja nicht ihr eigenes Wort predigen, sondern sein Wort, seine Stimme und Evangelium, soll man Christus hören. Dieses tröstliche Wort, welches aufs Allerstärkste unsere Lehre bestätigt und viel nötiger Lehre und Trosts für die christlichen Gewissen in sich hat, das deuten die groben Esel auf ihre närrischen Satuzungen, auf ihre Speis, Trank, Kleider und dergleichen Kinderwerk. Auch ziehen sie diesen Spruch an, Hebr. 13: ‚Gehorchet denen, die euch vorgehen.“ Dieser Spruch fordert, dass man solle gehorsam sein dem Evangelium. Denn er gibt den Bischöfen nicht eine eigene Herrschaft oder Herren-Gewalt außer dem Evangelium.“ Und zu der Stelle Matth. 23: „Auf Moses Stuhl sitzen die Schriftgelehrten usw. Alles nun, was sie euch sagen, das ihr halten sollt, das haltet und tut’s bemerkt unser Bekenntnis u.a.: „So richtet dieser Spruch auch nicht ein Regiment an außer dem Evangelium, darum können sie ihre Gewalt, die sie außer dem Evangelium aufgerichtet haben, nicht durchs Evangelium beweisen, denn das Evangelium redet nicht die traditionibus“ (von Menschensatzungen), „sondern von Gottes Wort zu lehren.“8 So sehr schärft unser Bekenntnis die göttliche Wahrheit ein, dass kein Mensch einem andern in der Kirche etwas zu gebieten habe, dass es auch den Aposteln die Gewalt abspricht, etwas zu gebieten, was nicht Christus durch sie redete und gebot. Es heißt in den Schmalkaldischen Artikeln: „Man kann mit keiner Wahrheit sagen, dass Petrus einige Obrigkeit der Walt vor andern Aposteln über die Kirche und alle andern Kirchendiener gehabt habe. Denn so spricht er: ‚Es ist alles euer, es sei Paulus oder Apollos oder Kephas.’ das ist, es darf weder Petrus noch andere Diener des Wortes ihnen zumessen einigen Gewalt oder Obrigkeit über die Kirche. Niemand soll die Kirche beschweren mit eigenen Satzungen, sondern hier soll es heißen, dass keines Gewalt noch Ansehen mehr gelte als Gottes Wort.“9 Chemnitz bemerkt, die Apostel würden vor Entsetzen ihre Kleider zerrissen haben, wenn ihnen jemand hätte die Autorität zuschreiben wollen, „Gesetze zu geben, davon sie kein Gebot oder Zeugnis des göttlichen Wortes hatten.“10

H. Christen beugen sich unter die Herrschaft von Gottes Wort

    Man hat gesagt: Die Regierung der Kirche allein mit Gottes Wort ist in der Theorie ganz gut. Aber in der Praxis stellt sich die Sache anders. Wo hat man solche Leute, die sich Gottes Wort unterwerfen und willig sind, in den Dingen, die Gott nicht geboten hat, einander untertan zu sein? Freilich, der Papst wird solche Leute nicht machen. Kaiser und Könige auch nicht. Bischöfliche Erlasse und Synodalbeschlüsse werden’s auch nicht tun. Selbst Mose bringt’s nicht zustande. Aber der bringt’s zustande, des die Kirche ist. Der HERR Christus mache solche Leute durch sein Wort und den Heiligen Geist. Und die Christenalle Christen – sind solche Leute. Wir kommen hier wieder auf den rechten Begriff der Kirche, um deren Regierung es sich handelt. Was Christus angehört, lässt sich auch mit Christi Wort regieren. Das sagt der HERR Christus selbst, wenn er Joh. 8 spricht: „Wer aus Gott ist, der höret Gottes Wort.“ Die sich nicht mit Gottes Wort regieren lassen, das sind die Feinde Christi und seiner Kirche, wie der HERR Christus auch sofort in Bezug auf die Pharisäer hinzusetzt: „Darum höret ihr nicht!“ – nämlich auf Gottes Wort –, „denn ihr seid nicht von Gott.“ Die lassen wir fahren. Auch Luther kommt bei seiner Darlegung des Kirchenregiments allein durch Gottes Wort immer wieder auf den Einwurf, dass es an den Leuten für solches Regiment fehle. Er schickt vorauf: „Es ist unter den Christen kein Oberster als nur Christus selber und allein. Und was kann da für Obrigkeit sein, da sie alle gleich sind und einerlei Recht, Macht, Gut und Ehre haben; dazu keiner begehrt des andern Oberster zu sein, sondern ein jeglicher begehrt des andern Unterster zu sein“ (nach dem Wort 1. Petr. 1,5: „Seid allesamt unter einander untertan“)? „Könnte man doch, wo solche Leute sind, keine Obrigkeit aufrichten, ob man’s gerne tun wollte, weil es die Art und Natur nicht leidet, Oberste haben, da keiner Oberster sein will noch kann.“ Hierauf fährt Luther fort: „Wo aber nicht solche Leute sind, da sind auch nicht rechte Christen … Christen müssen im Glauben regiert werden, nicht mit äußerlichen Werken. Glaube aber kann durch kein Menschenwort, sondern nur durch Gottes Wort kommen, wie St. Paulus sagt Röm. 10,17: ‚Der Glaube kommt durchs Hören, das Hören aber kommt durchs Wort Gottes.’ Welche nun nicht glauben, die sind nicht Christen, die gehören auch nicht unter Christi Reich, sondern unter das weltliche Reich, dass man sie mit dem Schwert und äußerlichem Regiment zwinge und regiere. Die Christen tun von sich selbst und ungezwungen alles Gute und haben genug für sich allein an Gottes Wort.“11 Man hat nochmals eingewendet: Aber auch die Christen haben noch das Fleisch an sich, welches sich wider das Regiment des Wortes Gottes setzt und nie fromm wird. Allerdings! Aber auch Menschengebote werden das Fleisch wahrlich nicht fromm machen. Wenn wir aber bei den Christen mit Gottes Wort anhalten in geduldiger Belehrung und Ermahnung, dann kreuzigen die Christen immerfort ihr Fleisch samt seinen Lüsten und Begierden und fahren fort, sich Gottes Wort zu untergeben. Was für Erfahrungen wir in dieser Beziehung in unserer Synode gemacht haben, darüber später einige Worte. So geht’s mit Gottes Wort, mit Gottes Wort allein, und so wird die Kirche in rechter Weise regiert.

 

Zusammenfassung

    Nach dem Gesagten lässt sich nun in einige wenige Worte zusammenfassen, worin das rechte und das falsche Kirchenregiment bestehe. Das Regiment ist recht, wodurch man die Christen allein mit Gottes Wort führt und alles, was nicht durch Gottes Wort bestimmt ist, der Freiheit und dem guten Willen der Christen anheimgibt. Jedes Regiment ist falsch, wodurch den Christen – sei es viel, sei es wenig – über Gottes Wort hinaus geboten wird.

 

2. MENSCHLICHE SYSTEME GEGEN GÖTTLICHE REGIERUNG

 

    Ein falsches Regiment ist, wenn man auf die Geschichte sieht, teils vom Staat, teils von der Kirche aus und unter dem Namen derselben, ausgeübt worden.

 

A. Der Staat beherrscht die Kirche

    Weltliche Obrigkeiten wollten der Kirche vorschreiben, was sie – die Kirche – als christliche Lehre zu bekennen und wie sie die kirchliche Praxis einzurichten habe. Das hat bald angefangen, nachdem die römischen Kaiser zum Christentum übergetreten waren. Das setzt sich an vielen Orten fort bis auf diesen Tag. Es ist aber von Grund auf verkehrt! Der weltlichen Obrigkeit sind die leiblichen Dinge, die Dinge, die das bürgerliche Leben betreffen, unterworfen. In diesen Dingen sind wir Christen der weltlichen Obrigkeit durchaus untertan, nicht bloß aus Zwang und aus Furcht vor Strafe, sondern um des Gewissens willen, weil es Gott so haben will. „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.“ Röm. 13,1. Aber die kirchliche Lehre und Praxis zu bestimmen, hat Christus der weltlichen Obrigkeit weder ganz noch zum Teil übergeben. Die Kirche will er selber durch sein Wort, wie er es in der Kirche hinterlassen hat, regieren. Daher nehmen wir von der weltlichen Obrigkeit, der wir doch in bürgerlichen Dingen durchaus untertan sind, in kirchlichen Dingen keinerlei Gebote an. Wir dürfen uns in kirchlichen Dingen von der weltlichen Obrigkeit nichts gebieten lassen. Es wäre denn, dass wir von Christus als unserem einigen Meister abfallen wollten. Hüten wir uns vor jeder Form des Staatskirchentums! Die Warnung ist auch für unser Land nötig. Ist doch gegenwärtig wieder eine mächtige Bewegung im Gange, die Trennung von Kirche und Staat, die hierzulande Gott sei Dank besteht, wenigstens teilweise rückgängig zu machen.

    Noch mehr ist ein falsches Kirchenregiment von der Kirche selbst ausgegangen und unter dem Namen der Kirche ausgeübt worden. Einzelne Personen in der Kirche oder doch eine Anzahl derselben haben sich angemaßt, mit ihren eigenen Geboten die Kirche zu regieren.

 

B. Das römisch-katholische System

    Der Hauptgreuel ist hier der Greuel des Papsttums. Der Papst behauptet, von Christus selbst zum Obersten der Christen gesetzt zu sein, dermaßen, dass alle Christen nach Lehre und Leben ihm unterworfen sind und keiner selig werden kann, der nicht des Papstes Oberhoheit anerkennt. Christus selbst, so behaupten des Papstes Kreaturen, habe nur einige Hauptsachen bestimmt; die meisten Dinge habe er der Kirche, das ist, dem Papst, zu bestimmen überlassen. So regiert der Papst mit seinen Geboten die Kirche. Die Bischöfe sind nur die Regierungsorgane des Papstes. Und kein Christ soll sich herausnehmen, die Gebote des Papstes an der Heiligen Schrift prüfen zu wollen, denn die sei für den gewöhnlichen Christen dunkel und kann nur von der Kirche, das ist schließlich wieder von dem „unfehlbaren“ Papst, recht verstanden und ausgelegt werden. Dies ist der Greuel des Antichrists, wie es 2. Thess. 2 beschrieben wird, „der da ist ein Widerwärtiger und sich überhebt über alles, das Gott oder Gottesdienst heißt, also, dass er sich setzt in den Tempel Gottes, als ein Gott, und gibt sich vor, er sei Gott“. Wie ein Christ sich zu dem Papst und seiner angemaßten Herrschaft stellen soll, sagt Luther in den Schmalkaldischen Artikeln: „Darum müssen wir hier nicht seine Füße küssen oder sagen: Ihr seid mein gnädiger Herr! sondern wie in Sacharja der Engel zum Teufel sprach: Strafe dich Gott, Satan.12

    Aber das falsche Kirchenregiment, insofern es unter dem Namen der Kirche ausgeübt wird, beschränkt sich nicht auf das Papsttum.

 

C. Ostkirchliches Kirchenregiment

    Die sogenannte griechische Kirche setzt an Stelle des Papstes die Bischöfe. Sie meint, „der Heilige Geist hat den einzelnen Kirchen, die wahrhafte Kirchen sind und wahrhaft aus seinen Gliedern bestehen, die Bischöfe … wahrhaftig zu Herrschern und Häuptern gesetzt“.13 Dem Regiment der Bischöfe sollen alle Gläubigen um des Gewissens willen unterworfen sein.

 

D.  Protestantische Herrschaft in der Kirche

    In dem größten Teil der sogenannten protestantischen Christenheit wird eine falsche Lehre vom Kirchenregiment geführt und geübt. Zwar finden wir hier gewöhnlich die Bestimmung, dass die Kirche nichts festsetzen dürfe, was dem Wort Gottes widerstreite. So z.B. bei den Episkopalen, Presbyterianern, Methodisten usw. Aber dieselben Leute versehen es ganz grob in der Ordnung der Dinge, die nicht in Gottes Wort geboten sind. Um nur eins anzuführen: Sie schreiben z.B. ihren allgemeinen kirchlichen Versammlungen die Gewalt zu, Ordnungen zu machen, denen die Christen um des Gewissens willen unterworfen seien. So heißt es im „Glaubensbekenntnis“ der Presbyterianer: „Es kommt den Synoden und Konzilen zu, amtlicher Weise (ministerially), Streitigkeiten in Glaubenssachen und Gewissensfällen zu entscheiden, Regeln und Anordnungen festzusetzen zur besseren Einrichtung des öffentlichen Gottesdienstes und zur Regierung der Kirche Gottes, Klagen anzunehmen in Fällen schlechter Amtsverwaltung und darüber zu entscheiden als Autorität: welche Beschlüsse und Entscheidungen, wenn sie dem Worte Gottes gemäß sind, mit Ehrfurcht und Unterwerfung anzunehmen sind, nicht nur deshalb, weil sie mit Gottes Wort übereinstimmen, sondern auch wegen der Gewalt, von welcher sie herkommen (whereby they are made), weil dieselbe eine Ordnung Gottes ist, die dazu in seinem Wort bestimmt (appointed) ist.“14

 

E. Lutherische Herren

    Aber auch in die lutherisch genannte Kirche ist das falsche Kirchenregiment eingedrungen in verschiedenen Graben und Abstufungen. Wir heben hier die Abirrung hervor, welche hier in Amerika nach der Herrschaft strebte und in Deutschland unter einem Teil der separierten Lutheraner ihre Vertreter hat. Man lehrt ein von Gott neben dem Amt des Wortes Gottes eingesetztes Kirchenregiment, welches für einzelne Gemeinden oder eine Summe von Gemeinden Ordnungen zu machen habe, denen die Christen um des Gewissens willen untertan ssein müssten. Diesem Kirchenregiment komme göttliche Autorität auch da zu, wo es nicht Gottes Wort und Gebot vorhalte. Man setzt freilich die Einschränkung hinzu, das Kirchenregiment dürfe nichts vorschreiben, was wider Gottes Wort sei. Aber damit ist nichts gebessert. Es ist eben schon wider Gottes Wort, Christen etwas vorzuschreiben, was nicht Gott in seinem Wort geboten hat.15

 

F. Missbrauch des vierten Gebotes

    Man hat sich für den Gehorsam, den die Christen angeblich den Pastoren oder den kirchlichen Oberen in Mitteldingen schulden, sowohl hier in Amerika als auch in Deutschland auf das vierte Gebot berufen. Eltern könnten ja ihren Kindern Dinge gebieten, die nicht in Gottes Wort geboten seien, wenn diese Dinge nur nicht wider Gottes Wort angingen. Nun gehörten aber die Pastoren und andere kirchliche Vorgesetzte zu den geistlichen Vätern. So sei man ihnen auch, kraft göttlicher Ordnung, Gehorsam schuldig in allen Dingen, die nicht in Gottes Wort geboten sind, wenn sie nur nicht in Gottes Wort verboten seien.16 Dies Argument hat manche vernünftige und weise Leute betrogen. Aber es ist doch durchaus verkehrt und sehr leicht zu widerlegen. Wie steht denn die Sache? Eltern können allerdings ihren Kindern über Gottes Wort hinausgehende Befehle geben, weil sie von Gott ihren Kindern gegenüber mit gesetzgeberischer Gewalt ausgestattet sind, wenn es z.B. Kol. 3,20 heißt: „Ihr Kinder, seid gehorsam den Eltern in allen Dingen.“ Die Kinder sind nach Gottes Ordnung unter den Eltern. Aber die Kirche, oder vielmehr einzelne Personen in der Kirche, hat Gott nicht mit gesetzgeberischer Gewalt ausgestattet den Christen gegenüber, sondern hier heißt es: „Einer ist euer Meister, Christus; ihr aber seid alle Brüder.“ Für Kinder sind die Eltern allerdings an Gottes Statt in Bezug auf die Dinge, die Gott nicht geboten hat. Aber nicht sind so an Gottes Statt die Oberen in der Kirche den Christen gegenüber. Alle Christen sind ohne Vermittlung der kirchlichen Oberen nur unter Gott. Nur Einer ist ihr Meister, Christus; sie sind alle gleichgestellte (koordinierte) Brüder. Christus hat in der Kirche keine Stellvertreter hinterlassen, die an seiner Statt den Christen zu gebieten hätten, was er ungeboten gelassen hat. Wer sich als ein solcher Stellvertreter Christi aufspielt, greift Christus ins Regiment.

 

G. Gründe, die christliche Freiheit zu verteidigen

    Man hat gesagt: „Kommt es denn wirklich so viel darauf an, dass die Christen in den sogenannten Mitteldingen sich nichts von Menschen gebieten lassen? Was schadet’s groß, wenn man es den Christen zur Gewissenspflicht macht, menschlichen Ordnungen, die doch gut gemeint sind, sich zu unterwerfen?“ Man hat uns mehr als ein Mal entgegen gehalten, dass wir zu viel Kraft und Zeit auf die Verteidigung der christlichen Freiheit verwendeten.

    Die diesen Einwand erheben, beweisen damit ihr geringes Verständnis für geistliche Dinge. So ermahnt Paulus im Brief an die Galater die Christen mit vielen Worten, in der Freiheit zu bestehen, damit sie Christus befreit hat, Gal. 5. Und Luther, als ein treuer Schüler St. Paulus’, sagt bekanntlich, jeder Christ soll  eher sein Leben lassen als Menschengeboten in der Kirche untertan werden. Vergegenwärtigen wir uns kurz die Gründe für diese Stellung.

 

a) Wer über das Wort hinaus geht, setzt Christus ab

    Wer in der Kirche über Christi Wort hinaus gebieten will, der greift damit Christus ins Regiment und tastet Christi Majestät an. Christus hat mit seinem Blut die Kirche sich zum Eigentum erworben, so dass Er ihr Meister, ihr einziger HERR und Gebieter sei. Wer nun noch neben Christus der Kirche gebieten will, mag dies viel oder wenig sein, der drängt sich damit in Christi Heilands- und Herrscherstellung ein. Der tut, als ob er auch für die Christen gestorben und begraben und dann wieder auferstanden sei.

b) Die Herrlichkeit der Christen wird durch Menschengebote angetastet

    Ferner: Wer in der Kirche über Christi Wort hinaus gebieten will, der tatstet die Herrlichkeit der Christen an, mit welcher ihr Heiland sie gekrönt hat. Alle, welche durch den Glauben an Christus Vergebung der Sünden und die Gotteskindschaft erlangt haben, haben damit auch das Vorrecht erlangt, dass sie in allen geistlichen Dingen nur Christus und dessen Wort unterworfen und von allen Menschensatzungen befreit sind. Das ist die herrliche Freiheit der Kinder Gottes, die ihnen nicht mit Gold oder Silber, sondern mit dem teuren Blut Christi erworben und durch die Rechtfertigung geschenkt ist. Wenn nun Menschen das Recht beanspruchen, die Christen mit ihren – der Menschen – Geboten regieren zu dürfen, so machen sie dadurch Gottes freie Kinder zu Menschenknechten und muten ihnen tatsächlich zu, von Christus als ihrem einigen HERRN und Meister abzufallen. „Lieber“, sagt Luther, „lass dir’s nicht gering Ding sein, verbieten, da Gott nicht verbietet, christliche Freiheit brechen, die Christus Blut gekostet hat, die Gewissen mit Sünde beladen, da keine ist. Wer das tut und tun darf, der darf auch alles Übel tun, ja, er verleugnet schon damit alles, was Gott ist, lehrt und tut, samt seinem Christus.“17

 

c) Menschengemachte Gesetze verursachen Unordnung in der Kirche

    Ferner: Wer in der Kirche über Gottes Wort hinaus gebieten will, der richtet damit die größte Unordnung in der Kirche an. Man entschuldigt freilich den Erlass von Menschengeboten über Gottes Wort hinaus mit der guten Absicht, dadurch der guten Ordnung in der Kirche dienen und der sonst drohenden Unordnung wehren zu wollen. Über die der Kirche angeblich drohende Unordnung, wenn man nicht mit Menschengeboten dazwischen greift, noch später einige Worte. Hier halten wir zunächst so viel fest: Jede Ordnung der Dinge, nach welcher den Christen über Gottes Wort hinaus geboten wird, ist von vorneherein greuliche Unordnung, eine vollkommene Verkehrung der Hausordnung in der Kirche Christi. Der erste und alles beherrschende Paragraph in dieser Hausordnung lautet: „Einer ist euer Meister, Christus; ihr aber seid alle Brüder.“ Wer in der Kirche Christi über Gottes Wort hinaus gebieten will, der ist ein Revolutionär in der Kirche, der die zu Recht bestehende Ordnung, nämlich das alleinige Regiment Christi, über den Haufen werfen will. Luther nennt die Ordnung in der Papstkirche, nach welcher dem Papst und den Bischöfen die Gewalt zustehen soll, neben der Schrift die Gewissen bindende Gesetze zu erlassen, eine Ordnung „wider Gott“, ja, „des Teufels Ordnung“.18 Er begehrt, „dass sich alle Christen je mit allen Kreuzen segnen vor dem Glauben, der da glaubt, der Papst habe Recht in seinem Regiment“. So bezeichnen wir auch jedes Regiment in der Kirche als Unordnung, wodurch den Christen etwas über Gottes Wort hinaus geboten wird, mag dies Gebot nun von Pastoren, von Synoden, von einem Kirchen-Kollegium, Konsistorium, Summus episcopus oder des etwas ausgehen.

 

d) Menschengesetze treten an die Stelle von Gottes Wort, verursachen Schaden in der Kirche

    Und endlich: Jedes Kirchenregiment, wodurch man über Gottes Wort hinaus den Christen Menschensatzungen auflegt, gereicht der Kirche zum Schaden. Luther sagt vom Papsttum: „Wie aber der Papst in der Kirche regiert hat, nachdem er solches“ – nämlich die Obrigkeit über die Christen – „erlangt hat, ist vor Augen.“19 Ja, man hat’s wahrlich vor Augen. Lassen wir uns warnen! Hat man einmal zugegeben, dass Menschen neben Christus in der Kirche gebieten dürfen, so ist aller falschen Lehre und Praxis Tür und Tor geöffnet. Wer sich erdreistet, den Christen in den sogenannten Mitteldingen etwas zu gebieten, der wird auch nicht davor zurückschrecken, in den eigentlichen Glaubenssachen aus seinem Kopf Vorschriften zu machen. Ja, er hat schon den Glauben der Christen mitten ins Herz getroffen, dadurch, dass er ihre Gewissen an etwas anderes bindet als an Gottes Wort. Wo Menschensatzungen aufkommen, da verliert Gottes Wort die Herrschaft. Das liegt in der Natur der Sache. Wo man sich von Menschen gebieten lässt, da geht das rechte christliche Gewissen unter. Da unterscheidet man nicht mehr scharf zwischen Gottes Wort und Menschenwort, da verkommen die Gewissen, da verliert man das Gewissen für die reine Lehre. Die Geschichte redet hier wahrlich deutlich genug. Wohin ist’s gekommen unter dem Papsttum? Dahin, sagt Luther, „dass man das Wort Gottes verloren, und aus der Kirche ein weltliches Regiment gemacht, neue Gottesdienste angerichtet, und alles gesucht und erdichtet hat, damit man das Geld von den Leuten hat bringen und die Pfaffenpracht hat mehren können“.20 Wohin ist’s gekommen in den Staatskirchen? Dahin, dass man gegen Gottes Wort überaus gleichgültig ist, dagegen desto strenger über den staatskirchlichen Ordnungen hält. Es hat sich in Folge dessen auch ein wunderlicher Sprachgebrauch herausgebildet. Wenn man in Staatskirchen von „oben“ redet, so meint man in der Regel nicht Gott und Gottes Wort, sondern das weltliche Regiment und die kirchlichen „Oberen“. Das ist bezeichnend für die Lage der Dinge. Menschenwort hat Gottes Wort bei Seite geschoben. Das ist der furchtbare Fluch der Verkehrung der göttlichen Ordnung in der Kirche!

 

Zusammenfassung

    Wie wichtig ist es daher, an der rechten Lehre vom Kirchenregiment festzuhalten und allein Gottes Wort, nicht aber menschlichen und kirchlichen Ordnungen gewissensverbindliche Kraft zuzuschreiben.

 

3. DAS KIRCHENREGIMENT AUS DEM WORT ALLEIN IN DER PRAXIS

 

    Wie gestaltet sich nun die Regierung der Kirche in der Praxis, wenn sie nur mit Gottes Wort regiert wird?

 

A. In der christlichen Ortsgemeinde

    Sehen wir zunächst auf die einzige von Gott gestiftete äußere Gemeinschaft, die christliche Ortsgemeinde, in welcher es recht zugeht. Der Pastor der Gemeinde, weil er von Amtswegen das Wort Gottes führt, so regiert er natürlich auf von Amtswegen die Gemeinde mit dem Wort. So oft er öffentlich von der Kanzel aus Gottes Wort darlegt, wie es nach Gottes Willen in Lehre und Leben im Allgemeinen und im Besonderen zu halten sei, so regiert er. Wenn er im Verkehr mit den einzelnen Personen Gottes Wort und Willen kund tut und geltend macht, so regiert er ebenfalls. Er regiert, nicht für seine Person, nicht weil er begabter oder gelehrter oder angesehener sei, sondern weil er von Amtswegen das Wort Gottes zu führen hat und in sofern er dies tut. So spricht Luther allen Pastoren in ihren Gemeinden das geistliche Regiment zu. Er schreibt, im Gegensatz zu dem römischen Wahn, dass den Bischöfen und dem Papst das Regiment in der Kirche zukomme: „Also soll ein jeglicher Pfarrherr oder geistlicher Regent ein Bischof, das ist ein Aufseher, ein Wächter sein, dass in seiner Stadt und bei seinem Volk das Evangelium und der Glaube Christi gebaut werde und bleibe wider die Feinde, Teufel und Ketzerei.“21 Und unser Bekenntnis sagt: „Darum kann die Kirche nimmermehr besser regiert und erhalten werden, als dass wir alle unter einem Haupt, Christus, leben und die Bischöfe“ (das ist, Pastoren) „alle, gleich nach dem Amt, ob sie wohl ungleich nach den Gaben, fleißig zusammenhalten in einträchtiglicher Lehre, Glauben, Sakramenten, Gebeten und Werken der Liebe“ usw.22

 

B. In einer Gemeindeversammlung

    Die Ortsgemeinde tritt zur Verrichtung der ihr obliegenden Dinge nach dem Vorbild der apostolischen Gemeinden zu Gemeindeversammlungen zusammen. Wer regiert in den Gemeindeversammlungen? Der Pastor hat natürlich auch in den Gemeindeversammlungen von Amtswegen das Wort Gottes zur Geltung zu bringen. So regiert er auch hier mit dem Wort Gottes. In diesen Versammlungen reden aber auch die Gemeindeglieder. Und es kommt nicht selten vor, dass ein Glied der Gemeinde oder mehrere derselben das Wort Gottes oder die Worte Gottes beibringen, welche die zur Beratung stehenden Dinge klar beleuchten und entscheiden. So regieren in diesem Falle die betreffenden Gemeindeglieder. Freilich, wiederum nicht für ihre Person, sondern weil sie das alles regierende und entscheidende Wort Gottes geltend machen. Christus regiert in seiner Gemeinde durch sie.

    Es sei mir erlaubt, in diesem Zusammenhang auf ein persönliches Erlebnis hinzuweisen. Ich habe den ersten Unterricht über das Regieren in der Kirche vor allem theologischen Studium von einem einfachen Christen empfangen. Innerhalb einer Gemeinde in Wisconsin waren an einem Sonntagnachmittag einige lutherische Christen in einem Farmhaus versammelt. Auch einige Gymnasialschüler waren zugegen. In der Unterhaltung kam man auf das Kirchenregiment und speziell auf die Frage, wer in den Gemeindeversammlungen regiere. Ein schlichter Christ sprach da seine Verwunderung darüber aus, wie man in der Kirche noch über das Kirchenregiment streiten könne. Es sei doch klar: „In der Kirche regiert der, der Gottes Wort hat. In einer Gemeindeversammlung regieren die, welchen Gott es gibt, dass sie das rechte, die Sache entscheidende Wort Gottes anführen können.“ So hätten in ihrer letzten Gemeindeversammlung mehrere Gemeindeglieder regiert, weil sie das alle andern überzeugende Wort Gottes anführten.

    So gestaltet sich das Regieren der Gemeinde in den Dingen, die durch Gottes Wort entschieden sind. Wie die Ordnung der Mitteldinge durch gegenseitiges Übereinkommen geschehe, ist schon früher dargelegt worden. Hier sei nur noch auf eins hingewiesen. Die Ortsgemeinde kann auch Hilfsämter für das öffentliche Predigtamt, z.B. das Amt der Vorsteher, aufrichten. Wohl alle unsere Gemeinden haben diese kirchliche Einrichtung. Nur ist zuzusehen, dass auch den Vorstehern keine über Gottes Wort hinausgehende Gewalt gegeben werde.

 

C. In Synodalverbindungen

    Aber wie stellt sich nun die Regierung der Kirche, wenn die Ortsgemeinden sich zu größeren kirchlichen Körperschaften, z.B. zu Synoden, zusammengeschlossen haben? Man könnte einwerfen: Wenn die Kirche nur mit Gottes Wort regiert werden soll, welchen Sinn hat dann eure ganze Synodaleinrichtung, die, wie ihr selbst immer betont, nicht in Gottes Wort geboten ist? Ihr habt die Verbindung der Gemeinden zu Synoden, in welchen die Gemeinden einander beraten und überwachen. Ihr habt außer dem von Gott gebotenen Predigtamt in eurer Mitte noch andere nicht von Gott geordnete Ämter aufgerichtet. Ihr habt Visitatoren, Distriktpräsides, einen Allgemeinen Präses und andere Synodalbeamte. Wenn Gottes Wort zur Regierung der Kirche genügt, welchen Sinn haben dann diese menschlichen Ordnungen? Wir antworten: Wahrlich nicht den, als ob Gottes Wort zur Regierung der Kirche nicht hinreiche und man der armen, verlassenen Kirche mit einigen menschlichen Ordnungen aufhelfen müsse. Unsere ganze Synodaleinrichtung hat den entgegen gesetzten Zweck. Durch dieselbe wollen wir einander behilflich sein, dass Gottes Wort, und nichts als Gottes Wort, bei uns regiere. Die Visitatoren sehen darauf, ob’s in dem ihnen zugewiesenen Visitationskreis nach Gottes Wort in den Gemeinden zugehe; die Distrikpräsides haben dasselbe Amt im ganzen Distrikt und der Allgemeine Präses unter gewissen Beschränkungen in der ganzen Synode. Deshalb wählen wir auch zu Visitatoren und Präsides nicht etwa Leute, die sich gut auf Akten verstehen und vor andern in unserm „Synodalhandbuch“ bewandert sind, sondern Leute, die in Gottes Wort wohl erfahren und vor andern geschickt sind, dasselbe in Bezug auf vorliegende Verhältnisse klar darzulegen und anzuwenden. Die Aufsichtsämter, welche durch unsere Synodalordnung eingerichtet sind, sollen nicht Gottes Wort ergänzen, sondern Gottes Wort dienen, dass es – Gottes Wort – im Schwange gehe. Als Zweck unserer Synodalgemeinschaft wird in unserem Synodalhandbuch unter anderem angegeben: „Erhaltung und Förderung der Einheit des reinen Bekenntnisses“, „Überwachung der Einheit und Reinheit der Lehre“. Nicht ist der Zweck der Synode, die Gemeinden über Gottes Wort hinaus durch Synodalbeschlüsse zu binden. Vielmehr heißt es in Bezug auf diesen Punkt in der Konstitution der Synode ganz ausdrücklich: „Die Synode ist in Betreff der Selbstregierung der Gemeinden nur ein beratender Körper. … Findet eine Gemeinde den Beschluss (der Synode) nicht dem Wort Gottes gemäß oder für ihre Verhältnisse ungeeignet, so hat sie das Recht, den Beschluss unberücksichtigt zu lassen und resp. zu verwerfen.“23 Durch die kirchliche Einrichtung der Synode soll nicht eine Herrschaft neben Gottes Wort und über dasselbe hinaus aufgerichtet werden, sondern die ganze Synodaleinrichtung soll der alleinigen Herrschaft des Wortes Gottes dienen.

 

D. Römer 12,8: Wer regiert …

    Auch Luther redet von Ämtern, die als Hilfsämter für das Amt des Wortes in der Kirche aufgerichtet werden. Das sind die Ämter, „so über alle Ämter sehen sollen“ und „zusehen, dass alle Ämter recht gehen“. Er nennt die in christlicher Freiheit neben dem Predigtamt aufgerichteten Aufsichtsämter auch ein Regieramt. Dabei schärft er aber auf das Nachdrücklichste ein, dass diesem „Regieramt“ keine Herrschaft einzuräumen sei. Er nennt es des Predigtamtes „Knecht“, der das Predigtamt „anregen und wecken soll, gleichwie ein Knecht seinen Herrn aufweckt im Schlaf oder sonst ermahnt seines Amts“. Freilich sollen die Prediger, wiewohl sie das höchste Amt in der Christenheit innehaben, ihrerseits in herzlicher Demut bereit sein, allezeit Erinnerung und Ermahnung von den „Regierern“ anzunehmen. Wir setzen eine längere, köstliche Ausführung Luthers hierher.

    Luther schreibt in der Kirchenpostille zu den Worten Röm. 12,8: „Regieret jemand, so sei er sorgfältig“, unter anderem folgendes: „Wie verkehrt aber St. Paulus also die Ordnung? Dass er das Regieren nicht oben und vornan setzt, sondern lässt die Weissagung vorgehen; darnach, dienen, lehren, ermahnen, geben; und setzt das Regieren am allerletzten unter den gemeinen Ämtern, nämlich am sechsten Ort. Es hat der Geist ohne Zweifel getan um des zukünftigen Greuels willen, dass der Teufel in der Christenheit würde eine lautere Tyrannei und weltliche Gewalt anrichten; wie es denn jetzt geht, dass Regieren das Oberste ist, und muss sich alles, was in der Christenheit ist, nach der Tyrannei und ihrem Mutwillen lenken und eher alle Weissagung, Dienst, Lehre, Ermahnen und Geben untergehen, ehe dieser Tyrannei Abbruch gelitten würde, dass sie sich lenken ließe nach der Weissagung, Lehre und andern Ämtern. Wir aber sollen wissen, dass nichts höher ist als Gottes Wort, welches Amt über alle Ämter ist; darum ist das Regieramt sein Knecht, der es anregen und wecken soll, gleichwie ein Knecht seinen Herrn aufweckt im Schlaf oder sonst ermahnt seines Amts; auf dass bestehe, das Christus sagt Luk. 22,26: ‚Wer der Größte will unter euch sein, der soll euer Diener sein; und die Ersten sollen die Letzten sein.’ Wiederum sollen die Lehrer und Weissager dem Regierer gehorsam sein und folgen und sich auch darunter lassen, auf dass also alle christliche Werke und Amt eines andern Diener seien; damit auch bleibe, das in dieser Epistel St. Paulus lehrt, dass niemand sich der Beste dünke und vor den andern sich erhebe und mehr von sich halte als zu halten sei; sondern lassen ein Amt und Gabe wohl edler sein als die andern, aber doch ein jeglicher dem andern damit diene und untertänig sei; also ist das Regieramt das geringste, und ihm sind doch die andern alle untertan und dienet wiederum allen andern mit seinem Sorgen und Aufsehen. Wiederum ist die Weisheit das höchste und folgt doch dem Regierer.“24

    Aber – wo wirft man ferner ein –, wie kommt, wenn es in der Kirche keine Herrschaft eines Menschen über den andern gibt, die besondere Regiergabe zur Geltung? Christus gibt doch in seiner Kirche unter andern Gaben auch die besondere Gabe des Regierens. Unter den mancherlei Gaben, mit denen Christus seine Kirche ausrüstet, nennt die Schrift ausdrücklich auch die Gabe des Regierens, Röm. 12,6.8; 1. Kor. 12,28. Allerdings. Aber wie keine der vielen Gaben in der Kirche eine Herrschaft begründet, so auch nicht die Gabe des Regierens. Einzelne Personen in der Kirche haben vor andern z.B. die Gabe des Lehrens. Sie können genauer und klarer vor andern darlegen, was rechte und was falsche Lehre sei. Aber damit ist ihnen für ihre Person nicht die geringste Herrschaft in der Kirche eingeräumt. Die besondere Gabe des Lehrens hat sich gerade darin zu betätigen, dass die vorgetragene Lehre nicht als eigene Lehre erscheine, sondern als die Lehre des Wortes Gottes erkannt werde. Einzelne Personen in der Kirche haben vor andern die Gabe der Schriftauslegung. Sie verstehen es besser als andere, den Sinn der Schrift ins Licht zu stellen. Aber damit ist ihnen wiederum keinerlei Herrschaft in der Kirche eingeräumt. Die besondere Gabe der Schriftauslegung hat sich gerade darin zu betätigen, dass die vorgetragene Auslegung nicht als eigene Auslegung auftrete, sondern als die von der Heiligen Schrift selbst gegebene Auslegung erkannt werde. So verhält es sich auch mit der Gabe des Regierens. Freilich verstehen einzelne Personen in der Kirche es vor andern, vorliegende Verhältnisse recht zu beurteilen und zu regeln. Sie haben eine besondere Regiergabe. Aber wie hat sich diese Regiergabe zu betätigen? So, dass sie sich ganz in den Dienst des Wortes Gottes stellt, dass sie dazu verwendet wird, die Gemeinde Gottes mit Gottes Wort zu regieren. Die mit der Regiergabe Ausgerüsteten haben ihre Gabe dahin zu richten, dass alle Dinge, die durch Gottes Wort entschieden sind, nun auch nach dem klaren Worte Gottes entschieden werden, und dass alle Dinge, die in Gottes Wort freigelassen sind, der christlichen Freiheit anheimgegeben und auf dem Wege des christlichen Übereinkommens geordnet werden. Es ist schon früher daran erinnert worden, dass die christliche Gemeinde, wenn sie, dem Predigtamt zur Hilfe, das sogenannte Vorsteher- oder Ältestenamt aufrichtet, diesem Amt ja keine Herrschergewalt einräume. Es ist ein ganz schändlicher Missbrauch der Gabe Gottes, wenn jemand sie dazu verwendet, nach seinem eigenen Kopf die Gemeinde Gottes zu regieren. Luther ermahnt die Pastoren, immerfort die Heilige Schrift und besonders die sogenannten Pastoralbriefe fleißig zu studieren, damit sie im Stande seien, die Christen aus Gottes Wort zu regieren, und „nicht Not sei, aus eigenem Menschendünkel die Christen zu regieren“.25 Das greulichste Exempel solcher Missregierung in der Kirche – nämlich der Regierung der Christen „aus eigenem Menschendünkel“ – haben wir im Papsttum. Aber jeder Pastor, ja, jeder Christ, hat Ursache, sich vor diesem Greuel warnen zu lassen, dass er nicht, weil er natürliches Talent zum Regieren hat, nach seinem Kopf in der Kirche regiere und sich so eine Herrschaft in der Kirche anmaße. Luther sagt in Bezug auf diesen Punkt im Anschluss an die Aufzählung der Ämter und Gaben in der Kirche Eph. 4,11: „Das sind die unterschiedenen Ämter und müssen derhalben auch die Gaben unterschieden sein. Aber um solcher unterschiedenen Gaben und Ämter willen soll niemand sich weltliche Gewalt zumessen noch weltlicher Weise regieren wollen. Alle miteinander sind sie gebunden an das Evangelium, dass sie bei demselben bleiben und wider dasselbe nichts anrichten sollen. Solches ist die rechte Ordnung, die in der Kirche gehen und bleiben soll; und ist weit eine bessere Ordnung als des Papstes, der eine Ordnung nicht der Ämter, sondern der äußerlichen Gewalt haben macht, wider den Befehl Christi.“26

 

E. Eine Synode hat keine gesetzgeberische Gewalt über Gemeinden

    Hier nun noch einige Worte über die zu befürchtende Unordnung, wenn in der Kirche kein Christ dem andern etwas gebieten und auch die Synode keine gesetzgeberische Gewalt habe. Die menschliche Vernunft meint, es müsse einem oder mehreren in der Kirche die Macht zugestanden werden, über Gottes Wort hinaus zu gebieten. Sonst folge Konfusion. Auch Luther hat sich schon mit diesem Einwurf beschäftigt. Er schreibt: „Nun möchte aber jemand fragen und sagen: Was doch das für ein Regiment sei und wie es bestehen könne, da kein Haupt ist, und die, so im Amt sind, alle gleich und keiner mehr Gewalt noch Macht denn der andere haben soll? Denn die Vernunft achtet solche Gleichheit für eine Unform und schädliches Ding. Wiederum, wo ein Haupt ist, auf welches andere sehen und sich nach demselben richten mögen, solche Ordnung hält die Vernunft für nütz und gut und schließt daraus: So es in der Kirche soll recht zugehen, so muss es auch also sein oder es werde eine lautere Konfusion und Unordnung sein.“ „Und dies ist die Ursache“, setzt Luther hinzu, „die noch viel vernünftige, weise Leute gefangen hält.“ Er berichtet, dass es zu seiner Zeit Leute gab, die zwar das Regiment des Papstes nicht wollten, weil es „ein öffentliches unwidersprechliches Ärgernis“ sei, aber gleichwohl eine Ordnung in der Kirche für notwendig hielten, „wie im weltlichen Regiment, da (unter den Dienern der Kirche) einer höher ist, mehr Befehl und größere Gewalt hat als der andere“, um – nun, um Unordnung zu verhüten. So stehen auch heute noch „viele vernünftige und weise Leute“. Die Sekten und die romanisierenden Lutheraner operieren noch heute mit denselben Gründen. Aber hören wir Luther in Bezug auf diesen Einwurf. Er sagt: „Wahr ist es, die Vernunft hält es für eine Unform und schädlichen Irrtum, dass alle, so in Kirchenämtern sind, sollen gleich sein, und einer so viel Befehl, Macht und Gewalt haben wie der andere. … Aber hier haben wir einen ausgedrückten Befehl unsers lieben Herrn Christus, der will, dass es in seinem Reich, welches ein geistliches Reich ist, anders soll zugehen als im weltlichen Reich: Auf dass jedermann lerne, wie im Reich Christi nicht menschliche Gewalt oder großes Ansehen, sondern allein das Wort Gottes gelten und regieren soll.“27 Dass Christen sich wirklich unter Gottes Wort beugen, haben wir schon früher gesehen.

 

F. 50 Jahre Erfahrung mit der Herrschaft des Wortes allein in der Missouri-Synode

    Blicken wir auf uns selbst. Unsere Synode hat nun eine 50-jährige Erfahrung mit einem Kirchenregiment allein durch Gottes Wort hinter sich.28 Die „lautere Konfusion“ und „Unordnung“, welche alle Welt bei dieser Art Regiment fürchtet, ist bei uns nicht eingetreten. Man hat sie uns zwar auch prophezeit, diesseits und jenseits des Ozeans. Man nannte den Satz, dass die Synoden den Gemeinden gegenüber nur „beratende“, nicht gesetzgebende Gewalt haben, das „eigentliche Herz der Anarchie“. Die Kirche, welche sich nicht eines Kirchenregiments mit gesetzgeberischer Gewalt erfreue, sei wie ein „Pflänzlein ohne stützenden Pfahl“. Die Verwirrung werde bei unserer Verfassung bald überhand nehmen. Nichts von alledem ist eingetreten. Wir haben in unserer Synode, auch was die äußere Ordnung anlangt, wohl die ruhigste Zeit verlebt, deren sich die Kirche je erfreut hat. Wir müssen sagen: Die Regierung der Kirche allein mit Gottes Wort hat sich bei uns in 50-jähriger Praxis bewährt. Freilich, das Fleisch der Christen hat sich auch bei uns geltend gemacht. Es hat sich nicht immer sofort dem Wort Gottes untergeben. Hin und wieder waren lange Verhandlungen, viel Belehrung und anhaltende Ermahnung nötig. Aber Gottes Wort hat die Oberhand behalten. Auch in scheinbar hoffnungslosen Fällen hat es seine regierende, alles beherrschende Macht offenbart. So fest hat uns das Regiment allein des Wortes Gottes verbunden und zusammengehalten, dass uns Fernerstehende meinten und meinen, wir hätten ein hochkirchliches Regiment. Noch kürzlich schrieb ein englisches Blatt, die Missourier seien die High Church Party in der lutherischen Kirche.

    Ich wiederhole es noch einmal: Die Regierung der Kirche allein mit Gottes Wort und die Freilassung alles dessen, was nicht in Gottes Wort geboten ist, hat sich bei uns bewährt. Wir haben es in unserem Synodalleben erfahren, dass die Kirche Gottes am besten fährt, wenn sie bei Gottes Ordnung bleibt. Möge es nie anders werden!

 

G. Der alte Adam will andere beherrschen

    Es bedarf auch in diesem Punkt der geistlichen Wachsamkeit. Dass das falsche Kirchenregiment so allgemein ist in der Kirche, weist auf einen in allen Christen sich noch findenden Boden für diese Verkehrung der Ordnung Gottes hin. Das ist das böse Fleisch. Das böse Fleisch, welches sich auch noch in uns allen findet. Nach dem Fleische will der eine höher sein als der andere und nicht ein bloßer Diener, der seinem Bruder oder seinen Brüdern mit Gottes Wort dient. Nach dem bösen Fleisch will der Christ mit seinen Gaben nicht bloß dem Worte dienen, sondern seine Gaben zur Herrschaft missbrauchen. Da gilt es zu wachen und zu beten! Ferner: Das Fleisch auch der Christen erkennt nicht die Herrlichkeit der Lehre von der Rechtfertigung und somit auch nicht die Freiheit eines Christenmenschen. Es erkennt nicht die geistliche Natur der Kirche Christi, sondern will sie immer mit den Reichen dieser Welt verwechseln. Es glaubt nicht an die Kraft des Wortes Gottes, sondern hält es für ein schwaches Ding. Sofern man dem Fleisch Gehör gibt, sieht man sich nach einem stärkeren Regiment um; nach einem Regiment, dessen Arm man dadurch stärken will, dass man ihm eine über Gottes Wort hinausgehende Gewalt zuschreibt.

    Es ist hier wie bei der Lehre von der Rechtfertigung. Alle geistlich Blinden meinen, es werde dem Leben in der Sünde Tür und Tor geöffnet, wenn die Rechtfertigung und Erlangung der Seligkeit aus Gnaden um Christi willen durch den Glauben ohne Werke gelehrt werde. Daher die Versuche auf der ganzen Linie der irrgläubigen Gemeinschaften, - von der Papstsekte an durch alle Sekten hindurch bis auf die synergistischen Lutheraner – Menschenwerke in dem Artikel von der Rechtfertigung und Erlangung der Seligkeit einzumengen. Nur so werde es mit dem christlichen Leben vom Flecke gehen. So auch beim Kirchenregiment. Alle, welche dem Fleisch nach urteilen, meinen, Gottes Wort allein genüge nicht zur Regierung der Kirche. Solle die Kirche nicht durch Unordnung in Verfall geraten, so müsse man Behörden mit gesetzgeberischer Gewalt schaffen. Daher die ganze lange Reihe von falschen Kirchenregimenten vom Papsttum an bis zu den amerikanischen, mit gesetzgeberischer Gewalt ausgestatteten Synoden. Aber das ist, wie gesagt, das Urteil der blinden menschlichen Vernunft. St. Paulus sagt in Bezug auf das Verhältnis von  Heiligung und Rechtfertigung: „Die Sünde wird nicht herrschen können über euch, da ihr nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade seid“, Röm. 6,14. Dem analog ist in Bezug auf das Kirchenregiment zu sagen: Die Kirche wird nicht in Unordnung geraten, sondern wohl regiert werden, wenn sie nicht mit Menschensatzungen, sondern allein mit dem Wort ihres Meisters regiert wird.

 

H. Der Teufel narrt die Kirche, die menschliche Gesetze zu Gottes Wort hinzu tut

    Bleiben wir durch Gottes Gnade bei dieser Regierungsweise. Jede Versuchung, davon abzuweichen, ist als eine Versuchung des Teufels zu erkennen und abzuweisen. Der Teufel narrt die Kirche, wenn er ihr einredet, sie müsse in ihrer Mitte eine über Gottes Wort hinausgehende Gewalt und Obrigkeit haben. Die Kirche wird von dem Augenblick an schwach, in dem sie anfängt, sich nach menschlichen Stützen umzusehen, in der Meinung, Gottes Wort reiche als regierende und stützende Macht nicht aus. Dadurch hält sie Fleisch für ihren Arm und weicht mit ihrem Herzen von ihrem einigen HERRN.

 

Schlussfolgerung

    Ja, wir müssen sagen: Die Kirche gibt sich als Kirche auf und nimmt die Art weltlicher Reiche an, sobald sie sich nicht an Gottes Wort als Regiermittel genügen lässt.

    Wie herrlich dagegen ist das Kirchenregiment, das allein mit Gottes Wort ausgeübt wird! Wie kann man Worte genug finden, die Herrlichkeit dieses Kirchenregiments würdig zu preisen! Christi Ehre bleibt dabei unangetastet; er bleibt – wie es sein soll – der einige Meister. Der Christen Herrlichkeit bleibt unangetastet. Sie genießen ihr hohes, teuer erworbenes Privileg, ohne Vermittlung der Menschen unter ihres Heilandes Herrschaft und Regierung zu stehen. Alle Gaben, die Christus seiner Kirche verleiht, kommen zur rechten Verwendung; sie dienen nur der Verherrlichung Christi, nicht zur Selbstverherrlichung.

    Und die Kirche ist stark unter diesem Regiment, wie schwach sie vor Menschenaugen erscheinen mag. Was durch Gottes Wort zusammengeführt und zusammengehalten wird, das kann keine Macht der Welt, auch nicht die Todesfurcht, nicht einmal der Tod selbst auseinander treiben. Dass wir, als kirchliche Gemeinschaft, dieses wunderbaren, unaussprechlich herrlichen Regiments uns erfreuen, ist eine so große Gnade, dass wir darob Gott täglich loben und preisen sollten. Wie eifrig sollten wir sein, das Reich, in welchem Christus allein durch sein Wort regiert, weiter auszubreiten! Wie willig sollten wir sein, alle Gaben und Güter in den Dienst dieses Reiches zu stellen! Wie leicht sollten wir alle persönlichen Kränkungen, die im gegenseitigen Verkehr etwa mit unterlaufen, vergessen können, die wir mit einander als Brüder unter einem so herrlichen Regiment stehen!

    O Gott, öffne uns die Augen für die Herrlichkeit des Kirchenregiments allein durch Christi Wort! Unter diesem Regiment wollen wir durch seine Gnade bleiben, bis unsere Augen den schauen, der uns hier mit seinem Wort geleitet hat. Amen.



1 [Leider kann dies von der heutigen Lutheran Church – Missouri Synod nicht mehr gesagt werden. Mehr und mehr reißt es in den Gemeinden ein, dass gar keine Delegierten gewählt werden, sondern der Pastor sie einfach bestimmt. Auch wird über die anliegenden Themen in der Gemeindeversammlung nicht gesprochen. Die Tendenz ist außerdem weit verbreitet, die Rechte der Gemeinde in ihrer Gemeindeversammlung einzuschränken und sie an eine Art Kirchenvorstand zu übertragen, der vom Pastor geleitet wird. Dies hängt nicht zuletzt auch mit den sich verbreitenden hochkirchlichen oder romanisierenden Irrlehren in der LCMS zusammen. Anm. d. Hrsg.]

2 Walch 2, St. Louis, X, 406

3 Walch 2, St. Louis, XIII, 1239

4 Walch 2, St. Louis, X, 406

5 Walch 2, St. Louis, IX, 1103

6 Walch 2, St. Louis, XIX, 68

7 Müller, Bekenntnisschriften, S. 698 f.

8 Apol. Art. 27, Müller, S. 289 f.

9 Müller, Bekenntnisschriften, S. 330

10 Examen, de bonis operibus, Genf 1668, S. 179

11 Walch 2, St. Louis, X, 406

12 Müller, Bekenntnisschriften, S. 309

13 Im griechischen Bekenntnis des Dositheus. Zitiert bei Günther, Symbolik, 2. Aufl. S. 340

14 Confession of Faith, chap. 31

15 [Diese Lehre wurde von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Preußen, den sogenannten Altlutheranern, unter dem Einfluss des Juristen Philipp Emanuel Huschke vertreten und führte zur Abspaltung der Immanuel-Synode (Dietrichs) sowie der nassauischen Lutheraner um Friedrich Brunn und der badischen Lutheraner um Max Frommel. Die Immanuel-Synode vereinigte sich 1905 wieder mit den Altlutheranern, tatsächlich aber wurde diese Irrlehre nie wirklich überwunden und hat bis heute auch in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) Vertreter, z.B. Jobst Schöne. Anm. d. Hrsg.]

16 [Auch das gehörte mit zur Irrlehre der Altlutheraner vom Kirchenregiment. In den USA wurde diese Irrlehre von der Buffalo-Synode unter Andreas Grabau vertreten. Heute treten vermehrt in vielen sich lutherisch nennenden Kirchenkörpern Verteidiger dieser Irrlehre auf, auch innerhalb der SELK (Kreis um die Zeitschrift „Lutherische Beiträge“). Anm. d. Hrsg.]

17 Wider die himmlischen Propheten; in: Walch 2, St. Louis, XX, 207

18 Walch 2, St. Louis, XIX, 704

19 Walch 2, St. Louis, XIII, 1242

20 Walch 2, St. Louis, XIII, 1239 f.

21 Walch 2, St. Louis, XVIII, 1283

22 Müller, Bekenntnisschriften, S. 308, Schmalkaldische Artikel, Teil II

23 Synodalhandbuch, S. 7

24 Walch 2, St. Louis, XII, S. 339

25 Vorrede zum 1. Brief an Timotheus

26 Walch 2, St. Louis, XIII, 1241

27 Walch 2, St. Louis, XIII, 1240

28 [Dies Referat wurde im Jahr 1896 gehalten.]