Die Apostelgeschichte des Lukas

 

Luthers Vorrede auf der Apostel Geschichte 

Einleitung               

Kapitel 1                 

Kapitel 2                 

Kapitel 3                 

Kapitel 4                 

Kapitel 5                 

Kapitel 6                 

Kapitel 7                 

Kapitel 8                 

Kapitel 9                 

Kapitel 10               

Kapitel 11               

Kapitel 12               

Kapitel 13               

Kapitel 14               

Kapitel 15               

Kapitel 16               

Kapitel 17               

Kapitel 18               

Kapitel 19               

Kapitel 20               

Kapitel 21               

Kapitel 22               

Kapitel 23               

Kapitel 24               

Kapitel 25               

Kapitel 26               

Kapitel 27               

Kapitel 28               

Die Fruehgeschichte des Lebens des Paulus

Die Glaubwuerdigkeit des Lukas als Historiker

Vision, Traum, Offenbarung –

Theophanie (Gotteserscheinung) und Angelophanie (Engelerscheinung) 

Zusammenfassung des spaeteren Verlaufs des Lebens des Paulus   

 

 

Luthers Vorrede auf der Apostel Geschichte

1534I

 

    1. Dies Buch soll man lesen und ansehen, nicht wie wir etwa getan haben, als hätte St. Lukas darin allein die eigenen persönlichen Werke oder Geschichte der Apostel geschrieben, zum Beispiel guter Werke oder guten Lebens, wie auch St. Augustinus und viele andere dies für das beste Beispiel drinnen gesehen haben, dass die Apostel haben mit den Christen alle Güter gemeinsam gehabt usw., welches doch nicht lange währte und zeitlich aufhören musste; sondern darauf soll man merken, dass St. Lukas mit diesem Buch die ganze Christenheit lehrt, bis an der Welt Ende, das rechte Hauptstück christlicher Lehre, nämlich wie wir müssen alle gerecht werden allein durch den Glauben an Jesus Christus, ohne alles Zutun des Gesetzes oder Hilfe unserer Werke.

    2. Solches Stück ist seine vornehmste Meinung und Ursache, dieses Buch zu schreiben. Darum treibt er auch so gewaltig, nicht allein die Predigt der Apostel vom Glauben an Christus, wie beide, Heiden und Juden, dadurch haben müssen gerecht werden ohne alle Verdienst und Werke, sondern auch die Beispiele und Geschichten solcher Lehre, wie die Heiden sowohl als die Juden allein durchs Evangelium, ohne Gesetz, sind gerecht geworden, und wie St. Petrus zeugt Kap. 10,28 und 15,9, Gott in solchen Stück keinen Unterschied gehalten habe unter Juden und Heiden; sondern gleichwie er den Heiden, so ohne Gesetz lebten, den Heiligen Geist gab durch das Evangelium, so habe er denselben auch den Juden durch das Evangelium und nicht durch das Gesetz oder um ihrer Werke und Verdienst willen gegeben. Setzt also in diesem Buch beieinander beides, die Lehre vom Glauben und auch die Beispiele des Glaubens.

    3. Darum dies Buch wohl könnte heißen eine Glosse über die Episteln St. Pauli. Denn das St. Paulus lehrt und treibt mit Worten und Sprüchen auch der Schrift, das zeigt hier St. Lukas an und beweist es mit Beispielen und Geschichten, dass es so ergangen sei und so ergehen müsse, wie St. Paulus lehrt, nämlich, dass kein Gesetz, kein Werk die Menschen gerecht mache, sondern allein der Glaube an Christus. Und findest hier in diesem Buch einen schönen Spiegel, darin du sehen magst, dass es wahr sei: Sola fides justificat, allein der Glaube macht gerecht. Denn da sind des Stücks alle Beispiele und Geschichten drinnen gewisse und tröstliche Zeugen, die dir nicht lügen noch fehlen.

    4. Denn da siehe an, wie St. Paulus selbst ist bekehrt. Ebenso, wie der Heide Cornelius wird bekehrt durch St. Peters Wort, wie der Engel ihm zuvor sagte, Petrus würde ihm predigen, dadurch er sollte selig werden. Ebenso der Landvogt Sergius und alle Städte, da St. Paulus und Barnabas predigten. Siehe an das erste Konzil der Apostel zu Jerusalem, Kap. 15,2. Siehe an alle predigten des St. Petrus, Paulus, Stephanus und Philippus, so wirst du finden, dass es alles dahin geht, dass wir allein durch den Glauben an Christus, ohne Gesetz und Werke, müssen zur Gnade kommen und gerecht werden. Und man kann mit diesem Buch nach dieser Weise den Widersachern das Maul gar meisterlich und gewaltig stopfen, welche uns aufs Gesetz und unsere Werke weisen, und ihren törichten Unverstand offenbaren vor aller Welt.

    5. Darum spricht auch Lukas, dass solche Beispiele des Glaubens auch die frommen Juden (so gläubig geworden waren) fast bestürzt machten und die andern ungläubigen Juden toll und töricht drüber wurden. Welches doch kein Wunder war, weil sie im Gesetz auferzogen und desselben von Abraham her gewohnt waren, und es verdrießlich sein musste, dass die Heiden, so ohne Gesetz und Gott waren, sollten ihnen gleich sein in der Gnade Gottes.

    6. Aber dass unsere Leute, die wir alle Heiden sind, solchen Artikel so lästern und verfolgen, das ist zehnmal ärger als wir doch hier sehen und nicht leugnen können, dass Gottes Gnade und Christi Erkenntnis auf unsere Vorfahren gekommen sei ohne Gesetz und Verdienst, ja in greulichen Abgöttereien und Lastern. Aber sie werden auch ebenso viel mit ihrem Lästern und Verfolgen daran gewinnen, wie die Juden mit ihrem Wüten und Toben daran gewonnen haben. Denn der zuvor den Juden solches gedroht hatte und durch Mose lassen singen: „Ich will euch erzürnen über dem, das nicht mein Volk ist, und über einem unwissenden Volk euch toll machen“; und Hosea Kap. 2,23: „Ich will mein Volk nennen, das nicht mein Volk ist“ (das ist, so ohne Gesetz und Werk lebt), und hat’s ihnen gehalten; eben derselbe droht solches auch unsern Lästerern und, wie er schon wohl angefangen, wird er’s ihnen gewiss halten. Das glauben sie aber nicht, bis sie es (wie die Juden) erfahren. Amen.

 

 

Einleitung

 

    Der Autor der Apostelgeschichte ist nach einhelliger Meinung der frühen Kirche Lukas, der „geliebte Arzt“, der Freund, Begleiter und Mitarbeiter des heiligen Paulus. Das Buch ist nach eigenem Zeugnis eine Fortsetzung des Lukasevangeliums. Vgl. Kap. 1, 1 mit Luk. 1,1-4. All jenen, die an der Urheberschaft des Lukas zweifeln, muss nach einem Vergleich dieses Buches mit dem dritten Evangelium und der Feststellung der Ähnlichkeit in Stil, Sprache und Wortschatz gesagt werden, wie es ein Kommentator formuliert: „Die Frage der Urheberschaft liegt zwischen Lukas und einem anderen Autor; und das gegenteilige Zeugnis sollte, um schlüssig zu sein, diesen anderen Autor nennen.“[1] Lukas hatte die beste Gelegenheit, seine Informationen aus den authentischsten Quellen zu erhalten, von den Aposteln, besonders von Paulus selbst, und durch seine eigene persönliche Beobachtung, wie die sogenannten „Wir“-Passagen zeigen. Wenn man in Betracht zieht, dass der Heilige Geist, indem er die heiligen Schriftsteller als seine Werkzeuge für die Abfassung der göttlichen Wahrheiten benutzte, sich ihrer natürlichen Gaben und erworbenen Fähigkeiten bediente, wird der „paulinische Charakter“ des Buches sehr deutlich hervortreten. Die Apostelgeschichte ist wie das Lukasevangelium an Theophilus gerichtet, der höchstwahrscheinlich ein römischer Konvertit war, der zu den wohlhabenderen und einflussreicheren Schichten gehörte. Sie richtet sich also hauptsächlich an die Heidenchristen in Italien und anderswo, für die der einfache Stil und das fließende Griechisch des Verfassers leicht zu verstehen waren.

    Das Ziel oder der Zweck, den Lukas mit dem Verfassen der Apostelgeschichte verfolgte, wird in jedem Kapitel und fast auf jeder Seite deutlich. Er wollte in erster Linie berichten, auf welche Weise die Gabe des Heiligen Geistes am Pfingsttag gegeben wurde und dass das anschließende Wirken der Apostel ganz auf sein Wirken und seinen Dienst zurückzuführen war. Da der Heilige Geist und sein Wirken etwa siebzig Mal erwähnt werden, ist dieser Aspekt so wichtig, dass ein Kirchenlehrer das Buch als Evangelium des Heiligen Geistes bezeichnet hat. Eng verbunden mit diesem Merkmal ist die Tatsache, dass alle Ereignisse in der Geschichte der frühen Kirche auf der Auferstehung Jesu Christi beruhen und als Folge davon erscheinen. Aus diesem Grund nannte ein anderer Lehrer der alten Kirche das Buch die Demonstration der Auferstehung. Aber zweitens wollte Lukas die Ausbreitung des Christentums nicht nur unter den Juden, sondern auch unter den Heiden durch die missionarischen Bemühungen der Apostel schildern. „Der beherrschende Ton des Buches ist die missionarische Sache.“ Die Apostelgeschichte will die Geschichte Jesu, wie sie im Lukasevangelium steht, durch eine Geschichte der Apostel ergänzen und den siegreichen Weg des Evangeliums Jesu von Jerusalem, der Hauptstadt des Judentums, nach Rom, der Hauptstadt der Welt, anschaulich darstellen. Aber auch ein dritter Zweck ist in der Apostelgeschichte erkennbar. „Dieses Buch solltet ihr lesen und nicht nur als die Aufzeichnung des Lukas über die persönlichen Taten oder die Geschichte der Apostel betrachten, sondern ihr solltet vielmehr folgendes beachten, nämlich dass Lukas mit diesem Buch die ganze Christenheit bis ans Ende der Welt den wahren Hauptartikel der christlichen Lehre lehrt, der uns sagt, dass wir alle allein durch den Glauben an Jesus Christus gerechtfertigt werden müssen, ohne das Gesetz oder unsere eigenen Werke.“[2] Daher der häufige Gebrauch des Wortes „Gnade“ und der ständige Hinweis auf die frohe Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes in Christus Jesus.

    Was die Entstehungszeit der Apostelgeschichte betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass sie bald nach dem Evangelium, vor der Zerstörung Jerusalems, aber nicht lange vor dem Jahr 70 n. Chr. geschrieben wurde. Die letzten Verse deuten darauf hin, dass sie vor dem Tod des Paulus geschrieben worden sein muss, der im Jahr 67 oder Anfang 68 eintrat. Alles zusammengenommen scheint die Schlussfolgerung gut begründet, das Jahr 65 als Datum der Abfassung und Rom als Ort anzunehmen.

    Die Apostelgeschichte lässt sich ohne weiteres in zwei Hauptteile unterteilen. Im ersten Teil schildert Lukas die allgemeine Geschichte der christlichen Kirche bis zum Tod des Herodes (Kap. 1,1-12, 25). Dieser Teil kann wiederum unterteilt werden, da der Autor zunächst die frühe Geschichte der Gemeinde in Jerusalem (1,1-8, 4) und dann die Ausbreitung der Kirche in Judäa, Samarien und dem umliegenden Land (8,5 bis 12,25) schildert. Die zweite Hauptabteilung des Buches berichtet über das Leben und Wirken des Apostels Paulus. Wir haben hier in erster Linie eine Geschichte seiner Predigtreisen unter den Heiden bis zu seinem Besuch in Jerusalem (13,1 bis 21,16). Und am Ende des Buches wird die Geschichte seiner fünfjährigen Gefangenschaft erzählt.

    „In der Apostelgeschichte sehen wir, wie die Kirche Christi gebildet und gegründet wurde. Die Apostel verkünden einfach die Wahrheit Gottes in Bezug auf das Leiden, den Tod, die Auferstehung und die Himmelfahrt Christi; und Gott begleitet ihr Zeugnis mit der Demonstration seines Geistes. Was war die Folge? Tausende erkennen die Wahrheit an, nehmen das Christentum an und bekennen sich offen dazu, auch wenn sie dabei ihr Leben riskieren. Der Wandel ist nicht nur ein Wechsel einer religiösen Gesinnung oder einer Art der Anbetung gegen eine andere, sondern ein Wechsel der Gemüter, der Leidenschaften, der Aussichten und des moralischen Verhaltens. Vorher war alles irdisch oder tierisch oder teuflisch oder alles zusammen; aber jetzt ist alles heilig, geistig und göttlich: der himmlische Einfluss breitet sich aus, und die Völker werden Gott geboren. Und wie wurde dies alles erreicht? Nicht durch Macht und Gewalt, nicht durch das Schwert, nicht durch weltliche Autorität, nicht durch weltliche Motive und Aussichten, nicht durch fromme Betrügereien oder listige Verschlagenheit, nicht durch die Kraft überzeugender Beredsamkeit, mit einem Wort, durch nichts anderes als durch den alleinigen Einfluss der Wahrheit selbst, die dem Herzen durch die Kraft des Heiligen Geistes bezeugt wird.“[3]

 

 

Kapitel 1

 

Die Himmelfahrt Jesu (1,1-11)

    1 Die erste Rede habe ich zwar getan, lieber Theophilus, von alledem, das Jesus anfing, beides, zu tun und zu lehren, 2 bis an den Tag, da er aufgenommen ward, nachdem er den Aposteln (welche er hatte erwählt) durch den Heiligen Geist Befehl getan hatte, 3 welchen er sich nach seinem Leiden lebendig erzeigt hatte durch mancherlei Erweisung; und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. 4 Und als er sie versammelt hatte, befahl er ihnen, dass sie nicht von Jerusalem wichen, sondern warteten auf die Verheißung des Vaters, welche ihr habt gehört (sprach er) von mir. 5 Denn Johannes hat mit Wasser getauft; ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.

    6 Die aber, so zusammenkommen waren, fragten ihn und sprachen: HERR, wirst du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel? 7 Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat, 8 sondern ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, welcher auf euch kommen wird; und werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.

    9 Und da er solches gesagt, wurde er aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. 10 Und als sie ihm nachsahen zum Himmel fahren, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, 11 welche auch sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr und seht zum Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen in den Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt zum Himmel fahren.

 

    Die letzte Anweisung Jesu (V. 1-5): „Die frühere Abhandlung“, die erste Rede, hatte Lukas nämlich in seinem Evangelium verfasst, auf das er sich hier offensichtlich bezieht. Die vorliegende Geschichte ist eine Fortsetzung der Erzählung im Evangelium; wie die erste Schrift über das Wirken Jesu berichtet hatte, so soll das vorliegende Buch über die Arbeit seiner Diener berichten. Dieses Buch ist wie das Evangelium an Theophilus gerichtet und ihm gewidmet, der ein Bürger Roms gewesen sein könnte, der eine hohe offizielle Position innehatte, wahrscheinlich ein Reiter, und der in der Kaiserstadt wohnte. Im Evangelium hatte Lukas von allem gesprochen; er hatte einen vollständigen Bericht über das Wirken Jesu gegeben. Die Formulierung "begann zu tun und zu lehren" ist ein idiomatischer Ausdruck, so wie im Englischen "both did and taught". Aber es gibt auch einen Hinweis auf die Tatsache, dass Jesus das Werk des Evangeliums begann und dessen Fortführung seinen Jüngern anvertraute. Die Lehre Jesu ging gewissermaßen auch nach seiner Auferstehung weiter, obwohl er dann nicht mehr vor der Allgemeinheit, sondern nur noch zu den Gläubigen sprach. In jenen Tagen, bis zum Tag seiner Himmelfahrt, - und besonders an diesem Tag - beauftragte er die Apostel, er legte ihnen eine bestimmte Verpflichtung auf. Diesen Auftrag erteilte er entsprechend der innigen Verbindung in der Gottheit nicht auf unabhängige Weise, sondern durch denselben göttlichen Geist, den sie kurz nach seiner Himmelfahrt in außerordentlichem Maße empfingen. Alle Mitteilungen Jesu an seine Jünger werden durch den Geist übermittelt, den er ihnen am Osterabend einhauchte (Joh. 20,22). Man beachte die Unterscheidung: Jesus hatte die Jünger aus der ungläubigen Welt erwählt, und er hatte die Apostel aus den Reihen der Gläubigen erwählt. Den letzteren wurde der besondere apostolische Auftrag anvertraut. Jesus selbst wurde zu dieser Zeit entrückt, er wurde in die Höhe erhoben, er erlebte seine Himmelfahrt als ein Handeln des Vaters. Aber in der Zeit zwischen seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt hatte Jesus eine Reihe von Gelegenheiten ergriffen, um sich seinen Jüngern als ihr lebendiger Erlöser zu zeigen. Sie hatten ihn leiden sehen; sie hatten den Beweis für seinen Tod erhalten. Deshalb gab er ihnen nicht nur einen, sondern viele unzweifelhafte Beweise für seine Auferstehung von den Toten. Während eines Zeitraums von vierzig Tagen wurde er von ihnen bei verschiedenen Gelegenheiten gesehen. Und jede neue Erscheinung war ein weiteres Glied in der Kette der überzeugenden, sicheren Beweise dafür, dass er lebte. Er erschien Maria Magdalena, Johannes 20, 14-18; den Frauen, die vom Grab zurückkehrten, Matth. 28,9.10; den Emmausjüngern, Luk. 24,15; Simon Petrus, Luk. 24,34; zehn Aposteln, wobei auch andere Jünger anwesend waren, Luk. 24,36; Joh. 20,19; den elf Jüngern eine Woche später, Joh. 20,26; sieben Aposteln in Galiläa, Joh. 21,4; Jakobus und 500 Brüdern auf einmal, 1. Kor 15,6.7; zu der Versammlung der Jünger am Himmelfahrtstag, Lukas 24, 50. Anmerkung: Es gibt keine Diskrepanz zwischen Luk. 24,43-51 und dem vorliegenden Text, denn im ersten Bericht hat Lukas die Gespräche der beiden Erscheinungen zusammengefasst, während er in dieser Erzählung die Unterscheidung beibehält. Bei jeder Erscheinung des auferstandenen Christus betrafen sein Gespräch und sein Auftrag an seine Jünger Angelegenheiten des Reiches Gottes, er übertrug ihnen die Verantwortung für die Wahrheiten und Gebote. In Wort und Tat sollen die Apostel und alle Jünger des Herrn dieses Reich verkünden. Die eine große Botschaft der Kirche für alle Zeiten soll die Annahme Jesu, des Erlösers, durch den Glauben sein, durch den der Gläubige ein Glied des Reiches Gottes wird.

    Nachdem Lukas die Ereignisse der vierzig Tage zwischen der Auferstehung und der Himmelfahrt zusammengefasst hat, gibt er nun den Inhalt des Gesprächs wieder, das am letzten Tag des sichtbaren Christus auf Erden stattfand. An diesem Tag hatte Christus seine Jünger zum letzten Mal versammelt, nicht nur die Apostel, sondern alle Gläubigen, eine große Versammlung, wie es im Griechischen heißt. Zu diesem Zeitpunkt forderte Jesus die versammelte Gemeinde der Gläubigen mit einem ausdrücklichen Befehl auf, nicht von Jerusalem wegzugehen. Sie sollten dort bleiben und auf die Verheißung des Vaters warten, die Verheißung des Heiligen Geistes, die er ihnen am Abend vor seinem Tod gegeben hatte, Joh. 14,26: 15,26.27; 16,12.13. Diese Verheißung hatten sie gehört, und das ruft er ihnen ins Gedächtnis. Und er erinnert sie an eine weitere Tatsache. Die Taufe des Johannes war nur eine Wassertaufe gewesen, sie hatte auf eine andere, größere Taufe hingedeutet, von der Johannes sprach, auf eine Taufe mit dem Heiligen Geist und mit Feuer, Lukas 3, 16. Die außergewöhnliche Mitteilung der Gaben des Heiligen Geistes sollte, wie Jesus verheißt, in nicht allzu vielen Tagen stattfinden, nach nicht allzu vielen Tagen. Die Prophezeiung von Joel 3,18 stand kurz vor der Erfüllung Beachte, dass Jesus in den Herzen der Jünger eine freudige Sehnsucht und ein Verlangen nach der wunderbaren Gabe weckt, die jetzt so nahe ist, und den Glauben der Apostel an sein Wort stärkt.

 

    Die nochmalige Verheißung des Heiligen Geistes (V. 6-8): Als Jesus auf das Nahen der großen Offenbarung der Gaben des Geistes hinwies, dachten die Jünger, deren Hoffnung auf eine Art zeitliches Königreich unter der Führung Christi seit seiner Auferstehung wieder aufgelebt war, dass er sich auf diese glückselige Vollendung ihrer Hoffnungen bezog. Diejenigen, die sich also versammelt hatten, wahrscheinlich in Jerusalem, stellten dem Herrn die Frage: Willst Du Israel zu dieser Zeit das Reich wiedergeben? Ihr Denken war ganz zum irdischen, fleischlichen Verstand zurückgekehrt. Sie verstanden die alten Prophezeiungen wie auch die Verheißungen des Herrn über die Wiederherstellung des Königreichs für Israel, die durch die völlige Vernichtung der Feinde Gottes und den vollständigen Sieg der Juden vollzogen werden sollte. Ihre törichten Gedanken wurden erst durch den Pfingstgeist, der auf sie ausgegossen wurde, wirksam zerstreut. Obwohl die Frage der Jünger in aller Aufrichtigkeit und Nüchternheit gestellt worden war, sprach sie für einen bemerkenswerten Mangel an richtigem Verständnis nach all der geduldigen Lehre Jesu. Seine Antwort ist daher in gewisser Weise eine Zurechtweisung. Denn er verweist sie auf das wahre messianische Reich, auf das künftige Reich der Herrlichkeit, in dem die volle Offenbarung der Majestät Christi vor den Augen aller Menschen stattfinden wird, was für diejenigen, die mit ihrem Erlöser an dieser Glückseligkeit teilhaben sollen, sehr tröstlich ist. Jesus hütet hier das königliche Vorrecht, die ausschließlichen Rechte des Vaters. Es ist nicht Sache der Jünger, die kritischen und anderen Zeiten und Jahreszeiten zu kennen, die von der ausschließlichen Autorität und Macht des Vaters kontrolliert werden. Es ist nicht ihre Sache, nach der kritischsten Zeit und Stunde zu fragen, die über das Schicksal der Menschheit entscheiden wird. Anmerkung: Was auch immer mit der Offenbarung der Majestät Gottes zusammenhängt, sollte für die Christen kein Gegenstand ängstlichen Nachdenkens sein: Sowohl die Regierung der Welt und der Kirche als auch die Offenbarung der zukünftigen Herrlichkeit liegen in seiner Hand und sollen zu seiner Zeit offenbart werden. Jesus erinnert die Apostel vielmehr daran, dass sie Macht, Kraft erhalten werden, die sie in den großen Aufgaben ihrer Berufung einsetzen und einsetzen sollen. Diese Kraft würde ihnen zuteil werden, wenn der Heilige Geist auf sie herabkommen würde. Gemeint ist offensichtlich die Kraft, wirksame Zeugen für Christus zu sein. Erfüllt von dieser Kraft von oben, sollten die Jünger Zeugnis ablegen, sollten sie erzählen, was sie von Christus gesehen und gehört hatten, dessen Botschaft sie verkünden sollten und der der Inhalt ihrer Botschaft sein sollte. In Jerusalem sollte ihr Werk beginnen, aber nicht auf diese Stadt beschränkt bleiben. In immer weiteren Kreisen sollte sich ihr Einfluss kraft der ihnen durch den Heiligen Geist verliehenen Macht über ganz Judäa, Samarien und bis an das Ende der Welt erstrecken. Für das Evangelium Jesu Christi gibt es weder Grenzen noch Begrenzungen. Anmerkung: Die Gläubigen von heute haben denselben Ruf und dieselbe Verheißung, müssen aber auch denselben Befehl befolgen, Zeugen Christi und seines Heils zu sein bis an die äußersten Enden der Erde.

 

    Die Himmelfahrt Christi (V. 9-11): Jesus hatte die Worte seines letzten Auftrags an seine Jünger beendet; er hatte ihnen die Verkündigung des Evangeliums an alle Völker anvertraut, Matth. 28,19. Aber während sie noch in ängstlicher Erwartung auf ihn blickten und mehr Worte des Trostes und der Kraft aus seinem Mund zu hören wünschten, wurde er vor ihnen emporgehoben. Er war gerade dabei, sie mit erhobenen Händen zu segnen, als er von ihnen genommen wurde. Das ist das Bild von Christus, das einem Christen am liebsten im Gedächtnis bleiben sollte: Seine segnend über sie ausgestreckten Hände. Und eine Wolke, das Symbol der göttlichen Herrlichkeit, ein wahrhaft königlicher Wagen, versperrte dem Meister den Blick der Jünger, als er in ihren Schoß einfuhr. Es gab keine Täuschung, keine optische Täuschung; die Himmelfahrt Jesu ist eine historische Tatsache, die nicht angezweifelt werden kann. Der Herr ist mit Jauchzen und Posaunenschall aufgefahren, Ps. 47,5. Er ist in die Höhe gefahren und hat die Gefangenen gefangen geführt, Ps. 68,18. Er hat Fürstentümer und Mächte verderbt, er hat sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert, Kol. 2,15. Er ist weit über alle Himmel hinaufgestiegen, damit er alles erfülle, Eph. 4,10. Durch seine Erhöhung und Himmelfahrt ist der Menschensohn auch seinem menschlichen Leib nach in den vollen und unbegrenzten Gebrauch seiner göttlichen Allgegenwart getreten. Seine gnädige Gegenwart ist daher seiner Gemeinde auf Erden gewiss. Er ist jetzt seinen Gläubigen näher, als er es zu seinen Jüngern in den Tagen seines Fleisches war. Er sitzt jetzt zur Rechten seines himmlischen Vaters. Als unser Bruder hat er den vollen Gebrauch der göttlichen Macht und Majestät übernommen. Er regiert mit Allmacht über alle Dinge, besonders aber auch über seine Kirche. Gott hat ihm alles unter die Füße gelegt und ihn zum Haupt über alle Dinge der Kirche gegeben, die sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt, Eph. 1,22. 23. Durch sein Wort und Sakrament sammelt er sich eine Gemeinde und Kirche auf Erden. Er wirkt in und mit seinen Dienern; er regiert inmitten seiner Feinde. Er bewahrt und beschützt seine Kirche gegen alle Feindseligkeit der feindlichen Welt und gegen die Pforten der Hölle selbst. Und seine Fürsprache bei seinem himmlischen Vater macht unsere Rettung zur Gewissheit, Röm. 8,34.

    Während die Jünger noch mit sehnsüchtigen Blicken ihrem Herrn nachsahen, erschienen plötzlich zwei Männer in weißen Gewändern, in glänzenden Kleidern, zwei Engel, die soeben dem siegreichen Herrn das Geleit gegeben hatten. Diese Engel erweckten die Jünger aus der Ruhe, in die sie beim Blick auf ihren Herrn versunken waren. Die himmlischen Boten sprachen die Apostel als Männer aus Galiläa an und sagten ihnen, dass die Zeit, in der sie sehnsüchtig die sichtbare Gegenwart oder Wiederkunft Christi herbeisehnten, vergeudet sei. Und sie gaben ihnen und allen Gläubigen eine freudige Gewissheit. Derselbe Jesus, der hier in den Himmel aufgenommen und ihnen scheinbar entrissen wurde, wird auf dieselbe Weise wiederkommen, auf die sie ihn aus ihrem Blickfeld verschwinden sahen. Jesus wird sichtbar und leibhaftig wiederkommen. Mit demselben Körper, bekleidet mit derselben menschlichen Natur, wird er vom Himmel herabsteigen, um die Lebenden und die Toten zu richten. Das ist die Hoffnung aller Gläubigen, dass sie Jesus mit ihren eigenen Augen sehen werden. Und in der Zwischenzeit leben sie unter seiner barmherzigen Herrschaft und Regierung, sicher und geborgen, weil sie wissen, dass er bei ihnen ist bis ans Ende der Welt. Diese Hoffnung und Gewissheit macht die Gläubigen bereit, für den Herrn zu arbeiten und die Werke ihrer Berufung auf Erden in seinem Namen und zu seiner Ehre zu tun. Die Zeit ist kurz, und seine Wiederkunft ist sicher und steht unmittelbar bevor, Joh. 9,4.

 

Die Wahl des Matthias (1,12-26)

    12 Da wandten sie um nach Jerusalem von dem Berg, der da heißt der Ölberg, welcher nahe ist bei Jerusalem und liegt einen Sabbatweg davon. 13 Und als sie hineinkamen, stiegen sie auf den Söller [Obergemach], da denn sich aufhielten Petrus und Jakobus, Johannes und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, des Alphäus Sohn, und Simon Zelotes und Judas, des Jakobus Sohn. 14 Diese alle waren stets beieinander einmütig mit Beten und Flehen samt den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.

    15 Und in den Tagen trat auf Petrus unter die Jünger und sprach (es war aber die Schar der Namen zuhauf bei hundertundzwanzig) 16 Ihr Männer und Brüder, es musste die Schrift erfüllt werden, welche zuvor gesagt hat der Heilige Geist durch den Mund Davids, von Judas, der ein Vorgänger war derer, die Jesus fingen. 17 Denn er war mit uns gezählt und hatte dies Amt mit uns überkommen. 18 Dieser hat erworben den Acker um den ungerechten Lohn und sich erhenkt und ist mitten entzwei geborsten, und alle seine Eingeweide ausgeschüttet. 19 Und es ist kund geworden allen, die zu Jerusalem wohnen, so dass dieser Acker genannt wird auf ihre Sprache Hakeldama, das ist, ein Blutacker. 20 Denn es steht geschrieben im Psalmbuch: Ihre Behausung müsse wüste werden, und sei niemand, der drinnen wohne, und sein Bistum empfange ein anderer.

    21 So muss nun einer unter diesen Männern, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über, welche der HERR Jesus unter uns ist aus und ein gegangen, 22 von der Taufe des Johannes an bis auf den Tag, da er von uns genommen ist, ein Zeuge seiner Auferstehung mit uns werden. 23 Und sie stellten zwei, Joseph, genannt Barsabas, mit dem Zunamen Just, und Matthias, 24 beteten und sprachen: HERR, aller Herzen Kündiger, zeige an, welchen du erwählt hast unter diesen zwei, 25 dass einer empfange diesen Dienst und Apostelamt, davon Judas abgewichen ist, dass er hinginge an seinen Ort. 26 Und sie warfen das Los über sie; und das Los fiel auf Matthias. Und er ward zugeordnet zu den elf Aposteln.

 

    Die Rückkehr nach Jerusalem (V. 12-14): Die Himmelfahrt Jesu fand auf dem Ölberg statt, östlich von Jerusalem, nicht sehr weit von der Stadt Bethanien entfernt (Luk. 24,50). Die Entfernung von der jüdischen Hauptstadt beträgt eine Sabbat-Tagesreise, siebeneinhalb Stadien (etwas mehr als 1500 Meter). Es gibt keinen Widerspruch zwischen den Berichten über die Lage der verschiedenen Orte und den genauen Ort, an dem die Himmelfahrt stattfand. Der Gipfel des Berges war etwa siebeneinhalb Stadien von Jerusalem entfernt, Bethanien war fast doppelt so weit entfernt, und die Himmelfahrt fand in der Gegend von Bethanien statt, am Südosthang des Berges. Nachdem ihr Herr auf so wundersame Weise abgenommen worden war, kehrten die Jünger nach Jerusalem zurück. Beachten Sie, wie genau Lukas die geografische Lage für seine nichtjüdischen Leser beschreibt. In Jerusalem sollten sie auf das große Wunder der Ausgießung des Geistes warten. So gingen sie zu ihrem üblichen Versammlungsort, dem Obergemach, wahrscheinlich im Haus eines der Jünger. Die Jünger hielten öffentliche Versammlungen im Tempel ab, Luk. 24,53, vor allem im Interesse der Missionsarbeit. Aber um sich gegenseitig zu trösten und zu ermutigen, trafen sie sich in den Häusern der Gemeindemitglieder. Die Namen der wichtigsten Männer und einiger Frauen dieser ersten Versammlung sind hier aufgezeichnet. Petrus wird, wie in den Evangelien üblich, an erster Stelle genannt; Jakobus, der Ältere, und Johannes, der jüngere Sohn des Zebedäus, werden als nächstes genannt. Diese drei stehen an der Spitze der Liste als die besonderen Vertrauten des Herrn: Philippus, ebenfalls aus Bethsaida; Thomas, genannt Didymus; Bartholomäus, früher bekannt als Nathanael; Matthäus, der Zöllner, früher bekannt als Levi; Jakobus, der Sohn des Alphäus; Simon, der Zelot, aus Kana; und schließlich Judas, der Bruder des Jakobus. Alle diese Männer waren bewahrt worden, obwohl der Sturm des Unglücks, der durch das Leiden und den Tod Christi ausgelöst worden war, sie mit großer Härte getroffen hatte. Aber sie waren nun alle bereit, ihren Posten einzunehmen, begierig, das ihnen zugewiesene Werk zu beginnen, und warteten nur noch auf die verheißene Kraft aus der Höhe, auf die Sendung des Heiligen Geistes. Die elf Jünger verbrachten die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten auf die bestmögliche Art und Weise: Sie beteten unablässig und ausdauernd, und alle waren einmütig und gleich gesinnt. Ihre Gebete waren sowohl allgemein als auch speziell, denn sie fühlten ihre Schwachheit und geistliche Armut zutiefst, und sie waren bestrebt, die von ihrem Meister verheißene Gabe des Geistes zu empfangen. Ihr Handeln ist als Beispiel für die Gläubigen aller Zeiten zu empfehlen, die öffentlich und privat um die Gabe des Heiligen Geistes beten, ohne dessen Kraft und Erleuchtung wir nichts tun können. Bei diesem Gebetsdienst waren die Apostel nicht allein, denn es waren auch einige der gläubigen Frauen dabei, wahrscheinlich diejenigen, die dem Herrn schon in Galiläa gedient hatten und später nach Jerusalem gereist waren, um unter dem Kreuz dabei zu sein, das Begräbnis mitzuerleben und die Botschaft des auferstandenen Herrn zu empfangen. Eine Frau wird namentlich erwähnt: Maria, die Mutter Christi. Sie war nicht nach Nazareth zurückgekehrt, da Johannes der Bitte des gekreuzigten Jesus, Maria als seine Mutter zu betrachten, treu nachkam. Zweifellos wurde Maria von den Aposteln mit großem Respekt betrachtet, aber es gibt keinen Hinweis auf die götzendienerische Verehrung, die ihr später in verschiedenen Kirchen zuteil wurde. Zu dieser kleinen Gemeinde oder diesem inneren Kreis gehörten nun auch die Brüder (Halbbrüder, Vettern) des Herrn, die zuvor als ungläubig erwähnt werden, Johannes 7, 5. Wann genau sie ihren Unglauben aufgaben und Jesus als ihren Retter und Herrn annahmen, ist in den Evangelien nicht überliefert, aber sie waren von diesem Zeitpunkt an treue Anhänger Jesu. Anmerkung: Egal wie energisch sich ein Mensch früher gegen das Evangelium der Erlösung gewehrt hat, all das sollte vergessen sein, sobald er die Wahrheit des Evangeliums annimmt. Die Überzeugung des Glaubens ist in einem solchen Fall gewöhnlich mit dem festen Vorsatz verbunden, umso demütiger und aufrichtiger für den einst verachteten Meister zu arbeiten.

 

    Die Ansprache des Petrus (V. 15-20): „In jenen Tagen“, an einem der zehn Tage, die zwischen der Himmelfahrt Christi und der Ausgießung des Heiligen Geistes lagen. Bei einer der Versammlungen, die in jenen Tagen stattfanden, ergriff Petrus die Initiative, indem er sich erhob und vor die Jünger trat, um sie in einer sehr wichtigen Angelegenheit anzusprechen. Bei dieser Gelegenheit waren etwa hundertzwanzig Jünger versammelt, wahrscheinlich alle, die sich zu jener Zeit in Jerusalem zum Herrn bekannt hatten. Man beachte, dass sie als Brüder bezeichnet werden, die durch den gemeinsamen Glauben und die gemeinsame Liebe enger miteinander verbunden sind als durch die Bande der Blutsverwandtschaft. Beachte auch, dass Petrus, obwohl er als Sprecher auftritt, dennoch einer der Brüder ist; er handelt mit ihrer Zustimmung und tut nichts aufdringlich. Sehr feierlich spricht Petrus die Versammlung als "Männer und Brüder" an, und die Bedeutung seines Themas spiegelt sich in seiner gesamten Rede wider. Er weist darauf hin, dass es zunächst notwendig war, dass sich die Schrift durch den Abfall des Judas Iskariot erfüllte. Sein Verrat an Christus war vorhergesagt worden, Ps. 41,9. Mehr als tausend Jahre zuvor hatte der Messias die Schamlosigkeit des Verräters bitter angeprangert. Es war Judas, der bei der Gefangennahme Jesu die Schar der Feinde anführte und den Soldaten und Dienern den Weg zu dem wahrscheinlichen Aufenthaltsort Christi in jener Nacht wies. Man beachte, mit welchem Takt Petrus das heikle Thema behandelt, indem er den Verräter weder verhöhnt noch beschimpft, sondern mit aller Nachsicht von ihm spricht. Seinem Beispiel könnte man auch in der heutigen Zeit folgen, ganz gleich, von wessen Tod die Rede ist. Judas war zu den zwölf Aposteln gezählt worden; er war vom Herrn als einer der Männer auserwählt worden, die als seine Boten und Botschafter dienen sollten, um das Evangelium zu allen Menschen zu bringen; er hatte durch die tatsächliche Auswahl Jesu ein Los oder einen Anteil an diesem Dienst erhalten; er sollte einen Auftrag erhalten, wie es auch die anderen Apostel taten. Die Berufung Jesu ist immer aufrichtig und in der Absicht, den Gläubigen an seiner Seite zu halten; der Abfall des Ungläubigen ist ganz und gar auf seine eigene Schuld zurückzuführen.

    Die Verse 18 und 19 sind wahrscheinlich als eine von Lukas zum Verständnis der heidnischen Leser eingefügte Notiz zu betrachten. Judas hatte eine bestimmte Geldsumme, dreißig Denare, den Preis eines Sklaven, als Blutpreis für den Verrat an seinem Meister erhalten. Als er dann von Reue und Furcht wegen seiner schrecklichen Tat ergriffen wurde, brachte er das Geld zu den Hohepriestern zurück, und da diese sich weigerten, es anzunehmen, warf er es in den Tempel. Mit diesem Geld, das die heuchlerischen jüdischen Führer immer noch als Eigentum von Judas betrachteten, kauften sie den Töpferacker, der somit in Wirklichkeit Judas' Eigentum war und von seinen Erben hätte beansprucht werden können. So kaufte der Lohn der Ungerechtigkeit, der Untreue, den Begräbnisplatz für die unbekannten Fremden. Diese Tatsache, besonders nach dem schrecklichen Ende des Verräters, wurde in der ganzen Stadt bekannt, und dieses Feld, da alle Bewohner der Stadt die Geschichte dieses Stücks Bodens kannten, erhielt daher bald einen Namen, in der aramäischen oder chaldäisch-syrischen Sprache Hakeldama, was „ein Feld des Blutes“ bedeutet, erkauft mit dem Preis des Lebens des Blutes des Herrn Jesus. Und Judas selbst hatte ein grausames Ende. Es scheint, dass, nachdem er sich erhängt hatte, das Seil riss und er rückwärts einen Abhang hinunterstürzte, mit dem Ergebnis, dass sein Körper aufplatzte und alle seine Eingeweide heraussprudelten. Das war offensichtlich das Urteil Gottes über diesen verstockten Sünder; er war an den Ort gegangen, der für solche wie ihn vorgesehen war, den Ort der Verdammten. Aber in all diesen Ereignissen, so schrecklich sie in der Erzählung auch klingen mögen, findet Petrus die Erfüllung der Heiligen Schrift. In Ps. 69,25 hatte der Herr geweissagt: Ihre Behausung soll wüst werden, und niemand soll in ihren Zelten wohnen, und in Ps. 109,8: Ein anderer soll sein Amt übernehmen. Die Auslegung von Petrus zeigt, dass diese Abschnitte ihre strengste Erfüllung in Judas Iskariot und seinem Schicksal fanden, als Warnung an alle Menschen für alle Zeiten. Die Wohnung des Judas war wüst geworden; er hatte seinen Dienst, sein Amt verloren, als er den Glauben verleugnete und seinen Herrn verriet. Man beachte den tiefen Eindruck, den das Ende des Verräters auf die anderen Jünger gemacht hatte, und wie sie die in der Geschichte enthaltene Warnung beherzigten, so wie alle Gläubigen sich an das schreckliche Ende der Abtrünnigen erinnern werden, sei es hier oder in der Zukunft, damit sie nicht in das gleiche Beispiel des Unglaubens fallen.

 

    Die Wahl des Matthias (V. 21-26): Nachdem Petrus kurz auf die bedauerliche Vakanz in der Zahl der Apostel hingewiesen hat, macht er nun einen Vorschlag zur Auswahl eines Mannes, der die Nachfolge von Judas in dem hohen Amt antreten soll, das er innehatte. Er erklärt, es sei notwendig, dass sie einen der Jünger wählen, der von Anfang an mit ihnen und mit Jesus verbunden war, einen, der während der ganzen Zeit, in der Jesus vor ihnen ein- und ausging, ihr Gefährte gewesen war, einen, der mit anderen Worten ein Zeuge des gesamten Lebenslaufs Christi gewesen war, beginnend mit seiner Taufe durch Johannes und endend mit dem Tag seiner Himmelfahrt aus ihrer Mitte. Man beachte, dass Petrus von dem aufgestiegenen Christus als einem menschlichen Wesen spricht, als einem, der noch im Fleisch ist, obwohl er ihn beiläufig Herr nennt und ihm damit die volle göttliche Ehre und Majestät zuerkennt. Aber der wichtigste Punkt, den es zu berücksichtigen galt, war der, dass der zu wählende Mann ein durch und durch kompetenter Zeuge der Auferstehung Christi sein musste. Die Auferstehung Christi ist, wie der heilige Paulus in 1. Korinther 15 darlegt, das Siegel Gottes auf dem vollendeten Erlösungswerk Jesu. Ohne ihre Gewissheit wird das Christentum zur Illusion und zur Farce. Es versteht sich von selbst, dass die Erfahrung von Tatsachen mit dem Besitz eines festen Glaubens an die bezeugten Dinge einhergeht. Die Apostel waren berufen, das zu bezeugen, was sie mit eigenen Augen gesehen und gehört hatten. Die Kirche hat das Evangelium Christi aus dem Mund glaubwürdiger Augen- und Ohrenzeugen erhalten. Nachdem die Versammlung den Vorschlag des Petrus angenommen hatte, schlug sie zwei Männer für die zu besetzende Stelle vor: einen Joseph Barsabas, offenbar einer der siebzig Jünger, dessen Nachname Justus nach dem Brauch der damaligen Zeit angenommen worden war, und Matthias. Diese beiden Männer dürften die einzigen gewesen sein, die alle von Petrus festgelegten Qualifikationen besaßen. Für diese beiden Männer, die Kandidaten für die vakante Stelle in der Zahl der Apostel, sprachen die versammelten Jünger nun ein ernsthaftes Gebet. Sie richteten ihr Gebet wörtlich an den Herzenskenner, an ihren auferstandenen Herrn, Jesus Christus. Vgl. Jer. 17,10. Die Gedanken und Gebete aller wahren Christen sind nun immer auf ihren erhabenen Herrn und Erlöser gerichtet. Er weiß alles; er lenkt alle Dinge im Interesse seiner Gläubigen und zu ihrem Nutzen. Der Herr kennt die Herzen der Menschen, Johannes 2, 25; Er konnte die Qualifikationen der beiden Kandidaten genau beurteilen; Seine Wahl musste nicht das Ergebnis langen und bewussten Abwägens und Nachdenkens sein. Er sollte lediglich seine Wahl dieser beiden Männer bezeichnen, damit der Auserwählte den Platz des von Judas vakant gelassenen Amtes und Apostelamtes einnehmen konnte. Man beachte noch einmal den taktvollen Hinweis auf den Verräter, der „an seinen eigenen Platz“ gegangen ist. Wie die Worte lauten, können sie sich sowohl auf den Ort der Belohnung als auch auf den der Strafe beziehen. Die Jünger überlassen die Entscheidung in dieser schwerwiegenden Angelegenheit ganz richtig dem großen Richter im Himmel und sprechen die Verurteilung nicht selbst aus, obwohl es heißt, dass Judas an den Ort ging, an den die Heuchler und Abtrünnigen nach dem Tod gehen. Auch Markus: Das Gebet der Jünger ist ein Musterbeispiel dafür. „Die Bittsteller hatten ein einziges Anliegen, für das sie sich vor dem Herrn verneigten, und auf die angemessene Darstellung dieses Anliegens beschränkten sie ihre Worte. Sie wiederholen weder einen Gedanken, noch führen sie ihn bis zur Unkenntlichkeit aus.... Ein so kurzes Gebet zu einem so wichtigen Anlass würde in unserem wortreichen Zeitalter kaum noch als Gebet angesehen werden.“[4] Nachdem die Jünger auf diese Weise die Gelegenheit mit dem Wort Gottes und dem Gebet geheiligt hatten, waren sie bereit, den zwölften Apostel zu wählen. Zu diesem Zweck gaben sie ihr Los ab. Wie das genau geschah, ist nicht sicher. Aber es ist wahrscheinlich, dass der im Alten Testament vorherrschende Brauch eingehalten wurde. „Es wurden Tafeln verwendet, auf denen die Namen von Joseph und Matthias geschrieben waren; diese wurden in der Vase oder einem anderen Gefäß, in dem sie deponiert waren, geschüttelt, und das Los, das zuerst herausfiel, brachte die Entscheidung.“[5] Vgl. 1. Chron. 24 5; 25,8; 3. Mose 16,8; 4. Mose 34,13. Nachdem Matthias auf diese Weise bestimmt worden war, wurde er von nun an als zwölfter Apostel zu den elf Aposteln gezählt. Die Art und Weise, wie der Mann ausgewählt wurde, der die durch Judas' Abtrünnigkeit entstandene Lücke füllen sollte, war ungewöhnlich und wurde in diesem Fall zweifellos auf einen besonderen Befehl Gottes hin angewandt. Die Methode ist daher nicht als ein Beispiel zu betrachten, das unter ähnlichen Umständen befolgt werden sollte. Aber der Gebrauch des Wortes Gottes und die ernsthafte Bitte an den Herrn, die Wahl der Amtsträger der Kirche nach seinem Willen und zum Wohl seines Reiches zu lenken, sollte bei keiner Versammlung zur Wahl von Amtsträgern in einer christlichen Gemeinde fehlen.

 

Zusammenfassung: Der Autor gibt einen kurzen Bericht über die letzten Reden des Herrn, seine Himmelfahrt, die Versammlung der Jünger und die Wahl von Matthias.

 

 

Kapitel 2

 

Das Pfingstwunder (2,1-13)

    1 Und als der Tag der Pfingsten erfüllt war, waren sie alle einmütig beieinander. 2 Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel als eines gewaltigen Windes und erfüllte das ganze Haus, da sie saßen. 3 Und man sah an ihnen die Zungen zerteilt, als wären sie feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen. 4 Und sie wurden alle voll des Heiligen Geistes und fingen an, zu predigen mit anderen Zungen, nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen.

    5 Es waren aber Juden zu Jerusalem wohnend, die waren gottesfürchtige Männer aus allerlei Volk, das unter dem Himmel ist. 6 Da nun diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen und wurden bestürzt; denn es hörte ein jeglicher, dass sie mit seiner Sprache redeten. 7 Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich und sprachen untereinander: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8 Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache, darin wir geboren sind? 9 Parther und Meder und Elamiter, und die wir wohnen in Mesopotamien und in Judäa und Kappadozien, Pontus und Asien. 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und an den Enden der Libyen bei Kyrene, und Ausländer von Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: Wir hören sie mit unseren Zungen die großen Taten Gottes reden. 12 Sie entsetzten sich alle und wurden irre und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Die andern aber hatten’s ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.

 

    Die Apostel werden mit dem Heiligen Geist erfüllt (V. 1-4): In der vollständigen Erfüllung des Pfingsttages, als der Tag ganz erfüllt war, nach hebräischer Redeweise, als er ganz gekommen war. So wie Lukas das Wort verwendet, zeigt es an, dass dieser Tag zu dieser Zeit die Erfüllung der ernsten und sehnlichen Erwartung der Jünger brachte und dass man sich deshalb für immer an seine Bedeutung erinnern sollte. Es war der Pfingsttag, der fünfzigste Tag nach Ostern, das zweite große Fest des jüdischen Kirchenjahres, das am Tag nach Vollendung von sieben vollen Wochen nach dem zweiten Tag der Passahwoche gefeiert wurde, als die Erstlinge der Gerstenernte vor dem Herrn geweht wurden. An diesem Tag, der in jenem Jahr zufällig ein Sonntag war, waren sie alle versammelt. Man hat darunter nur die zwölf Apostel verstanden, von denen im letzten Vers des ersten Kapitels die Rede ist. Aber die Tatsache, dass die Pfingstgaben zwar zuerst von den Aposteln ausgeübt wurden, aber nicht nur von ihnen, sondern auch von anderen Jüngern, macht es plausibler, anzunehmen, dass die gesamte Gemeinde von Jerusalem, die hundertzwanzig Jünger, Kap. 1,15, und auch andere, die noch dazukamen, die Pfingstgaben ausübten. 1,15, und auch andere, die zu dem Fest nach Jerusalem gekommen waren, versammelt waren. Sie waren an einem Ort versammelt, und obwohl der Tempel nicht genannt wird wie an anderen Stellen, Kap. 3,2.11; 5,21, aber die Tatsache, dass es eine so große Versammlung gab und dass danach Tausende von Menschen Zeugen des Wunders wurden, deutet darauf hin, dass ein oberer Raum in der Stadt unzureichend gewesen wäre und dass das Wunder wahrscheinlich in einer der Tempelhallen stattfand, die an die weitläufigen Höfe anschlossen. Und es geschah plötzlich vom Himmel her ein Brausen wie von einem gewaltigen Wind, der mit großer Kraft daher fuhr. Das Geräusch kam ohne Vorwarnung und ohne sichtbare Ursache, denn es waren keine Gewitterwolken aufgezogen, und die Ruhe des Himmels war durch keinerlei Anzeichen einer Störung beeinträchtigt. Aus dem Himmel drang das Geräusch mit einer Lautstärke, die sofort die Aufmerksamkeit auf sein rauschendes Zischen lenkte, denn es war auf das eine Haus oder den einen Saal gerichtet, in dem die Jünger versammelt waren. Die übernatürliche Erscheinung setzte sich auch im Inneren des Saales fort und ließ Wände und Decke mit ihrer Gewalt widerhallen. Nebenbei wurde noch ein zweites Phänomen sichtbar. Über den Jüngern erschienen gespaltene Zungen, die in ihrem Aussehen und ihrer Helligkeit dem Feuer glichen. Der Text lässt es so erscheinen, als ob es ursprünglich eine große Flamme wie von Feuer war, die das Rauschen begleitete, von der sich nun die kleineren Flammen teilten oder abspalteten. Und so entstand der Anschein von Feuer auf jedem einzelnen von ihnen. Das Feuer und die Flammen waren Symbole für die hörbaren Zungen, in denen die Apostel bald sprechen sollten. Denn während die Erscheinung für alle Anwesenden sichtbar war, geschah das eigentliche und wichtigste Pfingstwunder. Sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt. Die vorangegangenen Offenbarungen waren nur die Vorboten des Geistes, der nun herabkam, um mit seinen wundersamen Gaben von den Herzen und dem Verstand der Jünger Besitz zu ergreifen. Es ist nicht so, als ob die Apostel den Geist nicht schon vorher gehabt hätten. Sie hatten ihn empfangen, als sie an Christus als ihren Erlöser glaubten, und vor allem am Osterabend, mit dem Auftrag des Herrn, Joh. 20,22.23. Aber die Apostel hatten nur ein sehr geringes Maß an Verständnis in geistlichen Dingen gezeigt, und was die Kraft zum Wirken und den Mut zum Bekenntnis zu ihrem Herrn anbelangt, so war dies alles seltsam und bedauerlich abwesend gewesen. Hier aber empfingen sie den Geist in besonderem Maße; nicht nur wurde der Glaube ihres Herzens bestätigt wie nie zuvor, sondern sie erhielten auch ein ungewöhnliches Maß an Kraft, sowohl zur Arbeit als auch zum Ausharren. Und das stärkste Merkmal dieser Geistverleihung bestand in der Gabe der Wunder, die sofort an ihnen offenbar wurde. Denn sie begannen nun, zusammenhängend in anderen, fremden Zungen zu reden, in Sprachen und Dialekten, von denen sie wahrscheinlich zum größten Teil noch nie gehört hatten. Der Heilige Geist lehrte sie nicht nur die verschiedenen Sprachen zu ihrem eigenen Verständnis, sondern gab ihnen tatsächlich die Fähigkeit, sich in diesen Sprachen richtig auszudrücken. Es war eine wunderbare Manifestation und Übertragung von Wunderkräften. Der Bericht ist so klar, dass es für einen unvoreingenommenen Verstand keinen Zweifel an dem Wunder geben kann, das uns in dieser Erzählung vor Augen geführt wird, nämlich dass die fremden Sprachen für die ungelehrten Fischer von Galiläa zu ihren eigenen wurden, dass sie die verschiedenen Sprachen vollkommen beherrschten und sich frei ausdrücken konnten, wenn sich die Gelegenheit bot. Und all dies geschah durch den Geist, der ihnen die Sprache gab und sie befähigte, die Orakel Gottes zu sprechen. „Der Heilige Geist drang so in ihre Herzen ein, dass sie in einem Augenblick das rechte Verständnis von Gott und seinem Sohn Jesus Christus hatten und die ganze Heilige Schrift verstanden und einen solchen Mut hatten, dass sie dieses Verständnis nicht für sich behalten, sondern es wagen, es frei und offen zu bekennen .... Er kommt herab und erfüllt die Herzen der Jünger, die zuvor in Trauer und Furcht dasaßen, und gibt ihnen feurige Zungen, dass sie mutig werden und frei von Christus predigen und nichts fürchten.“[6]

 

    Die Wirkung des Wunders auf die Menschen (V. 5-13): Da dies das Pfingstfest war, eines der Feste, an denen alle Juden in Jerusalem erscheinen sollten (2. Mose 23, 13-17; 4. Mose 16), lebten Menschen aus allen Teilen der Welt in Jerusalem oder hielten sich dort auf. Viele von ihnen, die früher in fernen Ländern gelebt hatten, mögen in die Stadt ihrer Väter zurückgekehrt sein, um ihren Lebensabend in ihrer heiligen Stadt zu verbringen und in Sichtweite des Tempels zu sterben. Die Menschen, von denen hier die Rede ist, waren aufrichtige, fromme Menschen, Luk. 2,25, und keine Heuchler wie die jüdischen Herrscher. Und sie stammten aus allen Nationen unter dem Himmel. Seit der Zeit des babylonischen Exils hatte die Handelslust der Juden sie mehr und mehr in andere Länder geführt. In manchen Ländern, wie in Ägypten, gab es große Kolonien von ihnen, mit einflussreichen Männern vom Schlage eines Philo. Und dass sie in ganz Kleinasien, aber auch in Teilen Griechenlands und Italiens keineswegs wenige waren, geht aus den vielen Stellen der Apostelgeschichte hervor, in denen die Synagogen der Juden erwähnt werden. Diese Juden, die als Juden der Diaspora bekannt sind, sprachen die Sprache des Volkes, unter dem sie lebten, und behielten das Hebräische nur für den Sabbatgottesdienst bei. Als nun dieses große Geräusch wie von einem gewaltigen Wind zu hören war, richtete sich die Aufmerksamkeit aller Zuhörer natürlich auf den Saal, in dem die Apostel und Jünger versammelt waren, und eine große Menschenmenge kam zusammen, um den Grund für dieses übernatürliche Ereignis zu erfahren. Und was sie sahen und hörten, erfüllte ihre Gemüter mit solcher Unruhe und Beunruhigung, dass sie ihres Verstandes nicht mehr sicher waren; sie waren ganz verwirrt und durcheinander. Denn hier hörten sie, ein jeder, die Sprache des Volkes, in dem er geboren worden war. Es gab Juden aus dem Osten oder aus Babylonien, Parther aus der Gegend des Kaspischen Meeres, Meder vom südwestlichen Ufer desselben Meeres, Elamiter aus dem heutigen Westpersien, die in Mesopotamien an den Flüssen Euphrat und Tigris lebten; es gab syrische Juden, aus Judäa, dem südlichen Teil des heutigen Syriens, aus Kappadozien im östlichen Kleinasien, aus Pontus, südlich des Schwarzen Meeres, aus Asien, den Teilen des westlichen Kleinasiens im Allgemeinen, entlang des Ägäischen Meeres, aus Phrygien im westlichen Kleinasien, aus Pamphylien im südlichen Kleinasien; es gab ägyptische Juden, aus Ägypten selbst, sowie aus den Teilen Libyens im westlichen Teil, um Kyrene, dem modernen Tripolis; es gab römische Juden, Gastarbeiter aus dieser Stadt. Und schließlich erwähnt Lukas Juden von der Mittelmeerinsel Kreta und aus Arabien, die nur in geringer Zahl anwesend waren. In der Versammlung waren sowohl Juden als auch Proselyten vertreten, solche, die von Geburt an der jüdischen Nation angehörten, und solche, die Proselyten des Tores (durch Anerkennung der Wahrheit der jüdischen Lehre) oder der Gerechtigkeit (durch förmliche Annahme aller Riten und Zeremonien wie auch der Lehre) geworden waren. Und alle Mitglieder dieser großen Versammlung hörten, wie die Apostel in ihrer eigenen Sprache sprachen und sie fließend ansprachen, als hätten sie die Dialekte und Sprachen ihr ganzes Leben lang gesprochen. Ein solches Wunder war unerhört, und Lukas erschöpft sein Vokabular, wenn er versucht, die Wirkung auf die Menge zu beschreiben: Sie waren verwirrt, sie staunten, sie wunderten sich, sie waren verwirrt, sie fragten einander nach dem Sinn des Wunders, dessen sie Zeuge wurden. Und die ganze Zeit über predigten die Apostel die großen und wunderbaren Taten Gottes, nämlich dass Gott die Prophezeiungen an ihre Väter erfüllt habe, dass er seinen Sohn Jesus gesandt habe, um die Erlösung der ganzen Welt zu bewirken, und dass diese Erlösung nun ausnahmslos allen angeboten werde.[7]Aber während die Mehrheit der versammelten Juden bereit war, den Beweis für eine außergewöhnliche Manifestation der Macht Gottes in diesen ungelehrten Galiläern, wie sie sie nannten, zu akzeptieren, gab es auch einige, die spotteten und verhöhnten, indem sie erklärten, die Apostel seien voll süßen Weins, entweder der Most von Trauben, die noch in der Gärung waren, oder ein erlesener süßer Wein, der in Palästina gebräuchlich war. Merke: Wo immer der Geist Gottes durch das Wort wirkt, gibt es immer einige, die die herrliche Wahrheit annehmen, während andere absichtlich beleidigt sind und über den Geist, der in den Christen lebt, spotten.

 

Die Predigt des Petrus und ihre Wirkung (2,14-47)

    14 Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr zu Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! 15 Denn diese sind nicht trunken, wie ihr wähnt, da es ist die dritte Stunde am Tag. 16 Sondern das ist’s, das durch den Propheten Joel zuvor gesagt ist: 17 Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, ich will ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Ältesten sollen Träume haben. 18 Und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in denselben Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. 19 Und ich will Wunder tun oben im Himmel und Zeichen unten auf Erden: Blut und Feuer und Rauchdampf. 20 Die Sonne soll sich verkehren in Finsternis und der Mond in Blut, ehe denn der große und offenbare Tag des HERRN kommt. 21 Und soll geschehen, wer den Namen des HERRN anrufen wird, soll selig werden.

    22 Ihr Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus von Nazareth, den Mann von Gott, unter euch mit Taten und Wundern und Zeichen bewiesen, welche Gott durch ihn tat unter euch (wie denn auch ihr selbst wisst), 23 denselben (nachdem er aus bedachtem Rat und Vorsehung Gottes ergeben war) habt ihr genommen durch die Hände der Ungerechten und ihn angeheftet und erwürgt. 24 Den hat Gott auferweckt und aufgelöst die Schmerzen des Todes, nachdem es unmöglich war, dass er sollte von ihm gehalten werden.

    25 Denn David spricht von, ihm: Ich habe den HERRN allezeit vorgesetzt vor mein Angesicht; denn er ist an meiner Rechten, auf dass ich nicht bewegt werde. 26 Darum ist mein Herz fröhlich, und meine Zunge freuet sich; denn auch mein Fleisch wird ruhen in der Hoffnung. 27 Denn du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen, auch nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe. 28 Du hast mir kundgetan die Wege des Lebens; du wirst mich erfüllen mit Freuden vor deinem Angesichte.

    29 Ihr Männer, liebe Brüder, lasst mich frei reden zu euch von dem Erzvater David: Er ist gestorben und begraben, und sein Grab ist bei uns bis auf diesen Tag. 30 Da er nun ein Prophet war und wusste, dass ihm Gott verheißen hatte mit einem Eid, dass die Frucht seiner Lenden sollte auf seinem Stuhl sitzen, 31 hat er’s zuvor gesehen und geredet von der Auferstehung Christi, dass seine Seele nicht in der Hölle gelassen ist, und sein Fleisch die Verwesung nicht gesehen hat. 32 Diesen Jesus hat Gott auferweckt; des sind wir alle Zeugen.

    33 Nun er durch die Rechte Gottes erhöht ist und empfangen hat die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater, hat er ausgegossen dies, was ihr seht und hört. 34 Denn David ist nicht zum Himmel gefahren. Er spricht aber: Der HERR hat gesagt zu meinem HERRN: Setze dich zu meiner Rechten, 35 bis dass ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße. 36 So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zu einem HERRN und Christus gemacht hat.

    37 Da sie aber das hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und sprachen zu Petrus und zu den anderen Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? 38 Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße, und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. 39 Denn euer und eurer Kinder ist diese Verheißung und aller, die ferne sind, welche Gott, unser HERR, herzurufen wird. 40 Auch mit viel andern Worten bezeugte er und ermahnte und sprach: Lasst euch helfen von diesen unartigen Leuten! 41 Die nun sein Wort gerne annahmen, ließen sich taufen, und wurden hinzugetan an dem Tag bei dreitausend Seelen. 

    42 Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. 43 Es kam auch alle Seelen Furcht an, und geschahen viel Wunder und Zeichen durch die Apostel. 44 Alle aber, die gläubig waren geworden, waren beieinander und hielten alle Dinge gemeinsam. 45 Ihre Güter und Habe verkauften sie und teilten sie aus unter alle, nachdem jedermann not war. 46 Und sie waren täglich und stets beieinander einmütig im Tempel und brachen das Brot hin und her in Häusern, 47 nahmen die Speise und lobten Gott mit Freuden und einfältigem Herzen und hatten Gnade bei dem ganzen Volk. Der HERR aber tat hinzu täglich, die da selig wurden, zu der Gemeinde.

 

    Die Einleitung der Predigt (V. 14-21): Als die Gabe der Zungenrede auf die Apostel übertragen wurde, befanden sie sich nicht in einem Zustand der Ekstase, der sie von den Geschehnissen um sie herum ablenkte. Sie waren ganz normal und vernünftig. Und Petrus hörte die Bemerkung der Spötter. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Apostel hingesetzt; nun aber erhob sich Petrus und mit ihm die Elf, um nachdrücklich gegen diese blasphemische Unterstellung zu protestieren, die im Übrigen sehr töricht war. Als Sprecher der Zwölf erhebt Petrus absichtlich seine Stimme, um sich für alle Zuhörer verständlich zu machen, und spricht dann feierlich und eindrücklich: "Im Namen Gottes". Er spricht die versammelte Menge sehr respektvoll als „Männer aus Judäa und Bewohner Jerusalems“ an und unterscheidet damit zwischen den Einwohnern und den Bewohnern für die Zeit des Festes. Er wollte ihnen etwas mitteilen, er wollte sie auf eine Tatsache aufmerksam machen, und deshalb bittet er sie alle, seinen Worten, seinen Aussprüchen, seiner lockeren Rede aufmerksam zuzuhören, zuzuhören. Er bringt vor allem die Bedeutung des Pfingstwunders zur Sprache. Zunächst widerlegt er den Vorwurf, dass diese Männer berauscht sein könnten. Es war jetzt erst die dritte Stunde des Tages, neun Uhr morgens, und schon die Uhrzeit machte es höchst unwahrscheinlich, dass diese Männer betrunken sein könnten. Aber die eigentliche Widerlegung der Unterstellung kam mit der Erklärung des Wunders. Die Erscheinung, deren Zeuge sie geworden waren, war dem Geist Gottes zu verdanken, in Erfüllung der Prophezeiung von Joel, Kap. 2,28-32. Gott selbst hatte durch diesen Propheten verheißen, dass er in den letzten Tagen der Welt seinen Geist über alles Fleisch ausgießen würde, dass als Folge dieses Wunders sowohl die Söhne als auch die Töchter des Volkes prophezeien würden, dass sie in der Lage sein würden, die Zukunft zu enthüllen, dass die jungen Männer Visionen sehen würden und die alten Männer Offenbarungen in Träumen empfangen würden. Und noch mehr war in dieses wundersame Geschehen eingeschlossen. Denn auch die Leibeigenen, die Sklaven, männlich und weiblich, würden die gleiche Gabe des Heiligen Geistes erhalten, so dass auch sie in der Lage sein würden, zu prophezeien. Menschen aller Nationalitäten und jeden Ranges und Standes würden so des Geistes und seiner wunderbaren Gaben teilhaftig werden. Und diese Erscheinung würde nicht auf ein einziges Ereignis beschränkt bleiben, sondern bis zu dem Tag andauern, an dem Gott am Himmel oben Wunder zeigen und geben und auf der Erde unten Zeichen seiner Majestät, Blut, Feuer und Rauchschwaden. Die Sonne wird sich völlig verändern, ihren Glanz verlieren und sich in Finsternis verwandeln, und auch der Mond wird sich in eine blutige Masse verwandeln. Blutvergießen und kriegerische Verwüstungen werden diesem letzten großen Tag des Herrn vorausgehen, dessen Absicht deutlich sichtbar sein wird, sobald er über der zermürbten Welt anbricht. Vgl. 1. Thess. 5,2; 1. Kor. 1,8; 2. Kor. 1,14; 2. Thess. 2,8. Die schrecklichen Aspekte des Endes der Welt werden hier dem erschrockenen Blick der Menge als Warnruf zur Umkehr vor Augen geführt. Aber in der Zwischenzeit gibt es auch eine herrliche Verheißung für alle, die sich dem Herrn in Reue und Glauben zuwenden und seinen Namen als den des einzigen Erlösers inbrünstig anrufen. Anmerkung: Wir Christen leben in der Zeit der Erfüllung von Joels Prophezeiung, in der Zeit des neutestamentlichen Pfingstfestes. Die Verkündigung Christi, die von den bescheidenen Fischern in Galiläa begonnen wurde, ist in die ganze Welt hinausgegangen. Und durch dieses Evangelium sendet der erhöhte Christus, Gott selbst, und gießt seinen Geist aus. Der gekreuzigte Christus, der jetzt zur Rechten Gottes erhöht ist, ist der allmächtige Gott.[8] Er sammelt seine Kirche aus allen Völkern der Welt zu sich. Söhne und Töchter, Alte und Junge, Knechte und Mägde, empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Und obwohl sich das Wirken des Geistes nicht mehr in der gleichen Weise wie in den ersten Tagen der Kirche in Visionen, Träumen und Prophetie zeigt, so lebt der Geist doch in den Herzen der Gläubigen, gibt ihnen die Erkenntnis Jesu Christi, ihres Erlösers, und drängt sie dazu, von dem zu sprechen, woran sie so fest glauben, und den Namen des Herrn anzurufen. Die Ausgießung des Geistes ist das letzte der großen Wunder Gottes bis zum großen Tag seiner Wiederkunft zum Gericht. In der Zwischenzeit haben wir den Trost, dass unser Heil in ihm sicher ist. Was bedeutet es, zu retten? „Es bedeutet, von Sünde und Tod zu befreien. Denn wer gerettet werden will, darf nicht unter dem Gesetz sein, sondern muss unter der Gnade sein. Wenn er aber nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade ist, dann darf er nicht unter der Sünde sein. Ist er unter der Sünde, so ist er unter dem Gesetz, d.h. unter dem Zorn Gottes, unter dem ewigen Tod und der Verdammnis und unter der Gewalt des Teufels. Wenn er aber gerettet werden soll, dann müssen alle diese Feinde, Sünde, Tod, Teufel, beseitigt werden. Retten heißt also nichts anderes, als von Sünde und Tod, vom Zorn Gottes und der Macht des Teufels, vom Gesetz und vom schlechten Gewissen befreien und frei machen. Nun sagt Petrus nach dem Propheten Joel: Der Herr, der seinen Heiligen Geist über alles Fleisch ausgießt, wird alle retten, die seinen Namen anrufen, d.h. er wird durch den Glauben an ihn von Sünde und Tod befreien.“[9]

 

    Des Petrus Zeugnis von Jesus (V. 22-24): Petrus beginnt hier seine eigentliche Predigt, um von Christus als Davids Sohn und Davids Herrn zu zeugen. Er wendet sich an seine Zuhörer als Israeliten, als Mitglieder des Bundesvolkes Gottes, und bittet sie erneut, seine Worte gut zu beachten. Er stellt den Namen Jesus, den Nazarener, an den Anfang dieses Abschnitts, um seine Absicht, Jesus in den Mittelpunkt seiner Ausführungen zu stellen, deutlich zu machen. Dieser Jesus war ihnen von Gott bestätigt worden; Gott hatte deutlich gezeigt, dass Jesus sein Gesandter bei den Juden war, wobei die Demonstrationen seiner Macht im Wort und im Werk Jesu durchweg offensichtlich waren. Die Kräfte, Wunder und Zeichen, die er tat, waren durch ihn in ihrer Mitte von Gott gewirkt worden, so wie er es selbst behauptet hatte. Petrus sagt den Juden geradeheraus, dass sie sich dieser Tatsachen sehr wohl bewusst waren, dass es ihnen unmöglich war, auch nur eine einzige davon zu leugnen, Joh. 11,47. Petrus teilt den Juden außerdem mit, dass es nach Gottes vorherbestimmtem Plan, nach seinem feststehenden Willen und seinem Vorherwissen geschah, dass Jesus in ihre Gewalt überliefert, ans Kreuz geheftet und mit bösen Händen getötet wurde, und nicht, weil er von ihrer Kraft überwunden worden war. Und schließlich sagt er seinen Zuhörern kühn, dass Gott Jesus vom Tod auferweckt hat, indem er die Qualen des Todes löste und wegnahm, denn es war dem Tod nicht möglich, den Fürsten des Lebens zu halten. Der Tod hatte ihn umgarnt, aber er konnte seine Beute nicht halten. Wie ein Vorschlaghammerschlag kommt die kraftvolle, kurze Darstellung dieser Tatsachen von den Lippen des Petrus, Tatsachen, die seine Zuhörer taumeln und schwanken lassen und die ihnen die Überzeugung aufzwingen, dass dieser Petrus die Wahrheit sagen muss. „Wir könnten die Welt herausfordern, eine Parallele dazu in den Reden ihrer Redner oder den Liedern ihrer Dichter zu finden. Es gibt keinen solchen Donnerschlag in all den Lasten der Propheten Israels oder unter den Stimmen, die in der Apokalypse widerhallen.“[10] Für uns Christen ist es sehr tröstlich, dass der Höhepunkt dieses Abschnitts in der großartigen Aussage erreicht wird: Den Gott auferweckt hat. Auf die Tatsache der Auferstehung Jesu gründen wir unsere Hoffnung auf ewiges Heil.

 

    Der Beweis durch David (V. 25-28): Petrus hatte den Juden erklärt, dass Jesus nach dem Vorherwissen Gottes überliefert worden war und dass Gott ihn von den Toten auferweckt hatte. Da diese beiden Aussagen eines Beweises bedurften, geht der Apostel dazu über, ihn aus der Heiligen Schrift zu erbringen. Er zitiert Ps. 16,8-11. Dort sagt David bestimmte Tatsachen über den Herrn, und der Messias spricht durch ihn. Der Messias erklärt, dass er den Herrn, Jehova, immer vor seinem Angesicht sieht; er ist im Schoß des Vaters von Ewigkeit zu Ewigkeit. Gott, sein himmlischer Vater, ist zu seiner Rechten, als sein Verteidiger und Helfer, so dass er nicht dauerhaft niedergeschlagen sein kann. Deshalb ist das Herz des Messias voll Freude und seine Zunge voll Jubel, seine Seele voll freudiger Zuversicht. Denn sein Fleisch, sein lebendiger, beseelter Leib, darf in froher Hoffnung wohnen; das ganze Leben des Messias konnte in zuversichtlicher und ruhiger Betrachtung des Endes, das ihn erwartete, verbracht werden. Denn der Herr, sein himmlischer Vater, würde seine Seele im Reich des Todes nicht aufgeben, nicht im Stich lassen, würde nicht zulassen, dass er zur ständigen Beute des Todes wird, noch würde er seinen Heiligen der Verwesung überlassen. Er weiß und ist überzeugt, dass seine Seele nicht in der Totenwelt und im Verderben aufgegeben und verlassen wird, dass sein Leib nicht im Grab verwesen wird, wie es der allgemeinen Erfahrung der Menschheit entspricht. Im Unterschied dazu hat der Herr dem Messias die Wege des Lebens bekannt gemacht; er hat ihn mit Freude erfüllt, weil er ohne Unterbrechung in seiner Gegenwart ist. Für den Messias würde kein Tod, auch nicht für einen Augenblick, die Verbindung zwischen ihm und seinem Gott und Herrn trennen. Anmerkung: Die Worte des Psalms sind eine schöne und klare Darstellung des Messias in Bezug auf seinen Tod und die Verherrlichung, die ihm durch seinen Tod zuteil wird.

 

    Die Anwendung der Weissagung (V. 29-32): Petrus verwendet in diesem Abschnitt seiner Predigt die vertrauliche und intime Anrede „Männer und Brüder“. Er will den Leuten das Gefühl geben, dass es in ihrem Interesse ist, ihn in seiner Argumentation anzuhören. Er hatte einen Abschnitt aus einem Psalm zitiert, der, wie die Leute wussten, von David geschrieben worden war, ein Abschnitt, der durchgehend in der ersten Person gehalten war. Die Frage war also, wer sprach, als David schrieb, er selbst oder ein anderer. Was nun David betrifft, den Petrus hier einen Patriarchen, den Stammvater eines königlichen Geschlechts, nennt, so konnte er frei und ohne Furcht vor Widerspruch sagen, dass er gestorben und begraben war; sein Grab befand sich in Jerusalem und war allen Juden wohlbekannt. Der Tod Davids war also eine Tatsache, und das Vorhandensein seines Grabes bedeutete, dass dieser Vorfahre der Könige seinerseits das Verderben gesehen hatte. Von sich selbst hatte David also mit Sicherheit nicht gesprochen. Andererseits hatte er, wie die Juden wussten, die Stellung eines Propheten inne, durch den der Herr die Zukunft voraussagte, und als solcher wusste er durch eine Offenbarung Gottes, dass Gott ihm mit einem Eid versprochen hatte, dass ein Nachkomme von ihm auf seinem Thron sitzen würde. Vgl. 2. Sam. 7,12.13. Mit diesem Wissen schrieb David die Prophezeiung des 16. Psalms, in der er von der Auferstehung Christi spricht, dass er im Reich des Todes nicht verlassen werde und sein Fleisch die Verwesung nicht sehen werde. So beweist Petrus mit seinem Text eindeutig, dass Jesus nach einem vorherbestimmten und ausgesprochenen Ziel Gottes den Tod erlitt, dass der Tod Ihn aber nicht halten konnte, dass Er schlicht und einfach von den Toten auferstehen musste und auferstand. Und dass sich diese Prophezeiung erfüllt hat, konnten auch die Apostel, die zwölf Männer, die vor ihnen standen, bezeugen; sie waren Zeugen der Auferstehung Jesu. Ihre Augen, ihre Sinne haben sie nicht getäuscht; sie waren bei dem auferstandenen Herrn gewesen; sie hatten seinen Auftrag erhalten. Diese Tatsache ist auch für uns ein großer Trost, die wir auf die Botschaft des auferstandenen Herrn vertrauen, wie sie von diesen Zeugen seiner Auferstehung berichtet wird.

 

   Die Schlussfolgerung in der Predigt des Petrus (33-36): Ein kraftvolles Schlusswort! Nach seinem Zeugnis über die Auferstehung Jesu musste Petrus noch einen weiteren Punkt anführen, nämlich den Beweis für die Erhöhung Christi in die Herrlichkeit mit der dazugehörigen Majestät und Macht. In diesem Fall berief er sich nicht auf das persönliche Zeugnis der Apostel, da dieser Schritt der Verherrlichung Christi den menschlichen Augen verborgen geblieben war. Aber die Himmelfahrt und Erhöhung war eine notwendige Folge der Auferstehung. Jesus wurde durch die rechte Hand Gottes erhöht, durch die allmächtige Kraft Gottes zur höchsten Würde im Reich der Herrlichkeit erhoben; Jesus empfing vom Vater die Verheißung des Heiligen Geistes; Jesus goss den Geist auf die Jünger aus, wie die Juden nun zu ihrem großen Erstaunen bezeugten, sowohl mit ihren Augen, als sie die Feuerzungen sahen, als auch mit ihren Ohren, als sie die ungelehrten Fischer die großen Wunder Gottes in mehr als einem Dutzend Sprachen und Dialekten verkünden hörten. Es war ein Zeugnis von einer Art, die kein vernünftiger Mensch unter den Zuhörern in Frage zu stellen wagte. Und dieses Wunder des erhöhten Christus war wiederum im Alten Testament vorhergesagt, eine weitere Tatsache, die sie von der Wahrheit der Bemerkungen des Petrus überzeugen sollte. Denn David war, wie sie wohl wussten, nicht in den Himmel aufgefahren. Die Worte, die er geschrieben hatte, Ps. 110,1: Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel für deine Füße mache, konnten daher nicht auf David zutreffen. Die Stelle musste sich also, wie selbst die Juden zugaben, auf Christus beziehen; die Worte hatten ihre Erfüllung in der Himmelfahrt Jesu gefunden. Nachdem Petrus also die Aussagen, die er in seiner Einleitung gemacht hatte, mit den stichhaltigsten Beweisen untermauert hatte, war er bereit für die logische, kraftvolle Schlussfolgerung und Anwendung. Mit überzeugender Zuversicht und verblüffender Direktheit appelliert er nicht nur an die anwesenden Zuhörer, sondern an das ganze Haus Israel, das sie vertraten, die Tatsachen, die er in seiner Predigt dargelegt hatte, richtig zu verstehen, nämlich dass Gott denselben Jesus, den sie gekreuzigt hatten, sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht hatte. Er hatte ihn zum Herrn gemacht, indem er ihn auf den ewigen Thron der Majestät und der Macht erhob, und er hatte ihn zum Christus gemacht, indem er alle alten Prophezeiungen über den Messias als auf Jesus von Nazareth bezogen bestätigte. Jesus und sein ganzes Wirken wurden auf herrlichste und unwiderlegbare Weise gerechtfertigt. Das ist die Verkündigung Christi, die es in der christlichen Kirche zu allen Zeiten geben sollte. Das ist der Inhalt aller christlichen Verkündigung: Jesus Christus, wahrer Gott und Mensch, gekreuzigt und auferstanden, unser Herr und Erlöser.

 

    Die unmittelbare Wirkung der Predigt (V. 37-41): Petrus hatte seine Predigt mit den Worten beendet: Gott hat diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht. Diese abschließenden Worte, die nach seiner kraftvollen Darlegung der Wahrheit kamen, konnten ihre Wirkung nicht verfehlen. Sie drangen bis zum Herzen der Zuhörer vor, sie durchbohrten das Herz. Die Männer waren zutiefst bewegt, sie wurden von Reue und Gewissensbissen erfüllt. Sie fühlten mit dem scharfen Elend eines schlechten Gewissens, dass sie vor Gott Mörder waren. Das ist der Anfang der Reue: Ein scharfes Bewusstsein der Sünde und eine tiefe Trauer über die Beleidigung, die sie Gott damit darbringen. Dies wird durch die eifrige, unruhige Frage der Zuhörer deutlich: Was sollen wir tun, Männer und Brüder? Sie verzweifeln nicht an der Größe ihrer Sünde, sondern wenden sich an Petrus, um Hilfe in ihrer großen Not zu erhalten. Es war eine bedeutsame Frage, und sie erhielt eine klare Antwort. Als Erstes fordert Petrus sie auf, aufrichtig und ehrlich zu bereuen und alle Schuld ohne Vorbehalt und Zweideutigkeit vor Gott zu bekennen (Spr. 28,13). Und der zweite Schritt ist, dass jeder von denen, deren Herz auf diese Weise mit Kummer und Reue erfüllt wurde, auf oder in den Namen Jesu Christi getauft werden soll. Die christliche Taufe wird im Namen Jesu vollzogen, weil das Werk Jesu die Gabe der Taufe ermöglicht hat, denn sie wird zur Vergebung der Sünden vollzogen. Die Vergebung der Sünden, die volle Vergebung, wird dem armen Sünder durch die Waschung der Wiedergeburt geschenkt, Titus 3,5. Die Taufe ist kein bloßes Symbol oder eine Form der Aufnahme in die Bruderschaft der Gläubigen, noch ist sie ein Werk, durch das Sündenerlass erworben wird. Das Wasser der Taufe überträgt und schenkt durch die Kraft des Wortes, das im und mit dem Wasser ist, den Erlass der Sünden, wie er durch Jesus Christus erworben wurde. Man beachte: Petrus benutzt sowohl das Gesetz als auch das Evangelium, ersteres, um eine volle und richtige Erkenntnis der Sündhaftigkeit zu bewirken, letzteres, um die Schleusen der Barmherzigkeit Gottes für die armen Sünder zu öffnen. Und es gibt noch einen dritten Punkt, den Petrus hervorhebt. Wo Reue und Glaube im Herzen zu finden sind, dort ist die Gabe des Heiligen Geistes gesichert, dort schüttet Gott aus reiner Barmherzigkeit den Heiligen Geist aus. Der Geist wohnt in den Herzen derer, die getauft sind und an den Namen des Herrn Jesus Christus glauben, und sein ständiges Werk ist es, die Gläubigen zu heiligen. Durch die Innewohnung des Geistes werden wir befähigt, die Früchte des Geistes hervorzubringen. Diese Anwendung macht Petrus sehr nachdrücklich, indem er erklärt, dass die Verheißung Gottes zum Heil ihnen gilt, sich auf sie und ihre Kinder bezieht, ernsthaft für sie bestimmt ist. Man beachte, dass die Verheißung des Evangeliums Gottes auch in Bezug auf die Vergebung der Sünden, wie sie durch die Taufe übertragen wird, nicht nur den Erwachsenen, sondern auch den Kindern gilt; die Kinder sind ganz entschieden in das Gebot der Taufe einbezogen. Und die Verheißung des Evangeliums war nicht auf die Juden und ihr Volk beschränkt, sondern galt auch allen, die in der Ferne waren, so viele, wie Gott berufen wollte, die Wohltaten und Segnungen seiner Barmherzigkeit zu empfangen. Es ist das gnädige Werk Gottes, die Macht seiner Barmherzigkeit auch unter den Heiden zu zeigen, sein Wort unter ihnen zu ihrem Heil anzunehmen, sie zu sich zu rufen als seine eigenen Kinder. Die Allgemeingültigkeit dieser Verheißung und die Schönheit ihrer Bedeutung kennen keine Grenzen. Hier schließt Lukas den mündlichen Bericht über die Rede des Petrus, indem er lediglich hinzufügt, dass er, und zweifellos auch die anderen Apostel, mit vielen zusätzlichen Argumenten sehr ernsthaft Zeugnis abgelegt haben. Und seinem Zeugnis fügte er eine Ermahnung hinzu, um den neugeborenen Glauben ihrer Herzen zu bestätigen und zu stärken, indem er sie aufforderte, gerettet zu werden oder zu werden, ihre Seelen zu retten, indem sie sich von der verkehrten, gottlosen Generation dieser Welt trennten. Die Kraft dazu haben sie durch den Glauben bekommen, denn die Kraft Gottes ist in ihnen gegenwärtig, und sie müssen diese Kraft sofort ausüben, Phil. 2,12. Es ist notwendig, dass die Christen zu allen Zeiten von der Kraft Gottes Gebrauch machen, die sie durch den Glauben in sich aufgenommen haben. Die Wirkung der Predigt bei der Gründung und dem Fortschritt der Kirche: V.41. Die aber sein Wort gern annahmen, ließen sich taufen; und an demselben Tage wurden ihnen etwa dreitausend Seelen zugerechnet. V.42. Und sie blieben beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brechen des Brotes und in den Gebeten. V.43. Und Furcht kam über alle Seelen, und viele Wunder und Zeichen geschahen durch die Apostel. V.44. Und alle, die gläubig waren, waren beieinander und hatten alles gemeinsam; V.45. Und verkauften ihre Habe und Güter und teilten sie aus unter alle, wie es einem jeden not war. V.46. Und sie blieben täglich einmütig im Tempel und brachen das Brot von Haus zu Haus und aßen ihre Speise mit Freuden und lauterem Herzen, V.47. lobten Gott und hatten Wohlgefallen an allem Volk. Und der Herr fügte der Kirche täglich solche hinzu, die gerettet werden sollten. Das Wort Gottes, das mit solcher Kraft gepredigt und mit so ernsten Ermahnungen befolgt worden war, blieb nicht ohne Frucht. Durch das Wirken desselben Geistes, dessen Wunderkraft sich vor ihren Augen zeigte, nahmen einige der Anwesenden, eine beträchtliche Anzahl von Zuhörern, das Wort im Glauben an, sie nahmen Jesus von Nazareth als den verheißenen Messias an und ließen sich taufen. Die Taufe auf den Namen Jesu Christi diente zur Stärkung ihres Glaubens an das Wort des Evangeliums und zur Bestätigung und Besiegelung ihres Heils in Christus, von dem Petrus Zeugnis abgelegt hatte. Es ist unerheblich, ob diese große Zahl von Menschen, die auf diese Weise zu den Jüngern hinzukamen und sich ihnen anschlossen, durch Untertauchen getauft wurden (die notwendigen Einrichtungen waren in Jerusalem vorhanden, wie die Befürworter des Untertauchens erklären) oder nicht, da die Art der Taufe in der Heiligen Schrift nicht vorgeschrieben ist. Es gibt eine ganze Reihe von Wahrscheinlichkeitsargumenten, die gegen das Untertauchen sprechen. Wie dem auch sei, Tatsache ist, dass diese Menschen durch das Sakrament der Taufe in die christliche Kirche aufgenommen wurden, ihre Zahl beträgt etwa dreitausend Seelen. Die Seelen, die für Christus gewonnen werden, werden dadurch zu seiner Kirche hinzugefügt.

 

    Die frühe Gemeinde in Jerusalem (V. 42): Lukas zeichnet nun ein Bild der ersten christlichen Gemeinde von Jerusalem, mit dem Kern der Apostel und den hundertzwanzig Jüngern und mit den dreitausend Bekehrten von Pfingsten als Körperschaft. Die Kirche wuchs nicht nur zahlenmäßig, sondern auch im Glauben und in der Nächstenliebe. Die Mitglieder der Gemeinde hielten mit großer Treue und Hingabe an der Lehre der Apostel fest. Diese Männer, die von Christus als Lehrer der ganzen Christenheit eingesetzt und geweiht worden waren, waren zu jener Zeit die Lehrer der Gemeinde in Jerusalem. Und ihre Lehre war die Lehre Christi; sie lehrten, was sie von Christus gehört hatten; ihr Wort war das Wort Gottes. Indem sie an diesem Wort festhielten, bewahrten die Jünger auch die Gemeinschaft. Sie waren in demselben Glauben und derselben Liebe zu ihrem Herrn und Meister vereint; sie waren in Gemeinschaft miteinander und in Einheit mit Christus und dem Vater, eine wunderbare, gesegnete Vertrautheit, durch die sie enger miteinander verbunden waren als Brüder und Schwestern nach dem Fleisch. Ein jeder nahm Anteil an den Freuden und Leiden des anderen. Ihre innige Gemeinschaft drückte sich im Brechen des Brotes aus. Wenn sich dieser Ausdruck auch nicht ausschließlich auf die Feier des Heiligen Abendmahls bezieht, so schließt er das Sakrament doch keineswegs aus. Vgl. 1. Kor. 10,16. Er bezieht sich eindeutig nicht auf ein gewöhnliches Mahl und wurde von Lukas wahrscheinlich verwendet, um kurz das gemeinsame Mahl zu beschreiben, das die Gläubigen in den frühen Tagen der Kirche mit der Feier des Abendmahls verbanden. Und so wie die Gläubigen das Wort hörten, so wie sie das Abendmahl feierten, so waren sie auch fleißig, eifrig, im öffentlichen Gebet. Durch gemeinsames Gebet, Lobpreis und Danksagung bekundeten die Jünger Jerusalems ihre brüderliche Gemeinschaft und ihre geistige Einheit. All diese Tatsachen konnten den Menschen in der Stadt natürlich nicht verborgen bleiben, auch wenn die Mitglieder der Gemeinde es so gewollt hätten. Die Lebensweise der Christen war ein ständiges Bekenntnis und eine Ermahnung an alle Bewohner der Stadt. Das Ergebnis war, dass viele Juden, die mit den Gläubigen in Berührung kamen, mit großer Furcht erfüllt wurden; die feierliche Ehrfurcht, die die Wunder und Zeichen der Apostel hervorriefen, wurde durch die Ehrfurcht, die ihr untadeliges Leben verlangte, noch verstärkt. Die Gegenwart Gottes und des erhöhten Christus durch das offenkundige Wirken des Geistes inmitten der Gemeinde musste von allen, die mit ihnen in Berührung kamen, anerkannt werden. Und diese Ehrfurcht diente auch der Ausbreitung des Evangeliums; sie wirkte als Hemmschuh für den Hass der Juden und hinderte sie daran, ihre Feindschaft offen zu zeigen. Es war Gottes Absicht, dass die junge Pflanze seiner Kirche eine Zeit lang friedlich wachsen sollte.

 

    Das Leben der Gemeinde in brüderliche Liebe und deren Wirkung auf das Volk (V. 43-47): Inzwischen zeigte die brüderliche Liebe der Jünger ihre Kraft in ihrem Leben und in ihren Werken. Sie waren zusammen, ihr Herz und ihr Verstand waren auf die gemeinsame Sache gerichtet, was sie natürlich dazu veranlasste, sich so oft wie möglich zu treffen, sei es im Tempel oder in Privathäusern, und zwar nicht nur zu öffentlichen Gottesdiensten, sondern auch zum geselligen Beisammensein in einem wahrhaft christusähnlichen Geist. Und sie hatten alle Dinge gemeinsam; sie praktizierten keinen Kommunismus, sie hoben das Recht auf Privateigentum nicht auf. Nicht der Besitz, sondern der Gebrauch und der Nutzen der Güter war gemeinsam. Vgl. Kap. 4,32. Jedes Mitglied der Gemeinde betrachtete sein Eigentum als ein Talent des Herrn, mit dem es seinem Nächsten dienen sollte. In vielen Fällen bewirkte diese brüderliche Liebe noch mehr. Sie verkauften ihre Besitztümer und Güter, ihr gesamtes Eigentum, und teilten den Erlös unter allen Brüdern auf, so wie es die Bedürfnisse erforderten. Das war kein Gesetz, das die Apostel vorschlugen oder durchsetzten, sondern eine freie Äußerung wahrer Nächstenliebe. Die wohlhabenden Christen waren bereit und eifrig, diese Opfer zu bringen, wenn es offensichtlich war, dass dies die einzige Möglichkeit war, die Bedürfnisse der Brüder zu decken. Es gab nichts von der hochmütigen Abgehobenheit, die heute den Umgang der Reichen mit den Armen kennzeichnet. Solche Liebesbekundungen hatte man selten, wenn überhaupt, auf der Erde gesehen. Und all dies geschah ohne jeden Versuch der Zurschaustellung. Selbstverständlich hielten die Gläubigen einmütig und in voller Einigkeit des Geistes ihre öffentlichen Versammlungen im Tempel ab, wo sie Gelegenheit hatten, den anderen Mitgliedern ihres Volkes von der Hoffnung zu berichten, die sie beseelte. Und nicht nur im Tempel fanden tägliche Versammlungen statt, sondern sie trafen sich auch von Haus zu Haus, hauptsächlich zur Feier des Heiligen Abendmahls und des gemeinsamen Mahls, das als Agape bekannt ist, wo sie mit großer Freude oder Jubel und übrigens mit aller Einfachheit des Herzens gemeinsam an den Speisen teilnahmen. Die reicheren Mitglieder empörten sich nicht darüber, dass die ärmeren Brüder an den von ihnen bereitgestellten Speisen teilnahmen, noch hielten sie es für unter ihrer Würde, am selben Tisch zu sitzen. Und die armen Mitglieder besaßen nichts von dem törichten Stolz der Armut, weil sie gezwungen waren, die Großzügigkeit der anderen anzunehmen. Sie waren alle in dem einen großen Werk vereint, Gott für all die Gaben zu preisen, mit denen er sie beschenkt hatte. Kein Wunder, dass sie beim ganzen Volk Anklang fanden. Jeder ehrliche, aufrichtige Jude schätzte die Gläubigen natürlich wegen der Einfachheit, Reinheit und Nächstenliebe ihres Lebens. Und da das Bekenntnis des Mundes durch den Beweis der Werke unterstützt und bestätigt wurde, war das Ergebnis, dass die Zahl der Gläubigen täglich zunahm. Aber Lukas sagt ausdrücklich, dass der Herr die, die gerettet werden sollten, der Gemeinde hinzufügte. Die Bekehrung eines jeden Menschen ist allein das Werk des Herrn und das Ergebnis seines gnädigen und guten Willens zur Errettung der Sünder. Anmerkung: Die Gemeinde in Jerusalem ist durchweg ein leuchtendes Beispiel für die christlichen Gemeinden und für die Gläubigen aller Zeiten. Wenn dieselbe Liebe zum Wort Gottes, zum Gebrauch des Sakraments, wenn dieselbe selbstlose Liebe zu den Brüdern in unseren Tagen sichtbar wäre, würde sich jede Gemeinde in gleicher Weise auszeichnen. Und das ist der Wille Christi, des Hauptes der Kirche.

 

Zusammenfassung: Auf das Pfingstwunder folgt eine lange und kraftvolle Predigt des Petrus, in der er Jesus als den Herrn und Christus darstellt, deren Wirkung sich in der festen Gründung der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem zeigt.

 

 

Kapitel 3

 

Die Heilung des Lahmen (3,1-11)

    1 Petrus aber und Johannes gingen miteinander hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, da man pflegte zu beten. 2 Und es war ein Mann, lahm von Mutterleib, der ließ sich tragen. Und sie setzten ihn täglich vor des Tempels Tür, die da heißt die schöne, dass er bettelte das Almosen von denen, die in den Tempel gingen. 3 Da er nun sah Petrus und Johannes, dass sie wollten zum Tempel hineingehen, bat er um ein Almosen.

    4 Petrus aber sah ihn an mit Johannes und sprach: Siehe uns an! 5 Und er sah sie an, wartete, dass er etwas von ihnen empfinge. 6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und wandele! 7 Und griff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich standen seine Schenkel und Knöchel fest; 8 sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, wandelte und sprang und lobte Gott. 9 Und es sah ihn alles Volk wandeln und Gott loben. 10 Sie kannten ihn auch, dass er’s war, der um das Almosen gesessen hatte vor der schönen Tür des Tempels; und sie wurden voll Wunderns und Entsetzens über dem, was ihm widerfahren war. 11Als aber dieser Lahme, der nun gesund war, sich zu Petrus und Johannes hielt, lief alles Volk zu ihnen in die Halle, die da heißt Salomos, und wunderten sich.

 

    Der lahme Bettler (V. 1-3): Von den vielen Zeichen und Wundern, die die Apostel zur Bekräftigung ihrer Lehre vollbrachten (Kap. 2,43), berichtet Lukas hier eines, das sich durch die große Aufmerksamkeit, die es erregte, von den anderen abhebt. Die Jünger gaben nach der Himmelfahrt Christi und sogar nach dem Pfingsttag die Gebräuche der jüdischen Religion, die nicht im Widerspruch zur Lehre Jesu standen, nicht auf. (So ließ auch Luther mit konservativem Taktgefühl nicht zu, dass ikonoklastische Tendenzen seine reformatorische Arbeit lenkten.) Wie zuvor hielten sie die jüdischen Gebetszeiten ein. Um die neunte Stunde, das heißt um drei Uhr nachmittags, der Zeit des Abendopfers, gingen Petrus und Johannes in den Tempel hinauf, um zu beten. Zu dieser Zeit wurden die Gebete der Gläubigen wie süßer Weihrauch in die Nase Gottes hinaufgetragen, und das Erheben der Hände begleitete die Darbringung des Abendopfers. Doch als die beiden Apostel am Tempel ankamen, wurden sie durch einen besonderen Umstand aufgehalten. Ein gewisser Mann, der von Geburt an lahm war und nicht gehen konnte, sondern von einem Ort zum anderen getragen werden musste, wurde von einigen Freunden oder Bekannten täglich an das Tor des Tempels gestellt, das als „die Schöne“ bekannt war, um dort seinem Beruf als Bettler nachzugehen, indem er die Besucher des Tempels um Almosen bat. Der Tempel selbst befand sich auf einer Anhöhe über der Stadt, so dass die Apostel hinaufsteigen mussten, um seine Höfe und Hallen zu besuchen. „Entweder das Tor, das sich vom Frauenhof nach Osten öffnete, oder das Tor zwischen dem Frauenhof und dem Hof Israels (es ist ungewiss, welches) war von einem gewissen Nikanor gestiftet worden und war aus feiner korinthischer Bronze. Es wurde manchmal ‚das schöne Tor‘ und manchmal ‚das Tor des Nikanor‘ genannt. An diesem Tor, also in der Nähe des Schatzhauses, wo die Menschen ihr Geld für die Religion spendeten, fanden Petrus und Johannes den Lahmen bettelnd.“[11] Der Lahme hatte Petrus und Johannes wahrscheinlich schon oft gesehen, aber bei dieser Gelegenheit wollte der Herr ihm eine besondere Gnade erweisen. Er sah die beiden Apostel an, als sie gerade eintreten wollten, und bat sie um ein Almosen.

 

    Das Wunder der Heilung (V. 4-11): Nachdem die Aufmerksamkeit der Apostel auf den Bettler gelenkt worden war, an dem sie sonst vielleicht vorbeigegangen wären, wie sie es wahrscheinlich schon oft getan hatten, sah Petrus ihn sehr aufmerksam an. Sein Herz war tief bewegt angesichts des hilflosen und bedauernswerten Zustands des Krüppels, und in seinem ernsten Blick mag etwas von dem wunderbaren Mitgefühl gelegen haben, das so oft aus dem Antlitz seines Meisters hervorgeleuchtet hatte. Dann forderte er den Bettler auf, ihn und Johannes anzuschauen, um seine Neugier und Aufmerksamkeit zu wecken, damit der Mann sich sofort der Quelle der wunderbaren Heilung bewusst werden konnte. Und als der Krüppel seine Aufmerksamkeit auf die beiden Apostel richtete, in der Erwartung, von ihnen ein Geschenk zu erhalten, sagte Petrus schlicht, aber eindrücklich zu ihm: Silber und Gold habe ich nicht; das zählte er nicht zu seinem Besitz und teilte damit den Zustand seines Herrn und vieler Diener des Herrn seit seiner Zeit. Weltliche Besitztümer zählten nicht zu seinen Schätzen; was er aber hatte, war sicher und dauerhaft. Und das war Petrus bereit zu geben, mit dem armen Mann zu teilen. Den Aposteln war die Macht gegeben worden, Wunder zu tun, um das Evangelium zu verbreiten, und Petrus wollte diese Macht für die Heilung dieses unglücklichen Krüppels einsetzen. Und so ertönte sein Befehl: Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und gehe. Die Macht des Petrus, Wunder zu vollbringen, war nicht absolut, er besaß sie nur auf Befehl, in der Macht und im Interesse seines Herrn und Meisters Jesus und konnte sie nur in seinem Namen einsetzen. Und dann ergriff Petrus die Hand des Mannes, hielt ihn fest, um ihm Vertrauen zu geben, und hob ihn hoch, richtete ihn auf. Das Wunder geschah augenblicklich. Die Füße des Mannes wurden fest unter seinem Gewicht und seine Knöchel fest; beide, Knochen und Muskeln, erhielten nicht nur die Kraft, sondern auch die Fähigkeit, diese Kraft richtig einzusetzen. Noch während Petrus seine Hand festhielt, sprang er auf; er stellte sich zuerst aufrecht hin, als wollte er das Gewicht auf seinen Füßen testen oder spüren, wie es sich anfühlt, eine aufrechte Position einzunehmen. Und dann ging er frei umher, ohne eine Spur von Lahmheit; er ging sogar mit Petrus und Johannes in den Tempel, in den Vorhof Israels, den Ort, wo die Menschen anbeteten. Und immer wieder ging er in der Fülle seiner Freude umher und sprang sogar, als müsse er sich überzeugen, dass er nicht träumte, sondern dass das Wunder Wirklichkeit war. Seine Anbetung an jenem Nachmittag geschah aus der Tiefe eines Herzens, das vor Dankbarkeit überquoll, weshalb er auch Gott lobte und ihm, auf den sich Petrus in seinem Heilungsbefehl bezogen hatte, alle Ehre und Herrlichkeit erwies. All dies geschah natürlich nicht, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Zu dieser Zeit kamen viele Menschen zum Abendopfer in den Tempel, und sie erkannten in dem Mann, der umherging und in der Freude seines Herzens hüpfte, den Bettler, den sie schon oft am Tor des Tempels gesehen hatten. Die Schlussfolgerung aus der Sache war offensichtlich. Es war ein Wunder geschehen, das sie aufrüttelte und erschütterte, das sie mit Staunen und Verwunderung erfüllte. Ihr Erstaunen mischte sich mit Bewunderung und Ehrfurcht, die fast an Betäubung grenzte. Aber es gab keinen Zweifel daran, dass das Geschehen tatsächlich stattgefunden hatte. Denn da war der Mann, der sich an die Apostel als seine Wohltäter klammerte; da waren die Ausdrücke seiner Freude und Dankbarkeit; da war die Tatsache, dass er gehen und springen konnte. Es dauerte daher nicht lange, bis sich das ganze Volk, das in den Tempel gekommen war und das Abendopfer und die Zeit des Räucherwerks vergessen hatte, um Petrus und Johannes drängte, die nun in den schönen Säulengang oder die Halle, die als Salomons Vorhalle bekannt war, hinausgegangen waren. Merke: Jeder, der die Hilfe des Herrn erfahren hat, sollte ihm gebührend Lob und Dank zollen und seine Segnungen vor den Menschen bekennen. Beachte auch: Obwohl die Gaben der Wunder und die außergewöhnlichen Leistungen der Wunder eine besondere Auszeichnung der apostolischen Kirche waren, wird die Hand des Herrn nicht verkürzt, wenn es darum geht, in der Kirche Wunder zu tun. Vor allem die Wunder seiner Gnade sind so beschaffen, dass sie zuweilen sogar die Bewunderung der Kinder der Welt hervorrufen.

 

Die Ansprache des Petrus im Tempel (3,12-26)

    12 Als Petrus das sah, antwortete er dem Volk: Ihr Männer von Israel, was wundert ihr euch darüber, oder was seht ihr auf uns, als hätten wir diesen wandeln gemacht durch unsere eigene Kraft oder Verdienst? 13 Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat sein Kind Jesus verklärt, welchen ihr überantwortet und verleugnet habt vor Pilatus, da der urteilte, ihn loszulassen. 14 Ihr aber verleugnetet den Heiligen und Gerechten und batet, dass man euch den Mörder schenkte; 15 aber den Fürsten des Lebens habt ihr getötet. Den hat Gott auferweckt von den Toten; des sind wir Zeugen.

    16 Und durch den Glauben an seinen Namen hat er an diesem, den ihr seht und kennt, bestätigt seinen Namen; und der Glaube durch ihn hat diesem gegeben diese Gesundheit vor euren Augen. 17 Nun, liebe Brüder, ich weiß, dass ihr’s durch Unwissenheit getan habt wie auch eure Obersten. 18 Gott aber, was er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat, wie Christus leiden sollte, hat’s so erfüllt.

    19 So tut nun Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden vertilgt werden, 20 auf dass da komme die Zeit der Erquickung von dem Angesichte des HERRN, wenn, er senden wird den, der euch jetzt zuvor gepredigt wird, Jesus Christus, 21 welcher muss den Himmel einnehmen bis auf die Zeit, da wiedergebracht werde alles, was Gott geredet hat durch den Mund aller seiner heiligen Propheten von der Welt an.

    22 Denn Mose hat gesagt zu den Vätern: Einen Propheten wird euch der HERR, euer Gott, erwecken aus euren Brüdern gleichwie mich, den sollt ihr hören in allem, was er zu euch sagen wird. 23 Und es wird geschehen, welche Seele diesen Propheten nicht hören wird, die soll vertilgt werden aus dem Volk. 24 Und alle Propheten von Samuel an und hernach, wieviel ihrer geredet haben, die haben von diesen Tagen verkündigt. 25 Ihr seid der Propheten und des Bundes Kinder, welchen Gott gemacht hat mit euren Vätern, da er sprach zu Abraham: Durch deinen Samen sollen gesegnet werden alle Völker auf Erden. 26 Für euch zuerst hat Gott auferweckt sein Kind Jesus und hat ihn zu euch gesandt, euch zu segnen, dass ein jeglicher sich bekehre von seiner Bosheit.

 

    Eine eindrückliche Anwendung des Gesetzes (V. 12-15): In diesem Bericht, wie auch in dem des vorhergehenden Kapitels, muss man sich über die Kühnheit des Petrus wundern. Er, der nur wenige Wochen zuvor vor dem Spott einer Magd zurückgeschreckt war und seinen Meister schändlich verleugnet hatte, spricht hier in Gegenwart einer großen Menschenmenge, in der Tempelhalle selbst, und wirft den Juden die Anklage des Mordes an den Lippen. Petrus sah mit Entsetzen, dass die Bewunderung des Volkes auf Johannes und ihn selbst gerichtet war. Und so macht er sich sogleich daran, diese falsche Vorstellung zu korrigieren. Die Männer von Jerusalem sollten nicht mit Erstaunen und Verwunderung erfüllt sein, noch sollten sie sie anstarren, als ob sie in ihrer eigenen Macht oder aufgrund ihrer eigenen Heiligkeit den Mann zum Gehen gebracht hätten. Petrus bestreitet, dass er und Johannes eine solche körperliche Kraft besaßen, wie das Volk sie sich vorstellte, oder einen so würdigen Zustand und eine solche Fähigkeit der Seele. Die Bewunderung des Volkes sollte sich auf den wahren Urheber des Wunders richten, dessen unwürdige Vertreter und Diener die Apostel nur waren. Und indem Petrus die Ehre allein dem himmlischen Vater und dem erhabenen Christus gibt, hebt er die Schuld der Juden umso deutlicher hervor. Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, von dem die Juden hochmütig als dem Gott ihrer Väter zu sprechen pflegten, hatte sein Kind, seinen Sohn, in diesem Wunder verherrlicht, denn es war im Namen, in der Kraft Jesu Christi geschehen. In krassem Gegensatz zu dieser Wahrheit stand die Tatsache, dass sie Jesus in die Gewalt des römischen Statthalters ausgeliefert und ihn mit Schimpf und Schande überhäuft hatten. Die Juden hatten ihren Herrn vor Pilatus blasphemisch verleugnet; der heidnische Richter war bereit gewesen, ihm die Freiheit zu geben. Den Heiligen und Gerechten, den einzigen Menschen, der diese Attribute in der ganzen Welt wahrhaftig verdiente, hatten die Juden verleugnet; sie hatten mit allen Schmeicheleien und Drohungen gefordert, dass ihnen ein Mörder als Passahgeschenk gewährt werde, dass Barabbas ihnen freigegeben werde. Die Juden hatten Jesus getötet, ermordet, und er war der Fürst des Lebens, der Urheber, die Quelle des Lebens. Gegen das gesamte Verhalten der Juden steht also die Art und Weise, wie Gott für Jesus Zeugnis abgelegt hat, den er von den Toten auferweckt hat, eine Tatsache, die alle Apostel nachdrücklich bezeugen konnten. So konnte nur das Wunder erklärt werden.

 

    Die Grundlagen der vor Augen liegenden Fakten in der Weissagung (V. 16-18): Petrus hatte den versammelten Juden das Gesetz gepredigt; er hatte ihnen die Abscheulichkeit ihrer Übertretung gegen ihren Herrn und Erlöser vor Augen geführt; er hatte ihnen die Überzeugung aufgedrängt, dass sie in den Augen Gottes schwer schuldig waren. Was nun das Wunder betraf, über das sie so verblüfft waren, so war die Erklärung sehr einfach. Es war im Namen Jesu und durch seine Macht geschehen. Auf der Grundlage des Glaubens an Jesus, durch den Glauben an Jesus, sein Wort und seine Verheißung, Mark. 16,17.18; Joh. 16,23, hatte der Name Christi und die Kraft, die in seinem Namen enthalten ist, diesen Krüppel, den sie sahen und kannten, gestärkt; das war es, was die Beteiligung der Apostel an dem Wunder betraf. Und was den Lahmen betrifft, so hatte der Glaube, der durch Christus ist, der von ihm gegeben wurde, dem Unglücklichen vor den Augen der Anwesenden volle und vollkommene Gesundheit und Kraft verliehen. Die Erklärung war also kurz und bündig die folgende: Die Macht, die Majestät des erhabenen Christus hatte durch die Apostel gewirkt, und der Kranke hatte die Gabe der Gesundheit im Glauben angenommen.

    Nachdem so viel festgestellt worden war, bringt Petrus nun den Sündern den Trost des Evangeliums. Er spricht die Anwesenden als Geschwister an. Er räumt ein, dass ihr schreckliches Verbrechen aus Unwissenheit begangen wurde, und dass ihre Herrscher mit der gleichen Begründung entschuldigt werden können. Ihre Schuld bleibt bestehen, aber sie ist geringer, als wenn sie das Verbrechen mit vollem Wissen und Vorsatz begangen hätten. Und so wurde der Ratschluss und Plan Gottes verwirklicht. Was er im Voraus durch den Mund aller Propheten verkündet hatte, nämlich dass Christus, der Christus Gottes, auf diese Weise leiden müsse, erfüllte sich in der Passion Jesu, wie sie stattgefunden hatte. Nur so war es möglich, Israel und die ganze sündige Welt von aller Sünde und Schuld zu erlösen. Das Blut und der Tod Jesu ist tatsächlich das Lösegeld für die Sünden der ganzen Welt. Denn da er der Fürst, die Quelle, der Urheber des Lebens ist, ist es Gottes Martyrium, Gottes Blut, Gottes Tod, der in die Waagschale gelegt wird. Und Gott der Vater hat das Opfer angenommen, er ist mit den Sündern versöhnt. Diese Tatsache hat er unmissverständlich bestätigt, indem er Jesus von den Toten auferweckt und ihn zur Rechten seiner Majestät verherrlicht und erhöht hat. All dies ist ein himmlischer Trost für die armen Sünder.

 

    Der Weg zur Vergebung (V. 19-21): Die Unwissenheit der Juden wurde von Petrus zwar als Entschuldigung für ihre Schuld zugegeben, aber sie machte sie keineswegs unschuldig. Er fordert sie deshalb auf, Buße zu tun, eine völlige Sinnes- und Herzensänderung in sich stattfinden zu lassen und sich zu bekehren, umzukehren, sich ganz der Tilgung ihrer Sünden zuzuwenden. Jeder, der sich von seinen Sünden abwendet und sich Christus, dem Retter der Sünder, zuwendet, dem werden seine Sünden weggenommen, völlig ausgelöscht. Der Glaube empfängt die Vergebung der Sünden, und wo es Vergebung der Sünden gibt, gibt es auch Leben und Rettung. Und diese Bekehrung soll unverzüglich, ohne Verzug geschehen, damit besondere Zeiten der Erquickung kommen, damit Zeiten der Erholung, der Erfrischung, der Erneuerung vom Angesicht des Herrn her kommen, und damit auch der Christus, der für euch bestimmt ist, nämlich Jesus, gesandt wird. Jesus war nicht nur der Messias, in dem sich der mit David geschlossene Bund erfüllte, sondern er ist auch der Herr, der messianische König, der am jüngsten Tag in Herrlichkeit wiederkommen wird. Wenn Jesus, den der Himmel jetzt auf Gottes Geheiß aufgenommen hat und der alle Himmel besitzt, zur festgesetzten Zeit wiederkommt, dann beginnt die ewige Zeit der Wiederherstellung aller Dinge, von der Gott durch den Mund aller seiner heiligen Propheten seit Anbeginn der Welt gesprochen hat. Der Zeitpunkt, zu dem diese wunderbare Veränderung zu erwarten ist, liegt ganz in Gottes Hand und kann ohne Vorwarnung kommen. Es ist daher von großer Bedeutung, dass Buße und Bekehrung so bald wie möglich und ohne Verzögerung stattfinden. Jetzt ist die angenommene Zeit, jetzt ist der Tag des Heils, 2. Kor. 6,2.

 

    Eine abschließende Ermahnung (V. 22-26): Dass Jesus von Nazareth tatsächlich der für die Juden bestimmte Messias war und dass sich die Prophezeiungen in ihm erfüllten, stellt Petrus im letzten Teil seiner Rede heraus. Mose hatte in einer seiner letzten Prophezeiungen an die Israeliten in der Wüste eine klare Aussage gemacht, die sich nicht auf einen bloßen menschlichen Propheten bezog, sondern auf einen, dessen Worte absoluten Gehorsam verlangen würden. Mose hatte von diesem Propheten, der kommen sollte, als einem solchen gesprochen, der ihm selbst gleicht. Wie Mose der Vermittler zwischen Gott und dem Volk war, indem er ihnen Gottes Botschaften überbrachte und zwischen den Toten und den Lebenden stand, so ist Jesus der wahre Vermittler zwischen Gott und der sündigen Menschheit; wie Mose der Befreier seines Volkes war, als er es aus der Knechtschaft Ägyptens herausführte, so hatte Jesus alle Menschen von der Knechtschaft der Sünde, des Todes und der Verdammnis befreit. Der Prophet, den Mose im Sinn hatte, kann also kein anderer sein als Jesus Christus. Dieser größte Prophet aller Juden muss gehorchen, wie es die Prophezeiung des Mose verlangte, 5. Mose 18,15.18.19, in seiner ganzen Lehre an sie richten. Die Strafe für den Ungehorsam war, wie Mose gesagt hatte, dass er von jedem solchen Widerspenstigen verlangt werden würde, gewöhnlich durch das Todesurteil, 2. Mose 12,15.19; 3. Mose 17,4.9. Petrus gibt hier eine Umschreibung und Erklärung der Worte Moses, indem er sagt, dass jede Seele, die sich des vorsätzlichen Ungehorsams gegen diesen großen Propheten schuldig gemacht hat, aus dem Volk völlig vernichtet und mit ewiger Verdammnis bestraft werden soll. Und Mose steht mit seinem Zeugnis nicht allein, sondern seine Prophezeiung wird durch die aller alten Propheten unterstützt und bekräftigt, angefangen bei Samuel, dem Gründer der Prophetenschulen. Alle, die prophetisch sprachen, verkündeten diese Tage, die Tage Christi und des messianischen Reiches mit all ihren Heilsverheißungen. Der ganze Trost dieser Prophezeiungen und Verheißungen war, wie Petrus seinen Zuhörern schließlich versicherte, für sie bestimmt und sollte ihnen eine Quelle der Freude sein. Die Juden waren stolz auf ihre Abstammung und auf ihr Volk, und in gewisser Weise hatten sie auch Grund dazu. Denn sie waren Kinder der Propheten und des Bundes, den Gott mit ihren Vätern aufgerichtet und geschlossen hatte. Sie waren vor allem Erben der Verheißung, die Gott Abraham, 1. Mose 12,3; 18,18; 22,18, Isaak, 1. Mose 26,4, und Jakob, 1. Mose 28,14, gegeben hatte und in der er erklärte, dass alle Familien, Geschlechter, Generationen oder Völker in ihrem Samen, in ihrem großen Nachkommen, Jesus von Nazareth, gesegnet werden sollten. In Jesus Christus ist der Segen des vollen Heils, der vollständigen Erlösung, zu allen Menschen auf der ganzen Welt gekommen, nicht nur zu den Juden, sondern auch zu den Heiden. Den Juden aber war es zuerst vergönnt, in den Genuss der Segnungen des auferstandenen Herrn zu kommen, da Jesus die Zeit seines Wirkens ausschließlich in ihrer Mitte verbracht hatte. Nachdem Gott sein Kind, seinen Sohn, von den Toten auferweckt und damit die Annahme der von ihm vollbrachten Erlösung besiegelt hatte, sandte er ihn, um die Juden zu segnen und ihnen die Segnungen dieser Erlösung durch das Wirken der Apostel zu bringen. Alle Segnungen und Wohltaten des Erlösers sollten ihnen in und durch die Bekehrung zuteil werden, und zwar dadurch, dass er jeden von seinen Sünden abbringt. Das ist der Wille Gottes in Bezug auf jeden Sünder, dass er sich von all seinen bösen Wegen und Übertretungen abwendet und die Segnungen Christi und sein Sühnopfer annimmt.

 

Zusammenfassung: Petrus heilt einen Lahmen am Tor des Tempels, woraufhin das Erstaunen des Volkes ihm Anlass gibt, zu ihnen von Jesus Christus, dem Messias, und seinem Sühnetod zu sprechen.

 

 

Kapitel 4

 

Petrus und Johannes vor dem Hohen Rat der Juden (4,1-22)

    1 Als sie aber zum Volk redeten, traten zu ihnen die Priester und der Hauptmann des Tempels und die Sadduzäer 2 (die verdross, dass sie das Volk lehrten und verkündigten an Jesus die Auferstehung von den Toten) 3 und legten die Hände an sie und setzten sie ein bis auf den Morgen; denn es war jetzt Abend. 4 Aber viele unter denen, die dem Wort zuhörten, wurden gläubig; und ward die Zahl der Männer bei fünftausend.

    5 Als es nun kam auf den Morgen, versammelten sich ihre Obersten und Ältesten und Schriftgelehrten in Jerusalem: 6 Hannas, der Hohepriester, und Kaiphas und Johannes und Alexander, und wieviel ihrer waren vom Hohenpriestergeschlecht, 7 und stellten sie vor sich und fragten sie: Aus welcher Gewalt oder in welchem Namen habt ihr das getan?

    8 Petrus, voll des Heiligen Geistes, sprach zu ihnen: Ihr Obersten des Volks und ihr Ältesten von Israel, 9  so wir heute werden gerichtet über dieser Wohltat an dem kranken Menschen, durch welche er ist gesund worden, 10 so sei euch und allem Volk von Israel kundgetan, dass in dem Namen Jesu Christi von Nazareth, welchen ihr gekreuzigt habt, den Gott von den  Toten auferweckt hat, steht dieser allhier gesund vor euch. 11 Das ist der Stein, von euch Bauleuten verworfen, der ist zum Eckstein geworden 12 Und ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden.

    13 Sie sahen aber an die Freudigkeit des Petrus und Johannes und verwunderten sich; denn sie waren gewiss, dass es ungelehrte Leute und Laien waren, und kannten sie auch wohl, dass sie mit Jesus gewesen waren. 14 Sie sahen aber den Menschen, der gesund worden war, bei ihnen stehen und hatten nichts dagegen zu reden.

    15 Da hießen sie sie hinausgehen aus dem Rat und handelten miteinander und sprachen: 16 Was wollen wir diesen Menschen tun? Denn das Zeichen, durch sie geschehen, ist kund, offenbar allen, die zu Jerusalem wohnen, und wir können’s nicht leugnen. 17 Aber auf dass es nicht weiter einreiße unter das Volk, lasset uns ernstlich sie bedrohen, dass sie hinfort keinem Menschen von diesem Namen sagen. 18 Und riefen sie und geboten ihnen, dass sie sich keineswegs hören ließen noch lehrten in dem Namen Jesu. 19 Petrus aber und Johannes antworteten und sprachen zu ihnen: Richtet ihr selbst, ob’s vor Gott recht sei, dass wir euch mehr gehorchen als Gott. 20 Wir können’s ja nicht lassen, dass wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehöret haben. 21 Aber sie drohten ihnen und ließen sie gehen und fanden nicht, wie sie sie peinigten, um des Volks willen; denn sie lobten alle Gott über dem, was geschehen war. 22 Denn der Mensch war über vierzig Jahre alt, an welchem dies Zeichen der Gesundheit geschehen war.

 

    Die Verhaftung der Apostel (V. 1-4): Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Herr zugelassen, dass das Wachstum der Kirche ungestört verlief, dass die Arbeit der Apostel ohne Unterbrechung weiterging und dass die Jünger reichlich Gelegenheit hatten, im Glauben gestärkt zu werden. Aber die alten Feinde des Herrn konnten unter diesen Umständen nicht untätig bleiben. Die gegenwärtige Gelegenheit bot ihnen eine willkommene Gelegenheit, sich einzumischen und die Tätigkeit der Apostel zu behindern. Petrus hatte seine Ansprache an das Volk noch nicht beendet, und auch Johannes wandte sich gerade an einen Teil der Menge, als eine Gruppe bewaffneter Männer über den Hof eilte. Es waren die Priester, die zweifellos verärgert waren, weil das Volk in seinem Erstaunen über die Heilung des Lahmen das Abendopfer und die Stunde des Räucheropfers nicht beachtet hatte. Da war der Hauptmann des Tempels, "der Mann vom Tempelberg", der für die Priester und Leviten verantwortlich war, die den Tempel und seine Umgebung bewachten und auch als Polizei für das Gelände fungierten. Nachts belief sich die Zahl der Wachen für die einundzwanzig äußeren und drei inneren Stationen auf 240 Leviten und 30 Priester.[12]  Der Grund für seine Aufdringlichkeit war wahrscheinlich, dass die Ruhe des Tempels durch die Menschenansammlung gestört wurde. Und es waren schließlich und vor allem die Sadduzäer, die Mitglieder der hochpriesterlichen Partei, die sich in ihrem Unmut besonders betroffen fühlten. Denn die ganze Predigt des Petrus richtete sich gegen die Leugnung der Auferstehung der Toten durch die Sadduzäer; alle Reden der Apostel beruhten auf dieser einen Tatsache, dass Jesus von den Toten auferweckt worden war und dass diese Tatsache seine Messianität bewies. Jesus hatte zwar einmal die Auferstehung der Toten gegen den Irrtum der Sadduzäer behauptet (Matth. 22,23-33), aber diese hatten ihr Herz gegen die Wahrheit verhärtet und waren entschlossen, ihre Lehre nicht zu dulden. Das Bekenntnis zur Auferstehung der Toten auf der Grundlage der Auferstehung Christi ist bis heute eine Quelle des Spottes und der Feindschaft gegenüber den Christen. Die jüdischen Beamten wussten, dass der Erfolg ihres Plans von schnellem Handeln abhing. Daher nahmen sie sich weder Zeit für eine Aussprache noch für eine Anklage; sie legten einfach gewaltsam die Hände an die beiden Apostel, verhafteten sie und brachten sie für die Nacht in Gewahrsam, da sie beabsichtigten, sie am nächsten Morgen anzuklagen. Doch trotz dieses Vorgehens der Machthaber blieb die Predigt von Petrus und Johannes nicht ohne Wirkung. Denn unter den Zuhörern, die das Wort hörten, gab es viele, in deren Herzen der Glaube entzündet wurde. die an den Herrn glaubten, der ihnen verkündet worden war. Und so kam die Zahl der Gläubigen zustande, wobei nur die Männer gezählt wurden, nach orientalischem Brauch insgesamt etwa fünftausend. Durch die Kraft des Geistes im Wort, die auf die Herzen einwirkte, wuchs die Kirche trotz drohender Gefahr.

 

    Der Sanhedrin (Hohe Rat) wird eingeschaltet (V. 5-7): Und es begab sich am andern Tage, dass ihre Obersten und Ältesten und Schriftgelehrten, V. 6, und Hannas, der Hohepriester, und Kaiphas und Johannes und Alexander und alle, die mit dem Hohenpriester verwandt waren, zu Jerusalem versammelt wurden. V.7. Und als sie sie in die Mitte setzten, fragten sie: Durch welche Macht oder durch welchen Namen habt ihr das getan? Am nächsten Morgen herrschte große Aufregung in den offiziellen Kreisen Jerusalems; denn wollten sie nicht die verhasste Sekte ausrotten, die in ihrer Mitte mit so erschreckender Schnelligkeit Anhänger gewann? Es war also eine sehr förmliche und sehr volle Sitzung des Sanhedrins, die zusammenkam, sobald sie alle benachrichtigt werden konnten; denn der Text scheint darauf hinzuweisen, dass einige außerhalb der Stadt lebten. Es waren die Obersten, die Ältesten und die Schriftgelehrten, d.h. die prominentesten und einflussreichsten Mitglieder der Priesterschaft, vor allem Sadduzäer, die sich durch ihr Alter und ihre Gelehrsamkeit von den anderen abhoben, und die Berufsjuristen, die im Allgemeinen zu den Pharisäern gehörten. An erster Stelle standen jedoch die Mitglieder der hochpriesterlichen Familie: Hannas, der zwar von den Römern in den Ruhestand versetzt wurde, aber viele Rechte und Pflichten des Amtes behielt; Kaiphas, sein Schwiegersohn und der eigentlich zuständige Hohepriester; Johannes, Alexander und wer sonst noch zu den Verwandten des Hohenpriesters gehörte. „Hannas, den Lukas sowohl hier als auch in seiner früheren Erzählung Hohepriester nennt, war der rechtmäßige Hohepriester, aber er war von Valerius Gratus, dem Vorgänger des Pilatus, abgesetzt worden, und Kaiphas, sein Schwiegersohn, war durch dasselbe unrechtmäßige Verfahren an seine Stelle gesetzt worden, so dass, während der letztere das Amt innehatte, der andere rechtmäßig dazu berechtigt war und vom Volk als Hohepriester anerkannt wurde.“[13] Nachdem das Konzil feierlich eröffnet worden war und die Mitglieder in einem Halbkreis saßen, wurden die beiden Apostel in die Mitte vor sie gestellt. Aus Vers 14 geht hervor, dass der ehemalige Krüppel, der nicht wollte, dass seine Wohltäter angeklagt wurden oder ohne seine Anwesenheit und sein Mitgefühl leiden mussten, ebenfalls erschien und seinen Platz neben ihnen einnahm. Die Angeklagten wurden nun förmlich aufgefordert, Rechenschaft über ihr Handeln abzulegen: Durch welche Macht und in welchem Namen habt ihr das getan? Das Wunder selbst konnte nicht geleugnet werden. Die hochmütige und etwas spitze Frage zielte darauf ab, herauszufinden, welche Art von Macht und Autorität sich die Apostel anmaßen; kraft welchen Namens sie es wagen, solche Taten zu vollbringen. Es scheint, dass das Gericht den Aposteln den Vorwurf der Wahrsagerei oder Zauberei anhängen wollte. Vgl. 5. Mose 13. Die jüdischen Führer könnten übrigens gehofft haben, dass Petrus und Johannes bei der Beantwortung der absichtlich unbestimmten Frage unvorsichtige Worte sagen und so einen echten Grund für einen Prozess liefern würden.

 

    Die Verteidigungsrede des Petrus (V. 8-12): Bei Petrus erfüllte sich nun, was Jesus verheißen hatte, Luk. 12,12. Er wurde mit dem Heiligen Geist erfüllt; der Heilige Geist nahm sich seines Verstandes und seines Mundes an und lenkte das Handeln von beiden. Die Frage des Konzils bezog sich auf den Namen und die Autorität, in der die Apostel handelten. Feierlich, nachdrücklich und kühn wendet sich Petrus an sie als Vorsteher des Volkes und Älteste und bekennt sich zu seinem Glauben und zu seinem Amt. Er übergeht nicht das spöttische „Ihr“ der Frage, sondern stellt fest: Wenn wir, über die ihr spottet, wegen der guten Tat an dem Kranken geprüft werden, wie es der Fall ist. Man beachte die feine rhetorische Ironie in dieser Aussage. Sie wirft den jüdischen Oberhäuptern vor, dass sie aus Taten der Güte und Wohltätigkeit ein Verbrechen machen. Da die Mitglieder des Rates wissen wollten, auf welche Weise, mit welchen Mitteln oder „in wem“ dieser Mann vollständig geheilt worden war, sollte nicht nur ihnen allen, sondern auch dem ganzen Volk Israel bekannt sein, dass dieser Mann in voller Gesundheit vor ihnen stand, präsentiert wurde, im Namen Jesu Christi von Nazareth, den sie gekreuzigt hatten, den Gott aber von den Toten auferweckt hatte. Dies war die Antwort des Petrus, eine Aussage, die keines Beweises bedurfte; denn die Richter konnten nicht leugnen, dass das Wunder tatsächlich an dem Mann, der vor ihnen stand, vollbracht worden war. Und um die Behauptung des Petrus über die Art und Weise des Wunders zu widerlegen, konnten sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine andere Macht oder keinen anderen Namen anführen, durch den eine solche Tat hätte geschehen können. Die Freimütigkeit des Petrus wird nur durch seine Kühnheit übertroffen. Denn er treibt seinen Vorteil absichtlich noch weiter, indem er seinen Richtern die Stelle Ps. 118,22 vor Augen hält, die Jesus kurz zuvor vor einem Ausschuss desselben Sanhedrins zitiert hatte (Matth. 21,42; Mark. 12,10; Luk. 21,17). Die Obersten der Juden waren wie Menschen, die ein Haus bauen wollten und törichterweise den einzigen Stein verwarfen, der für die Ecke des Fundaments zur Verfügung stand, auf dem das ganze Gebäude ruhen sollte. Jesus war der Stein, den Gott als Fundament für seine Kirche bestimmt hatte. Aber die Juden hatten Christus verworfen und damit das Gericht über sich selbst gesprochen. Trotz alledem war und bleibt Jesus der Eckstein, das Fundament des heiligen Tempels, den er sich selbst errichten will. Und nicht nur das, sondern, wie Petrus freudig ausruft: In keinem anderen ist das Heil, denn es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel, der unter den Menschen gegeben ist, in dem wir gerettet werden müssen. Das durch Jesus erworbene Heil ist vollkommen, und es ist das einzige Heil, das es überhaupt gibt. Sein Name, das Wort der Erlösung, ist gegeben, wird mitten unter den Menschen, in der ganzen Welt, verkündet, und wer gerettet werden will, muss sich an diese eine Quelle und den Urheber des ewigen Lebens wenden. „An den Namen Christi kann ich nur glauben, wenn ich höre, dass das Verdienst Christi gepredigt wird, und wenn ich es annehme. Deshalb werden wir durch den Glauben an den Namen Christi und nicht durch das Vertrauen auf unsere Werke gerettet. Denn das Wort "Name" bedeutet an dieser Stelle den Grund, durch den und aufgrund dessen die Errettung kommt. Den Namen Christi zu rühmen und zu bekennen, ist daher so viel, wie auf den zu vertrauen, der allein Christus ist und genannt wird, als den Grund meines Heils und meinen Schatz, durch den ich gerettet werde.“[14]

 

    Die Beratung des Sanhedrin (V. 13-18): Die jüdischen Machthaber hatten erwartet, dass Petrus und Johannes in ihrer Gegenwart Furcht oder Schüchternheit zeigen, dass sie von der Würde und Gelehrsamkeit der Ratsmitglieder eingeschüchtert würden. Stattdessen aber war in ihrem Auftreten eine Freiheit und Zuversicht und in der Rede des Petrus eine furchtlose Offenheit zu spüren, die ihnen Respekt abnötigte. Je länger sie das Verhalten der Männer betrachteten, desto mehr drängte sich ihnen diese Überzeugung auf. Und dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass die Richter entweder an ihrer Kleidung oder an ihrem Dialekt erkannten, dass die beiden Männer, die vor ihnen standen, wirklich ungelehrte und unwissende Männer waren, dass sie nicht nur nicht im Gesetz und in der ganzen jüdischen Gelehrsamkeit bewandert waren, sondern sogar nicht schreiben konnten, also ganz und gar Analphabeten waren. Und es gab noch einen weiteren Punkt, den die Mitglieder des Rates nun feststellten, nämlich, dass diese Männer zu der kleinen Schar der Nachfolger Christi gehört hatten. Diese Erkenntnis kam ihnen zu diesem Zeitpunkt, da sie Petrus und Johannes beide als Begleiter Jesu gesehen hatten und Johannes ein persönlicher Bekannter des Kaiphas war, Joh. 18,15.18. Kein Wunder, dass all diese Tatsachen, die allmählich das Bewusstsein der Richter absorbierten, sie in verlegenes Schweigen versetzten. Denn was das Wunder betraf, so wäre jeder Versuch, es zu leugnen, mehr als zwecklos gewesen, da der ehemalige Krüppel vor ihren Augen aufrecht und gesund auf seinen Füßen stand. Die Beweise für das Wunder sprachen nicht weniger eindringlich als die Apostel selbst. Und so hatten die Obersten nichts zu sagen. Schließlich wurde das Schweigen durch den Vorschlag und den darauf basierenden Befehl gebrochen, dass die Männer den Ratssaal für einige Zeit verlassen sollten, da sie zweifelsohne unter Bewachung hinausgeführt wurden. Nun konnten die Richter frei über die Angelegenheit nachdenken; sie tauschten ihre Gedanken und Meinungen zu dem Fall aus. Der Kern der Diskussion wird von Lukas wiedergegeben. Es war nicht zu leugnen, dass ein ganz offensichtliches Wunder geschehen war, von dem auch die ganze Bevölkerung Jerusalems Kenntnis erlangt hatte. Der Versuch, diese Tatsachen zu leugnen, wäre schlimmer als nutzlos gewesen, es wäre eine Dummheit der extremsten Art gewesen. Dennoch schlug jemand vor, die Ausbreitung der Wahrheit zu stoppen, und der Vorschlag wurde eifrig in die Tat umgesetzt. Damit die Botschaft und die Bewegung, die sie begleitete, sich nicht weiter ausbreitete und unter das gemeine Volk gestreut wurde, wie die Saat, die eine reiche Ernte versprach, beschloss man ernsthaft, den Aposteln zu drohen, dass sie nicht mehr über den Namen Jesu sprechen und ihn und sein Evangelium zum Gegenstand ihrer Reden machen sollten. Mit niemandem aus dem Volk, mit keinem einzigen Menschen, sollten sie über den Namen sprechen, den sie über alle anderen Namen verehrten. Anmerkung: Die ungläubigen Kinder dieser Welt können nicht leugnen, dass die Macht Gottes in der Lehre und im Leben der Christen mächtig ist. Und doch bleiben sie dem Namen Christi feindlich gesinnt und setzen alles daran, die Verkündigung des Evangeliums zu unterdrücken. So handeln die Ungläubigen mit ihrem Unglauben und ihrer Feindschaft gegen Christus in direktem Gegensatz zu ihrem eigenen Gewissen und ihrer besseren Erkenntnis.

 

    Der Beschluss wird Petrus und Johannes mitgeteilt (V. 19-22): Petrus und Johannes wurden nun wieder in die Sitzung des Rates gerufen, und der Beschluss wurde ihnen in seiner strengsten Auslegung mitgeteilt. Sie sollten auf keinen Fall ein Wort über den Namen Jesu verlieren oder lehren. Sie sollten nicht einmal in einem privaten Gespräch, geschweige denn vor einer öffentlichen Versammlung, etwas über Jesus sagen oder lehren. Es war ein zusammenfassendes und umfassendes Verbot. Aber sowohl Petrus als auch Johannes erklärten ohne zu zögern, dass sie sich über die Anordnung des Sanhedrins hinwegsetzen wollten, ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit oder auch nur den Anschein von Zweckmäßigkeit. Dabei appellierten sie bescheiden, aber bestimmt an das Gewissen der Richter. Ob es dem Recht und der Gerechtigkeit vor Gott entspreche, ihnen zu gehorchen und nicht Gott, sollten sie selbst beurteilen. Wenn wir wie vor Gott handeln und dem Diktat der ewigen Wahrheit und Gerechtigkeit folgen, wagen wir nicht zu schweigen. Es kann nicht richtig sein, Menschen entgegen dem Willen und dem Gebot Gottes zu gehorchen. Es ist für uns unmöglich, das, was wir gesehen und gehört haben, nicht auszusprechen. Den Gläubigen in Christus ist alles möglich, aber es ist ihnen unmöglich zu schweigen, wenn es um das Wort und die Ehre Gottes und ihres Herrn Jesus Christus geht. Denn Schweigen ist in diesem Fall gleichbedeutend mit Verleugnung, und Verleugnung bedeutet, aus der Gnade zu fallen. So wurde die trotzige Weigerung vor dem Sanhedrin vorgetragen, dessen Mitglieder sich außerstande sahen zu reagieren. Sie waren gezwungen, sich mit einem anderen zu begnügen, mit einer zusätzlichen, ernsthaften Drohung, was geschehen würde, wenn sie es wagten, ungehorsam zu sein. Dies war also der traurige Höhepunkt der Rachebemühungen des Sanhedrins. Sie waren gezwungen, die beiden Apostel zu entlassen; es gab keinen Fall, keinen Grund, warum sie sie bestrafen sollten. Und ihre Furcht vor dem Volk war ein weiterer Faktor, der zur Besonnenheit mahnte. Denn alle Menschen waren voll des Lobes gegenüber Gott über das vollbrachte Wunder, das umso bemerkenswerter war, als der frühere Krüppel nicht nur von Geburt an lahm gewesen war, sondern zum Zeitpunkt seiner Heilung bereits über vierzig Jahre alt war. Insgeheim hegten die Mitglieder des Rates natürlich ihren Groll und waren fest entschlossen, die erste sich bietende Gelegenheit zu nutzen, um einen entscheidenden Schlag zu führen. Merke: Die wahren Christen sind von missionarischem Eifer erfüllt, wo immer sie hingehen und was immer sie unternehmen. Und wenn Menschen versuchen, sie zu behindern, wenn die Regierung die Verkündigung des Evangeliums verbietet, weigern sie sich, sich dem Willen der Menschen zu fügen, und sind Gott gehorsam, der ihnen befohlen hat, Christus zu bekennen und das Evangelium zu predigen.

 

Das Gebet und die weitere Festigung der Gemeinde (4,23-37)

    23 Und als man sie hatte lassen gehen, kamen sie zu den Ihren und verkündigten ihnen, was die Hohenpriester und Ältesten zu ihnen gesagt hatten. 24 Da sie das hörten, erhoben sie ihre Stimme einmütig zu Gott und sprachen: HERR, der du bist der Gott, der Himmel und Erde und das Meer und alles, was drinnen ist, gemacht hat; 25 der du durch den Mund Davids, deines Knechts, gesagt hast: Warum empören sich die Heiden, und die Völker nehmen vor, was umsonst ist? 26 Die Könige der Erde treten zusammen, und die Fürsten versammeln sich zuhauf gegen den HERRN und gegen seinen Christ: 27 Wahrlich ja, sie haben sich versammelt über dein heiliges Kind Jesus, welchen du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und dem Volk Israel, 28 zu tun, was deine Hand und dein Rat zuvor bedacht hat, das geschehen sollte.

    29 Und nun, HERR, siehe an ihr Drohen und gib deinen Knechten, mit aller Freudigkeit zu reden dein Wort, 30 und strecke deine Hand aus, dass Gesundheit und Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen deines heiligen Kindes Jesus. 31 Und da sie gebetet hatten, bewegte sich die Stätte; da sie versammelt waren; und sie wurden alle des Heiligen Geistes voll und redeten das Wort Gottes mit Freudigkeit.

    32 Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch keiner sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. 33 Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung des HERRN Jesus, und war große Gnade bei ihnen allen. 34 Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wieviel ihrer waren, die da Äcker oder Häuser hatten, verkauften sie diese und brachten das Geld des verkauften Guts 35 und legten’s zu der Apostel Füßen; und man gab einem jeglichen; was ihm not war. 36 Joses aber, mit dem Zunamen von den Aposteln genannt Barnabas (das heißt, ein Sohn des Trostes), vom Geschlecht ein Levit aus Zypern, 37 der hatte einen Acker und verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es zu der Apostel Füßen.

 

    Der Bericht der Apostel und das Gebet der Gemeinde (V. 23-28): Durch die Kraft des Zeugnisses des Geistes durch den Mund der Apostel waren die Feinde besiegt worden. Die beiden Jünger wurden entlassen, weil sie nichts mehr gegen sie vorzubringen hatten. Sie kamen zu den Ihren, zu ihren Mitjüngern, die nach ihrer Gewohnheit versammelt waren. Diesen Mitgliedern der christlichen Gemeinde berichteten sie, was die Hohenpriester und Ältesten, die Mitglieder des Sanhedrins, zu ihnen gesagt hatten. Das Ergebnis war ein spontaner Gebetsausbruch der gesamten Versammlung in Form eines Hymnus, der in die Sprache der Psalmen gekleidet war. Hier zeigte sich das kraftvolle geistliche Leben der ersten Christen, und der Geist selbst lehrte sie die Worte ihres kraftvollen Gebets. Sie richteten ihr Gebet an den allmächtigen Herrn des Universums, an den, der Himmel und Erde und das Meer und alle Geschöpfe, die sie bewohnen, gemacht hat, vor dem nichts unmöglich ist, der die Geschicke der ganzen Welt in seiner Hand hält und sie nach seinem Willen lenkt. Es war dieser Gott, der David zu den Worten des zweiten Psalms inspiriert hatte, wie wir hier erfahren. Er war es, der durch seinen Diener David die Frage stellte: "Warum machen die Völker so viel Aufruhr, und die Menschen denken über Dinge nach, die eitel und töricht sind? Der Hochmut und die Anmaßung aller Menschen ist von Natur aus nur mit der Eitelkeit, der Leere ihrer Bestrebungen vergleichbar. Dies war Beweis genug für die Wahrheit der Prophezeiung. Die Könige der Erde und die Machthaber hatten sich gegen den Herrn und gegen seinen Christus versammelt. Ganz gleich, ob sie sonst in erbitterter Feindschaft zueinander standen, sie vergaßen alle ihre Differenzen, wenn ein gemeinsames Vorgehen gegen das Wort und Werk Gottes und Christi geplant war. Sicherlich, wie die Beweise vor den Augen aller Menschen deutlich zeigten, verbündeten sie sich gerade in dieser Stadt gegen das heilige Kind Gottes, seinen Sohn Jesus: Herodes und Pontius Pilatus, die Heiden und die Völker Israels - sie alle waren gegen den Gesalbten Gottes vereint. Sie konnten natürlich nur das tun und durchsetzen, was die Hand des Herrn und sein Rat vorhergesehen und gewusst hatten, dass es getan werden würde. Gott lenkte immer noch die Geschicke der Nationen und auch der Menschen. Das war die Situation. Die Feindschaft war da; sie richtete sich gegen den Herrn und seinen Christus; die Gläubigen wussten, dass nichts ohne das Vorherwissen und die Erlaubnis Gottes geschehen konnte. Beachten Sie, dass in dem Gebet kein Hinweis auf einen rachsüchtigen oder nachtragenden Geist zu finden ist, sondern nur ein völliges Vertrauen in den Herrn.

 

    Der Schluss des Gebetes und Gottes Antwort (V. 29-31): Die Gemeinde kam nun zu ihrem besonderen Gebet. Die Drohungen der Feinde konzentrierten sich auf ihre kleine Herde; der Sturm schien sich über sie zu legen. Von dieser Tatsache sollte der Herr Kenntnis nehmen, nicht um die Glaubensprüfung zu unterdrücken oder zu beseitigen, wenn seine Weisheit es für das Beste halten sollte, die Versuchungen kommen zu lassen, sondern um ihnen, seinen Dienern, die nötige Kraft zu geben, sein Wort mit aller Kühnheit zu reden und zu verkünden, ohne Furcht oder Gnade. Zu diesem Zweck sollte er die Verkündigung seiner Wahrheit unterstützen, indem er seinen allmächtigen Arm ausstreckt und sie mit Heilungswundern, Zeichen und Wundern bestätigt, indem er sie im Namen und in der Kraft seines heiligen Kindes, seines Sohnes Jesus, geschehen lässt. Der Name des Mannes, den die Juden verachtet und gekreuzigt hatten, sollte durch diese Manifestationen seiner Macht unter ihnen verherrlicht werden. Das waren die beiden Gaben, die die Gemeinde und alle ihre Mitglieder damals brauchten: erstens die Kraft und die Bereitschaft, das Wort mit Mut und Freude zu verkünden, und zweitens die Fähigkeit, zu helfen und zu heilen, als Beweis dafür, dass der allmächtige Gott und die Kraft des erhöhten Christus mit ihnen wohnt. Noch während sie dieses Gebet verrichteten, gab der Herr ein Zeichen, dass er sie erhört hatte. Denn der Ort, an dem sie versammelt waren, bewegte sich, war aufgewühlt, was die göttliche Gegenwart anzeigte. Außerdem wurden sie alle mit dem Heiligen Geist erfüllt; es gab eine besondere Demonstration seiner Macht, die sie befähigte, das Wort mit aller Kühnheit und Kraft zu reden und zu verkünden. Dies war von nun an ein ständiges Handeln der Jünger; ohne die göttliche Kraft in ihnen wäre das Wachstum der Kirche angesichts solcher Widerstände nicht zu erklären. Beachte: Die Kirche des Herrn hat inmitten des Wütens und der Drohungen ihrer Feinde stets Zuflucht bei dem allmächtigen Gott gesucht und gefunden. Denn Gott erhört immer das Rufen seiner bedrängten Kinder und gibt ihnen Kraft und Mut, das Evangelium inmitten seiner Feinde zu verkünden.

 

    Die Einheit und die Liebestaten der Gemeinde (V. 32-37): Es war nun eine Schar von Gläubigen, eine Gemeinde von etwa fünftausend Männern, Frauen und Kinder nicht mitgezählt. Und über sie alle berichtet Lukas das höchste Lob, das einer christlichen Gemeinde zuteil werden kann. Sie waren gläubig, denn sie hielten sich eng an die Lehre der Apostel, d.h. an die Lehre Christi. Aufgrund dieses Glaubens waren sie ein Herz und eine Seele; es herrschte vollkommene Harmonie in Zuneigung und Denken; es herrschte wahre Einigkeit im Geist. Es mag bemerkenswert erscheinen, dass Menschen aus so unterschiedlichen sozialen Verhältnissen und Bedingungen so gründlich übereinstimmen und so vollkommen harmonisch sein können, aber das ist die Kraft des Glaubens an Jesus. Und es gab noch eine weitere Manifestation des Glaubens an ihren Herrn und der Liebe zu ihm, nämlich eine Selbstlosigkeit, die sie dazu veranlasste, sich um die Not ihres Nächsten mit derselben Liebe und Sorgfalt zu kümmern wie um ihre eigene. Die Güter eines jeden Gliedes standen den anderen Gliedern zur Verfügung, wenn sie Hilfe brauchten. Niemand beanspruchte das Recht auf absoluten Besitz. Dies war nicht der Ausdruck phantastischer und illusorischer sozialistischer Theorien oder eines absoluten Kommunismus, sondern eine spontane Manifestation christlicher Liebe. Dieser Geist wurde durch die Tatsache lebendig gehalten und gestärkt, dass die Apostel mit großer Kraft Zeugnis von der Auferstehung Jesu Christi gaben. Es war der Geist, die Liebe des auferstandenen Christus, der in den Jüngern lebte, der sie anspornte und sie dazu veranlasste, ein solches Zeugnis wahrer und selbstloser Liebe abzulegen. Es war das Ergebnis ihrer Annahme des auferstandenen Herrn durch den Glauben, das ihnen allen große Gnade brachte, Gunst bei Gott im Bewusstsein seiner Barmherzigkeit und Gunst bei den Menschen wegen der unerhörten Selbstlosigkeit und reinen Nächstenliebe, die sie praktizierten. Lukas wiederholt, dass keiner von ihnen in Not zu sein oder zu leiden brauchte, denn die reicheren Mitglieder, diejenigen, die Ländereien oder Häuser besaßen, verkauften sie freiwillig und ohne jegliches Drängen und brachten den Aposteln den Erlös aus dem Verkauf, damit er an alle Bedürftigen verteilt werden konnte. Die Gemeinde überließ damals freiwillig den Lehrern das Recht, diese Gelder in Empfang zu nehmen und ihre ordnungsgemäße Verteilung zu überwachen. Von den wohlhabenden Jüngern ist das Beispiel eines besonders erwähnenswert. Es handelt sich um einen gewissen Joseph, den die Apostel Barnabas (Sohn des Trostes) nannten. Er war Jude und hatte vor seiner Bekehrung das Amt eines Leviten ausgeübt. Er stammte von der Insel Zypern, wo er Besitzer eines Feldes war. Ursprünglich war es den Leviten nicht erlaubt, Landbesitz zu haben, 4. Mose 18,20; 5. Mose 10,9, aber seit dem babylonischen Exil wurde die Verteilung von Land und der Unterhalt der Leviten nicht mehr so streng nach dem mosaischen Gesetz gehandhabt, Neh. 13,10-14. Außerdem konnten sie Land durch Kauf oder Erbschaft besitzen, Jer. 32,7-12. Barnabas, der von der Liebe zu seinen bedürftigen Brüdern erfüllt war, verkaufte sein Land und brachte das Geld zu den Aposteln, so wie es die meisten seiner Mitchristen taten. Hinweis: Die Feindschaft der Welt führt nicht zum Schaden der Kirche. Inmitten von Kreuz und Trübsal, von Nöten und Schwierigkeiten wird die Kirche gefestigt, und Glaube und Liebe werden gestärkt. Wenn die Welt zu wüten und zu drohen beginnt, halten sich die wahren Christen umso fester an das Wort, und dieses Wort zeigt seine Kraft, indem es ihre Herzen immer fester an sich bindet.

 

Zusammenfassung: Petrus und Johannes, die vor dem Sanhedrin angeklagt sind, verteidigen sich und ihre Sache zur Verwirrung ihrer Richter; sie berichten die Sache der Gemeinde, die die drohende Feindschaft im Gebet vor Gott legt und im Glauben und in der Liebe gefestigt wird.

 

 

Kapitel 5

 

Ananias und Saphira (5,1-11)

    1 Ein Mann aber mit Namen Ananias samt seiner Frau Saphira verkaufte seine Güter 2 und entnahm etwas vom Geld mit Wissen seiner Frau und brachte einen Teil und legte es zu der Apostel Füßen. 3 Petrus aber sprach: Ananias, warum hat der Satan dein Herz erfüllt, dass du dem Heiligen Geist lügst und entwendetest etwas vom Geld des Ackers? 4 Hättest du ihn doch wohl können behalten, da du ihn hattest, und da er verkauft war, war es auch in deiner Gewalt. Warum hast du denn solches in deinem Herzen vorgenommen? Du hast nicht Menschen, sondern Gott gelogen. 5 Da Ananias aber diese Worte hörte, fiel er nieder und gab den Geist auf. Und es kam eine große Furcht über alle, die dies hörten. 6 Es standen aber die Jünglinge auf und taten ihn beiseite und trugen ihn hinaus und begruben ihn.

    7 Und es begab sich über eine Weile, bei drei Stunden, kam seine Frau hinein und wusste nicht, was geschehen war. 8 Aber Petrus antwortete ihr: Sage mir, habt ihr den Acker so teuer verkauft?  Sie sprach: Ja, so teuer. 9 Petrus aber sprach zu ihr: Warum seid ihr denn eins worden, zu versuchen den Geist des HERRN? Siehe, die Füße derer, die deinen Mann begraben haben, sind vor der Tür und werden dich hinaustragen. 10 Und alsbald fiel sie zu seinen Füßen und gab den Geist auf. Da kamen die Jünglinge und fanden sie tot, trugen sie hinaus und begruben sie bei ihrem Mann. 11 Und es kam eine große Furcht über die ganze Gemeinde und über alle, die solches hörten.

 

    Die Sünde und der Tod des Ananias (V. 1-6): Lukas hatte soeben ein Beispiel wahrer, wohltätiger Selbstlosigkeit im Verhalten des Barnabas von Zypern geschildert. Leider verleitet die Anerkennung und das Lob, das Menschen zuteil wird, die echte Nächstenliebe gezeigt haben, oft Heuchler dazu, große Liebe vorzutäuschen und zu zeigen, damit auch sie Worte bekommen, die für ihre juckenden Ohren angenehm klingen. In das Paradies der frühen Kirche ist die Schlange der Selbstsucht und des Verderbens eingedrungen. Lukas stellt keine Überlegungen an und fügt keine Moral hinzu, sondern hält sich an seine Gewohnheit, einfach die Fakten der Geschichte zu erzählen. Es war ein Mann, ein Mitglied der Gemeinde in Jerusalem, mit dem Namen Ananias („dem Jahwe gnädig war“). Der Name seiner Frau, die ebenfalls zu den Bekennern des Christentums gehörte, war Saphira (Saphir, "die Schöne"). Nun waren sowohl Ananias als auch seine Frau bestrebt, sich als Wohltäter ihrer ärmeren Brüder zu erweisen, und so verkauften sie ihren Besitz, wahrscheinlich mit einigem Aufsehen. Aber ihr Interesse an den Armen war nur Schein, und um den guten Willen Gottes scherten sie sich nicht. Sie sonderten einen bestimmten Teil des Verkaufserlöses ab und machten ihn sich zu eigen. Es wird ausdrücklich gesagt, dass Saphira von dieser Vereinbarung wusste, dass sie mit ihrem vollen Wissen und ihrer Zustimmung getroffen wurde; sie war genauso schuldig wie ihr Mann. „Wenn wir versuchen, das Motiv des schuldigen Paares zu analysieren, werden wir feststellen, dass ihre Tat ein Kompromiss zwischen zwei unheiligen Wünschen war. Der Wunsch, von den Menschen gelobt zu werden, wie es Barnabas und einigen anderen zuteil geworden war, veranlasste sie zum Verkauf und zur Schenkung, während die Liebe zum Geld, die sie immer noch zu sehr beherrschte, sie dazu veranlasste, einen Teil zu behalten, während sie vorgaben, alles zu geben.“[15] Nachdem sie sich entschieden hatten, nahm Ananias die Geldsumme, die sie beschlossen hatten, um ihren Ruhm als Spender von Almosen zu begründen, brachte sie zum Versammlungsort der Apostel und der Gemeinde und hinterlegte sie an der üblichen Stelle. Die Tat, die das schuldige Paar beging, war nicht nur ihre Sünde als Einzelne, sondern brachte die ganze Kirche in große Gefahr. Denn wenn andere von dieser List erfahren würden, wären sie geneigt, die gleiche Heuchelei zu betreiben. Wenn aber Integrität und Wahrheit in der Gemeinde verschwinden würden, würde die Kirche Christi ihren hellsten Schmuck verlieren, und pharisäische Heuchelei würde an die Stelle christlicher Heiligkeit treten. "Es war daher von entscheidender Bedeutung für die Kirche, dass die Einführung eines Übels von solchem Ausmaß auf einen sofortigen und wirksamen Widerstand stoßen würde. Dementsprechend stellte Petrus dem Ananias die herzzerreißende Frage: Wie kommt es, dass der Satan dein Herz erfüllt hat, den Heiligen Geist zu belügen? Wie der Teufel der Urheber jeder Sünde und Übertretung ist, so gab er auch hier die Idee der Bosheit und des Betrugs in das Herz des Ananias. Denn indem er ein Wohlwollen vortäuschte, das er keineswegs empfand, hatte er nicht so sehr die Menschen, Petrus, die Apostel und die Gemeinde belogen, sondern den Heiligen Geist, der durch die Apostel sprach und handelte, der in der christlichen Gemeinde lebte und wirkte. Er hatte den Geist Gottes versucht, der Herz und Verstand prüft, der als wahrer Gott die innersten Gedanken des Herzens eines jeden Menschen kennt. Und Petrus erinnerte Ananias sehr treffend daran, dass es sein Eigentum war, das er behalten konnte, wenn er es wollte; es gab keine Zwangsgemeinschaft in der Gemeinde. Und wenn er sich entschlossen hätte, sein Eigentum zu verkaufen und das ganze Geld zu behalten, so lag das ganz in seiner eigenen Macht. Es wäre sogar seine Sache gewesen, wenn er offen gesagt hätte, dass er nur einen Teil des Erlöses mitnehmen würde, da er den Rest selbst verwenden wollte. Aber sein Herz war darauf bedacht, sich durch Wohltätigkeit und Wohltätigkeit Anerkennung zu verschaffen, die er nicht besaß. „Die Tatsache, dass sie ihren Besitz verkauften, um ihn angeblich in den gemeinsamen Bestand einzubringen, gab ihnen keine weitere Kontrolle darüber und kein Eigentum daran; und ihre Behauptung, das Geld, das sie mitbrachten, sei der gesamte Erlös aus dem Verkauf, war eine direkte Lüge und ein Versuch, den Heiligen Geist zu täuschen, unter dessen Einfluss sie vorgaben zu handeln. Dies war die Schuld ihrer Sünde.“[16] Anmerkung: Die Tatsache, dass der Satan das Herz des Ananias erfüllt hatte und dass er diese Sache in seinem eigenen Herzen erdacht hatte, wird auf eine Stufe gestellt. Die Tatsache, dass Ananias der Überredung und Versuchung des Teufels nachgegeben hatte, legte die Verantwortung, die Schuld, auf ihn. Das Gleiche gilt für jeden Sünder bei jeder Sünde, die er begeht, vor allem, wenn sie mit so viel Vorsatz begangen wird wie in diesem Fall. Beachte auch: Indem er den Heiligen Geist belog, hatte Ananias Gott selbst belogen, denn der Heilige Geist ist wahrer Gott mit dem Vater und dem Sohn. Betrug und Heuchelei jeder Art sind offen vor seiner Allwissenheit, wie jeder, der sich dieser Sünden schuldig gemacht hat, früher oder später zu seinem großen Leidwesen feststellen wird. Die Sünde des Ananias erhielt sofort ihre Verurteilung und eine Strafe, die eine Warnung für alle Zeiten sein soll. Denn kaum hatte Petrus seine ernste Zurechtweisung beendet, kaum hatte der Schuldige diese Worte gehört, da fiel er nieder und hauchte seine Seele aus; er starb sofort, getroffen vom Zorn des Heiligen Geistes. Die Hinrichtung war so offensichtlich ein Akt Gottes, dass alle, die die Strafe sahen und die Worte hörten, mit denen sie einherging, in große Furcht gerieten. Wenn Gott spricht, wird das Herz des sündigen Menschen mit Ehrfurcht erfüllt. Und die jungen Männer der Gemeinde, nicht eine besondere Klasse oder gesonderte Gruppe, sondern die jüngeren Mitglieder der Zuhörerschaft, erhoben sich von ihren Plätzen. Es war weder Zeit für eine Klage noch für eine aufwendige Beerdigungszeremonie, wenn die Anwesenden dazu geneigt gewesen wären; es gab kein Weinen und keine Verzögerung. Die jungen Männer wickelten den Toten in seinen eigenen Mantel, trugen ihn hinaus und begruben ihn. Das ist das Ende derer, die die Gnade des Herrn missbrauchen. Lasst euch nicht täuschen, Gott lässt sich nicht spotten.

 

    Der Tod von Saphira (V. 7-11): Ob Saphira die Information über den Tod ihres Mannes auf Befehl des Petrus vorenthalten wurde oder ob die Ehrfurcht vor dem Vorfall, dessen Zeuge sie geworden waren, die Mitglieder davon abhielt, die Geschichte weiterzugeben, ist unerheblich. Nach einer Pause von etwa drei Stunden kam Saphira, die vielleicht wegen der langen Abwesenheit von Ananias beunruhigt war, zum Versammlungsort der Gemeinde. Sie war fest entschlossen, sich an die Abmachung mit ihrem Mann bezüglich des Geldes zu halten, ohne zu wissen, dass sein Schicksal schon Stunden zuvor besiegelt worden war. Als Petrus ihr deshalb die Frage stellte, ob sie für genau diese Summe, die noch dort lag, ihr Eigentum verkauft hätten, antwortete sie ohne zu zögern: Ja, für genau so viel. Die Frage des Petrus war ein letzter Appell an ihr Gewissen gewesen, eine letzte Ermahnung, die Wahrheit zu sagen und Gott alle Ehre zu geben. Aber sie missachtete die Ermahnung, verharrte in ihrer Sünde und unterstützte die gemeine Lüge ihres Mannes. Es war ein vorsätzliches Verharren in der Sünde, in der Heuchelei. Beachten Sie die dramatische Intensität der Erzählung. Petrus sprach nun im Namen Gottes, als Prophet des Herrn, das Urteil über sie aus. Aus welchem Grund und zu welchem Zweck hast du dich bereit erklärt, den Geist Gottes zu verführen, um zu sehen, ob es möglich ist, sowohl ihn als auch seine Kirche zu verführen? Die Füße derer, die deinen Mann hinaustrugen, stehen vor der Tür und werden dich hinaustragen. Und kaum hatte Petrus das Urteil des Herrn ausgesprochen, da fiel Saphira nieder, wie ihr Mann vor ihr, und hauchte auch ihr Leben aus. Und die jungen Männer kamen herein, fanden sie tot und begruben sie neben ihrem Mann, damit sie im Tod mit ihm vereint sei, wie sie es im Leben gewesen war. Das war ein schreckliches, aber gerechtes Gericht, das der Herr hier inmitten der ersten Gemeinde vollzog. Durch diese Tat erklärte Gott der Kirche aller Zeiten, dass die Heuchler in seinen Augen ein Gräuel sind. Es kommt in unseren Tagen nur selten vor, dass der Herr seine rächende Macht auf die gleiche Weise kundtut wie hier, aber seine Hand wird auch heute nicht verkürzt, wenn seine Ehre auf dem Spiel steht. Anmerkung: Die Sünde des Ananias und der Saphira wiederholt sich im modernen kirchlichen Leben, auch im Zusammenhang mit der Kasse des Herrn, nämlich dann, wenn Gemeindeglieder übertriebene Angaben über ihre Spenden machen oder ihr Einkommen zu niedrig angeben, um ihren Beitrag für das Reich Gottes über den der anderen herauszustellen. Das Ergebnis dieser Geschichte sollte vielmehr sein, dass, wie damals, eine große Furcht über die Menschen kommt, sowohl über die, die Mitglieder der Kirche sind, als auch über die, die noch außerhalb stehen, aber von dieser Manifestation der Macht Gottes hören. Derselbe Gott, der über Ananias und Saphira zu Gericht saß, wird es nicht versäumen, auf seine Weise und zu der von ihm bestimmten Zeit die Sünden über diejenigen zu bringen, die dem Beispiel dieser beiden Heuchler folgen.

Die Blüte der Gemeinde (5,12-16)

    12 Es geschahen aber viele Zeichen und Wunder im Volk durch der Apostel Hände, und waren alle einmütig in der Halle Salomos. 13 Der anderen aber durfte sich keiner zu ihnen tun, sondern das Volk hielt groß von ihnen. 14 Es wurden aber je mehr zugetan, die da glaubten an den HERRN, eine Menge der Männer und der Frauen, 15 so dass sie die Kranken auf die Gassen heraustrugen und legten sie auf Betten und Bahren, auf dass, wenn Petrus käme, sein Schatten ihrer etliche überschattete. 16 Es kamen auch herzu viele von den umliegenden Städten gen Jerusalem und brachten die Kranken, und die von unsauberen Geistern gepeinigt waren; und sie wurden alle gesund.

 

    Die Tätigkeit der Apostel und der Gemeinde, die sie begleitete, äußerte sich auf zweierlei Weise: durch die Verkündigung des Wortes und durch das Vollbringen von Wundern. Das Ansehen der Apostel wurde natürlich durch die offensichtliche Tatsache, dass der Herr bei allem, was sie taten, mit ihnen war, stark erhöht. Die Gemeinde konnte daher zumindest eine Zeit lang ungehindert ihre öffentlichen Versammlungen abhalten, die in der schönen Säulenhalle an der Ostseite des Tempels stattfanden, die als Salomons Vorhalle bekannt war. Bei diesen öffentlichen Versammlungen ging es hauptsächlich darum, das Evangelium zu bezeugen und neue Anhänger für den Herrn zu gewinnen. Bei diesen regelmäßigen Versammlungen herrschte große Einmütigkeit sowohl bei der Zusammenkunft als auch beim Zeugnis. Im Übrigen war die Autorität der Apostel jetzt so groß, dass niemand mehr den vertrauten Umgang mit ihnen wagte. Alle Menschen, die in irgendeiner Weise mit der Gemeinde in Berührung kamen, hielten einen respektvollen Abstand zu den Männern, in denen der Geist Gottes mit solchen Kraftäußerungen lebte; und sie alle schätzten sie sehr hoch. Die Verehrung, die sie für Gott empfanden, übertrug sich in gewisser Weise auf diese seine Diener und Werkzeuge und auf die ganze Gemeinde. Das natürliche Ergebnis war, dass dem Herrn Gläubige hinzugefügt wurden, die sich in die Reihen derer einreihten, die ihr Vertrauen auf Jesus als ihren Erlöser setzten, eine Vielzahl von Männern und Frauen; es gab ein stetiges Wachstum der Mitgliederzahl. Man beachte den Hinweis auf weibliche Jünger, der für die Schriften des Lukas charakteristisch ist; vgl. Luk. 8,2.3. Gott war es, der in all ihren Herzen den Glauben bewirkte und sie so der Gemeinde hinzufügte. Die Predigttätigkeit der Apostel wurde ergänzt durch ihre Wundertätigkeit nach dem Maß der Macht, die ihnen in jenen Tagen gegeben war, um die Allmacht Gottes zu verherrlichen. Durch ihre Hände wurden viele Zeichen und Wunder vollbracht, Taten gegen den Lauf der Natur, die ganz nebenbei die Macht Gottes zum Ausdruck brachten und betonten. Der Ruhm der Apostel wurde in dieser Hinsicht so groß, dass das Volk sogar seine Kranken auf die offene Straße trug, auf beiden Seiten des Weges, und sie auf Liegen und Betten, auf Paletten und Sänften legte. Wenn nur der Schatten des vorbeikommenden Petrus auf sie fallen würde, vertrauten sie darauf, dass die Kranken wieder gesund würden. Das Volk war so eifrig, dass die Apostel, die sich im Allgemeinen an die Kranken wandten, beteten und ihnen die Hände auflegten, nicht alle erreichen konnten, die zu ihnen gebracht wurden, so schnell es die Besorgnis ihrer Freunde auch wollte. Und die Zahl derer, die zu ihnen kamen, beschränkte sich nicht nur auf die Einwohner Jerusalems, sondern es kamen auch viele Menschen aus den umliegenden Städten, die sowohl von gewöhnlichen Krankheiten als auch von unreinen Geistern geplagt wurden; und sie wurden alle geheilt, ganz gleich, ob ihre Krankheit die eine oder die andere Form hatte. Gott gab in dem Werk der Jünger eine solche Schau seiner Macht und Herrlichkeit wie nie zuvor in der Geschichte der Welt, denn sein Ziel war die feste Gründung seiner Kirche. Anmerkung: Wenn in einer christlichen Gemeinde Übertretungen vorkommen, kann dies dem guten Namen schaden und das Wachstum der Kirche behindern. Aber hier bewirkten die plötzliche Strafe des Herrn und das Verhalten der Jünger, die Schuldigen ohne Klage und Begräbniszeremonie zu begraben, genau das Gegenteil. Wenn die Christen auf diese Weise zu allen Zeiten Vergehen prüfen und diejenigen aus ihrer Mitte ausschließen, deren offene Übertretungen Anstoß erregen, dann wird die Gemeinde nicht geschädigt. Das Urteil der Gemeinde über unverbesserliche offene Sünder macht einen guten Eindruck auf die, die draußen sind, und kann einige von ihnen zugunsten der Kirche und des Wortes des Herrn beeinflussen.

 

Verhaftung, Befreiung und Verteidigung der Apostel (5,17-42)

    17 Es standen aber auf der Hohepriester und alle, die mit ihm waren, welches ist die Sekte der Sadduzäer, und wurden voll Eifers 18 und legten die Hände an die Apostel und warfen sie in das gemeine Gefängnis. 19 Aber der Engel des HERRN tat in der Nacht die Tür des Gefängnisses auf und führte sie heraus und sprach: 20 Geht hin und tretet auf und redet im Tempel zum Volk alle Worte dieses Lebens. 21 Da sie das gehört hatten, gingen sie früh in den Tempel und lehrten. 

    Der Hohepriester aber kam, und die mit ihm waren, und sie riefen zusammen den Rat und alle Ältesten der Kinder von Israel und sandten hin zum Gefängnis, sie zu holen. 22 Die Diener aber kamen dar und fanden sie nicht im Gefängnis, kamen wieder und verkündigten 23 und sprachen: Das Gefängnis fanden wir verschlossen mit allem Fleiß und die Hüter außen stehen vor den Türen; aber da wir auftaten, fanden wir niemand drinnen. 24 Da diese Rede hörten der Hohepriester und der Hauptmann des Tempels und andere Hohepriester, wurden sie darüber betreten, was doch das werden wollte. 25 Da kam einer dar, der verkündigte ihnen: Siehe, die Männer, die ihr ins Gefängnis geworfen habt, sind im Tempel, stehen und lehren das Volk.

    26 Da ging hin der Hauptmann mit den Dienern und holten sie, nicht mit Gewalt; denn sie fürchteten sich vor dem Volk, dass sie nicht gesteinigt würden. 27 Und als sie sie brachten, stellten sie sie vor den Rat. Und der Hohepriester fragte sie 28 und sprach: Haben wir euch nicht mit Ernst geboten, dass ihr nicht sollt lehren in diesem Namen? Und seht, ihr habt Jerusalem erfüllt mit eurer Lehre und wollt dieses Menschen Blut über uns führen.

    29 Petrus aber antwortete und die Apostel und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen denn den Menschen. 30 Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, welchen ihr erwürgt habt und an das Holz gehängt. 31 Den hat Gott durch seine rechte Hand erhöht zu einem Fürsten und Heiland, zu geben Israel Buße und Vergebung der Sünden. 32 Und wir sind seine Zeugen über diese Worte und der Heilige Geist, welchen Gott gegeben hat denen, die ihm gehorchen.

    33 Da sie das hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und dachten, sie zu töten. 34 Da stand aber auf im Rat ein Pharisäer mit Namen Gamaliel, ein Schriftgelehrter, wohl gehalten vor allem Volk, und hieß die Apostel ein wenig hinaustun 35  und sprach zu ihnen: Ihr Männer von Israel, nehmt euer selbst wahr an diesen Menschen, was ihr tun sollt. 36 Vor diesen Tagen stand auf Theudas und gab vor, er wäre etwas, und hingen an ihm eine Zahl Männer, bei vierhundert; der ist erschlagen, und alle, die ihm zufielen, sind zerstreut und zunichte worden. 37 Danach stand auf Judas aus Galiläa in den Tagen der Schätzung und machte viel Volks abfällig ihm nach; und der ist auch umgekommen, und alle, die ihm zufielen, sind zerstreut.

    38 Und nun sage ich euch: Lasst ab von diesen Menschen und lasst sie fahren! Ist der Rat oder das Werk aus den Menschen, so wird’s untergehen; 39 ist’s aber aus Gott, so könnt ihr’s nicht dämpfen, auf dass ihr nicht erfunden werdet, als die gegen Gott streiten wollen. 40 Da fielen sie ihm zu und riefen den Aposteln, stäupten [schlugen] sie und geboten ihnen, sie sollten nicht reden in dem Namen Jesu, und ließen sie gehen. 41 Sie gingen aber fröhlich von des Rats Angesicht, dass sie würdig gewesen waren, um seines Namens willen Schmach zu leiden; 42 und hörten nicht auf alle Tage im Tempel und hin und her in Häusern zu lehren und zu predigen das Evangelium von Jesus Christus.

 

    Verhaftung und Befreiung (V. 17-21a): Ein Sturm war sicher überstanden worden, Kap. 4, aber ein zweiter war im Anmarsch, der sich als etwas heftiger erweisen sollte als der vorherige. Das ständige Wachstum der Gemeinde und das begeisterte Lob, das den Aposteln von allen Seiten zuteil wurde, war zu viel für die Obersten der Juden, besonders für die Sadduzäer mit ihrer Leugnung der Auferstehung. Für sie war es ein Gräuel, dass die gesamte Verkündigung des Evangeliums auf der wundersamen Auferstehung Jesu von den Toten beruhte. Und so begab sich ihre Partei, mit dem Hohepriester an der Spitze, der wahrscheinlich auch dieser Schule oder Partei angehörte, ein weiteres Mal feierlich auf die Säulenhalle Salomos. Sie waren nicht nur entrüstet, weil die Jünger es wagten, weiterhin im Namen Jesu zu predigen, sondern sie waren buchstäblich von zornigem Neid erfüllt, weil die Apostel in der Gunst des Volkes zunahmen, weil das Volk ihnen große Ehrfurcht und Verehrung entgegenbrachte. So legten diese Führer wütend und gewaltsam Hand an die Apostel und steckten sie in das öffentliche Gefängnis, um sie öffentlich zu diffamieren und zu entwürdigen. Doch ihr Triumph war nur von kurzer Dauer. Denn noch in derselben Nacht öffnete ein Engel des Herrn, wahrscheinlich ein Engel höchsten Ranges wie Gabriel, nicht nur die Türen des Tempels, sondern führte sie auch hinaus und gab ihnen den Befehl, in den Tempel zu gehen, vor das Volk zu treten und alle Worte dieses Lebens zu sprechen, um das Evangelium des ewigen Heils zu predigen. Weit davon entfernt, sich von der Behandlung, die ihnen zuteil wurde, entmutigen zu lassen, sollten die Apostel die ihnen anvertraute Botschaft nicht nur kühn, sondern auch an dem öffentlichsten Ort in ganz Jerusalem verkünden. Er, der selbst die Auferstehung und das Leben ist, wollte, dass das Wort von diesem Leben seinen Einfluss nicht nur in Jerusalem, sondern in ganz Judäa und bis ans Ende der Welt ausdehnt. So gingen die Apostel um die Zeit des Tagesanbruchs, sobald die Tempeltüren geöffnet wurden, um das Morgenopfer zu bringen, in den Tempel und nahmen ihre Lehre wieder auf. Je mehr das Wort Gottes seine Kraft entfaltet, desto mehr wird der Zorn der Welt und des Fürsten dieser Welt entfacht. So mancher Jünger Christi ist wegen des Namens, an den er glaubte und den er bekannte, ins Gefängnis geworfen worden. Aber der Herr war mit ihnen und half ihnen gemäß seiner Verheißung. Und niemals in der Geschichte der Kirche haben sich die wahren Bekenner weder durch Verfolgung noch durch Gefängnis davon abhalten lassen, das Wort zu verkünden, das Gott ihnen anvertraut hat.

 

    Eine Überraschung für die Sadduzäer (V. 21b-25): Am nächsten Morgen war der Hohepriester früh auf den Beinen. Als er an den Ort kam, wo die Sadduzäer zusammenkamen, beriefen er und seine Schergen eine Versammlung ein, und zwar nicht nur des gesamten Sanhedrins, des höchsten kirchlichen Gerichts der Juden, sondern auch des Presbyteriums der Kinder Israels, der alten und erfahrenen Lehrer des Volkes, die nicht Mitglieder des Rates waren.[17] Als sie nun aber nach all dieser förmlichen und eindrucksvollen Einführung Diener zum Gefängnis hinüberschickten, um die Gefangenen zu holen, waren diese nicht zu sehen. Die Diener kehrten zurück und teilten mit, dass sie das Gefängnis in bewährter Weise verschlossen und gesichert vorfanden, dass die Wachen ihre gewohnten Plätze eingenommen hatten, aber als sie die Türen öffneten, waren keine Gefangenen da. Der Engel des Herrn hatte also nicht nur die Wächter des Gefängnisses mit vorübergehender Blindheit geschlagen, sondern auch die Türen wieder verschlossen, um jeden Hinweis auf die wundersame Befreiung der Apostel zu beseitigen. Diese Nachricht löste im Sanhedrin große Bestürzung aus. Und sie verwirrte nicht nur die Mitglieder des Rates selbst, sondern auch den „Mann vom Tempelberg“, den Chef der Tempelpolizei. Offensichtlich hatte hier die Hand Gottes eingegriffen, wie sie in ihrer Ratlosigkeit indirekt zugaben, da sie nicht wussten, wohin das Ganze bei dem derzeitigen Tempo des Fortschritts führen würde. In der Zwischenzeit kam ein Mann und verkündete ihnen, dass die Männer, die sie ins Gefängnis geworfen hatten, im Tempel standen und offen und mutig damit beschäftigt waren, das Volk zu lehren. So mancher Feind des Herrn und seines Wortes wurde durch die Art und Weise, wie der Herr die Seinen beschützt und für seine eigenen Interessen sorgt, verblüfft. Es ist ein guter Plan, ein sicherer Plan, alles Vertrauen auf ihn zu setzen.

 

    Die Anklage gegen die Apostel (V. 26-28): Der Vorsteher der Tempelpolizei handelte nach den Informationen, die dem Sanhedrin gegeben worden waren. Er verließ die Ratskammer, wahrscheinlich die Hälfte der polierten Steine, und ging mit den Dienern hinüber, um die Apostel zu holen. Doch anstatt den Anschein einer Verhaftung zu erwecken, achtete der Häuptling sehr darauf, die Apostel vorsichtig und höflich zu begleiten. Nicht einen Augenblick lang wandte er Gewalt an, denn die ganze Schar hatte großen Respekt vor der Stimmung des Volkes und fürchtete, gesteinigt zu werden. Nicht nur, dass die Apostel beim Volk in hohem Ansehen standen, sondern es hatte sich zu diesem Zeitpunkt zweifellos gezeigt, auf welche Weise sie aus dem Gefängnis befreit worden waren. Zweifellos fürchteten sie die Masse des Volkes, denn die Mitglieder der Gemeinde hätten sich kaum einer Gewalttat schuldig gemacht. Die Apostel ihrerseits begleiteten die Beamten ohne Zögern oder Furcht und vertrauten einfach auf den Herrn. Und so führten die Diener sie vor die Richter, die in dem üblichen Halbkreis saßen, während die Angeklagten vor ihnen standen. Der Hohepriester stellte ihnen nun die Frage, nicht ohne einige Schärfe, ob der Rat ihnen nicht sehr ernsthaft und nachdrücklich empfohlen und sie aufgefordert habe, nicht in diesem Namen zu lehren. Man beachte, dass der Feind Christi den verhassten Namen nicht einmal erwähnen will. Er wirft ihnen Ungehorsam gegenüber dem Sanhedrin vor und beklagt, dass sie ganz Jerusalem mit ihrer Lehre erfüllt haben. So viel musste der Hohepriester zugeben, dass der Erfolg der neuen Lehre wunderbar war. Aber sein Hauptvorwurf lautet, dass sie versuchen, das Blut Jesu über das jüdische Volk und seine Führer zu bringen. Es scheint hier eine Anspielung auf den schrecklichen Fluch zu geben, den die jüdischen Herrscher am Tag des Todes des Herrn ausgesprochen hatten, als sie ausriefen: Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder! Matth. 27,25. Da die Auferstehung Jesu und damit seine ewige Sohnschaft feststeht, folgt daraus natürlich, dass diejenigen, die ihn verurteilten, Mörder waren, weil sie unschuldiges Blut vergossen hatten. Entweder müssen sie diese Anschuldigung dem Volk überlassen, oder sie müssen jedes Zeugnis der Auferstehung mit rücksichtsloser Gewalt unterdrücken. Sollte das gemeine Volk einmal gegen die Mörder des unschuldigen Jesus aufgestachelt werden, so ist zu erwarten, dass diese sehr schnell für ihr Verbrechen bezahlen würden, Blut für Blut und Leben für Leben. Anstatt den Weg der Heuchelei und des Verbrechens zu verlassen, entschieden sich die jüdischen Führer daher für die schlimme Alternative, noch tiefer einzutauchen. Anmerkung: Wenn ein Mensch, dem vernünftige Beweise für seine Schuld vorgelegt wurden, auf seinem Weg beharrt, die Stimme seines Gewissens unterdrückt und der Liste der ihm bereits vorgeworfenen Verbrechen weitere hinzufügt, verhärtet er sein Herz und entzieht sich der Barmherzigkeit.

 

    Die Verteidigung des Petrus (V. 29-32): Petrus war zwar der Hauptredner bei dieser Gelegenheit, aber die anderen Apostel gaben eine gute Vorstellung von sich selbst, und er sprach nur die Überzeugung ihrer Herzen aus. Schon die ersten Worte der Verteidigung der Apostel begründeten einen großen Grundsatz in der christlichen Kirche: Gott zu gehorchen und nicht den Menschen, das ist die Verpflichtung, die auf uns ruht. Wenn die Obrigkeit sie des Ungehorsams anklagen wollte, so wäre diese Anklage wohl berechtigt, und sie würden sich freudig schuldig bekennen, so wie sie den jüdischen Führern im Voraus gesagt hatten, dass sie nicht gehorchen wollten und könnten, Kap. 4,19.20. Wenn es um Angelegenheiten des Reiches Gottes geht, um die Verkündigung des Evangeliums, nützt kein Verbot, keine Drohung, kein Spott und keine Beschimpfung etwas. In diesen Angelegenheiten hat die Regierung keine Zuständigkeit. Wo immer es eine klare Aussage der Heiligen Schrift gibt, dort werden die Christen die Wahrheit und den Schutz des Herrn festhalten, und wenn die ganze Welt sie verdammen würde. Und was den zweiten Teil der Anklage des Hohenpriesters betrifft, dass die fortgesetzte Verkündigung des auferstandenen Christus Aufruhr und Tumult verursachen könnte, so wiederholen die Apostel kühn, was sie zuvor bezeugt hatten. Es war kein fremder Gott, sondern der Gott ihrer Väter, den sie verkündeten, der Gott Israels, der Jesus von den Toten auferweckt hatte, jenen Jesus, an den die Machthaber unheilige Hände gelegt hatten, als sie ihn töteten, indem sie ihn an den Baum des Kreuzes hängten. Dieses Zeugnis Gottes für die Person und das Werk Jesu bewies nicht nur, dass es unschuldiges Blut war, das sie vergossen hatten, sondern es wurde auch durch die Tatsache bestätigt, dass Gott ihn zu seiner Rechten im Himmel erhoben hatte, um seine göttliche Majestät und Herrlichkeit voll und ständig zu gebrauchen. Auf diese Weise hat der Herr den verachteten Jesus zu einem Führer oder Fürsten und Retter gemacht. Und Jesus übte nun die Macht seines Amtes und die Pflichten seines Dienstes in dem Bemühen aus, Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben. Es ist sein ernster, guter und gnädiger Wille, dass das Volk sich von seinen bösen Wegen und von der Härte seines Herzens abwendet und die Vergebung der Sünden annimmt, die es verdient hat und die für alle Menschen bereit ist. Sowohl die Umkehr als auch die Vergebung der Sünden sind kostenlose Gaben der Barmherzigkeit seitens des erhöhten Christus.[18] Und von all diesen Dingen sind die Apostel Zeugen, vom Tod, von der Auferstehung und von der Himmelfahrt Christi. Dieses Zeugnis wird überdies bekräftigt und bestätigt durch den Heiligen Geist, der in und mit den Aposteln zeugt und ihr Zeugnis wirksam macht. Diesen Geist hat Gott denen gegeben, die den Gehorsam des Glaubens haben. Am Pfingsttag hatten die Apostel eine außergewöhnliche Demonstration seiner Macht empfangen, aber derselbe Geist wird immer durch das Wort gegeben, durch die Annahme der großen Tatsachen unserer Erlösung, wie sie von den Aposteln gelehrt wurden. Es ist dieser Geist, der durch den Mund der Christen Zeugnis ablegt, wenn sie kühn über ihren Glauben Rechenschaft ablegen. Diese kurze Verteidigungsrede, die die Apostel hier gehalten haben, war an sich eine Gabe des Heiligen Geistes und eine eindrucksvolle Erfüllung der Verheißung des Herrn, Matth. 11,19.

 

    Der Rat des Gamaliel (V. 33-37): Die Rede des Petrus, in der er und auch die anderen Apostel sich gegen die Angriffe der jüdischen Führer verteidigten, war von jener Offenheit und Furchtlosigkeit geprägt, die die Verkündigung der Wahrheit stets kennzeichnen sollte. Aber die Mitglieder des Sanhedrins, anstatt der Wahrheit Beachtung zu schenken und zuzulassen, dass Buße zur Vergebung der Sünden in ihnen wirke, wurden buchstäblich bis ins Herz zersägt, sie wurden von heftigster Empörung erfüllt. Ein Gedanke und ein Ziel beherrschte daher die meisten von ihnen, nämlich sich der Jünger zu entledigen, wie sie es mit dem Meister getan hatten, und die Apostel zu töten. Aber in dieser Krise setzte sich der ruhigere Rat eines der Mitglieder durch. Denn an seine Stelle im Rat trat ein Pharisäer namens Gamaliel, ein gelehrter Gesetzeslehrer, der beim ganzen Volk hoch geachtet und geschätzt war und dessen Wort daher großen Einfluss hatte, und er befahl zunächst, die Angeklagten für eine Weile herauszunehmen, da er in einer vertraulichen Angelegenheit sprechen wollte. Nachdem Gamaliel das Wort ergriffen hatte, bis dies geschehen war, wandte er sich an den Sanhedrin und nannte sie ehrenvoll „Männer von Jerusalem“. Er ermahnte seine Ratskollegen, in Bezug auf diese Männer alle Vorsicht walten zu lassen und jede Handlung mit großer Überlegung abzuwägen, bevor sie ausgeführt wird. Er untermauert seine Warnung mit einem Verweis auf historische Tatsachen, insbesondere im Hinblick auf Aufstände und Unruhen in ihrem Land. Nicht der von Josephus erwähnte Theudas, der 44 n. Chr. sein Ende fand, sondern ein anderer Mann mit demselben Namen, wahrscheinlich der Vater oder ein anderer Verwandter dieses späteren Theudas, hatte nicht lange zuvor existiert. Dieser Mann hatte sich als jemand, als großer Mann ausgegeben und sich so eine Anhängerschaft von etwa vierhundert Mann verschafft, so wie jeder Demagoge mit einigen Anhängern rechnen kann. Aber dieser Mann wurde sofort getötet, seine Anhänger wurden in alle Winde zerstreut, und die ganze Bewegung war ergebnislos verpufft. Danach, in den Tagen der großen Volkszählung, die Lukas so bezeichnet (6-8 n. Chr.)[19]19), erhob sich ein anderer Rebell, Judas von Galiläa, so genannt nach dem Schauplatz seiner Haupttaten oder Judas von Gaulanitis, nach dem Ort seiner Geburt. Da diese große Volkszählung unter der zweiten römischen Verwaltung des Quirinius nicht nur die Zählung und Bewertung des Besitzes, sondern auch die Erhebung einer Steuer beinhaltete, ist es nicht verwunderlich, dass Judas mit Leichtigkeit viele Menschen anlockte und schnell eine Anhängerschaft gewann. Aber sein Schicksal war das gleiche wie das von Theudas. Auch er war umgekommen, hatte bald sein Ende gefunden, und alle, die ihm Gehorsam und Vertrauen entgegengebracht hatten, waren von den Behörden zerstreut worden. Gamaliel hätte die Zahl der Beispiele vervielfachen können, denn, wie Josephus berichtet, gab es in einigen Teilen Palästinas fast ständig kleinere Aufstände und Aufstandsversuche, aber er hatte genug gesagt, um seinen Standpunkt darzulegen.

 

    Die Überlegung des Gamaliel und das Ergebnis (V. 38-42): Ob Gamaliel insgeheim die Sache Christi unterstützte, sich aber aus verschiedenen Gründen nicht der Gemeinde anschloss, oder ob er seine Meinung aus einem natürlichen Sinn für Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit heraus äußerte, lässt sich aus dem biblischen Bericht nicht entscheiden. Aber was er mit den von ihm angeführten Beispielen bezweckt, was er sagen will, ist, dass die Bewegung, die der Sanhedrin bekämpfte, nicht mit Gewalt unterdrückt werden durfte; in der Tat war es zweifelhaft, ob es klug war, sie überhaupt zu bekämpfen. Sein Vorschlag, den er sehr klar und nachdrücklich formulierte, war, dass sie sich von diesen Männern, den Aposteln, zurückziehen und sie in Ruhe lassen sollten. Und hier fügt Gamaliel ein sprichwörtliches Sprichwort oder Axiom hinzu, das bis heute seine Kraft nicht verloren hat: Ist dieser Rat oder dieses Werk von Menschen, so wird man es vernichten; ist es aber von Gott, so kann man es nicht vernichten. "Wenn es von Menschen ist, muss es sterben; wenn es von Gott ist, kann es nicht sterben." Richtig verstanden, findet diese Regel zu allen Zeiten ihre Anwendung. Es ist wahr, dass so manche christliche Gemeinde und Landeskirche, die von Gott gepflanzt worden war, wie die Kirche Kleinasiens, zerstört worden ist, und dass andererseits so manche Zitadelle des Satans, wie das Reich des Antichristen, bis heute Bestand hat. Aber solche Zustände und Umstände sind auf die Herzenshärte des Menschen zurückzuführen, und die Tatsache, dass Gott ihr Bestehen zulässt, ist seine Strafe für ein halsstarriges Volk, das die Wahrheit nicht annehmen will. Gamaliels Rat wurde von allen Richtern als vernünftig und gut akzeptiert, und sie fassten einen entsprechenden Beschluss. Die Apostel wurden daraufhin in die Ratskammer zurückgebracht, wo sie als erstes gegeißelt wurden, weil sie gegen den früheren Befehl des Rates verstoßen hatten. Vgl. 5. Mose 25,1-3; 2. Kor. 11,24; 12,10. Bevor sie freigelassen wurden, wurden sie dann noch einmal streng ermahnt, nicht im Namen Jesu zu reden. Merke: Diejenigen, die sich weigern, das Evangelium zur Rettung ihrer Seelen anzunehmen, werden mit jeder Verkündigung der Barmherzigkeit Gottes nur noch mehr verbittert und verhärtet; denn das Wort des Evangeliums wird für sie zu einem Geschmack des Todes bis zum Tod. Doch anstatt die Apostel durch diese harte Behandlung einzuschüchtern, veranlassten die Richter sie zu einer großartigen Demonstration des Glaubens und des Vertrauens. Nachdem sie die Geißelung empfangen hatten, verließen die Jünger die Ratskammer voller Freude darüber, dass sie für würdig befunden worden waren, die Schmach des Namens Christi zu tragen, dass sie etwas von der gleichen Schande und Schmach auf sich geladen hatten, die auf ihren Herrn gelegt worden war. Und ebenso offen trugen sie ihre Absicht vor, dem Sanhedrin in der Frage der Verleugnung ihres Meisters nicht zu gehorchen. Sie hörten nicht auf, jeden Tag im Tempel und in den Häusern, sowohl öffentlich als auch privat, den Namen Jesu Christi, des Erlösers, zu lehren und zu predigen. Die öffentliche Verkündigung des Wortes wurde durch individuelle Unterweisung ergänzt, so wie es auch in unseren Tagen sein sollte. Merke: Das Wort Gottes kann nicht ohne Gottes Erlaubnis behindert werden. Er hält seine schützenden Hände über die Christen, die der Welt das Wort des Lebens verkünden.

 

Zusammenfassung: Die Heuchler Ananias und Saphira werden vom Gericht Gottes getroffen, woraufhin die Apostel von den Sadduzäern inhaftiert, vom Engel des Herrn befreit werden und sich vor dem Sanhedrin verantworten müssen, wo sie nach einer Geißelung freigelassen werden.

 

 

Kapitel 6

 

Die Wahl der ersten Diakone (6,1-8)

    1 In den Tagen aber, da der Jünger viel wurden, erhob sich ein Murren unter den Griechen gegen die Hebräer, darum dass ihre Witwen übersehen wurden in der täglichen Handreichung. 2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es taugt nicht, dass wir das Wort Gottes unterlassen und zu Tisch dienen. 3 Darum, ihr lieben Brüder, seht unter euch nach sieben Männern, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, welche wir bestellen können zu dieser Aufgabe. 4 Wir aber wollen anhalten am Gebet und am Amt des Worts.

    5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge wohl, und sie erwählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen [Proselyt aus den Griechen] von Antiochien. 6 Diese stellten sie vor die Apostel und beteten und legten die Hände auf sie. 7 Und das Wort Gottes nahm zu, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß zu Jerusalem. Es wurden auch viel Priester dem Glauben gehorsam. 8 Stephanus aber, voll Glaubens und Kräfte, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk.

 

   Die Angelegenheit wird der Gemeinde vorgelegt (V. 1-4): Nachdem Lukas die zweite Verfolgung der Apostel geschildert hat, kehrt er noch einmal zu seiner Geschichte des Fortschritts der christlichen Kirche zurück. Er beginnt eine neue Erzählung, einen neuen Absatz oder Abschnitt. In jenen Tagen, als sich die Zahl der Jünger vervielfachte und sehr schnell wuchs, entstand in der Mitte der Gemeinde eine innere Gefahr. „Die Leichtigkeit, mit der sich unreine Elemente in der Kirche mit den reinen verbinden konnten, stand im Verhältnis zu ihrer zahlenmäßigen Zunahme. Und als die Versorgung der Armen immer reichlicher wurde, mag dieser Umstand selbst viele Bedürftige angezogen haben.“[20] Das Beunruhigende, Beunruhigende in diesem Fall war, dass in der Gemeinde ein offenes Murren und Knurren der Unzufriedenheit aufkam. In der Gemeinde in Jerusalem waren zwei Arten von Juden vertreten: die Juden oder Hebräer im eigentlichen Sinne, die in Judäa geboren und inmitten der alten jüdischen Bräuche aufgewachsen waren, und die griechischen Juden oder Hellenisten, Juden von ausländischer Geburt und griechischer Bildung, die den üblichen griechischen Dialekt sprachen und mehr oder weniger mit den griechischen Lebensgewohnheiten vertraut waren. Im Allgemeinen waren die Hebräer und die griechischen Juden in der Arbeit der Gemeinde in voller Harmonie vereint, Kap. 2,46; 4,32. Äußere Unterschiede, wie Reichtum, soziale Stellung, Sprache, Lebensgewohnheiten usw., sollten das harmonische Wirken der Gemeinde niemals auf unangenehme Weise beeinflussen. Aber hier war eine besondere Schwierigkeit aufgetreten. Der Kommunismus war in keiner Weise eingeführt worden, aber durch die Freigebigkeit der wohlhabenderen Mitglieder war für die Bedürftigen eine sehr umfangreiche Vorsorge getroffen worden. Die so gewonnenen Mittel wurden von den Aposteln verwaltet, Kap. 4,35, die sie an die Armen und an die Witwen verteilten. Unter den gegebenen Umständen - das rasche Wachstum der Gemeinde, die wachsende Zahl derer, die von der Freigebigkeit der Gemeinde abhängig waren, die Tatsache, dass die griechischen Juden den Aposteln persönlich nicht so gut bekannt waren - war ein Versehen leicht möglich. Eine oder mehrere Witwen, die sich zu diesem Dienst berechtigt fühlten, waren bei den täglichen Rundgängen der Apostel übersehen worden. Und sofort weckte der Teufel, der Geist der Zwietracht und des Streits, den Gedanken, dass dies eine absichtliche Kränkung sei. Ähnliche Klagen und Anschuldigungen werden manchmal auch in unseren Tagen erhoben, und sie sind ebenso wenig begründet. Solange fehlbare Menschen versuchen, anderen Menschen zu dienen, die ebenso fehlbar sind, kann es zu Fehlern kommen, die ohne liebloses Gemurre bereinigt werden sollten. Welchen Grund es auch immer für die Unzufriedenheit gegeben haben mag, die Apostel wollten nicht, dass der Verdacht der Parteilichkeit auf ihnen lastet. Sie beriefen daher eine Versammlung der gesamten Gemeinde ein und legten die Angelegenheit allen Jüngern vor. Es war gewiss nicht das Richtige, das Richtige für sie, das Wort Gottes aufzugeben, sowohl in der öffentlichen Verkündigung als auch in der individuellen Unterweisung, um bei Tische zu dienen, um einen Dienst zu verrichten, der gut von anderen getan werden konnte. Ihr wichtigstes Werk war die Sorge um die Seelen, die Verkündigung des Evangeliums. Deshalb schlugen sie der Versammlung vor, dass sie sich als Brüder nach sieben Männern umsehen sollten. Die Qualifikationen dieser Männer werden von den Aposteln vor allem mit drei Worten beschrieben. Sie müssen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche einen guten Ruf als integre und untadelige Männer haben; sie müssen vom Heiligen Geist erfüllt sein, der ihnen die Barmherzigkeit Christi und die Kraft zu einem heiligen Leben vermittelt; sie müssen mit Weisheit, mit praktischer Weisheit, mit gesundem Menschenverstand erfüllt sein, der sie befähigt, komplizierte Geschäftsangelegenheiten zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten zu regeln. Diese Männer sollten offiziell ernannt werden, um sich um den gegenwärtigen Bedarf zu kümmern, um die Geschäfte der Gemeinde zu leiten. Beachten Sie, dass die geschäftliche Seite einer christlichen Gemeinde in der ersten erklärten Versammlung der ersten Körperschaft, die diesen Titel trug, hervorgehoben wurde. „In diesem Fall ist diese Geschichte nützlich und gut, dass wir das Beispiel der Apostel gut bedenken und lernen, welche Art von Männern für dieses Amt zu gebrauchen sind, für das der heilige Stephanus sich verwenden ließ.... Einen guten Ruf zu haben bedeutet, dass man sich in allen Dingen ehrlich und ohne Tadel gehalten hat, dass man nicht, wie es die Welt jetzt gemeinhin tut, entweder schändlich geizig gewesen ist oder Geld und Güter verschwendet hat.... Dann gehört auch der Heilige Geist hierher. Denn den Heiligen Geist zu haben, ist nichts anderes, als ein Christ zu sein, das Wort Gottes zu lieben, es gern zu hören, sein Leben danach auszurichten und ein gutes Gewissen zu haben. All das ist das Werk und die Frucht des Heiligen Geistes. Nun kann es aber gut sein, dass jemand sowohl ein gutes Zeugnis als auch den Heiligen Geist hat und dennoch nicht zu einem solchen Amt taugt; darum sagt man: Solche Leute sollen auch weise, tüchtig und praktisch sein.... Denn dieses Amt braucht praktische Köpfe, wenn es sonst mit Nutzen und Anstand ausgeübt werden soll. Faule, unwillige, unvorsichtige, untaugliche Leute können für dieses Amt nicht gebraucht werden.“[21] Diese Qualifikationen sollten auch in unseren Tagen im Auge behalten werden, wann immer Amtsträger der Kirche gewählt werden müssen; es gibt zu viel gedankenlose, willkürliche Auswahl, mit der Folge von Unzufriedenheit und Schaden für die Gemeinde. Während die so zu bestellenden Männer diesen besonderen Dienst, die Versorgung der Armen und Witwen mit dem Nötigsten für ihren Lebensunterhalt, übernehmen sollten, wollten die Apostel selbst ihre ganze Zeit und Energie dem Gebet und dem Dienst am Wort widmen; in diesen Dingen wollten sie bis zum Ausschluss von allem anderen beharrlich sein. Die christlichen Prediger aller Zeiten haben das Amt des Dienstes am Wort. Das ist der wichtigste Dienst im Reiche Gottes; von ihm hängt das Heil der Seelen ab. Es ist keineswegs eine kleine und unbedeutende Sache, das Wort Gottes vor der ganzen Gemeinde zu verkünden und es auch im Einzelfall anzuwenden. Und darüber hinaus ist dieser Dienst ein Dienst des Gebets. Die Verantwortung für jede einzelne Seele in der Gemeinde ruht auf dem Pastor, und er wird die Nöte aller und jedes Einzelnen im täglichen Gebet und in der Fürbitte vor den himmlischen Vater bringen. Dienste in der Gemeinde, die mit dieser Hauptaufgabe kollidieren, sollten anderen Männern anvertraut werden, denen der Herr die notwendigen Qualifikationen gegeben hat.

 

    Die Wahl (V. 5-8): Indem sie der Gemeinde ihren Vorschlag unterbreiteten, stellten die Apostel, obwohl sie die inspirierten Lehrer der Kirche waren, keine willkürlichen Forderungen; es gibt keinen Hinweis auf hierarchische Bestrebungen. Die Gemeinde sollte über ihr Vorgehen in dieser Angelegenheit entscheiden. Aber die Weisheit der Lösung war so offensichtlich, dass die Gemeinde nicht zögerte, danach zu handeln: Das Wort war für sie alle angenehm. Und so gingen sie daran, sieben Männer zu wählen, die die von den Aposteln genannten Eigenschaften hatten: Stephanus, von dem mit Nachdruck gesagt wird, dass er voller Glauben war, nicht voller Treue, sondern voller Glauben an den Erlöser, aus dem alle Tugenden hervorgehen; Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas und Nikolaus, wobei der letztgenannte ein jüdischer Proselyt war, der aus Antiochia stammte. Es ist bemerkenswert, dass alle Namen griechische Namen sind, und obwohl das Argument nicht schlüssig ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Großzügigkeit der Gemeinde sie dazu veranlasste, nur griechische Juden und Griechen für das Amt auszuwählen. Selbstsucht und Eifersucht sollten in ihrer Mitte absolut unbekannt sein. Es entspricht ganz und gar dem Wort und dem Willen Gottes, wenn christliche Gemeinden alle ihre Amtsträger selbst wählen und alle ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen. Und wo immer die Gefahr der Zerrüttung besteht, ist es weit besser, in gleichgültigen Angelegenheiten nachzugeben und allein die Nächstenliebe walten zu lassen. Die neu gewählten Diakone wurden dann den Aposteln vorgeführt, die über ihnen durch Handauflegung beteten. Dies war eine schöne, bedeutsame Zeremonie, mit der sie in ihr Amt eingeführt wurden, und sie wird in der christlichen Kirche bis heute ordnungsgemäß angewendet, aber nicht auf göttlichen Befehl.

 

    Durch die Ernennung dieser sieben Amtsträger, die für die täglichen Dienste zuständig waren, gewannen die Apostel viel Zeit für ihre wichtigen Aufgaben, für das Predigen, Lehren und Beten, mit dem Ergebnis, dass ihre Arbeit viel effektiver war als zuvor. Das Wort Gottes gewann an Kraft und Einfluss, die Zahl der Jünger in Jerusalem nahm stark zu, und auch eine große Zahl von Priestern war dem Glauben gehorsam und nahm die Lehre des Glaubens an Jesus als ihren Erlöser an. Diese Priester müssen als die Hauptdiener der alten Formen zu den heftigsten Gegnern der Kirche gehört haben, und ihre Bekehrung bedeutete einen großen Sieg Christi inmitten seiner Feinde. Besonders bemerkenswert ist, dass die wunderbare Veränderung dem Wort Gottes zugeschrieben wird, das überall, wo es verkündet wird, wirksam ist. Einer der eifrigsten Vertreter des Wortes war zu dieser Zeit Stephanus, einer der sieben Diakone, die von der Gemeinde gewählt worden waren. Es wird noch einmal hervorgehoben, dass er voller Glauben und Kraft war. Sein Glaube an Jesus, den Erlöser, war fest verankert. Und daraus erwuchs Gunst bei Gott und Menschen, Tugend und Kraft. „Kraft bedeutet hier Aktivität oder Handlung; als ob er sagen würde: Er hatte einen so großen Glauben, darum hat er auch viel getan und war mächtig in der Tat. Denn wo der rechte Glaube ist, da folgt auch die Tat; und je größer der Glaube ist, desto aktiver ist er im Tun.“[22]  Aber es war eine besondere Manifestation der Kraft des Geistes, die Stephanus befähigte, Wunder und große Zeichen unter dem Volk zu tun. Gott tut sein Werk auf seine Weise, nach seinen eigenen Methoden, und er brauchte Stephanus zu dieser Zeit.

 

Das Zeugnis des Stephanus (6,9-15)

    9 Da stunden etliche auf von der Synagoge, die da heißt der Libertiner und der Kyrener und der Alexanderer und derer, die aus Zilizien und Asien waren, und stritten mit Stephanus. 10 Und sie vermochten nicht, zu widerstehen der Weisheit und dem Geist, aus welchem er redete. 11 Da richteten sie zu etliche Männer, die sprachen: Wir haben ihn gehört Lästerworte reden gen Mose und gegen Gott. 12 Und sie bewegten das Volk und die Ältesten und die Schriftgelehrten; und  traten herzu und rissen ihn hin und führten ihn vor den Rat; 13  und stellten falsche Zeugen dar, die sprachen: Dieser Mensch hört nicht  auf, zu reden Lästerworte gegen diese heilige Stätte und das Gesetz. 14 Denn wir haben ihn hören sagen: Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und ändern die Sitten, die uns Mose gegeben hat. 15 Und sie sahen auf ihn alle, die im Rat saßen, und sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht.

 

    Die Aktivität, die Stephanus im Interesse seines Herrn an den Tag legte, beschränkte sich nicht auf die Gemeinde. Der Eifer eines jeden wahren Christen zeigt sich in echter Missionsarbeit, in dem Versuch, durch Zeugnis und Entschuldigung Gläubige für Christus zu gewinnen. Stephanus erregte bald die Aufmerksamkeit und die Eifersucht und Feindschaft der ungläubigen Juden. Unter der großen Zahl von Synagogen in Jerusalem (die rabbinischen Schriftsteller geben an, dass es 480 gab) gab es auch solche, die von Juden aus bestimmten Ländern der Diaspora gegründet wurden, da sie sich durch Sprache und Bräuche zueinander hingezogen fühlen würden. Es gab eine, deren Mitglieder römische Freigelassene waren, ehemalige gefangene Juden, die von Pompejus nach Rom gebracht worden waren; eine andere bestand aus Juden, die aus Kyrene in Afrika stammten, eine dritte aus solchen, die in Alexandria gelebt hatten; eine vierte hatte ausschließlich Mitglieder aus Kilikien, eine fünfte aus der Provinz Asien am Ägäischen Meer. Alle diese Synagogen schickten Vertreter, wahrscheinlich in den Tempel, wo die öffentlichen Versammlungen der Gemeinde stattfanden, um mit Stephanus in streitbaren Fragen zu debattieren. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sich unter diesen Männern auch Saulus von Tarsus in Kilikien befand, ein Pharisäer der Pharisäer in Rechtgläubigkeit und Eifer. Aber was auch immer für Argumentationsmethoden diese fähigen Debattierer anwandten, sie waren in diesem Fall nutzlos; sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem Stephanus sprach, nicht widerstehen. Denn es war der Heilige Geist selbst, der in diesem Jünger anwesend war und in ihm und durch ihn sprach, Luk. 21,15. Die Beweise, die Stephanus in diesem Kampf der Geister vorbrachte, waren von einer solchen Art, dass sie von den Gegnern nicht in Frage gestellt werden konnten. Sie wurden auf der ganzen Linie aufgerieben und mussten sich in der Verwirrung zurückziehen.

    Diese Niederlage auf einem Gebiet, auf dem sie sich als unangefochtene Meister wähnten, schmerzt diese Feinde Christi. Da die offene Kriegsführung versagte, griffen sie zu Verleumdung und Gewalt. Sie heuerten Männer an, die unter Eid bestimmte Aussagen wiederholten, die sich gegen Stephanus richteten. Dieser hatte wahrscheinlich erklärt, dass die wahren Gläubigen nicht mehr unter dem Gesetz stehen, und die ungläubigen Juden vor dem Gericht gewarnt, das über die Heilige Stadt und den Tempel hereinbrechen würde. Diese Worte könnten leicht als Gotteslästerung gegen die Lehre des Mose im Sinne der Juden und gegen Gott ausgelegt werden. Mit dieser Konstruktion der Aussagen des Stephanus war es ein Leichtes, die fanatischen Juden, das gemeine Volk wie auch die Ältesten und Schriftgelehrten aufzurütteln, zu erregen und tief zu bewegen. Es war ein Teil des schlauen Plans, zuerst das Volk zu gewinnen, denn der Sanhedrin würde eher handeln, wenn er spürte, dass das Volk in dieser Sache auf seiner Seite stand und nicht mehr die Apostel und ihre Anhänger unterstützte. Nachdem sie so den Weg bereitet hatten, stießen sie plötzlich auf Stephanus, überraschten ihn, als er noch nichts von ihren feindlichen Absichten ahnte, nahmen ihn gewaltsam fest und brachten ihn vor den Sanhedrin zur Verhandlung. Es ist unerheblich, ob der Rat regelmäßig tagte oder in Erwartung dieser Verhaftung zusammengetreten war. Kaum war Stephanus angeklagt, brachten sie ihre lügnerischen Zeugen vor, die sorgfältig auf ihre Rolle vorbereitet worden waren, die sie spielen sollten. Die Meineidigen hielten sich strikt an die Anweisungen und sagten aus, sie hätten den Gefangenen sagen hören, Jesus von Nazareth werde diesen Ort völlig zerstören und die Bräuche, die ihnen von Mose überliefert worden waren, völlig verändern. Anmerkung: Die Feinde Jesu hatten offensichtlich etwas aus dem Prozess gegen Christus und aus den nachfolgenden Erfahrungen gelernt. Die Pharisäer hatten konkrete Anschuldigungen gegen Stephanus vorgebracht, und sie stellten Zeugen auf, die in ihrer Rolle sorgfältig geschult worden waren. Es war ein äußerst dramatischer, beeindruckender Moment, als die Anklage vollständig vorgetragen und alle Zeugenaussagen gehört worden waren. Die Augen aller Ratsmitglieder waren fest auf Stephanus gerichtet und erwarteten natürlich, dass er auf die eine oder andere Weise auf die Anklage antworten würde. Und hier gab Gott einen sichtbaren Beweis, dass er seinen Diener unterstützte und bis zum Ende bei ihm sein würde. Die Richter sahen das Gesicht des Stephanus, als wäre es das Gesicht eines Engels gewesen. Dies ist keine Beschreibung einer außergewöhnlichen körperlichen Schönheit, sondern eines übernatürlichen Glanzes, wie der auf dem Gesicht von Mose, nachdem er mit Gott gesprochen hatte. Ein solcher himmlischer Glanz passte auf das Gesicht eines Menschen, dem die Herrlichkeit des Herrn offenbart worden war. Anmerkung: Wie Stephanus kann jeder christliche Prediger, der furchtlos von Christus und seinem Wort Zeugnis ablegt, leicht in eine Debatte mit den Feinden Christi verwickelt werden. Und wenn die Ungläubigen durch Tatsachen aus dem Wort Gottes besiegt worden sind, versuchen sie, sich durch Drohungen und Lästerungen zu rächen und, wenn möglich, die Wahrheit mit Gewalt zu unterdrücken. So mancher Zeuge für Christus ist auf diese Weise vor geistlichen und weltlichen Gerichten als Gotteslästerer, Verräter und Aufrührer gebrandmarkt worden.

 

Zusammenfassung: Um einer dringenden Notlage abzuhelfen, wählt die Gemeinde in Jerusalem auf Vorschlag der Apostel sieben Diakone, die sich um die Armen und Witwen kümmern sollen; einer von ihnen, Stephanus, legt Zeugnis für Christus ab und wird vor dem Sanhedrin angeklagt.

 

 

Kapitel 7

 

Die Verteidigung des Stephanus und sein Märtyrertod (7,1-60)

    1 Da sprach der Hohepriester: Ist dem so? 2 Er aber sprach: Liebe Brüder und Väter, hört zu! Gott der Herrlichkeit  erschien unserem Vater Abraham, da er noch in Mesopotamien war, ehe er wohnte in Haran, 3 und er sprach zu ihm: Gehe aus deinem Land und von deiner Verwandtschaft und zieh in ein Land, das ich dir zeigen will. 4 Da ging er aus der Chaldäer Land und wohnte in Haran. Und von dort, da sein Vater gestorben war, brachte er ihn herüber in dies Land, darin ihr nun wohnt. 5 Und gab ihm kein Erbteil drinnen, auch nicht einen Fuß breit; und verhieß ihm, er wollte es geben ihm zu besitzen und seinem Samen nach ihm, da er noch kein Kind hatte.

    6 Aber Gott sprach so: Dein Same wird ein Fremdling sein in einem fremden Land, und sie werden ihn dienstbar machen und übel behandeln vierhundert Jahre. 7 Und das Volk, dem sie dienen werden, will ich richten, sprach Gott; und danach werden sie ausziehen und mir dienen an dieser Stätte. 8 Und gab ihm den Bund der Beschneidung. Und er zeugte Isaak und beschnitt ihn am achten Tag und Isaak den Jakob und Jakob die zwölf Erzväter.

    9 Und die Erzväter neideten Joseph und verkauften ihn nach Ägypten. Aber Gott war mit ihm 10 und errettete ihn aus aller seiner Trübsal und gab ihm Gnade und Weisheit vor dem König Pharao in Ägypten; der setzte ihn zum Fürsten über Ägypten und über sein ganzes Haus. 11 Es kam aber eine teure Zeit über das ganze Land Ägypten und Kanaan und eine große Trübsal, und unsere Väter fanden nicht Fütterung. 12 Jakob aber hörte, dass in Ägypten Getreide wäre, und sandte unsere Väter aus zum ersten Mal. 13 Und beim zweiten Mal wurde Joseph erkannt von seinen Brüdern und wurde Pharao Josephs Abstammung offenbar. 14 Joseph aber sandte aus und ließ holen seinen Vater Jakob und seine ganze Verwandtschaft, fünfundsiebzig Seelen. 15 Und Jakob zog hinab nach Ägypten und starb, er und unsere Väter. 16 Und sind herübergebracht nach Sichem und gelegt in das Grab, das Abraham gekauft hatte ums Geld von den Kindern Hemors zu Sichem.

    17 Da nun sich die Zeit der Verheißung nahte, die Gott Abraham geschworen hatte, wuchs das Volk und mehrte sich in Ägypten, 18 bis dass ein anderer König aufkam, der nichts wusste von Joseph. 19 Dieser trieb Hinterlist mit unserem Geschlechte und behandelte unsere Väter übel und schaffte, dass man die jungen Kindlein hinwerfen musste, dass sie nicht lebendig blieben. 20 Zu der Zeit wurde Mose geboren und war ein feines Kind vor Gott und wurde drei Monate ernährt in seines Vaters Haus. 21 Als er aber hingeworfen ward, nahm ihn die Tochter Pharaos auf und zog ihn auf zu einem Sohn. 22 Und Mose ward gelehrt in aller Weisheit der Ägypter und war mächtig in Werken und Worten.

    23 Da er aber vierzig Jahre alt wurde, gedachte er, zu besehen seine Brüder, die Kinder von Israel, 24 und sah einen Unrecht leiden. Da half er und rächte den, dem Leid geschah, und erschlug den Ägypter. 25 Er meinte aber, seine Brüder sollten’s vernehmen, dass Gott durch seine Hand ihnen Heil gäbe; aber sie vernahmen’s nicht. 26 Und am nächsten Tag kam er zu ihnen, da sie sich miteinander haderten, und handelte mit ihnen, dass sie Frieden hätten, und sprach: Liebe Männer,  ihr seid Brüder, warum tut einer dem andern Unrecht? 27 Der aber seinem Nächsten Unrecht tat, stieß ihn von sich und sprach: Wer hat dich über uns gesetzt zum Obersten und Richter? 28 Willst du mich auch töten, wie du gestern den Ägypter tötetest? 29 Mose aber floh über dieser Rede und ward ein Fremdling im Lande Midian.  Daselbst zeugte er zwei Söhne.

    30 Und nach über vierzig Jahren erschien ihm in der Wüste auf dem Berge Sinai der Engel des HERRN in einer Feuerflamme im Busch. 31 Da es aber Mose sah, wunderte er sich des Gesichtes. Als er aber hinzuging, zu schauen, geschah die Stimme des HERRN zu ihm: 32 Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Mose aber ward zitternd und durfte nicht anschauen. 33 Aber der HERR sprach zu ihm: Zieh die Schuhe aus von deinen Füßen; denn die Stätte, da du stehst, ist heilig Land. 34 Ich habe wohl gesehen das Leiden meines Volks, das in Ägypten ist, und habe ihr Seufzen gehört und bin herabkommen, sie zu erretten. Und nun komm her; ich will dich nach Ägypten senden.

    35 Diesen Mose, welchen sie verleugneten und sprachen: Wer hat dich zum Obersten und Richter gesetzt? den sandte Gott zu einem Obersten und Erlöser durch die Hand des Engels, der ihm erschien im Busch. 36 Dieser führte sie aus und tat Wunder und Zeichen in Ägypten, im Roten Meer und in der Wüste vierzig Jahre.

    37 Dies ist Mose, der zu den Kindern von Israel gesagt hat: Einen Propheten wird euch der HERR, euer Gott, erwecken aus euren Brüdern gleichwie mich, den sollt ihr hören. 38 Dieser ist’s, der in der Gemeinde in der Wüste mit dem Engel war, der mit ihm redete auf dem Berge Sinai und mit unseren Vätern; dieser empfing das lebendige Wort, uns zu geben; 39 welchem nicht wollten gehorsam werden eure Väter, sondern stießen ihn von sich und wandten sich um mit ihren Herzen nach Ägypten 40 und sprachen zu Aaron: Mache uns Götter, die vor uns hingehen; denn wir wissen nicht, was diesem Mose, der uns aus dem Land Ägypten geführt hat, widerfahren ist. 41 Und machten ein Kalb zu der Zeit und opferten dem Götzen Opfer und freuten sich der Werke ihrer Hände.

    42 Aber Gott wandte sich und gab sie dahin, dass sie dienten des Himmels Heer; wie denn geschrieben stehet in dem Buch des Propheten: Habt ihr vom Haus Israel die vierzig Jahre in der Wüste mir auch je Opfer und Vieh geopfert? 43 Und ihr nahmt die Hütte Molochs an und das Gestirn eures Gottes Remphan, die Bilder, die ihr gemacht hattet, sie anzubeten; und ich will euch wegwerfen jenseits Babyloniens.

    44 Es hatten unsere Väter die Hütte des Zeugnisses in der Wüste, wie er ihnen das verordnet hatte, da er zu Mose redete, dass er sie machen sollte nach dem Vorbild, das er gesehen hatte, 45 welche unsere Väter auch annahmen und brachten sie mit Josua in das Land, das die Heiden innehatten, welche Gott ausstieß vor dem Angesicht unserer Väter bis zur Zeit Davids. 46 Der fand Gnade bei Gott und bat, dass er eine Hütte finden möchte dem Gott Jakobs. 47 Salomo aber baute ihm ein Haus. 48 Aber der Allerhöchste wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind, wie der Prophet spricht: 49 Der Himmel ist mein Stuhl und die Erde meiner Füße Schemel; was wollt ihr mir denn für ein Haus bauen, spricht der HERR, oder welches ist die Stätte meiner Ruhe? 50 Hat nicht meine Hand das alles gemacht?

    51 Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen und Ohren, ihr widerstrebt allezeit dem Heiligen Geist, wie eure Väter, also auch ihr! 52 Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt und sie getötet, die da zuvor verkündigten die Zukunft dieses Gerechten, dessen Verräter und Mörder ihr nun worden seid? 53 Ihr habt das Gesetz empfangen durch der Engel Geschäfte und habt’s nicht gehalten.

    54 Da sie solches hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und bissen die Zähne zusammen über ihn. 55 Er aber, voll Heiligen Geistes, sah er auf zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur Rechten Gottes 56 und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen.

    57 Sie schrien aber laut und hielten ihre Ohren zu und stürmten einmütig zu ihm ein, stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. 58 Und die Zeugen legten ab ihre Kleider zu den Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus. 59 Und sie steinigten Stephanus, der anrief und sprach: HERR Jesus, nimm meinen Geist auf! 60 Er kniete aber nieder und schrie laut: HERR, behalt ihnen diese Sünde nicht! Und als er das gesagt, entschlief er.

 

    Stephanus bezieht sich auf die Berufung Abrahams (V. 1-5): Nachdem die Anklage erhoben worden war, gab der Vorsitzende des Sanhedrins, der Hohepriester, Stephanus die Erlaubnis, darauf zu antworten. Und Stephanus beginnt seine Verteidigungsrede mit einer respektvollen Ansprache an die Richter, von denen einige in seinem Alter und in seinem Stand waren und daher wohl Brüder genannt werden könnten, während andere ehrwürdig waren und daher Väter genannt werden sollten. Schon die ersten Worte seiner Rede machen deutlich, dass er beabsichtigt, einige weit verbreitete Vorstellungen zu korrigieren. Die Herrlichkeit Gottes in der Wolke des Bundes, die sogenannte Schechina, war nicht auf die Stiftshütte oder den Tempel beschränkt, sondern der Gott der Herrlichkeit, der Besitzer der unbegrenzten göttlichen Majestät, offenbarte sich auch an anderen Orten, wie es seinen Zwecken entsprach. So erschien er Abraham, als dieser noch in Mesopotamien, in Ur der Chaldäer, lebte, bevor die ganze Familie nach Charran oder Haran umzog, 1. Mose 11,31; 12,1. In Haran hatte Abraham den Befehl des Herrn erhalten, sowohl sein Land als auch seine Verwandtschaft zu verlassen und in das Land zu ziehen, das auch Terach vor seinem Tod im Sinn gehabt hatte. Abraham, damals Abram, hatte also die Übersiedlung in das Land Kanaan vollzogen, wo er als Fremder unter den Kanaanitern lebte und nicht einmal einen Platz hatte, den er sein eigen nennen konnte. Es stimmt zwar, dass sowohl Abraham als auch Jakob kleine Grundstücke in Kanaan besaßen, aber sie bekamen sie durch Kauf, nicht durch Gottes Gabe, und Abraham war sogar gezwungen, eine Begräbnisstätte für seine Frau zu kaufen (1. Mose 23). Die Verheißung Gottes an Abraham, dass er und seine Nachkommen nach ihm das Land besitzen sollten, zu einer Zeit, als er noch nicht einmal ein eigenes Kind hatte, erforderte also einen sehr starken Glauben.

 

    Die Verheißung an Abraham (V. 6-8): Für Abraham stellten die Verheißungen Gottes eine Glaubensprüfung nach der anderen dar. Lange bevor er einen Sohn hatte, sagte ihm der Herr, dass seine Nachkommen in einem fremden Land versklavt werden würden, wo sie etwa vierhundert Jahre bleiben sollten, 1. Mose 15,13.16, die genaue Zahl wird an anderer Stelle in der Schrift genannt, Gal. 3,17. Übrigens lag für Abraham ein Trost darin, dass Gott verheißen hatte, die grausamen Herren zu richten, das Urteil über sie zu sprechen, um sein Volk schließlich herauszuführen, um ihm an diesem Ort, in Jerusalem, zu dienen und ihn anzubeten, 2. Mose 3,12. Noch später gab Gott Abraham den Bund und den Ritus der Beschneidung, als das erste Sakrament der alttestamentlichen Kirche, und als schließlich Isaak geboren wurde, wurde er durch diesen Ritus in den Bund aufgenommen. Und so wurde zu gegebener Zeit Jakob gezeugt und schließlich die zwölf Patriarchen, die Söhne Israels.

 

    Die Geschichte von Jakob und Joseph (V. 9-16): Der Bericht schreitet mit der gleichen interessanten, anschaulichen Kraft wie zuvor voran und ist ebenso geschickt gekürzt. Die Brüder Josephs waren eifersüchtig auf die Gunst, die sein Vater ihm entgegenbrachte, und verkauften ihn in einem Anfall von Neid an die Midianiter und damit über sie nach Ägypten, 1. Mose 37,4.11.28. Aber auch hier war Gott mit Josef, wie Stephanus betont, und rettete ihn aus all seinem Unglück und seiner Bedrängnis, die ihm auch im Land seiner Knechtschaft widerfuhr, und gab ihm sowohl Gunst als auch Weisheit vor dem Pharao, dem König von Ägypten. Der hebräische Sklave, der wenige Stunden zuvor noch unbekannt war, wurde zum Herrscher über Ägypten und zum Verwalter des Königshauses. Dann kam die Hungersnot, die nicht nur Ägypten, sondern auch Kanaan heimsuchte und großes Leid verursachte, da nicht nur das gewöhnliche Brot, sondern alle aus Getreide hergestellten Lebensmittel knapp wurden. Als aber die Nachricht eintraf, dass Ägypten mit Getreide versorgt war, schickte Jakob seine Söhne zum ersten Mal dorthin, 1. Mose 42,1. Bei ihrer zweiten Ankunft gab sich Joseph seinen Brüdern zu erkennen, wodurch auch dem Pharao die Familie und die Herkunft Josephs bekannt wurden. Zu diesem Zeitpunkt sandte Joseph aus, um seinen alten Vater und seine ganze Verwandtschaft nach Ägypten zu holen. Stephanus spricht hier nicht im Gegensatz zu 1. Mose 46,27, wo nur von siebzig Seelen die Rede ist, sondern folgt der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der sogenannten Septuaginta, die damit vom Geist Gottes bestätigt wird. Denn mit der Zahl fünfundsiebzig folgt der Text dem Genesisbericht und schließt die beiden Söhne Manasses, die beiden Söhne Ephraims und den Enkel des letzteren ein. Nachdem Jakob nach Ägypten umgezogen war, starb er dort zu gegebener Zeit, und alle seine Söhne starben ebenfalls dort. Aufgrund einer besonderen Bitte und eines Versprechens, das Jakob mit einem Eid von Joseph erhalten hatte, wurde sein Leichnam nach Kanaan gebracht und in der Höhle auf dem Feld von Machpela begraben, 1. Mose 50,13. Diese Höhle hatte Abraham von Ephron, dem Hethiter, gekauft, 1. Mose 23,16. Jakob hatte von Emmor oder Hamor, dem Vater von Schechem [Sichem], nach dem die ganze Gegend benannt ist, ein Stück Land gekauft, Gen. 33, 19. Dort wurde Joseph begraben, und sehr wahrscheinlich auch alle anderen Söhne Jakobs, Jos. 24,32, wie Hieronymus, der im vierten Jahrhundert in Palästina lebte, berichtet. So werden die beiden Berichte in dem kurzen Bericht des Stephanus zu einem einzigen zusammengefasst.

 

    Die Geburt und Jugend Moses (V. 17-23): Nach dem Tod Jakobs, Josephs und der Patriarchen war der Aufenthalt der Kinder Israels in Ägypten mehrere Jahrhunderte lang angenehm genug. Aber in demselben Maße, in dem sich die Zeit ihres Aufenthalts gemäß Gottes Verheißung dem Ende zuneigte, wuchs das Volk in Ägypten und wurde zahlreich. Ihr rasches Wachstum entsprach dem raschen Herannahen der von Gott festgesetzten Zeit. Dieses bemerkenswerte Wachstum stand im Einklang mit der Verheißung, die Gott Abraham gegeben hatte. Diese Entwicklung setzte sich fort, bis ein anderer König in Ägypten auftauchte; eine neue Dynastie wurde durch Eroberung errichtet. Der neue Pharao wusste natürlich nichts von Joseph und dem Segen, den er dem Land Ägypten gebracht hatte, und kümmerte sich auch nicht um ihn; er war vielmehr besorgt über die schnelle Vermehrung des fremden Volkes, das einen sehr begehrten Teil des Landes besetzte. So kam er auf einen Plan, der vom Standpunkt der Ägypter aus gesehen sicherlich ein kluger Schachzug war, obwohl er zu einer schlechten Behandlung der Kinder Israels führte, zu Bedrängnissen aller Art, deren Höhepunkt gewissermaßen der Befehl war, die Kinder, alle Knaben, die den Israeliten geboren wurden, in den Nil zu werfen, damit sie nicht am Leben bleiben würden. Als es so weit war, wurde Mose geboren, in Übereinstimmung mit Gottes Plan zur Befreiung der Juden, wie die Worte des Stephanus zeigen, denn er war überaus schön, schön vor Gott, im Urteil Gottes; er war nicht nur von außergewöhnlicher körperlicher Schönheit, sondern die Anzeichen für eine ungewöhnliche geistige Begabung waren sehr günstig. Drei Monate lang hielt seine Mutter ihn versteckt und nährte ihn, gab ihm alle Fürsorge, die ein Kind haben sollte. Und als sie ihn schließlich aussetzte, geschah dies auf Geheiß Gottes an einem Ort, an dem Thermuthis, die Tochter des Pharao, das Kind fand, es aus seinem kleinen Gefäß herausnahm und es zu ihrem eigenen Sohn heranzog. Sie hat ihn praktisch, wenn nicht sogar tatsächlich, adoptiert. Und in seiner Eigenschaft als Pflegesohn der Prinzessin genoss Mose ungewöhnliche Vorteile, und Stephanus ergänzt hier den Bericht des Alten Testaments. Mose wurde in der ganzen Weisheit der Ägypter erzogen, unterrichtet und gebildet, wobei er sehr wahrscheinlich ihre großen Gelehrtenschulen besuchte, die unseren heutigen Universitäten entsprechen, und so eine geistige Ausbildung erhielt, die in der Welt jener Tage ihresgleichen suchte. Anmerkung: Diese gründliche Ausbildung kam Mose später zugute, denn damals wie heute gilt, dass alle Künste und Wissenschaften der Welt der einen größten Wissenschaft, der Theologie, und der Verkündigung des Evangeliums dienen sollen. Das Ergebnis rechtfertigte im Fall von Mose gewiss alle Anstrengungen, die zu seinen Gunsten unternommen wurden, denn er war mächtig in Worten und Taten. Er war voller Kraft und Energie, um jedes Projekt voranzutreiben, auch wenn es ihm vielleicht an Ausdrucksstärke mangelte, 2. Mose 4,10. Was ihm an Anmut und Schliff fehlte, machte er durch Tiefe und Kraft mehr als wett. Darin ist Mose ein Vorbild für alle Menschen, die Gott in Führungspositionen in seiner Kirche eingesetzt hat.

 

    Mose versucht, sein Volk zu befreien (V. 23-29): Die in 2. Mose 2 geschilderten Ereignisse werden hier kurz wiedergegeben. Die gesamte Ausbildung des Mose unter der Leitung seiner Pflegemutter kann durchaus bis zu einem Alter von fast vierzig Jahren gedauert haben, denn viele Jahre waren dem Studium der Mathematik, der Naturphilosophie und der Medizin gewidmet, in denen die Ägypter einen bemerkenswerten Fortschritt gemacht hatten. Aber er muss sich während dieser ganzen Zeit seiner Herkunft bewusst gewesen sein, denn seine Mutter war seine Amme gewesen und hatte ihm zweifellos die Verheißungen des Herrn und die Prophezeiung über die Befreiung seines Volkes aus der Knechtschaft Ägyptens vermittelt. Als Mose also vierzig Jahre alt geworden war, entstand in seinem Herzen der Gedanke, seine Brüder, die Kinder Israels, zu besuchen. Es ist kaum anzunehmen, dass er zu diesem Zeitpunkt irgendeine Offenbarung des Herrn über seine künftige Stellung unter seinen versklavten Brüdern erhalten hatte, obwohl es eine jüdische Überlieferung gibt, die besagt, dass Amram, der Vater des Mose, von Gott eine Andeutung erhalten hatte, dass sein Sohn der Anführer bei der Befreiung der Juden sein würde. Bei dieser Gelegenheit sah Mose, dass einer seiner Brüder schlecht behandelt wurde, und er setzte sich sofort für ihn ein. Er sorgte für rasche Gerechtigkeit und Rache für den Unterdrückten, indem er den Ägypter tötete, der seine Autorität übertreten hatte. Anmerkung: Die Tat des Mose war in diesem Fall kein Mord, denn er war ein ägyptischer Fürst mit absoluter Macht über Leben und Tod, und er wird in der Heiligen Schrift nirgends dafür getadelt, aber es war eine unüberlegte Tat, denn er hatte kein Recht, der Vorsehung Gottes vorzugreifen, nur weil er persönlich an das göttliche Schicksal Israels glaubte. Der Versuch des Mose war verfrüht und unberechtigt. Er nahm an, dass seine Brüder verstanden, dass Gott ihnen durch seine Hand Rettung und Befreiung schenkte, aber sie verstanden es nicht; sie nahmen die Einmischung des ägyptischen Fürsten als ungerechtfertigte Aufdringlichkeit übel. Als er deshalb am nächsten Tag versuchte, zwei streitende Israeliten zu versöhnen und Frieden zu stiften, indem er sie sanft zurechtwies: Männer, ihr seid Brüder, warum tut ihr einander Unrecht? wurde er entschieden zurückgewiesen: Wer hat dich als Herrscher und Richter über uns eingesetzt? Weit davon entfernt, sich unter seiner Führung zu erheben und für die Freiheit einzutreten, lehnten seine Landsleute alle seine Angebote vehement ab und halfen sogar dabei, seinen Einsatz für sie öffentlich zu machen. So floh Mose und wurde ein Fremder im Land Midian, draußen in der Wüste, wo er ein einheimisches Mädchen heiratete und Vater zweier Söhne wurde, 2. Mose 2,22; 4,25; 18,3-5. Mose floh aus Ägypten, weil er von seinem Volk nichts mehr zu erhoffen hatte und auch, weil sein Leben nicht mehr sicher war. Manches, was an sich durchaus lobenswert ist, wird aus eigenem Antrieb ohne Erfolg unternommen, aber dieselbe Sache wird später, zu Gottes Zeit, zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Eifer, der nicht der Erkenntnis entspricht, kann fast ebenso viel Schaden anrichten wie Zögerlichkeit und Zaudern.

 

    Die Berufung Moses (V. 30-34): Als die vierzig Jahre vollendet waren, nachdem Mose vierzig Jahre in der Wüste in der Nähe des Berges Sinai, damals auch Horeb genannt, gelebt hatte, widerfuhr ihm ein seltsames Erlebnis. Der Engel des Herrn, 2. Mose 3,2, der Engel in der besonderen Bedeutung des Wortes, die auf die Offenbarung des Gottessohnes im Alten Testament hinweist, erschien ihm in einer Feuerflamme eines Busches, in einem Dornbusch, der ganz in Flammen zu stehen schien. Diese Erscheinung veranlasste Mose, sich zu wundern und näher heranzutreten, um die Sache genauer zu betrachten. Und dann kam die Stimme des Herrn aus dem Busch zu ihm und bezeichnete sich selbst als den Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs. Mose, der nun völlig verängstigt war, wagte nicht einmal, genauer hinzusehen oder das Wunder zu untersuchen. Aber der Herr gab ihm sofort seinen Auftrag, indem er ihm befahl, zuerst seine Sandalen zu lösen, denn der Ort, an dem er stand, war heiliger Boden. Und dann, mit aller Feierlichkeit und Eindringlichkeit, kam der Ruf des Herrn selbst: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und sein Seufzen gehört, und ich bin herabgestiegen, um es zu befreien; und nun komm her, ich will dich nach Ägypten senden. Was Mose erhofft und aus eigener Kraft erfolglos zu verwirklichen versucht hatte, sollte nun durch Gottes Willen und gemäß seiner Verheißung Wirklichkeit werden. Es war nun eine Angelegenheit von Gottes Ernennung, nicht von der Wahl des Menschen, und daher von Gottes allmächtiger Macht, den Ruf zu unterstützen. Mit Gottes Ruf, auf den man sich verlassen kann, mit Gottes Befehl und Verheißung, die klar sind, kann jeder Diener des Herrn mit fröhlichem Vertrauen auf den sicheren Erfolg seines Vorhabens aufbrechen.

 

   Mose, der Befreier (V. 35-36): Um die Juden zu charakterisieren und zu betonen, dass sie schon immer ein ungehorsames und starrköpfiges Volk waren, stellt Stephanus hier das ganze Volk als an der ersten Ablehnung des Mose beteiligt dar. Sie hatten ihn verleugnet, hatten sich geweigert, ihn als Herrscher und Richter anzuerkennen; aber Gott hatte ihn, als er die Sache in die Hand nahm, nicht nur zum Führer oder Herrscher gemacht, sondern ihm darüber hinaus mehr als die Funktionen eines bloßen Richters gegeben: Er hatte ihn als ihren Befreier gesandt, mit der helfenden und schützenden Hand des Engels, der ihm im Dornbusch erschienen war. Und Mose hatte seine Aufgabe als Erlöser gut erfüllt. Er hatte die Israeliten aus Ägypten herausgeführt, nachdem er in Ägypten Wunder und Zeichen vollbracht hatte, als Gericht über den Pharao, wie er sie auch am Schilfmeer und während der gesamten vierzigjährigen Reise durch die Wüste vollbrachte. Gerade die Person, die die Israeliten abgelehnt und praktisch in die Hände des Pharaos übergeben hatten, um getötet zu werden, war die Person, durch die sie aus ihrer ägyptischen Knechtschaft erlöst wurden. Die Anwendung auf den parallelen Fall Jesu, den Stephanus wahrscheinlich im Sinn hatte, lässt sich ohne weiteres vornehmen.

 

    Der Ungehorsam der Juden (V. 37-41): Mit dem Fortschreiten seiner Verteidigungsrede nimmt die leidenschaftliche Inbrunst der Argumente des Stephanus zu. Er predigt das Gesetz, und er hat nicht die Absicht, dessen harte Schläge durch irgendwelche mildernden Umstände abzumildern, bevor er seinen Standpunkt richtig dargelegt hat. Er erinnert seine Richter noch einmal daran, dass es Mose war, auf den er sich bezog, der über einen anderen Propheten, der ihm ähnlich war, prophezeite, Kap. 3,22, und forderte, dass sie ihm Gehorsam leisten sollten; Mose war also ein Unterstützer der Ansprüche Christi. Wiederum war es Mose, der inmitten der Gemeinde oder Versammlung der Kinder Israels in der Wüste als einziger die persönliche Bekanntschaft und Nähe des großen Engels des Herrn genoss, der zuvor am Berg Sinai zu ihm gesprochen hatte und der nun als der allmächtige Gott zu der gesamten versammelten Nation sprach. Wieder war es Mose, der die lebendigen Worte, die lebendigen Orakel oder Sprüche aus dem Mund Gottes empfing, um sie dem Volk zu geben. Die Gesetze der Juden waren nicht als toter Buchstabe gedacht, wie die Mitteilungen, die die heidnischen Priester von ihren Göttern zu erhalten behaupten, sondern sie besitzen eine lebendige Kraft und Wirksamkeit. Aber trotz all dieser ausdrücklichen Bekundungen und Zeugnisse Gottes, die die Berufung des Mose bestätigten und seine Stellung im Volk festigten, wollten die Israeliten, die Väter des heutigen Volkes, wie Stephanus bemerkt, dem Mose nicht gehorsam sein, sondern stießen ihn ab, verwarfen ihn und wandten ihr Herz Ägypten zu. Sie verlangten von Aaron, dass er ihnen eine Art von Göttern mache, die fortan als ihre Herrscher und Führer durch die Wüste gelten sollten, denn Mose verweilte so lange auf dem Berg, dass sie nicht wussten, welches Schicksal ihn ereilen würde, wie sie leichtsinnig bemerken. Und so machten sie durch die Hände Aarons, der sich als ihr williges Werkzeug erwies, in jenen Tagen die Gestalt eines Kalbes und brachten Brandopfer vor ihrem Götzen und freuten sich, fanden ihre große Freude und ihr Glück in den Werken ihrer eigenen Hände. Die Ironie des Stephanus ist beabsichtigt, denn einer seiner Vorwürfe lautet, dass auch die Juden seiner Zeit auf Äußerlichkeiten vertrauten und erwarteten, durch die äußere Einhaltung von Bräuchen und Zeremonien, von denen sie viele selbst erfunden hatten, gerettet zu werden. Es besteht immer die Gefahr, vor allem in einer schon länger bestehenden Kirche, dass eine tote Orthodoxie entsteht, dass man sich an äußere Formen klammert, obwohl das Leben nicht mehr da ist.

 

    Gott verwirft sein Volk (V. 42-43): Stephanus ergänzt hier den Bericht über den Pentateuch, die Bücher des Mose, mit einem Abschnitt aus dem Propheten Amos, Kap. 5,25.26. Nach dieser schamlosen Zurschaustellung von Ungehorsam wandte sich Gott von seinem Volk ab. Es war eine Form seines Gerichts, dass er ihnen erlaubte, auf dem Weg des Götzendienstes fortzufahren; es war ein Fluch über ihre Herzenshärte, dass er sie aufgab, sie im Stich ließ; zur Anbetung der Heerscharen des Himmels, zur Sternenanbetung, wie sie in Ägypten, Chaldäa und Phönizien praktiziert wurde. Hierüber hatte Amos geschrieben: Habt ihr mir wirklich vierzig Jahre lang in der Wüste geschlachtete Tiere und Schlachtopfer dargebracht? Als ob Er sagen würde: Wie hätten sie denn wirklich und wirksam und annehmbar sein können, solange die Zuneigung des Volkes weit vom Herrn entfernt und in der Anbetung der Götzen verstrickt war? Und deshalb beantwortet der Herr seine Frage selbst. Während die Israeliten so taten, als ob sie sich nur für die wahre Anbetung interessierten, wurde die Stiftshütte Gottes für sie in Wirklichkeit zu einer Stiftshütte des Molochs, der babylonischen Gottheit, die von vielen heidnischen Völkern angebetet wurde, und mit abscheulichen Bräuchen, Jer. 32,35; 3. Mose 18,21. So hatten auch die Israeliten eine Figur ihres Sternengottes Remphan mit sich geführt, was der assyrische Name für den Planeten Saturn gewesen zu sein scheint. Solchen Figuren dienten sie, indem sie ihnen die Verehrung entgegenbrachten, die allein Gott gebührte. Und so kam die Strafe der Verwerfung durch Gott über sie, der sie wegführen ließ, ins Exil, nicht nur jenseits von Damaskus, wie der Prophet geschrieben hatte, sondern sogar jenseits von Babylon, wie Stephanus hier aus den Beweisen der Geschichte hinzufügt. Es war die Verurteilung eines götzendienerischen Volkes durch Gott, eine Lehre für alle Zeitalter der Welt.

 

    Die Stiftshütte und der Tempel (V. 44-50): Stephanus nimmt die Aufzählung der verschiedenen Gotteshäuser der Juden mit einer Absicht auf, denn er will zeigen, dass die Abhängigkeit von den Formen der äußeren Anbetung ohne den wahren Glauben des Herzens eitel ist. Diesen Vorteil hatten die Kinder Israels in der Wüste: Sie hatten die Stiftshütte, in der Gott selbst erschien und für sich selbst Zeugnis ablegte. Sie hatten sie genau so gebaut, wie Gott sie in seinem langen Gespräch mit Mose, 2. Mose 25,40, gezeigt und ihm befohlen hatte. Mose hatte das Muster und den Plan des ganzen Zeltes und aller seiner Einrichtungen gesehen, und so wurde es auch gemacht. Und dieselbe Stiftshütte, die dem Volk von Mose aufgetragen worden war, nahmen sie mit, als sie unter der Führung Josuas in das verheißene Land einzogen, als sie den früheren Besitz der Heiden einnahmen. Denn diese hatte der Herr während mehrerer Jahrhunderte, zur Zeit der Richter und Sauls, bis zur Zeit Davids, des Geliebten des Herrn, allmählich vor den Kindern Israels verjagt, vertrieben. Zu seiner Zeit war die Eroberung des Landes praktisch abgeschlossen, und die Völker, die nicht vernichtet worden waren, waren unterworfen worden. Da David nun Gunst bei Gott gefunden hatte und bei ihm in hohem Ansehen stand, wünschte er sich nicht nur ernsthaft, sondern bat sogar darum, eine dauerhafte Stiftshütte für den Herrn zu bauen; und wenn der Tempel tatsächlich den Wert gehabt hätte, den die späteren Juden ihm beimaßen, hätte man erwarten können, dass Gott seine Zustimmung gegeben hätte. Aber der Tempel wurde nicht von David, sondern von Salomo gebaut, 2. Chron. 6,7-9. Aber Stephanus will seine Zuhörer daran erinnern, dass die Gegenwart des höchsten Gottes nicht auf ein Gebäude beschränkt ist, auch wenn es die Größe und Schönheit des salomonischen Tempels hätte. Der Erbauer des ersten Tempels hatte dies selbst zugegeben, 1. Kge. 8,27; 2. Chron. 6,18. Und der Prophet Jesaja hatte in demselben Sinne geschrieben, Kap. 66,1.2: Der Himmel ist mir ein Thron und die Erde ein Schemel für meine Füße; was für ein Haus wollt ihr mir bauen, spricht der Herr, oder was für eine Stätte für meine Ruhe? Hat nicht Meine Hand dies alles gemacht? Die absolute Torheit der Juden, ihren Glauben an den Tempel zu knüpfen, der den Platz des salomonischen Tempels eingenommen hatte, und an die Stadt, in der er errichtet worden war, hätte nicht deutlicher zum Ausdruck gebracht werden können als in diesen Worten. Der gesamte Gottesdienst der Juden war zu einer bloßen Einhaltung von Formen und Gebräuchen verkommen, ohne Leben und wahre Kraft. Und Stephanus hatte die Situation mit ein paar starken, aber treffenden Worten skizziert, um sie den Augen seiner Richter so darzustellen, wie sie tatsächlich war.

 

    Der Abschluss der Rede (V. 51-53): Stephanus hatte nun die ganze Geschichte der Juden Revue passieren lassen und gezeigt, wie sie sich zu allen Zeiten gegenüber dem Herrn und dem Führer, den der Herr ihnen gegeben hatte, verhalten hatten, indem sie sich eher auf äußere Formen und Zeremonien, die mit einem sichtbaren Heiligtum verbunden waren, verließen, um sich vor Gott zu rechtfertigen. Die gerechte Entrüstung des Stephanus erreicht daher an diesem Punkt seines Vortrags ihren Höhepunkt. Kühn sagt er seinen Richtern, sie seien halsstarrig, verstockt, widerspenstig, unwillig, auf die Vernunft zu hören, 2. Mose 33,3.5; 34,9; 5. Mose 9,6. Und darüber hinaus sind sie unbeschnitten an Herz und Ohren, 3. Mose 26,41; Jer. 6,10; Hes. 44,7.9. Dies waren ernste Worte des Vorwurfs und der Verachtung, die die Führer der Juden in eine Reihe mit den heidnischen Völkern und den abgefallenen Juden stellten. Diese strenge Verurteilung bekräftigt Stephanus durch den Vorwurf, dass sie sich dem Heiligen Geist stets und ständig widersetzten, sich ihm buchstäblich in den Weg stellten und so das Wirken seiner Gnade in ihren Herzen verhinderten. Der Heilige Geist wollte auch diese Feinde Christi bekehren, er gab ihnen jeden Beweis seines gnädigen Willens ihnen gegenüber, indem er das Evangelium so lange vor ihnen predigen ließ; aber sie weigerten sich absichtlich und willentlich, auf seinen Ruf zu hören. Und hierin folgten sie ihren Vätern, von deren Ungehorsam und Eigensinn Stephanus eine Reihe von Fällen anführte. Alle alten Propheten hatten die Juden auf die eine oder andere Weise verfolgt, und diejenigen, die das Kommen des Gerechten im Voraus verkündeten, hatten sie getötet. Die Propheten hatten das Kommen Jesu Christi, des Gerechten und Heiligen, vorausgesagt, und ihr Lohn war der Tod durch die Hand ihrer Landsleute. Und der Geist dieser Vorfahren war noch lebendig, denn diejenigen, die im Rat saßen, um den vorliegenden Fall zu beurteilen, waren zu Verrätern und Mördern desselben gerechten und heiligen Christus geworden. Und nicht nur das, sondern Stephanus erklärte, dass gerade das Gesetz, dessen sie sich rühmten, das sie durch die Anordnung der Engel empfangen hatten, wahrscheinlich so, dass der Herr durch den Mund der Engel sprach, als er das Gesetz auf dem Berg Sinai verkündete, dieses Gesetz nicht gehalten hatten. So predigte Stephanus in einem Anfall von großartiger Beredsamkeit diesen verstockten Heuchlern des Sanhedrins das Gesetz, um in ihnen eine wahre Erkenntnis ihrer Sünde zu bewirken, die zu Reue und Glauben führen könnte. Anmerkung: Die Predigt des Stephanus ermahnt uns Christen, auf die großen Segnungen Gottes unter der neuen Dispensation zu achten, damit wir nicht auch gleichgültig und dann gefühllos werden und schließlich dem Wirken des Heiligen Geistes widerstehen.

 

    Stephanus wird die Herrlichkeit Gottes offenbart (V. 54-56): Wahrscheinlich war Stephanus' Rede nicht so zu Ende, wie er es beabsichtigt hatte, aber die zunehmende Ungeduld und das Gemurmel seiner Zuhörer erlaubten ihm nicht, so zu schließen, dass Jesus stärker in den Vordergrund rückte. Denn die empörten Worte des Angeklagten schnitten den Richtern ins Herz, buchstäblich, zersägten sie in oder an ihrem Herzen. In unbändigem Zorn knirschten sie mit den Zähnen und unterbanden so jeden weiteren Versuch, seine Rede richtig zu halten. Aber Stephanus wurde hier eine besondere Gnade zuteil, eine Manifestation der Kraft des Heiligen Geistes, die ihn veranlasste, seine Umgebung völlig außer Acht zu lassen und zu vergessen, und eine Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, wie sie nur wenigen Menschen zuteil geworden ist. Er richtete seine Augen fest nach oben zum Himmel und sah dort die Herrlichkeit und Majestät Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen, als ob er sich bereit machte, seinem Diener beizustehen und ihn zu empfangen, wie es ein Kommentator ausdrückt. In einem Anflug von Ekstase bezeugte Stephanus das, was seine Augen durch die besondere Gnade Gottes gesehen hatten. Den Menschensohn nannte er Jesus, den Erlöser, der gemäß seinen beiden Naturen eine vollkommene Erlösung für alle Menschen erlangt hat. Beachte: Jesus, zur Rechten des Vaters, ist bereit, mit offenen Armen der Liebe all jene zu empfangen, die sich auf die von ihm erworbene Erlösung verlassen. Wo er ist, da sollen auch seine Diener sein. Er will sie in sein Reich aufnehmen, damit sie seine Herrlichkeit und die Herrlichkeit und Majestät des Vaters sehen können. So werden die Gläubigen durch die Verdienste Christi aus diesem Tal der Tränen in ihre himmlische Heimat gebracht.

 

    Die Steinigung des Stephanus (V. 55-60): Die letzte Ankündigung des Stephanus über die Vision, die ihm zuteil wurde, steigerte den Zorn der Richter zu einem vollkommenen Sturm der Entrüstung. Dass dieser Mann vor ihren Augen eine solche Seligkeit empfangen sollte, ließ sie die Würde, die Gerechtigkeit, die Menschlichkeit, all die Tugenden vergessen, derer sie sich sonst rühmten. Sie schrien mit lauter Stimme, um jeden Versuch von Stephanus zu übertönen, sich in dem entstehenden Lärm und Durcheinander Gehör zu verschaffen. Sie hielten sich die Ohren zu, damit kein weiteres Wort von seinen verhassten Lippen dorthin gelangte. Sie stürzten sich einmütig auf ihn, wie eine wahnsinnige Viehherde, über die jede Kontrolle verloren gegangen ist. Sie warfen ihn aus der Stadt hinaus und steinigten ihn dort. Dieses Vorgehen hatte nicht einmal den Anschein von Recht. Es verstieß gegen alle Regeln des jüdischen Strafrechts.[23] Man kann es nicht einmal als Hinrichtung bezeichnen, sondern nur mit dem Wort „Mord“, begangen von einem wütenden Mob, der gegen alle Gesetze verstieß. Und doch behielt der Mob genug Verstand, um einige Formen des Gesetzes zu beachten, wie z.B. den Gefangenen aus der Stadt zu bringen und auch die Zeugen aufzufordern, die Steinigung zu beginnen. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass die Zeugen, als sie sich für ihren mörderischen Angriff bereit machten, ihre Oberbekleidung zu Füßen eines jungen Mannes namens Saulus niederlegten. Was Stephanus betrifft, so starb er den Tod eines wahren christlichen Märtyrers. Während die Steine um ihn herumflogen und nachdem er geschlagen worden war, rief er laut zu seinem Herrn und Gott in der Person Jesu, des Erlösers. Sein erstes Gebet war, dass der Herr Jesus, der erhabene Christus, seinen Geist aufnehmen möge. Und nachdem er so seine Seele in die beste Obhut gegeben hatte, ließ er seinen letzten Seufzer zu einer Fürbitte für seine Mörder werden. Er sank auf die Knie und rief mit lauter Stimme, die zumindest einem der Anwesenden noch Jahre später in den Ohren geklungen haben mag: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an. Und dann schlief er ruhig in seinem Retter ein. So wurde Stephanus der erste Märtyrer der christlichen Kirche. Seit seiner Zeit sind Tausende von Christen um des Namens Jesu willen gemartert worden. Und ihr Tod lehrt eine Lehre, nämlich die, dass man um des Herrn willen fröhlich zeitlichen Besitz und Vermögen opfern soll. Am Ende erlangen wir alles, was ein Lohn der Barmherzigkeit uns geben kann, den Himmel selbst mit all seinen Herrlichkeiten. „Schließlich ist es ein schöner Trost, dass der heilige Stephanus hier den Himmel offen stehen sieht und dass er entschlafen ist. Hier sollen wir merken, dass Gott, unser Herr, uns beisteht, wenn wir glauben, und dass der Tod nicht Tod ist für die, die glauben. So hast du hier in dieser Geschichte den ganzen evangelischen Glauben, die Liebe, das Kreuz, den Tod und das Leben dargestellt.“[24]

 

Zusammenfassung: Stephanus hält eine wortgewaltige Verteidigungsrede, die die Mitglieder des Sanhedrins so erzürnt, dass sie ihn aus der Stadt werfen und steinigen.

 

 

Kapitel 8

 

Das Evangelium fasst in Samaria Wurzel (8,1-25)

    1 Saulus aber hatte Wohlgefallen an seinem Tode. Es erhob sich aber zu der Zeit eine große Verfolgung über die Gemeinde zu Jerusalem; und sie zerstreuten sich alle in die Länder Judäa und Samarien ohne die Apostel. 2 Es bestatteten aber Stephanus gottesfürchtige Männer und hielten eine große Klage über ihn. 3 Saulus aber zerstörte die Gemeinde, ging hin und her in die Häuser und zog hervor Männer und Frauen und überantwortete sie ins Gefängnis.

    4 Die nun zerstreut waren, gingen um und predigten das Wort. 5 Philippus aber kam hinab in eine Stadt in Samarien und predigte ihnen von Christus. 6 Das Volk aber hörte einmütig und fleißig zu, was Philippus sagte, und sahen die Zeichen, die er tat. 7 Denn die unsauberen Geister fuhren aus vielen Besessenen mit großem Geschrei; auch viel Gichtbrüchige und Lahme wurden gesund gemacht. 8 Und ward eine große Freude in derselben Stadt.

    9 Es war aber ein Mann mit Namen Simon, der zuvor in derselben Stadt Zauberei trieb und bezauberte das samaritische Volk und gab vor, er wäre etwas Großes. 10 Und sie sahen alle auf ihn, beide, klein und groß, und sprachen: Der ist die Kraft Gottes, die da groß ist! 11 Sie sahen aber darum auf ihn, dass er sie lange Zeit mit seiner Zauberei bezaubert hatte. 12 Da sie aber den Predigten des Philippus glaubten von dem Reich Gottes und von dem Namen Jesu Christi, ließen sich taufen beide, Männer und Frauen. 13 Da ward auch der Simon gläubig und ließ sich taufen und hielt sich zu Philippus. Und als er sah die Zeichen und Taten, die da geschahen, verwunderte er sich.

    14 Da aber die Apostel hörten zu Jerusalem, dass Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie zu ihnen Petrus und Johannes. 15 Welche, da sie hinabkamen, beteten sie über sie, dass sie den Heiligen getauft auf den Namen Christi Jesu. 17 Da legten sie die Hände auf sie, und sie empfingen den Heiligen Geist.

    18 Da aber Simon sah, dass der Heilige Geist gegeben ward, wenn die Apostel die Hände auflegten, bot er ihnen Geld an 19 und sprach: Gebt mir auch die Macht, dass, so ich jemand die Hände auflege, der den Heiligen Geist empfange. 20 Petrus aber sprach zu ihm: Dass du verdammet werdest mit deinem Geld, dass du meinst Gottes Gabe werde durch Geld erlangt! 21 Du wirst weder Teil noch Anfall haben an diesem Wort; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott. 22 Darum tue Buße für diese deine Bosheit und bitte Gott, ob dir vergeben werden möchte die Tücke deines Herzens. 23 Denn ich sehe, dass du bist voll bitterer Galle und verknüpft mit Ungerechtigkeit. 24 Da antwortete Simon und sprach: Bittet ihr den HERRN für mich, dass der keines über mich komme, davon ihr gesagt habt! 25 Sie aber, da sie bezeugt und geredet hatten das Wort des HERRN, wandten sie wieder um nach Jerusalem und predigten das Evangelium vielen samaritischen Dörfern.

 

    Das Begräbnis des Stephanus und der Hass des Saulus (V. 1-3): Der junge Saulus war Zeuge der Steinigung des Stephanus gewesen und hatte es als Ehre empfunden, die Kleidung der Männer zu sehen, die die Steinigung begannen, Kap. 7,58. Es wird hier ausdrücklich gesagt, dass Saulus dem Tod des Stephanus zustimmte; er empfand große Genugtuung, große Freude über seinen Tod, er billigte ihn mit Freude. Und sein Gefühl wurde von seinen Mit-Pharisäern geteilt, die nun eine Verfolgung begannen, die die gesamte Gemeinde betraf, entschlossen, die Kirche Jesu nach Möglichkeit zu vernichten. Das Ergebnis war eine allgemeine Zerstreuung und Verstreuung der Jünger von Jerusalem in die verschiedenen jüdischen Provinzen, vor allem nach Judäa selbst, in die ländlichen Gebiete um Jerusalem, aber auch in die Regionen Samarias. Vgl. Kap. 1,8. Es war nicht die Furcht vor dem Martyrium, vor dem Tod, die diese ersten Jünger zur Flucht veranlasste, sondern der ausdrückliche Befehl Christi, Matth. 10,23. „Wären sie aus Furcht vor dem Tod geflohen, so hätten sie darauf geachtet, die Verfolgung nicht zu provozieren, indem sie weiterhin dieselben Wahrheiten verkündeten, die sie zuerst provoziert hatten.“[25] Nur die Apostel blieben in Jerusalem. Der kleine Rest der Gemeinde, der in Jerusalem bleiben musste, bestand sehr wahrscheinlich aus denjenigen, die die Lehre und den Trost des Wortes am nötigsten hatten. Ein Pastor, der in Zeiten der Verfolgung seinen Posten verlässt, wenn die Gefahr sowohl seine Mitglieder als auch ihn selbst bedroht, kommt in den meisten Fällen einer schlichten Untreue gleich. In der Zwischenzeit, bevor die allgemeine Zerstreuung der Jünger stattfand, wurde das Begräbnis des Stephanus in angemessener Weise begangen. Fromme Männer aus dem Kreis seiner Glaubensbrüder trugen ihn zu seiner letzten Ruhestätte und kümmerten sich um alle Angelegenheiten, die mit seinem Begräbnis zusammenhingen. Dann brachten sie eine große Klage über ihn vor und schlugen sich wahrscheinlich an die Brust und auf den Kopf, um ihren tiefen Schmerz zu bekunden. Es ist dem Herrn durchaus wohlgefällig, wenn Christen ihre Toten ehrenvoll begraben, und die Klage über den Tod eines geliebten Menschen, wenn sie sich in einem angemessenen Rahmen hält, ist durch die Tränen Jesu selbst am Grab des Lazarus geheiligt worden. Aber all diese Tatsachen, auch wenn sie Saulus bekannt waren und zum Teil als Protest gegen die Ermordung des Stephanus gedacht waren, machten keinen Eindruck auf ihn. Im Gegenteil, er wurde in seiner Feindschaft gegen Christus und die Kirche noch unvernünftiger und wütender. Ohne Unterlass verwüstete er die Kirche, wie ein feindliches Heer, das Verderben und Verwüstung anrichtet, Ps. 80,13. Dabei drang er in jedes Haus ein, von dem man wusste, dass es einem Christen gehörte, besonders in solche, die als Versammlungsorte für Christen dienten. Und die Männer und Frauen, die er dabei antraf, schleppte er hinaus, ließ sie herausholen, als wolle er sie vor Gericht stellen, und übergab sie mit Zustimmung der Obrigkeit in die Obhut der Gefängniswärter. Diese Verfolgung war die erste wirkliche Prüfung, der die Mitglieder der Gemeinde in Jerusalem ausgesetzt waren. Bis jetzt war alles friedlich gewachsen; nun aber sollte der Sturm die Stärke der jungen Pflanze und jedes Zweiges und jedes Sprosses an dem zarten Stamm prüfen.

 

    Die Missionsarbeit der Jünger und des Philippus (V. 4-8): Während die Apostel mit dem kleinen Rest der ehemals großen Gemeinde in Jerusalem blieben und wahrscheinlich nur aus abergläubischer Furcht vor ihrer Wunderkraft persönlichem Schaden entgingen, waren die Jünger, die durch die Verfolgung aus Jerusalem vertrieben wurden, stets auf das Gebot ihres Herrn Jesus bedacht. Sie reisten überall hin, und wohin sie auch kamen, brachten sie die frohe Botschaft des Wortes, das gnädige Evangelium des Erlösers. Anmerkung: Die Männer, die zu dieser Zeit auszogen, waren keine Mitglieder des Lehrkörpers der Gemeinde, sie waren so genannte Laien, und doch brachten sie die Botschaft des Evangeliums, wohin sie auch kamen. Jeder Christ, ob gelehrt oder ungelehrt, kann und sollte den Glauben seines Herzens bezeugen und so versuchen, Seelen für den Erlöser zu gewinnen. - Aber in all diesen Missionsbemühungen stach die Arbeit eines Mannes besonders hervor, nämlich die von Philippus, einem der sieben von der Gemeinde gewählten Amtsträger, Kap. 6,5. Nachdem seine Arbeit als Diakon durch die Verfolgung in Jerusalem beendet worden war, wurde er Evangelist. Er reiste entweder in eine der Städte der Gegend von Samaria oder, was wahrscheinlicher ist, in die Stadt Samaria oder Sebaste, die Hauptstadt des Bezirks selbst. Das Thema seiner Predigten war immer dasselbe, das eine Thema, das nie zu oft und nie zu inbrünstig gepredigt werden kann: Christus, der Retter der Welt. Und diese einfache Verkündigung des Evangeliums über den Messias zeigte Wirkung. Sie wurde besser aufgenommen als bei den Juden, für deren Selbstgerechtigkeit das Wort vom Kreuz immer ein Ärgernis war. Die Menschen, die sich um Philippus versammelten, hörten aufmerksam auf das, was Philippus sagte, und waren einmütig. Die Kombination aus der Predigt, die sie hörten, und den Zeichen, die er als Beweis für die göttliche Sendung des Evangeliums tat, war so stark, dass viele von ihnen überzeugt wurden. Denn viele Dämonische wurden von den bösen Geistern, den unreinen Teufeln, die von ihnen Besitz ergriffen hatten, befreit, obwohl die Geister mit lautem Geschrei protestierten, als sie ausgetrieben wurden, und viele Gelähmte und Lahme wurden geheilt. Man beachte auch hier die Unterscheidung zwischen der Austreibung von Dämonen und der Heilung von Kranken. Die Beschreibung des Lukas zeigt, dass er das Wesen beider Leiden gut kannte und dass er mit gutem Grund einen Unterschied machte. Die Folge all dieser Ereignisse war, dass in der ganzen Stadt große Freude herrschte. Es war eine Zeit des Segens für Leib und Seele. Philippus gehörte nicht zum Stamm der modernen Sensationsprediger, die es verstehen, die Massen zu elektrisieren; keiner ihrer Tricks wurde von ihm angewendet. Es war die Verkündigung Christi, die den neuen Zustand herbeiführte, und die Wunder dienten nur zur weiteren Bestätigung.

 

    Die Bekehrung des Simon (V. 9-13): Lukas fügt hier ein Stück lokaler Geschichte hinzu, die den Sieg des Evangeliums noch deutlicher hervortreten lässt. Vor diesen Ereignissen gab es in Samaria einen Mann namens Simon, der Zauberkünste praktizierte und die Menschen der Stadt und der Region mit seinen Tricks und teuflischen Gaukeleien bis zur Verblödung beeindruckt hatte. Er warb mit der für Menschen seiner Art typischen Bescheidenheit damit, etwas Großes zu sein, über Zauberkräfte und Fähigkeiten zu verfügen, die über das natürliche Maß hinausgingen. Er praktizierte die Zaubersprüche und Beschwörungsformeln, die im Orient sowohl von Quacksalbern als auch von echten Zauberern angewandt werden, die mit Hilfe des Teufels Wunder zu vollbringen vermögen, die den Anschein eines Wunders erwecken. Die Menschen waren so tief beeindruckt, dass sie Simon als eine Manifestation der göttlichen Macht in menschlicher Gestalt betrachteten. Deshalb nannten sie ihn „Kraft Gottes, die groß genannt wird“, einen, der besonders groß und göttlich war und Kräfte besaß, die Gott eigen sind.[26] All dies hatten die Samariter getan, weil Simon sie lange Zeit mit seinen Zaubertricks betört hatte. Sie hatten sich seine Taten zurechtgelegt und seinen Worten Glauben geschenkt. Das alles änderte sich mit dem Kommen des Philippus. Denn als er das Evangelium vom Reich Gottes und vom Namen Jesu Christi verkündete, als er diesen Benachteiligten die einzige Botschaft brachte, die ihnen Seelenfrieden und die gesegnete Gewissheit des Heils geben konnte, da glaubten die Samariter, der Glaube an den Erlöser wurde in ihren Herzen wach, und sie suchten und empfingen die Taufe, das Sakrament, das Männern und Frauen die von Christus erworbene Vergebung der Sünden besiegelt. Anmerkung: Alle Zaubertricks, auch solche, die mit Hilfe des Teufels ausgeführt werden, dienen keinem nützlichen Zweck, sondern nur dazu, müßige Neugierde zu erregen. Die Wunder dagegen, sowohl die, die in der Heiligen Schrift berichtet werden, als auch die, die der Herr bis zum heutigen Tag vollbringt, sind in jedem Fall segensreich und der göttlichen Macht würdig. Als Simon seine frühere Anhängerschaft so abrupt und gründlich verlor, ging er zu Philippus, um ihn zu sehen und zu hören, und wurde selbst zum Glauben gebracht. Mit dem übrigen Volk wurde auch er getauft und damit die Verheißung Gottes für ihn besiegelt. Nach dem Bericht des Lukas gibt es keinen Grund, an der Realität von Simons Bekehrung zu dieser Zeit zu zweifeln. Sie war ein sehr eindrucksvoller Beweis für die überragende Macht und die Göttlichkeit des Evangeliums über Jesus, den Messias. Und Simon, der bei anderen Erstaunen hervorgerufen hatte, wurde hier selbst fast von Verblüffung überwältigt, als er ein interessierter Zuschauer der Zeichen und der großen Wunder wurde, die vor seinen Augen geschahen. Beachte: Dem Teufel mag es oft mit Gottes Erlaubnis gelingen, die Menschen durch seine falschen Wunder und Gaukeleien zu verführen, aber wenn die Macht Gottes im Gegensatz dazu auftaucht, werden er und alle seine Diener vor dem Mächtigen zuschanden.

 

    Besondere Gaben des Heiligen Geistes (V. 14-17): Die Apostel unternahmen nie den Versuch, hierarchische Befugnisse auszuüben und eine Gerichtsbarkeit zu übernehmen, die sie nicht besaßen. Aber sie waren von Christus als Lehrer aller Völker beauftragt worden und waren daher bestrebt, die wahre Einheit des Glaubens in allen Gemeinden herzustellen, ganz gleich, wo sie sich befinden mochten. Es war ein wichtiger Punkt in der Entwicklung des Christentums, dass Menschen, die nicht dem alttestamentlichen Bund angehörten, das Evangelium empfingen und der Kirche Christi hinzugefügt wurden. Als die Apostel daher die Nachricht erhielten, dass Samaria das Wort Gottes angenommen und seine Bewohner sich zum Erlöser bekannt hatten, sandten sie Petrus und Johannes als ihre persönlichen Vertreter aus, um den Wahrheitsgehalt des Berichts zu prüfen und gegebenenfalls das Band der brüderlichen Einheit zu knüpfen. Als der Bericht bestätigt wurde, reichten Petrus und Johannes der samaritanischen Kirche nicht nur die Hand der Gemeinschaft, sondern übermittelten diesen Neubekehrten auch die wunderbaren Gaben, die sie selbst empfangen hatten. Die Samariter hatten sich taufen lassen und waren daher im vollen Besitz der Vergebung Gottes und des heiligenden Geistes (Mark. 16,16; Apg. 2,38). Nun aber wurden sie mit außerordentlichen Gaben ausgestattet, mit der Macht, Wunder zu tun, in fremden Sprachen zu reden, zu weissagen und andere besondere Beweise für die Allmacht und göttliche Majestät des Geistes zu geben.[27] Diese außergewöhnlichen Manifestationen waren diesen Gläubigen noch nicht verliehen worden, obwohl sie alle geistlichen Gaben durch die Taufe und durch sie erhalten hatten. Nun aber wurden ihnen diese Kräfte durch Handauflegung übertragen, denn es gehörte zum Plan des Herrn in der Urkirche, die Verkündigung des Evangeliums durch Wunder und Zeichen zu bestätigen. „Der Zweck solcher Gaben und die Art und Weise, wie sie in der Gemeinde ausgeübt wurden, werden von Paulus in 1. Kor 12-14 ausführlich dargelegt. Diese Gaben dienten einem vorübergehenden Zweck, bis die Tatsachen, die Lehre, die Gebote und die Verheißungen des neuen Bundes von inspirierten Männern niedergeschrieben wurden, als die Prophezeiungen, die Zungenrede und die Wunderkenntnisse einzelner Lehrer an die Stelle des geschriebenen Wortes traten.“[28]

 

    Die gotteslästerliche Bitte des Simon (V. 18-25): Der Glaube von Simon dem Magier war anfangs zweifellos echt genug gewesen, und er hatte nicht geheuchelt, als er darum bat, getauft zu werden. Aber hier gab es zwei Faktoren, die zu stark für die junge Pflanze in seinem Herzen waren. Erstens gehörte er nicht zu denjenigen, denen die außergewöhnliche Kraft des Geistes zuteil wurde. Und zweitens hatte die Tatsache, dass er Zeuge dieses Vorgangs geworden war, die frühere Liebe zu Geld und Einfluss auf andere in seinem Herzen geweckt. Die Kombination dieser Tatsachen war zu stark für ihn, und er verlor seinen Glauben. Als er sah, dass Petrus die wunderbare Gabe des Geistes durch Handauflegung übertrug, brachte er Geld hervor und bot es den Aposteln an, mit der Forderung, dass sie ihm auch diese Macht geben sollten, den Heiligen Geist durch Handauflegung zu vermitteln. Simon hatte Recht, wenn er diese Gabe eine Kraft nannte, aber er irrte, wenn er sie für eine Tausch- und Verkaufsware hielt. Vielleicht hatte er in seinem früheren Beruf so manches Geheimnis der Zauberei von anderen Meistern erworben und schloss daraus, dass er auch in diesem Fall so verfahren würde. Aber es war eine gotteslästerliche Forderung der Habgier, und seine Sünde ist seither als Simonie bekannt. „Das ist Simonie, wie es richtig heißt, wenn man ein geistliches Amt, einen Besitz, eine Gabe oder eine Macht für Geld kauft oder verkauft, wie Simon Magus es tat. Als er sah, dass der Heilige Geist durch die Handauflegung der Apostel gegeben wurde, bot er ihnen Geld an und sagte: Gebt mir auch die Macht, dass, wenn ich jemandem die Hände auflege, er den Heiligen Geist empfängt; so wollte er den Heiligen Geist, nachdem er ihn für Geld gekauft hatte, in seiner Macht haben, um ihn tun zu lassen, was ihm gefiel.“[29] Die schändliche Forderung des Simon Magus erregte den impulsiven Groll des Petrus. Voller gerechter Entrüstung ruft er ihm zu: Dein Geld sei mit dir ins Verderben! Es ist ein heftiger Ausdruck des Entsetzens des Petrus, dass jemand auch nur auf die Idee kommen könnte, die wunderbarste Gabe der Welt durch solch gotteslästerliche Gedanken zu entweihen. Die Tatsache, dass Simon auf die Idee gekommen ist, dass eine freie Gabe Gottes mit Geld erkauft werden kann, zeigt, dass er die Quelle und die Bedeutung der von ihm gewünschten Macht völlig verkennt. Petrus sagt ihm deshalb, dass er weder Anteil noch Los an dieser Sache habe, dass er weder hoffen könne, den Besitz der Gabe mit den Gläubigen zu teilen, noch ihren Dienst mit irgendeinem der Jünger. Die Forderung Simons stellte ihn völlig außerhalb der Kirche; sie zeigte, dass sein Herz in seinem Bekenntnis zum Christentum nicht aufrichtig war, es konnte nicht ohne Tadel vor Gott bestehen. Unter diesen Umständen gab es nur einen Weg, der ratsam war, nämlich dass er diese Ungerechtigkeit bereute und sein Herz in einen Zustand versetzte, der Gott wohlgefällig war. Außerdem sollte er den Herrn, bei dem es nur Vergebung gibt, darum bitten, dass er ihm die gotteslästerlichen Gedanken seines Herzens vergebe. Die Worte des Petrus machen die Vergebung nach aufrichtiger Reue nicht zu einer zweifelhaften Angelegenheit, aber er betont die Notwendigkeit der Aufrichtigkeit in Bezug auf dieses schwere Vergehen. Eine bloße Lippenbußfertigkeit würde vor den Augen des allwissenden Gottes nicht ausreichen. Und der Ernst der Lage wird noch weiter betont, wenn Petrus sagt, dass er Simon Magus in der intensiven, bösartigen, giftigen Bitterkeit von Galle und Wermut wahrnimmt und fest in den Banden der Ungerechtigkeit gefangen ist. Mit Simon scheint es so gewesen zu sein wie in der Geschichte von dem Mann, der den unreinen Geist austrieb und mit sieben anderen zurückkehrte, die schlimmer waren als er selbst. Die Situation verlangte nicht, dass man ein Blatt vor den Mund nahm, sondern dass das Gesetz in seiner ganzen kompromisslosen Strenge gepredigt wurde, und Petrus handelte entsprechend. Diese vernichtende Rede des Petrus hatte sicherlich eine gewisse Wirkung, nämlich die, Simon hinsichtlich der Folgen seiner Sünden gründlich zu erschrecken. Er bittet die Apostel, für ihn zu beten, dass ihn nichts von dem trifft, wovon Petrus gesprochen hatte. Seine Worte deuten auf Furcht vor den Folgen der Sünde hin, aber nicht auf einen Sinneswandel im Sinne wahrer Reue. Das ist alles, was der inspirierte Bericht über diese Angelegenheit aussagt, und obwohl die Traditionen des zweiten Jahrhunderts viel legendäres Material hinzugefügt haben, scheint dies in keiner Weise vertrauenswürdig zu sein. Die Geschichte in ihrer jetzigen Form enthält einige sehr ernste Lektionen. Simon Magus ist ein Typus für die vorübergehenden Gläubigen, für diejenigen, die sich im Glauben Christus zugewandt haben, aber noch nicht gefestigt waren und der ersten Versuchung erlegen sind. Das Beispiel des Petrus zeigt, wie mit solchen Menschen umgegangen werden muss, wenn sie entlarvt werden. Die Bosheit und Heuchelei ihrer Herzen muss mit aller Strenge zurechtgewiesen werden, damit durch Gottes Gnade in ihnen wahre Reue zum Heil ihrer Seelen gewirkt wird. Nach diesem unangenehmen Vorfall wandten sich die Apostel wieder dem eigentlichen Werk zu, für das sie herabgekommen waren. Sie legten in überzeugender Weise Zeugnis für Christus ab; sie sprachen das Wort des Herrn und erfüllten so das Werk des Zeugnisses und der Lehre, wie der Herr es ihnen aufgetragen hatte. Und dann, nachdem sie das Ziel ihrer Reise erreicht hatten, machten sie sich auf den Rückweg nach Jerusalem. Aber sie reisten in aller Ruhe, so dass sie das Evangelium in vielen Dörfern der Samariter außerhalb der Hauptstadt des Bezirks predigen konnten. Ihr Herz war von echtem missionarischem Eifer erfüllt, der keine Gelegenheit zur Verbreitung des Evangeliums ungenutzt verstreichen lässt. Es war eine Zeit der fröhlichen Ernte, wie sie der Herr vorausgesagt hatte, Joh. 4,37. Solche Zeiten des geistlichen Aufbruchs und der Ernte sind seither in mehr als einem Fall aufgezeichnet worden. In solchen Fällen scheint es, als ob der Herr große Menschenmassen gleichzeitig beruft. Die Wirkung und der Erfolg der Verkündigung des Evangeliums liegen in seiner Hand, eine Tatsache, die für alle Arbeiter im Weinberg des Herrn ein Trost ist.

 

Der äthiopische Eunuch (8,26-40)

    26 Aber der Engel des HERRN redete zu Philippus und sprach: Stehe auf und gehe nach Süden [Original: Mittag] auf die Straße, die von Jerusalem hinabgeht nach Gaza, die öde ist. 27 Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Eunuch [Entmannter] und Gewaltiger der Kandaze, der Königin in Äthiopien, welcher war über ihre ganze Schatzkammer, der war kommen nach Jerusalem, anzubeten, 28 und zog wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.

    29 Der Geist aber sprach zu Philippus: Gehe hinzu und halte dich zu diesem Wagen. 30 Da lief Philippus hinzu und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und sprach: Verstehst du auch, was du liest? 31 Er aber sprach: Wie kann ich, so mich nicht jemand anleitet? Und ermahnte Philippus, dass er aufträte und setzte sich zu ihm. 32 Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser: Er ist wie ein Schaf, zur Schlachtung geführt, und still wie ein Lamm vor seinem Scherer; so hat er nicht aufgetan seinen Mund. 33 In seiner Niedrigkeit ist sein Gericht aufgehoben; wer wird aber seines Lebens Länge ausreden? Denn sein Leben ist von der Erde weggenommen.

    34 Da antwortete der Eunuch Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet solches, von ihm selber oder von jemand anders? 35 Philippus aber tat seinen Mund auf und fing von dieser Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. 36 Und als sie zogen der Straße nach, kamen sie an ein Wasser. Und der Eunuch sprach: Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? 37 Philippus aber sprach: Glaubst du von ganzem Herzen, so mag’s wohl sein.  Er antwortete und sprach: Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist. 38 Und er hieß den Wagen halten, und sie stiegen hinab in das Wasser, beide, Philippus und der Eunuch; und er taufte ihn. 39 Da sie aber heraufstiegen aus dem Wasser, rückte der Geist des HERRN Philippus hinweg, und der Eunuch sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich. 40 Philippus aber wurde zu Aschdod gefunden und wandelte umher und predigte allen Städten das Evangelium, bis dass er kam nach Cäsarea.

 

    Der göttliche Auftrag an Philippus (V. 26-28): Durch den Besuch von Petrus und Johannes war die Gemeinde in Samaria so gründlich aufgebaut und mit besonderen Geistesgaben ausgestattet worden, dass Philippus für andere Missionsaufgaben entlastet werden konnte. Und so sprach ein Engel des Herrn, einer jener besonderen Boten, derer sich der Herr bei der Ausführung des Werkes seines Reiches bedient, zu Philippus, ob in einem Traum bei Nacht oder in einer Vision bei Tag, ist unerheblich. Er hatte einen besonderen Auftrag für den Evangelisten. Er, der gerade Hunderten und Tausenden das Evangelium gepredigt hatte, sollte einen weiten Weg zurücklegen, um einer einzelnen Seele die Heilige Schrift zu eröffnen. Philippus sollte aufstehen, sich sofort bereit machen und von Samaria aus nach Süden reisen, hinunter zu und entlang der Straße, die von Jerusalem (auf einer Höhe von etwa 2.400 Fuß) nach Gaza führte, einer ehemaligen Stadt der Philister, nur wenige Meilen vom Mittelmeer entfernt. Es gab eine römische Straße, die wahrscheinlich zu militärischen Zwecken gebaut worden war und von Jerusalem fast genau nach Südwesten führte und über Gaza hinunter nach Ägypten. Ein großer Teil des Weges führte durch Wüstengebiete, vergleichsweise unbewohnte Gegenden. Philippus gehorchte sofort und bedingungslos; er tat nach dem Wort des Engels. Nach Gottes Anordnung schlug Philippus entweder die Straße ein oder war auf dem vom Engel bezeichneten Weg unterwegs, als ein Wagen vorbeikam. In diesem Wagen saß ein Äthiopier, ein Eunuch, der ein einflussreicher Beamter der Königin Candace war, nämlich ihr Finanzminister oder Sekretär der Staatskasse. Obwohl er ein Eunuch war und als solcher von der eigentlichen Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde ausgeschlossen war (5. Mose 23,1), konnte er sehr wohl ein Proselyt der Pforte sein und zum Hof der Heiden zugelassen werden, um seine gottesdienstlichen Handlungen zu vollziehen. Er stand im Dienst der Königin der Äthiopier, der Königin von Nubien, deren offizieller Titel Candace war,[30] und hatte die lange Reise ausdrücklich zu dem Zweck unternommen, seinen religiösen Pflichten nachzukommen. Es ist schwer zu sagen, ob er in der Jahreszeit ohne Feste heraufkam oder ob inzwischen der Herbst mit dem Neujahrsfest, dem Versöhnungstag und dem Laubhüttenfest gekommen war, wobei Letzteres sehr wahrscheinlich ist. Bei seiner Rückkehr nach Hause nutzte der Eunuch seine Zeit auf die bestmögliche Weise. In seinem Wagen sitzend, las er das Buch des Propheten Jesaja, sehr wahrscheinlich laut, nach orientalischer Art, V. 30, und versuchte nebenbei, den Sinn des Textes zu erfassen. Damit gibt er ein Beispiel, das in unseren Tagen durchaus nachahmenswert sein könnte. Die Christen unserer Tage lesen die Bibel in vielen Fällen weder zu Hause noch anderswo, während dieser heidnische Proselyt sich nicht schämte, sie auf der öffentlichen Straße zu lesen. Es war nicht der hebräische Originaltext, den er las, sondern die so genannte Septuaginta oder griechische Übersetzung, die fast zwei Jahrhunderte zuvor in Ägypten angefertigt worden war.

 

    Der Text aus Jesaja (V. 29-33): Philippus hatte den Befehl des Engels befolgt; er war zu dem Ort gegangen, an den er verwiesen worden war, und war bereit für weitere Anweisungen. Diese wurden ihm durch die Eingebung des Geistes gegeben, der ihm sagte, er solle sich in der Nähe des Wagens aufhalten, während dieser sich bewegte, in Hörweite oder leichter Rufweite. Und als Philippus auf den Wagen zulief, konnte er die Worte hören, die der Kämmerer vorlas, und er erkannte die Stelle, aus der sie stammten. Die Frage, mit der er sich vorstellte, war keine unverschämte Anrede, wie schon gesagt wurde, sondern eine, die darauf abzielte, die religiöse Haltung und Überzeugung des Mannes herauszufinden: Verstehst du wirklich, was du liest? Es ist eine Frage, die alle Bibelleser im Hinterkopf behalten sollten, denn es wird viel zu viel oberflächlich gelesen, anstatt ernsthaft zu versuchen, den Zusammenhang und die Bedeutung eines jeden Textes zu verstehen. Die Antwort lautete: Wie soll ich das wohl können, wenn mir niemand den Weg zeigt? Das bedeutet nicht, dass die Bibel ohne hierarchische Auslegung nicht verstanden werden kann, sondern zeigt nur, dass ein Anfänger im Studium des Wortes Gottes, der Prophezeiung und Erfüllung noch nicht sorgfältig verglichen hat, gut daran tut, sich beim Vergleich von Parallelstellen und beim Aufzeigen der Zusammenhänge helfen zu lassen. Die wenigen wirklich dunklen Stellen in der Bibel sind auf unseren Mangel an angemessener Kenntnis der ursprünglichen Zungen und ähnliche Gründe zurückzuführen; aber keine dieser Stellen betrifft irgendeine Zusicherung des Seelenheils oder eine andere grundlegende Lehre. Der Kämmerer lud Philippus nun ernsthaft ein, an seiner Seite im Wagen Platz zu nehmen. Die Stelle, die den Leser gerade beunruhigt hatte, war der schöne Abschnitt aus Jes. 53,7.8. Dort wird vom Messias gesagt, dass er wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt wurde, dass er, wie ein Lamm vor dem Scherer stumm ist, seinen Mund nicht auftat. Das steht über das große Lamm Gottes geschrieben, in seinem Dienst, die Sünden der Welt wegzunehmen. In Seiner Erniedrigung wurde Sein Gericht weggenommen; in Seiner Bedrückung, als der Zorn des Vaters Ihn als Stellvertreter für die ganze Menschheit getroffen hatte, wurde das volle Gericht an Ihm vollzogen, und so brauchen wir Gericht und Verurteilung nicht mehr zu fürchten, ihre Kraft war in Christus erschöpft. Sein Geschlecht, wer soll es verkünden? Er ist in den Himmel erhoben worden und hat nun, auch nach seinem Menschsein, kein Ende seiner Tage, hat ewige Herrlichkeit in seinem Besitz; denn sein Leben ist von der Erde genommen: es wurde ihm plötzlich genommen, durch den mörderischen Tod am Kreuz; aber die Folge war ewiges Heil, endgültige Verherrlichung im Interesse seiner Gläubigen. Dies war das Evangelium des Alten Testaments, ein schöner und klarer Bericht über das Opfer des Messias, aber vor den Augen des Kämmerers verborgen, weil er die Erfüllung nicht kannte.

 

    Die Taufe des Eunuchen (V. 34-40): Wir können uns die Szene gut vorstellen: ein schöner Herbsttag, die vergleichsweise unbewohnte Ebene, die sich zu beiden Seiten erstreckt, der Wagenlenker, der halb über seinen Leinen döst, die beiden Männer, die über der heiligen Schriftrolle brüten. Man beachte, dass Lukas den Inhalt der Schriftstelle als eine feste Größe bezeichnet, als ein Buch, das allen Juden unter diesem Namen bekannt war. Nachdem der Kämmerer die betreffende Stelle noch einmal gemeinsam gelesen hatte, fragte er Philippus, ob der Prophet hier von sich selbst oder von einem anderen Menschen spreche. Seine Kenntnis der Prophetie und die Belehrung, die er erhalten hatte, ermöglichten es ihm nicht, diesen wichtigen Punkt zu entscheiden. Und Philippus, erfüllt von der Freude des Missionars, wenn er einen eifrigen Sucher nach der Wahrheit findet, öffnete seinen Mund zu einer langen Rede. Er hätte kaum einen geeigneteren Text finden können, um sein großes Thema darzulegen, denn sein Thema war Jesus und die wunderbare Botschaft über ihn. Er begann mit den vielen klaren und schönen Texten des Alten Testaments und hatte eine gute Gelegenheit, die Erfüllung der Prophezeiungen im Fall von Jesus von Nazareth zu zeigen. Und er sprach zweifellos auch von dem großen Auftrag des Herrn, den er seinen Jüngern erteilt hatte, „alle Völker zu Jüngern zu machen, indem sie sie taufen auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und sie lehren halten alles, was er ihnen befohlen hatte“ (Matth. 28,19). Und während Philippus noch die Herrlichkeit Christi in leuchtenden Farben ausmalte, kam der Wagen in die Nähe eines der kleinen Bäche oder Teiche, die selbst in der Trockenzeit ein wenig Wasser führen können. Und der Kämmerer, halb in Eifer, halb in Angst, deutet auf das Wasser und fragt, ob seiner Taufe etwas im Wege stehe. Philippus stellt daraufhin die Frage, die in jeder echten Taufformel enthalten ist, und sagt, dass sein Wunsch sehr wohl erfüllt werden kann, wenn er von ganzem Herzen glaubt. Und der Kämmerer, erfüllt von der Süße und Schönheit der Verkündigung des Evangeliums, die er gerade gehört hat, spricht sein Bekenntnis aus: Ich glaube, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist: eine kurze, aber umfassende Formel, die auf ein Bekenntnis zum dreieinigen Gott hinausläuft. Daraufhin befahl der Offizier, den Wagen anzuhalten, und sowohl Philippus als auch der Kämmerer stiegen ins Wasser hinab oder hinein, wo letzterer getauft wurde, wobei die Art und Weise nicht angegeben wird, wahrscheinlich aber entweder durch Übergießen oder durch Untertauchen. Die Art und Weise der Taufe ist nicht von Bedeutung, solange das Wasser verwendet und mit den Einsetzungsworten eingesetzt wird. Aber als sie aus dem Wasser stiegen, vollbrachte der Herr, der Geist des Herrn, ein Wunder, indem er Philippus plötzlich von der Seite des Kämmerers und aus seinem Blickfeld entfernte. Er war aber nicht mehr auf diesen Lehrer angewiesen; er hatte das Wesentliche gehört, das ihn befähigte, von nun an das Alte mit dem Neuen Testament zu vergleichen, und so ging er frohgemut seines Weges. Die alte Überlieferung besagt, dass der Eunuch seinen Landsleuten die frohe Botschaft des Evangeliums brachte und so zum Gründer der abessinischen Kirche wurde. Wie wahr dieser Bericht auch sein mag, sicher ist, dass er zumindest für sich selbst seinen Retter gefunden hatte. Philippus wurde nach Azotus, dem alttestamentlichen Aschdod, einer anderen ehemaligen Stadt der Philister, gebracht und dort gefunden. Von dieser Stadt aus reiste er gemächlich die Mittelmeerküste hinauf und predigte das Evangelium, wo immer er hinkam, bis er die Stadt Cäsarea erreichte, die etwa in der Mitte zwischen den heutigen Städten Jaffa und Haifa liegt. Anmerkung: Der erhabene Christus legt den Weg des Evangeliums fest, ob es in bevölkerungsreichen Städten oder in verhältnismäßig unbewohnten Orten gepredigt werden soll. Unsere Aufgabe ist es, seinen Hinweisen zu folgen und uns von den Umständen leiten zu lassen, die er uns vor Augen stellt, denn das Ziel ist die Errettung von Seelen.

 

Zusammenfassung: Aufgrund der Verfolgung der Gemeinde in Jerusalem wird das Evangelium außerhalb der Stadt verbreitet, indem Philippus die Gemeinde in Samaria gründet, die nach einem Besuch von Petrus und Johannes gegründet wird, während Philippus gesandt wird, um den äthiopischen Kämmerer das Evangelium zu lehren und ihn zu taufen.

 

 

Kapitel 9

 

Die Bekehrung und das frühe Wirken des Paulus (9-1-31)

    1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des HERRN und ging zum Hohenpriester 2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, auf dass, so er etliche dieses Wegs fände, Männer und Frauen, er sie gebunden führte nach Jerusalem. 3 Und da er auf dem Weg war und nahe an Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel. 4 Und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? 5 Er aber sprach: HERR, wer bist du? Der HERR sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Es wird dir schwer werden, gegen den Stachel auszuschlagen. 6 Und er sprach mit Zittern und Zagen: HERR, was willst du, dass ich tun soll? Der HERR sprach zu ihm: Stehe auf und gehe in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. 7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen und waren erstarrt; denn sie hörten eine Stimme und sahen niemand. 8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde, und als er seine Augen auftat, sah er niemand. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus. 9 Und er war drei Tage nicht sehend und aß nicht und trank nicht.

    10 Es war aber ein Jünger zu Damaskus mit Namen Ananias; zu dem sprach der HERR im Gesicht: Ananias! Und er sprach: Hier bin ich, HERR. 11 Der HERR sprach zu ihm: Stehe auf und gehe hin in die Gasse, die da heißt die Gerade, und frage in dem Haus des Judas nach Saulus mit Namen von Tarsus; denn siehe, er betet 12 und hat gesehen im Gesicht einen Mann mit Namen Ananias zu ihm hineinkommen und die Hand auf ihn legen, dass er wieder sehend werde. 13 Ananias aber antwortete: HERR, ich habe von vielen gehört von diesem Mann, wieviel Übles er deinen Heiligen getan hat zu Jerusalem. 14 Und er hat hier Macht von den Hohenpriestern, zu binden alle, die deinen Namen anrufen. 15 Der HERR sprach zu ihm: Gehe hin; denn dieser ist mir ein auserwähltes Rüstzeug, dass er meinen Namen trage vor den Heiden und vor den Königen und vor den Kindern von Israel. 16 Ich will ihm zeigen, wieviel er leiden muss um meines Namens willen. 17 Und Ananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der HERR hat mich gesandt (der dir erschienen ist auf dem Weg, da du herkamst), dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest. 18 Und sofort fiel es von seinen Augen wie Schuppen; und wurde wieder sehend 19 und stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich. Saulus aber war etliche Tage bei den Jüngern zu Damaskus. 20 Und sogleich predigte er Christus in den Synagogen, dass derselbe Gottes Sohn ist. 21 Sie entsetzten sich aber alle, die es hörten, und sprachen: Ist das nicht, der zu Jerusalem zerstörte alle, die diesen Namen anrufen, und darum herkommen, dass er sie gebunden führe zu den Hohenpriestern? 22 Saulus aber wurde immer kräftiger und trieb die Juden in die Enge, die zu Damaskus wohnten, und bewährte es, dass dieser ist der Christus.

    23 Und nach vielen Tagen hielten die Juden einen Rat zusammen, dass sie ihn töteten. 24 Aber es wurde Saulus kundgetan, dass sie ihm nachstellten. Sie hüteten aber Tag und Nacht an den Toren, dass sie ihn töteten. 25 Da nahmen ihn die Jünger bei der Nacht und taten ihn durch die Mauer und ließen ihn in einem Korb hinab. 26 Da aber Saulus nach Jerusalem kam, versuchte er, sich zu den Jüngern zu tun; und sie fürchteten sich alle vor ihm und glaubten nicht, dass er ein Jünger wäre. 27 Barnabas aber nahm ihn zu sich und führte ihn zu den Aposteln und er erzählte ihnen, wie er auf der Straße den HERRN gesehen, und er mit ihm geredet, und wie er zu Damaskus den Namen Jesu frei gepredigt hätte. 28 Und er war bei ihnen und ging aus und ein zu Jerusalem und predigte den Namen des HERRN Jesu frei. 29 Er redete auch und befragte sich mit den Griechen; aber sie stellten ihm nach, dass sie ihn töteten. 30 Da das die Brüder erfuhren, geleiteten sie ihn nach Cäsarea und schickten ihn nach Tarsus. 31 So hatte nun die Gemeinde Frieden durch ganz Judäa und Galiläa und Samarien und baute sich und wandelte in der Furcht des HERRN und wurde erfüllt mit Trost des Heiligen Geistes.

 

    Des Saulus fortgesetzte Feindschaft gegen die Kirche (V. 1-2): In deutlichem Gegensatz zu den ernsthaften Bemühungen des Philippus um den Aufbau der Kirche Christi stehen hier die feindseligen und zerstörerischen Aktivitäten des Saulus. Im Laufe der Zeit ließ das Feuer seiner Feindschaft nicht nach, sondern wurde vielmehr zu immer größerer Hitze und Schärfe angefacht. Dieser Gemütszustand war ihm so zur Gewohnheit geworden, dass er tatsächlich Drohungen und Morde gegen die Jünger des Herrn ausstieß. Das war die Atmosphäre, die er atmete, in der er lebte. Die Drohungen allein waren schon eine niederträchtige Übertretung des fünften Gebots, aber er ließ ihnen auch tatsächlich Mord folgen; er lieferte alle Jünger, die er gefangen nehmen konnte, dem Gefängnis und dem Tod aus. Aber seine schlimmste Sünde bestand darin, dass er durch diesen Widerstand und diese Verfolgung den Namen des Herrn lästerte. Saulus' größtes Vergnügen wäre es damals gewesen, sowohl Christus als auch die ganze Christenheit an einem Tag zu vernichten, wenn er es gekonnt hätte, 1. Tim. 1,13; Phil. 3,6; Gal. 1,13; 1. Kor. 15,9.[31] In dieser Gemütsverfassung ging er zum Hohenpriester und bat ihn inständig um Briefe und Beglaubigungen, die seine Ermächtigung im Namen des Sanhedrins in Jerusalem darlegten. Denn Saulus war darauf aufmerksam gemacht worden, dass anderswo christliche Gemeinden gegründet wurden, und die Angelegenheit ließ ihm keine Ruhe. Damaskus hatte eine große jüdische Bevölkerung und war die nächstgelegene ausländische Stadt von Bedeutung. Die Ausbreitung des Evangeliums in dieser Stadt aufzuhalten, wäre ein großer Sieg für die Juden. Der Sanhedrin hatte damals, auch unter der römischen Regierung, große Macht und Rechtsprechung, sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen. Er konnte nicht nur Verhaftungen durch seine eigenen Beamten vornehmen lassen, sondern sich auch mit Fällen befassen, auf die nicht die Todesstrafe stand. Und die Behörden von Damaskus waren nicht geneigt, solche Aktivitäten zu behindern, solange sie sich auf die Juden beschränkten. Saulus plante daher, sein Beglaubigungsschreiben an alle Synagogen von Damaskus zu richten, um die volle Handlungsbefugnis zu erhalten. Sollte er dann Personen, Männer oder Frauen, „von diesem Weg“ finden, die, wie er vermutete, dieser neuen Lehre anhingen, wollte er sie in Fesseln nach Jerusalem bringen. Anmerkung: Die Feindseligkeit der vehementen Feinde Christi in unseren Tagen mag sich nicht gerade auf diese Weise zeigen, aber sie bedienen sich der fadenscheinigsten Ausreden und Ausflüchte, um die Kirche Christi zu verfolgen. So wie Saulus, der Pharisäer, seine eigene Gerechtigkeit gegen die Gerechtigkeit Jesu von Nazareth durchzusetzen suchte und so zum gefährlichsten Feind Christi wurde, so nehmen die modernen Pharisäer Anstoß an der Predigt von der Erlösung durch das Blut des gekreuzigten Christus.

 

    Das wunderbare Gesicht (V. 3-6): Nachdem Saulus die gewünschten Briefe erhalten hatte, verließ er Jerusalem ohne Verzögerung. Um sein Ziel zu erreichen, musste er etwa 140 Meilen in nordöstlicher Richtung zurücklegen. Damaskus war die alte Hauptstadt der Provinz Syrien und lag etwa siebzig Meilen vom Mittelmeer entfernt, von dem es durch die Gebirgszüge Libanon und Antilebanon getrennt war. Der Fluss Abana floss durch die Stadt, und der Pharpar verlief einige Meilen südlich der Stadtmauern. Damaskus ist eine der ältesten Städte der Welt und soll von Uz, dem Enkel Sems, gegründet worden sein, den Abraham schon kannte (Gen 15,15). Die Reise, entweder auf der Karawanenstraße durch Samaria und Galiläa oder auf der römischen Straße über Jericho und durch Peräa und die Dekapolis, dauerte etwa sieben oder acht Tage. Eine Tatsache ist unbestreitbar: Es ist kaum vorstellbar, dass Saulus sich in einem für die Bekehrung ungünstigeren Geisteszustand befand, als er zu seiner verrückten Expedition aufbrach. Er befand sich mitten in der pharisäischen Finsternis und im Unglauben, verabscheute den Namen Christi und war voller Groll und Hass gegen diejenigen, die sich zu diesem Namen bekannten. Aber die Art und Weise, wie der Herr selbst mit den hoffnungslosesten Fällen und hartnäckigsten Feinden umgeht, übersteigt das menschliche Verständnis. Denn es war am Mittag des letzten Tages der Reise, als die Reisenden den schneebedeckten Gipfel des Berges Hermon hinter sich gelassen hatten und vielleicht schon die Stadt Damaskus in der Ferne vor sich sahen, als plötzlich, ohne Vorwarnung, ein extrem helles Licht vom Himmel um Saulus herum aufleuchtete, so hell, dass er blind wurde. Als er merkte, dass ein Wunder geschah, stürzte er in hilflosem Schrecken zu Boden. In diesem Licht und bevor die Dunkelheit über ihn hereinbrach, sah Saulus Christus, den Gekreuzigten, 1. Kor 9,1. Und als er gefallen war, hörte und verstand er eine Stimme, die ihm feierlich zurief: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Mit Furcht und Zittern fragte Saul: „Wer bist du, Herr?“, entweder weil er nicht unterscheiden konnte, ob die Stimme von Stephanus oder einem anderen Opfer stammte, oder weil er sicher sein wollte, dass er nicht von einer Halluzination heimgesucht wurde. Der Herr offenbarte sich Saulus nun in vollem Umfang als Jesus, den er durch seine derzeitige Behandlung und durch seine geplanten Maßnahmen gegen die Gläubigen in seinem Namen verfolgte. Zwei Tatsachen wurden so dem Verstand und dem Herzen des Saulus eingeprägt: dass die Verbindung zwischen Christus und seiner Kirche vollkommen und dauerhaft ist und dass deshalb die Verfolgung der Gläubigen eine Verfolgung Christi selbst war. Und die durchdringende Liebe Jesu zeigte sich sofort in seinem warnenden und flehenden Schrei: Es wird dir schwer fallen, gegen die Stacheln zu stoßen, ein Bild, das vom Treiben der Ochsen mit spitzen Stöcken stammt, gegen die sie manchmal zu treten versuchen. Hier war die Stunde der Umkehr gekommen. „Denn es gibt kein Herz, das so stark wäre, als wäre es nur ein Diamant, das aushielte und nicht zerbräche.“[32] Der Feind war besiegt, denn der Stärkere war über ihn gekommen und hatte seinen Sinn und sein Herz verändert; der Herr hatte sich ihm offenbart, Gal. 1, 16. Saulus hat nun voller Zittern und Erstaunen nur noch ein Ziel vor Augen, den Willen seines Herrn zu tun, und fragt, was der Herr von ihm will. „So sollen auch wir lernen, uns recht zu richten, unsere Sünden zu bekennen und von ihnen abzulassen, an Jesus Christus zu glauben und in seinen Leiden Trost zu finden, und endlich dem rechten Gehorsam gegen Gott nachzugeben, damit wir nicht wieder durch Ungehorsam von der großen Gnade abfallen und durch ein unbußfertiges Leben in den Zorn Gottes geraten. Das heißt, das Beispiel des Paulus richtig befolgen, das zu unserem Trost und zu unserer Belehrung geschrieben ist.“[33] Und dann gab der Herr diesem Neubekehrten Anweisungen für sein Verhalten, nämlich aufzustehen und in die Stadt zu gehen, wo er die Informationen erhalten würde, die er brauchte, um seinen zukünftigen Kurs zu bestimmen. „Hier sollten wir besonders aufpassen: Obwohl Gott vom Himmel her mit Paulus spricht, will er doch das Predigtamt nicht aufheben, auch nicht zum Ausnahmefall machen, sondern er weist ihn in die Stadt zur Kanzel und zum Prediger; dort soll er hören und lernen, was zu lernen ist. Denn Gott, unser Herr, will für niemanden etwas Besonderes aufstellen, sondern gibt seine Taufe und sein Evangelium der ganzen Welt, dem einen wie dem anderen. Dort kann man lernen, wie man gerettet wird, und nicht warten, ob Gott etwas Neues macht und uns einen Engel vom Himmel schickt. Denn es ist sein Wille, dass wir hingehen und das Evangelium von denen hören, die es predigen; dort sollen wir es finden und nirgendwo anders.“[34]

 

    Das Gesicht ist beendet (V. 7-9): Lukas erwähnt hier zum ersten Mal die Gefährten des Saulus und beschreibt ihr Verhalten. Die Männer, die ihn begleiteten, standen wie verblüfft, als das Wunder geschah; denn sie hörten den Klang der Stimme, konnten aber niemanden sehen. Wenn wir hier das Zeugnis von Kap. 22,6-11 und Kap. 26,13-18 hinzufügen, in denen dasselbe Ereignis beschrieben wird, erhalten wir das folgende Bild. Das große Licht vom Himmel wurde von allen gesehen, aber nur auf Saulus hatte es eine unmittelbare Wirkung, indem es ihn zu Boden warf. Seine Gefährten standen einige Augenblicke lang wie erstarrt vor Angst und Beklemmung und versuchten, die Bedeutung der Vision zu begreifen. Doch nach dem ersten Schock konnten sie sich nicht mehr auf den Beinen halten und fielen ebenfalls zu Boden. Und während sie am Boden lagen, hörten die Männer die Stimme, die Äußerung von jemandem, der sprach, und Saulus verstand jedes Wort, aber sie hörten nicht genau, noch konnten sie verstehen, wer es war, der sprach. Und während sich Saulus die Gestalt Jesu inmitten des Lichts deutlich zeigte, sahen die anderen nichts als das Licht. So viel also konnten diese Gefährten des Saulus bezeugen: dass ein großes Licht erschien, dass aus dessen Mitte eine Stimme zu hören war, dass Saulus durch das Wunder blind wurde. Saul erhob sich nun von der Erde, aber als er versuchte, seine Augen zu öffnen, stellte er fest, dass er sein Augenlicht verloren hatte und nichts mehr sehen konnte. Seine Gefährten mussten ihn bei der Hand nehmen und ihn so in die Stadt führen. Und dort hielt seine Blindheit drei Tage lang an, in denen er weder aß noch trank. Das war die Folge des Erlebnisses, das er durchgemacht hatte und das ihn im Innersten seines Wesens erschütterte. Die Bekehrung eines Menschen ist nicht immer mit solchen Wundern verbunden wie im Fall von Saulus, aber sie ist immer genauso wundersam. Es ist der Herr, der die Sünder, seine Feinde, bezwingt und besiegt. Sein heiliges Gesetz wirft sie zu Boden, treibt sie in Angst und Verzweiflung. Aber er folgt sofort mit der tröstlichen Botschaft des Evangeliums, und dann geschieht das Wunder. Der Widerstand und die Feindseligkeit des unerweckten Herzens verwandelt sich in eine herzliche Annahme der Liebe Gottes. Das ist das Wunder der Bekehrung.

 

    Der HERR beauftragt Ananias (V. 10-12): In Damaskus gab es einen Jünger, der zu denen gehörte, denen Saulus nach dem Leben und der Freiheit getrachtet hatte. Sein Name war Ananias („Jahwe ist gnädig“), was in diesem Fall passender ist als bei seinem Namensvetter, Kap. 5. Ob er ein Presbyter der Gemeinde in Damaskus war, wie einige Ausleger meinen, lässt sich nicht feststellen. Ihm erschien der Herr in einer Vision, ob in einem nächtlichen Traum oder in einem Zustand der Ekstase bei Tag, wird nicht gesagt, und rief ihn beim Namen. In unmittelbarem Gehorsam zeigte Ananias, dass er bereit war, auf den Befehl des Herrn zu hören, denn er erkannte in dem Sprecher seinen Herrn, Jesus Christus, das Haupt seiner Kirche. Und der Herr gab ihm sogleich die notwendigen, ausdrücklichen Anweisungen. Er sollte aufstehen und sich zu der Straße begeben, die den Namen Gerade trug, die auch heute noch in einer Stadt voller krummer und gekrümmter Straßen auffällt, weil sie auf der Länge einer Meile nur wenige leichte Winkel aufweist. Sie führt vom Osttor aus nach Westen in das Herz der Stadt.[35] In dieser Straße wohnte ein Mann namens Judas, und in seinem Haus hatte Saulus eine Unterkunft gefunden. Der Herr hatte Saulus angewiesen, in die Stadt zu gehen, wo man ihm sagen würde, was er tun sollte. Drei Tage lang hatte der geplagte Mann in völliger Finsternis auf die verheißene Botschaft gewartet. Es gehört oft zu Gottes besonderem Plan, jemanden durch Krankheit oder eine andere Bedrängnis in Untätigkeit zu versetzen. In einer solchen Zeit hat das Herz ausreichend Gelegenheit, ernsthaft und im Gebet mit Gott zu kommunizieren. Das neue geistliche Leben des Saulus zeigte sich im Gebet; im Gebet erlangte er Kraft und Geduld, um die Prüfung des Herrn bis zum Ende durchzustehen. Außerdem war ihm eine Vision zuteil geworden, in der er sah, wie eben jener Ananias, zu dem der Herr jetzt sprach, zu ihm hereinkam und ihm durch Handauflegung das Augenlicht wiedergab. Die Vision war Saulus gewährt worden, teils um ihm die Gewissheit der Heilung zu geben, teils um ihn die Hand Gottes in all den Dingen, die ihm widerfuhren, erkennen zu lassen.

 

    Der Einwurf des Ananias wird beantwortet (V. 13-16): Der Gehorsam des Ananias wurde durch den Auftrag des Herrn auf eine harte Probe gestellt, als er den Namen Saulus von Tarsus hörte. Er hatte von vielen Leuten über diesen Mann gehört, was und wie viele und wie verschiedene böse Dinge er den Heiligen des Herrn in Jerusalem angetan hatte. Man beachte den ehrenden Namen "Heilige", der den Christen hier zum ersten Mal gegeben wird, als solchen, die durch das Blut Jesu gereinigt und geheiligt worden sind. Sie sind seine Heiligen, von ihm für die Seinen erworben und gewonnen; er ist ihr Erlöser und ihr Gott. Ananias hatte auch das sichere Wissen, dass Saulus hier in Damaskus vom Hohenpriester in Jerusalem die Vollmacht und Macht hatte, alle zu binden und damit zu verhaften, die den Namen Jesu als ihren Herrn und Retter anriefen. Hier ist eine weitere ehrende Beschreibung der Gläubigen, die sie auch genau charakterisiert. Sie vertrauen voll und ganz auf ihren Erlöser, was sie auch dadurch zeigen, dass sie ihn anrufen. Doch der Herr brachte den Einwand seines Dieners schnell zum Schweigen, indem er seinen Befehl wiederholte: Geh! Und er nahm Ananias alle Befürchtungen, indem er ihm sagte, dass Saulus ein von ihm erwähltes Gefäß sein sollte, ein Gefäß, in dem gleichsam die Reichtümer der Barmherzigkeit Gottes zum Gebrauch für viele aufbewahrt werden würden. Denn in diesem auserwählten Gefäß, Saulus von Tarsus, hatte Gott bestimmt, dass sein Name vor die Heiden und vor die Könige und vor die Kinder Israels getragen werden sollte. Der Name des Herrn Jesus Christus ist wie ein kostbares Juwel, für das er eine passende Schatulle ausgewählt und vorbereitet hat. Die besondere Mission des Mannes, der später der Apostel des Herrn wurde, wurde hier bereits angedeutet. Sein Hauptwerk sollte unter den Heiden sein, bei denen, die nicht zu den Kindern Abrahams nach dem Fleisch gehören. Aber er sollte auch vor Königen und Herrschern Zeugnis ablegen, wie den Statthaltern von Zypern, Achaja und Judäa. Und schließlich sollte sein Werk auch seine Brüder nach dem Fleisch einschließen. Der Herr öffnete hier die Tür der Zukunft weit vor den Augen des Ananias, um in ihm die richtige Bereitschaft zur Ausführung des Auftrags zu wirken. Aber nicht nur im Zeugnis für den Herrn würde dieser Mann, Saulus, als ein geeignetes, auserwähltes Gefäß des Herrn gefunden werden, sondern Jesus beabsichtigte auch, ihn um seines Namens willen Leiden erfahren zu lassen. Diese Leiden würden über ihn kommen als Teil der Verpflichtung des Gefäßes des Herrn. Nicht länger wird er anderen Leiden bringen, sondern er wird sich bereitwillig der Last beugen, von der der Herr weiß, dass sie das Maß seiner Kraft ist. Das ist das Vorrecht der Gläubigen bis zum heutigen Tag, sowohl den Namen des Herrn zu bekennen als auch die Schmach Christi zu ertragen.

 

    Die Taufe des Saulus (V. 17-19): Die Befürchtungen des Ananias waren durch die Offenbarung des Herrn beseitigt worden. Er verließ sein eigenes Haus und ging in das Haus, das ihm der Herr gezeigt hatte. Als er Saulus fand, legte er ihm sogleich die Hände auf, um ihm die Heilung von seiner Blindheit zu übermitteln, und sprach ihn gleichzeitig als christlichen Bruder an. Seine Bekehrung hatte den wütenden Feind und Verfolger in einen Menschen verwandelt, der in wahrer Gemeinschaft und Einheit mit allen Gläubigen stand. Er erklärte den Grund seines Besuchs damit, dass der Herr ihn gesandt habe, derselbe Jesus, der sich Saulus auf dem Weg offenbart hatte. Er sollte nun sowohl sein Augenlicht wiedererlangen als auch mit dem Heiligen Geist erfüllt werden. Durch seine Bekehrung hatte Saulus die Gabe des Heiligen Geistes empfangen, und durch die jetzige Handauflegung erhielt er nicht nur sein Augenlicht zurück, sondern auch ein neues und außerordentliches Maß an Licht und Kraft des Geistes sowie die Macht, Wunder zu vollbringen, und wurde so für den Dienst vorbereitet, für den er ausgewählt worden war. Als unmittelbare Folge der Handauflegung wurde Saulus das Augenlicht wiedergegeben; von seinen Augen fiel ein schuppenartiger Belag oder eine Haut herab, entweder eine Kruste aufgrund einer Entzündung oder eine Wucherung, die der Herr vorläufig verursacht hatte. Die anschließende Taufe brachte den Empfang des Heiligen Geistes und die formelle Aufnahme in die christliche Kirche. So erhielt auch Saulus die Zusicherung und das Siegel der Vergebung seiner Sünden, Kap. 22,16. Nun war die Zeit der Ungewissheit und des Zweifels vorbei, die Krise war sicher überstanden. Saul nahm nun Nahrung zu sich und stärkte sich. Nach den Tagen schwerer Gewissensbisse brach er sein Fasten. Die Christen geben sich entgegen der landläufigen Meinung nicht einer törichten Askese hin, sondern nutzen die Gaben des Herrn in angemessener Weise. Der junge Bekehrte wurde nun auch den Jüngern, den Mitgliedern der Gemeinde in Damaskus vorgestellt; er trat offen in ihre Reihen ein und bekannte so seinen Glauben. Anmerkung: Die Ausrede, die manchmal vorgebracht wird, dass Menschen genauso gute Christen sein können, ohne der Kirche anzugehören, ist angesichts des hier erzählten Beispiels nicht haltbar.

 

    Saulus predigt Christus (V. 20-22): Saulus hatte durch das Wort des Herrn durch Ananias und wahrscheinlich auch durch direkten Befehl Gottes seinen Auftrag als Prediger und Missionar erhalten. Und er verlor keine Zeit, seine Aufgaben zu übernehmen. Rasch, so schnell wie möglich, predigte er in den Synagogen, verkündete die Botschaft und verkündete Jesus als den Sohn Gottes. Er bewies den versammelten Juden, dass derselbe Jesus, der von ihnen hingerichtet worden war, kein anderer sein konnte als der verheißene Messias, der Sohn Gottes selbst, von dem Ps. 2,7 spricht. Das ist die große Botschaft des Neuen Testaments, die Summe und Substanz aller Predigten über die Person und das Amt des Erlösers. Das Ergebnis war, dass alle, die Saulus reden hörten, vor Erstaunen verblüfft waren, was sie in der erregten Frage zum Ausdruck brachten: Ist das nicht der Mann, der in Jerusalem die vernichtet und verwüstet hat, die diesen Namen anriefen, und der hierher gekommen ist, um sie zu den Hohepriestern zu führen? Die Mission des Saulus war unter den Juden bekannt geworden, wahrscheinlich durch seine Gefährten oder durch eine Botschaft aus Jerusalem, und sein früherer Hass war allgemein bekannt gewesen. Sein völliger Wandel war daher für seine früheren Gefährten völlig unerklärlich. In der Zwischenzeit gewann Saulus Tag für Tag an geistlicher und religiöser Kraft, an Verständnis für die Heilige Schrift und ihr großes zentrales Thema und an der Fähigkeit, die Bedeutung der wunderbaren Botschaft auf die Situation anzuwenden, in der er sich befand. Wann immer sich ihm die Gelegenheit bot, brachte er sein unerschöpfliches Thema vor und verwirrte die Juden buchstäblich, schüttete sie zusammen, verwirrte sie und machte es ihnen unmöglich, vor seiner gewaltigen Darlegung und Demonstration, dass dieser Mensch Jesus der Christus ist, aufzustehen. Diese Wahrheit bewies er, indem er die Übereinstimmung zwischen den messianischen Vorhersagen und den geschichtlichen Tatsachen im Leben Jesu aufzeigte, und er bezeugte sie aus der Festigkeit und Bestimmtheit seiner Überzeugung. Die Kraft des Heiligen Geistes in seiner Botschaft, die zu seiner Zuversicht und Freude hinzukam, konnte nicht verfehlen, einen tiefen Eindruck zu hinterlassen, so wie es auch heute noch der Fall ist.

 

    Saulus in Lebensgefahr (V. 23-25): „Nachdem viele Tage erfüllt waren“, nach Ablauf einer längeren Zeitspanne. Lukas sagt nicht, wo sich Saulus während dieser Zeit aufhielt, noch beschreibt er seine Arbeit, aber es ist wahrscheinlich, dass die Reise nach Arabien, Gal. 1, 17, zu dieser Zeit stattfand. Ob Saulus in der Missionsarbeit tätig war oder ob der Herr ihm eine besondere Vorbereitungszeit gewährte, können wir nicht wissen. Aber als Saulus wieder nach Damaskus zurückkehrte, sollte er bald erfahren, dass das Staunen seiner Landsleute nachgelassen hatte. Die Juden planten gemeinsam, ihn zu töten, um ihn aus dem Weg zu räumen, damit er das Evangelium verkünden konnte. Er erlebte etwas von der feindseligen Haltung und Verfolgung, die er früher den Jüngern Jesu entgegengebracht hatte. Saulus erfuhr von dem Plan, ihn zu töten, und plante, zu fliehen. Die Juden hatten ihre Pläne jedoch so gut geplant, dass sie auch den Ethnarchen unter König Aretas für sich gewinnen konnten, 2. Kor 11,32, und sie ließen alle Tore der Stadt bewachen, mit dem Befehl, Saulus bei einem Fluchtversuch zu töten. Zweifellos hofften sie, ihn ohne große Schwierigkeiten in der Stadt festsetzen zu können, sobald sie die Zeit für reif hielten. In dieser Notlage fanden die Jünger einen Weg, die Verfolger zu überlisten. Sie fanden ein Haus, das an die Stadtmauer gebaut war oder sogar einen Aufbau hatte, der auf der Mauer ruhte, und es war ein Leichtes, Saulus durch eine Öffnung in der Mauer mit Hilfe eines großen Korbes hinabzulassen, wie ihn die Händler zum Transport ihrer Waren benutzten. Auf diese Weise schickten die Jünger von Damaskus Saulus aus der Stadt und sorgten für seine Sicherheit. Das war etwa drei Jahre nach seiner Bekehrung, Gal. 1,18.

 

    Saulus in Jerusalem (V. 26-31): Drei Jahre zuvor hatte Saulus Jerusalem verlassen. ein Feind und Verfolger der Jünger Christi. Und nun kehrte er in die Stadt zurück, selbst verfolgt und gejagt von seinen früheren Freunden und Gefährten. Welche Gefühle sein Herz durchströmten, als er an dem Ort vorbeikam, an dem ihm der Herr erschienen war, oder an der Stelle, an der die Steinigung des Stephanus stattgefunden hatte, lässt sich nur vermuten. Aber die krönende Demütigung erfuhr er in Jerusalem durch die Behandlung der Jünger. Er versuchte, sich den Gliedern der Gemeinde mit der Vertrautheit anzuschließen, die in jenen Tagen unter den Jüngern die Regel war. Doch seine Bemühungen stießen auf Misstrauen, da sein früherer Werdegang zu gut bekannt war. Wahrscheinlich befürchteten sie, dass Saulus Interesse und Überzeugung nur vortäuschte, um in die Geheimnisse der Gemeinde eingeweiht zu werden und die Namen der mit ihr verbundenen prominenten Personen zu erhalten, damit er wieder seine alten Methoden anwenden konnte. In ihrem Misstrauen fühlten sie, dass sie den stärksten Beweis für die Aufrichtigkeit sowohl seiner Bekehrung als auch für die Aufrichtigkeit seiner Beweggründe, sich ihnen anschließen zu wollen, brauchten. Es kann oft vorkommen, dass eine Sünde aus früheren Tagen, auch wenn sie in teilweiser oder völliger Unkenntnis begangen wurde, dem Ansehen einer Person in späteren Jahren schadet, trotz aufrichtigster Reue. Glücklicherweise dauerte diese leidvolle Erfahrung des Saulus nicht allzu lange; denn Barnabas, der ehemalige Levit, Kap. 4,36, der Paulus vielleicht schon seit den frühen Tagen in Tarsus kannte, übernahm nun die Bürgschaft für ihn. Er führte ihn zu den Aposteln und erzählte ihnen ausführlich, wie die Bekehrung des ehemaligen Kirchenverfolgers erfolgt war, als der Herr selbst ihm erschien und auf dem Weg zu ihm sprach, und dass Saulus in Damaskus die großen Wahrheiten des Evangeliums kühn verkündet hatte. Im Namen Jesu hatte er so frei geredet und damit denselben Auftrag erhalten wie die Apostel selbst. Diese Einführung fand bei Petrus und Jakobus statt, Gal. 1,19, da die anderen Apostel wegen Angelegenheiten der Kirche in Jerusalem abwesend waren. Nachdem Barnabas sich für Saulus verbürgt hatte, wurde dieser nun als Bruder anerkannt, und er ging in der Gemeinde in Jerusalem ein und aus; er hatte täglich vertraulichen Verkehr mit den Aposteln und mit allen Brüdern. Und ganz selbstverständlich begann Saulus auch in Jerusalem, frei im Namen des Herrn zu predigen. Die Botschaft des Heils, dessen Herrlichkeit und Trost er erfahren hatte, fühlte er sich genötigt, anderen zu verkünden, Kap. 4,20. Als er aber auch mit den Hellenisten sprach und stritt, zu denen er selbst gehört hatte, vielleicht in derselben Synagoge, die versucht hatte, gegen die Weisheit des Stephanus zu argumentieren, Kap. 6,9, fand er, dass sie gegen ihn als einen Deserteur aus ihren Reihen tief verbittert waren. Aus diesem Grund nahmen sie sich vor, ihn zu töten; sie legten zwar nicht selbst Hand an, aber sie begannen, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Es stimmte also, dass die hellenistischen Juden das Zeugnis des Saulus über Jesus nicht akzeptieren wollten, Kap. 22,17. Die Brüder erfuhren von der Absicht, den von ihnen hochgeschätzten Bruder zu entfernen, und vereitelten die böse Absicht. Sie brachten Saulus nach Cäsarea am Mittelmeer, von wo aus er die Möglichkeit hatte, nach Kleinasien, nach Tarsus in Zilizien, seiner Heimatstadt, überzusetzen. Es scheint die Meinung der Brüder gewesen zu sein, dass es für Saulus am besten wäre, in seiner Stadt zu warten, bis der Herr ihm eine bestimmte Aufgabe zuweisen würde. Hier verlassen wir Saulus für eine Weile. -Lukas fügt am Ende dieses Abschnitts die Bemerkung hinzu, dass alle Gemeinden, die gesamte Kirche, seit ihr heftigster, eifrigster Feind besiegt worden war, Ruhe, Frieden und Wohlstand hatte, eine gute Gelegenheit hatte, sich innerlich und äußerlich in ganz Judäa und Galiläa und Samarien zu etablieren. Die Kirche wurde erbaut, als solides Gebilde aufgebaut; ihr Existenzrecht wurde voll und ganz bestätigt; ihre Glieder wandelten, führten ihr ganzes Leben durch oder in der Furcht des Herrn, als Folge des Glaubens, der in ihren Herzen lebte; und sie wurden mit dem Trost des Heiligen Geistes erfüllt, die verheißene Hilfe und der Unterhalt Jesu wurde eine Tatsache, und das Ergebnis zeigte sich auch in der wachsenden Zahl der Jünger. Es ist der Herr, der seine Kirche baut, sowohl in den Tagen des Unfriedens und der Unterdrückung als auch in den Tagen des Friedens und des Wohlstands, und es ist der Trost seines Geistes, der wahre Gemeindearbeit möglich macht und auch den Anschein wahrer, ehrfürchtiger Frömmigkeit im Leben der Gemeinden bewirkt.

 

Petrus führt zwei Wunder aus (9,32-43)

    32 Es geschah aber, da Petrus überall umherzog, dass er auch zu den Heiligen kam, die zu Lydda wohnten. 33 Dort fand er einen Mann mit Namen Äneas, acht Jahre lang auf dem Bett gelegen, der war gichtbrüchig. 34 Und Petrus sprach zu ihm: Äneas, Jesus Christus macht dich gesund; stehe auf und bette dir selber. Und alsobald stand er auf. 35 Und es sahen ihn alle, die zu Lydda und zu Saron wohnten; die bekehrten sich zu dem HERRN.

    36 Zu Joppe aber war eine Jüngerin mit Namen Tabea34a (welches verdolmetscht heißt ‚Gazelle‘), die war voll guter Werke und Almosen, die sie tat. 37 Es begab sich aber zu derselben Zeit, dass sie krank wurde und starb. Da wuschen sie diese und legten sie auf den Söller [Obergemach]. 38 Nun aber Lydda nahe bei Joppe ist, da die Jünger hörten, dass Petrus dort war, sandten sie zwei Männer zu ihm und ermahnten ihn, dass er sich’s nicht ließe verdrießen, zu ihnen zu kommen. 39 Petrus aber stand auf und kam mit ihnen. Und als er hingekommen war, führten sie ihn hinauf auf den Söller, und traten um ihn alle Witwen, weinten und zeigten ihm die Röcke und Kleider, welche die ‚Gazelle‘ machte, als sie bei ihnen war. 40 Und da Petrus sie alle hinausgetrieben hatte, kniete er nieder, betete und wandte sich zu dem Leichnam und sprach: Tabea, stehe auf! Und sie tat ihre Augen auf; und da sie Petrus sah, setzte sie sich wieder. 41 Er aber gab ihr die Hand und richtete sie auf und rief die Heiligen und die Witwen und stellte sie lebendig dar. 42 Und es ward kund durch ganz Joppe, und viele wurden gläubig an den HERRN. 43 Und es geschah, dass er lange Zeit zu Joppe blieb bei einem Simon, der ein Gerber war.

 

    Petrus in Lydda (V. 32-35): Es scheint die Gewohnheit der Apostel gewesen zu sein, neue Abschnitte des Feldes, die erschlossen wurden, neue Gemeinden, die gegründet wurden, zu besuchen. Petrus und Johannes hatten dies in Samaria getan, Paulus folgte bei seiner Missionsarbeit demselben Brauch, und hier finden wir Petrus, der durch alle Viertel reist, durch die Teile der Provinzen, in denen in letzter Zeit Gemeinden gegründet worden waren. Das Ziel war offensichtlich, die Einheit des Geistes durch das Band des Friedens herzustellen und zu bewahren. So kam Petrus auch zu den Heiligen, zu den Gliedern der Gemeinde, in und um Lydda, dem alten Lod, Neh. 7,37, etwa zwei Drittel der Strecke zwischen Jerusalem und Joppe, im schönen Tal von Scharon, etwa drei Stunden von der Küste entfernt. Hier in Lydda fand Petrus einen Mann, der offenbar nicht zur Gemeinde gehörte, aber zweifellos von ihrer Arbeit gehört hatte, einen Griechen oder hellenistischen Juden namens Aeneas. Er war gelähmt und hatte acht Jahre lang gelitten, war bettlägerig und konnte sich nicht selbst helfen. Beachten Sie, wie sorgfältig und genau Lukas als Arzt die Krankheit beschreibt. Petrus sprach nur ein paar Worte zu diesem Mann und sagte ihm, dass Jesus Christus ihn geheilt habe. Gleichzeitig befahl er ihm, aufzustehen und sich selbst ein Bett zu machen, was ihm seine gelähmten Glieder seit Jahren nicht mehr erlaubt hatten. Das Wunder der Heilung geschah augenblicklich. Jesus, der erhabene Christus, der jetzt zur Rechten Gottes sitzt, ist seiner Gemeinde überall nahe, auch in allen körperlichen Nöten. Das Wunder war so offensichtlich, dass seine Wirkung deutlich war. Nicht nur die Menschen in und um Lydda, sondern auch die Bewohner des großen Tals oder der Ebene von Scharon, die sich mit ihren fruchtbaren Feldern nach Norden bis zum Berg Karmel erstreckte, sahen den geheilten Mann, und es folgte eine allgemeine Bekehrung zum christlichen Glauben, wie ihn Petrus und die Gemeinde in Lydda verkündeten. Die Menschen waren davon überzeugt, dass der Anspruch Jesu als Messias begründet sein musste, wenn sogar seine Diener solch mächtige Taten vollbringen konnten.

 

    Das Wunder in Joppe (V. 36-43): Petrus blieb wohl noch einige Zeit in Lydda, um die Jünger zu bestätigen und die Gemeinde aufzubauen. Doch plötzlich wurde er in ein Trauerhaus in Joppe, der Hafenstadt von Jerusalem, gerufen. In dieser Stadt lebte eine Jüngerin, deren aramäischer Name Tabitha (Glanz, Schönheit) war, den Lukas in der griechischen Form Dorcas (Gazelle) wiedergibt. Sie könnte unter beiden Namen bekannt gewesen sein. Die Verkündigung des Evangeliums, wahrscheinlich durch die Bemühungen von Philippus, der durch dieses Land reiste, Kap. 8,40, hatte bei dieser Frau eine wunderbare Wirkung gezeigt. Sie war voll und reich an guten Werken und an Taten der Barmherzigkeit, am Almosengeben, das sie praktizierte. Sie zeugte von der Kraft des Evangeliums, das in ihrem Herzen lebte, und die Liebe zu Christus und zu ihrem Nächsten brach immer wieder hervor. Aber diese gute Frau erkrankte um diese Zeit und starb, und die Leute, die ihre Güte erlebt und genossen hatten, trafen die ersten Vorbereitungen für ihr Begräbnis, indem sie sie wuschen und im oberen Raum des Hauses aufbahrten. In der Zwischenzeit war einem Freund zu Ohren gekommen, dass Petrus sich dem allgemeinen Bericht zufolge in Lydda aufhielt, und die Jünger von Joppe beschlossen, zwei Männer zu ihm zu schicken mit der ernsten Bitte: Zögere nicht, zu uns zu kommen. Die Dringlichkeit der Angelegenheit sollte hervorgehoben werden. Ob die Jünger einen konkreten Plan für die wahrscheinliche Wiedererweckung von Dorcas hatten oder ob sie einfach die Anwesenheit von Petrus wünschten, um sie in ihrem Kummer zu trösten, wird nicht gesagt. Jedenfalls verlor Petrus keine Zeit, sie zu begleiten, und sie hatten etwa drei Stunden Zeit, die Situation mit ihm zu besprechen, während sie nach Joppe zurückreisten. Als Petrus ankam, brachten sie ihn sofort in den oberen Raum, wo die verstorbene Schwester lag. Wenn etwas getan werden sollte, war Eile geboten, denn das Klima machte eine rasche Beerdigung notwendig. Wie bei solchen Gelegenheiten üblich, drängten sich alle Witwen, die von Dorcas irgendeine Wohltat erhalten hatten, um Petrus, weinten bitterlich und zeigten ihm die Unterkleider oder Kleider und die Mäntel, die Dorcas zu Lebzeiten für sie angefertigt hatte. Solche Werke der Nächstenliebe, obwohl sie gewöhnlich vor den Augen der Menschen verborgen sind, werden vor Gott hoch geschätzt. Die einfachen Werke des christlichen Dienstes, die in aller Einfalt des Herzens getan werden, die Sorge für den Haushalt, das Nähen, das Flicken, das Kochen und die kleinen Hilfen, die man den Nächsten erweist, werden, wenn sie aus Liebe zu Christus getan werden, bei Gott als Lohn für Verdienste an seinem Tag aufgezeichnet. Petrus entfernte zunächst all diese Menschen aus dem Raum; er wollte ganz allein mit seinem himmlischen Vater und seinem Herrn Jesus Christus im Gebet sein. Er warf sich auf die Knie und legte die Angelegenheit im Gebet vor Gott, dann wandte er sich an den toten Körper und befahl: „Tabitha, steh auf!“ Und durch die Kraft des Herrn wurde das Wunder vollbracht. Die Frau, die tot war, öffnete ihre Augen und setzte sich auf, als sie Petrus sah. Und er half ihr auf die Beine, rief die Mitglieder der Gemeinde und besonders die Witwen, die so tief betrübt waren, und stellte sie lebendig vor. Jesus Christus, der Fürst des Lebens, der Aeneas wieder gesund gemacht hatte, rief auch diese Frau ins Leben zurück, damit sie ihre Werke der Barmherzigkeit für sie fortsetzen konnte. Leben und Tod aller Christen liegen in der Hand ihres Herrn. Das Wunder verbreitete sich bald in der ganzen Stadt, und viele glaubten an den Herrn. Die Kraft, die nötig war, um einen Toten wieder zum Leben zu erwecken, beeindruckte sie, und das Evangelium gewann ihre Herzen für Jesus. Petrus blieb noch einige Zeit in Joppe, und seine Anwesenheit zu dieser Zeit war ein besonderer Glücksfall. Ein Mann namens Simon, von Beruf Gerber, war sein Gastgeber. Dieser Beruf war bei den Juden allgemein verhasst, aber Petrus lernte schnell, die alten Vorurteile abzulegen und allen Menschen zu dienen, allen alles zu werden.

 

Zusammenfassung: Saulus, der auf dem Weg nach Damaskus ist, um die Jünger zu verfolgen, wird durch eine Erscheinung des Herrn zu sich gerufen und beginnt seine Arbeit, für Jesus Zeugnis abzulegen, während Petrus auf seinen Missionsreisen einen Gelähmten in Lydda heilt und eine tote Frau in Joppa wieder zum Leben erweckt.

 

 

DIE FRUEHGESCHICHTE DES LEBENS DES PAULUS

(zu Apg. 10,1-8)

    Paulus, der große Heidenmissionar, wurde in Tarsus geboren, der alten, berühmten Hauptstadt Ziliziens in Kleinasien, am Fluss Cydnus, zwölf Meilen vom Meer entfernt, inmitten einer fruchtbaren Ebene (Apg 22,3). Die Stadt war sowohl für ihre Kultur als auch für ihre Gelehrsamkeit bekannt; ein Historiker stellt sie in dieser Hinsicht sogar über Athen und Alexandria. In dieser Stadt der griechischen Gelehrsamkeit erwarb der Junge, der selbst Sohn eines Pharisäers und somit strenger Jude war, Kenntnisse der griechischen Sprache und der Sitten und Gebräuche der Griechen, die ihm im späteren Leben von großem Nutzen waren. Nebenbei sei bemerkt, dass die Einwohner von Tarsus, die sich zur Zeit Julius Cäsars den Römern gegenüber freundlich gezeigt hatten, lediglich die Privilegien römischer Bürger erhielten (oder Paulus' Vater könnte das Recht als Belohnung für seine Verdienste erhalten haben), und aus diesem Grund nahm Paulus, der von Geburt an römischer Bürger war, bei verschiedenen Gelegenheiten die Rechte eines solchen Bürgers in Anspruch und erwarb sich damit einen großen Verdienst um die Sache, für die er sich einsetzte. Paulus war rein jüdischer Abstammung, ein Hebräer der Hebräer, aus dem Stamm Benjamin, und stammte von frommen Vorfahren ab, Phil. 3,4.5; 2. Tim. 1,3. Die Unterweisung im Gesetz des Mose, die er zu Hause und in der örtlichen Synagoge erhielt, war so gründlich wie die jedes jüdischen Jungen in Palästina.

    Nach jüdischem Brauch war eine gewisse Form der handwerklichen Ausbildung ein notwendiger Teil der Erziehung eines jeden Jungen. Auch der junge Saulus erlernte einen Beruf, nämlich den des Zeltmachers (Apg. 18,3; 20,34). Das Ziegenhaar, das für die Herstellung von groben Gewändern und Zelttüchern verwendet wurde, wurde in den Bergen Kilikiens in großen Mengen produziert, weshalb das fertige Tuch den Namen cilicium erhielt. Dieser Handel war für Paulus in einigen der dunklen Tage der Nachkriegszeit von großem Nutzen, Apg. 18,3; 20,34; 1. Thess. 2,9. Sobald der kleine Saulus für die große Schule der Juden in Jerusalem reif war, wurde er von seinem Vater dorthin geschickt und so zu den Füßen von Gamaliel, einem der gelehrtesten Doktoren der Juden, erzogen, dessen Klugheit und Gelassenheit ihn unter den Mitgliedern des Sanhedrins auffällig machte, Apg. 22,3. Er war in der Religion der Juden weiter fortgeschritten als viele seiner Zeitgenossen, da er die Überlieferungen der Väter noch eifriger pflegte, Gal. 1,14. Er erfüllte die Forderungen des jüdischen Gesetzes und aller Überlieferungen der Ältesten mit aller Strenge, so dass er sich in späteren Jahren auf diejenigen berufen konnte, die wussten, dass er das Leben eines strengen Pharisäers geführt hatte, Apg. 26,4.5; Phil. 3,6.

    Sehr wahrscheinlich verließ Saulus. Jerusalem, bevor Johannes der Täufer sein Werk begann, und war während der Jahre des Wirkens Christi abwesend; denn es gibt in den Schriften des Paulus keinen Hinweis auf eine persönliche Kenntnis der Ereignisse im Leben Jesu. Es scheint, dass er etwa zu der Zeit nach Jerusalem zurückkehrte, als Stephanus seine Debatten im Interesse der christlichen Religion begann, und an mindestens einer dieser Diskussionen als Mitglied der Synagoge von Kilikien teilnahm. Das spätere Leben des Paulus wird weitgehend in der Apostelgeschichte und in seinen Briefen beschrieben, und die wahrscheinlichen Fakten über seine letzten Jahre werden im Zusammenhang mit einigen seiner letzten Briefe erörtert. 

 

 

Kapitel 10

 

Hauptmann Cornelius (10,1-48)

    1 Es war aber ein Mann zu Cäsarea mit Namen Cornelius, ein Hauptmann von der Schar, die da heißt die italische, 2 gottselig und gottesfürchtig samt seinem ganzen Haus und gab dem Volk viel Almosen und betete immer zu Gott. 3 Der sah in einer Vision offenbar um die neunte Stunde am Tag einen Engel Gottes zu ihm eingehen, der sprach zu ihm: Cornelius! 4 Er aber sah ihn an, erschrak und sprach: HERR, was ist’s? Er aber sprach zu ihm: Dein Gebet und deine Almosen sind hinaufgekommen ins Gedächtnis vor Gott. 5 Und nun sende Männer nach Joppe und lass fordern Simon mit dem Zunamen Petrus, 6 welcher ist zur Herberge bei einem Gerber Simon, des Haus am Meer liegt; der wird dir sagen, was du tun sollst. 7 Und da der Engel, der mit Cornelius redete, hinweggegangen war, rief er zwei seiner Hausknechte und einen gottesfürchtigen Kriegsknecht von denen, die auf ihn warteten, 8 und erzählte es ihnen alles und sandte sie nach Joppe. 3

    9 Am nächsten Tag, da diese auf dem Wege waren und nahe zur Stadt kamen, stieg Petrus hinauf auf den Söller [Obergemach], zu beten, um die sechste Stunde. 10 Und als er hungrig wurde, wollte er essen. Da sie ihm aber zubereiteten, wurde er entzückt 11 und sah den Himmel aufgetan und herniederfahren zu ihm ein Gefäß wie ein großes leinenes Tuch, an vier Zipfeln gebunden, und es wurde niedergelassen auf die Erde. 12 Darin waren allerlei vierfüßige Tiere der Erde und wilde Tiere und Gewürm und Vögel des Himmels. 13 Und geschah eine Stimme zu ihm: Stehe auf, Petrus, schlachte und iss! 14 Petrus aber sprach: O nein, HERR; denn ich habe noch nie etwas Gemeines oder Unreines gegessen. 15 Und die Stimme sprach zum zweiten Mal zu ihm: Was Gott gereinigt hat, das mache du nicht gemein. 16 Und das geschah dreimal; und das Gefäß wurde wieder aufgenommen zum Himmel.

    17 Als aber Petrus sich in sich selbst bekümmerte, was das Gesicht wäre, das er gesehen hatte, siehe, da fragten die Männer, von Cornelius gesandt, nach dem Hause Simons und standen an der Tür, 18 riefen und forschten, ob Simon mit dem Zunamen Petrus allda zur Herberge wäre. 19 Indem aber Petrus sich besinnt über die Vision, sprach der Geist zu ihm: Siehe, drei Männer suchen dich. 20 Aber stehe auf, steige hinab und zieh mit ihnen und zweifle nichts; denn ich habe sie gesandt. 21 Da stieg Petrus hinab zu den Männern, die von Cornelius zu ihm gesandt waren, und sprach: Siehe, ich bin’s, den ihr sucht; was ist die Sache, darum ihr hier seid? 22 Sie aber sprachen: Cornelius, der Hauptmann, ein frommer und gottesfürchtiger Mann und guten Gerüchts bei dem ganzen Volk der Juden, hat einen Befehl empfangen vom heiligen Engel, dass er dich sollte fordern lassen in sein Haus und Worte von dir hören. 23 Da rief er sie hinein und herbergte sie.

    Am nächsten Tag zog Petrus aus mit ihnen, und etliche Brüder von Joppe gingen mit ihm. 24 Und am folgenden Tag kamen sie nach Cäsarea. Cornelius aber wartete auf sie und rief zusammen seine Verwandten und Freunde. 25 Und als Petrus hineinkam, ging ihm Cornelius entgegen und fiel zu seinen Füßen und betete ihn an. 26 Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Stehe auf; ich bin auch ein Mensch. 27 Und als er sich mit ihm besprochen hatte, ging er hinein und fand viele, die zusammengekommen waren. 28 Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, wie es ein ungewohntes Ding ist einem jüdischen Mann, sich zu tun oder zu kommen zu einem Fremdling; aber Gott hat mir gezeigt, keinen Menschen gemein oder unrein zu heißen. 29 Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich wurde hergefordert.  So frage ich euch nun, warum ihr mich habt lassen fordern.

    30 Cornelius sprach: Ich habe vier Tage gefastet bis an diese Stunde, und um die neunte Stunde betete ich in meinem Hause. Und siehe, da trat ein Mann vor mich in einem hellen Kleide 31 und sprach: Cornelius, dein Gebet ist erhört, und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. 32 So sende nun nach Joppe und lass herrufen einen Simon mit dem Zunamen Petrus, welcher ist zur Herberge in dem Haus des Gerbers Simon an dem Meer; der wird dir, wenn er kommt, sagen. 33 Da sandte ich von Stund’ an zu dir. Und du hast wohlgetan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier gegenwärtig vor Gott, zu hören alles, was dir von Gott befohlen ist.

    34 Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich mit der Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, 35 sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm. 36 Ihr wisst wohl von der Predigt, die Gott zu den Kindern Israel gesandt hat, und verkündigen lassen den Frieden durch Jesus Christus (welcher ist ein HERR über alles), 37 die durchs ganze jüdische Land geschehen ist und angefangen in Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte: 38 Wie Gott diesen Jesus von Nazareth gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und Kraft; der umhergezogen ist und hat wohlgetan und gesund gemacht alle, die vom Teufel überwältigt waren; denn Gott war mit ihm.

    39 Und wir sind Zeugen alles des, was er getan hat im jüdischen Land und zu Jerusalem. Den haben sie getötet und an ein Holz gehängt. 40 Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und ihn lassen offenbar werden, 41 nicht allem Volk, sondern uns, den vorerwählten Zeugen von Gott, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden ist von den Toten. 42 Und er hat uns geboten, zu predigen dem Volk und zu zeugen, dass er ist verordnet von Gott ein Richter der Lebendigen und der Toten. 43 Von diesem zeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.

    44 Da Petrus noch diese Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten. 45 Und die Gläubigen aus der Beschneidung, die mit Petrus kommen waren, entsetzten sich, dass auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde. 46 Denn sie hörten, dass sie mit Zungen redeten und Gott hoch priesen. Da antwortete Petrus: 47 Mag auch jemand das Wasser wehren, dass diese nicht getauft werden, die den Heiligen Geist empfangen haben gleichwie auch wir? 48 Und befahl, sie zu taufen in dem Namen des HERRN. Da baten sie ihn, dass er etliche Tage dabliebe.

 

    Die Vision [das Gesicht] des Cornelius (V. 1-8): Während Saulus in seiner Stadt Tarsus auf die Zeit wartete, in der der Herr ihm ein bestimmtes Werk unter den Heiden zuweisen würde, oder, wie manche meinen, das Evangelium in die Provinz Zilizien brachte, rührte Gott selbst die Herzen einiger weniger Menschen außerhalb der auserwählten Nation. In Cäsarea am Meer, der Residenz der römischen Statthalter von Judäa, lebte ein Mann namens Kornelius. Dieser Mann war von Geburt an ein Heide, wie sein lateinischer Name vermuten lässt. Sein offizielles Amt war das eines Zenturio der sogenannten italischen Kohorte, des zehnten Teils einer römischen Legion, die in Cäsarea stationiert war. Die italischen Kohorten setzten sich aus freiwilligen römischen Bürgern zusammen, die in Italien geboren waren, und es ist historisch belegt, dass sie in mehreren östlichen Provinzen bestanden. Kornelius war nicht nur gut und großzügig, sondern auch fromm, ein gottesfürchtiger Proselyt, ein Mann, der mit seiner Familie und wahrscheinlich auch mit seinen Dienern den wahren Gott kennengelernt hatte, ähnlich wie der Hauptmann von Kafarnaum, Matth. 8,5. Von den Juden, unter denen er so viele Jahre gelebt hatte, hatte Kornelius von dem kommenden Messias gehört, durch dessen Kommen und Wirken ihm die wahre Gerechtigkeit vor Gott zuteil werden sollte: Dieser Glaube hatte sein Herz ergriffen und gab durch seine vielen Almosen und seine ständigen Gebete zu Gott genügend Zeugnis davon.[36] Kornelius war also nicht nur ein aufrechter, ehrbarer Mann von Welt, sondern ein Gläubiger an den Messias, dessen Kommen er jedoch, wie viele der frommen Juden, in die Zukunft verlegte, nicht wissend, dass alle Prophezeiungen in und durch Jesus von Nazareth erfüllt worden waren. Aber der Herr kannte den Zustand seines Herzens und beschloss, ihm und seinem ganzen Haus die volle Offenbarung des Neuen Testaments zu geben. Dementsprechend arrangierte Gott es so, dass Kornelius um die neunte Stunde des Tages, um die Zeit des Abendopfers im Tempel, eine der Stunden des Gebets, in einer Vision deutlich, offenkundig, klar, eine Täuschung unmöglich machend, einen Engel des Herrn mit einer Botschaft zu ihm kommen sah. Der himmlische Bote rief ihn zunächst beim Namen, was an sich schon eine Auszeichnung ist, Jes. 43,1. Aber Kornelius wich instinktiv zurück, wie es sündige Menschen in der Gegenwart eines sündlosen Wesens zu tun pflegen. Seine Augen waren auf den Engel gerichtet, und er war von Furcht erfüllt, als er sagte: „Was ist das, Herr?“, denn er erkannte den Boten Gottes. Doch die ruhigen Worte des Engels beruhigten ihn. Seine Gebete waren von Gott erhört worden, und seine Werke der Barmherzigkeit waren Gott bekannt geworden; sie wurden ihm im Gedächtnis des Herrn gutgeschrieben. Die Augen Gottes schauen immer auf diejenigen, die ihn fürchten, deren Herzen ihm im Glauben vertrauen und deren Hände bereit sind, ihm zu dienen. Er erhört ihre Gebete und gedenkt all ihrer Werke. Der Engel sagte nun zu Kornelius, er solle einige Männer als seine Boten nach Joppe schicken, um einen Simon zu holen, der sich von anderen Männern gleichen Namens durch seinen Nachnamen Petrus unterscheidet. Er wohnte bei Simon, dem Gerber, der in der Nähe des Meeres wohnte, also außerhalb der Stadt, weil er dort sein Geschäft hatte. Dieser Petrus war in der Lage und bereit, ihm die Informationen zu geben, die er zu diesem Zeitpunkt benötigte. Denn obwohl Kornelius nach alttestamentlichen Maßstäben ein wahrer Gläubiger war, vgl. Joh. 1,47, aber es fehlte ihm das Wissen über den erschienenen Messias, und das sollte Petrus liefern. Anmerkung: Obwohl der Engel dem Kornelius das Evangelium voll verständlich machen hätte können, beauftragt der Herr ihn nicht damit, sondern verweist den Hauptmann an einen seiner Heilsprediger. Durch sein heiliges Wort, das durch den Mund von Menschen verkündet wird, ruft Gott die Menschen zur Rettung.[37] Kaum hatte der Engel seine Botschaft überbracht, als Kornelius den Befehl, den er erhalten hatte, auch schon umsetzte. Obwohl es schon spät am Nachmittag war, rief er zwei seiner Hausangestellten und einen Soldaten herbei, der wie er selbst fromm und gottesfürchtig war und zu der kleinen Wache gehörte, der er uneingeschränkt vertrauen konnte, weil sie ihm treu ergeben war. Diesen drei Boten erklärte Kornelius die ganze Angelegenheit in aller Vertraulichkeit, wobei er ihnen nichts vorenthielt, was zum Verständnis der Situation beitragen könnte, und schickte sie dann nach Joppe, das fast genau südlich von Cäsarea lag, etwa dreißig Meilen entfernt. Anmerkung: Das hier geschilderte Verhältnis zwischen Kornelius und denjenigen, die bei ihm angestellt waren und unter seiner Gerichtsbarkeit standen, könnte allen Arbeitgebern und Dienern gleichermaßen als Beispiel dienen. Wenn solche Bedingungen gegenseitigen Respekts und Vertrauens, die auf der Furcht vor demselben Gott beruhen, herrschen, wird es kaum ein Problem mit den Dienern oder eine Unzufriedenheit mit der Arbeit geben.

 

    Die Vision des Petrus (V. 9-16): Die Reise von Cäsarea nach Joppe dürfte etwa neun bis zehn Stunden gedauert haben, so dass die drei Boten gegen Mittag des nächsten Tages in der Nähe der südlichen Hafenstadt ankamen. In der Zwischenzeit war es jedoch notwendig, dass der Herr Petrus auf den bevorstehenden Besuch vorbereitete, damit er bei dem Gedanken, bei einem Heiden zu Gast zu sein, nicht entsetzt zurückwich. Während die Männer also ihre Reise fortsetzten und sich um die Mittagszeit der Stadt Joppa näherten, stieg Petrus auf das Flachdach des Hauses, in dem er wohnte, um zu beten, denn dies war eine der Gebetsstunden, die von den frommen Juden eingehalten wurden. Doch während er diesen Gottesdienst verrichtete, wurde er sehr hungrig und hatte ein ungewöhnliches Verlangen nach Essen, weshalb er vorhatte, zu Mittag zu essen, was er den Bewohnern des Hauses wahrscheinlich auch sofort mitteilte. Doch während sie unten das Essen vorbereiteten, geriet Petrus in Trance, in einen Zustand der Ekstase. Nicht, dass er bewusstlos gewesen wäre, aber sein Verstand und sein Geist waren vom gewöhnlichen Denken und Fühlen losgelöst, und er war in der Lage, Dinge zu hören und zu sehen, die ein normaler Mensch nicht hätte wahrnehmen können. In diesem Zustand sah er, wie sich der Himmel öffnete und aus der Öffnung ein Gefäß herabkam, das wie ein großes Tuch geformt war, dessen vier Enden oder Ecken zusammengebunden waren, um den Inhalt zusammenzuhalten und das Herablassen zu ermöglichen. In dem Gefäß, das so vor den vergeistigten Augen des Petrus gehalten wurde, befanden sich alle Arten von vierfüßigen Tieren und Reptilien und Vögeln, die Unreinen mit den Reinen in einer zusammengewürfelten Masse vermischt, ohne Rücksicht auf die levitische Trennung oder Unterscheidung. Vgl. 3. Mose 11,9; 5. Mose 14,9. Und in diesem Augenblick kam eine Stimme zu ihm, die ihn aufforderte, aufzustehen, zu schlachten und zu essen. Aber der ungestüme Petrus, der noch an der Tradition der gesetzlichen Unterscheidung der tierischen Nahrung festhielt, wies die Aufforderung mit großem Nachdruck zurück: Auf keinen Fall, Herr, denn ich habe noch nie etwas Gewöhnliches oder Unreines gegessen. Auf den ersten Blick mag er die ganze Vision als eine Versuchung zum Bösen angesehen haben. Aber die Stimme wies ihn zurecht, indem sie ihn ein zweites Mal ansprach: Was Gott rein gemacht hat, sollst du nicht entweihen. Indem er sie Petrus opferte, hatte Gott das levitische Gebot aufgehoben und die zuvor als unrein geltenden Tiere gereinigt. Dreimal ließ der Herr diese Vision erscheinen, dreimal wurde das Gefäß vor Petrus gehalten, dreimal kam die Einladung an ihn, bevor das Gefäß schließlich wieder in den Himmel aufgenommen wurde. Mit dieser Vision machte Gott deutlich, dass die Schranke zwischen Juden und Heiden nun aufgehoben war, dass auch die Heiden in das Reich Gottes und Christi aufgenommen werden sollten. Diese Lektion ist auch heute noch notwendig, wo Rassenvorurteile manchmal ernsthaft drohen, die Missionsbemühungen zu behindern.

 

    Die Ankunft der Boten (V. 17-23a): Die Vision, die Gott Petrus geschickt hatte, beunruhigte und verwirrte ihn, sie machte ihn unruhig und unsicher, was er nun tun sollte. Die allgemeine Richtung der beabsichtigten Mitteilung nahm er wahr, aber ihre Anwendung war ihm nicht klar. Bedeutete sie nur die Abschaffung des zeremoniellen Teils der alttestamentlichen Offenbarung, oder war noch mehr als das enthalten? Und auf welchen besonderen Fall hatte der Herr Bezug genommen? Aber diese Zweifel und Verwirrungen wurden schnell beseitigt, denn inzwischen hatten die Boten des Kornelius die Stadt erreicht; sie hatten sich nach dem Ort des Hauses erkundigt, zu dem sie geführt werden sollten; sie hatten den richtigen Ort gefunden und standen jetzt vor dem Tor unten. Der gewölbte Durchgang, der in orientalischen Häusern von der Straße in den Innenhof führte, war von außen durch ein schweres Klapptor mit einer kleinen Pforte verschlossen, die von einem Pförtner bewacht wurde. An dieser Pforte standen die Boten und riefen entweder dem Pförtner oder einigen anderen Dienern zu, die sich erkundigten, ob Simon, der mit Nachnamen Petrus hieß, dort untergebracht sei. Petrus, der von all diesem Aufruhr nichts wusste, wurde durch den Geist darüber informiert. Während er noch über die Vision nachdachte und versuchte, die Absicht Gottes klar zu erkennen, sagte ihm der Geist, dass die Männer ihn suchten, und forderte ihn auf, aufzustehen, hinabzusteigen und mit den Männern die Reise anzutreten, ohne jeden Zweifel und ohne zu zögern, da er, Gott selbst, die Männer gesandt habe. Hier hatte Petrus die Lösung für die rätselhafte Frage. Er sollte nicht vor dem Gedanken zurückschrecken, die Fremden zu begleiten, sondern bereitwillig und gern mitgehen. Petrus wusste immer noch nicht, welche besondere Botschaft die Männer brachten, aber er folgte dem Befehl des Geistes. Er ging zu den Männern hinunter, die anscheinend immer noch am Tor oder auf der Durchfahrt standen, teilte ihnen seine Identität mit und erkundigte sich nach dem Grund ihrer Anwesenheit. Und die drei treuen Boten nutzten das Vertrauen, das ihr Herr ihnen entgegenbrachte, und zeigten nebenbei ihre Liebe und Achtung für Kornelius. Sie bezeichnen ihn als einen gerechten Mann, der in seinen Beziehungen zu seinen Mitmenschen nach jüdischen Maßstäben untadelig ist, und auch als einen gottesfürchtigen Mann, der den Gott der Juden angenommen hat und nicht mehr auf Götzen vertraut. Außerdem hatte er einen guten Ruf, war beim ganzen Volk der Juden gut angesehen; alle Menschen schätzten seine Rechtschaffenheit sehr. Von diesem Meister wird berichtet, dass er von Gott gewarnt worden war, dass er von einem heiligen Engel als Bote des Herrn eine Botschaft erhalten hatte, Petrus in sein Haus zu holen, um Worte von ihm zu hören. „Indem er diese Botschaft, die im Auftrag eines ‚heiligen Engels‘ gesandt wurde, mit er Vision und dem Befehl des Geistes, mit den Männern zu gehen, verband, ohne zu zweifeln, sah Petrus nun in einem Augenblick, dass er durch göttliche Autorität, durch den Engel, durch die Vision, durch den Geist, dazu berufen war, das zu tun, was er zuvor immer für sündhaft gehalten hatte, nämlich in das Haus eines Heiden zu gehen und zu ihm das Wort des Herrn zu sprechen. Nichts Geringeres als ein unmissverständlicher göttlicher Ruf hätte ihn dazu bewegen können; aber jetzt hat er keine andere Wahl, wenn er Gott nicht widerstehen will.“[38] Die erste Folge dieser klaren Einsicht in die Situation war, dass Petrus die Boten einlud, sie zu seinen Gästen machte und ihnen eine angemessene Unterkunft bot. Petrus verstand nun, dass Gott nicht nur der Gott der Juden, sondern auch der Heiden ist, denn er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. In der ganzen Geschichte ist die Hand des Herrn offensichtlich. Und so liegt der gesamte Lebensweg eines jeden Menschen in der Hand Gottes, alle Umstände sind von Gott geordnet, auch die so genannten Zufallsereignisse. Und Gott beweist immer wieder aufs Neue, dass er will, dass die Menschen dem Wort nahe kommen, und dass er das Wort den Menschen nahe bringen will.

 

    Das Zusammentreffen von Petrus und Cornelius (V. 23b-29): Petrus konnte Joppe nicht sofort verlassen, vor allem weil er wollte, dass einige Brüder aus Joppe ihn auf dieser Reise begleiteten. Aber am nächsten Morgen brachen die Boten mit Petrus auf, und einige Mitglieder der Gemeinde in Joppe gingen mit ihnen. Da sie nicht ganz so schnell unterwegs waren wie die Diener mit dem Soldaten, waren sie den ganzen Tag unterwegs und erreichten Cäsarea erst am nächsten Morgen. Aber Kornelius, der sich in militärischen Dingen auskannte, hatte sich sehr genau ausgerechnet, wann er sie erwarten konnte. Er rechnete fest damit, dass sie an diesem Morgen eintreffen würden, und hatte deshalb seine Verwandten und vertrauten Freunde zusammengerufen, auf deren Diskretion er sich verlassen konnte und die wahrscheinlich in Bezug auf die Verehrung des wahren Gottes mit ihm einer Meinung waren. Die Gemütsverfassung, in der sich Kornelius an diesem Morgen befand, lässt sich an seinem Verhalten ablesen, als Petrus schließlich sein Haus betrat. Zweifellos ging er von der Vorstellung aus, dass der Diener und Bote des Herrn, dessen Kommen von einem Engel gelenkt wurde, außerordentlicher Verehrung würdig sein müsse, ging Petrus entgegen und fiel zu seinen Füßen nieder, um ihn anzubeten und Gott in ihm zu ehren. Aber Petrus wollte nichts von dieser Anbetung wissen. Er hob Kornelius auf seine Füße, wobei er ihn sanft ermahnte, aufzustehen, da er selbst nur ein Mensch sei. Denn wenn er sich schon weigert, eine solche Anbetung anzunehmen, solange er die an ihn gerichteten Gebete hören kann, wie viel mehr muss es als töricht und schädlich angesehen werden, Gebete an ihn zu richten, jetzt, wo er aus der Gegenwart der christlichen Gemeinde entfernt ist! Unmittelbar nach dieser Begrüßung begannen die beiden Männer ein Gespräch und traten, während sie sich miteinander unterhielten, in den inneren Raum, den Vorhof, wo Petrus viele Menschen versammelt vorfand, die alle in gespannter Erwartung auf die Worte warteten, die Petrus zu ihnen sprechen sollte. Der Apostel richtete zunächst einige Worte an die Versammelten, um ihnen die Situation klar zu machen; denn sie waren sich sehr wohl bewusst, wie „ungesetzlich“, wie sehr im Widerspruch zum Gesetz, wie es von den Juden verstanden wurde, sein Verhalten sein musste, da er, ein Jude, hier zu Heiden, Menschen fremder Rasse, kam und sich mit ihnen vermischte, in irgendeiner Weise mit ihnen intim wurde. Man beachte das Fingerspitzengefühl des Petrus, der das Wort „von fremder Rasse“ anstelle des schärferen „Heiden“ verwendet. Es gab kein ausdrückliches Verbot eines solchen Verhaltens durch Mose, aber die Traditionen der Rabbiner trieben den Grundsatz der Trennung auf ein solches Extrem. Aber Petrus erklärt hier nicht nur, dass Gott es ihm gesagt, sondern auch deutlich und unmissverständlich gezeigt habe, dass er nicht von irgendeiner Person sprechen oder sie als gemein und unrein bezeichnen solle. Die Männer im Haus des Kornelius waren zwar keine Mitglieder der jüdischen Kirche aufgrund der Beschneidung, aber sie gehörten zu dem Volk, um dessentwillen der Messias gekommen war, und hatten daher Anspruch auf die Verkündigung des Evangeliums. In diesem Wissen war Petrus ohne Widerspruch oder Widerstand zu ihnen gekommen, in einfachem Gehorsam gegenüber dem Wort des Herrn, als sie nach ihm gerufen hatten. Und nun fragte er, zu welchem Zweck sie ihn gerufen hatten, was sie damit bezweckten, dass er so weit reisen und vor ihnen erscheinen sollte.

 

    Die Erklärung des Cornelius (V. 30-33): Zweifellos trat Petrus mit tiefster Ergriffenheit durch die Tür eines heidnischen Hauses, und Kornelius war nicht minder tief bewegt von der offensichtlichen Erhörung seines Gebets durch den Herrn und von der Aussicht, die sich ihm dadurch eröffnete. Die beiden waren wohl übereingekommen, dass es im Interesse aller Anwesenden am besten wäre, den Zusammenhang der Ereignisse noch einmal zu wiederholen, damit sich alle darüber im Klaren seien. Cornelius wiederholt daher die Geschichte der Ereignisse, die zum jetzigen Zeitpunkt geführt haben: dass er vor vier Tagen, am vierten Tag zuvor, um die neunte Stunde in seinem Haus gebetet habe; dass ein Mann in einem leuchtenden Gewand vor ihm gestanden habe, seine bescheidene Beschreibung des Engels, der ihm erschienen sei; dass dieser Bote ihm mitgeteilt habe, dass sein Gebet erhört worden sei und dass er an seine Almosen vor Gott gedacht habe (sowohl seine Gebete als auch seine Almosen seien Opfer gewesen, durch die er sich selbst in Gottes Gedächtnis gebracht habe); dass er ihm befohlen hatte, nach Joppe zu senden und von dort Simon mit dem Beinamen Petrus zu rufen, der im Haus eines Simon, eines Gerbers, am Meer wohnte; dass dieser Petrus, nachdem er gekommen war, zu ihm sprechen und ihm eine sehr wichtige Botschaft überbringen würde. Alle diese Worte des Kornelius, die ein sehr anschauliches Bild vermitteln, waren sowohl an seine Verwandten und Freunde als auch an Petrus gerichtet. Doch nun wendet er sich an den Apostel mit einer charakteristischen, demütigen und schönen Aussage: Alsbald, sofort, ohne Verzug habe ich zu dir gesandt, und du hast gut daran getan, zu kommen; nun sind wir alle hier vor Gott versammelt, um alles zu hören, was du im Auftrag des Herrn uns zu verkünden hast. Diese Aussage ist in zweierlei Hinsicht von großer Bedeutung: Die gesamte Versammlung war sich der Gegenwart Gottes bewusst, und alle waren davon überzeugt, dass es sich um eine Botschaft Gottes handelte, die Petrus zu verkünden beauftragt war. Petrus sprach also sicherlich unter idealen Bedingungen und konnte erwarten, dass seine Zuhörer mit der nötigen Sorgfalt und Ehrfurcht zuhören würden.

 

    Der erste Teil der Predigt des Petrus (V. 34-38): Unter solch idealen Bedingungen, mit einer aufmerksamen, begierigen Zuhörerschaft, muss es ein ungewöhnliches Vergnügen gewesen sein, das Evangelium zu predigen. Und Petrus machte das Beste aus dieser Gelegenheit. Feierlich begann er seine Ansprache mit der Feststellung, dass er nun in Wahrheit verstanden habe, dass Gott nicht auf Menschen Rücksicht nehme, dass er also nicht auf das Gesicht der Menschen schaue. Das äußere Gesicht, die Gestalt und die Haltung der Menschen haben keinen Einfluss auf das Urteil des Herrn. In jeder Nation der Welt ist derjenige, der den Herrn wahrhaftig fürchtet, der sein Herz in vertrauensvollem Glauben zu ihm gewandt hat und Gerechtigkeit übt, durch seine gesamte Lebensweise zeigt, dass die Furcht des Herrn ihn in all seinem Tun leitet, gottgefällig. Diese umfassende Aussage sprengte die einschränkenden Fesseln des mosaischen Bundes und erwies sich als Grundton der gesamten Missionsarbeit der Kirche von da an. Der Empfang des von Jesus Christus verdienten Heils ist nicht mehr von der Nationalität abhängig, sondern vom Zustand des Herzens. Der Ruf zur Erlösung gilt allen Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, Rasse und Sprache. Nachdem diese große einleitende, grundlegende Wahrheit gesagt worden war, konnte Petrus zu seinem Lieblingsthema übergehen, dem Evangelium von Jesus Christus. Er sagte seinen Zuhörern, dass sie bereits drei Fakten kannten. Sie kannten das Wort, das den Kindern Israels als Evangelium von Gott gesandt worden war und die gute und herrliche Nachricht vom Frieden durch Jesus Christus brachte. Letzteren unterscheidet Petrus in einer Klammer von den gewöhnlichen Propheten und Aposteln, den Dienern des Wortes, als den Herrn über alles, womit er seine Gottheit erklärt. Sie kannten außerdem, wie er sagt, die geschichtliche Tatsache, dass das Wort über Jesus von ihm selbst in seinem prophetischen Dienst bekannt gemacht wurde, beginnend in Galiläa, nach der Taufe, die Johannes verkündet hatte. Und schließlich wussten sie von der Person Jesu Christi von Nazareth, dass Gott selbst ihn mit dem Heiligen Geist und mit Kraft gesalbt hatte, der dann durch das Land zog und Gutes tat, als Wohltäter der Menschen Wunder vollbrachte und alle heilte, die vom Teufel unterdrückt waren, als Herr und Meister, vor dem sich die Geister der Finsternis beugen mussten; denn Gott war mit ihm. Diese Tatsachen, die seinen Zuhörern ganz oder teilweise bekannt waren, drückt Petrus ihnen als Tatsachen auf, deren Kenntnis für das Heil notwendig ist. Man beachte, dass Petrus die Gottheit Jesu auch in der letzten Aussage hervorhebt, die besagt, dass die beiden unveränderten Naturen in der Person Christi vereint sind.[39]

 

    Der Schlussteil der Predigt des Petrus (V. 39-43): Zu den Tatsachen, die diese Männer von Cäsarea kannten und die sie immer etwas distanziert und objektiv, nur die Juden betreffend, betrachtet hatten, fügt Petrus nun das Gewicht seines persönlichen Zeugnisses hinzu, zusammen mit dem der anderen Apostel. Sie sind Zeugen all dessen, was Jesus im Land der Juden, in Palästina im Allgemeinen und in Jerusalem, getan hat; sie sind auch Zeugen der Tatsache, dass die Juden zu SEINEN Mördern wurden, indem sie ihn ans Kreuz hängten. Aber diesen Jesus hatte Gott von den Toten auferweckt und zugelassen, dass er als der lebendige Christus geoffenbart werden sollte. Aber diese Offenbarung wurde absichtlich nicht dem ganzen Volk zuteil; das persönliche prophetische Wirken Jesu wurde mit seinem Tod beendet. Nur jenen Männern wurde der lebendige Christus geoffenbart, jenen Zeugen, die zuvor ausdrücklich von Gott auserwählt worden waren und die nach seiner Auferstehung von den Toten mit Christus gegessen und getrunken hatten. Indem sie zu Aposteln gemacht wurden, wurden diese Männer auch als Zeugen beauftragt, und sie machten keine willkürlichen, dunklen Behauptungen über etwas, das sie selbst nur aus zweiter Hand kannten, sondern ihr Zeugnis beruhte auf persönlicher Erfahrung. Darüber hinaus hatten die Apostel den Auftrag erhalten, als seine Verkündiger dem ganzen Volk das Evangelium zu verkünden und zu bezeugen, dass Jesus von Gott zum Richter der Lebenden und der Toten bestimmt worden ist (Joh 5,22). Petrus hatte nun die Tatsache, dass Rasse und Nationalität niemanden von den Segnungen Gottes ausschließen, als grundlegende Wahrheit dargelegt; er hatte seine Zuhörer an die Geschichte des Evangeliums erinnert, von der sie gehört und die sie unvoreingenommen betrachtet hatten; er hatte sein persönliches Zeugnis über die großen Tatsachen des Heilsgeschehens hinzugefügt. Und nun kommt er zum Höhepunkt seiner Predigt, der Anwendung der soeben verkündeten Wahrheiten auf seine eigenen, gegenwärtigen Zuhörer, wobei er mit Nachdruck darauf hinweist, dass diese wunderbare Botschaft nicht auf die Kinder Israels beschränkt war, sondern alle Anwesenden in höchstem Maße betraf. Denn von Jesus, so rief er aus, haben alle Propheten Zeugnis abgelegt, dass jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen Vergebung der Sünden empfängt. Nur wenn sie die großen Wahrheiten des Evangeliums als besonders für sie bestimmt annehmen, werden sie des Friedens und der Freude teilhaftig, die sie für jeden Gläubigen enthalten. Das ist die Zusammenfassung der Evangeliumsverkündigung. „Er hätte nicht deutlicher sprechen können, als wenn er sagt: durch seinen Namen, und hinzufügt: alle, die an ihn glauben. Wir empfangen also Vergebung der Sünden durch den Namen Christi, das heißt um Christi willen, nicht um unseres Verdienstes oder unserer Werke willen, und das geschieht, wenn wir glauben, dass unsere Sünden um Christi willen vergeben sind.“[40] „Dies will er gepredigt und geglaubt haben in der ganzen Welt, und dadurch alle Prahlerei der Juden und aller Werkheiligen [selbstgerechten Menschen] beiseite gestellt, damit sie wissen, dass sie die Gnade Gottes nicht durch das Gesetz und ihre eigenen Werke empfangen können, sondern nur im Namen dieses Christus durch den Glauben Vergebung der Sünden empfangen können.“[41]

 

    Die Wirkung der Predigt (V. 44-48): Der Herr hatte in diesem Fall offensichtlich vor, eine ungewöhnliche Demonstration seiner Macht zu geben. Denn noch während Petrus die letzten eindrucksvollen Worte seiner Rede sprach, fiel der Heilige Geist auf alle, die der Verkündigung des Wortes zuhörten, und erfüllte sie. Zuvor hatten sie an den kommenden Messias geglaubt, an den Christus, der den Juden die Erlösung bringen sollte; nun glaubten sie an den Christus, der für sie auf Golgatha gestorben war und dessen volles Heil für sie erworben worden war. Und der Heilige Geist wurde ihnen in außerordentlichem Maße verliehen, und zwar in einer Weise, die bei allen anwesenden Juden, sowohl bei Petrus als auch bei den Mitgliedern der Gemeinde in Joppe, das größte Erstaunen hervorrief. Hier hatten sie einen sichtbaren Beweis dafür, dass die Heiden dem Herrn wirklich wohlgefällig waren, denn der Geist gab ihnen sogar die Gabe der Sprachen und befähigte sie, den Gott ihres Heils in Sprachen zu loben und zu preisen, die ihnen bis zu diesem Tag unbekannt gewesen waren. Vgl. Kap. 11,17. Es war kein bloßer ekstatischer Lobpreis Gottes, von dem Lukas hier berichtet, sondern eine Wiederholung des Pfingstwunders, wenn auch wahrscheinlich nicht in so großem Ausmaß.41a Petrus jedenfalls war völlig überzeugt. Er drückte seine Gefühle in der emphatischen rhetorischen Frage aus: Sicherlich würde niemand der Anwesenden das Wasser zurückhalten wollen, damit diese Menschen nicht getauft werden! Es könne keinen Grund geben, die Aufnahme dieser Männer in die christliche Kirche zu verweigern, bei denen der Herr so deutlich darauf hingewiesen habe, dass auch die Heiden Aufnahme in das Reich Christi finden sollten. Alle Unterschiede zwischen Juden und Heiden sind durch den Tod Jesu beseitigt worden. Das volle Heil und alle Gaben des Heiligen Geistes stehen für die ganze Welt bereit, für alle, die diese Segnungen nur mit der Hand des Glaubens annehmen wollen. Und so gab Petrus, der in diesem Fall nicht selbst taufte, nun den Befehl und vertraute die Ausführung wahrscheinlich dem Evangelisten Philippus an, dessen Wirken sich bis in diese Stadt erstreckte, dass sie auf den Namen Jesu Christi getauft und so mit allen himmlischen Segnungen besiegelt werden sollten, die der Erlöser durch das Wasser der Taufe erworben und sich angeeignet hat. Kein Wunder, dass Kornelius und seine Freunde nach diesem Erlebnis Petrus inständig baten, noch ein wenig länger bei ihnen zu bleiben, zumindest einige Tage. Sie waren begierig, mehr von dem wunderbaren Zeugnis über Jesus, den Retter, zu hören.

 

Zusammenfassung: Petrus, der von Kornelius nach Cäsarea gerufen und durch eine besondere Vision vom Himmel auf den Besuch vorbereitet wurde, predigt den Heiden das Evangelium, die daraufhin den Heiligen Geist empfangen und sich taufen lassen.

 

 

 

 

Kapitel 11

 

Die Verteidigung des Petrus gegen judaisierende Brüder (11,1-18)

    1 Es kam aber vor die Apostel und Brüder, die in dem jüdischen Land waren, dass auch die Heiden hätten Gottes Wort angenommen. 2 Und da Petrus hinaufkam nach Jerusalem, zankten mit ihm, die aus der Beschneidung waren, 3 und sprachen: Du bist eingegangen zu den Männern, die Vorhaut haben, und hast mit ihnen gegessen!

    4 Petrus aber hob an und erzählte es ihnen nacheinander her und sprach: 5 Ich war in der Stadt Joppe im Gebet und war entzückt und sah eine Vision, nämlich ein Gefäß herniederfahren wie ein großes leinenes Tuch mit vier Zipfeln und niedergelassen vom Himmel, und kam bis zu mir. 6 Darin sah ich und wurde gewahr und sah vierfüßige Tiere der Erde und wilde Tiere und Gewürm und Vögel des Himmels. 7 Ich hörte aber eine Stimme, die sprach zu mir: Stehe auf, Petrus, schlachte und iss! 8 Ich aber sprach: O nein, HERR; denn es ist nie etwas Gemeines noch Unreines in meinen Mund gegangen. 9 Aber die Stimme antwortete mir zum zweiten Mal vom Himmel: Was Gott gereinigt hat, das mache du nicht gemein. 10 Das geschah aber dreimal; und es wurde alles wieder hinauf zum Himmel gezogen. 11 Und siehe, gleich darauf standen drei Männer vor dem Haus, darin ich war, gesandt von Cäsarea zu mir. 12 Der Geist aber sprach zu mir, ich sollte mit ihnen gehen und nicht zweifeln. Es kamen aber mit mir diese sechs Brüder, und wir gingen in des Mannes Haus. 13 Und er verkündigte uns, wie er gesehen hätte einen Engel in seinem Haus stehen, der zu ihm gesprochen hätte: Sende Männer nach Joppe und lass fordern den Simon mit dem Zunamen Petrus; 14 der wird dir Worte sagen, dadurch du selig werdest und dein ganzes Haus. 15 Indem aber ich anfing zu reden, fiel der Heilige Geist auf sie gleichwie auf uns am ersten Anfang.

    16 Da dachte ich an das Wort des HERRN, als er sagte: Johannes hat mit Wasser getauft; ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden. 17 So nun Gott ihnen gleiche Gaben gegeben hat wie auch uns, die da glauben an den HERRN Jesus Christus, wer war ich, dass ich könnte Gott wehren? 18 Da sie das hörten, schwiegen sie still und lobten Gott und sprachen: So hat Gott auch den Heiden Buße gegeben zum Leben!

 

    Die Anschuldigung gegen Petrus (V. 1-3): Aus dem gesamten Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte geht hervor, dass sich die Inspiration der Apostel nur auf ihr Lehramt bezog und dass sie ansonsten keine außergewöhnliche Durchdringungs- und Aufklärungsgabe besaßen. So wussten die Apostel zusammen mit den anderen Mitgliedern der Gemeinde in Jerusalem nichts von Saulus‘ Sinneswandel und misstrauten ihm deshalb, Kap. 9,26. Und hier litten die Apostel ebenso wie die Brüder in Judäa unter dem Handicap eines törichten und lieblosen Vorurteils. Es wurde ihnen berichtet, dass die Heiden durch den Dienst des Petrus das Wort des Herrn empfangen hatten. Das löste bei ihnen nicht freudiges Erstaunen, sondern ernste Besorgnis aus. Als Petrus also nach Jerusalem hinaufkam und aus der Ebene von Cäsarea und der Ebene von Scharon zurückkehrte, stritten die Beschneider, nicht die Juden im Unterschied zu den Heiden, sondern die streng judaisierenden Christen Jerusalems, wahrscheinlich solche, die Priester gewesen waren oder zu den Pharisäern gehört hatten, Sie warfen ihm vor, er sei gleichberechtigt und vertraut in das Haus von Unbeschnittenen, von Heiden, eingetreten und habe sogar mit ihnen gegessen, womit sie andeuten wollten, dass er leicht von Speisen hätte essen können, die für Juden unrein waren, und sich so verunreinigt hätte. Dass das Evangelium auch den Heiden gepredigt werden sollte, dass solche, die nicht dem Volk der Juden angehörten, in das Reich des Messias aufgenommen werden sollten, war gegen alle Gepflogenheiten und Gefühle der Judenchristen. Die Tatsache, dass die Propheten nicht nur einmal, sondern oft vom Eintritt der Heiden in das Reich Christi geweissagt hatten, Jes. 60,3; 49,6, scheint ihnen entgangen zu sein; sie hatten diese Stellen nicht richtig verstanden, sie mussten es erst nach und nach lernen. Merke: Es gibt viele Verse, Stellen und Abschnitte in der Heiligen Schrift, die auch gläubige Christen nicht auf Anhieb erfassen und verstehen können. Auch nach der Annahme Christi schreitet die Erleuchtung nur sehr langsam voran. Wenn die Christen aber weiter suchen, wird Gott sie Schritt für Schritt immer tiefer in die Erkenntnis der Wahrheit führen. Und so werden auch solche Stellen, die beim ersten Lesen anstößig sind, allmählich ihren richtigen Platz in der Gesamtheit der Bibel erhalten. Nur müssen wir alle Teile der Offenbarung Gottes in den Dienst der einen großen Tatsache stellen, der Rechtfertigung aller Sünder durch den Glauben an Christus Jesus, dann werden sich die Anordnung und die relative Bedeutung der verschiedenen Teile der Schrift wie von selbst ergeben.

 

    Die Erzählung der Ereignisse durch Petrus (V. 4-15): Anstatt sich mit geschickt formulierten Argumenten zu verteidigen, hält es Petrus für das Beste, die Tatsachen für sich selbst sprechen zu lassen, weshalb er sie in Form einer einfachen Aufzählung wiedergibt und sie den Kritikern der Reihe nach vorstellt, so wie sie sich zugetragen haben und wie sie in Kapitel 10 erzählt wurden. Petrus erzählt ihnen zunächst von der besonderen Vision, die er in Joppe hatte, als er sich in einem Zustand der Ekstase befand, als das Gefäß in Form eines großen, an den vier Ecken zusammengebundenen Tuches aus dem Himmel herabgelassen wurde. Er betont, dass er sehr genau hingesehen habe und dass es sich nicht um eine Illusion gehandelt habe. Er habe in dem Gefäß sicherlich verschiedene Vierbeiner und Tiere und Reptilien der Erde und Vögel des Himmels gesehen. Er hatte deutlich die Stimme gehört, die ihm befahl, aufzustehen, zu schlachten und zu essen. Er hatte sich mit Nachdruck dagegen gewehrt, weil er das Gebot über unreine Speisen immer streng beachtet hatte. Aber die Stimme hatte zum zweiten Mal geklungen und ihm gesagt, er solle das, was Gott selbst gereinigt habe, nicht als gemein ansehen. Dreimal war das Gleiche geschehen, bevor das Gefäß wieder in den Himmel hinaufgezogen worden war. Und siehe da, in diesem Augenblick standen unten drei Männer, die aus Cäsarea gesandt worden waren, um ihn zu holen, und der Heilige Geist hatte ihm gesagt, er solle ohne Zweifel und Zögern mit ihnen gehen. Sie waren dann mit ihm gegangen, und auch Brüder aus Joppe, deren Zahl Petrus hier mit sechs angibt; diese sechs, die mit ihm nach Jerusalem zurückgekehrt waren, konnten seine Worte bekräftigen. Sie waren in das Haus des Mannes eingetreten, der die Boten gesandt hatte, und dieser hatte ihnen berichtet, dass er einen Engel gesehen hatte, der in seinem Haus stand und zu ihm sprach. Dem Befehl dieses Engels folgte er, indem er nach Joppe schickte und Simon mit dem Nachnamen Petrus holen ließ, der zu ihm Worte sprechen sollte, durch die er und sein Haus gerettet würden. Diese letzten Worte, die in den anderen Berichten nicht vorkommen, nehmen eine Zusammenfassung der Rede des Petrus vorweg, in der er der Versammlung die Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen und der neutestamentlichen Predigt in Christus, dem Retter aller Menschen, vor Augen führt. Petrus berichtet schließlich von der Wirkung, die seine Worte auf seine Zuhörer hatten. Bevor er seine Rede beendet und alles gesagt hatte, was er zu diesem Thema, das unerschöpflich ist, hätte sagen können, war der Heilige Geist auf die Heiden in der gleichen Weise herabgefallen, wie er am Anfang auf sie selbst eingewirkt hatte. Das Argument des Petrus war also, dass er, nachdem er die Vision gesehen, die Stimme gehört und den Befehl des Geistes erhalten hatte, mit den Männern zu gehen, nicht anders handeln konnte, als zu gehorchen und in das Haus des Heiden in Cäsarea zu gehen. Und die Tatsache, dass der Heilige Geist auf diese Heiden ausgegossen worden war, war ein weiterer Beweis für die Annahme der Heiden durch den Herrn.

 

    Die Schlussfolgerung des Petrus (V. 16-18): Petrus selbst hatte, wie er hier seine Kritiker daran erinnert, ernsthafte Zweifel an der ganzen Angelegenheit gehabt; aber die Abfolge der Ereignisse konnte nicht das Ergebnis eines zufälligen Ereignisses gewesen sein. Und seine letzten Zweifel wurden ausgeräumt, als er auf dem großen Höhepunkt das Wirken des Heiligen Geistes genau so sah, wie er es selbst am großen Pfingstfest erlebt hatte. Er hatte sich an das Wort des Herrn erinnert, an den Spruch, in dem er die Verheißung gegeben hatte: Johannes hat zwar mit Wasser getauft, ihr aber werdet mit dem Heiligen Geist getauft werden, Kap. 1,5. Petrus beschränkt diese Verheißung nicht selbstsüchtig auf den inneren Kreis der Jünger, auch nicht auf die Juden allein, sondern will sie jetzt überall dort gelten lassen, wo sie nachweislich Anwendung findet. Da Gott ihnen nun dieselbe Gabe gab, die er den Aposteln gegeben hatte, und zwar nicht aufgrund der Beschneidung oder Unbeschnittenheit, sondern aufgrund des Glaubens an den Herrn Jesus Christus, wer war Petrus und wie hätte er die Kraft aufbringen können, Gott zu behindern? Wie hätte er Gott widerstehen können, selbst wenn er in seinen Skrupeln und Zweifeln verharrt hätte? Es ist der lebendige Gott, der seine christliche Kirche lenkt und leitet und den Weg zeigt, auf dem seine Diener wandeln sollen. Er selbst bahnt seinem Wort einen Weg, damit es wachsen und reichlich Frucht bringen kann. Und diese Tatsache mussten die Christen in Jerusalem nun anerkennen. Sie schwiegen, sie waren ruhig und zufrieden; sie hatten keine Einwände mehr vorzubringen. Vielmehr sahen sie sich gezwungen, Gott im Bekenntnis ununterbrochen Ehre und Lob zu geben: So hat Gott also auch den Heiden die Buße zum Leben geschenkt. So zogen die Kritiker nicht nur stillschweigend alles zurück, was sie Petrus vorgeworfen hatten, sondern verkündeten auch mit Begeisterung das Lob Gottes. Sie waren sofort zufrieden und fuhren fort, Gott zu danken und ihn zu loben. Die Umkehr, gefolgt vom Glauben an Christus, ist der Weg zum ewigen Leben, dem freien Geschenk Gottes. Und alle Christen werden sich zu Recht freuen, wenn Gott vielen Sündern die Umkehr zum Leben schenkt. Es ist bedauerlich, dass dieser glückliche Zustand nicht anhielt, Kap. 15,5.

 

Die Errichtung der Gemeinde in Antiochia (11,19-30)

    19 Die aber zerstreut waren in der Trübsal, so sich über Stephanus erhob, gingen umher bis nach Phönizien und Zypern und Antiochien und redeten das Wort zu niemand als allein zu den Juden. 20 Es waren aber etliche unter ihnen, Männer von Zypern und Kyrene, die kamen nach Antiochia und redeten auch zu den Griechen und predigten das Evangelium vom HERRN Jesus. 21 Und die Hand des HERRN war mit ihnen, und eine große Zahl wurde gläubig und bekehrte sich zu dem HERRN.

    22 Es kam aber diese Rede von ihnen vor die Ohren der Gemeinde zu Jerusalem; und sie sandten Barnabas, dass er hinginge bis nach Antiochia, 23 welcher, da er hinkommen war und sah die Gnade Gottes, wurde er froh und ermahnte sie alle, dass sie mit festem Herzen an dem HERRN bleiben wollten. 24 Denn er war ein frommer Mann, voll Heiligen Geistes und Glaubens. Und es wurde ein großes Volk dem HERRN zugetan. 25 Barnabas aber zog aus nach Tarsus, Saulus wieder zu suchen. 26 Und da er ihn fand, führte er ihn nach Antiochia. Und sie blieben bei der Gemeinde ein ganzes Jahr und lehrten viel Volk; daher die Jünger am ersten zu Antiochia Christen genannt wurden.

    27 In denselben Tagen kamen Propheten von Jerusalem nach Antiochia. 28 Und einer unter ihnen, mit Namen Agabus, stand auf und deutete durch den Geist eine große Teuerung, die da kommen sollte über den ganzen Kreis der Erde, welche geschah unter dem Kaiser Claudius. 29 Aber unter den Jüngern beschloss ein jeglicher, nachdem er vermochte, zu  senden eine Handreichung den Brüdern, die in Judäa wohnten; 30 wie sie denn auch taten und schickten’s zu den Ältesten durch die Hand Barnabas und Saulus.

 

    Die Gründung der Gemeinde (V. 19-21): Lukas bezieht sich hier noch einmal auf die Zerstreuung der Jünger, die auf die Hinrichtung des Stephanus folgte, Kap. 8,1. Sie waren zerstreut wegen der Bedrängnis der Verfolgung, die um Stephanus herum stattfand und in die die Mitglieder der Gemeinde im Allgemeinen verwickelt waren. Einige der Jünger zogen damals durch das Land nach Phönizien, dem Land nördlich von Galiläa am Mittelmeer, dessen alte Hauptstädte Tyrus und Sidon gewesen waren. Andere setzten auf die Insel Zypern über, die im östlichen Teil des Mittelmeers liegt. Wieder andere reisten bis nach Antiochia, einer Stadt in Nordsyrien, am Orontes. Sie war eine schöne Stadt und durch ihren Hafen Seleucia ein wichtiges Handelszentrum, berühmt für ihre Kunst und Literatur, aber berüchtigt für ihren Luxus und die damit verbundenen Laster. „Das warme Klima veranlasste die Einheimischen zum maßlosen Genuss von Ruhe und Üppigkeit, und die lebhafte Zügellosigkeit der Griechen vermischte sich mit der ererbten Sanftheit der Syrer. Die Mode war das einzige Gesetz, das Vergnügen das einzige Streben, und die Pracht von Kleidung und Möbeln war die einzige Auszeichnung für die Bürger von Antiochia. Die Künste des Luxus wurden geehrt; die ernsten und männlichen Tugenden waren Gegenstand des Spottes; und die Verachtung der weiblichen Bescheidenheit und des ehrwürdigen Alters kündete von der allgemeinen Verderbnis der Hauptstadt des Ostens.“[42] Als die Jünger diese verschiedenen Länder und ihre Städte besuchten, beschränkten sie ihre Predigten zunächst auf die Juden. Sie alle litten unter demselben Vorurteil wie die Gläubigen in Jerusalem. Einige dieser Männer stammten jedoch von der Insel Zypern und aus der nordafrikanischen Provinz Cyrenaica. Als hellenistische Juden waren sie von Anfang an liberaler in ihren Ansichten und in ihrer Praxis als die Juden in Judäa. Diese Männer machten es sich daher zur Aufgabe und Gewohnheit, auch zu den Griechen, den Heiden von Antiochia, das Wort zu sprechen und das herrliche Evangelium von Jesus Christus zu verkünden. Dies entsprach der richtigen Auffassung von der Universalität der christlichen Religion. Das Werk des Petrus in Cäsarea hatte den Weg geebnet, aber das Werk in Antiochia war das erste energische Eindringen der Streitkräfte des Herrn in die heidnische Welt. Der Herr gab sofort ein Zeichen seiner völligen Billigung und Zufriedenheit, denn seine Hand war mit diesen Männern, seine Kraft begleitete ihre Bemühungen, und eine große Zahl der Griechen wandte sich durch den Glauben dem Herrn zu. Anmerkung: Das Evangelium von Jesus Christus ist das Mittel, um den Glauben in den Herzen der Menschen zu entfachen. Durch das Evangelium wird der Glaube geweckt; jeder, der glaubt, wird dadurch bekehrt. Aber es ist die Hand, die Kraft des Herrn, die durch die Verkündigung des Wortes Buße und Glauben bewirkt, auch wenn dies durch den Mund gewöhnlicher Jünger geschieht, Männer und Frauen, die die Überzeugung ihres Herzens bekennen.

 

    Barnabas in Antiochia und Tarsus (V. 22-26): Jerusalem, der Hauptsitz der Apostel, galt immer noch als die Hauptstadt der Christenheit. Aber die Verkündigung der Einheit des Glaubens, soweit sie die Gläubigen in Samaria betraf, war bereits erfolgt, Kap. 8,14-17. Als daher die Nachricht Jerusalem erreichte und der Gemeinde zur Kenntnis gebracht wurde, beauftragten die Brüder Barnabas förmlich, nach Antiochia hinabzureisen. Wenn der Bericht auf Tatsachen beruhte, sollte er auch in dieser großen Metropole brüderliche Beziehungen zu den Jüngern aufbauen. Barnabas machte die Reise, kam am Ziel seiner Reise an und wurde mehr als belohnt. Er sah die Gnade Gottes; die vielen Beweise für das Wirken der Gnade Gottes auf allen Seiten überzeugten ihn voll und ganz; er konnte nicht anders, als diese Tatsache mit großer Freude und Dankbarkeit anzuerkennen. Und als wahrer Sohn des Trostes und der Ermahnung ermutigte und ermahnte er alle Brüder, unerschütterlich beim Herrn zu bleiben und sich mit voller Hingabe des Herzens an ihn zu hängen. Die Wohltaten und Segnungen des Glaubens werden nur dem zuteil, der in seinem Glauben standhaft bleibt. Und das ist einer der Zwecke des Evangeliums, die Gläubigen in ihrem Glauben zu halten. Diese Predigt und Ermahnung des Barnabas machte um so mehr Eindruck, als er selbst ein guter Mensch war, voll des Heiligen Geistes und des Glaubens. Seine Predigt und Ermahnung war nicht wie eine auswendig gelernte Lektion, sondern sie entsprang der Tiefe seiner Glaubensüberzeugung und der Kraft des Heiligen Geistes, der in ihm lebte. Es ist nicht unbedingt notwendig für die Verkündigung des Wortes, aber es ist nicht ohne Einfluss auf die Kraft und Lebendigkeit der Darstellung, dass der Prediger die volle Überzeugung von der Wahrheit der Heiligen Schrift und den großen Tatsachen des Evangeliums hat. In Antiochia war die Wirkung unmittelbar und wundervoll: eine große Menschenmenge wurde dem Herrn zugewandt. Da die Gründung der Gemeinde nun gesichert war und das Werk täglich an Umfang zunahm, dachte Barnabas an seinen Freund Saulus, der sich nur wenige Kilometer von Antiochia entfernt in Tarsus befand und der, wie Barnabas wusste, für die Arbeit unter den Heiden bestimmt war. Barnabas reiste also über das Meer nach Tarsus, um Saulus aufzusuchen, und als er ihn fand, führte er ihn nach Antiochia. Ein ganzes Jahr lang arbeiteten die beiden Männer nun gemeinsam in der Gemeinde in Antiochia, die Hunderte und Tausende von Seelen hatte, die des Heils bedurften. „Die vereinte Arbeit zweier solcher Männer für ein ganzes Jahr in einer Gemeinde, in der das Evangelium bereits wohlwollend eingeführt worden war, konnte nicht ohne große Ergebnisse bleiben; und die endgültigen Ergebnisse überstiegen bei weitem jede Hoffnung, die sie damals hegen konnten; denn sie errichteten nun sozusagen die zweite Hauptstadt der christlichen Welt, von der nicht lange danach die fruchtbarsten Missionen des apostolischen Zeitalters ausgingen.“[43] Hier in Antiochia kam den Jüngern auch eine große Ehre zu, denn hier wurden sie zum ersten Mal Christen genannt. Die Heiden nannten die Gläubigen so, weil sie sich zum Glauben an Christus bekannten. Seitdem ist dies der Name, den die Gläubigen als die größte Ehre betrachten, die sie tragen können. Vgl. Kap. 26,28; 1. Petr. 4,16.

 

    Barnabas und Saulus werden auf eine Hilfsmission geschickt (V. 27-30): „In diesen Tagen", den Tagen der ersten Liebe, als das Feuer des Eifers für den Herrn und der Liebe zu den Brüdern noch hoch brannte, gab es auch außergewöhnliche Gaben des Geistes in den Versammlungen. Nachdem brüderliche Beziehungen mit der Gemeinde in Jerusalem entstanden waren, kamen aus dieser Stadt einige Propheten nach Antiochia, Männer, die die besondere Gabe erhalten hatten, die Zukunft voraussagen zu können. Einer dieser Propheten, ein Mann namens Agabus, deutete in der Kraft des Geistes an, dass eine große Hungersnot über die ganze Welt kommen würde. Diese Vorhersage erfüllte sich, wie Lukas bemerkt, in der Regierungszeit des Kaisers Claudius. Wie alle namhaften weltlichen Geschichtsschreiber - Sueton, Dion Cassius, Tacitus und auch Eusebius - bezeugen, wurde damals die gesamte zivilisierte Welt, insbesondere die Länder am Mittelmeer, von einer schweren Hungersnot heimgesucht. Doch nun wurde die Liebe Christi, die durch den Glauben in den Christen lebte, offenbar. Jeder der Jünger verpflichtete sich, nach Maßgabe seiner Möglichkeiten, den in Judäa lebenden Glaubensbrüdern Hilfe zukommen zu lassen. Da Antiochia eine wohlhabende Stadt war, ist es wahrscheinlich, dass viele der dort lebenden Christen in der einen oder anderen Form an diesem Wohlstand teilhatten und daher in der Lage waren, den weniger gut gestellten Brüdern materielle Hilfe zu leisten. Als sich also die Notwendigkeit ergab, sandte die Gemeinde in Antiochia den Ältesten in Jerusalem durch Barnabas und Saulus Hilfe, sehr wahrscheinlich in Form von Geld. Zu den Ältesten oder Presbytern gehörten alle Amtsträger der Gemeinde, sowohl diejenigen, die im Wort und in der Lehre tätig waren, als auch diejenigen, die das Werk der Diakone taten. Die Apostel waren außergewöhnliche Lehrer, nicht nur für die Gemeinde in Jerusalem, sondern für die ganze Kirche. Das Beispiel der Christen von Antiochia kann zu allen Zeiten zur Nachahmung dienen. Einzelne Christen und ganze Gemeinden sollten nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse im Auge haben, sondern auch auf die der anderen achten und besonders derer gedenken, die ihnen mit geistlichen Gaben und Segnungen bei der Verkündigung des Evangeliums gedient haben.

 

Zusammenfassung: Petrus erklärt und verteidigt sein Handeln in Cäsarea gegen die Skrupel der jüdischen Kritiker, die Gemeinde in Antiochia wird von einigen der zerstreuten Jünger gegründet und von Barnabas, später mit Hilfe von Saulus, aufgebaut.

 

 

Kapitel 12

 

Herodes verfolgt die Gemeinde in Jerusalem und wird von Gott gestraft (12,1-25)

    1 Um diese Zeit legte der König Herodes die Hände an etliche von der Gemeinde, sie zu peinigen. 2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert. 3 Und da er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und fing Petrus auch. Es waren aber eben die Tage der süßen Brote. 4 Da er ihn nun griff, legte er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Vierteilen Kriegsknechten, ihn zu bewahren, und gedachte, ihn nach Ostern dem Volk vorzustellen. 5 Und Petrus wurde zwar im Gefängnis gehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.

    6 Und da ihn Herodes wollte vorstellen, in derselben Nacht schlief Petrus zwischen zwei Kriegsknechten, gebunden mit zwei Ketten, und die Hüter vor der Tür hüteten das Gefängnis. 7 Und siehe, der Engel des HERRN kam daher, und ein Licht schien in dem Gemach; und er schlug Petrus an die Seite und weckte ihn auf und sprach:  Stehe behände auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen. 8 Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und tu deine Schuhe an! Und er tat so. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um dich und folge mir nach! 9 Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm wahrhaftig solches geschähe durch den Engel, sondern es dünkte ihn, er sähe eine Vision. 10 Sie gingen aber durch die erste und zweite Hut und kamen zu der eisernen Tür, welche zur Stadt führt; die tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen hin eine Gasse lang; und gleich darauf schied der Engel von ihm.

   11 Und da Petrus zu sich selber kam, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der HERR seinen Engel gesandt hat und mich errettet aus der Hand des Herodes und von allem Warten des jüdischen Volks. 12 Und als er sich besann, kam er vor das Haus Marias, der Mutter des Johannes, der mit dem Zunamen Markus hieß, da viele beieinander waren und beteten. 13 Als aber Petrus an die Tür klopfte des Tores, trat hervor eine Magd, zu horchen, mit Namen Rhode. 14 Und als sie des Petrus Stimme erkannte, tat sie das Tor nicht auf vor Freuden, lief aber hinein und verkündigte es ihnen, Petrus stünde vor dem Tor. 15 Sie aber sprachen zu ihr: Du bist unsinnig. Sie aber bestand darauf, es wäre so. Sie sprachen: Es ist sein Engel. 16 Petrus aber klopfte weiter an. Da sie aber auftaten, sahen sie ihn und entsetzten sich.

    17 Er aber winkte ihnen mit der Hand, zu schweigen, und erzählte ihnen, wie ihn der HERR hätte aus dem Gefängnis geführt, und sprach: Verkündigt dies Jakobus und den Brüdern. Und ging hinaus und zog an einen anderen Ort. 18 Da es aber Tag ward, wurde nicht eine kleine Bekümmernis unter den Kriegsknechten, wie es doch mit Petrus gegangen wäre. 19 Herodes aber, da er ihn forderte und nicht fand, ließ er die Hüter rechtfertigen und hieß sie wegführen und zog von Judäa hinab nach Cäsarea und hielt allda sein Wesen.

    20 Denn er gedachte, gegen die von Tyrus und Sidon zu kriegen. Sie aber kamen einmütig zu ihm und überredeten des Königs Kämmerer, Blastus, und baten um Frieden, darum dass ihre Lande sich nähren mussten von des Königs Land. 21 Aber auf einen bestimmten Tag tat Herodes das königliche Kleid an, setzte sich auf den Richterstuhl und tat eine Rede zu ihnen. 22 Das Volk aber rief zu: Das ist Gottes Stimme und nicht eines Menschen! 23 Sogleich schlug ihn der Engel des HERRN, darum dass er die Ehre nicht Gott gab, und wurde gefressen von den Würmern und gab den Geist auf. 24 Das Wort Gottes aber wuchs und mehrte sich. 25 Barnabas aber und Saulus kamen wieder nach Jerusalem und überantworteten die Handreichung und nahmen mit sich Johannes mit dem Zunamen Markus.

 

    Jakobus enthauptet, Petrus inhaftiert (V. 1-5): Zu jener Zeit, als Barnabas und Saulus auf ihre Botschaft der Nächstenliebe geschickt wurden, sehr wahrscheinlich im Jahr 45 oder Anfang 46 n. Chr. Seit dem Jahr 41 hatte Herodes Agrippa I., ein Enkel von Herodes dem Großen, das gesamte Land, das zuvor von seinem Großvater regiert worden war, mit dem Titel eines Königs unter römischer Oberhoheit besetzt. Seine Macht ging über die eines gewöhnlichen Statthalters hinaus, und er achtete sorgfältig darauf, sein Ansehen durch eine angemessene Haltung schmeichelhafter Ehrerbietung gegenüber dem Kaiser zu wahren. Er war durch eine schrittweise Beförderung zu seinem jetzigen Posten aufgestiegen, nachdem er zunächst die Tetrarchie des Philippus (Batanea, Trachonitis und Auranitis), wenig später die Tetrarchie des Lysanias mit dem Königstitel, bald darauf die Tetrarchie des Herodes Antipas (Galiläa und Peräa) und schließlich Samaria und Judäa erhalten hatte. Ohne besonderen Anlass, offenbar nur um seine tyrannische Macht zu demonstrieren, ließ dieser Herodes seine schwere Hand über einige Mitglieder der Kirche in Jerusalem fahren, um sie schlecht zu behandeln, zu quälen und zu schikanieren. Als erstes tötete er Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert. Lukas verwendet absichtlich kein Wort, um eine Hinrichtung zu bezeichnen, auch nicht mit einem gewissen Anschein von Recht, sondern er verwendet das richtige, passende Wort: Mord. Dieser Jakobus der Größere, der Sohn des Zebedäus, muss von Jakobus dem Kleineren, dem Sohn des Alphäus, unterschieden werden. Die Vorhersage des Herrn, Matth.. 20, 23, hat sich hier erfüllt: Jakobus, der erste Märtyrer aus den Reihen der Apostel, trank aus dem Kelch des Herrn und wurde mit seiner Taufe getauft. Diese grausame und völlig ungerechtfertigte Handlung des Königs muss die Gemeinde in Jerusalem sehr betrübt haben, denn damit wurde einer der wichtigsten Lehrer der jungen Kirche beseitigt. Die Feuer der Verfolgung waren bis auf wenige Glutnester erloschen, aber die Tat des Herodes entfachte sie neu; die Juden, eingefleischte Feinde des Kreuzes, waren erfreut über die Beseitigung eines Führers der verhassten Sekte; sie fanden, dass die Tat ganz in ihrem Sinne war. Herodes, der sich seiner pharisäischen Frömmigkeit rühmte, fügte daher eine zweite ungerechtfertigte Handlung hinzu, nämlich die, Petrus gefangen zu nehmen, ihn ohne Grund und ohne Anklage zu verhaften, einfach weil es ihm passte. Da aber gerade zu dieser Zeit das Fest der ungesäuerten Brote gefeiert wurde, ließ Herodes, der seinen Eifer für die jüdischen religiösen Bräuche mit allen Mitteln zeigen wollte, Petrus verhaften und ins Gefängnis werfen, um ihn nach den Tagen des Passahfestes vor dem Volk anzuklagen. Die Namen des Festes sind hier vertauscht, da sie unterschiedslos verwendet wurden. Um sicherzugehen, dass sein Opfer nicht entkommen würde, traf Herodes ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen und übergab ihn vier Quaternionen von Soldaten, vier Soldaten für jede der vier Nachtwachen, zur Bewachung. Wahrscheinlich folgte man dem römischen Brauch, wonach der Gefangene in der Zelle an zwei Wachen angekettet wurde, während zwei draußen Wache hielten. Da sich viele Menschen zum Fest in Jerusalem aufhielten, hoffte Herodes, durch diese Maßnahmen weitere Popularität zu erlangen: vor allem aber durch die endgültige Verurteilung des Apostels in Anwesenheit des Volkes. Er war sich nicht bewusst, dass er mit seinem Vorgehen seine schwache Kraft gegen die Macht des allmächtigen Gottes und des erhöhten Christus stellte, was Lukas durch den Kontrast deutlich macht: Petrus aber wurde zwar im Gefängnis bewacht, aber die Gemeinde betete ohne Unterlass für ihn zu Gott. Es ist eine traurige Tatsache, dass die Macht des Gebetes in unseren Tagen nicht ausreichend wahrgenommen wird. Wenn die Gemeinden einzeln und gemeinsam das Gebet, das unaufhörliche, eindringliche Gebet, nutzen würden, wäre der Erfolg vieler Unternehmungen eine Selbstverständlichkeit. Man beachte, dass das Gebet der Christen für Petrus gesprochen wurde, sehr wahrscheinlich nicht ausschließlich für seine Freilassung, obwohl sie wussten, dass dies für den Herrn ein leichtes Unterfangen war, sondern für Kraft und Stärke, um Verfolgung und Märtyrertod zu ertragen, wenn es sein muss, um seines Herrn willen.

 

    Die wunderbare Befreiung des Petrus (V. 6-10): In der Zwischenzeit, während der Tyrann Herodes neue Triumphe erwartete und die Gemeindemitglieder unablässig für Petrus beteten, ging der letzte Tag des Festes zu Ende. Noch in derselben Nacht, in der Herodes seinen Gefangenen dem Volk vorführen wollte, um ihn in dessen Anwesenheit hinrichten zu lassen, wurden außerordentliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen, damit Petrus nicht entkam. Doch Petrus schien sich wenig Gedanken über die Ereignisse des nächsten Tages zu machen. Er schlief zwischen zwei zu diesem Zweck abgeordneten Soldaten, an die er mit zwei Ketten gefesselt war, wahrscheinlich so, dass er an beiden Händen an jeden der Soldaten gefesselt war, "die beiden Ketten wurden vielleicht zur größeren Sicherheit wegen der früheren Flucht verwendet", Kap. 5, 19. Darüber hinaus bewachten Wachen vor den Türen das Gefängnis, um jeden Befreiungsversuch von außen zu verhindern. Aber der Herr lässt sich in seinen Plänen nicht durch solch fadenscheinige Vorsichtsmaßnahmen aufhalten und abhalten. Der Engel des Herrn, dessen Kommen weder Wachen noch verschlossene Türen verhindern können, erschien plötzlich und stand an der Seite des Petrus. Nebenbei leuchtete ein Licht in der Zelle, denn das war in der dichten Dunkelheit des inneren Gefängnisses nötig. Es war notwendig, dass der Engel Petrus einen kräftigen Schlag auf die Seite versetzte, um ihn aus seinem tiefen Schlaf zu wecken; denn der Apostel hatte sein Vertrauen für den kommenden Tag so sehr auf den Herrn gesetzt, dass er in der Stille seines Hauses so fest ruhte und schlief wie eh und je, Ps. 127,2. Dies wurde dadurch ermöglicht, dass ihm im selben Augenblick die Ketten von den Händen fielen. Doch Petrus befand sich noch immer in einem halb träumerischen, benommenen Zustand und begriff nicht, was geschah, und der Engel musste ihm Anweisungen geben. Er sollte seinen Gürtel um sein Gewand binden und seine Sandalen schnüren. Petrus gehorchte automatisch. Er sollte seinen dicken Obermantel anziehen und ihn um sich werfen, bevor er in die kalte Nacht hinausging. Und Petrus folgte ihm in der gleichen selbstverständlichen Weise. Beachten Sie die lebendige Erzählung, die malerische Beschreibung. Petrus folgte nun dem Engel hinaus, aber sein Verstand war noch nicht klar genug, um zu erkennen, ob das, was der Bote Gottes an ihm tat, wirklich war; er bildete sich noch ein, eine Vision zu sehen. Auf diese Weise gingen sie durch die erste Abteilung, in der die Wachposten stationiert waren, und dann auch durch die zweite, in der die Wächter des gesamten Gefängnisses Dienst taten. Sie kamen zu dem großen Eisentor, das in die Stadt führt, schwer und fest genug, um den Weg zu normalen Zeiten wirksam zu versperren. Doch jetzt öffnete sich das schwere Tor von selbst und gab ihnen eine breite Öffnung zur Flucht frei. Sie traten hinaus und gingen eine Straße entlang, bis es keine Hindernisse mehr für die Flucht des Apostels gab, als der Engel ebenso plötzlich, wie er erschienen war, wieder verschwand. Es war eine wunderbare Befreiung von Gefängnis und Martyrium, die der Herr hier seinem Diener gewährte, weil es ihm gefiel, ihn für die Verbreitung seines Evangeliums zu gebrauchen. Wenn die Pläne des Herrn ausgeführt werden sollen, wird er die Seinen aus Ketten und Gefängnis und aus dem Mund des Todes befreien. Das Heer der Engel um die kleine Schar der Gläubigen schützt sie vor allen Angriffen und Verfolgungen, aber mit der Erlaubnis des Herrn.

 

    Petrus im Haus der Maria (V. 11-16): Nach dem Weggang des Engels, dem er bis dahin so benommen gefolgt war, kam Petrus endlich zu sich, er wurde ganz wach, schüttelte die Lethargie des Schlafes ab und erlangte wieder den richtigen Gebrauch seiner Sinne. Und nun erkannte er auch, was der Herr für ihn getan hatte. Jetzt wusste er mit Sicherheit, dass der Herr seinen Engel gesandt und ihn aus der Hand des Herodes und aus aller ernsten Erwartung des jüdischen Volkes befreit hatte. Anders war es nicht zu erklären, dass die schweren Ketten von seinen Armen abgenommen worden waren, dass der Schlaf der Soldaten an seiner Seite so unnatürlich fest gewesen war, dass die Wachen der beiden Stationen von Blindheit und Taubheit befallen waren und dass er hier frei, sicher und gesund stand. Und so stellte sich Peter die Szene des nächsten Tages vor, die Enttäuschung des Volkes und den Ärger des Monarchen, dessen Hand und Macht sich als so schwach erwiesen hatte. Diese Seite der Angelegenheit stellte sich ihm zuerst vor. Aber als er sich der Situation noch stärker bewusst wurde, kam ihm der Gedanke, dass der Herr ihm hier einen Hinweis gab. Und so kam ihm der Gedanke, wie er entkommen könnte, welche Schritte er sofort unternehmen sollte, um sich zu retten. So lenkte er seine Schritte zum Haus eines der Jünger, Maria, der Mutter des Johannes, mit dem Nachnamen Markus, wo viele der Brüder und Schwestern als Gemeinde versammelt und mit dem Gebet beschäftigt waren. Anmerkung: Trotz der späten Stunde, denn die Nacht war zu diesem Zeitpunkt schon weit fortgeschritten, wurden die Jünger durch ihre liebevolle Sorge und ehrfürchtige Achtung vor ihrem Lehrer wachgehalten und wurden nicht müde, für ihn und sein Wohlergehen zu beten - ein Beispiel, das man sich stets vor Augen halten sollte. Petrus, der sich wieder voll orientiert hatte, hatte keine Schwierigkeiten, im Licht des Mondes, der jetzt im letzten Viertel stand, das Haus der Maria zu finden. Er klopfte an die Schlupftür des Tores, das zum gewölbten Eingang führte, und eine Magd oder Sklavin namens Rhoda kam, um sein Klopfen zu beantworten. Doch als sie auf seine Aufforderung hin die Stimme von Petrus erkannte, war sie fast außer sich vor Freude und vergaß sogar, Petrus das Tor zu öffnen. In flatterndem Eifer eilte sie zurück ins Haus und verkündete den versammelten Jüngern, Petrus stehe draußen. Doch ihre zuversichtliche Botschaft wurde mit einem ungläubigen Ausruf quittiert: Ihr müsst den Verstand verloren haben. Und als sie mit großer Vehemenz betonte, dass es wirklich so sei, dass sie sich nicht irren könne, wenn sie die Stimme erkenne, wollten sie immer noch nicht glauben, sondern erklärten, es müsse sein Engel sein, Matth. 18,10; Hebr. 1,14. Sie waren der Meinung, dass der Schutzengel des Petrus seine Gestalt und Stimme angenommen hatte und vor der Tür stand. In der Zwischenzeit klopfte Petrus weiter an die Tür, weil er unbedingt von der Straße weg wollte, wo immer die Gefahr bestand, dass ein zu spät kommender Passant ihn erkennen würde. Schließlich öffneten sie die Tür, sahen und erkannten ihn und waren sehr erstaunt. Ihre Gebete waren erhört worden, weit über ihre eigenen Erwartungen hinaus; das Wunder war zu groß, als dass sie es hätten begreifen können. So ist die Hand des Herrn mit seinen Dienern, um sie in all ihrem Dienst für ihn zu schützen. Beachten Sie die freundlichen, vertrauten Beziehungen zwischen der Dienerin Rhoda und den anderen Mitgliedern des Haushalts. Wenn diese Geschichte sowohl von den Herren als auch von den Angestellten als Beispiel genommen würde, gäbe es in unseren Tagen kein Dienerproblem.

 

    Petrus verlässt Jerusalem (V. 17-19): Petrus war nun wieder völlig Herr seiner selbst und der Situation. Er erkannte, dass jeder Ausbruch von Freude nicht nur die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft auf sich ziehen, sondern auch wertvolle Zeit kosten würde. Also hob er die Hand in einer Geste, die Schweigen gebot, und erzählte ihnen schnell, wie der Herr ihn durch seinen Engel auf übernatürliche Weise aus dem Gefängnis befreit hatte. Dann forderte er sie auf, Jakobus und den anderen Brüdern von der Wendung der Ereignisse zu berichten. Bei diesem Jakobus handelte es sich höchstwahrscheinlich nicht um Jakobus, den Sohn des Alphäus, sondern um Jakobus, den Bruder des Herrn, der zur Zeit des ersten Besuchs des Paulus mit Petrus in Jerusalem verkehrte und unter den Ältesten der Gemeinde sehr angesehen war, Gal. 1,19; 2,9. Petrus aber ging auf Gottes deutlichen Rat hin weg und reiste an einen anderen Ort. Seine Anwesenheit war in Jerusalem nicht mehr erforderlich, aber der Herr brauchte ihn und seine Dienste anderswo. Als der Morgen anbrach, herrschte unter den Soldaten große Aufregung und Erregung. Man hatte ihnen einen Gefangenen zur Bewachung übergeben, sehr wahrscheinlich mit der Anweisung, dass sie am nächsten Morgen mit ihrem Leben für seine Anwesenheit bürgen mussten, und nun war der Gefangene verschwunden; sie hatten keine Ahnung, was aus Petrus geworden war. Natürlich musste der Bericht an den für das Gefängnis zuständigen Offizier gehen, der wiederum Herodes davon in Kenntnis setzte. Und es kann gut sein, dass der Tyrann, empört darüber, im letzten Moment überlistet worden zu sein, persönlich zum Gefängnis kam, um eine gründliche Untersuchung vorzunehmen. Aber es nützte ihm nichts; er fand Petrus nicht. Und so untersuchte er nach der mürrischen Art unvernünftiger Tyrannen die Wächter noch einmal und ordnete dann ihre Hinrichtung an, sehr wahrscheinlich wegen grober Nachlässigkeit oder wegen Mitwisserschaft bei der Befreiung eines gefährlichen Gefangenen. Jedenfalls schien Jerusalem für Herodes kein sicherer Ort mehr zu sein. Ob ihn sein Gewissen plagte oder ob er die vorwurfsvollen und wahrscheinlich triumphierenden Blicke der jüdischen Führer fürchtete, ist nicht bekannt. Er verließ das eigentliche Judäa und verbrachte einige Zeit in Cäsarea. Das Gewissen eines Tyrannen, der sich vorsätzlich ungerechtfertigter Verbrechen schuldig gemacht hat, gönnt ihm nicht viel Ruhe. Inmitten des Luxus fühlt er sich unwohl und wird von einem Ort zum anderen getrieben.

 

    Gottes Gericht über Herodes (V. 20-25): Lukas fügt hier ein paar Worte über die Ursache des Todes von Herodes Agrippa I. hinzu, um die Erzählung abzurunden. Herodes war König von Palästina und von allen Provinzen südlich von Syrien, aber Phönizien, das zu Syrien gehörte, war ihm ein Dorn im Auge. Ob es sich nun um einen bloßen Handelskrieg handelte oder um Eifersucht wegen eines anderen Vorteils, den die Seeprovinz genoss, Herodes war in einen heftigen Streit mit ihnen verwickelt, der leicht in einer Art erbittertem Kampf hätte enden können. Aber die Küstenstädte konnten es sich nicht leisten, dass ein solcher Zustand eintrat, da sie ihr Getreide und andere Nahrungsmittel aus Palästina bezogen. Deshalb warteten sie einmütig auf ihn, nachdem sie ihre Abgesandten entsprechend instruiert hatten. Außerdem gelang es ihnen, das Wohlwollen des Blastus, des Kämmerers oder Finanzministers von Herodes, zu gewinnen, indem sie sich seinen guten Willen sicherten, seine guten Dienste für die Erhaltung des Friedens und die Beseitigung der Ursache der Fehde einzusetzen. Es liegt keineswegs außerhalb des Rahmens der Geschichte oder jenseits jeder vernünftigen Möglichkeit, anzunehmen, dass auf Bestechung zurückgegriffen wurde und dass das Wohlwollen des Königs auf diese Weise gewonnen wurde. Herodes war hocherfreut über seinen Erfolg in dieser Angelegenheit, und so empfing er an einem bestimmten Tag die Gesandtschaft der Phönizier, gekleidet in die Pracht all seiner königlichen Gewänder und auf seinem Thron sitzend, von dem aus er eine feierliche Ansprache an die Beauftragten und das versammelte Volk hielt. Und die ganze Menge des Volkes, die wusste, dass Schmeicheleien bei einem Tyrannen das erreichen, was vernünftige Argumente bei einem vernünftigen Menschen erreichen sollten, schrie auf: Die Stimme eines Gottes und nicht die eines Menschen! Anstatt die Schmeichler mit allen Zeichen des Entsetzens zurechtzuweisen, freute sich der Tyrann über ihr Geschrei. Und so traf die Strafe Gottes Herodes alsbald. Ein Engel des Herrn, als Diener des göttlichen Willens, schlug ihn, weil er Gott die Ehre genommen und sich damit der gemeinsten Gotteslästerung schuldig gemacht hatte. Er wurde von heftigen Unterleibsschmerzen geplagt, die dadurch verursacht wurden, dass er von Würmern zerfressen war, verharrte fünf Tage lang in großen Qualen und hauchte dann sein Leben aus. Das war ein sichtbares Gericht Gottes über den Verfolger der Kirche. Und so mancher Tyrann hat seither wegen seiner Gotteslästerung die schwere Hand des Herrn zu spüren bekommen und ein schreckliches Ende gefunden. Doch mit dem Tod des Herodes fiel der Druck auf die Gemeinden überall weg. Das Wort Gottes wuchs, breitete sich aus und vermehrte sich. Die Beseitigung dieses Hindernisses gab der Verkündigung des Evangeliums neuen Auftrieb. Nachdem Barnabas und Saulus ihren Auftrag ausgeführt und ihren Dienst der Barmherzigkeit erfüllt hatten, indem sie das Geld, das ihnen für die Leidenden anvertraut worden war, mit dem aufrichtigen Segen der Gemeinde in Antiochia weiterleiteten, kehrten sie aus Jerusalem zurück und nahmen Johannes mit dem Beinamen Markus mit. Er begleitete sie auf dieser Reise zurück nach Antiochia und erhielt nebenbei eine Ausbildung in der eigentlichen Predigttätigkeit, die für einen jungen Mann, der als Prediger in den Dienst des Herrn treten will, immer von Wert ist.

 

Zusammenfassung: Herodes lässt Jakobus enthaupten und Petrus einkerkern, wobei letzterer von einem Engel des Herrn befreit wird, während der König von Gott geschlagen wird; daraufhin beginnt für die Kirche wieder eine Zeit der Blüte.

 

 

 

 

Kapitel 13

 

Paulus und Barnabas auf der Insel Zypern (13,1-12)

    1 Es waren aber zu Antiochien in der Gemeinde Propheten und Lehrer, nämlich Barnabas und Simon, genannt Niger, und Lucius von Kyrene und Manahen, mit Herodes, dem Vierfürsten, erzogen, und Saulus. 2 Da sie aber dem HERRN dienten und fasteten, sprach der Heilige Geist: Sondert mir aus Barnabas und Saulus zu dem Werk, dazu ich sie berufen habe. 3 Da fasteten sie und beteten und legten die Hände auf sie und ließen sie gehen.

    4 Und wie sie ausgesandt waren vom Heiligen Geist, kamen sie gen Seleucia, und von dannen schifften sie nach Zypern. 5 Und da sie in die Stadt Salamis kamen, verkündigten sie das Wort Gottes in der Juden Synagogen; sie hatten aber auch Johannes zum Diener. 6 Und da sie die Insel durchzogen bis zu der Stadt Paphos, fanden sie einen Zauberer und falschen Propheten, einen Juden, der hieß Bar–Jehu. 7 Der war bei Sergius Paulus dem Landvogt, einem verständigen Mann. Dieser rief zu sich Barnabas und Saulus und begehrte, das Wort Gottes zu hören.

    8 Da widerstand ihnen der Zauberer Elymas (denn also wird sein Name gedeutet) und trachtete, dass er den Landvogt vom Glauben wendete. 9 Saulus aber, der auch Paulus heißt, voll Heiligen Geistes, sah ihn an 10 und sprach: O du Kind des Teufels, voll aller List und aller Schalkheit und Feind aller Gerechtigkeit! Du hörst nicht auf, abzuwenden die rechten Wege des HERRN. 11 Und nun siehe, die Hand des HERRN kommt über dich, und sollst blind sein und die Sonne eine Zeitlang nicht sehen. Und sogleich fiel auf ihn Dunkelheit und Finsternis; und ging umher und suchte Handleiter. 12 Als der Landvogt die Geschichte sah, glaubte er und verwunderte sich der Lehre des HERRN.

 

    Barnabas und Saulus als Missionare ausgesandt (V. 1-3): Lukas beginnt hier den zweiten großen Teil seiner Apostelgeschichte. Nachdem er die Geschichte der Gründung der Kirche erzählt hat, folgt nun ein biographischer Bericht über das missionarische Wirken des Paulus und über seine Gefangenschaft in Cäsarea und Rom. In der örtlichen Gemeinde in Antiochia gab es als wichtige und einflussreiche Mitglieder einige Propheten und Lehrer, Männer, denen der Geist die Macht gegeben hatte, den Schleier der Zukunft zu lüften, wann immer er es wollte, und Männer, die die Gabe der Lehre in einem ungewöhnlichen Maß besaßen. Bei einigen von ihnen, wie bei Paulus, mögen beide Gaben vereint gewesen sein, Gal. 2,2; 2. Kor. 12,1. Ob diese Männer tatsächlich zu den Presbytern der Gemeinde gehörten oder nicht, ist unerheblich; jedenfalls hatten sie unter den Brüdern in der Gemeinde eine ehrenvolle und wichtige Stellung. Aus dem Text scheint fast zu folgen, dass die ersten drei sich besonders durch ihre prophetische Fähigkeit auszeichneten, die beiden letzten durch ihre Gabe der Lehre. Barnabas wird zuerst genannt, als der Mann, dem die Gemeinde wirklich ihre solide Gründung verdankt, dann Simeon mit dem Beinamen Niger, dann Lucius von Kyrene, wahrscheinlich einer der Jünger, die zuerst in Antiochia gepredigt haben, Kap. 11,20. In der zweiten Gruppe wird Manaen genannt, ein Mann mit einigem Einfluss, der die Ehre genoss, mit Herodes Antipas, wie manche meinen, seinem Ziehbruder, aufgewachsen und gemeinsam mit ihm erzogen worden zu sein, und schließlich Saulus. Die Reihenfolge, in der sie genannt werden, zeigt die relative Bedeutung, die ihnen zugemessen wird, wie es in der sorgfältigen Schrift des Lukas üblich ist. Während diese Männer dem Herrn im Dienst des Wortes, in der Lehre und im Gebet des öffentlichen Gottesdienstes dienten und auch den Brauch des Fastens einhielten, den sie von den jüdischen Vorschriften übernommen hatten, aber wahrscheinlich nicht am selben Tag einhielten, sondern Mittwoch und Freitag statt Montag und Donnerstag wählten, gab ihnen der Heilige Geist einen Auftrag. Entweder in einer Vision oder durch direkte prophetische Mitteilung an den einen oder anderen dieser Männer befahl er, Barnabas und Saulus von nun an beiseite zu stellen, in eine Klasse für sich zu stellen, um das Werk zu verrichten, zu dem er sie berufen hatte. Nicht nur Saulus, sondern auch Barnabas war also vom Herrn für ein besonderes Werk im Interesse seines Reiches, für die Verkündigung des Evangeliums unter den Heiden, ausgewählt worden. Nachdem der Wille Gottes so offenbart worden war, hielt die Gemeinde einen feierlichen Ordinationsgottesdienst ab. Nachdem sie in Vorbereitung auf dieses Ereignis gefastet hatten, beteten sie gemeinsam inständig, dass Gott die beiden auserwählten Diener in ihrer Arbeit segnen und fördern möge, und legten ihnen dann zum Zeichen des Segens und der offiziellen Einsetzung die Hände auf. Auf diese Weise wurden sie für das Amt oder den Dienst, für den der Herr sie bestimmt hatte, ausgesondert oder delegiert. Anmerkung: Bei ähnlichen Gelegenheiten, auch in unseren Tagen, wenn ein Mann für den Dienst am Wort ausgesondert wird oder wenn ein Pastor in ein neues Gebiet berufen wird, ist es durchaus angemessen und Gott wohlgefällig, wenn die an der Bewegung Beteiligten durch ihre Pastoren oder kirchlichen Amtsträger ihnen die Hände auflegen, und der Brauch, zu fasten und dies zu einem feierlichen Anlass zu machen, ist keineswegs zu verachten. Nach dieser Zeremonie wurden die beiden Missionare von der Gemeinde weggeschickt und entlassen. Sie gingen als Delegierte der Kirche, als Vertreter der ganzen Gemeinde, hinaus, um den Heiden das Evangelium zu verkünden. Diese Tatsache wird in unseren Tagen oft aus den Augen verloren, und folglich ist das Verantwortungsgefühl für die Missionen der Kirche nicht so ausgeprägt, wie es sein könnte und sollte. In dieser Hinsicht gibt es viel Verbesserungsbedarf.

 

    Auf der Insel Zypern (V. 4-7): Barnabas und Saulus waren vom Heiligen Geist ausgesandt, ihre sichtbare Trennung hatte vor und im Namen der Gemeinde stattgefunden, aber sie waren durch eine besondere Offenbarung des Geistes bestimmt worden, und deshalb ging der Ruf vom Geist aus und wurde lediglich durch die Gemeinde und ihre Amtsträger weitergegeben. Mit dieser Gewissheit im Hinterkopf können die Missionare unserer Tage, nachdem sie den Ruf des Herrn durch die Gemeinde oder ihre Vertreter erhalten haben, ebenso fröhlich und zuversichtlich zu ihrem Dienst aufbrechen wie die beiden Männer, die Antiochia in Syrien zu Beginn jenes ereignisreichen Jahres 46 n. Chr. verließen und zunächst nach Seleucia, dem Hafen von Antiochia, der an der Mündung des Orontes lag, zur Insel Zypern reisten. Sie überquerten den Arm des Mittelmeers, eine Entfernung von etwa sechzig Meilen, und landeten in Salamis, einem Hafen an der südöstlichen Küste. Johannes Markus begleitete sie als Diener, als jüngerer Bruder, der ihnen bei der kirchlichen Arbeit behilflich sein konnte und gleichzeitig in den Genuss ihrer Unterweisung kam. In Salamis trafen die beiden Missionare sofort Vorkehrungen, um das Wort Gottes in den Synagogen der Juden zu verkünden. So hielten sie sich an die Regel: erst die Juden, dann die Griechen. Auf diese Weise durchquerten sie langsam die gesamte Insel, die zu dieser Zeit dicht besiedelt war. Bis zum westlichen Ende der Insel, zur Hauptstadt Paphos, waren es einige hundert Meilen, wo sich ein berühmtes Heiligtum befand, das der heidnischen Göttin Venus geweiht war und wo daher der Götzendienst in erschreckendem Ausmaß betrieben wurde. Hier residierte der Prokonsul der Insel, Sergius Paulus mit Namen, ein kluger, weitsichtiger Mann, der über ein gutes Maß an gesundem Menschenverstand verfügte. Anmerkung: Die Zuverlässigkeit des Lukas als Geschichtsschreiber ist gegen törichte Angriffe in Bezug auf diese Passage bestätigt worden. Zypern wurde früher von einem Propraetor regiert, aber 22 v. Chr. wurde es von Augustus an den Senat übertragen, und daher ist Prokonsul der richtige Titel.[44] Dem Haushalt des Prokonsuls war mit einem gewissen Bar-Jesus, einem jüdischen Zauberer und falschen Propheten, einer Art Hofgelehrten, Magier und Beichtvater, eine besondere Persönlichkeit beigegeben. Leute dieser Art waren in jenen Tagen an vielen Höfen anzutreffen und übten oft großen Einfluss auf ihre Herren aus. Aber Sergius Paulus war offensichtlich der geistigen Nahrung überdrüssig, die dieser jüdische Magier zu geben vermochte, und die Orakel und Weissagungen befriedigten schließlich niemanden, der eine solide Grundlage für seinen Glauben suchte. So schickte er nach Barnabas und Saulus und verlangte ernsthaft, das Wort Gottes zu hören. Es ist wahrscheinlich, dass er sie mit Fragen über das Wort und ihren Dienst in seinem Interesse bedrängte, und obwohl er keineswegs geneigt war, das Evangelium anzunehmen, machte er dessen Verkündigung keineswegs lächerlich, bevor er seine Ansprüche geprüft hatte. Würden die Menschen unserer Zeit, die für sich sowohl eine gründliche Bildung als auch ein gewisses Maß an gesundem Menschenverstand und Aufgeschlossenheit beanspruchen, dem Beispiel des zypriotischen Prokonsuls folgen und die Vorzüge des Evangeliums freimütig prüfen, so würden ihre natürlichen Vorurteile wahrscheinlich schnell ausgeräumt werden.

 

    Die Gegnerschaft des Elymas (V. 8-12): Barnabas und Saulus kamen bei dem Prokonsul gut voran, als sie auf den Widerstand eines sehr gefährlichen Gegners stießen. Denn dieser Berater des Prokonsuls, der sich geschickt in die Vertrautheit seines Herrn eingeschlichen hatte und den Namen Elymas, „der Weise“, als eine Art Nachnamen trug, nutzte seinen ganzen Einfluss, um die Versuche der Missionare zur Bekehrung des Sergius Paulus zu vereiteln, mit dem Ziel, ihn vom Glauben abzubringen. Der Statthalter zeigte wahrscheinlich eine starke Neigung, die Wahrheit des Evangeliums anzunehmen, und der Zauberer wusste, dass ein solches Ereignis seinen Ruin und den Verlust seiner Stellung bedeutete. In dieser Notlage übernahm Saulus die Führung, die er bis dahin Barnabas überlassen hatte, und von nun an war Saulus der bedeutendere der beiden. Lukas deutet dies an, indem er hier den Namen einfügt, unter dem Saulus fortan bekannt war und der sein Apostelamt in der heidnischen Welt kennzeichnete. Paulus wurde hier einer außergewöhnlichen Manifestation des Einflusses des Heiligen Geistes unterworfen, in dessen Kraft er den Magier in Gegenwart des Prokonsuls angriff. Er richtete seine Augen auf den heuchlerischen Juden und sagte zu ihm: Du Sohn des Teufels, voll Betrug, List, Schalk und aller Bosheit. Die gegenwärtige Opposition des Zauberers zeigte, dass er der natürliche Feind der Boten Gottes und aller Gerechtigkeit war, die sie zu verbreiten versuchten. Würde er nicht aufhören, fragte Paulus, würde er nicht aufhören, wie einer zu handeln, der die geraden und richtigen Wege des Herrn zu verkehren und zu verdrehen pflegt? Und die Strafe des Herrn folgte. Auf die Worte des Paulus hin wurde die Hand des Herrn schwer auf Elymas gelegt, so dass er steinblind wurde und eine Zeit lang nicht einmal mehr das Licht der Sonne erkennen konnte, bis es Gott gefiel, ihm das Augenlicht wiederzugeben. Und der Fluch ließ nicht lange auf sich warten. Er tappte umher und rief einen der erschrockenen Umstehenden auf, ihn an der Hand zu führen und ihm den Weg aus der Gegenwart des Paulus zu zeigen; er war auf diese Hilfe angewiesen, da er völlig blind war. Diese Demonstration der Macht Gottes überzeugte den Prokonsul; er war erstaunt über die Lehre, überwältigt von der Lehre des. Herrn und über den Herrn; er glaubte, der Glaube an Jesus, den Retter, wurde in seinem Herzen geweckt. Gewisse Inschriften, die in den letzten Jahrzehnten gefunden wurden, lassen darauf schließen, dass Sergius Paulus fortan fest an Christus glaubte, dass er bei den Christen eingeschrieben war.[45] Anmerkung: Auch heute noch ist es die Arglist und List des Teufels, der die Bekehrung und das Heil der Menschen, die Wirksamkeit des göttlichen Wortes zu verhindern sucht, indem er falsche Propheten und Irrlehrer schickt. Diese sind voller Arglist und Betrug und Feinde der wahren Rechtschaffenheit. Aber Christus, der Herr seiner Kirche, ist stärker als Satan und führt sein Werk zur Rettung der Seelen aus. Die Apostel der Finsternis aber sind endgültig zu geistiger Blindheit und Finsternis verurteilt, so dass es ihnen unmöglich ist, den rechten Weg zu finden.

 

In Antiochia in Pisidien (13,13-52)

    13 Da aber Paulus, und die um ihn waren, von Paphos schifften, kamen sie nach Perge im Land Pamphylien. Johannes aber wich von ihnen und zog wieder nach Jerusalem. 14 Sie aber zogen durch von Perge und kamen nach Antiochien im Lande Pisidien und gingen in die Synagoge am Sabbattage und setzten sich. 15 Nach der Lektion aber des Gesetzes und der Propheten sandten die Vorsteher der Synagoge zu ihnen und ließen ihnen sagen: Liebe Brüder, wollt ihr etwas reden und das Volk ermahnen, so sagt

    16 Da stand Paulus auf und winkte mit der Hand und sprach: Ihr Männer von Israel, und die ihr Gott fürchtet, hört zu! 17 Der Gott dieses Volks hat erwählt unsere Väter und erhöht das Volk, da sie Fremdlinge waren im Lande Ägypten, und mit einem hohen Arm führte er sie aus demselben. 18 Und vierzig Jahre lang duldete er ihre Weise in der Wüste. 19 Und vertilgte sieben Völker in dem Land Kanaan und teilte unter sie nach dem Los jener Land. 20 Danach gab er ihnen Richter 450 Jahre lang, bis auf den Propheten Samuel. 21 Und von da an baten sie um einen König. Und Gott gab ihnen Saul, den Sohn des Kis, einen Mann aus dem Geschlecht Benjamin, vierzig Jahre lang. 22 Und da er den wegtat, richtete er auf über sie David zum König, von welchem er zeugte: Ich habe gefunden David, den Sohn Jesses, einen Mann nach meinem Herzen, der soll tun allen meinen Willen.

    23 Aus dieses Samen hat Gott, wie er verheißen hat, gezeugt Jesus, dem Volk Israel zum Heiland, 24 wie denn Johannes zuvor dem Volk Israel predigte die Taufe der Buße, ehe denn er anfing. 25 Als aber Johannes seinen Lauf erfüllte, sprach er: Ich bin nicht der, dafür ihr mich haltet; aber siehe, er kommt nach mir, des ich nicht wert bin, dass ich ihm die Schuhe seiner Füße auflöse.

    26 Ihr Männer, liebe Brüder, ihr Kinder des Geschlechtes Abraham, und die unter euch Gott fürchten, euch ist das Wort dieses Heils gesandt. 27 Denn die zu Jerusalem wohnen, und ihre Obersten, dieweil sie diesen nicht kannten noch die Stimme der Propheten (welche auf alle Sabbate gelesen werden), haben sie dieselben mit ihrem Urteilen erfüllt. 28 Und wiewohl sie keine Ursache des Todes an ihm fanden, baten sie doch Pilatus ihn zu töten. 29 Und als sie alles vollendet hatten, was von ihm geschrieben ist, nahmen sie ihn von dem Holz und legten ihn in ein Grab.

    30 Aber Gott hat ihn auferweckt von den Toten. 31 Und er ist erschienen viele Tage denen, die mit ihm hinauf von Galiläa nach Jerusalem gegangen waren, welche sind seine Zeugen an das Volk. 32 Und wir auch verkündigen euch die Verheißung, die zu unseren Vätern geschehen ist, 33 dass diese Gott uns, ihren Kindern, erfüllt hat in dem, dass er Jesus auferweckt hat, wie denn im zweiten Psalm geschrieben steht: Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt. 34 Dass er ihn aber hat von den Toten auferweckt, dass er fort nicht mehr soll verwesen, spricht er also: Ich will euch die Gnade, David verheißen, treu halten. 35 Darum spricht er auch am andern Ort: Du wirst es nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe. 36 Denn David, da er zu seiner Zeit gedient hatte dem Willen Gottes, ist er entschlafen und zu seinen Vätern getan und hat die Verwesung gesehen. 37 Den aber Gott auferweckt hat, der hat die Verwesung nicht gesehen.

    38 So sei es nun euch kund, liebe Brüder, dass euch verkündigt wird Vergebung der Sünden durch diesen und von dem allem, durch welches ihr nicht konntet im Gesetz Moses gerecht werden. 39 Wer aber an diesen glaubt, der ist gerecht. 40 Seht nun zu, dass nicht über euch komme, was in den Propheten gesagt ist: 41 Seht, ihr Verächter, und verwundert euch und werdet zunichte; denn ich tue ein Werk zu euren Zeiten, welches ihr nicht glauben werdet, so es euch jemand erzählen wird. 42 Da aber die Juden aus der Synagoge gingen, baten die Heiden, dass sie zwischen den Sabbaten ihnen die Worte sagten. 43 Und als die Gemeinde der Synagoge voneinander ging, folgten Paulus und Barnabas nach viele Juden und gottesfürchtige Judengenossen. Sie aber sagten ihnen und ermahnten sie, dass sie bleiben sollten in der Gnade Gottes.

    44 Am folgenden Sabbat aber kam zusammen fast die ganze Stadt, das Wort Gottes zu hören. 45 Da aber die Juden das Volk sahen wurden sie voll Neides und widersprachen dem, was von Paulus gesagt wurde, widersprachen und lästerten. 46 Paulus aber und Barnabas sprachen frei öffentlich: Euch musste zuerst das Wort Gottes gesagt werden; nun ihr es aber von euch stoßt und achtet euch selbst nicht wert des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden. 47 Denn so hat uns der HERR geboten: Ich habe dich den Heiden zum Licht  gesetzt, dass du das Heil seist bis an das Ende der Erde.

    48 Da es aber die Heiden hörten, wurden sie froh und priesen das Wort des HERRN, und wurden gläubig, wieviel ihrer zum ewigen Leben verordnet waren. 49 Und das Wort des HERRN wurde ausgebreitet durch die ganze Gegend. 50 Aber die Juden bewegten die andächtigen und ehrbaren Frauen und der Stadt Obersten und erweckten eine Verfolgung über Paulus und Barnabas und stießen sie zu ihren Grenzen hinaus. 51 Sie aber schüttelten den Staub von ihren Füßen über sie und kamen nach Ikonien. 52 Die Jünger aber wurden voll Freuden und Heiligen Geistes.

 

   Die Reise und die Ankunft in Antiochia (V. 13-15): Einige Zeit nach den Ereignissen, die Lukas in den ersten Versen dieses Kapitels schildert, verließen Paulus und seine Gefährten Paphos und segelten von dort aus in nordwestlicher Richtung etwa 170 Meilen weit bis zur Bucht von Attalia. Sie landeten jedoch nicht in Attalia, sondern fuhren den Fluss Cestrus hinauf bis zur Stadt Perga, der Hauptstadt von Pamphylien, die etwas mehr als sieben Meilen vom Meer entfernt liegt. Wahrscheinlich hatte Paulus die Absicht, von hier aus sofort in das Landesinnere vorzudringen, das damals von gesetzlosen Banden heimgesucht wurde, über deren Raub und Mord viele Geschichten im Umlauf waren. Johannes Markus war der Situation nicht gewachsen, sondern verließ die beiden Missionare aus irgendeinem Grund und kehrte in seine Heimat Jerusalem zurück. Es bedarf oft nicht nur natürlicher Stärke und Kraft, sondern vor allem des Mutes und der Kraft von oben, um den Schwierigkeiten und Gefahren zu trotzen, die mit der Überbringung der Botschaft des Evangeliums an fremde Gestade verbunden sind, und der Verzicht auf gewohnten Luxus und sogar auf Annehmlichkeiten muss um der Sache willen freudig ertragen werden. Die Abtrünnigkeit von Markus beeinträchtigte jedoch nicht die Pläne von Paulus, denn er und Barnabas verließen Perga und zogen durch das wilde und gesetzlose Land des pisidischen Hochlandes in die dahinter liegenden Täler, bis sie die Stadt Antiochia erreichten, die etwa hundert Meilen vom Mittelmeer entfernt war. Sie befand sich in einer strategisch günstigen Lage auf einem niedrigen Plateau, das heute eine trostlose Wüste darstellt. Seit 25 v. Chr. war sie eine römische Kolonie, und obwohl sie im Bezirk Pisidien lag, wurde sie damals als eine Stadt der römischen Provinz Galatien betrachtet, da die Römer einen Teil des alten Phrygien und ganz Lykaonien und Pisidien zu Verwaltungszwecken in diese größere Provinz eingegliedert hatten.[46] Das pisidische Antiochia war also geographisch und teilweise auch sprachlich phrygisch, aber politisch galatisch.[47] Im Spätsommer, wahrscheinlich im August des Jahres 46, erreichten Paulus und Barnabas das pisidische Antiochia. Mit der ihnen eigenen Energie machten sie sich an die Arbeit. Am Sabbat gingen sie in die einzige Synagoge der Stadt und setzten sich dort nieder. Sie folgten der üblichen Ordnung des Gottesdienstes. Es wurde ein Abschnitt aus dem Gesetz gelesen, dann ein Abschnitt aus den Propheten; dann folgten Ermahnungen, die sich auf die gelesenen Abschnitte stützten. In den Synagogen war es üblich, einen Gastrabbiner einzuladen, der an dieser Stelle zur Versammlung sprach, und so ließen die Synagogenvorsteher, die vor der Versammlung auf erhöhten Plätzen saßen, Paulus und Barnabas durch den Diener die Einladung zukommen: Brüder, wenn ihr ein Wort der Ermahnung oder des Rates für das Volk habt, so sprecht es. Ob Paulus und Barnabas sich vorher bei den Vorstehern der Synagoge vorgestellt hatten oder nicht, ist von geringer Bedeutung, aber die freundliche Aufforderung passte ganz in ihre Absicht.

 

    Paulus beginnt seinen Vortrag (V. 16-22): Ob Paulus die Einladung nun mit oder ohne sein Suchen erhielt, er nutzte sie sofort. Er erhob sich und streckte seine Hand in einer einladenden Geste aus, um seine Zuhörer als Männer Israels und Gottesfürchtige anzusprechen. Die vielen Hinweise auf die Geschichte der Kinder Israels, die sich auch in den Predigten des Petrus, vor allem aber in der des Stephanus finden, würden nicht nur die Juden interessieren, sondern sich auch für die anwesenden Proselyten und Fremden als äußerst lehrreich erweisen. In gewisser Weise wird an den Nationalstolz des Volkes appelliert, denn es war der Gott dieses Volkes Israel, der ihre Väter aus allen Völkern der Welt zu den Seinen erwählt hat. Durch seinen Segen wuchsen sie nicht nur an Zahl, sondern auch an Kraft und Macht, während sie in der Fremde in Ägypten lebten. Mit erhobenem Arm und unter Einsatz seiner allmächtigen Kraft führte er sie aus dem Land Ägypten heraus. Vierzig Jahre lang umgab er sie in der Wüste und sorgte für sie, trotz ihrer Undankbarkeit. Im Land Kanaan, in das der Herr die Kinder Israel führte, vernichtete er sieben heidnische Völker vor ihnen, die Girgaschiter, Amoriter, Hethiter, Perisiter, Kanaaniter, Hewiter und Jebusiter (Ex. 23, 23; Jos. 3, 10, und teilte das Land durch das Los an die Eroberer aus. Von der Ankunft des Volkes in Kanaan bis zur endgültigen Unterwerfung der heidnischen Völker zur Zeit Davids vergingen etwa vierhundertfünfzig Jahre, um diesen Befehl des Herrn auszuführen. Der letzte und bekannteste der Richter war der Prophet Samuel. Als Samuel alt geworden war, verlangte das Volk von ihm einen König, und Gott gab ihm Saul, den Sohn des Kis, der vierzig Jahre lang regierte. Aber Saul brachte seinem Volk nicht das verheißene Heil, sondern Gott musste ihn vom Thron entfernen oder absetzen, 1. Sam. 15,16; Dan. 2,21. Aber nach der Absetzung Sauls wurde der Thron David gegeben, den Gott aus den Niedrigen im Lande erweckte und von dem er bezeugt, dass er David, den Sohn Isais, für einen Mann nach seinem Herzen hielt, der willig und fähig war, seinen ganzen Willen zu tun. Indem Paulus diese Worte Gott zuschreibt, bezeugt er die Inspiration des Alten Testaments, denn seine Worte sind nicht ein Zitat einer einzigen Stelle, sondern eine Zusammenstellung aus mehreren Versen, Ps. 89,20 und 1. Sam. 13,14. Das Zeugnis des Alten Testaments ist in allen seinen Teilen wahr, denn der, Herr sprach durch seine Diener.

 

    Die Verheißung des Messias (V. 23-25): Mit der Erwähnung Davids, des großen Helden der jüdischen Geschichte, hatte Paulus den Weg zu seinem Hauptthema, der Verheißung, dem Erscheinen und dem Wirken des verheißenen Sohnes Davids, eröffnet. Es war weder für die Juden noch für irgendein anderes Volk in der Welt mehr nötig, auf das Kommen des Messias zu warten, da Gott gemäß seiner Verheißung, 2. Sam. 7,12, aus der Nachkommenschaft Davids Jesus, den Retter, nach Israel gebracht hatte. Und dieses Ereignis wurde noch dadurch bestätigt, dass Johannes in Vorbereitung auf sein Kommen, noch vor seinem Einzug, dem ganzen Volk Israel eine Taufe der Buße verkündet hatte. Auch die Taufe des Johannes war eine Taufe der Buße; indem der Sünder zur Taufe des Johannes kam, bekannte er sich öffentlich zu der Tatsache, dass er ein Sünder war und dass er durch das Wasser der Taufe Vergebung der Sünden suchte. Und als Johannes seine Aufgabe erfüllte, kurz vor dem Ende seiner Laufbahn als Bußprediger, hatte er öffentlich zugunsten von Christus Zeugnis abgelegt: Für wen haltet ihr mich? Ich bin es nicht; aber nach mir kommt der, dessen Sandalen zu tragen ich nicht würdig bin, Matth. 3, 1; Mark. 1,7; Luk. 3,16; Joh. 1,19-27.

 

    Die Weissagung ist erfüllt im Tod Jesu (V. 26-29): Sehr abrupt wechselt Paulus von der einfachen geschichtlichen Darstellung zu einem direkten Appell, dass seine Zuhörer ein persönliches Interesse an den Dingen empfinden, die er ihnen vorstellt. Er schließt sie alle in die Anrede der Brüder ein, sowohl die Kinder der Familie Abrahams, die Juden durch Abstammung und Geburt, als auch die anderen anwesenden frommen Männer, wobei er davon ausgeht, dass sie alle von Furcht und Ehrfurcht vor Gott erfüllt sind. Das Wort von dieser Erlösung wird zu ihnen gesandt und betrifft jeden von ihnen ganz wesentlich. Wenn ein Mensch nicht begreift, dass das Werk Christi, die gesamte Erlösung, für ihn selbst von größter Bedeutung ist, ist die Verkündigung des Evangeliums für ihn ohne Wert. Es war notwendig, dass Paulus diesen dringenden Appell aussprach, denn seine nächsten Aussagen könnten als Angriff auf die Führer der Juden in Jerusalem erscheinen. Die Bewohner der Hauptstadt und ihre Führer kannten Christus nicht, sie erkannten ihn nicht als das, was er in Wahrheit war, und sie verstanden die Stimmen der Prophezeiungen, die Hinweise in allen Büchern der Propheten nicht, obwohl sie jeden Sabbat in den Synagogen gelesen wurden. Hätten sie ein richtiges Verständnis gehabt, wären sie sicher nicht des Unrechts schuldig geworden, das sie schließlich begingen, Kap. 3,17. Aber gerade durch ihr Missverständnis der Prophezeiungen und die daraus resultierende Verurteilung Christi erfüllten sie die Prophezeiungen; denn obwohl sie keine Todesursache an ihm fanden, verlangten sie dennoch, dass Pilatus ihn durch Kreuzigung töten sollte. Und als sie alles vollbracht hatten, was über ihn geschrieben stand, da nahmen sie, allgemein gesprochen, einige von den Juden, ihn vom Kreuz ab und legten ihn in ein Grab Sehr wahrscheinlich ist der Bericht des Lukas über die Predigt des Paulus eine kurze Zusammenfassung. Aber das, was Paulus sagen will, tritt sehr deutlich hervor; denn die Kreuzigung Jesu, die an sich schon als Beweis dafür gelten würde, dass er nicht der Messias war, wurde zu einem unwiderlegbaren Argument für ihn gemacht. Und nebenbei wurde die eigentümliche, fleischliche Vorstellung, die die Juden von der Messiasschaft hatten, richtig korrigiert. Dasselbe Argument kann auch in unseren Tagen verwendet werden, da die Tatsachen der Geschichte des Evangeliums, verglichen mit der Klarheit der alttestamentlichen Prophezeiungen, mit überwältigender Kraft überzeugen.

 

    Das Argument aus der Auferstehung Christi (V. 30-37): Paulus stellt die Aussage kühn an den Anfang dieses Abschnitts seiner Rede: Gott aber hat ihn von den Toten auferweckt. Die volle Bedeutung der Auferstehung Jesu für den christlichen Glauben muss immer im Auge behalten werden, denn sie ist grundlegend für das Verständnis der Erlösung durch Christus. Der erste Beweis, den Paulus für die Auferstehung bringt, ist das Zeugnis der Augenzeugen. Jesus wurde viele Tage lang von denen gesehen, die mit ihm von Galiläa nach Jerusalem gezogen waren, und die nun damit beschäftigt waren, dem Volk davon Zeugnis zu geben. Aufgrund der Gewissheit dieses Wunders brachten nicht nur die Augenzeugen, sondern auch der anwesende Redner und Barnabas ihren Zuhörern die Nachricht des Evangeliums, dass Gott die den Vätern gegebene Verheißung für die Anwesenden, ihre Kinder, in der Tatsache erfüllt hatte, dass er Jesus von den Toten auferweckte. Und falls sie das Zeugnis der Augenzeugen nicht für ausreichend hielten, bringt Paulus den Beweis aus der Heiligen Schrift. Da waren die Worte des zweiten Psalms: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Er war der ewige Sohn Gottes, im Vollbesitz des ewigen Lebens. Deshalb war es für ihn unmöglich, im Tod zu verharren; er musste auferstehen und das Leben, das ihm von Ewigkeit her zustand, voll zum Ausdruck bringen. Die zweite Schriftstelle, die Paulus anführt, um zu beweisen, dass die Auferstehung Christi der Prophezeiung entsprach, dass Gott ihn von den Toten auferweckte und dass er nie wieder in die Verwesung und den Verfall zurückkehren sollte, die ihn zu umhüllen schienen, als er dort im Grab lag, stammt aus Jes. 55,3, aus dem griechischen Text zitiert. Dort verspricht Gott seinem Volk, einen ewigen Bund mit ihm zu schließen, indem er ihm die heiligen und sicheren Segnungen Davids gibt. Die heiligen Verheißungen, die David gegeben wurden, konnten nur durch den Triumph, die Auferstehung, des Heiligen Gottes verwirklicht werden; nur durch den lebendigen Christus können die Segnungen des Evangeliums bestätigt und gesichert werden. „Wenn nun dieser Christus, durch den dieser Bund geschlossen ist, wahrer Mensch, wie er David von seinem Blut und Fleisch verheißen wurde, die ewige Gnade bringen und geben soll, weshalb er Gott sein muss, dem es allein zukommt, sie zu geben: Dann darf er nicht im Tode bleiben, wenn er auch wie ein natürlicher Mensch stirbt, sondern er muss selbst von den Toten auferstehen, damit er auch andere vom Tode erlöse und ihnen das ewige Leben gebe, damit er in Wahrheit ein ewiger König der Gnade, der Gerechtigkeit und des Lebens genannt werde und sei, wie Gott es fest verheißen hat.“[48] Die letzte Stelle, die Paulus zitiert, ist dieselbe, die Petrus in seiner großen Pfingstpredigt verwendet hatte, Ps. 16,10: "Du wirst deinen Heiligen nicht verderben lassen. Denn, wie der Redner richtig sagt, können diese Worte nicht auf David zutreffen, da er, nachdem er das Werk seines Amtes für sein Geschlecht vollbracht hatte, nach dem Willen Gottes entschlief und die Verwesung und den Verfall im Tod sah. Dieser Christus aber, den Gott von den Toten auferweckt und auch zur himmlischen Herrlichkeit erhöht hat, hat die Verwesung nicht gesehen und ist der Verwesung nicht unterworfen worden. Eine direktere und ausdrücklichere Vorhersage der Auferstehung Jesu ist im gesamten Alten Testament nicht zu finden, und die Kraft der Worte muss von allen Zuhörern empfunden worden sein.

 

    Der Abschluss der Predigt (V. 38-43): Da die von Paulus angeführten Tatsachen die Messiasschaft Jesu bewiesen, konnte er nun seine Rede fortsetzen, indem er seinen Zuhörern den Nutzen der Vermittlung Christi vor Gott anbot. Er will, dass alle klar verstehen, dass ihnen durch Christus, durch die Kraft und Vollkommenheit seiner Erlösung, die Vergebung der Sünden verkündet wird, nicht als ein Preis, der verdient werden muss, sondern als ein Geschenk, das sie annehmen können. Paulus erklärt wörtlich: Und von allem, wovon sie durch das Gesetz des Mose keine Lossprechung und Gerechtigkeit erlangen konnten, wird jeder, der glaubt, durch dieses gerechtfertigt. Weit davon entfernt, dem Gesetz irgendeine Fähigkeit zur Rechtfertigung zuzugestehen, wie einige Ausleger meinen, bestreitet Paulus vielmehr, dass es so etwas wie eine Rechtfertigung durch das Gesetz gibt. Er beruft sich auf die Erfahrung seiner Zuhörer. Trotz all ihrer Bemühungen, das Gesetz zu erfüllen, müssen sie das Gefühl gehabt haben, dass alle diese Versuche hoffnungslos unzureichend waren. Je mehr sie sich bemühten, jeder Forderung des Gesetzes gerecht zu werden, desto mehr mussten sie die Verdammung und nicht die Rechtfertigung durch das Gesetz spüren. Umso notwendiger war es für sie, sich an Christus zu wenden, an den jeder, der glaubt, gerechtfertigt wird. Seine Worte implizieren, dass die Rechtfertigung, die Gerechtigkeit Jesu, vor allen Menschen gegenwärtig ist, dass aber nur diejenigen, die ihre Segnungen durch den Glauben annehmen, tatsächlich in die Reihen derer aufgenommen werden, die vor Gott gerechtfertigt sind. Um diese letzten Punkte seinen Zuhörern einzuprägen, fügt Paulus ein letztes Wort der Warnung hinzu. Sie sollen sich davor hüten, dass der Spruch aus dem Buch der Propheten bei ihnen Anwendung findet, Hab. 1,5: Seht, ihr schamlosen Menschen, und wundert euch und kommt um wegen eines Werkes, das ich in euren Tagen tue, ein Werk, das ihr nicht glauben werdet, auch wenn es euch jemand erklären würde. Das ist die Strafe, die diejenigen trifft, die die Botschaft des Evangeliums verachten und ihr Herz gegen seine Herrlichkeiten verhärten. Sie sehen, aber verstehen nicht; sie wundern sich, aber glauben nicht; sie werden die Beute des geistlichen und schließlich des ewigen Todes. Das große Werk der Erlösung durch die Verdienste Christi, das vor ihren Augen vollbracht wurde, wollen sie nicht und können daher schließlich nicht glauben, wie oft es ihnen auch vor Augen geführt wird. Diese Warnung ist auch heute noch völlig in Ordnung. Jeder, der das Wort des Evangeliums hört und liest, sollte sicher sein, dass er es auf sich selbst anwendet und den Trost der durch Christus erworbenen Vergebung der Sünden annimmt, damit er die Barmherzigkeit Gottes nicht umsonst empfängt. Die Rede des Paulus machte einen tiefen Eindruck, auch wenn keine unmittelbare emotionale Reaktion erfolgte. Als er und Barnabas die Synagoge verließen, baten die Anwesenden sie eindringlich, all diese Worte zu wiederholen und ihnen die Botschaft des Evangeliums an einem der Tage zwischen dem Sabbat, d.h. am Montag und Donnerstag, an denen ebenfalls Gottesdienste in der Synagoge stattfanden, erneut zu verkünden. Und als die Gottesdienste des Vormittags beendet waren und die Versammlung sich auflöste, folgten viele Juden, die Nachkommen Abrahams, sowie fromme Proselyten, solche Heiden, die die jüdische Lehre angenommen hatten und durch die Beschneidung Proselyten des Bundes geworden waren, Paulus und Barnabas, und die Missionare nutzten die Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen und sie zu ermahnen, an der Gnade Gottes festzuhalten. Wenn Menschen sich einmal für die Botschaft des Evangeliums interessiert haben, müssen sie immer wieder ermutigt werden, auf die Gnade Gottes zu vertrauen und an ihr festzuhalten. Die Kraft des Geistes in der Botschaft wird den Rest erledigen.

 

    Die Gegnerschaft der Juden (V. 44-47): Am folgenden Sabbat wurden die Früchte der ersten Predigt des Paulus und der Arbeit der beiden Missionare während der Woche sichtbar. Fast die ganze Stadt kam zusammen, um das Wort des Herrn zu hören, sicherlich die größte Versammlung, die die Synagoge je gesehen hatte. Aber als die Juden die Menschenmengen sahen, die sich versammelten, um das Evangelium zu hören, wurden sie von unangemessener Eifersucht erfüllt. Sie versuchten sich einzureden, dass diese Demonstration einer Verunglimpfung des mosaischen Gesetzes gleichkäme, und begannen, den Worten des Paulus zu widersprechen und schließlich sogar zu lästern Anmerkung: Jeder vorsätzliche Widerspruch gegen das Evangelium und seine Herrlichkeiten ist eine Lästerung Christi und seines Heils, und wenn dazu noch der Name Christi verunglimpft wird, nimmt die Übertretung einen sehr ernsten Aspekt an. Doch nun hatten Paulus und Barnabas den Mut, ihren Standpunkt furchtlos und klar zu vertreten. Sie erklärten den zornigen Juden, dass es notwendig sei, dass ihnen das Wort Gottes zuerst gepredigt werde, denn so sei das Gebot des Herrn zu verstehen, Mark. 16,15; Luk. 24,47, und deshalb hätten sie die Regel befolgt: Juden zuerst. Da sie nun aber das Evangelium absichtlich beiseite schoben und seine Segnungen abwehrten und sich damit als des ewigen Lebens nicht würdig beurteilten, hatten die Apostel nicht mehr das geringste Zögern, sich den Heiden zuzuwenden. Denn dieses Vorgehen entsprach genau der Prophezeiung, die nun die Kraft eines Befehls annahm, Jes. 35,6: Ich habe dich zum Licht der Heiden bestimmt, um das Heil zu sein und die Erlösung zu bringen bis an das Ende der Erde. So lautete die Verheißung Gottes in Worten, die im Alten Testament an den Messias gerichtet waren, und diese Worte sollten im Neuen Testament ihre Erfüllung finden. Anmerkung: Wenn ein Mensch die Möglichkeit hat, das Evangelium zu hören und seine rettende Botschaft anzunehmen, und es dann absichtlich beiseite schiebt, hat er niemand anderen als sich selbst für die daraus resultierende Verurteilung und Verdammnis verantwortlich zu machen. "Denn da unsere Natur durch die Sünde verdorben ist und des Zorns Gottes und der Verdammnis würdig und verdienstlich ist, so schuldet uns Gott weder Wort noch Geist noch Gnade, und wenn er sie aus Gnade gibt, so stoßen wir sie oft beiseite und machen uns des ewigen Lebens unwürdig.“[49]

 

    Ertrag und Verfolgung (V. 48-52): Der Hinweis von Paulus und Barnabas auf den Abschnitt aus Jesaja und seine Anwendung auf die gegenwärtige Situation erfüllte die anwesenden Heiden mit großer Freude. Wie viele andere mögen sie die Vorstellung gehabt haben, dass die Erlösung nur für die Juden bestimmt sei oder dass zumindest der einzige Weg, ihre Segnungen zu erlangen, darin bestehe, sich zuerst durch den Ritus der Beschneidung der jüdischen Kirche anzuschließen. So lobten sie das Wort des Herrn, durch das sie die Gewissheit hatten, direkt in das Reich Gottes aufgenommen zu werden, ohne den Zwischenschritt des Beitritts zur jüdischen Synagoge. Und sie glaubten, nicht alle, sondern so viele, wie von Gott zum ewigen Leben bestimmt oder berufen waren, nicht infolge eines absoluten Dekrets, sondern in Christus Jesus, durch die Erlösung in seinem Blut, Eph. 1,4.5. Ihr Glaube war das Ergebnis dieser gnädigen Bestimmung und des Vorherwissens, der Prädestination, Gottes, von der an anderen Stellen der Schrift ausführlich die Rede ist, Eph. 1,3-6; Röm. 8,28-30, Und diese Tatsache ist eine Quelle großen Trostes. Der Glaube eines Christen und seine Bewahrung in diesem Glauben hängt nicht von seiner eigenen Vernunft und Kraft ab, einer bestenfalls unsicheren Grundlage, sondern von der Gnade Gottes in Christus Jesus, die ihm vor Grundlegung der Welt zugesichert wurde. „Die ewige Erwählung Gottes sieht und weiß nicht nur im Voraus das Heil der Auserwählten, sondern ist auch durch den gnädigen und guten Willen Gottes in Christus Jesus ein Grund, der unser Heil und das, was dazu gehört, bewirkt, bewirkt, hilft und fördert; worauf auch unser Heil so fest gegründet ist, dass die Pforten der Hölle es nicht überwinden können, wie geschrieben steht ...: ‚So viele zum ewigen Leben bestimmt waren, haben geglaubt.‘“[50] Das Ergebnis dieser begeisterten Annahme des Wortes wurde auch in immer weiteren Kreisen spürbar, denn das Wort des Herrn wurde durch die ganze Region getragen. Es verbreitete sich nicht nur in Antiochia, sondern ging weit und breit durch den ganzen Bezirk Pisidien, der an die Stadt angrenzte. Aber die Juden, die wegen des Erfolges des Evangeliums wütender denn je waren, drängten und stachelten die frommen Frauen der führenden und einflussreichen Familien der Stadt sowie die ersten, repräsentativen Männer an, die sie wahrscheinlich über ihre Frauen ansprachen. Die besten Familien der Stadt, einschließlich der Verwaltungsklasse, waren involviert, die sozialen und politischen Kräfte des Bezirks waren gegen sie aufgebracht. So wurde eine Verfolgung gegen Paulus und Barnabas angezettelt, und sie wurden aus der Stadt vertrieben, in diesem Fall nicht durch das Gesetz des Pöbels, sondern durch behördliche Maßnahmen. Wahrscheinlich wurde ihnen befohlen, die Stadt sofort zu verlassen, und sie wurden von Polizeibeamten begleitet, die nicht gerade zimperlich waren. Aber die Missionare ließen sich nicht einschüchtern, schüttelten den Staub ihrer Füße gegen sie ab, als Protest, Zeugnis und Warnung (Matth. 10,14; Mark. 6,11; Luk. 9,5), und zogen weiter nach Ikonium, ihrer nächsten Station. Und die gewonnenen Jünger waren weit davon entfernt, sich entmutigen zu lassen oder von Trauer und Furcht erfüllt zu sein, sondern wurden vielmehr in ihrem Glauben gestärkt und mit Freude und dem Heiligen Geist erfüllt. Selbst die schändliche Vertreibung der Lehrer war ein weiterer Beweis für die Wahrheit der Worte des Herrn, und was ihren Glauben betraf, so konnte ihnen dessen Gewissheit und Freude keine menschliche Macht nehmen, da dies Gaben des Heiligen Geistes waren. Der Hass und die Feindschaft gegen das Evangelium Jesu Christi wird zu Verfolgungen führen, so oft die Feinde Gelegenheit dazu bekommen oder machen können. Aber je mehr die Welt spottet und die Ungläubigen wüten, desto größer ist der Trost, den die Christen in ihrem Glauben haben.

 

Zusammenfassung: Auf ihrer ersten Missionsreise bereisen Paulus und Barnabas Zypern, setzen dann nach Perga in Pamphylien über und reisen ins pisidische Antiochia, wo Paulus mit großem Erfolg das Evangelium verkündet; die beiden Lehrer werden jedoch aufgrund von Judenhass und Eifersucht aus der Stadt vertrieben.

 

 

Kapitel 14

 

Paulus und Barnabas in Ikonium und Lystra (14,1-18)

    1 Es geschah aber zu Ikonium, dass sie zusammenkamen und predigten in der Juden Synagoge, so dass eine große Menge der Juden und der Griechen gläubig ward. 2 Die ungläubigen Juden aber erweckten und entrüsteten die Seelen der Heiden gegen die Brüder. 3 So hatten sie nun ihr Wesen daselbst eine lange Zeit und lehrten frei im HERRN, welcher bezeugte das Wort seiner Gnade und ließ Zeichen und Wunder geschehen durch ihre Hände. 4 Die Menge aber der Stadt spaltete sich; etliche hielten’s mit den Juden und etliche mit den Aposteln. 5 Da sich aber ein Sturm erhob der Heiden und der Juden und ihrer Obersten, sie zu schmähen und zu steinigen, 6 wurden sie des inne und entflohen in die Städte des Landes Lykaonien, nach Lystra und Derbe und in die Gegend umher 7 und predigten dort das Evangelium.

    8 Und es war ein Mann zu Lystra, der musste sitzen; denn er hatte böse Füße und war lahm von Mutterleib, der noch nie gewandelt hatte. 9 Der hörte Paulus reden. Und als er ihn ansah und merkte, dass er glaubte, ihm möchte geholfen werden, 10 sprach er mit lauter Stimme: Stehe aufrichtig auf deine Füße! Und er sprang auf und wandelte. 11 Da aber das Volk sah, was Paulus getan hatte, hoben sie ihre Stimme auf und sprachen auf lykaonisch: Die Götter sind den Menschen gleich worden und zu uns herniederkommen. 12 Und nannten Barnabas Jupiter und Paulus Mercurius, dieweil er das Wort führte. 13 Der Priester aber Jupiters, der vor ihrer Stadt war, brachte Ochsen und Kränze vor das Tor und wollte opfern samt dem Volk.

    14 Da das die Apostel, Barnabas und Paulus, hörten, zerrissen sie ihre Kleider und sprangen unter das Volk, schrien 15 und sprachen: Ihr Männer, was macht ihr da? Wir sind auch sterbliche Menschen gleichwie ihr und predigen euch das Evangelium, dass ihr euch bekehren sollt von diesen falschen zu dem lebendigen Gott, welcher gemacht hat Himmel und Erde und das Meer und alles, was drinnen ist; 16 der in vergangenen Zeiten hat lassen alle Heiden wandeln ihre eigenen Wege. 17 Und zwar hat er sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat uns viel Gutes getan und vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, unsere Herzen erfüllt mit Speise und Freude. 18 Und da sie das sagten, stillten sie kaum das Volk, dass sie ihnen nicht opferten.

 

    Erfolg und Verfolgung in Ikonium (V. 1-7): Als Paulus und Barnabas Antiochia verließen, wandten sie sich nach Osten und folgten ihrem Weg sechzig Meilen lang über eine Hochebene mit unzähligen weidenden Schaf- und Ziegenherden, überquerten dann einen kleinen Gebirgskamm und erreichten die blühende Stadt Ikonium, die heute noch als Konieh existiert. Sie liegt an der Spitze einer weiten, sich nach Osten erstreckenden Ebene, die gut bewässert ist und daher sowohl für die Landwirtschaft als auch für Weideflächen wichtig ist. Viele Reisende vergleichen Ikonium mit Damaskus, sowohl was die Lage als auch die Schönheit betrifft. In beiden Fällen ist auch die frühe Geschichte in den Nebel der prähistorischen Zeit gehüllt. Es sei daran erinnert, dass die römische Provinz Galatien das östliche Ende des antiken Phrygiens einnahm und sowohl die Bezirke Pisidien als auch Lykaonien umfasste. Daher war Ikonium, die Metropole des westlichen und zentralen lykaonischen Phrygiens, und somit durch und durch phrygisch in der Sprache, eine Stadt in Galatien entsprechend ihrer Verwaltung. „Die Römer sprachen natürlich davon, dass Ikonium im halbbarbarischen Lykaonien liege; aber die Menschen unterschieden sich immer von den Lykaoniern und zogen es vor, sich als Bürger einer phrygisch-hellenischen Stadt zu betrachten. Selbst die weiter von Nordgalatien entfernten Städte sprachen von sich als ‚Galater‘ und genossen es, so angesprochen zu werden. Die Stadt war stark römisch geprägt und erhielt um 41 n. Chr. einen kaiserlichen Namen.“[51] Da Ikonium ein wichtiges Handelszentrum war, gab es eine starke jüdische Bevölkerung und daher auch eine Synagoge. Wie es ihre Gewohnheit war, gingen Paulus und Barnabas in die Synagoge und sprachen zu den Anwesenden, die nicht nur aus Juden, sondern auch aus griechischen Proselyten und wahrscheinlich auch aus anderen Griechen bestanden, die der Religion der Juden wohlgesonnen waren. Und ihre Rede, ihr Zeugnis, machte einen solchen Eindruck, dass eine große Schar von Juden und Griechen zum Glauben kam. Die Schlüssigkeit der Beweise des Evangeliums, die Ernsthaftigkeit, mit der es vorgetragen wurde, und vor allem die Kraft des Geistes im Wort überzeugten die Zuhörer. Aber es dauerte nicht lange, bis hier dasselbe geschah wie in Antiochia. Zwar konnten die Missionare eine Zeitlang ungehindert furchtlos vom Herrn reden, der auch das Wort seiner Gnade, das diese Gnade verkündete und weitergab, durch das Zeugnis von Zeichen und Wundern, die durch die Hände der Apostel geschahen, bestätigte. Aber der Erfolg, der mit der Verkündigung des Wortes einherging, zermürbte die Juden, die sich weigerten, zu glauben. Sie begannen daher und setzten ihre Bemühungen fort, die Seelen des Volkes, die Gefühle der Heiden, gegen die Brüder aufzuwiegeln und zu erzürnen. Infolge dieser hartnäckigen Aufwiegelung spaltete sich die Bevölkerung der Stadt, wobei die einen auf der Seite der unzufriedenen Juden, die anderen auf der Seite der Apostel standen; aber die Partei, die für Wahrheit und Gerechtigkeit eintrat, war, wie üblich, nicht so aktiv wie die auf Unheil ausgerichtete. So stachelten die Aufwiegler schließlich ihre Anhänger und andere zu einer solchen Erregung an, dass sich ein Mob bildete, der sowohl aus Heiden als auch aus Juden mit ihren Oberen bestand. Der Tumult mit feindseligen Absichten war gerade im Begriff, auszubrechen, und der allgemeine Plan war, Paulus und Barnabas zu misshandeln, sie verächtlich zu behandeln und zu steinigen, als die beabsichtigten Opfer von der sich anbahnenden Gewalt erfuhren. Da ein Mob absolut ohne Vernunft und Verstand ist, nur darauf aus ist, Blut zu vergießen, und nur für eine plötzliche Zurschaustellung wirksamer geistiger oder körperlicher Kraft empfänglich ist, glaubten die Missionare nicht, dass es der Sache des Meisters dienlich wäre, den Ansturm abzuwarten, sondern flohen aus der Stadt. Da Ikonium nicht weit von der Grenze des Bezirks Lykaonien entfernt war, überquerten sie die Grenze und gingen nach Lystra, das etwa achtzehn Meilen entfernt war.[52] Dies war eine Bergstadt und eine römische Kolonie, in der zumindest eine Zeit lang eine römische Garnison stationiert war. Die einheimische Sprache hatte daher mit dem Einfluss der lateinischen Sprache zu kämpfen. Die Umgebung der Stadt war durch und durch heidnisch und weniger von jüdischen Einflüssen durchdrungen als in Ikonium oder Antiochia. Die andere Stadt, Derbe, benannt als Stadt des Bezirks, in den Paulus und Barnabas geflohen waren, lag ebenfalls im römischen Lykaonien, am äußersten südöstlichen Rand der lakaonischen Ebene, in den nördlichen Ausläufern des Taurusgebirges, in der Nähe eines kegelförmigen Berges, der heute als Hadje-Baba bekannt ist, nicht weit entfernt von dem Pass, der als Kilikische Pforte bekannt ist und nach Tarsus hinunterführt. In dieser Region, der äußersten Grenze des römischen Einflusses. Barnabas und Paulus waren nun schon seit einiger Zeit damit beschäftigt, das Evangelium zu predigen, anscheinend ohne Widerstand. Die Verfolgung und die Flucht der Christen hat die Verbreitung des Evangeliums stets begünstigt.

 

    Ein Wunder und seine Auswirkung auf das Volk (V. 8-13): Da es in Lystra offenbar keine Synagoge gab, predigten Paulus und Barnabas höchstwahrscheinlich auf dem freien Platz vor den Toren oder auf dem Marktplatz. Ein Mann aus Lystra aber war von Geburt an lahm und hatte keine Kraft in den Füßen, um sich aufrecht zu halten. Er hatte nie einen Schritt tun können, sondern saß gewöhnlich auf dem Boden in der Nähe der Plätze, wo sich die Leute versammelten oder vorbeigingen. So war seine Geschichte von klein auf in der Stadt bekannt. Dieser Mann hörte aufmerksam und ernsthaft zu, als Paulus sprach und sich an die Menschenmenge wandte, die sich von Zeit zu Zeit versammelte, und als die Aufmerksamkeit des Paulus auf den Krüppel gerichtet war, richtete er seine Augen auf ihn, um durch diese Prüfung festzustellen, ob der unglückliche Mann genug von der Macht des Erlösers gelernt und verstanden hatte, um zu glauben, dass er geheilt werden konnte. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, rief Paulus dem Krüppel mit lauter Stimme zu: „Steh aufrecht auf deinen Füßen.“ Und ohne jede Hilfe sprang der Mann auf seine Füße und begann zu gehen. Die Kraft des erhöhten Christus hatte durch den Mund des Paulus dieses Wunder vollbracht. Die Anwesenden sahen, was Paulus getan hatte, und hatten nach dem Schock der ersten Überraschung nur eine Erklärung anzubieten, die ihrem heidnischen Verstand sofort einfiel, nämlich, dass einige ihrer Götter, die die Gestalt von Menschen angenommen hatten, zu ihnen herabgestiegen waren. In Übereinstimmung mit dieser Vorstellung, die sie in ihrer Muttersprache, der Lykaonischen, zum Ausdruck brachten, obwohl sie Griechisch sehr gut kannten und verstanden, schlugen sie vor, Barnabas Zeus (Jupiter) zu nennen, der als der Hauptgott der Griechen und Römer galt, und Paulus Hermes (Merkur), da er von ihnen als der Bote der Götter zu den Menschen angesehen wurde und Paulus gewöhnlich die Gespräche geführt hatte. Eine Inschrift, die vor einigen Jahren in einigen Ruinen in der Nähe des antiken Lystra gefunden wurde, zeigt, dass diese beiden Götter von den Bewohnern dieser Region zusammengerechnet wurden.[53] Es gab aber vor der Stadt einen Tempel oder eine Opferstätte für Jupiter, und der heidnische Priester, der dieser Kultstätte angehörte, ließ sogleich die Diener Ochsen und Blumenkränze zu den Toren der Stadt bringen, in die Nähe der gewölbten Eingangsbögen, wo das Volk versammelt war. Seine Absicht war es, den beiden Missionaren zusammen mit dem Volk ein Opfer zu bringen. Diese Szene zeigt die Finsternis und Verblendung des Heidentums. Die Heiden dienen nicht nur toten Götzen, sondern sie halten sogar Menschen für Götter und bringen ihnen Opfer und Anbetung dar. Und es ist sicher ein Zeichen der Zeit, dass es üblich wird, die Verdienste derer, die dem Land einen außergewöhnlichen Dienst erwiesen haben, zum Himmel zu erheben, sie buchstäblich zu vergöttern und vor ihnen anzubeten. Das ist nicht nur vom Standpunkt der menschlichen Vernunft aus abstoßend, sondern zeigt, dass die modische Welt unserer Tage rasch auf das Niveau der Heiden zurücksinkt.

 

    Die schockierende Predigt des Paulus (V. 14-18): Offensichtlich gab es hier eine zweisprachige Situation, die die Dinge kompliziert machte. Die Bewohner der Stadt waren zwar durchaus in der Lage, die griechische Sprache im Geschäfts- und Alltagsleben zu verwenden und konnten auch die Missionare sehr gut verstehen, aber ihre religiöse Sprache war die Sprache, die sie seit jeher zu diesem Zweck verwendet hatten. Sehr wahrscheinlich verstanden Paulus und Barnabas die Aufschreie des Volkes nicht, denn zumindest Paulus hatte die Gabe der Zungenrede. 1. Kor. 14,l8, so folgt daraus nicht, dass er diese Gabe zu jeder Zeit besaß. Aber die Nachricht von dem geplanten Opfer wurde den beiden Aposteln bald zu Ohren gebracht, entweder während sie noch mit ihrer Lehre beschäftigt waren oder als sie in ihre Unterkunft zurückgekehrt waren. Der Gedanke an das angebliche Opfer erschreckte sie zutiefst. Paulus und Barnabas zerrissen beide ihre Mäntel als Zeichen tiefen Kummers und Entsetzens, 1. Mose 37,29.34; Jos. 7,6, und stürzten sich in die Menge, wobei sie laut schrien, um schnell auf sich aufmerksam zu machen. Sie riefen aus: Männer, was ist das, was ihr da tut? Sie erklärten, sie seien Männer, Menschen, mit denselben Neigungen wie die Bürger von Lystra. Sie hatten die gleichen Kräfte und Begierden, brauchten Nahrung und Kleidung in gleicher Weise und waren dem Tod ausgesetzt wie alle anderen Menschen. Sie predigten nicht selbst und stellten sich nicht zur Anbetung, sondern waren Boten mit einer guten, einer wunderbaren Heilsbotschaft, nämlich dass die Menschen in Lystra sich umwenden sollten, sich ganz abwenden sollten von diesen Eitelkeiten, die sie verkündeten und praktizierten, von ihren Götzen und ihrer Anbetung, und sich dabei dem lebendigen Gott zuwenden sollten, dem einen Gott, der der Urheber und Spender des Lebens war. Denn dieser wahre Gott war es, der den Himmel und die Erde und das Meer und alles, was darin ist, gemacht hatte. Vgl. Kap. 17,24. Der lebendige Gott hatte seine Macht und sein Leben im Schöpfungsakt unter Beweis gestellt; der Gott der Schöpfung und der Gott der Erlösung sind eins. Paulus appellierte hier als weiser und umsichtiger Missionar an die Erkenntnis der natürlichen Religion, um darauf die Schönheit der geoffenbarten Religion aufzubauen; in der Ermahnung des Paulus, das Volk solle sich von der Eitelkeit und Torheit seines Götzendienstes abwenden, wurde angedeutet, dass ihre Wege falsch gewesen waren. Gott hatte in Zeiten, die nun vorbei waren und nie wiederkehren sollten, große Nachsicht und Geduld gezeigt, indem er alle Völker ihren eigenen Weg gehen ließ. Er schlug die Heiden, die sich dem Götzendienst zugewandt hatten, nicht nieder und vernichtete sie, sondern ließ sie leben; denn es bestand immer die Möglichkeit, dass sie den wahren Gott suchten und kennen lernten, Kap. 17,30. Dennoch hat sich Gott, wie Paulus betont, auch in jenen Zeiten nicht unbezeugt gelassen. Seine fortwährende wohltätige Tätigkeit und Güte zeigte sich darin, dass er Gutes tat; dass er vom Himmel, von dem alles Gute kommt, Jak. 1,17, Regen und fruchtbare Jahreszeiten, indem er ihre Herzen mit Nahrung und guter Laune füllt. Er sagt absichtlich „Herzen“ und nicht „Körper“, denn er will seine Zuhörer von der bloßen Sorge um den Körper und das gegenwärtige Leben zur Sorge um ihre unsterbliche Seele führen. Es war eine taktvolle, aber nicht minder eindrucksvolle Erinnerung an die Tatsache, dass sie in der Vergangenheit nicht schuldlos gewesen waren, da die Beweise für Gottes schöpferische Kraft und seine Vorsehung allgegenwärtig gewesen waren, um sie dazu zu bringen, sorgfältiger nach dem wahren Gott zu suchen. Die Rede beruhigte das Volk kaum und verhinderte, dass sie die Absicht, Paulus und Barnabas Opfer darzubringen, in die Tat umsetzten. Das Verhalten der beiden Missionare dient als Beispiel für die Missionare unserer Tage. Es ist immer töricht, die christliche Religion an sündige, götzendienerische Praktiken anzupassen, mit der fadenscheinigen Begründung, dies sei notwendig, um das Vertrauen des Volkes zu gewinnen. Das Vertrauen der Menschen kann nicht durch die Leugnung der Wahrheit erhalten werden. Jede Form der Feindschaft gegen Gott, des Götzendienstes, des Dienstes für den Mammon, der Welt, der Sünde muss als solche gebrandmarkt werden, nicht durch taktlosen Eifer, sondern wenn die Dinge zur Sprache kommen. Auf der Grundlage einer solchen Belehrung kann dann die Verkündigung des Evangeliums aufgebaut und wahrer und rettender Glaube durch den Geist Gottes gewirkt werden.

 

Die Rückreise nach Syrien (14,19-28)

    19 Es kamen aber dahin Juden von Antiochien und Ikonium und überredeten das Volk und steinigten Paulus und schleiften ihn zur Stadt hinaus, meinten, er wäre gestorben. 20 Da ihn aber die Jünger umringten, stand er auf und ging in die Stadt. Und am nächsten Tag ging er aus mit Barnabas nach Derbe. 21 Und predigten dieser Stadt das Evangelium und unterwiesen ihrer viele und zogen wieder nach Lystra und Ikonium und Antiochia, 22 stärkten die Seelen der Jünger und ermahnten sie, dass sie im Glauben blieben, und dass wir durch viel Trübsal müssen in das Reich Gottes gehen. 23 Und sie ordneten ihnen hin und her Älteste in den Gemeinden, beteten und fasteten und befahlen sie dem HERRN, an den sie gläubig worden waren.

    24 Und zogen durch Pisidien und kamen nach Pamphylien. 25 Und redeten das Wort zu Perge und zogen hinab nach Attalia. 26 Und von dort schifften sie nach Antiochia, von wo sie verordnet waren durch die Gnade Gottes zu dem Werk, das sie hatten ausgerichtet. 27 Da sie aber hinkamen, versammelten sie die Gemeinde und verkündigten, wie viel Gott mit ihnen getan hatte, und wie er den Heiden hätte die Tür des Glaubens aufgetan. 28 Sie hatten aber ihr Wesen allda nicht eine kleine Zeit bei den Jüngern.

 

    Gewalttätigkeit des Mobs in Lystra und das Evangelium in Derbe (V. 19-23): Die Nachricht von diesem seltsamen Ereignis, bei dem Menschen fast wie Götter verehrt wurden, verbreitete sich schnell über die Handelswege und erreichte zuerst Ikonium und bald darauf auch Antiochia in Pisidien, und die Juden schlossen sofort, dass es sich bei den beiden Männern um keine anderen als Paulus und Barnabas handeln konnte, die sie verfolgten. Die Tatsache, dass diese Männer ihre Arbeit in anderen Städten der Provinz fortsetzten, erzürnte einige der Juden so sehr, dass sie nicht zögerten, die lange Reise nach Lystra anzutreten. Hier bemühten sie sich eifrig, die Menge zu überzeugen, und verwandelten sie bald in einen Mob, wodurch sie erneut die Unbeständigkeit der Gemüter und die Unbeständigkeit der Gunst, die für Menschenmengen charakteristisch ist, demonstrierten. Es scheint, dass der Angriff auf Paulus plötzlich erfolgte, während er seinen Pflichten nachging. Sie steinigten ihn und schleppten ihn dann aus der Stadt, in der Annahme, er sei tot, und bereit, seinen Körper seinem Schicksal zu überlassen, wie das eines wilden Tieres. Als aber die Mörder den Schauplatz verlassen hatten, kamen die Jünger, von denen einige auch in dieser Stadt gewonnen worden waren, heraus, um nachzuforschen, und als sie um Paulus herumstanden und wahrscheinlich überlegten, wie sie ihn am besten begraben könnten, stand er auf und ging in die Stadt. Der Herr hatte seine schützende Hand über seinen Diener gehalten und verhindert, dass die Steine eine tödliche Wirkung auf seinen Körper hatten. Aber dem Apostel war klar, dass er unter den gegebenen Umständen nicht auf Erfolg in dieser Stadt hoffen konnte; die Aufwiegler waren immer noch da, und die Menschen waren gegenüber dem Evangelium voreingenommen. Deshalb brach er gleich am nächsten Tag mit Barnabas nach Derbe auf, das etwa zwanzig Meilen entfernt war und fast an der Grenze zu Kilikien lag. Hier hatten sie schnell Erfolg: Sie predigten ununterbrochen das Evangelium und brachten die frohe Botschaft in die Stadt; sie machten viele Jünger und gründeten so auch hier eine Gemeinde, die fast, wenn nicht ganz aus Heiden bestanden haben muss. Paulus hätte nun leicht die Reise nach Tarsus antreten können, um sich zu stärken und von den Strapazen dieser Missionsreise zu erholen. Aber seine Liebe und Sorge um die neu gewonnenen Bekehrten veranlasste ihn, die Rückreise auf demselben Weg anzutreten und in Lystra, Ikonium und Antiochia Halt zu machen, um in jeder Stadt die Seelen der Jünger durch eine gute Verkündigung des Evangeliums und durch evangelische Ermahnung zu stärken. Da die Verfolgung durch die Abreise des Paulus zumindest indirekt über sie gekommen war, ermahnte er sie, er drängte sie ernsthaft, im Glauben zu bleiben, zu verharren, zu bleiben. Nachdem sie Christus in festem Vertrauen als ihren Erlöser angenommen hatten, sollten sie nicht zulassen, dass Bedrängnisse und Verfolgungen ihnen diesen Glauben aus dem Herzen nehmen. Denn das gilt für die Christen im Allgemeinen: Durch viele Bedrängnisse müssen wir in das Reich Gottes eingehen. Das ist das unvermeidliche Los der Gläubigen, das ist es, was sie inmitten einer sündigen und feindseligen Generation erwarten müssen. Die Christen aller Zeiten haben eine solche Ermutigung nötig, um inmitten von Kreuz und Verfolgung standhaft zu bleiben. Auf der gleichen Reise ließen Paulus und Barnabas die Gemeinden in jeder Stadt durch Volksabstimmung und Handzeichen Älteste wählen. Die Christen selbst setzten in ihrer Mitte das Amt des Predigers ein, um das Wort Gottes fortwährend zu lehren, damit die Jünger im Glauben gehalten und immer mehr Seelen für Christus gewonnen würden. Anmerkung: Die Apostel machten hier keinen Gebrauch von irgendwelchen hierarchischen Befugnissen, sondern legten die Wahl ihrer Amtsträger in die Hände der Gemeinden. Die christliche Gemeinde macht von dieser besonderen kirchlichen Macht Gebrauch und sollte sich dieses Recht jederzeit vorbehalten. Paulus und Barnabas schließlich empfahlen alle Brüder durch Gebet und Fasten dem Herrn; in der Obhut des Herrn sind sie sicher; seine Fürsorge kann sie vor Feindseligkeit schützen und sie in der Verfolgung trösten. Diejenigen, die glaubten, übergaben die Apostel dem Herrn; denn nur durch den Glauben wird die Verbindung mit dem Herrn hergestellt, nur durch den Glauben kann sie aufrechterhalten werden.

 

    Der letzte Teil der Rückreise (V. 24-28): Es war für Paulus unmöglich, auf der Rückreise nach Syrien im Dienst seines Herrn untätig zu sein. So unternahmen er und Barnabas eine Missionsreise durch Pisidien, die Provinz, die im Süden an das römische Galatien angrenzte. So erreichten sie Pamphylien und nahmen sich nun Zeit, das Wort Gottes in Perga zu verkünden, wo sie auf der Reise in das Oberland nicht Halt gemacht zu haben scheinen, Kap. 13,13. Im Übrigen scheinen sie auf eine Gelegenheit gewartet zu haben, nach Syrien auslaufen zu können. Als sich aber keine Gelegenheit bot, fuhren sie zur Küste hinunter, zum Hafen von Attalia in Lykien, von wo aus sie nach Antiochia segelten. In dieser Stadt waren sie in ihr Amt als Missionare berufen und der Gnade Gottes für das Werk anvertraut worden, das sie nun vollendet hatten. Sie hatten auf ihrer Reise den einzigartigen, barmherzigen Segen Gottes genossen und vor allem die reichliche Gewissheit erhalten, dass es die Gnade Gottes ist, die den Menschen befähigt, im Evangelium zu wirken. Eph. 3,8. So kehrten sie mit einem Herzen voller Dankbarkeit in die Gemeinde zu Antiochia zurück, und sobald es nach ihrer Ankunft möglich war, fand eine Versammlung der Gemeinde statt, in der die beiden Missionare ausführlich über den Erfolg ihrer Arbeit berichteten, wie sie sagten, wie viele und wie große Dinge Gott mit ihnen als Werkzeuge seiner Gnade und auch für sie getan hatte, indem er mit ihnen war und ihnen half, sowohl bei der Ausführung des Werkes ihrer Berufung als auch beim Ertragen der Verfolgungen, die über sie gekommen waren. Gott ist es, der den Zuwachs geben muss, wann und wo immer das Evangelium gepredigt wird. Er war es, der den Heiden die Tür des Glaubens geöffnet, ihre Herzen willig gemacht und ihnen freien Zugang zum Heil Jesu Christi verschafft hatte. Anmerkung: Es ist Gott wohlgefällig, wenn die Missionare im In- und Ausland den Gemeinden, die sie ausgesandt haben, von ihrer Arbeit berichten und damit zeigen, dass Gott mit der Arbeit einverstanden ist und dass er die Türen für die Verkündigung des Evangeliums öffnet. Danach verbrachten Paulus und Barnabas eine lange Zeit bei den Jüngern in Antiochia, wahrscheinlich mehr als ein Jahr, und waren mit ihrer Arbeit des Predigens und der Gewinnung neuer Mitglieder für die Gemeinde Christi beschäftigt.

 

Zusammenfassung: Paulus und Barnabas verkündigen das Evangelium in Ikonium, Lystra und Derbe und erdulden Verfolgung um des Herrn willen. Dann kehren sie zurück, um die Brüder zu stärken, setzen ihre Arbeit in Pisidien und Pamphylien fort und kehren schließlich nach Antiochia in Syrien zurück.

 

 

EXKURS: DIE GLAUBWUERDIGKEIT DES LUKAS ALS HISTORIKER

    Die Bibel und ihr Inhalt bedürfen keiner Rechtfertigung. Für uns Christen ist die Bibel in allen ihren Teilen das inspirierte Wort Gottes, dessen Torheit weiser ist als die der Menschen. Indem wir diesen Standpunkt einnehmen, drosseln wir nicht die Vernunft, wohl wissend, dass die Lehren der Heiligen Schrift nicht streng genommen gegen die menschliche Vernunft sind, sondern einfach über die Vernunft hinausgehen. Beim Bibelstudium setzen wir daher unsere Vernunft sehr entschieden ein, aber immer so, dass wir sie unter den Gehorsam Christi gefangen nehmen. Aus diesem Grund begrüßen wir auch alle geschichtlichen und archäologischen Forschungen, die zusätzliches Licht auf biblische Länder, biblische Bräuche, biblische Sprache und alle anderen Fragen werfen, die zu einem besseren Verständnis des Wortes der Erlösung beitragen. Aus diesem Grund empfinden wir große Genugtuung über die Tatsache, dass die Vertrauenswürdigkeit des Lukas als Historiker, abgesehen von der Tatsache der Inspiration, durch die jüngsten Untersuchungen in höchstem Maße bestätigt worden ist.

    Vor einigen Jahren oder Jahrzehnten, vor allem zu der Zeit, als die rationalistische theologische Literatur den Höhepunkt ihrer Flut erreicht hatte und ihre Kritik von einem großen Teil der Christenheit fraglos akzeptiert wurde, gab es mehrere Anschuldigungen gegen Lukas als Historiker. Es wurde behauptet, dass sein Bericht über die Geburt unseres Herrn mehrere Fehler enthielt.[54] Zypern sei zur Zeit des Apostels Paulus eine Prätorianer- und keine Konsularprovinz gewesen, weshalb Sergius Paulus fälschlicherweise Prokonsul genannt worden sei. Es wurde behauptet, dass Lukas' geografische Kenntnisse über Kleinasien äußerst unklar gewesen sein müssen, um es milde auszudrücken, dass er nicht wusste, zu welcher Provinz die verschiedenen Städte gehörten, und dass seine geografischen Notizen daher völlig unzuverlässig waren. Es wurde behauptet, dass es ein offensichtlicher Fehler war, die Stadt Philippi als Kolonie zu bezeichnen.

    Aber in jedem einzelnen Punkt wurde der heilige Schriftsteller so vollständig gerechtfertigt, dass die Gegner gezwungen sind, sich in völliger Unehre zurückzuziehen. Dies ist dem unermüdlichen Eifer und den unermüdlichen Anstrengungen einer Reihe von Gelehrten zu verdanken, darunter Duchesne und Collignon, Hamilton, Waddington, vor allem aber Sterret in seinem Buch Epigraphical Journey in Asia Minor von 1884 und Sir W. M. Ramsay, in seiner Reihe von Monographien, unter denen die Historische Geographie Kleinasiens, St. Paulus der Reisende und römische Bürger, Pauline and Other Studies, Was Christ Born in Bethlehem, The Cities of St. Paul, und The Bearing of Recent Research on the Trustworthiness of the New Testament zu nennen sind. Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden von Cobem in seinem Werk The New Archeological Discoveries (Die neuen archäologischen Entdeckungen) treffend zusammengefasst.

    Die Tatsache, dass Sergius Paulus nicht Prätor, sondern Prokonsul von Zypern war, ist sowohl direkt als auch indirekt bewiesen worden, wie oben erwähnt. Die Tatsache, dass Paulus auf dem Weg nach Ikonium den Bezirk Lykaonien betreten hatte und dass diese Stadt verwaltungstechnisch gesehen zu den Städten Südgalatiens gezählt wurde, hat eine Bestätigung erhalten, die jeden vernünftigen Zweifel ausräumt. Die Tatsache, dass Philippi zur Zeit des heiligen Paulus eine Kolonie war, wurde durch den Fund einer Münze bewiesen, auf der diese Tatsache vermerkt ist, kurzum, die Steine schreien geradezu danach, den biblischen Bericht und die Wahrheit der Evangeliumsgeschichte zu rechtfertigen, wovon sich jeder selbst überzeugen kann, der sich die angenehme Mühe macht, die oben genannten Bücher zu konsultieren. Und jede neue Entdeckung, die ein weiteres Zeugnis für die Wahrheit des biblischen Berichts liefert, trägt dazu bei, den Widersprechern das Maul zu stopfen, wenn nicht gar sie von der Wahrheit der Schrift zu überzeugen, und so wird die Herrlichkeit des erhöhten Christus weiter erhöht.

 

 

Kapitel 15

 

Die Versammlung in Jerusalem (15,1-35)

    1 Und etliche kamen herab von Judäa und lehrten die Brüder: Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst nach der Weise Moses, so könnt ihr nicht selig werden. 2 Da sich nun ein Aufruhr erhob, und Paulus und Barnabas nicht einen geringen Zank mit ihnen hatten, ordneten sie, dass Paulus und Barnabas und etliche andere aus ihnen hinaufzögen nach Jerusalem zu den Aposteln und Ältesten um dieser Frage willen. 3 Und sie wurden von der Gemeinde geleitet und zogen durch Phönizien und Samarien und erzählten den Wandel der Heiden und machten große Freude allen Brüdern. 4 Da sie aber hinkamen nach Jerusalem, wurden sie empfangen von der Gemeinde und von den Aposteln und von den Ältesten. Und sie verkündigten, wieviel Gott mit ihnen getan hatte.

    5 Da traten auf etliche von der Pharisäer Sekte, die gläubig waren geworden und sprachen: Man muss sie beschneiden und gebieten, zu halten das Gesetz Moses. 6 Aber die Apostel und die Ältesten kamen zusammen, diese Rede zu besehen. 7 Da man sich aber lange gezankt hatte, stand Petrus auf und sprach zu ihnen: Ihr Männer, liebe Brüder, ihr wisst, dass Gott lange vor dieser Zeit unter uns erwählt hat, dass durch meinen Mund die Heiden das Wort des Evangeliums hörten und glaubten. 8 Und Gott, der Herzenskündiger, zeugte über sie und gab ihnen den Heiligen Geist gleichwie auch uns. 9 Und machte keinen Unterschied zwischen uns und ihnen und reinigte ihre Herzen durch den Glauben. 10 Was versucht ihr denn nun Gott mit Auflegen des Jochs auf der Jünger Hälse, welches weder unsere Väter noch wir haben können tragen? 11 Sondern wir glauben, durch die Gnade des HERRN Jesus Christus selig zu werden gleicherweise wie auch sie. 12 Da schwieg die ganze Menge stille und hörte zu Paulus und Barnabas, die da erzählten, wie große Zeichen und Wunder Gott durch sie getan hatte unter den Heiden.

    13 Danach, als, sie geschwiegen hatten, antwortete Jakobus und sprach: Ihr Männer, liebe Brüder, hört mir zu! 14 Simon hat erzählt, wie aufs erste Gott heimgesucht hat und angenommen ein Volk aus den Heiden zu seinem Namen. 15 Und damit stimmen der Propheten Reden, wie geschrieben steht: 16 Danach will ich wiederkommen und will wieder bauen die Hütte Davids, die zerfallen ist, und ihre Lücken will ich wieder bauen und will sie aufrichten, 17 auf dass, was übrig ist von Menschen, nach dem HERRN frage, dazu alle Heiden, über welche mein Name genannt ist, spricht der HERR, der das alles tut. 18 Gott sind alle seine Werke bewusst von der Welt her. 19 Darum beschließe ich, dass man denen, so aus den Heiden zu Gott sich bekehren; nicht Unruhe mache, 20 sondern schreibe ihnen, dass sie sich enthalten von Unsauberkeit der Abgötter und von Hurerei und vom Erstickten und vom Blut. 21 Denn Mose hat von langen Zeiten her in allen Städten, die ihn predigen, und wird alle Sabbattage in den Synagogen gelesen:

    22 Und es dünkte gut den Aposteln und Ältesten samt der ganzen Gemeinde, aus ihnen Männer zu erwählen und zu senden nach Antiochien mit Paulus und Barnabas, nämlich Judas, mit dem Zunamen Barsabas, und Silas, welche Männer Lehrer waren unter den Brüdern. 23 Und sie gaben eine folgende Schrift in ihre Hand: Wir, die Apostel und Ältesten und Brüder, wünschen Heil den Brüdern aus den Heiden, die zu Antiochien und Syrien und Zilizien sind. 24 Dieweil wir gehört haben, dass etliche von den Unseren sind ausgegangen und haben euch mit Lehren irregemacht und eure Seelen zerrüttet und sagen, ihr sollt euch beschneiden lassen und das Gesetz halten, welchen wir nichts befohlen haben, 25 hat es uns gut gedünkt, einmütig versammelt, Männer zu erwählen und zu euch zu senden mit unsern Liebsten; Barnabas und Paulus, 26 welche Menschen ihre Seelen dargegeben haben für den Namen unsers HERRN Jesus Christus. 27 So haben wir gesandt Judas und Silas, welche auch mit Worten dasselbe verkündigen werden. 28 Denn es gefällt dem Heiligen Geist und uns, euch keine Beschwerung mehr aufzulegen als nur diese nötigen Stücke, 29 dass ihr euch enthaltet vom Götzenopfer und vom Blut und vom Erstickten und von Hurerei, von welchen, so ihr euch enthaltet, tut ihr recht. Gehabt euch wohl!

    30 Da diese abgefertigt waren, kamen sie nach Antiochien und versammelten die Menge und überantworteten den Brief. 31 Da sie den lasen, wurden sie des Trostes froh. 32 Judas aber und Silas, die auch Propheten waren, ermahnten die Brüder mit vielen Reden und stärkten sie. 33 Und da sie verzogen eine Zeitlang, wurden sie von den Brüdern mit Frieden abgefertigt zu den Aposteln. 34 Es gefiel aber Silas, dass er dabliebe. 35 Paulus aber und Barnabas blieben in Antiochien, lehrten und predigten des HERRN Wort samt vielen anderen.

 

    Die Frage wegen der Beschneidung (V. 1-4): Die christlichen Gemeinden in Palästina und Syrien erfreuten sich jetzt einer Zeit des äußeren Friedens und Wohlstands, und deshalb beschloss der Satan, der Zwietracht sät, innere Zwietracht zu säen, und richtete damit einen schweren Schaden an. Unter den Beschneidern in Jerusalem hatte es eine gewisse Unzufriedenheit über das Vorgehen des Petrus gegeben, als er in das Haus des Kornelius eintrat, Kap. 11,2.3. Damals war die Angelegenheit zufriedenstellend geregelt worden, als Petrus die Fakten des Falles erzählte. Aber es scheint, dass einige Glieder der Kirche seither wieder unruhig geworden waren, da ihre jüdischen Vorurteile nicht in der Lage waren, sich mit den Bedingungen zufrieden zu geben. Einige von ihnen machten sich, wie es scheint, absichtlich auf die Reise nach Antiochia in Syrien und brachten diese Meinung nicht nur zum Ausdruck, sondern begannen zu lehren und bemühten sich nach Kräften, den Brüdern der Gemeinde ihre Lehre aufzuzwingen, indem sie erklärten, dass sie nicht gerettet werden könnten, wenn sie nicht die Beschneidung nach dem Brauch des Mose erhielten. Damit machten sie die Beschneidung, ein alttestamentliches Sakrament, zu einer Bedingung für die Errettung im Neuen Testament. Natürlich löste diese Angelegenheit eine sehr hitzige Kontroverse und Diskussion aus, denn Paulus und Barnabas konnten angesichts eines solch offenen Angriffs auf ihr Werk in Antiochia, auf Zypern und in Kleinasien unmöglich schweigen. Die judaisierenden Lehrer waren also allein für den drohenden Unfrieden verantwortlich; sie begannen die Befragung und den Streit. Es ist schwer zu ermessen, in welcher Not und Verwirrung sich die Brüder während des Streits befunden haben müssen. Mit solch erbittertem Nachdruck beharrten die Männer aus Judäa auf ihrem Standpunkt, dass es Paulus und Barnabas nicht gelang, sie zum Schweigen zu bringen. So beschloss und bestimmte die Gemeinde schließlich, dass Paulus und Barnabas und einige andere Männer aus ihrer Mitte die Reise nach Jerusalem antreten sollten, um diese Streitfrage nach Möglichkeit zu schlichten. Paulus und Barnabas wurden also von der Gemeinde in Antiochia beauftragt und handelten als deren Delegierte. Zu ihren Begleitern gehörte Titus, Gal. 2,1.3. Anmerkung: Bei diesem Vorgehen der nördlichen Gemeinde handelte es sich nicht um eine Berufung an ein höheres Gericht oder gar an eine Vertretungskörperschaft, sondern einfach um eine Mission oder Delegation einer an sich unabhängigen und selbständigen Gemeinde an eine andere, gleichrangige Gemeinde. Nachdem sie von ihrer Gemeinde auf ihrer Reise unterstützt worden waren, und zwar höchstwahrscheinlich in der Weise, dass die Mitglieder sie ein Stück weit begleiteten, was sowohl die Feierlichkeit des Anlasses als auch das Interesse der Brüder an der Sache unterstrich, reiste die kleine Gruppe langsam an der Küste entlang durch Phönizien und durchquerte dann Samaria in Richtung Südosten. Wo immer sie auf Brüder trafen, berichteten sie ihnen ausführlich von der Bekehrung der Heiden, wie sie sie erlebt und bezeugt hatten. Und überall fanden sie wohlwollende Zuhörer, denen ihre Erzählung von der wunderbaren Barmherzigkeit des Herrn große Freude bereitete. Als sie sich Jerusalem näherten, ließen sie eine Reihe von Gemeinden hinter sich, in denen die Herzen in reiner Freude über das Wunder seiner Erlösung für alle Menschen zum Herrn erhoben waren. Bei ihrer Ankunft in Jerusalem wurden Paulus und seine Gefährten von der ganzen Gemeinde empfangen, ebenso von den Aposteln, die damals in der Hauptstadt anwesend waren, und von den Ältesten der örtlichen Körperschaft, und sie erstatteten einen vollständigen Bericht, in dem sie erzählten, wie viele und wie große Dinge Gott mit ihnen als seinen Werkzeugen der Gnade und in ihrem Namen getan hatte, indem sie das Wort bezeugten, wie es von ihnen gepredigt wurde.

 

    Die Forderung der früheren Pharisäer und die Antwort des Petrus (V. 5-12): Die Dinge schienen sich sehr gut zu regeln, als sich eine Opposition entwickelte. Einige Männer, die früher der Sekte der Pharisäer angehört hatten, waren durch die Beweise des Evangeliums überwunden worden und hatten Jesus im wahren Glauben angenommen. Aber einige ihrer früheren Vorstellungen von der Notwendigkeit, das Gesetz zu halten, blieben bestehen. Diese erhoben sich nun in der Versammlung und vertraten mit großem Nachdruck ihre Meinung, nämlich dass es für alle Bekehrten unter den Heiden absolut notwendig sei, sich beschneiden zu lassen und das Gesetz des Mose, d.h. das Zeremonialgesetz, zu befolgen, wie es das Volk Gottes im Alten Testament betraf. Es ist dieselbe falsche und gefährliche Lehre, die zu allen Zeiten in der Kirche aufgetaucht ist, nämlich dass das Halten des Gesetzes eine wesentliche Voraussetzung für die Erlangung des Heils sei. Dies war ein sehr ernster Einwand, ein Misston in der Harmonie der Versammlung, und zwar so ernst, dass die Versammlung sich vertagte, um zu einem anderen Zeitpunkt erneut zusammenzukommen. Als die Versammlung, die Apostel und Ältesten, zusammen mit der ganzen Gemeinde, V. 12.22.25, wieder zusammenkamen, geschah dies mit dem ausdrücklichen Ziel, diese Angelegenheit genau zu untersuchen und zu einer definitiven Schlussfolgerung in Bezug auf die drohende Uneinigkeit zu gelangen. Die Versammlung begann nicht sehr verheißungsvoll. Es gab eine hitzige Debatte mit vielen spitzen Fragen, und die pharisäische Partei bestand darauf, dass ihre Meinung akzeptiert wurde. Doch nachdem diese Diskussion einige Zeit gedauert hatte, stand Petrus auf und ergriff das Wort. In einer vollkommen kühlen und sachlichen Weise legte er seine Ansichten dar. Er wandte sich an die Versammlung als "Männer und Brüder" und erinnerte sie daran, dass sie herausgefunden hatten und sich daher der Tatsache voll bewusst waren, dass Gott seit den frühesten Tagen, ja fast seit der Gründung der Kirche, beschlossen hatte, dass die Heiden durch seinen, des Petrus, Mund das Wort des Evangeliums hören und zum Glauben kommen sollten. Er verwies auf die Demonstration, die der Herr im Fall von Kornelius gab. Damals hatte Gott, der das Herz und den Verstand aller Menschen kennt, Kap. 1,24, ein Zeugnis für die Heiden abgelegt, indem er ihnen den Heiligen Geist gab, so wie er ihn den Aposteln und den anderen jüdischen Jüngern gegeben hatte. Gott hatte keinen Unterschied, keine Unterscheidung zwischen Juden und Heiden gemacht, sondern den letzteren die volle Reinheit des Herzens durch den Glauben gegeben. Obwohl sie unbeschnitten waren, war ihnen der Geist ebenso zuteil geworden wie denen, die zur Beschneidung gehörten. Die äußere Reinigung, die mit dem jüdischen Ritus einherging, wird hier der vollen und vollständigen Reinigung des Herzens gegenübergestellt, die dem Glauben an Jesus, den Erlöser, folgt. „Deshalb ist dieser Glaube, von dem der Apostel spricht, nicht eine einfache Kenntnis der Geschichte, sondern ein starkes, mächtiges Werk des Heiligen Geistes, das die Herzen verändert.“[55] Da diese Dinge wahr sind, argumentiert Petrus, warum sollten sie Gott versuchen, warum sollten sie ihn auf die Probe stellen, warum sollten sie seine Geduld und Nachsicht auf die Probe stellen, indem sie andeuten, dass er unwürdige Mitglieder in seine Kirche aufgenommen hat? Warum sollten sie diesem Volk, das Gott ohne den jüdischen Ritus aufgenommen hatte, ein Joch auf den Hals legen wollen, das Joch des Zeremonialgesetzes, das weder ihre Väter noch sie selbst hatten tragen können? Die detaillierten Vorschriften, die selbst die kleinsten Handlungen des täglichen Lebens regeln, hatten sich für alle Juden stets als schwere Last erwiesen, und es wäre falsch, diese Last auf die Heiden zu übertragen. Und dieses Argument war umso stichhaltiger, als sie alle, Juden wie Heiden, hofften, durch Gnade gerettet zu werden, durch die unverdiente Gnade des Herrn Jesus Christus. Jede Regel und Ordnung, die die Verdienste und Werke des Menschen hervorhebt, würde natürlich von der Herrlichkeit der freien Gnade des Herrn ablenken und die Errettung selbst in Frage stellen. Die Argumente des Petrus waren unwiderlegbar und veranlassten die Gegner, zu schweigen. Außerdem wurde die allgemeine Debatte nicht wieder aufgenommen, denn nun ergriffen Barnabas und Paulus das Wort, und die ganze Menge hörte ihnen zu, als sie erzählten, wie viele und wie große Zeichen und Wunder Gott durch sie unter den Heiden getan hatte. Man beachte, dass Lukas hier wieder den Namen Barnabas an die erste Stelle setzt. Es war Paulus, der mit dem Zauberer Elymas gesprochen hatte; es war Paulus, der den Lahmen in Lystra geheilt hatte; und es fiel natürlich Barnabas zu, diese Tatsachen zu berichten. Indem er das Wort des Evangeliums unter den Heiden auf diese Weise bestätigte, als Paulus und Barnabas die Heiden einluden und sie in Gemeinden organisierten, ohne ihnen die Forderungen der mosaischen Gesetzgebung aufzuerlegen, gab der Herr einen Beweis für seine Billigung der Arbeit und betonte das Evangelium der freien Gnade in Christus Jesus.

 

    Der Vorschlag des Jakobus (V. 13-21): Als Barnabas und Paulus ihre Erzählung über den Erfolg ihrer Arbeit beendet hatten, konnten die Zuhörer keinen anderen Eindruck haben, als dass die Bekehrung der Heiden ein Werk Gottes war und dass ihre Nachfolge, auch ohne die Einhaltung des Zeremonialgesetzes, notwendigerweise für ihn annehmbar sein musste. Nachdem nun niemand mehr um das Wort gebeten hatte, erhob sich Jakobus, d.h. Jakobus der Gerechte, der Bruder des Herrn, eine der Säulen der Gemeinde in Jerusalem, nach allgemeinem Zeugnis ihr Haupt nach dem Weggang der Apostel, und fügte den von den Vorrednern vorgetragenen Tatsachen den Beweis prophetischer Voraussage hinzu. Er bat die Zuhörer, aufmerksam zuzuhören, und eröffnete seine Ausführungen mit einem Hinweis auf den Bericht des Petrus: Simeon hat erklärt, auf welche Weise Gott von Anfang an beschlossen hat, aus den Heiden ein Volk zu gewinnen, das seinem Namen zur Ehre und zum Lob seines heiligen Namens dient und nach seinem Namen als seine Kinder berufen wird. Mit dieser Tatsache stimmen die Worte der Propheten überein. Obwohl Jakobus nur einen der Propheten zitiert, kann er entweder den Haken der Propheten im Sinn gehabt oder angedeutet haben, dass die anderen Propheten ähnliche Aussagen machen. Er zitiert die Worte Amos 9,11.12 nach der griechischen Übersetzung. Dort hatte der Herr versprochen, nach dieser Zeit wiederzukommen, zu der von ihm festgelegten Zeit in der Zukunft. Er würde dann das Zelt Davids, das zerstört und niedergerissen worden war, neu aufbauen, wieder aufrichten. Er spricht von der alttestamentlichen Kirche nicht als dem Haus Davids, wie an anderen Stellen, sondern als einem Zelt, einer Bude, einer Hütte, die zerfallen und verfallen war. Aber diese Hütte, die wie von einem Sturm niedergeworfen am Boden lag, wollte der Herr neu aufbauen und wieder aufrichten als die Hütte des Neuen Testaments. Dieser Wiederaufbau der Ruinen geschah in und durch Jesus Christus, damit die Übriggebliebenen des Volkes den Herrn am eifrigsten suchten, damit die übrigen Menschen, d. h. alle Heiden, ohne Ansehen der Person und der Werke, alle, über die sein Name in der Verkündigung des Evangeliums ausgesprochen wird, danach strebten, die Segnungen des Herrn zu besitzen. Es war dieser Herr, der all diese Dinge tat, und die Art und Weise, wie er sie ausführte, war nicht zu übersehen. Denn er hatte nicht die Angewohnheit, irgendeines seiner Werke willkürlich auszuführen, sondern er hatte von Anfang der Welt an nach bestimmten Plänen gearbeitet. Und er hatte diese Tatsachen von alters her, von Anbeginn der Welt, bekannt gemacht. Auf der Grundlage dieser klaren prophetischen Aussage, deren Erfüllung nach den Berichten an die Versammlung niemand mehr leugnen konnte, wagte Jakobus nun eine Stellungnahme, nicht unbedingt als Vorsitzender der Versammlung, sondern als Redner, der das Ergebnis seiner Überlegungen in Form einer Entschließung vorträgt. Er stellte den Antrag, dass sie die Menschen unter den Heiden, die sich zu Gott bekehrten und von ihm im Glauben angenommen worden waren, in keiner Weise beunruhigen oder belästigen sollten. Aber er schlug vor, ihnen Briefe zu schicken, in denen sie vor der Verunreinigung durch Götzenanbetung, vor Unzucht, vor dem Verzehr von Fleisch erwürgter Tiere und vor dem Verzehr von Blut gewarnt werden sollten, denn zur Götzenanbetung gehörten auch götzendienerische Feste, bei denen Fleisch serviert wurde, das falschen Göttern geopfert worden war. Bis zu einem gewissen Grad wurden die Sünden gegen das Sechste Gebot auch in Verbindung mit den Götzentempeln begangen, obwohl diese Sünden auch sonst weit verbreitet waren und es tatsächlich zu namenlosen Verstößen gegen das christliche Reinheitsgebot kam. Das ist der Wille Gottes an die Christen aller Zeiten, dass sie Unzucht und alle Unreinheit meiden und von der Welt und ihren Lüsten, einschließlich der unreinen, götzendienerischen Freuden und Genüsse der Welt, unbefleckt bleiben. Aber dass Jakobus das Verbot des Verzehrs von Tieren, die ohne Blutverlust betäubt oder erwürgt worden waren, und das des Blutes selbst, 3. Mose 17,13; 5. Mose 12,16.23; 15,23, geschah aus einem anderen Grund. Diese Praktiken waren im Alten Testament verboten und galten den Juden als besonders abscheulich, als ein Gräuel vor dem Herrn. Und da die Judenchristen dieses Gefühl der Abscheu und des Ekels noch nicht ablegen konnten, dürften die Heidenchristen nach Ansicht von Jakobus in diesem Fall durchaus Rücksicht auf ihre jüdischen Geschwister nehmen. Die christliche Nächstenliebe verlange dies, vor allem, wenn die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen würden. Jakobus fügte zum Abschluss seiner Rede hinzu, dass Mose von alters her in allen Städten Männer hatte, die ihn in den Synagogen verkündeten, da er an jedem Sabbat im Gottesdienst gelesen wurde, das heißt, seine Bücher wurden im Gottesdienst gelesen und erklärt. Es bestand also die Gefahr, dass diese mosaischen Bräuche überall bekannt sein würden und ihre Nichtbeachtung Anstoß erregen könnte, als ob der Heilsweg des Neuen Testaments anders wäre als der des Alten. Dann bestand auch die Gefahr, dass der Verkehr zwischen Juden- und Heidenchristen völlig zum Erliegen käme, wenn letztere nicht bereit wären, um der Nächstenliebe willen ein Dekret zu befolgen, das eine brüderliche Gemeinschaft ermöglichen würde. Und schließlich brauchten diejenigen, die noch an der äußerlichen Einhaltung der mosaischen Bräuche festhielten, nicht besorgt zu sein, da Mose zu dieser Zeit noch gelesen wurde. Jakobus wusste sehr wohl, dass sich dies mit der Zeit ändern würde, aber er schlug nicht vor, die Angelegenheit durch taktlose Eile zu erzwingen. Anmerkung: Der Entwurf, den Jakobus vorlegte, war kein Kompromissbeschluss, wie behauptet wurde. Er war nicht der Meinung, dass die Heidenchristen tatsächlich nicht mit dem gesamten Gesetz des Mose belastet werden sollten, sondern nur mit bestimmten Vorschriften. Selbst das kleinste Teilchen des mosaischen Gesetzes, das ihnen als Heilsbedingung auferlegt worden wäre, hätte den Christen den Glauben an die freie Gnade und Barmherzigkeit des Erlösers genommen. Sein Vorschlag war lediglich ein Vorschlag um der christlichen Ordnung willen, nicht um gläubige Herzen zu belasten, sondern um das Problem zu vereinfachen, zwei Rassen in denselben Gemeinden zu vereinen, ohne die Gefahr ständiger Reibungen. Diese Anweisungen betrafen nicht den Weg des Heils, denn diesen hatten die Heidenchristen aus dem Evangelium gelernt.

 

    Die Beschlüsse der Versammlung (V. 22-29): Die Rede von Jakobus beendete die Diskussion. Die Opposition konnte sich gegen diese klare Darstellung nicht durchsetzen. Die Art und Weise, wie diese Versammlung vorgegangen ist, dient bis zum heutigen Tag als Beispiel. Wenn es in einer Gemeinde oder in einer kirchlichen Körperschaft Meinungsverschiedenheiten gibt, insbesondere wenn es um eine christliche Lehre geht, ist es Sache der Christen, diese in Versammlungen, in Gemeinde- oder Synodenversammlungen, zu erörtern und zu klären. Und das Wort Gottes entscheidet alle Fragen. Wenn ein Punkt der Lehre in der Heiligen Schrift klar dargelegt ist, dann werden alle guten Christen gerne der Wahrheit zustimmen und den Irrtum zurückweisen. Nachdem die Angelegenheit in Jerusalem geklärt war, beschlossen die Apostel und Ältesten zusammen mit der ganzen Gemeinde, Männer aus ihrer Mitte zu wählen und sie mit Paulus und Barnabas nach Antiochia zu schicken: Die Wahl fiel auf zwei Männer, die unter den Brüdern bekannt waren, nämlich Judas Barsabas und Silas (letzterer ist entweder identisch mit dem Silvanus aus 2. Kor. l,19 oder mit Tertius, Röm. 16,22). Diese Vertreter oder Delegierten der Gemeinde waren mit entsprechenden Beglaubigungsschreiben ausgestattet, die nicht nur an die Gemeinde in Antiochia, sondern auch an die in ganz Syrien und Zilizien gerichtet waren, den Provinzen, in denen die Kontroverse zu dieser Zeit wahrscheinlich bekannt war. Die Apostel und Ältesten und Brüder lehnten zunächst jede Verantwortung für die Worte jener Männer ab, die behaupteten, aus der Gemeinde in Jerusalem zu kommen, und die die Brüder mit ihrer Lehre beunruhigt und verunsichert und ihre Seelen durch die unerlaubten Aussagen über die Notwendigkeit der Beschneidung und die Notwendigkeit, das Gesetz zu halten, verstört hatten. Diese Irrlehrer hatten ohne die Autorität und das Gebot der Muttergemeinde gehandelt, ganz und gar willkürlich. Deshalb hatte die Versammlung in Jerusalem, die durch die Absender des Briefes vertreten wurde, beschlossen, Männer zu wählen und sie mit ihren eigenen Abgesandten, Paulus und Barnabas, nach Antiochia zu schicken, da sie nun einer Meinung waren. Die beiden letztgenannten Männer werden hoch angesehen und gepriesen als Männer, die ihre Seele geopfert, ihr Leben riskiert haben für den Namen des Herrn Jesus Christus, in den Verfolgungen, die über sie gekommen waren, waren diese Männer in jeder Hinsicht Märtyrer, obwohl der Herr ihr Leben verschont hatte. Solche Männer werden in der Kirche auch heute noch gebraucht, Missionare, die bereit sind, sich mit all ihren Gaben, Fähigkeiten und Kräften in den Dienst des Herrn zu stellen. Judas und Silas waren die Delegierten aus Jerusalem in dieser Angelegenheit, und sie waren gut qualifiziert, ohne den Verdacht der Voreingenommenheit zu erklären, was auch immer in dem schriftlichen Dokument für irgendjemanden undurchsichtig erscheinen mag. Und dann wird der Beschluss gefasst. Sie war dem Heiligen Geist und der ganzen Gemeinde, durch die der Heilige Geist seinen Willen kundgetan hatte, richtig und angemessen erschienen. Der Heilige Geist, der durch das Wort sprach, war wirklich der Urheber des Beschlusses, aber die Gemeinde zeigte durch die Äußerung seines Wohlgefallens, dass sie durchaus bereit war, die Entscheidung zu akzeptieren, obwohl sie selbst der jüdischen Rasse angehörte. Den Heidenchristen sollte keine zusätzliche Last auferlegt werden; sie sollten nicht dem mosaischen Gesetz unterworfen werden, aber sie sollten sich verpflichtet fühlen, sich dieser notwendigen Regel zu unterwerfen, sich von Götzenopferfleisch, vom Essen von Blut, vom Fleisch erwürgter Tiere und von Unzucht, von sexuellem Laster in jeglicher Form zu enthalten. Der Beschluss wurde also praktisch so gefasst, wie er von Jakobus vorgeschlagen wurde. Wenn die Heidenchristen diesen Auftrag annehmen würden, würden sie zum Teil den Willen des Herrn, wie er im Sittengesetz enthalten ist, und zum Teil die Forderungen der Nächstenliebe erfüllen. Auf jeden Fall würde es ihnen gut tun, denn der Friede und die Eintracht, die dadurch in den verschiedenen christlichen Gemeinschaften entstehen würden, lägen in ihrem eigenen Interesse. Der Brief schloss mit dem üblichen Abschiedsgruß. Anmerkung: Das so genannte Konzil von Jerusalem war in keiner Weise ein allgemeines Konzil und bietet keine Grundlage für hierarchische Ansprüche. „Das so genannte Konzil von Jerusalem ähnelte in keiner Weise den allgemeinen Konzilien der Kirche, weder in seiner Geschichte, noch in seiner Verfassung, noch in seinem Ziel. Es war keine Versammlung geweihter Delegierter, sondern eine Versammlung der gesamten Kirche von Jerusalem, die eine Delegation aus der Kirche von Antiochia empfing.“[56] Die Resolution der Versammlung ist sehr bedeutsam in ihrer klaren Aussage über die evangelische Freiheit und die Ablehnung von Werken. „Dieser Punkt ist gut markiert, denn darin ist alles enthalten. Die Entschließung ... lautet wie folgt: Das Gesetz des Mose soll den Jüngern aus den Heiden nicht auferlegt werden, sondern sie sollen gelehrt werden, durch den Glauben gerettet zu werden, ohne das Gesetz des Mose. Hier beobachte, ob sie nicht Lehren von Menschen über das Wort Gottes stellen oder sich selbst darüber erheben; ja, sei vorsichtig, denn sie stellen nichts anderes auf als den wahren Hauptteil der christlichen Lehre, nämlich den Glauben und die christliche Freiheit, und sie wachen mit großem Ernst darüber, dass den Jüngern nicht eine größere Last auferlegt wird. Es soll ihnen aber erlaubt sein, im Glauben zu bleiben, wie Christus lehrt und vom Himmel durch den Heiligen Geist bestätigt wurde.“[57]

 

    Die Abgesandten in Antiochia (V. 30-35): Nachdem die Delegierten der Gemeinde in Jerusalem ihre Beglaubigungsschreiben erhalten hatten, wurden sie zusammen mit Paulus und Barnabas in brüderlicher Liebe und wahrscheinlich nach einem besonderen Abschiedsgottesdienst weggeschickt; denn die Apostel und Ältesten waren sich der Bedeutung ihrer Mission wohl bewusst. Die ganze Gruppe ging nach Antiochia hinunter und legte die gesamte Strecke auf dem Landweg zurück. Dort beriefen sie eine Versammlung der Schar, der ganzen Gemeinde, ein und übergaben den Brief feierlich. Und als die Brüder, die von den judaisierenden Lehrern so sehr beunruhigt worden waren, die Mitteilung gelesen hatten, freuten sie sich sehr über den Trost, den er ihnen brachte. Die ganze Gemeinde, die von dem Gefühl der Bedrückung, das sie in den letzten Wochen niedergedrückt hatte, befreit war, begrüßte die Erleichterung des Briefes mit Freude. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch Judas und Silas, die, da sie selbst Propheten waren und somit von Gott mit außerordentlichen Gaben der Anwendung des Trostes des Evangeliums ausgestattet waren, die Brüder persönlich mit manchem Wort des Rates ermutigten und sie zu festem Vertrauen auf das Wort und Werk des Herrn zurückführten. Als Ergebnis dieser Mission wurde deutlich gezeigt, dass der Herr aus Juden und Heiden einen einzigen Leib gemacht hat, die heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen. Nachdem sie einige Zeit inmitten der Gemeinde in Antiochia verbracht hatten, wurden die Abgesandten aus Jerusalem von den Brüdern in Frieden und in vollkommener Harmonie entlassen, um zu denen zurückzukehren, die sie entsandt hatten. So fand die Einheit des Geistes ihren angemessenen Ausdruck in der guten brüderlichen Beziehung, die zwischen diesen beiden Gemeinden bestand, die sich als eins im Herrn wussten. Die Möglichkeiten zur Missionierung waren in Antiochia keineswegs erschöpft, was Paulus und Barnabas dazu veranlasste, in Antiochia zu bleiben und dort einige Zeit ernsthaft zu arbeiten, indem sie privat lehrten, wo immer sie Katechumenen fanden, und öffentlich das Evangelium verkündeten. Und bei dieser Arbeit waren sie nicht allein, sondern fanden in anderen, die ebenfalls von der Liebe Christi dazu gedrängt wurden, in seinem Interesse Zeugnis abzulegen und sein Wort zu verkünden, fähige Helfer. Auf diese Weise wurde der Frieden vollständig wiederhergestellt, und die Gemeinde kehrte bald zu ihrem früheren Zustand des ruhigen Wachstums zurück. Durch die Gnade Gottes werden Perioden der Unruhe in einer Gemeinde die Christen eifriger im Gebet, eifriger für die Sache des Herrn und fester im Wort der Gnade machen.

 

Der Beginn der zweiten Missionsreise des Paulus (15,36-41)

    36 Nach etlichen Tagen aber sprach Paulus zu Barnabas: Lass uns wieder ziehen und unsere Brüder besehen durch alle Städte, in welchen wir des HERRN Wort verkündigt haben, wie sie sich halten. 37 Barnabas aber gab Rat, dass sie mit sich nähmen Johannes, mit dem Zunamen Markus. 38 Paulus aber achtete es billig, dass sie nicht mit sich nähmen einen solchen, der von ihnen gewichen war in Pamphylien und war nicht mit ihnen gezogen zu dem Werk. 39 Und sie kamen scharf aneinander, so dass sie voneinander zogen, und Barnabas zu sich nahm Markus und schiffte nach Zypern. 40 Paulus aber wählte Silas und zog hin, der Gnade Gottes befohlen von den Brüdern. 41 Er zog aber durch Syrien und Zilizien und stärkte die Gemeinden.

 

    Nach einigen Tagen, nachdem einige Zeit vergangen war, schlug Paulus Barnabas vor, dass sie zurückkehren, den Weg, den sie zurückgelegt hatten, wieder aufnehmen und die Brüder in jeder Stadt, in der sie das Wort des Herrn verkündet hatten, besuchen sollten, um zu sehen, wie es ihnen ging. Ein wahrer Missionar begnügt sich nicht mit der Organisation von Missionsstationen und Gemeinden, sondern ist auch an deren Aufbau und Wachstum in der geistlichen Erkenntnis interessiert. Der Vorschlag scheint Barnabas gefallen zu haben, aber als sie ihre Pläne bezüglich der Begleiter besprachen, riet er dringend, seinen Neffen Johannes Markus mitzunehmen, und bestand praktisch darauf. Aber wie selbst die besten Freunde in Fragen der Zweckmäßigkeit und der persönlichen Vorlieben unterschiedlicher Meinung sind, so war es auch hier. Paulus war der Meinung, dass es ihnen und ihrer Arbeit gegenüber nicht fair war, den jüngeren Mann mitzunehmen, dessen Abtrünnigkeit in Perga, Kap. 13,13, sie wahrscheinlich ernsthaft in Verlegenheit gebracht hatte. Paulus war vielleicht der Meinung, dass Markus noch nicht die nötige Reife und Charakterstärke für eine so schwierige Arbeit besaß. Die Meinungsverschiedenheiten gingen so weit, dass es zu einem ernsthaften Ausbruch von Ärger kam, der sie veranlasste, sich zu trennen. „Es besteht kaum ein Zweifel, dass bei dieser Gelegenheit harte Worte gefallen sind. Es ist unklug, die Worte der Heiligen Schrift vorschnell zu verwässern und selbst Apostel von der Schuld freizusprechen. .... Wir können jedoch nicht annehmen, dass Paulus und Barnabas wie Feinde in Zorn und Hass auseinandergingen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie eine bewusste und freundschaftliche Vereinbarung getroffen haben, um das Gebiet ihrer ersten Mission zwischen ihnen aufzuteilen, wobei Paulus den kontinentalen und Barnabas den insularen Teil der geplanten Visitation übernahm. Zumindest in diesem Punkt sind wir sicher, dass der Streit von der göttlichen Vorsehung zu einem guten Ergebnis überstimmt wurde. Ein Strom der Missionsarbeit wurde geteilt, und die Regionen, die durch das Wasser des Lebens gesegnet wurden, vervielfachten sich proportional.“[58] 58) Dass die Entfremdung nicht von Dauer war, geht aus der Tatsache hervor, dass Paulus Barnabas als einen Mitarbeiter am Reich Gottes bezeichnet, Kol. 4,11; 1. Kor. 9, 6, und dass er von Markus spricht, der ihm für den Dienst nützlich war, 2. Tim. 4,11. Aber die Brüder in Antiochien glaubten offenbar, dass Paulus im Recht war, denn als Barnabas Markus nahm und nach Zypern segelte, gab es keine besondere Verabschiedung, während Paulus, als er Silas, den Propheten aus Jerusalem, als seinen Begleiter wählte, von den Brüdern der Gnade des Herrn empfohlen wurde. Sehr wahrscheinlich gab es eine Versammlung der Gemeinde und einen Abschiedsgottesdienst wie bei der ersten Reise des Paulus. So verließ Paulus mit seinem Begleiter Antiochia auf dem Landweg, um die Gemeinden in Syrien und Zilizien zu besuchen, die entweder von einigen der zerstreuten Brüder nach der Hinrichtung des Stephanus oder von Paulus selbst zu einem Zeitpunkt gegründet worden waren, über den wir keine weiteren Angaben haben, Gal. 1,21. Wo immer die beiden Missionare hinkamen, bestätigten sie die Gemeinden, festigten sie im Glauben und im Vertrauen durch angemessene Unterweisung und Ermahnung. Besuche dieser Art sind zwangsläufig mit Segen für die besuchten Gemeinden verbunden.

 

Zusammenfassung: Wegen drohender Zwietracht durch judaisierende Brüder werden Paulus und Barnabas in die Gemeinde in Jerusalem entsandt, um sich beraten zu lassen; es findet eine Versammlung statt, deren Ergebnisse in einem Brief von Judas und Silas an die Brüder in Antiochia übermittelt werden; Paulus wählt nach einem Streit mit Barnabas Silas als seinen Begleiter auf seiner zweiten Reise.

 

 

 

 

 

Kapitel 16

 

Paulus und Silas in Kleinasien (16,1-10)

    1 Er kam aber nach Derbe und Lystra; und siehe, ein Jünger war dort mit Namen Timotheus, Sohn einer jüdischen Frau, die war gläubig, aber eines griechischen Vaters. 2 Der hatte einen guten Ruf bei den Brüdern unter den Lystranern und zu Ikonium. 3 Diesen wollte Paulus lassen mit sich ziehen und nahm und beschnitt ihn um der Juden willen, die an dem Ort waren; denn sie wussten alle, dass sein Vater war ein Grieche gewesen.

    4 Als sie aber durch die Städte zogen, überantworteten sie ihnen, zu halten den Spruch, welcher von den Aposteln und den Ältesten zu Jerusalem beschlossen war. 5 Da wurden die Gemeinden im Glauben befestigt und nahmen zu an der Zahl täglich. 6 Da sie aber durch Phrygien und das Land Galatien zogen, wurde ihnen gewehrt von dem Heiligen Geist, zu reden das Wort in Asien. 7 Als sie aber kamen nach Mysien, versuchten sie, durch Bithynien zu reisen; und der Geist ließ es ihnen nicht zu. 8 Da sie aber an Mysien vorüberzogen, kamen sie hinab nach Troas.

    9 Und Paulus erschien eine Vision [Gesicht] bei der Nacht: Da war ein Mann aus Mazedonien, der stand und bat ihn und sprach: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! 10 Als er aber das Gesicht gesehen hatte, da trachteten wir sogleich, zu reisen nach Mazedonien, gewiss, dass uns der HERR dahin berufen hätte, ihnen das Evangelium zu predigen.

 

    Timotheus, ein christlicher Jünger (V. 1-3): Paulus und Silas hatten Kleinasien in der äußersten südöstlichen Ecke durch den als Syrische Pforte oder Beilan-Pass bekannten Pass im Berg Amanus betreten. Von der kilikischen Tiefebene, wo Paulus möglicherweise Mopsuestia, Adam und Tarsus passierte, führte die Reise über das zerklüftete und wunderschöne Taurusgebirge und durch den Pass, der als Kilikische Pforte bekannt ist, hinauf in die große lykaonische Ebene. Da Derbe die nächstgelegene Stadt an der kilikischen Grenze war, wurde hier der erste Halt eingelegt. Aber der Apostel hielt sich offensichtlich in keiner der Städte, die er besuchte, lange auf, denn er hatte einen festen Plan im Kopf. Denn in Lystra, wo er auf der ersten Reise einige Zeit verbracht hatte und auch von der Menge gesteinigt worden war, Kap. 14,8-20, gab es einen Jünger namens Timotheus, der zu denen gehörte, die Paulus bei seinem letzten Besuch bekehrt hatte. Seine Mutter war eine Jüdin, die ihren Glauben behalten hatte, aber sein Vater war ein Grieche und offensichtlich kein Proselyt. Eheschließungen mit Heiden waren nach dem jüdischen Gesetz verboten (5. Mose 7,3; 2. Mose 34,16; Esra 10,2), aber das Verbot wurde nicht streng befolgt, vor allem nicht von den Juden außerhalb Palästinas, wo seit vielen Jahren Kolonien errichtet worden waren und wo sich die Juden an die Religion ihrer Mitbürger angepasst und alles andere als diese akzeptiert hatten. Hier waren Ehen von Jüdinnen mit einflussreichen Heiden durchaus keine Seltenheit. Timotheus war von Kindesbeinen an in der Heiligen Schrift unterwiesen worden, 2. Tim. 1,5; 3,14.15, und wie viele andere wahre Israeliten hatte er bald gelernt, die richtige Anwendung der Prophezeiungen auf Jesus Christus von Nazareth zu erkennen. Und nicht nur in seiner Heimatstadt Lystra, sondern auch in Ikonium war man von ihm sehr angetan, und die Brüder der Gemeinden hatten alle die allerhöchste Meinung von seinem christlichen Charakter. Diese und andere Qualitäten empfahlen den jungen Mann in den Augen des Paulus, der ihn als Begleiter und Helfer auf seiner Reise haben wollte, sehr hoch. Junge Männer, die in der christlichen Gemeinde einen guten Ruf haben, weil sie einen gesunden christlichen Charakter haben, und die auch sonst ihre Fähigkeit und Bereitschaft für die Arbeit zeigen, sind im Weinberg des Herrn sehr gefragt. Nachdem Paulus die notwendigen Vorkehrungen getroffen hatte, um Timotheus zu begleiten, vollzog er bei ihm zunächst den Ritus der Beschneidung. Das war vom Standpunkt der Schrift aus nicht nötig; es war bei der Versammlung in Jerusalem ausdrücklich abgelehnt worden und war auch bei Titus nicht geschehen, Gal. 2,3.4. Aber in diesem Fall bewies Paulus Takt und Weisheit. Die Juden in der ganzen Gegend, die Timotheus' Abstammung kannten, wären geneigt gewesen, an seinem Predigen und Dienen Anstoß zu nehmen und so sein Werk dort und anderswo zu behindern. So wurde Paulus ein Jude für die Juden und ein Grieche für die Griechen, damit er sowohl Juden als auch Griechen gewinne, 1. Kor. 9,20.21. Wo immer ein Christ, und besonders ein christlicher Prediger oder Missionar, in der Lage ist, eine Ursache des Ärgernisses zu beseitigen, ohne die Wahrheit des Evangeliums zu verleugnen, sollte er dies mit allen Mitteln tun, denn es kann bedeuten, Seelen für Christus zu gewinnen.

 

    Durch Kleinasien nach Troas (V. 4-8): Der Eifer des Paulus kannte weder Müdigkeit noch Ruhe; er war stets für seinen Herrn tätig. Als er durch die Städte reiste, in denen Gemeinden durch seine eigenen Bemühungen oder die von Jüngern, die Missionare geworden waren, gegründet worden waren, überbrachten er und seine Gefährten ihnen alle Beschlüsse, die von den Aposteln und Ältesten in Jerusalem gefasst worden waren. Alle Gemeinden wurden ermahnt, diese Beschlüsse zu befolgen, obwohl sie nur an die Gemeinden in Syrien und Zilizien gerichtet waren. Die Einheitlichkeit der Praxis, vor allem in so wichtigen Angelegenheiten, ist für Gemeinden desselben Bekenntnisses sehr zu empfehlen. Auf diese Weise wurden die Gemeinden überall im Glauben gefestigt; die ermutigenden Ermahnungen des Apostels und seiner Gefährten stärkten ihren Glauben. Und ein zweites Ergebnis der Visitation war, dass die Gemeinden von Tag zu Tag zahlreicher wurden. So hat Paulus die Gemeinden in diesem ganzen Bezirk, der rassisch phrygisch, verwaltungstechnisch aber galatisch war, besucht: Ikonium, Antiochia und alle Stationen, die mit diesen Städten verbunden waren; vielleicht hat er seine Arbeit sogar auf Nordgalatien ausgedehnt, obwohl neuere Untersuchungen dieser Annahme entgegenzustehen scheinen.[59] Unter seiner Arbeit in Galatien entstanden viele Gemeinden, 1. Kor. 16,1, und er war mit diesen Jüngern stets durch die Bande einer glühenden Liebe verbunden. Nachdem er seine Missionsarbeit in dieser Provinz in dem von ihm beabsichtigten Ausmaß ausgeführt hatte, wollte Paulus als nächstes die Provinz Asien besuchen, eine Seeprovinz im Südwesten Kleinasiens, am Ägäischen Meer. Aber der Heilige Geist hinderte ihn daran, in dieser Provinz das Wort zu sprechen. Dies geschah entweder durch eine innere Offenbarung oder durch eine prophetische Andeutung, die keine Missverständnisse zuließ. So reisten sie nach Mysien, in die Grenzen dieser Provinz, westlich von Phrygien, und machten dort den Versuch, nach Norden in die Provinz Bithynien am Schwarzen Meer abzubiegen. Aber wieder griff der Geist Jesu ein und hinderte sie daran. Anmerkung: Der Heilige Geist ist der Geist Jesu Christi, Röm. 8,9, und auch der Geist des Vaters, Matth. 10,20. Nun blieb ihnen nichts anderes übrig, als nach Westen zu reisen, nach Troas, einer Hafenstadt an der Ägäis, gegenüber von Griechenland. Es ist der Herr, der den Lauf des Evangeliums auf der Erde lenkt und bestimmt. Alle Dinge und Umstände werden von ihm so geordnet, dass sie dem Evangelium nach seinem Willen dienen.

 

    Das Gesicht [Vision] (V. 9-10): Der Grund für all dieses Hin und Her wurde nun offensichtlich. In der Nacht, offenbar noch in der Nacht nach ihrer Ankunft in Troas, erschien Paulus eine Vision, durch die der Herr dem Apostel seinen Willen mitteilen wollte. Ein Mann aus Mazedonien stand vor ihm, entweder im Traum oder in einem Zustand der Ekstase, und wandte sich mit eindringlichen Bitten an ihn: Geh hinüber nach Mazedonien; hilf uns! Als Paulus diese Vision gesehen hatte, machten er und seine Gefährten, zu denen nun auch Lukas gehörte, sofort ernsthafte Anstalten, nach Mazedonien aufzubrechen, denn sie waren fest davon überzeugt, dass der Herr sie auf diese Weise berufen hatte, um das Evangelium in Europa zu verkünden. Die kleine Gruppe bestand nun aus Paulus, Silas, Timotheus und Lukas, von denen einer so sehr wie der andere darauf bedacht war, sich eine baldige Überfahrt auf einem Schiff zu sichern, das zwischen den Häfen der Ägäis verkehrte. Beachte: Wenn die Anweisungen des Herrn für ein zu verrichtendes Werk klar sind, sollten alle Beteiligten von der gleichen Eile erfüllt sein, sich an die Arbeit zu machen; denn sein Geschäft erfordert Eile.

 

Paulus und seine Begleiter in Philippi (16,11-40)

    11 Da fuhren wir aus von Troas, und kamen mit direktem Kurs nach Samothrazien, am nächsten Tag nach Neapolis 12 und von dort nach Philippi, welches ist die Hauptstadt des Landes Mazedonien und eine Freistadt. Wir hatten aber in dieser Stadt unser Wesen etliche Tage. 13 Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an das Wasser, da man pflegte zu beten, und setzten uns und redeten zu den Frauen, die da zusammenkamen.

    14 Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurkrämerin aus der Stadt der Thyatirer, hörte zu; welcher tat der HERR das Herz auf, dass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde. 15 Als sie aber und ihr Haus getauft wurden, ermahnte sie uns und sprach: So ihr mich achtet, dass ich gläubig bin an den HERRN, so kommet in mein Haus und bleibt allda. Und sie zwang uns.

    16 Es geschah aber, da wir zu dem Gebet gingen, dass eine Magd uns begegnete, die hatte einen Wahrsagergeist und trug ihren Herren viel Gewinn ein mit Wahrsagen. 17 Diese folgte allenthalben Paulus und uns nach, schrie und sprach: Diese Menschen sind Knechte Gottes, des Allerhöchsten, die euch den Weg der Seligkeit verkündigen! 18 Solches tat sie manchen Tag. Paulus aber tat das weh, und wandte sich um und sprach zu dem Geist: Ich gebiete dir in dem Namen Jesu Christi, dass du von ihr ausfahrest! Und er fuhr aus zu derselben Stunde.

    19 Da aber ihre Herren sahen, dass die Hoffnung ihres Gewinns war ausgefahren, nahmen sie Paulus und Silas, zogen sie auf den Markt vor die Obersten 20 und führten sie zu den Hauptleuten und sprachen: Diese Menschen machen unsere Stadt irre und sind Juden 21 und verkündigen eine Weise, welche uns nicht ziemt anzunehmen noch zu tun, weil wir Römer sind. 22 Und das Volk wurde erregt gegen sie. Und die Hauptleute ließen ihnen die Kleider abreißen und hießen sie stäupen [auspeitschen]. 23 Und da sie sie wohl gestäupt hatten, warfen sie sie ins Gefängnis und geboten dem Kerkermeister, dass er sie wohl bewahrte. 24 Der nahm solch Gebot an und warf sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Stock.

    25 Um die Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und es hörten sie die Gefangenen. 26 Schnell aber ward ein großes Erdbeben, so dass sich bewegten die Grundfesten des Gefängnisses. Und sogleich wurden alle Türen aufgetan und aller Bande los. 27 Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf fuhr und sah die Türen des Gefängnisses aufgetan, zog er das Schwert aus und wollte sich selbst erwürgen; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. 28 Paulus aber rief laut und sprach: Tue dir nichts Übles; denn wir sind alle hier.

    29 Er forderte aber ein Licht und sprang hinein und ward zitternd und fiel Paulus und Silas zu den Füßen 30 und führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was soll ich tun, dass ich selig werde? 31 Sie sprachen: Glaube an den HERRN Jesus Christus, so wirst du und dein Haus selig. 32 Und sie sagten ihm das Wort des HERRN und allen, die in seinem Haus waren. 33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen ab; und er ließ sogleich sich taufen und alle die Seinen. 34 Und er führte sie in sein Haus und setzte ihnen einen Tisch vor und freute sich mit seinem ganzen Haus, dass er an Gott gläubig worden war.

    35 Und als es Tag wurde, sandten die Hauptleute Stadtdiener und sprachen: Lass die Menschen gehen! 36 Und der Kerkermeister verkündigte diese Rede Paulus: Die Hauptleute haben hergesandt, dass ihr los sein sollt. Nun zieht aus und geht hin mit Frieden. 37 Paulus aber sprach zu ihnen: Sie haben uns ohne Recht und Urteil öffentlich gestäupt, die wir doch Römer sind, und in das Gefängnis geworfen und sollten uns nun heimlich ausstoßen? Nicht so, sondern lasst sie selbst kommen und uns hinausführen. 38 Die Stadtdiener verkündigten diese Worte den Hauptleuten; und sie fürchteten sich, da sie hörten, dass sie Römer wären, 39 und kamen und ermahnten sie und führten sie heraus und baten sie, dass sie auszögen aus der Stadt. 40 Da gingen sie aus dem Gefängnis und gingen zu der Lydia. Und da sie die Brüder gesehen hatten und getröstet, zogen sie aus.

 

    Die Reise nach Philippi (16,11-13): In jenen Tagen des regen Handelsverkehrs zwischen den verschiedenen Häfen der Ägäis dauerte es nicht lange, bis sie ein Schiff fanden, auf dem sie übersetzen konnten. Paulus und seine Begleiter machten sich also auf den Weg und segelten von Troas aus, wobei sie von einer guten steifen Brise aus Süden und Osten begünstigt wurden, die es ihnen ermöglichte, auf geradem Weg an der Insel Imbros vorbei nach Samothrake, einer der nördlichsten Inseln des griechischen Archipels, zu gelangen. Hier drehten sie nach Westen ab und segelten an der Insel Thasus vorbei zum makedonischen Hafen Neapolis, wobei der letzte Teil der Reise nur einen Tag dauerte. Die Reise war also unter ungewöhnlich günstigen Umständen unternommen und in außergewöhnlich kurzer Zeit abgeschlossen worden. Die Missionare blieben jedoch nicht in Neapolis, sondern zogen weiter in die größere Stadt Philippi, die eine römische Kolonie war, wie sowohl Münzen als auch Inschriften die Worte des Lukas bestätigen.[60] In ihrer Nähe fand die große Schlacht zwischen Augustus und Antonius auf der einen Seite und Brutus und Cassius, den Mördern von Julius Cäsar, auf der anderen Seite statt, die Schlacht, die darüber entschied, dass Rom ein Imperium und nicht eine Republik sein würde. Zu Ehren dieses Ereignisses hatte Philippi die Rechte einer römischen Kolonie erhalten, wie auch der Name „Prätoren“ zeigt, den Lukas zur Bezeichnung der Beamten der Stadt verwendet. Und Philippi war die erste Stadt in diesem Bezirk oder Teil von Makedonien. Fast zwei Jahrhunderte zuvor war Mazedonien in vier Bezirke unterteilt worden, deren allgemeine Grenzen immer noch anerkannt wurden, obwohl sie von der Regierung nicht mehr als politische Bezirke akzeptiert wurden. Dass Philippi die erste und wichtigste Stadt in diesem Teil Makedoniens war, lag an ihrer Lage an der großen Egnatianischen Straße, der wichtigsten römischen Straße zwischen Europa und Asien. Sie war damals das, was später Byzanz oder Konstantinopel wurde: das Tor zum Orient.[61] Die römische Provinz Makedonien lag zwischen Griechenland und dem Ägäischen Meer im Süden und dem Balkangebirge im Norden. In Philippi, wo Ost und West zusammentrafen, hielten sich diese Reisenden aus dem Morgenland auf, um einige Seelen für den Herrn zu gewinnen. Da die jüdische Bevölkerung der Stadt zu jener Zeit nicht groß genug war, um eine Synagoge zu unterhalten, und die Juden daher die Gewohnheit hatten, sich außerhalb der Stadttore am Ufer eines Flusses zu versammeln und dort ihre Gebetsversammlungen abzuhalten, war dieser Ort als Ort des Gebets bekannt geworden. Deshalb gingen Paulus und seine Gefährten am Sabbat auch dorthin, zum Fluss Gangas oder Gangites. Wahrscheinlich gab es keinen förmlichen Gottesdienst wie in den Synagogen, auch wenn es vielleicht Vorsteher der Andacht gab. Jedenfalls passte sich Paulus den Gegebenheiten an. Er setzte sich mit seiner Gruppe unter die Anbeter und verbrachte den Vormittag im Gespräch mit den Frauen, die sich dort versammelt hatten. Es scheint also, dass die Juden und Proselyten der Stadt größtenteils aus Frauen bestanden, von denen viele eine Position mit beträchtlicher Freiheit und sozialem Einfluss innehatten, eine Tatsache, die durch sorgfältige historische Forschung voll bestätigt wird. Anmerkung: Es mag Paulus seltsam vorgekommen sein, nach all den aufwendigen Vorbereitungen nur eine Handvoll Frauen versammelt vorzufinden, aber Gott hat seine eigenen Wege, Dinge zu tun und die Angelegenheiten seines Reiches zu leiten, wie der spätere Zustand der Gemeinde in Philippi zeigt.

 

    Die Bekehrung der Lydia (V. 14-15): Unter den Zuhörern am Flussufer befand sich an jenem denkwürdigen Morgen, an dem der erste christliche Gottesdienst auf europäischem Boden stattfand, eine gewisse Frau, eine Händlerin namens Lydia, ein Name, unter dem sie wahrscheinlich aus geschäftlichen Gründen bekannt war, denn sie stammte aus Thyatira in Lydien, einem Bezirk im prokonsularischen Asien. Sie handelte mit Purpur, d.h. mit Gewändern, die mit einem sehr teuren Farbstoff gefärbt waren, und muss daher relativ wohlhabend gewesen sein. „Thyatira war bekannt für seine Färberei. Die Krappwurzel, mit der sie ein türkisfarbenes Rot färbten, wächst in der Gegend reichlich. Da die Alten mit den Namen der Farben sehr lax umgingen, wurde dies oft als Purpur bezeichnet.“[62] Lydia war eine gottesfürchtige Frau, das heißt, sie war eine jüdische Proselytin, sie glaubte an den Gott der Juden und verehrte ihn, dessen Verehrung sie gelehrt worden war. Sie hörte der ganzen Rede aufmerksam zu, und der Herr öffnete ihr das Herz, um die von Paulus erläuterten Dinge, die Nachricht, dass Jesus von Nazareth der verheißene Messias sei, voll aufzunehmen. Sie und alle Mitglieder ihres Haushalts (sie war vielleicht eine Witwe mit mehreren Kindern und einer Reihe von Bediensteten) wurden so gründlich von der Wahrheit des Evangeliums überzeugt, dass sie und alle anderen sofort ihren Glauben bekannten und sich taufen ließen - eine gute Keimzelle für eine Gemeinde, an deren Wohlergehen Paulus immer großes Interesse hatte. Die Dankbarkeit der Lydia für die Segnungen, deren sie nun teilhaftig geworden war, veranlasste sie, den Missionaren eine herzliche Einladung auszusprechen, ihre Gastfreundschaft anzunehmen. In Form eines ernsten Flehens sagte sie zu ihnen: Wenn ihr mich für treu gegenüber dem Herrn haltet, da die Tatsache, dass ihr mich getauft habt, dafür zu sprechen scheint, dass ihr mich für eine Gläubige des Herrn haltet, dann kommt bitte in mein Haus und bleibt dort. Und sie gab nicht eher Ruhe, bis sie die beiden überredet hatte, bei ihr zu Gast zu sein. Eine solche Gastfreundschaft als Gegenleistung für die großen geistlichen Gaben, die sie erhalten hat, ist ein Beweis für den Wandel des Herzens, der durch den Glauben hervorgerufen wird, und sie ist dem Herrn wohlgefällig.

 

    Die Begegnung mit dem Wahrsagergeist (V. 16-18): Auch in Philippi, wo es keine Synagoge gab, hielten Paulus und seine Gefährten die Gebetszeiten ein. Aber als sie auf dem Weg zum Gebetsort waren, vermutlich am Ufer des Flusses, wurden sie von einer Sklavin belästigt, die buchstäblich einen Pythongeist besaß. Aber sie war nicht nur eine Bauchrednerin, wie das Wort in weltlichen Berichten oft verstanden wird, sondern sie hatte einen Geist der Weissagung mit prophetischer Kraft; sie war von einem Dämon besessen. Diese Sklavin, die ihren Besitzern und Herren durch ihre Wahrsagerei viel Geld einbrachte, machte es sich zur Gewohnheit, Tag für Tag der Gruppe des Paulus zu begegnen und ihm dann dicht auf den Fersen zu folgen, wobei sie mit lauter Stimme rief: "Diese Männer sind Diener Gottes, des Höchsten, die auch euch den Weg des Heils verkünden. Das Mädchen war nicht Herrin über sich selbst, als es so rief. Einem Ausleger zufolge war das Mädchen einmal von dem bösen Geist, der ihr eigentlicher Herr war, überwältigt, ein anderes Mal sehnte es sich nach Befreiung aus seiner Knechtschaft. Der böse Geist in ihr bebte beim Anblick der Diener Christi und konnte nicht umhin, die Wahrheit anzuerkennen. Paulus aber wurde schließlich von Ärger, Trauer, Schmerz und Zorn erfüllt. Der Herr will nicht von bösen Geistern gepredigt werden, wie sein Verhalten in den Evangelien zeigt. Außerdem könnte die Menge nach dem Sinn, den sie mit den Worten des Mädchens verband, die Missionare für Diener des Aberglaubens oder der Magie halten.[63] Deshalb sprach Paulus nicht zu der Sklavin, sondern zu dem bösen Geist, der sie besaß, und forderte ihn im Namen Jesu Christi auf, von ihr auszugehen. Und in derselben Stunde, nach der griechischen Redeweise, in demselben Augenblick, nach unserer, verließ sie der Geist und seine Macht. Anmerkung: Auch die Wahrsager, Wahrsagerinnen und Wahrsager unserer Tage bedienen sich des Namens und des Wortes Gottes, aber nur zu dem Zweck, die armen irregeleiteten Seelen, die sie konsultieren, zu täuschen und so die Seelen um so fester in ihrer Lehre und ihren teuflischen Tricks zu halten. Es ist daher unsere Pflicht, die böse Absicht und den Betrug des Teufels zu entlarven. Denn auch wenn er Vorhersagen macht und Taten vollbringt, die als Wunder erscheinen, so geschehen sie doch nie auf Befehl und Verheißung des Herrn und sind immer dem Heil der Seelen abträglich.

 

    Paulus und Silas gefangen gesetzt (V. 19-24): Als der böse Geist aus dem Sklavenmädchen ausfuhr, erlosch auch die Hoffnung der Herren auf Gewinn, wie Lukas in einem schönen Wortspiel anmerkt. Die Einkünfte aus dieser Quelle waren nicht nur gefährdet, sondern gänzlich abgeschnitten, was sie an ihrer empfindlichsten Stelle berührte. Doch als die Besitzer des Mädchens dies erkannten, wurden sie von Zorn erfüllt. Sie packten Paulus und Silas und zogen und schleppten sie halb auf den Marktplatz, auf das Forum, vor die Richter der Stadt. Hier wurden sie etwas ruhiger in ihrem Verhalten und führten ihre Gefangenen mit einem gewissen Anschein von Ordnung und Anstand zu den Prätoren. Die Prätoren waren die obersten Behörden der Stadt, deren Aufgabe es war, über alle Fälle politischer Natur zu urteilen. Der offizielle Titel der beiden Männer war duoviri, aber sie nannten sich oft Prätoren. Die Anklage der Herren des Sklaven war etwas eigenartig. Sie erklärten, dass Paulus und Silas, die Juden waren, nicht nur Unruhe in der Stadt stifteten, sondern auch die Stadt aufrührten, indem sie religiöse Bräuche verkündeten, die sie nicht annehmen und ausüben durften, da sie Römer waren. Der Vorwurf lautete also, kurz gesagt, dass die Apostel das gesamte soziale und religiöse System der Stadt durcheinanderbrächten, was umso mehr zu verurteilen sei, als die Angeklagten zu den verachteten Juden gehörten. Die Unterstellung, die auf die Einführung verbotener religiöser Bräuche besonders verwerflicher Art hindeutete, sowie die Tatsache, dass die Männer Juden waren, reichten aus, um die auf dem Forum anwesende Menge aufzurütteln, eine Menge, die sich leicht aufhetzen und beeinflussen ließ. Ohne den Gefangenen auch nur die Möglichkeit zu geben, sich gegen die Anschuldigungen zu verteidigen, griffen die Prätoren sie an, indem sie ihnen die Kleider vom Leib rissen und dann befahlen, sie mit Ruten zu schlagen, eine schwere und erniedrigende Strafe. Erst nachdem Paulus und Silas viele Peitschenhiebe erhalten hatten, war die erste Wut gestillt. Doch dann kam die weitere Demütigung, nach der die Prätoren sie ins Gefängnis warfen und dem Kerkermeister den ernsten Auftrag erteilten, sie mit allem Fleiß und aller Strenge zu bewachen. Der Kerkermeister legte diesen Befehl auf seine Weise aus, möglicherweise auch unter dem Einfluss seines eigenen Gefühls in dieser Angelegenheit, denn er steckte sie nicht nur in den inneren Kerker, mit mehreren Mauern zwischen ihnen und der Freiheit und einem Minimum an Licht und Luft, um sie aufzumuntern, sondern er befestigte auch ihre Füße in den Pranger, einem hölzernen Folterinstrument, in dem die Füße fest eingeklemmt waren, so dass sie fest in einer Position gehalten wurden und dadurch eine Menge Schmerzen verursachten. Das Einklemmen der Füße in den Pranger behinderte den Blutkreislauf und verkrampfte die Muskeln, eine Folter, die mit jeder Minute unerträglicher wurde. Anmerkung: Jeder Bekenner Christi und des Evangeliums kann auf die gleiche Weise behandelt werden, um an der Schmach Christi teilzuhaben. Und gerade die Menschen, die den Weg des Heils verkünden, werden von den Kindern der Welt als Ruhestörer und Aufrührer angesehen.

 

    Das Erdbeben um Mitternacht (V. 25-28): Petrus hatte in der Nacht vor seiner Hinrichtung in aller Ruhe im Gefängnis geschlafen, Kap. 12,6. Und hier konnten die beiden Jünger, deren Rücken von der unbarmherzigen Auspeitschung schmerzte und blutete, deren Beine in dem Folterinstrument verkrampft waren und deren Gemüt von dem Gefühl des erlittenen Unrechts geschwollen war, alle Gedanken an die Folter beiseite schieben und beten. Und im Gebet bekamen sie sogar die nötige Kraft, Gott Hymnen zu singen, ihn in Psalmen zu preisen. Paulus und Silas sangen, und die anderen Gefangenen hörten aufmerksam zu. Es war ein Gottesdienst des Lobes und der Danksagung, wie man ihn selten auf dieser Welt gesehen hatte, der erste von vielen ähnlichen, die von christlichen Märtyrern in den Kerkern abgehalten wurden. Doch plötzlich erschütterte ein großes Erdbeben das Gefängnis mit einer solchen Wucht, dass es in seinen Grundfesten erschüttert wurde. Und durch die Erschütterung wurden nicht nur alle Türen geöffnet, sondern auch die Fesseln aller Gefangenen gelöst, abgenommen. Der Herr der Christen ist stärker als die Feinde, die versuchen, seine Diener zu ermorden. Es ist ein Leichtes für ihn, die Seinen zu retten. Der Kerkermeister, der durch den Schock aus dem Schlaf geweckt wurde, wurde sich der Situation mit einem Schlag bewusst. Ein Blick genügte, um ihm die offenen Türen des Gefängnisses zu zeigen, und da er zu dem Schluss kam, dass die Gefangenen mit Sicherheit entkommen sein mussten, zog er sein Schwert aus der Scheide in der Absicht, Selbstmord zu begehen; denn auf die Flucht der Gefangenen stand die Todesstrafe. All dies geschah natürlich nicht ohne einen Aufruhr und einen Aufschrei, was Paulus schnell zur Kenntnis nahm, der daraufhin mit lauter Stimme sowohl den geplanten Selbstmord verhinderte als auch dem Kerkermeister den Zuspruch gab, der am besten geeignet war, seine Selbstbeherrschung wiederherzustellen: Tu dir nichts Böses an; wir sind alle hier. Keiner der Gefangenen hatte einen Fluchtversuch unternommen, obwohl es nichts gab, was sie daran gehindert hätte. Entweder waren sie wegen des Erdbebens in Panik geraten, oder das Verhalten von Paulus und Silas hatte sie so tief beeindruckt, dass sie sich in Bewunderung für den Mut der beiden gequälten Gefangenen verloren. Viele von ihnen sahen zweifellos einen Zusammenhang zwischen dem Gebet der Apostel und dem Erdbeben und waren bewegt, die Allmacht Gottes zu bewundern.

 

    Die Bekehrung des Kerkermeisters (V. 29-34): Im Übermaß seines ersten Schreckens hatte der Wärter des Gefängnisses nicht einmal an eine Fackel gedacht, da er nur darauf bedacht war, jede Flucht der Gefangenen zu verhindern. Nun aber rief er den Wachen zu, Licht zu machen, stürzte in das innere Gefängnis und fiel in größter Erregung und Angst vor Gewissensbissen und der Furcht vor dem Übernatürlichen vor Paulus und Silas nieder. Wahrscheinlich erinnerte er sich jetzt daran, dass Paulus, der ihn gerufen hatte, die Rettung im Namen Jesu gepredigt hatte, und er nahm an, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Wanken der Erde und der ruhigen Gewissheit des Apostels geben musste. Der Kerkermeister führte daher Paulus und Barnabas nach draußen und fragte sie, was er tun müsse, um gerettet zu werden - die wichtigste Frage, an die ein Mensch in seinem ganzen Leben denken kann. Und auf diese Frage der beunruhigten und verängstigten Seelen muss immer die gleiche Antwort gegeben werden wie hier: Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus gerettet werden. Paulus und Silas nahmen nicht den Titel „Herren“ an, sondern verwiesen den Fragenden auf den einen wahren Herrn und Meister über alles, in dem allein das Heil ist. Der Glaube an Jesus Christus befreit von Tod, Hölle, Zorn und Gericht und bringt ewige Erlösung. Nachdem die Missionare dem Kerkermeister den großen zentralen Gedanken und die Lehre der gesamten christlichen Religion vermittelt hatten, erklärten sie ihm nun den Weg des Heils ausführlicher, indem sie ihm das Wort des Herrn sagten und verkündeten, zusammen mit allen, die zu seinem Haushalt gehörten, Kindern und Knechten, Freigelassenen und Sklaven. Es war eine kurze, aber umfassende Unterweisung, die der Taufe vorausging. Und das Herz des Mannes war von den Ereignissen der Nacht und von der Stimme Gottes in diesen Ereignissen so tief bewegt, dass er die beiden Gefangenen noch in derselben Stunde der Nacht nahm - denn er konnte nicht warten, bis er diese notwendige Pflicht bis zum Morgen erfüllt hatte - und ihre Striemen abwusch, sowohl um das geronnene Blut zu entfernen als auch um das Brennen der Schläge zu lindern. Paulus und Silas wiederum wuschen sowohl den Kerkermeister als auch alle Mitglieder seines Haushalts, um alle Flecken auf ihren Seelen zu entfernen, indem sie sie alle unverzüglich tauften. Dieses Sakrament sicherte dem armen, gequälten Mann die Gnade des Herrn Jesus Christus, die er wegen des Gefühls der Schuld und Verdammlichkeit, das mit der Erkenntnis seiner Sünde über ihn gekommen war, so sehr brauchte. Der Kerkermeister nahm nun Paulus und Silas als Ehrengäste in sein Haus auf; der Tisch wurde für sie gedeckt und ein Essen serviert, das ganz anders war als das, das sie im Gefängnis bekommen hatten. Und der Kerkermeister freute sich sehr, und alle Mitglieder seines Hauses schlossen sich ihm an, weil der Glaube an Gott in ihren Herzen gewirkt worden war. Die Tatsache, dass der Herr den Glauben im Herzen eines jeden Menschen wirkt und ihn auch bereit macht, diesen Glauben durch Taten der Güte und der Nächstenliebe unter Beweis zu stellen, ist für jeden Christen ein Grund zur ständigen Freude.

    Die Freilassung der Gefangenen (V. 35-40): Am Morgen erlebten die eingekerkerten Missionare eine besondere Überraschung. Denn kaum war der Tag angebrochen, schickten die duoviri, die Prätoren der Stadt, die Liktoren ins Gefängnis mit dem Befehl, die Gefangenen zu entlassen. Die Liktoren waren die Polizeibeamten der römischen Magistrate und trugen als Insignie ihres Amtes ein Bündel von Ruten, die um ein Beil gebunden waren. Ob das Erdbeben die Obrigkeit zu der Annahme veranlasst hatte, dass sie am Vortag irgendeinen Gott beleidigt hatte, oder ob ihnen die Behandlung der Apostel im Nachhinein als zu voreilig und streng erschien, oder ob sie glaubten, ihr Ziel erreicht zu haben, indem sie das Geschrei des Pöbels zum Schweigen brachten, geht aus dem Text nicht hervor. Es genügt, dass der Kerkermeister die Gefangenen von dem gnädigen Befehl unterrichtet, den die Prätoren zu ihrer Freilassung gegeben hatten. Und er war froh, ihnen die Freiheit zu schenken und sie in Frieden und ohne weitere Belästigung gehen zu lassen. Der Befehl der duoviri war hochmütig und verächtlich formuliert worden; so wie der Kerkermeister ihn übermittelte und umschrieb, waren die Worte eine freundliche Ankündigung und Einladung, das Geschenk der Freiheit anzunehmen. Doch nun weigerte sich Paulus, das Gefängnis zu verlassen. Im Lärm und Tumult des Überfalls vom Vortag hatte er keine Chance gehabt, sich Gehör zu verschaffen, selbst wenn er es versucht hätte. Nun aber erhebt er eine sehr schwere Anklage gegen die Magistrate der Stadt. Obwohl er und Silas römische Bürger waren, hatten die Prätoren beide nicht nur ohne Urteil, sondern sogar ohne Prozess, ohne Untersuchung des Falles, in der Öffentlichkeit verprügeln lassen[64] und sie auch ins Gefängnis geworfen. Nach den Gesetzen Roms waren die römischen Bürger von Schlägen und Folter befreit, und die Verletzung der Rechte der Bürger wurde als Hochverrat angesehen und als solcher schwer bestraft. Und nach all diesen Übergriffen, die Paulus, wenn er nicht Christ gewesen wäre, sehr wohl mit einem Schnellschuss hätte vergelten können (Röm. 12,19), wollten die Prätoren sie heimlich aus dem Gefängnis holen? Gewiss nicht! Das Mindeste, was die Prätoren tun mussten, war, zu kommen und sie hinauszuführen, als eine Form der Entschuldigung. Als die Liktoren dies den Prätoren berichteten, waren diese zu Recht erschrocken und verloren daher keine Zeit, persönlich zu kommen, sich zu entschuldigen und die Apostel inständig zu bitten, zufrieden zu sein. Dann führten sie sie aus dem Gefängnis und baten sie höflich, die Stadt aus freien Stücken zu verlassen. Paulus und Silas nahmen die Entschuldigung an und machten sich bereit, die Stadt zu verlassen, jedoch ohne ungebührliche und verdächtige Eile. Sie gingen zuerst zum Haus der Lydia, das vielleicht ein Treffpunkt der gewonnenen Jünger geworden war. Hier sahen sie die Brüder, trösteten und ermutigten sie und verließen dann Philippi. Anmerkung: Es war nicht nur der Gerechtigkeitssinn, der Paulus auf einer Art öffentlicher Entschuldigung bestehen ließ, sondern auch die Tatsache, dass die öffentliche Schande, die er und Silas erlitten hatten, die Verbreitung der Botschaft des Evangeliums ernsthaft behindern könnte, weil viele Menschen Vorurteile gegen einen Mann haben könnten, der in der Öffentlichkeit geschlagen worden war. Auch in unseren Tagen sollten wir Christen durchaus bereit sein, Unrecht und Schande zu erleiden, aber unter Umständen, besonders wenn der Lauf des Evangeliums gefährdet ist, ist es ganz im Sinne Gottes, dass wir auf unsere Rechte als Bürger pochen. Wir können es für unumgänglich halten, auf der Anerkennung als ehrliche und wünschenswerte Mitglieder der Gemeinschaft zu bestehen.

 

Zusammenfassung: Paulus und Silas machen eine Besuchs- und Missionsreise durch Kleinasien und werden dann vom Geist nach Mazedonien geleitet, wo sie ihre Arbeit in der Stadt Philippi beginnen.

 

 

EXKURS: VISION TRAUM UND OFFENBARUNG

(Theophanie [Gotteserscheinung] und Angelophanie (Engelerscheinung)

    Eines der Merkmale der biblischen Geschichte, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament, ist der sachliche Hinweis, den die heiligen Schriftsteller auf besondere Offenbarungen des Herrn durch Erscheinungen, Visionen und Träume geben. In praktisch jedem Fall dieser Art, der aufgezeichnet wurde, waren diese Erscheinungen von außergewöhnlichen, unmittelbaren Mitteilungen Gottes an die Menschen begleitet, die sich gewöhnlich auf ein Ereignis bezogen, das in naher Zukunft stattfinden sollte. Die Bibel selbst spricht von diesen außergewöhnlichen Offenbarungen und unterscheidet dabei zwischen echten und falschen Träumen und Visionen. „Wenn ein Prophet unter euch ist, will ich, der Herr, mich ihm in einem Gesicht offenbaren und im Traum zu ihm reden.“ (4. Mose 12,6.) „Eure Alten werden Träume träumen, eure Jungen werden Gesichte [Visionen] sehen“, Joel 3,28. Die Art und Weise, wie man prüft, ob ein Prophet wahr oder falsch ist, wird in 5. Mose 13 beschrieben. „Sie prophezeien euch ein falsches Gesicht und Wahrsagerei und einen Unsinn und den Betrug ihres Herzens“, Jer. 14,14; 23,16.

    In einigen Fällen erschien Gott selbst, entweder durch eine Stimme, in einer sichtbaren Form oder in einem mehr oder weniger greifbaren Bild in einer Vision oder in einem Traum. Mose wurde wegen der Art und Weise, in der der Herr mit ihm kommunizierte, vor dem ganzen Volk Israel bevorzugt. „Mein Knecht Mose ist nicht so, der treu ist in meinem ganzen Haus. Mit ihm will ich von Mund zu Mund reden, und zwar offenbar und nicht in finsteren Reden; und das Gleichnis des Herrn soll er sehen“, 4. Mose 12,7.8. Zu Abram sprach der Herr in einer Vision, 1. Mose 15,1, auch zu Jakob in den Gesichten der Nacht, 1. Mose 46,2. Bei Samuel war es eine Vision in einem Traum, 1. Sam. 3. Salomo erschien der Herr in einem Traum bei Nacht, 1. Kge. 3,5. Einen großen Teil, wenn nicht alles, der Prophezeiung Jesajas empfing er in einer Vision, Jes. 1,1. Der Herr sprach zu Ananias von Damaskus in einer Vision, Apg. 9,10.

    Obwohl sie in engem Zusammenhang mit den vorgenannten stehen, können die Erscheinungen des "Engels des Herrn", die Offenbarungen der zweiten Person der Gottheit, des „Engels des Bundes“, im Alten Testament als eine besondere Klasse bezeichnet werden. Der Herr erschien Abraham in den Ebenen von Mamre, Gen. 16, 1. 17, und ließ Schwefel und Feuer auf Sodom und Gomorra regnen, Gen. 19, 24. Der Engel des Herrn fand Hagar in der Wüste, Gen. 16, 7. 9. Er erschien Mose zu verschiedenen Zeiten, Ex. 3, 2; 14, 19; Apostelgeschichte 7, 30. Gideon sah ihn, als er bei der Kelter Weizen drosch. Ri. 6,11.12. Dem Manoah und seiner Frau sagte der Engel des Herrn die Geburt Samsons voraus. Ri. 13. Er gab Elia, dem Thishbiter, einen Befehl, 2. Kge. 1,3.

    Von diesen Visionen und Offenbarungen, die eigentlich Theophanien (Gotteserscheinungen) genannt werden, unterscheiden wir die Angelophanien (Engelserscheinungen), die entweder im Traum oder bei einer gewöhnlichen Begegnung von Angesicht zu Angesicht stattfinden. So erschien der Engel Gabriel dem Zacharias im Tempel, Luk. 1,22, und der Maria in ihrem Haus, Luk. 1,27. Zu Josef sprach ein Engel des Herrn wiederholt im Traum, Matth. 1,20; 2,13.19. Auch die Warnung Gottes an die Weisen geschah im Traum. Matth. 2,12. Dass der „Mann aus Mazedonien“ in Apostelgeschichte 16,9, ein Engel war, scheint ziemlich sicher.

    Eine letzte Form der Mitteilung oder außergewöhnlichen Offenbarung war die durch Visionen im engeren Sinne, wenn die Sinne des Betreffenden auf ungewöhnliche Weise beeinflusst wurden und er sich in einem Zustand der Begeisterung oder Ekstase befand. Dies war der Fall bei Petrus in Joppe, Apg. 11,5, und wahrscheinlich auch bei Paulus zur Zeit seiner Bekehrung, Apg. 9; 22,26. Er selbst beschreibt eine solche ekstatische Vision, als er in das Paradies entrückt wurde und unaussprechliche Worte hörte, die zu sagen dem Menschen nicht erlaubt ist, 2. Kor. 12,2,4. In diese Kategorie gehört auch die Vision, die Johannes hatte, als er die Informationen erhielt und die Bilder sah, die er im Buch der Offenbarung aufgezeichnet hat.

    Es ist gut, im Zusammenhang mit den vielen Träumen in unseren Tagen, für die die Menschen Erklärungen von Medien, Wahrsagern usw. suchen und erhalten, daran zu denken, was Luther sagt: „Darum sollen wir den Träumen nicht glauben, noch sie erklären, wie es unserer Vernunft wohl scheint, sondern es Gott überlassen, wie Joseph sagt, 1. Mose 40, 8. Obwohl sie Christen und Heiden gemeinsam sind, weiß doch niemand, was sie bedeuten, es sei denn, der Heilige Geist erklärt sie auch. Wie Petrus, 2. Ep. 1,20, gebietet, dass wir keiner Erklärung in geistlichen Dingen glauben sollen, es sei denn, sie sei von Gott.... Darum mögen Träume kommen und Träume gehen: Du sollst sie nicht deuten; lass Gott dafür sorgen, sei dir selbst nicht sicher.“[65]

 

 

Kapitel 17

 

Paulus und Silas in Thessalonich und Beröa (17,1-14)

    1 Da sie aber durch Amphipolis und Apollonia reisten, kamen sie nach Thessalonich [heute: Saloniki]. Da war eine Synagoge der Juden. 2 Wie nun Paulus gewohnt war, ging er zu ihnen hinein und redete mit ihnen an drei Sabbaten aus der Schrift, 3 tat sie ihnen auf und legte es ihnen vor, dass Christus musste leiden und auferstehen von den Toten, und dass, dieser Jesus, den ich (sprach er) euch verkündige, ist der Christus. 4 Und etliche unter ihnen fielen ihm zu und gesellten sich zu Paulus und Silas, auch der gottesfürchtigen Griechen eine große Menge, dazu der vornehmsten Frauen nicht wenig.

    5 Aber die halsstarrigen Juden neideten und nahmen zu sich etliche boshafte Männer Pöbelvolks, machten eine Rotte und richteten einen Aufruhr in der Stadt an und traten vor das Haus Jasons und suchten sie zu führen unter das gemeine Volk. 6 Da sie aber sie nicht fanden, schleiften sie den Jason und etliche Brüder vor die Obersten der Stadt und schrien: Diese, die den ganzen Weltkreis erregen, sind auch herkommen; 7 die herbergt Jason; und diese alle handeln wider des Kaisers Gebot, sagen, ein anderer sei der König, nämlich Jesus. 8 Sie bewegten aber das Volk und die Obersten der Stadt, die solches hörten. 9 Und da sie Verantwortung von Jason und den andern empfangen hatten, ließen sie sie los.

    10 Die Brüder aber fertigten sogleich ab bei der Nacht Paulus und Silas nach Beröa. Da sie dahinkamen, gingen sie in die Synagoge der Juden. 11 Denn sie waren die edelsten unter denen zu Thessalonich; die nahmen das Wort auf ganz willig und forschten täglich in der Schrift, ob sich’s also verhielte. 12 So glaubten nun viel aus ihnen, auch der griechischen ehrbaren Frauen und Männer nicht wenig. 13 Als aber die Juden zu Thessalonich erfuhren, dass auch zu Beröa das Wort Gottes von Paulus verkündigt würde, kamen sie und bewegten auch allda das Volk. 14 Aber da fertigten die Brüder Paulus sogleich ab, dass er ging bis an das Meer; Silas aber und Timotheus blieben da.

 

    Predigt in Thessalonich (V. 1-4): Wie der Wechsel der Pronomen an dieser Stelle zeigt, blieb Lukas in Philippi, und es könnte sein, dass Timotheus bei ihm blieb. Es gab viel zu tun, um die Gemeinde aufzubauen und sie für eine erfolgreiche Arbeit zu organisieren, und diese beiden Jünger arbeiteten mit großem Erfolg daran, stabile Verhältnisse zu schaffen. Paulus und Silas aber reisten in Richtung Südwesten, zunächst nach Amphipolis, dreiunddreißig Meilen von Philippi entfernt, der Hauptstadt dieses Bezirks, die aber in ihrer Bedeutung hinter der Metropole zurücksteht. Die Missionare hielten sich nicht in dieser Stadt auf, wahrscheinlich weil es dort keine Synagoge gab, sondern zogen weiter, zunächst nach Apollonia, dreißig Meilen weiter an der Küste, und dann nach Thessaloniki. Sie folgten der römischen Militärstraße, der berühmten Egnatianischen Straße, die über eine Strecke von fünfhundert Meilen vom Hellespont nach Dyrrachium [heute: Durres oder Durazzo in Albanien] an der Adria führte. Die beiden dazwischen liegenden Orte werden wahrscheinlich als Übernachtungsorte des Paulus erwähnt. Thessaloniki, früher Thermae genannt, an der Spitze der Thermaischen Bucht gelegen, war in römischer Zeit die Hauptstadt des zweiten der vier Bezirke der Provinz Makedonien, die größte und bevölkerungsreichste Stadt der Provinz und ein großes Handelszentrum. Die Stadt, die heute unter dem Namen Saloniki bekannt ist, ist auch heute noch von großer Bedeutung. Paulus wählte mit seiner üblichen Weisheit und Weitsicht dieses Zentrum der Zivilisation und der Regierung des Bezirks als einen Ort, von dem aus die Botschaft des Evangeliums in alle Richtungen ausstrahlen konnte. Hier befand sich auch eine Synagoge der Juden, und der Apostel setzte seine Methode fort, die hellenistischen Juden als Medium zu wählen, durch das er die Heiden erreichen konnte. Nach seiner Gewohnheit ging Paulus also zu ihnen hinein, er besuchte ihre Gemeinde in der Synagoge. An drei Sabbaten und während der Woche, in der eine Versammlung der Juden stattfand, also fast vier Wochen lang, argumentierte er mit ihnen aus der Heiligen Schrift, wobei er sich bei allen seinen Ausführungen auf den anerkannten kanonischen Text des Alten Testaments stützte. Seine Methode bestand darin, den Sinn der Schrift zu erschließen, sie durch das Vorbringen von Beweisstellen zu erklären und so den Zusammenhang zwischen Prophezeiung und Erfüllung klar darzulegen. Er zeigte den Verlauf der Prophezeiungen über Christus auf; er bewies deutlich, dass Christus leiden musste, dass dies vorhergesagt war und ein wesentliches Kennzeichen des wahren Messias war; und er erklärte, dass es laut Prophezeiung ebenso notwendig war, dass Christus von den Toten auferstand. Dann wendete er die Prophezeiung auf Jesus von Nazareth an, zeigte die genaue Erfüllung und legte die Schlussfolgerung dar, dass dieser Jesus, den er predigte, kein anderer als der Messias sein könne. Diese Form der Argumentation, die bei der Verkündigung des Evangeliums zu jeder Zeit wirksam ist, wurde besonders durch die Haltung der Juden gefordert, für die das Kreuz und die Kreuzigung ein Ärgernis und ein Stolperstein war, und ihre Vorurteile mussten durch eine überzeugende Darstellung auf der Grundlage ihrer anerkannten Schriften ausgeräumt werden. Und das Ergebnis rechtfertigte Paulus‘ Methode voll und ganz: Einige der Zuhörer wurden überzeugt und schlossen sich Paulus und Silas als Jünger des Glaubens an, nicht nur Juden, sondern auch gottesfürchtige Griechen, die Proselyten des Tores, eine große Schar und sogar eine beträchtliche Anzahl der führenden Frauen der Stadt, die gesellschaftlich prominent waren. Die Bedeutung, die den Frauen in Mazedonien beigemessen wurde, steht in völligem Einklang mit den besten historischen Berichten. Die Verkündigung Jesu Christi, des Gekreuzigten und Auferstandenen, auf der Grundlage der Bibel ist das einzige Mittel, um echte Bekehrte für Christus und sein Reich zu gewinnen, und darf niemals durch die gegenwärtig in Mode befindlichen Methoden ersetzt werden, durch die Jesus Christus in einen sehr verschwommenen und obskuren Hintergrund gedrängt wird, Methoden, die ganz und gar nicht mit der Würde des Evangeliums in Einklang stehen und niemals zu einem wirklichen Zuwachs der Kirche führen werden.

 

    Durch die Juden angestachelter Aufruhr (V. 5-9): Die Erfahrung, die Paulus im pisidischen Antiochia gemacht hatte, Kap. 13,50, wiederholte sich hier. Die große Masse der Juden weigerte sich, seiner Botschaft Glauben zu schenken, und diese Männer wurden heftig eifersüchtig, nicht nur wegen der Verkündigung des Messias, sondern auch wegen des Erfolges, der die Bemühungen von Paulus und Silas begleitete. So griffen sie zu Methoden, die von Männern ihres Schlages oft angewandt werden. Sie begaben sich auf das Forum und machten sich einige der faulen, kleinkarierten Anwälte zu eigen, die damals wie heute eine Plage sind, Marktschreier,[66] die immer zu jeder Art von Unfug bereit sind. Mit ihrer Hilfe versammelten sie bald einen Mob von Ganoven und versetzten die Stadt in Aufruhr. Es war ein typischer Fall von Pöbelherrschaft, bei dem die Behörden gleichgültig oder hilflos waren. Sie stürmten das Haus Jasons, in dem die Apostel untergebracht waren, oder den Ort, an dem die christlichen Versammlungen stattfanden; ihr Hauptziel war es, Paulus und Silas vor das Volk zu bringen, vor die freie Versammlung des ganzen Volkes als politische Partei mit Exekutivrechten. Der Gedanke, der dieser Bewegung zugrunde lag, war wohl der, dass die gesamte Bevölkerung dazu gebracht werden könnte, sich an Ort und Stelle an den Missionaren zu rächen. Da sie aber Paulus und Silas nicht fanden, schleppten sie Jason und einige der anderen Christen vor die Politarchen der Stadt (denn diesen Titel trugen die Herrscher dieser Stadt).[67] Ihre Anklage gegen diese Männer, die sie in ihrer verblüfften Wut buchstäblich herausbrüllten, hatte einen politischen Beigeschmack, nämlich dass Jason in seinem Haus gefährliche politische Agitatoren aufgenommen und beherbergt habe, Männer, die die ganze Welt in Aufruhr versetzt und im ganzen Römischen Reich Unruhen verursacht hätten und nun hierher gekommen seien. Allesamt waren sie Aufrührer, Männer, die immer wieder gegen die Verordnungen des Kaisers verstießen und Hochverrat begingen, indem sie einen anderen Menschen zum König erklärten, einen Jesus. Es war derselbe Vorwurf, der im Falle Jesu erhoben worden war, Lukas 23, 2, und er traf die Jünger in Übereinstimmung mit der Voraussage Jesu, dass seine Jünger das Los des Meisters zu erwarten hätten. Die Tatsache, dass das Reich Christi nicht von dieser Welt ist und dass seine Untertanen sich niemals in die weltliche Macht und Regierung einmischen, solange sie sich ihrer Unterscheidung bewusst sind, wurde von den Anklägern nicht verstanden oder absichtlich ignoriert. Ihre kühne Behauptung erregte sowohl das Volk als auch die Politiker, denn die Anklagen deuteten auf die Möglichkeit einer Revolution hin, wenn nicht sofort Maßnahmen zur Unterdrückung der Bewegung ergriffen wurden. Das Ergebnis war, dass Jason, der die Missionare nur bewirtet hatte, nicht persönlich bestraft wurde, aber die Politarchen zwangen ihn, eine hohe Kaution zu hinterlegen, um den Frieden in der Stadt zu wahren, ebenso wie die anderen Jünger, die vor Gericht gestellt worden waren, woraufhin sie freigelassen wurden. Die Feinde Christi versuchen immer wieder mit List und Gewalt, die Verkündigung des Evangeliums zu verhindern; aber der Herr lenkt die Angelegenheiten seines Reiches zum Heil der Menschen.

 

    Predigt in Beröa (V. 10-14): Hätten Paulus und Silas ihre Arbeit in Thessalonich nach den Ereignissen jenes Tages fortgesetzt, hätten sie nicht nur riskiert, dass ihnen persönlich Gewalt angetan wird, sondern auch, dass Jason und die anderen Jünger ihren Bund verlieren. Und so mussten sie es erdulden, dass die Brüder sie noch in derselben Nacht nach Beröa schickten, einer kleinen Stadt in einer Berggegend, fast fünfzig Meilen südwestlich von Thessalonich. Die Aufnahme des Evangeliums in dieser Stadt unterschied sich grundlegend von der in der Provinzmetropole; denn als die Apostel dort ankamen, gingen sie hinein und begaben sich in die Synagoge der Juden, denn die jüdische Bevölkerung war stark genug, um eine solche Einrichtung zu unterstützen. Und hier waren die Menschen, sowohl Juden als auch Griechen, großzügiger gesinnt als in Thessalonich; sie waren nicht von dem Streit und dem Neid der thessalonicher Juden besessen, sie hegten edlere Gefühle, sie bedienten sich eines größeren Taktes und einer größeren Fairness. Das zeigten sie nicht nur durch ihre freudige, bedingungslose Bereitschaft, das von Paulus überbrachte Wort anzunehmen, sondern auch durch den Ernst und den Eifer, mit dem sie jeden Tag sorgfältig die Schrift durchforsteten, indem sie Prophezeiung und Erfüllung verglichen und sich selbst davon überzeugten, dass die von Paulus vertretene Lehre mit der Offenbarung Gottes übereinstimmte. Als Ergebnis dieser gewissenhaften Prüfung kamen viele von ihnen unter der Führung des Herrn zum Glauben an Jesus, den Retter, zusammen mit einer beträchtlichen Anzahl prominenter Griechen, sowohl Frauen als auch Männer. Anmerkung: Der Fehler, der in unseren Tagen mehr als jeder andere beklagt werden muss, ist die Weigerung der Ungläubigen und Kritiker, die Ansprüche des Evangeliums geduldig und offen zu prüfen. Ihre Unwissenheit wird daher nicht als Entschuldigung akzeptiert werden, sondern wird sich in ihrer endgültigen Verurteilung als umso schädlicher erweisen. Und für diejenigen, die sich als Jünger Christi bekennen, ist es die größte Freude, in der Heiligen Schrift zu forschen und die vielfältigen Beweise für Gottes Wahrheit und Macht zu finden.

    Aber diese angenehme und gewinnbringende Beziehung in Beröa wurde bald gestört. Die Nachricht von der Tätigkeit des Paulus erreichte die thessalonischen Juden, die den Aufruhr in dieser Stadt verursacht hatten. Die Tatsache, dass Paulus in Beröa das Wort Gottes verkündete, war in ihren Augen offensichtlich ein Verbrechen ersten Ranges, so wie es auch in den Augen vieler Feinde des Evangeliums heute ist. Deshalb reisten sie eigens nach Beröa, um die Menge aufzurütteln, um Aufruhr und Unruhe zu stiften. Wie die jüngsten Ereignisse gezeigt haben, scheint diese Methode bis heute bei denjenigen, die die reine Verkündigung des Evangeliums unterdrücken wollen, großen Anklang zu finden. Bevor es jedoch zum Aufruhr kam, bevor es zu ernsthaften Ausschreitungen des Pöbels kam, schickten die Brüder, die Mitglieder der kleinen Gemeinde, die sich gebildet hatte, Paulus schnell auf seine Reise ans Meer. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen ihn, und er sollte für die weitere Arbeit im Weinberg des Herrn geschont werden. So war es für Paulus ein gewisser Trost, dass Silas und Timotheus in Beröa blieben und weiter an der Gründung der jungen Gemeinde mitarbeiteten.

 

Paulus in Athen (17,15-34)

    15 Die aber Paulus geleiteten, führten ihn bis nach Athen. Und als sie Befehl empfingen an Silas und Timotheus, dass sie aufs schnellstens zu ihm kämen, zogen sie hin. 16 Da aber Paulus auf sie zu Athen wartete, ergrimmte sein Geist in ihm, da er sah die Stadt so sehr abgöttisch. 17 Und er redete zwar zu den Juden und Gottesfürchtigen in der Synagoge, auch auf dem Markt alle Tage zu denen, die sich herzu fanden. 18 Etliche aber der Epikurer und Stoiker Philosophen zankten mit ihm; und etliche sprachen: Was will dieser Lotterbube sagen? Etliche aber: Es sieht, als wollte er neue Götter verkündigen. Das machte, er hatte das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung ihnen verkündigt. 19 Sie nahmen ihn aber und führten ihn auf den Richtplatz [Areopag] und sprachen: Können wir auch erfahren, was das für eine neue Lehre sei, die du lehrst? 20 Denn du bringst etwas Neues vor unsere Ohren; so wollten wir gerne wissen, was das sei. 21 Die Athener aber alle, auch die Ausländer und Gäste, waren gerichtet auf nichts anderes, als etwas Neues zu sagen oder zu hören.

    22 Paulus aber stand mitten auf dem Richtplatz und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe euch, dass ihr in allen Stücken außerordentlich religiös seid. 23 Ich bin hindurchgegangen und habe gesehen eure Gottesdienste und fand einen Altar, darauf war geschrieben: dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch diesen, dem ihr unwissend Gottesdienst tut. 24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was drinnen ist, da er ein HERR ist Himmels und der Erde, wohnt er nicht in Tempeln mit Händen gemacht. 25 Sein wird auch nicht von Menschenhänden gepflegt, als der jemandes bedürfe, so er selber jedermann Leben und Atem und alles gibt. 26 Und er hat gemacht, dass von einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen, und hat Ziel gesetzt, zuvor versehen, wie lang und weit sie wohnen sollen, 27 dass sie den HERRN suchen sollten, ob sie doch ihn fühlen und finden möchten. Und zwar er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns; 28 denn in ihm leben, weben und sind wir, als auch etliche Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.

    29 So wir denn göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Gedanken gemacht. 30 Und zwar hat Gott die Zeit der Unwissenheit übersehen; nun aber gebietet er allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun, 31 darum dass er einen Tag gesetzt hat, auf welchen er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit durch einen Mann, in welchem er’s  beschlossen hat, und jedermann vorhält den Glauben, nachdem er ihn hat von den Toten auferweckt. 32 Da sie hörten die Auferstehung der Toten, da hatten’s etliche ihren Spott; etliche aber sprachen: Wir wollen dich davon weiter hören. 33 So ging Paulus von ihnen. 34 Etliche Männer aber hingen ihm an und wurden gläubig, unter welchen war Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.

 

    Ankunft und erste Diskussionen (V. 15-21): Die Sorge der Jünger aus Beröa wollte es nicht zulassen, dass sie ihren geliebten Lehrer ohne Begleitung reisen ließen, und so meldeten sich einige von ihnen freiwillig, um ihn an einen sicheren Ort zu begleiten. Die ursprüngliche Absicht scheint gewesen zu sein, Paulus an die Küste zu bringen und ihn dort in einem Hafen warten zu lassen, bis Silas und Timotheus wieder zu ihm stoßen konnten. Dort konnte er sofort zur Flucht über das Meer bereit sein. Aber dieser Plan erwies sich aus irgendeinem Grund als nicht durchführbar, und so begleiteten Paulus' Freunde ihn den ganzen Weg nach Athen. Diese Stadt war eine der berühmtesten Städte der Welt, sie lag in Griechenland, in der römischen Provinz Achaia, auf der attischen Halbinsel, fünf Meilen nordöstlich des Saronischen Golfs, und war mit ihrer Hafenstadt Piräus durch lange Mauern verbunden. Auf dem Hügel, der Akropolis genannt wird, stand der berühmte Tempel Parthenon, und andere schöne öffentliche Gebäude krönten andere Erhebungen. Athen war zu dieser Zeit nicht mehr die politische Hauptstadt Griechenlands, sondern weiterhin das literarische Zentrum, wie es auch in den folgenden Jahrhunderten das der gesamten zivilisierten Welt war. Doch trotz all ihrer Gelehrsamkeit und Philosophie, auf die ihre stolzen Bürger stolz waren, war die Stadt dem sozialen Verfall und der moralischen Fäulnis zum Opfer gefallen. „In Athen selbst, wo die tiefgründigste Philosophie, die glühendste Beredsamkeit, die vorzüglichste Poesie und die raffinierteste schöpferische Kunst blühte, die die Welt je gesehen hat, gab es die vollständigste und einstudierteste Hingabe an jedes Laster, das die Leidenschaft hervorrufen oder die Phantasie erfinden konnte.“[68] In Athen angekommen, entließ Paulus die Brüder, die ihn begleitet hatten, mit dem Auftrag an Silas und Timotheus, sich ihm so schnell wie möglich anzuschließen. Doch während Paulus in Athen auf seine Helfer wartete, war er keineswegs untätig. Als er in den Straßen der berühmten Stadt auf und ab ging, wurde er heftig erregt und von Zorn erfüllt, er war stark erregt, sein Geist war so aufgewühlt, weil er sah, dass die ganze Stadt voller Götzen war; das war ein Merkmal, das Athen unter allen Städten Griechenlands auszeichnete. Tausende von Götter- und Göttinnenfiguren waren entlang der Straßen aufgestellt, und viele Altäre luden zu Opfern für diejenigen ein, die noch an die alte Form der griechischen Religion glaubten. Die große Verärgerung des Apostels über diese Zustände und sein ernsthaftes Verlangen, solche heidnischen Irrtümer aufzudecken, veranlassten ihn, nicht nur in der Synagoge mit den Juden und den Proselyten, die er dort treffen konnte, zu diskutieren und zu streiten, sondern auch täglich auf dem Forum, dem Marktplatz der Stadt. Dies war kein kahler oder leerer Platz mitten in der Stadt, sondern war von schönen Säulengängen umgeben, die mit Skulpturen berühmter Künstler geschmückt waren, wo die Gelehrten der Zeit zu philosophischen Diskussionen zusammenkamen und die philosophischen Schulen ihre Versammlungsräume hatten. Auf der einen Seite befand sich die Stoa Poikile , wo die philosophische Schule der Stoiker tagte, und nicht weit davon entfernt waren die Gärten des Epikur, wobei die eine Schule die absolute Resignation vor dem Schicksal lehrte, während die andere intellektuelle und sinnliche Genüsse in jeder Form verkündete. Für Paulus machte das aber keinen Unterschied, denn er diskutierte sowohl mit den Zufallsgästen auf dem Marktplatz als auch mit den Vertretern dieser philosophischen Schulen. Die Auseinandersetzungen nahmen manchmal die Form förmlicher Begegnungen, hitziger Debatten an, wenn Paulus versuchte, diese Philosophen zu überzeugen. Und ihre Kommentare zu seinen Bemühungen waren alles andere als schmeichelhaft. Einige fragten spöttisch, was dieser Schwätzer denn zu sagen versuche. Die Bedeutung dieses seltsamen Beinamens, der auf Paulus angewandt wurde, ist durch neuere Entdeckungen klar geworden, denn er wird auf jemanden angewandt, der die auf die Straße geworfenen Abfälle und Krümel aufhebt. „Für diese gelehrten Athener bedeutete es offensichtlich, dass Paulus trotz seiner Behauptungen kein origineller Philosoph war, sondern ein Aufsammler gewisser Reste der Philosophie, die von autorisierten und gut ausgebildeten Lehrern weggeworfen worden waren.“[69] Andere bemerkten spöttisch, Paulus scheine ein Verkünder fremder Dämonen, neuartiger und seltsamer Gottheiten, von Göttern, von denen man noch nie gehört habe, zu sein. Diese letzte Bemerkung rührte daher, dass der Apostel ihnen die Nachricht des Evangeliums verkündet hatte: Jesus und die Auferstehung. Merke: Ob wir es mit der Selbstgerechtigkeit der Juden oder mit der Weisheit der Griechen zu tun haben, es gibt immer und nur eine Aufgabe, nämlich das Evangelium des gekreuzigten und auferstandenen Christus zu verkünden. Schließlich kam die Angelegenheit zu einer Krise. Die Männer, mit denen Paulus diskutierte, nahmen ihn mit und brachten ihn auf den Areopag, mit der Bemerkung in Form einer Frage, ob es ihnen möglich sei, herauszufinden, worum es sich bei der von ihm verkündeten neuen Lehre handele. Paulus redete nicht von einer Lehre, sondern er predigte tatsächlich die christliche Lehre. Es waren seltsame, neuartige Dinge, die er ihnen zu Gehör brachte, die die Menschen, die stolz auf ihre menschliche Philosophie waren, erschreckten und verwirrten; sie waren daher entschlossen, zu wissen, was sie vermitteln wollten. Lukas fügt zur Erklärung hinzu, dass alle Athener, sowohl die Einheimischen als auch die Fremden, die sich eine Zeit lang in der Stadt aufhielten, für nichts anderes Zeit hatten, keine angenehmere oder faszinierendere Beschäftigung fanden, als etwas Neues, Neuartiges, Ungewöhnliches zu berichten oder zu hören, etwas, das ihren müden Verstand kitzelte; die allerneuesten Nachrichten in Philosophie und Wissenschaft waren ihr bester Happen. Anmerkung: Die Welt der Buchstaben hat sich in unseren Tagen zwar äußerlich verändert, aber nicht in ihrer Art. Die ewigen Wahrheiten der Bibel werden als abgedroschenes Geschwätz verachtet, aber jede neue Theorie der wahren und falschen Wissenschaft, deren Argumentation noch nie so dünn war, wird mit Freude begrüßt und allzu oft als unwiderlegbares Gesetz hingestellt.

 

    Der erste Teil der Rede des Paulus (V. 22-29): Paulus war von den Männern, die ihn geleiteten, in die Mitte des Rates oder Gerichts auf dem Areopag gestellt worden. „Der Areopag war in der Antike ein Gerichtsrat von Athen, der seine Sitzungen auf dem ‚Mars-Hügel‘ abhielt, der etwas westlich der Akropolis liegt und von dessen Gipfel aus man ihn gut sehen kann. Auf der Spitze dieses Hügels sind noch die Felsenbänke zu sehen, auf denen die Areopagiten unter freiem Himmel saßen, und die beiden großen Felsen, auf denen die Angeklagten saßen. Es ist jedoch nicht sicher, dass Paulus offiziell vor diesem antiken Gericht verhandelt wurde. Vielleicht wurde er an diesen Ort gebracht, weil er dort am besten vor einem interessierten Publikum sprechen konnte, oder es handelte sich lediglich um eine informelle Befragung durch die Mitglieder des Gerichts über seine Lehre. Nach allem, was wir wissen, scheint es jedoch sicher zu sein, dass dieser Rat das Recht hatte, über die Qualifikationen aller Dozenten an der Universität oder in der Stadt zu entscheiden, und die offizielle Verhaftung dieses nicht zugelassenen Dozenten ist keineswegs unmöglich.“[70] Aber ob der Rat Paulus nun formell oder informell hörte, ob er auf dem Hügel neben der Akropolis oder in einem der großen Säle in der Nähe des Forums(Stoa Basileios) sprach, wo das Volk eine bessere Gelegenheit hatte, ihn zu hören, seine Ansprache vor dieser erlesenen Gesellschaft der führenden Weisen der Welt war ein kompromissloses Eintreten für Umkehr und Glauben. Er spricht die Versammlung in der üblichen Weise als „Männer von Athen“ an. Dass sie ein sehr religiöses Volk waren (wörtlich: in hohem Maße dämonenfürchtig), hatte er beobachtet, und so schien es ihm auch zu sein; sie trieben ihre religiöse Verehrung sehr weit. Denn als er durch die Straßen ihrer Stadt wanderte und mit aufmerksamem Interesse die Gegenstände ihrer religiösen Verehrung betrachtete, die Tempel, Haine, Altäre, Statuen, die sie für heilig hielten, hatte er auch einen Altar mit der Inschrift gefunden: An einen unbekannten Gott; eine Inschrift, die seither auf mindestens einem Altar zu finden ist und gelegentlich in alten Schriften erwähnt wird. Ausgehend von Röm. 1, 18-20, für das sich viele Parallelen aus weltlichen Quellen anführen lassen,[71] besteht kein Zweifel, dass viele Heiden die Unzulänglichkeit und Unangemessenheit ihrer Religion empfanden. Ihre natürliche Gotteserkenntnis veranlasste sie, den von ihrem eigenen Volk praktizierten Götzendienst zu bezweifeln und oft zu verurteilen, und hätte sie veranlassen müssen, so lange zu suchen, bis sie die Offenbarung des wahren Gottes gefunden hätten; denn es gab keine Zeit in der Geschichte der Welt, in der nicht irgendwo die Anbetung des Gottes des Himmels verkündet wurde. Die Altäre für den unbekannten Gott scheinen ein halbbewusstes Eingeständnis der Eitelkeit und Leere des Götzendienstes gewesen zu sein. Die Athener beteten also an, was sie nicht kannten; sie erkannten mit Ehrfurcht eine göttliche Existenz an, die für sie namenlos war. Aber das, was sie so andächtig verehrten, ohne es zu kennen, verkündete ihnen Paulus.

    Nach dieser kurzen Einführung stellte Paulus ihnen den wahren Gott vor, damit sie seinen Namen kennen und ihn wissentlich verehren konnten. Der Gott, der die Welt, das geschaffene Universum und alles, was es enthält, erschaffen hat, ist der natürliche Herr des Himmels und der Erde und wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind. Paulus stellt den wahren Gott bewusst den Götzen gegenüber, die in von Menschenhand errichteten Tempeln wohnten und deren Statue oft nur eine kleine Nische eines solchen Tempels ausfüllte. Der wahre Gott wird auch nicht mit von Menschenhand gemachten Gaben oder Opfern bedient oder angebetet, als besäße er nicht Vollkommenheit und ein volles Maß von allem, sondern bedürfe noch etwas. Vielmehr ist er selbst es, der allen Menschen Leben und Atem und alles, was sie brauchen, gibt. Der Versuch, dem Geber aller guten Gaben das zukommen zu lassen, was er selbst schon immer besessen hat, ist offensichtlich ein törichtes Unterfangen, denn das Leben der Menschen und ihr Fortbestand hängen allein von ihm ab. Und dieser allmächtige Schöpfer hat aus einem einzigen Menschen, indem er Adam zum Vater des gesamten Menschengeschlechts machte, jedes Menschengeschlecht geschaffen, um auf dem gesamten Antlitz, in jedem Teil der Erde, zu wohnen. Es bedarf keiner Theorien und Vermutungen, keiner falschen Philosophie; Adam ist nach dem Willen Gottes der Stammvater des gesamten Menschengeschlechts. Und derselbe Gott hat auch die im Voraus festgelegten Zeiten und die Grenzen der Wohnorte der Menschen bestimmt. Nach seinem Willen und seiner Anordnung gibt es Zeiten, in denen die Völker das Gebiet, das sie besetzt haben, behalten dürfen, und es gibt Zeitpunkte, an denen sie enteignet werden. So steuert Gott, der alle Menschen geschaffen hat, auch die Geschichte aller Völker. Und der Zweck, den Gott mit dieser Offenbarung seiner allmächtigen Macht und Vorsehung verfolgt, besteht darin, dass die Menschen den Herrn suchen, wenn sie auf irgendeine Weise etwas von seinem Wesen erfassen und ihn so finden können. Sie sollen dazu gebracht werden, genau die Erkenntnis Gottes zu erlangen, die Paulus ihnen hier zu vermitteln versucht. Es mag ein Tappen sein, wie das eines Blinden, und bei allen Bemühungen würde es nur zu einer teilweisen Erkenntnis des Wesens Gottes führen; aber es würde weiterführen und sollte dann durch die Erkenntnis der Offenbarung ergänzt werden. Denn Er, der Schöpfer, ist nicht fern von jedem einzelnen Menschen, Seine persönliche Gegenwart ist bei jedem Seiner Geschöpfe, nicht mit einer Idee von Pantheismus, sondern mit einer persönlichen Beziehung, die Seine zärtliche Sorge für jedes einzelne Leben zeigt. In ihm leben, bewegen und existieren alle Menschen, sie sind persönliche Wesen. Ohne Gott, der uns erhält, könnten wir kein Leben zeigen, könnten wir uns nicht bewegen, ja wir könnten nicht einmal existieren. Die Erkenntnis, die Paulus auf diese Weise vermittelte, konnte auch durch die Betrachtung der Werke Gottes gewonnen werden, wie die von Paulus kurz zitierten Stellen aus den griechischen Dichtern zeigen: Denn wir sind seine Nachkommen. Die Worte finden sich in den Gedichten des Aratus und des Cleanthes und waren allen bekannt, die etwas von griechischer Poesie verstanden. Dass Paulus hier Worte aus einem heidnischen Gedicht auf den wahren Gott anwendet, sollte umso weniger Anstoß erregen, als die Dichter zweifellos die natürliche Erkenntnis Gottes zum Ausdruck brachten, die sie durch eine sorgfältige Beobachtung der Welt und ihrer Regierung verstärkt hatten. So hatte Paulus, indem er sich auf die natürliche Erkenntnis eines göttlichen Wesens stützte, die auch nach dem Sündenfall in den Herzen der Menschen zu finden ist, seinen Zuhörern eine Vorstellung von dem wahren Gott und von ihrer Beziehung zu ihm in der Schöpfung und Erhaltung gegeben. Die gleichen Argumente lassen sich unter ähnlichen Umständen auch heute noch anwenden.

 

    Der Schluss der Rede des Paulus und ihre Wirkung (V. 29-34): Wenn seine Zuhörer die Tatsachen über das Wesen Gottes und das Verhältnis der Menschen zu Gott im Gedächtnis behalten haben, so lautet die Argumentation des Paulus, und wenn sie die Aussage akzeptieren, dass die Menschen die Nachkommen Gottes sind, dass sie als Geschöpfe Gottes von seiner Vorsehung erhalten werden, dann folgt daraus, dass die Götzenanbetung der erhabenen Abstammung der Menschen ganz und gar unwürdig ist. Sie müssen nicht nur gegen die Anbetung von Bildern, sondern auch gegen die Denkgewohnheiten, die eine solche Anbetung ermöglichen, als töricht und sinnlos schließen. Es ist nicht nur eine Beleidigung für Gott, sondern auch für den gesunden Menschenverstand, zu denken, dass die Gottheit wie Gold oder Silber oder Stein ist, geformt und modelliert durch die Kunst und hergestellt nach den Überlegungen eines Menschen. Was der Verstand eines Menschen, seine Phantasie, entworfen hat, was die Geschicklichkeit seiner Finger in Metall oder Marmor ausgeführt hat, das kann doch nicht mit den Eigenschaften der Gottheit ausgestattet sein! Und außerdem sollten seine Zuhörer wissen, dass Gott tatsächlich die Zeiten der Unwissenheit übersehen hatte, nicht als ob er die Sünden der Heiden nicht bestraft hätte, sondern dass er große Geduld und Nachsicht mit ihnen zeigte, indem er sie nicht in dem Maße bestrafte, wie es ihr Götzendienst verdient hatte. Nun aber, da die volle Offenbarung Gottes in Jesus Christus stattgefunden hat, verlangt Gott von allen Menschen eine Sinnes- und Lebensänderung, eine völlige Umkehr; diese Botschaft hat den Charakter einer nachdrücklichen Aufforderung. Diese Botschaft hat den Charakter einer nachdrücklichen Aufforderung. Sie sollen sich also in Acht nehmen, denn Gott hat einen Tag festgesetzt, an dem er die ganze Welt, alle Menschen ohne Ausnahme, in Gerechtigkeit richten will, und zwar so, dass jeder seine volle Gerechtigkeit erfährt. Dieses Gericht wird in der Person eines Menschen vollzogen werden, durch einen Richter, den Gott zu diesem Zweck eingesetzt hat, Joh. 5,22. Aber in der Zwischenzeit bietet Gott allen Menschen den Glauben an, weil er diesen Menschen, Jesus Christus, von den Toten auferweckt hat. Ausnahmslos allen Menschen wird der Glaube nahegebracht, wird der Glaube angeboten, der auf der Auferstehung Jesu Christi beruht und durch dieses große Wunder der Gnade Gottes ermöglicht wurde. So endet die Ansprache des Paulus mit einem triumphalen Ausbruch des Evangeliums, der die Heiden von der wunderbaren Schönheit dieser Botschaft beeindrucken und ihre Herzen für Christus öffnen soll. Aber der Gedanke an eine Auferstehung der Toten, der so untrennbar mit der christlichen Lehre verbunden ist, war für diese weisen Athener der Gipfel der Torheit. Solange Paulus die Torheit ihres Götzendienstes aufgezeigt hatte, hatten sie mit respektvoller Aufmerksamkeit zugehört, aber jetzt, da er die wesentliche Lehre Christi brachte, unterbrachen ihn einige der Männer in der Zuhörerschaft mit Ausrufen des Spottes, während andere, durch die kraftvolle Darlegung nachdenklich geworden, nicht nur ein kaltes Interesse an den vorgetragenen Dingen bekundeten, sondern sich bereit erklärten, ihn zu einem anderen Zeitpunkt wieder zu hören. Sie wollten Zeit haben, um über die Wahrheiten nachzudenken, die sie bis jetzt gehört hatten. So verließ Paulus die Versammlung des Gerichts ohne weiteren Widerstand. Und auch in Athen blieb das Wort nicht ohne unmittelbare Frucht, denn unter den Zuhörern befanden sich mehrere Personen, in deren Herzen der Glaube entzündet worden war, und die sich deshalb Paulus als seine Begleiter und als Jünger des Herrn anschlossen. Unter ihnen befand sich ein Mitglied des athenischen Rates, ein angesehener Mann in der Stadt namens Dionysius, und eine Frau, sehr wahrscheinlich eine Ausländerin, die sehr gebildet und einflussreich war, sowie einige andere mit ihnen. Inmitten seiner Feinde herrscht Christus und erringt Siege, obwohl das stolze Athen nur wenige Bekehrte hervorgebracht hat, 1. Kor. 1,26.27. Mögen alle Weisheit und Kunst dieser Welt mit Stolz die Wahrheit des Evangeliums anprangern, so ist doch die Torheit Gottes weiser als die Menschen; sie lehrt die himmlische Weisheit, die in Christus offenbart wurde.

 

Zusammenfassung: Paulus und Silas predigen das Evangelium in Thessalonich und Beröa, wobei Paulus seinen Gefährten von der letztgenannten Stadt aus nach Athen vorausreist, wo er ebenfalls die Wahrheit der Heiligen Schrift und den Glauben an Jesus predigt.

 

 

Kapitel 18

 

Paulus in Korinth (18,1-17)

   1 Danach schied Paulus von Athen und kam nach Korinth 2 und fand einen Juden mit Namen Aquila, der Geburt aus Pontus, welcher war neulich aus Italien gekommen, samt seiner Frau Priscilla, darum dass der Kaiser Claudius geboten hatte allen Juden, zu weichen aus Rom. 3 Zu denen ging er ein; und weil er gleichen Handwerks war, blieb er bei ihnen und arbeitete; sie waren aber des Handwerks Teppichmacher. 4 Und er lehrte in der Synagoge an allen Sabbaten und beredete beide, Juden und Griechen. 5 Da aber Silas und Timotheus aus Mazedonien kamen, drang Paulus der Geist, zu bezeugen den Juden Jesus, dass er der Christus sei. 6 Da sie aber widerstrebten und lästerten, schüttelte er die Kleider aus und sprach zu ihnen: Euer Blut sei über euer Haupt! Ich gehe von nun an rein zu den Heiden.

    7 Und machte sich von dannen und kam in ein Haus eines mit Namen Justus, der gottesfürchtig war, und dessen Haus war zunächst an der Synagoge. 8 Crispus aber, der Vorsteher der Synagoge, glaubte an den HERRN mit seinem ganzen Haus; und viel Korinther, die zuhörten, wurden gläubig und ließen sich taufen. 9 Es sprach aber der HERR durch ein Gesicht in der Nacht zu Paulus: Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! 10 Denn ich bin mit dir und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden; denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt. 11 Er saß aber daselbst ein Jahr und sechs Monden und lehrte sie das Wort Gottes.

    12 Da aber Gallion Landvogt war in Achaja, empörten sich die Juden einmütig gegen Paulus und führten ihn vor den Richterstuhl 13 und sprachen: Dieser überredet die Leute, Gott zu dienen, dem Gesetz zuwider. 14 Da aber Paulus wollte den Mund auftun, sprach Gallion zu den Juden: Wenn es ein Frevel oder Schalkheit wäre, liebe Juden, so hörte ich euch billig; 15 weil es aber eine Frage ist von der Lehre und von den Worten und von dem Gesetz unter euch, so seht ihr selber zu; ich gedenke darüber nicht Richter zu sein. 16 Und trieb sie von dem Richterstuhl. 17 Da ergriffen alle Griechen Sostenes, den Vorsteher der Synagoge, und schlugen ihn vor dem Richterstuhl; und Gallion nahm sich’s nicht an.

 

    Aquila und Priscilla und der Beginn der Arbeit (V. 1-6): Paulus hatte die Absicht, in Athen auf Silas und Timotheus zu warten, aber die Umstände veranlassten ihn, diese Stadt zu verlassen, bevor sie eintrafen. Er verließ Athen, die Stadt, die sich nicht für die Botschaft des Evangeliums interessierte, und reiste hinaus. Etwas mehr als vierzig Meilen westlich auf einer guten römischen Straße, auf der Landenge zwischen Hellas und dem Peloponnes, lag die Stadt Korinth, die Hauptstadt der römischen Provinz Achaia und das Zentrum von Regierung und Handel. Es war eine reiche und schöne Stadt, deren Tempel und öffentliche Gebäude teilweise mit denen von Athen gleichzusetzen waren. Ihr Reichtum strömte durch den östlichen Hafen Cenchreae am Saronischen Golf und im Westen durch die Bucht von Korinth in die Stadt. Doch trotz all seiner äußeren Schönheit, seines Reichtums und seines Ruhmes war Korinth zu einem Synonym für Laster und Niedertracht, für Korruption und Zügellosigkeit geworden. Jahrhunderte zuvor hatten die Phönizier auf der Akropolis von Korinth die Verehrung der semitischen Göttin Astarte eingeführt, und die offene Weihe schamloser Unreinheit im Dienste dieses Venustempels, wie der römische Name lautet, übersteigt fast die Vorstellungskraft. Dennoch handelte Paulus mit reiflicher Überlegung, als er diese Stadt als Missionsstation auswählte, denn sie war einer der Knotenpunkte auf der Kommunikationslinie, an dem viele untergeordnete Straßen zusammenliefen. In Korinth konnte Paulus auch seine übliche Methode anwenden, um Zugang zum Volk zu erhalten, denn die wirtschaftlichen Vorteile der Stadt hatten viele Juden angezogen, und es gab eine Synagoge mit einer blühenden Gemeinde. Nachdem Paulus die Hauptstadt Achaias erreicht hatte, fand er - nicht durch gezielte Suche, sondern durch Zufall - einen Juden namens Aquila, der aus Pontus in Kleinasien, einer Provinz südöstlich des Schwarzen Meeres, stammte. Dieser Mann war erst vor kurzem mit seiner Frau Priscilla aus Italien gekommen, weil der römische Kaiser Claudius im Jahr 50 n. Chr. alle Juden durch ein kaiserliches Dekret aus Rom vertrieben hatte. Es muss also im Herbst dieses Jahres gewesen sein, als Paulus Aquila und seine Frau kennenlernte und bei ihnen unterkam. Ob Priscilla einen hohen gesellschaftlichen Rang hatte, wie vermutet wurde, oder nicht, und ob sie die erste war, die sich Christus zuwandte, oder ob ihr Mann sie zu dem Heil geführt hatte, das er als erster gefunden hatte, lässt sich nicht eindeutig sagen. Aber es ist sicher, dass sie in der Gemeindearbeit sehr aktiv war, Röm. 16,3; 1. Kor. 16,19; 2. Tim. 4,9, und dass sie einen großen Eifer im Geiste und eine große Fähigkeit zur Leitung hatte. Die Vereinbarung, nach der Paulus bei diesen Leuten wohnte, erwies sich als für beide Seiten angenehm und zufriedenstellend, denn sie waren Handwerkskollegen, die von Beruf Zeltmacher waren. Wahrscheinlich war es nicht nötig, dass sie ihr Material selbst webten, denn das fertige Produkt aus Zilizien und anderen asiatischen Provinzen konnte in einer Handelsstadt wie Korinth leicht beschafft werden. So arbeitete Paulus in seinem Beruf und verdiente seinen Lebensunterhalt während der Woche durch die Arbeit seiner Hände, Kap. 20,34. 35; 1. Thess. 2,9; 2. Thess. 3,8; 1. Kor. 4,11.12; 2. Kor. 11,9; Phil. 4,12; aber am Sabbat folgte er seiner alten Gewohnheit, in der Synagoge zu argumentieren und zu versuchen, sowohl die Juden als auch die Griechen, die Proselyten, die den Synagogengottesdienst besuchten, zu überzeugen. Ob Paulus zu dieser Zeit krank war oder ob es ihm an der gewohnten Inbrunst und Angriffslust mangelte: Er scheint jedenfalls nicht in der Lage gewesen zu sein, den gewohnten Eindruck auf seine Zuhörer zu machen. Aber mit der Ankunft von Silas und Timotheus aus Mazedonien, die zumindest einen Teil seines Aufenthaltes bei ihm blieben, 2. Kor 1,19, und die auch in den Anreden der beiden Briefe an die Thessalonicher genannt werden, trat eine Veränderung ein. Wahrscheinlich brachten ihm seine beiden Assistenten eine gewisse finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde in Thessalonich, denn er war nun ganz mit der Lehre des Heils beschäftigt und widmete seine ganze Zeit und Energie der Verkündigung des Evangeliums, wie es in der Prophezeiung und in der Erfüllung zu finden ist, und bezeugte mit großer Kraft und großem Erfolg die Tatsache, dass Jesus der Christus, der verheißene Messias ist. Wie üblich löste diese furchtlose Verkündigung eine Krise aus. Die Juden stellten sich gegen ihn und seine Botschaft; sie beschimpften Paulus nicht nur, sondern lästerten sein Evangelium und den Namen Christi. Und deshalb schüttelte Paulus feierlich und eindrücklich seinen Mantel aus, schüttelte den Staub ihrer Synagoge von seinen Kleidern, um gegen sie Zeugnis abzulegen, und sagte ihnen gleichzeitig, dass ihr Blut auf ihrem eigenen Kopf laste, dass sie niemanden außer sich selbst für ihre Verdammnis verantwortlich machen könnten. Er wusste, dass er rein, unschuldig und frei von Schuld war; er hatte seine volle Pflicht für sie erfüllt, und von da an wollte er zu den Heiden gehen. Welches blutige Ende auch immer die unvermeidliche göttliche Strafe für sie bringen würde, sie mussten es allein ihrer eigenen Hartherzigkeit zuschreiben; sein Gewissen sprach ihn von jeder weiteren Verantwortung frei. Anmerkung: Wenn alle Bemühungen, das Evangelium in eine bestimmte Gegend oder Stadt zu bringen, an der Weigerung der Einwohner scheitern, kann man den Menschen die Folgen ihres Widerstands mit ähnlichen Worten ankündigen wie Paulus; denn Gott lässt sich nicht spotten.

 

    Erfolg der Heidenpredigt (V. 7-11): Nachdem er von dort, von der Synagoge, weggegangen war, sich aus der Mitte der lästernden Juden entfernt hatte, war Paulus nicht lange auf der Suche nach einem geeigneten Versammlungsort. Er begab sich sogleich in das Haus eines Titus Justus, eines gottesfürchtigen Mannes, eines Proselyten, offensichtlich eines römischen Bürgers mit einigem Einfluss und Vermögen, durch den Paulus Zugang zu den gebildeten Schichten der Stadt finden konnte. Das Vorgehen der Juden schadete dem Apostel also nicht, sondern kam, wie so oft, dem Evangelium zugute. Auch die Lage des Hauses des Justus war günstig, denn es grenzte an die Synagoge und war somit sowohl für Juden als auch für Griechen bequem zu erreichen. Und dass sich nicht alle Juden der Lästerung der Botschaft des Evangeliums anschlossen, geht daraus hervor, dass der Vorsteher der korinthischen Synagoge, Krispus, in dieser Krise mutig für die Sache des Herrn eintrat; er glaubte an den Herrn mit seinem ganzen Haus, mit allen Gliedern seiner Familie und seines Haushalts, mit seinen Kindern und seinen Knechten, 1. Kor 1,14. Und die Bewegung gewann an Kraft, denn viele der Korinther, Heiden, als sie das Wort hörten, glaubten an den Herrn Jesus Christus und ließen sich taufen. Die Ausbreitung des neuen Glaubens erfolgte allmählich, aber kontinuierlich. Das entschlossene Handeln des Paulus, der sich zu seinem Herrn bekannte, hatte die Ausbreitung des Wortes nicht behindert, sondern befördert. Und nun wurde er in seiner kämpferischen Arbeit durch eine nächtliche Vision gestärkt, in der der Herr ihm sagte, er solle sich weder vor der anhaltenden bösartigen Opposition der Juden noch vor irgendeiner anderen Gefahr fürchten, sondern weiter reden und bezeugen und auf keinen Fall schweigen, niemals aufhören. Und diesen Befehl bekräftigte der Herr durch die ermutigende Verheißung, dass er selbst, der allmächtige Gott, mit ihm sei und dass niemand Hand an ihn legen werde, um ihm Schaden zuzufügen. Wer unter dem Schutz des Herrn steht, ist sicherer, als wenn alle Armeen der Welt zu seiner Verteidigung zusammengerufen und aufgestellt würden. Und in Korinth hatte der Herr, wie er sagte, eine große Zahl von Menschen, die noch durch die Verkündigung des Evangeliums gewonnen werden sollten. Gott wusste, dass sich sein barmherziger Wille in ihrem Fall erfüllen würde, dass sie zum Glauben an ihren Retter Jesus Christus kommen würden. So hatte der Herr inmitten des korinthischen Volkes, dessen moralisches Niveau so niedrig war wie das jeder anderen Stadt des Reiches, eine Gemeinde auserwählt, die durch das Blut Christi, durch den Glauben an seine Erlösung, geheiligt werden sollte. Hier vollbrachte das Christentum sein Wunder, wie ein Kommentator sagt, denn in Korinth wurde das Evangelium auf eine harte Probe gestellt, und nirgendwo triumphierte es glorreicher. Und obwohl Gott vor allem die Niedrigen aus dem Volk erwählt hat, 1. Kor. 1,26.27, so hat er doch auch Männer von hohem Rang berufen, einen Crispus, einen Gaius, einen Stephanas und einen Erastus, den öffentlichen Kämmerer der Stadt, Röm. 16,23. Da seine Arbeit so großen Erfolg hatte, ließ sich Paulus vorläufig in Korinth nieder; er führte ein ruhiges und beständiges Werk aus, um die Gemeinde zu gründen und sie im Glauben und in der Heiligkeit wachsen zu sehen; sein ganzer Aufenthalt dauerte ein Jahr und sechs Monate. Er predigte das Wort des Herrn, keine törichten Phantasien seiner eigenen Phantasie oder der Philosophie der Menschen; denn letztere werden die Kirche Christi niemals aufbauen, wie attraktiv sie auch präsentiert werden mag.

 

    Empörung zur Zeit des Gallio (V. 12-17): Gallio wurde Prokonsul von Achaia und übernahm die Leitung der Provinz im Sommer 51 n. Chr., fast ein Jahr nachdem Paulus nach Korinth gekommen war. „Ein weiterer Beweis für die Genauigkeit des Lukasevangeliums. Achaia wurde seit 27 v. Chr. (als es von Makedonien, mit dem es seit 146 v. Chr. vereinigt war, abgetrennt und zu einer eigenen Provinz gemacht wurde) von einem Prokonsul regiert. Im Jahr 15 n. Chr. hatte Tiberius sie mit Makedonien und Mysien wiedervereinigt, und sie stand daher als kaiserliche Provinz unter einem kaiserlichen Zegatus. Aber eine weitere Änderung trat ein, als Claudius es 44 n. Chr. wieder zu einer senatorischen Provinz unter einem Prokonsul machte.“[72] Offensichtlich hielten die Juden dies für einen günstigen Zeitpunkt, um einen Aufruhr anzuzetteln, denn sie erhoben sich einmütig, wie ein Mann, gegen Paulus und führten ihn vor den Richterstuhl des Prokonsuls. Sie dachten wohl, der neue Prokonsul wolle einen guten Eindruck machen und sich sofort das Wohlwollen aller Untertanen sichern, und würden deshalb ihrer Bitte nachkommen. Die Anklage gegen Paulus lautete, dass er entgegen dem Gesetz das Volk zur Anbetung Gottes überredet habe. Die Formulierung der Anklage zeugt von großem Geschick, denn in gewissem Sinne kann das Wort „Gesetz“ sowohl das römische als auch das jüdische Gesetz umfassen, wobei das erste von der Regierung festgelegt und das zweite durch ein besonderes Dekret erlaubt ist. Mit der Behauptung, die Lehre des Paulus sei ungesetzlich, wollten sie den Eindruck erwecken, er verbreite eine verbotene Religion, während sie sich in ihrem eigenen Herzen nur auf ihr Zeremonialgesetz und die Traditionen bezogen, die ihnen heilig waren. Die Juden bedienten sich hier also einer Mischung aus Dreistigkeit und Klugheit. Paulus wollte gerade seine Lippen öffnen, um eine passende Antwort auf diese sophistische Anklage zu geben, als Gallio den Juden eine Antwort gab, die zeigte, dass er eine harte und feste Grenze zwischen einer Anklage wegen unrechtmäßigen Handelns gegen den Staat und gegen jüdisches Gesetz und Brauch zog. Er erklärte, wenn es sich um eine rechtswidrige Handlung, um einen Verstoß gegen das staatliche Recht oder um ein tatsächliches Verbrechen, ein moralisches Unrecht handele, dessen sie Paulus beschuldigten, würde er ihnen Recht geben und den Fall nach Recht und Gerechtigkeit prüfen. Aber wenn es um eine Diskussion über ein Wort und einen Namen ihres Gesetzes ginge, müssten sie sich selbst darum kümmern; er habe nicht vor, in solchen Dingen als Richter aufzutreten. Gallio war sich nicht ganz im Klaren darüber, worum es bei der ganzen Kontroverse ging; vielleicht hörte er einige Hinweise auf das Wort Gottes, auf den Namen Jesu, auf die Sitten und Gebräuche der Juden. Und es war nicht notwendig, dass er in seiner Eigenschaft als weltlicher Richter mit diesen Dingen vertraut war. Aber er bewies, dass das hohe Lob, das ihm die Historiker zollten, indem sie ihn einen Mann von bewundernswerter Integrität, liebenswürdig und beliebt nannten, nicht unangebracht war. In dieser Hinsicht könnte er Staatsbeamten überall als Beispiel dienen, indem er ihnen zeigt, dass sich die Staatsgeschäfte nur mit Übertretungen der zweiten Tafel des Gesetzes befassen und sich nicht in die Ausübung der Religion einmischen sollten. Das prompte und energische Handeln des Prokonsuls, der nicht nur ohne die geringste Verzögerung ein klares Urteil fällte, sondern auch die aufdringlichen Juden mit einiger Schärfe abwies und das Gericht räumte, machte einen sehr günstigen Eindruck auf das Volk, das sich auf dem Forum versammelt hatte, und wendete das Vorurteil des Volkes zugunsten von Paulus. Die anwesenden Griechen ergriffen sofort Sosthenes, den Nachfolger von Crispus als Vorsteher der Synagoge, und versetzten ihm vor den Augen des Gerichts eine kräftige Tracht Prügel, und Gallio nahm die Prügel nicht offiziell zur Kenntnis, da er zweifellos annahm, dass es eine gewisse Verbitterung gegen die Juden gab, die sich auf diese vergleichsweise harmlose Weise Luft machen könnte. In Übereinstimmung mit der Verheißung des Herrn, dass dem Apostel kein Leid widerfahren sollte, war die Absicht des Gallio, sich strikt auf seine Tätigkeit als Prokonsul zu beschränken, ein Mittel, um Paulus vor Verfolgung und wahrscheinlich sogar vor dem Tod zu bewahren.

 

Rückreise nach Antiochia und Beginn der dritten Missionsreise (18,18-28)

    18 Paulus aber blieb noch lange dort. Danach machte er seinen Abschied mit den Brüdern und wollte nach Syrien schiffen und mit ihm Priscilla und Aquila. Und er beschor sein Haupt zu Kenchrea; denn er hatte ein Gelübde. 19 Und kam hinab nach Ephesus und ließ sie dort. Er aber ging in die Synagoge und redete mit den Juden. 20 Sie baten ihn aber, dass er längere Zeit bei ihnen bliebe. Und er willigte nicht ein, 21 sondern machte seinen Abschied mit ihnen und sprach: Ich muss unbedingt das künftige Fest zu Jerusalem halten; will’s Gott, so will ich wieder zu euch kommen. Und fuhr weg von Ephesus. 22 Und kam nach Cäsarea und ging hinauf und grüßte die Gemeinde und zog hinab nach Antiochia.

    23 Und er verzog etliche Zeit und reiste aus und durchwandelte nacheinander das galatische Land und Phrygien und stärkte alle Jünger. 24 Es kam aber nach Ephesus ein Jude mit Namen Apollos, der Geburt von Alexandrien, ein beredter Mann und mächtig in der Schrift. 25 Dieser war unterwiesen in dem Weg des HERRN und redete mit brünstigem Geist und lehrte mit Fleiß von dem HERRN und wusste allein von der Taufe des Johannes. 26 Dieser fing an, frei zu predigen in der Synagoge. Da ihn aber Aquila und Priscilla hörten, nahmen sie ihn zu sich und legten ihm den Weg Gottes noch fleißiger aus. 27 Da er aber wollte nach Achaja reisen, schrieben die Brüder und ermahnten die Jünger, dass sie ihn aufnähmen. Und als er dahinkommen war, half er viel denen, die gläubig waren geworden durch die Gnade. 28 Denn er überwand die Juden beständig und bewies öffentlich durch die Schrift, dass Jesus der Christus sei.

 

    Von Korinth nach Antiochia (V. 18-22): Nach dem erfolglosen Aufstand der Juden, der im Herbst 51 n. Chr. stattgefunden haben muss, blieb Paulus noch ein halbes Jahr in Korinth, viele Tage, wie Lukas berichtet, was zeigt, dass es keine Schwierigkeiten mehr gab, sondern dass das Evangelium frei gepredigt werden konnte. Dann aber verabschiedete er sich von den Brüdern und schiffte sich nach Syrien ein, er machte sich auf die Reise, mit Syrien als Ziel. Priscilla und Aquila, seine Gastgeber und guten Freunde, begleiteten ihn. Man beachte, dass Lukas den Namen der Frau an die erste Stelle setzt, da sie die aktivere und tatkräftigere im Werk des Herrn war. Sie gingen zuerst zum östlichen Hafen von Korinth, der Stadt Kenchreä, hinunter, denn hier legten die Schiffe an, die den Handel mit Asien betrieben. Bevor er an Bord ging, ließ sich Paulus den Kopf scheren und nahm das Haar mit, denn er hatte ein Gelübde, das er dem Herrn zu erfüllen gedachte, wahrscheinlich am kommenden Passahfest in Jerusalem, 4. Mose 6,13-21.[73] Er hatte ein Nasiräer-Gelübde abgelegt und nahm nun das regelmäßige Schneiden seines Haares wieder auf, das dann nach besonderen Vorschriften, die für solche Fälle bestimmt waren, zum Eingang des Tempels gebracht und dort verbrannt werden konnte. Paulus hielt sich als Jude noch an die Bräuche des jüdischen Gesetzes und der Tradition, die die Ausübung der christlichen Religion nicht beeinträchtigten. In gleicher Weise ließ sich Luther nicht von ikonoklastischen Motiven leiten, sondern behielt solche Bräuche der äußeren Verehrung bei, die an sich nicht sündhaft sind. Von Kenchreä aus segelten Paulus und seine Gefährten ostwärts und überquerten das Ägäische Meer mit seinen vielen schönen und geschichtsträchtigen Inseln, eine Strecke von etwa 250 Meilen [ca. 403 km] bis nach Ephesus, der Hauptstadt der römischen Provinz Asien, einer Stadt, die er zu Beginn seiner Reise besuchen wollte. Hier verließ der Apostel seine Gefährten, die wahrscheinlich die Absicht hatten, hier eine Weile zu bleiben, um bei der Missionsarbeit mitzuhelfen. Paulus selbst konnte es sich, während sein Schiff einige Tage im Hafen lag, nicht nehmen lassen, am Sabbat die Synagoge zu besuchen, denn er wollte, dass andere an seiner Hoffnung auf das ewige Heil durch die Verdienste Jesu teilhaben. Zu diesem Zweck argumentierte er mit den Juden aus der Heiligen Schrift, nicht ohne auf sie Eindruck zu machen, denn sie baten ihn, noch länger dort zu bleiben. Er sah sich jedoch gezwungen, die Einladung abzulehnen, und verabschiedete sich daher von ihnen mit den Worten, er müsse unbedingt das kommende Fest, wahrscheinlich das Passahfest, in Jerusalem feiern. Aber er tröstete sie mit dem Versprechen, dass er zu ihnen zurückkehren würde, wenn es der Wille Gottes sei. Beachten Sie das Beispiel, das Paulus mit seinem bedingten Versprechen gibt. Von Ephesus aus setzte Paulus seine Reise um die südwestliche Küste Kleinasiens herum fort und fuhr dann an der kleinen Insel Rhodos vorbei in südöstlicher Richtung, wobei er Zypern links liegen ließ, bis das Schiff Cäsarea erreichte, die Stadt des Hauptmanns Kornelius. Unverzüglich reiste er auf die Berge hinauf, wo Jerusalem lag (Höhe etwa 2.500 Fuß, etwa 762 m), begrüßte die Gemeinde, legte sein Gelübde ab, nahm am Fest teil, brach dann aber sofort auf, um auf dem Landweg nach Antiochia zu reisen, wo er zweifellos von der Gemeinde freudig empfangen wurde. Es war das Ende seiner zweiten langen Missionsreise, auf der er fast drei Jahre lang abwesend gewesen war.

 

    Der Beginn der dritten Missionsreise (V. 23-28): Paulus hatte Antiochia wahrscheinlich im Frühsommer des Jahres 52 erreicht, hielt sich dort aber nicht lange auf. Sein Eifer für den Herrn und das Evangelium erlaubte es ihm nicht, sich auszuruhen. Noch bevor die Sommerhitze einsetzte, war er wieder unterwegs und reiste auf dem Landweg über dieselbe Strecke, die er auf der vorangegangenen Reise, Kap. 15,41, genommen hatte, durch Syrien nach Kilikien. 15,41, durch Syrien nach Zilizien und von dort durch die Kilikische Pforte in die Lykaonische Hochebene. Hier setzte er seine Missionsreise durch Südgalatien, in den Bezirken von Lykaonien und Phrygien, durch Derbe, Lystra, Ikonium und das pisidische Antiochia fort. Nach der Schnelligkeit seiner Reise zu urteilen, die aus den Worten des Lukas hervorgeht, muss Paulus alle Gemeinden dieser Regionen in einem solchen Zustand vorgefunden haben, dass ein längerer Besuch seinerseits nicht notwendig war. Dennoch nutzte er jede Gelegenheit, um alle Jünger zu ermahnen, zu ermutigen und zu bestärken, indem er sie ernsthaft aufforderte, am Glauben an den Herrn Jesus festzuhalten, wie er ihnen überliefert worden war. Paulus ist mit seiner Energie und seiner Arbeitsfähigkeit ein vorbildlicher Missionar für alle Zeiten; er hat sich nicht geschont in der Arbeit für seinen Herrn. Aber während er den Spätsommer und den Frühherbst im Zentrum Kleinasiens verbrachte, bereiteten die Ereignisse in Ephesus den Weg für seine Arbeit in dieser wichtigen Stadt. Denn ein gewisser Jude namens Apollos, ein gebürtiger Alexandriner, dessen Eltern und Vorfahren viele Jahre in dieser ägyptischen Stadt gelebt hatten, so dass er ein gebürtiger Alexandriner war, wenn auch ein Jude von Abstammung und Bildung, kam nach Ephesus und ließ sich dort eine Zeit lang nieder. Er war sowohl beredt als auch gelehrt und in der Heiligen Schrift sehr belesen; er war in ihr zu Hause und konnte in jeder Notlage und zur Verteidigung jeder Lehre die wichtigsten Stellen anführen. Dieser Mann hatte eine katechetische Unterweisung auf dem Weg des Herrn erhalten; er kannte den göttlichen Heilsplan, der auf die Erlösung Israels abzielte; er kannte zwar keine andere Taufe als die des Johannes, aber er kannte vielleicht einiges von den Worten und Taten Christi aus Berichten, die ägyptische Juden von ihren Besuchen in der jüdischen Hauptstadt mitbrachten. Aber was ihm an genauem Wissen fehlte, machte er durch seinen Eifer wieder wett. Sein Geist brannte vor Eifer für den Herrn, und er machte es sich zur Gewohnheit, die Dinge, die Jesus Christus betrafen, mit aller Genauigkeit zu sagen und zu lehren; sowohl in privaten Gesprächen als auch in öffentlichen Reden legte er die Tatsachen, die ihn gelehrt worden waren, so genau dar, wie er konnte. Da er in der christlichen Erkenntnis noch schwach war, begann er sogar in der Synagoge frei zu reden, denn er hatte den Mut zu seiner Überzeugung. Und Aquila und Priscilla, die es nicht für nötig befunden hatten, sich von ihren Landsleuten in Ephesus zu trennen, zeigten, als sie ihn reden hörten, feines Gespür und Fürsorge für ihn. Sie erkannten sowohl seine Vorzüge als auch seine Schwächen und nahmen ihn deshalb zu sich, um ihm den Weg des Herrn genauer darzulegen und das, was ihm noch an Wissen fehlte, durch die Informationen zu ergänzen, die sie von Paulus erhalten hatten. Das war ein schönes Zeichen für den richtigen Geist gegenüber einem Bruder, der noch schwach in der Erkenntnis war; und die Tatsache, dass Apollo diesen Dienst in dem Geist annahm, in dem er geleistet wurde, zeigt, dass er nicht mit Stolz über seine Fähigkeiten und Kenntnisse aufgeblasen war. Als er daher einige Zeit später, nachdem er in der vollen christlichen Erkenntnis gefestigt war, plante, für einen längeren Aufenthalt nach Achaia, nach Korinth, hinüberzugehen, schrieben die christlichen Brüder von Ephesus einen Empfehlungsbrief für ihn und forderten die Jünger in der griechischen Hauptstadt auf, ihn willkommen zu heißen. Dieser Liebesdienst verdient es, in unseren Tagen etwas häufiger nachgeahmt zu werden; denn nicht nur die Verwandten und engen Freunde, sondern alle christlichen Brüder sollten sich für das geistliche Wohlergehen derjenigen interessieren, die in einen anderen Teil des Landes ziehen. Aber auch das Beispiel des Apollo ist bezeichnend, denn er suchte sofort die Brüder in Korinth auf und erwies sich im Gespräch mit ihnen als große Hilfe für die, die durch die Gnade gläubig geworden waren. Was Paulus gepflanzt hatte, bewässerte Apollo; aber es war Gott, der das Wachstum schenkte. Seine Gnade wirkte den Glauben in den Herzen der Gläubigen, so wie sie es auch heute noch tut. Der Erfolg von Apollos Wirken beruhte nicht zuletzt darauf, dass er die Juden mit Macht und Vehemenz niederwarf; er widerlegte sie, auch wenn er sie nicht überzeugen konnte; denn er bewies vor dem ganzen Volk in öffentlichen Versammlungen anhand der Heiligen Schrift, der Schriften des Alten Testaments, wie sie von den Juden allgemein anerkannt waren, dass Jesus, der Prophet von Nazareth, der in Jerusalem gekreuzigt wurde, kein anderer sein konnte als der Christus, der Messias der Welt. Es ist ein Segen, eine Gabe Gottes, wenn ein Lehrer der Kirche die Fähigkeit besitzt, die Zweifler zu widerlegen und die herrlichen Tatsachen des Heils mit dem richtigen Nachdruck darzulegen.

 

Zusammenfassung: Paulus arbeitet in Korinth unter dem besonderen Schutz Gottes, kehrt über Ephesus, Cäsarea und Jerusalem nach Antiochia zurück und bricht zu seiner dritten Missionsreise auf, wobei Apollos in Ephesus einige Vorarbeiten für ihn leistet.

 

 

Kapitel 19

 

Die Arbeit von Paulus in Ephesus (19,1-20)

    1 Es geschah aber, da Apollos zu Korinth war, dass Paulus durchwandelte die oberen Länder und kam nach Ephesus und fand etliche Jünger. 2 Zu denen sprach er: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, da ihr gläubig geworden seid? Sie sprachen zu ihm: Wir haben auch nie gehört, ob ein Heiliger Geist sei. 3 Und er sprach zu ihnen: Worauf seid ihr denn getauft? Sie sprachen: Auf die Taufe des Johannes. 4 Paulus aber sprach: Johannes hat getauft mit der Taufe der Buße und sagte dem Volk, dass sie sollten glauben an den, der nach ihm kommen sollte, das ist, an Jesus, dass der Christus sei. 5 Da sie das hörten, ließen sie sich taufen auf den Namen des HERRN Jesus. 6 Und da Paulus die Hände auf sie legte, kam der Heilige Geist auf sie und redeten mit Zungen und weissagten. 7 Und alle die Männer waren zusammen zwölf.

    8 Er ging aber in die Synagoge und predigte frei drei Monate lang, lehrte und beredete sie von dem Reich Gottes. 9 Da aber etliche verstockt waren und nicht glaubten und übel redeten von dem Weg vor der Menge, wich er von ihnen und sonderte ab die Jünger und redete täglich in der Schule eines, der hieß Tyrannus. 10 Und das geschah zwei Jahre lang, so dass alle, die in Asien wohnten, das Wort des HERRN Jesus hörten, beide, Juden und Griechen. 11 Und Gott wirkte nicht geringe Taten durch die Hände des Paulus, 12 so dass sie auch von seiner Haut die Schweißtüchlein und Koller über die Kranken hielten, und die Seuchen von ihnen wichen, und die bösen Geister von ihnen ausfuhren.

    13 Es unterwanden sich aber etliche der umlaufenden Juden, die da Beschwörer waren, den Namen des HERRN Jesus zu nennen über die da böse Geister hatten, und sprachen: Wir beschwören euch bei Jesus, den Paulus predigt. 14 Es waren ihrer aber sieben Söhne eines Juden, Skeva, des Hohenpriesters, die solches taten. 15 Aber der böse Geist antwortete und sprach: Jesus kenne ich wohl, und Paulus weiß ich wohl; wer seid ihr aber? 16 Und der Mensch, in dem der böse Geist war, sprang auf sie und wurde ihrer mächtig und warf sie unter sich, so dass sie nackt und verwundet aus demselben Haus entflohen. 17 Das aber wurde kund allen, die zu Ephesus wohnten, beiden, Juden und Griechen; und fiel eine Furcht über sie alle, und der Name des HERRN  Jesus ward hochgelobt.

    18 Es kamen auch viele derer, die gläubig waren geworden, und bekannten und verkündigten, was sie ausgerichtet hatten. 19 Viele aber, die da vorwitzige Kunst getrieben hatten, brachten die Bücher zusammen und verbrannten sie öffentlich und überrechneten, was sie wert waren, und fanden des Geldes fünfzigtausend Silberstücke. 20 So mächtig wuchs das Wort des HERRN und nahm überhand.

 

    Des Paulus Ankunft in Ephesus (V. 1-7): Während Apollos sich in Korinth aufhielt, nachdem er nach seinem Aufenthalt in Ephesus die Reise über die Ägäis gemacht hatte, kam Paulus, nachdem er seine Besuchsreise in den oberen, den gebirgigen Gegenden Kleinasiens beendet hatte, nach Ephesus hinunter. Offenbar nahm Paulus nicht die Hauptstraße vom pisidischen Antiochia, die über Kolossä und Laodizea führte (vgl. Kol. 2,1), sondern nahm den kürzesten Weg, weiter nördlich, durch das Kaspertal. So gelangte er innerhalb kürzester Zeit nach Ephesus. Ephesus, die Hauptstadt des prokonsularischen Asiens, war wie Athen eine typische Stadt des Heidentums, die „Heimat jeder orientalischen Quacksalberei und jedes Aberglaubens in Verbindung mit ihrem Hellenismus“. Sie lag eine Meile vom Ägäischen Meer entfernt und hatte einen künstlichen Hafen. Auf dem Hügel über der Stadt erhob sich der Artemis-Tempel, eines der prächtigsten Bauwerke Kleinasiens. Für Paulus war es besonders wertvoll, dass Ephesus durch das System römischer Straßen aus allen Teilen der Provinz leicht erreichbar war. Bei seiner Ankunft in der Stadt stellte der Apostel fest, dass in der Gemeinde ein besonderer, ein einzigartiger Zustand herrschte. Dank der Bemühungen von Aquila, Priscilla und Apollos gab es dort eine Versammlung von Brüdern, von Männern und Frauen, die Jesus als ihren Retter annahmen, aber es gab einen großen Unterschied im Stand der christlichen Erkenntnis. Denn Paulus fand hier zwölf Männer vor, die er nach ihrem Wissen über die christliche Lehre befragte. Eine seiner Fragen lautete, ob sie den Heiligen Geist empfangen hatten, als sie gläubig wurden, d.h. ob sie die außerordentliche Gabe des Heiligen Geistes empfangen hatten, die so vielen Bekehrten zuteil geworden war. Ihre Antwort war ziemlich überraschend, denn sie erklärten, sie hätten im Zusammenhang mit ihrer Bekehrung noch nicht einmal von der Existenz eines Heiligen Geistes gehört. Auf Paulus' weitere Frage, worauf sie denn getauft worden seien, d. h. welche Form der Taufe sie empfangen hätten, antworteten sie, sie seien auf die Taufe des Johannes getauft worden. Diese Antwort zeigte Paulus, dass ihnen das richtige Verständnis fehlte, und er fuhr fort, ihnen die notwendige Belehrung zu geben, nämlich dass Johannes mit der Taufe der Buße getauft hatte, wobei er den Leuten nebenbei sagte, dass sie an den glauben sollten, der nach ihm kommen würde, das heißt an Jesus Christus.[74] Diese Erklärung des Paulus öffnete ihnen völlig das Verständnis, und sie nahmen die Taufe auf den Namen des Schmalz-Jesu an und wurden so in die Zahl derer aufgenommen, die Christus als die Seinen angehörten. „Die Papyri haben gezeigt, dass dort, wo die Formulierung 'getauft in' vorkommt, der Getaufte zum Eigentum der angegebenen göttlichen Person wird.“[75] Und als Paulus, der die Taufe persönlich vollzogen zu haben scheint, den Männern die Hände auflegte, kam der Heilige Geist mit außergewöhnlichen Gaben über sie, und sie redeten in Zungen und prophezeiten.

Die Geschichte dieser zwölf Männer, wie sie hier erzählt wird, erscheint im Licht des heutigen Wissens sehr seltsam, aber die Seltsamkeit verschwindet, wenn ich die Umstände berücksichtige. Der Fall ist vergleichbar mit dem des Apollos, dessen Unwissenheit über einen sicherlich wichtigen Teil der christlichen Lehre ebenso groß war. Wir müssen unterscheiden zwischen der Taufe, die Johannes persönlich vollzog, und der Taufe seiner späteren Jünger, die gemeinhin als die Taufe des Johannes bezeichnet wird. Die Taufe, mit der Johannes auf besonderen Befehl Gottes taufte, war ein gültiges Sakrament, das denjenigen, die ihre Sünden bekannten und der Predigt des Johannes glaubten, Vergebung der Sünden und die Gnade Gottes schenkte.[76] Aber Johannes der Täufer war nur der Vorläufer Christi; seine Predigt war wie seine Taufe ein Zeugnis von Christus, der nach ihm kommen sollte und der durch sein Leiden und seinen Tod allen Sündern das Heil und die Vergebung verschaffen sollte. Nachdem Christus Israel geoffenbart worden war und sein Amt förmlich angetreten hatte, war die Zeit der Vorbereitung beendet, das Werk und das Amt des Johannes hatten keinen Wert mehr. Und als Christus dann durch seinen Tod sein Werk vollendet und nach seiner Auferstehung seinen Jüngern den Auftrag gegeben hatte, alle Völker auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen; als vor allem der Pfingsttag gekommen war und die Jünger des Herrn nun im Namen Jesu Christi, des Gekreuzigten und Auferstandenen, tauften, da hatte die Taufe des Johannes keinen Wert mehr, so wie das alttestamentliche Sakrament der Beschneidung, obwohl es von den Judenchristen noch praktiziert wurde, als bloße Zeremonie angesehen wurde.

    Aber nicht alle Jünger des Johannes waren in die Nachfolge Christi eingetreten. Selbst nach dem Tod des Johannes und nach dem Tod Christi finden wir eine kleine Vereinigung oder Gemeinschaft von Johannesjüngern, die sich nicht mit der Kirche vereinigte. Sie wurden so zu einer Sekte, betrachteten Johannes als ihr Oberhaupt und handelten gegen den Willen und das Gebot ihres eigenen Meisters. Und deshalb war ihre Taufe, die sie als Fortsetzung der Taufe des Johannes durchführten und verkündeten, keine wirkliche Taufe, sondern nur eine tote Zeremonie. Diese Zeremonie war bei den zwölf Jüngern in Ephesus vollzogen worden, wobei derjenige, der sie ihnen verabreicht hatte, ihnen höchstwahrscheinlich nicht in der Form und mit der Kraft des Johannes bezeugte, dass Christus mit dem Heiligen Geist und mit Feuer getauft hatte. Aber diese Männer hatten nun die Geschichte Jesu in Ephesus gehört; durch die Gnade und die Kraft des Heiligen Geistes waren sie zum Glauben gekommen. Und nun empfingen auch sie durch die Spendung des Sakraments, das die wirkliche Taufe war, die außergewöhnlichen Gaben, die anderen getauften Christen zuteil geworden waren.[77]

 

    Der Erfolg des Evangeliums (V. 8-12): Auch in Ephesus folgte Paulus seiner üblichen Methode, zuerst in die Synagoge der Juden zu gehen und einen aufrichtigen Versuch zu unternehmen, sie für das Reich Gottes zu gewinnen. Er sprach kühn, ohne Scheu, in einer völlig furchtlosen Weise. Drei Monate lang verfolgte er diesen Kurs, indem er die stichhaltigsten Argumente, die überzeugendsten Punkte in Bezug auf das Reich Gottes vorbrachte. Er predigte dieses Reich, die Tatsache, dass Gott wollte, dass alle Menschen durch den Glauben in dieses Reich eintreten; er setzte seine ganze Kraft ein, um Seelen für den Herrn zu gewinnen. Aber trotz all seiner Bemühungen verhärteten sich einige der Zuhörer; allmählich, von Tag zu Tag, wurden sie hartnäckiger, entschiedener in ihrer Weigerung, die Botschaft des Evangeliums anzunehmen, 2. Kor .2,16. Schließlich erklärten sie offen ihren Unglauben und schmähten den Weg des Herrn, die Lehre und Praxis des Christentums, vor der ganzen Gemeinde, die sich in der Synagoge zum Gottesdienst versammelt hatte. Vgl. Kap. 18,6. Dieses undankbare und gotteslästerliche Verhalten veranlasste Paulus schließlich, zwei Dinge zu tun. Er verzichtete für sich selbst auf jede Gemeinschaft mit der Synagoge und trennte alle Jünger von den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, mit denen sie bisher zusammen den Gottesdienst gefeiert hatten. Und statt sich nur einmal oder höchstens dreimal in der Woche mit den Gläubigen zu treffen, konnte Paulus nun täglich Gottesdienste abhalten. Denn er traf Vorkehrungen für die Nutzung eines Hörsaals, der einem gewissen Tyrannus gehörte, der sehr wahrscheinlich ein öffentlicher Lehrer der Philosophie oder Rhetorik war. Die Zeiten für die Gottesdienste konnten leicht so festgelegt werden, dass alle daran teilnehmen und viele andere zur Verkündigung des Evangeliums mitbringen konnten. Und dieser Plan erwies sich als so zufriedenstellend, dass er zwei Jahre lang ununterbrochen befolgt wurde. Die Ergebnisse einer so intensiven Arbeit unter der Leitung eines so energischen Mitarbeiters waren entsprechend erfreulich. Nicht nur die Stadt Ephesus selbst, sondern alle Einwohner von Prokonsular-Asien, der gesamten Provinz, sowohl Juden als auch Griechen (allgemein gesprochen), hörten das Wort des Herrn. Entweder kamen sie persönlich nach Ephesus, um den großen Prediger des Christentums zu hören, oder sie hörten das Wort durch die vielen Jünger, die von der Stadt ausgingen. Diesem großen missionarischen Einsatz verdanken wir später die sieben Gemeinden Asiens, Offb. 1,4, die alle im Gebiet von Ephesus liegen. Die Wirkung der Predigt des Paulus wurde durch die Tatsache, dass der Herr sie durch besondere Manifestationen seiner Macht bezeugte, noch erheblich verstärkt. Er vollbrachte außergewöhnliche Wunder durch die Hände des Paulus, Zeichen, die selbst in jenen Tagen der erstaunlichen Taten ungewöhnlich waren. Wenn der Apostel nicht persönlich kommen konnte, nahmen die Menschen seine Schweißtücher oder Taschentücher und seine kleinen Schürzen, die er sich wie eine Art Gürtel umband, Kleidungsstücke, die mit seiner Haut in Berührung gekommen waren, und brachten sie zu den Kranken, mit dem Ergebnis, dass die Krankheiten verschwanden und die bösen Geister ausfuhren, eine anschauliche Art, die vollständige Heilung von allen Arten von Leiden zu beschreiben. Alle diese Menschen glaubten an den Herrn, dessen Diener Paulus war, und erhielten daher diesen Beweis für die Macht des Herrn. Beachten Sie, dass Lukas auch hier einen Unterschied zwischen Krankheit und Dämonenbesessenheit macht.

 

    Der Vorfall mit den Exorzisten (V. 13-17): Der Erfolg des Paulus bei der Austreibung von Dämonen machte großen Eindruck auf einige jüdische Exorzisten, die sich zu jener Zeit in Ephesus aufhielten. Es scheint, dass diese Form der Dämonenheilung von bestimmten wandernden oder umherziehenden Exorzisten praktiziert wurde, die von einer Stadt zur anderen zogen und versuchten, die bösen Geister auszutreiben, indem sie sie im Namen eines Propheten beschworen; in diesem Fall handelte es sich um die sieben Söhne eines Juden namens Skeva, der entweder das Oberhaupt eines der vierundzwanzig Priesterkurse in Jerusalem war oder mit der Familie der Hohepriester verwandt. Im vorliegenden Fall versuchten diese Männer, den Namen des Herrn Jesus als Zauberspruch zu verwenden, um Macht über den bösen Geist zu erlangen. Ihre Formel, die sie individuell verwendeten, lautete: Ich beschwöre euch bei Jesus, den Paulus predigt. Es ist eine List und Täuschung des Teufels, das Wort Gottes, den Namen Gottes und den Namen Jesu zu benutzen, um seine dunklen und teuflischen Tricks auszuführen. Es war ein Missbrauch des Namens Gottes, ein verbrecherisches, gotteslästerliches Spiel, das sie da trieben. Aber sie fanden ihre Strafe mit unerwarteter Plötzlichkeit. Denn der böse Geist in dem Mann, den sie zu heilen versuchten, antwortete ihnen, dass er Jesus kenne, dass er mit seiner Macht und Autorität vertraut sei und dass er auch mit Paulus vertraut sei, da einige andere Geister die Wunderkraft, die in ihm wohnte, erlebt hätten, aber wer könnten sie sein, um den Namen beider so sicher zu benutzen? Das war ein Ausdruck höhnischer Verachtung, denn der Teufel wollte ihre Überlegenheit nicht anerkennen und weigerte sich, auf ihre Beschwörung zu hören. Und mehr noch: Ihre selbstgefällige Selbstsicherheit erfüllte den bösen Geist mit Wut. Der Mann, dessen Körper er beherrschte, stürzte sich auf sie wie ein wütendes Tier, beherrschte sie mit größter Leichtigkeit (bei dieser Gelegenheit waren zwei von ihnen anwesend) und überwältigte sie völlig; sie waren wie hilflose Kinder in seinen Händen. Mit zerrissenen Kleidern und übersät mit Wunden flohen sie aus dem Haus, das sie mit so viel Zuversicht betreten hatten. Statt im Triumph zurückzukehren, schlichen sie in Scham und Schande zurück. Und die Geschichte wurde allen Einwohnern von Ephesus bekannt, sowohl den Juden als auch den Griechen, so dass sie alle in Furcht gerieten. Infolgedessen wurde der Name des Herrn Jesus verherrlicht, hoch gelobt und von einer wachsenden Zahl von Jüngern gepriesen. So führen die Pläne des Teufels, das Werk des Herrn zu behindern und zu stören, nur zur Förderung seines Reiches.

 

    Ein weiteres Ergebnis dieses Ereignisses (V. 18-20): Die Schläge, die die Exorzisten wegen ihres unberechtigten Gebrauchs des Namens Jesu erhielten, hatten auch eine gute Wirkung auf die Jünger, die zum Glauben gekommen waren und sich der Gemeinde in Ephesus angeschlossen hatten. Die Furcht, dass Jesus mächtiger sei als alle Götzen und Dämonen, verbreitete sich weit und breit. Nun war die Stadt Ephesus, wie die meisten großen Städte jener Zeit, voll von Hexerei und Aberglauben. Und diese Tatsache wurde hier auf bemerkenswerte Weise deutlich, denn die Angst vor Strafe öffnete vielen den Mund. Sie gaben ihre Verfehlungen in dieser Hinsicht offen zu, sie verrieten die Zaubersprüche, die sie angewandt hatten. Und viele von denen, die Zauberkünste praktiziert hatten, sammelten ihre Bücher über diese Themen und verbrannten sie öffentlich vor den Augen des ganzen Volkes. Sie berechneten auch den Preis dieser Bücher und stellten fest, dass er fünfzigtausend Silberstücke betrug, fast zehntausend Dollar. "Ihr Wert hing nicht so sehr von ihrer Anzahl oder ihrem Umfang ab, sondern von ihrem Inhalt; denn sie enthielten klar geschriebene Anweisungen für die Ausführung von Gaukler- und Zauberkunststücken, und der Käufer konnte mit ein wenig Übung ein ebenso geschickter Gaukler werden wie der ursprüngliche Besitzer." So wuchs das Wort des Herrn mit Macht, mit solch unwiderstehlicher Kraft überzeugte es die Herzen der Menschen und gewann neue Bekehrte. Und mit solcher Kraft veränderte es die Herzen dieser Bekehrten, dass sie sich freiwillig von jeglichem Aberglauben und Hexerei lossagten. Diese Kraft Gottes wird auch heute noch durch das Wort ausgeübt und zeigt die gleichen Ergebnisse. Die Torheit des verdrehten Verstandes der Menschen ist zusammen mit der Macht des Reiches der Finsternis hilflos gegenüber der Macht Gottes in seinem Wort.

 

Der Aufruhr des Demetrius (19,21-40)

    21 Da das ausgerichtet war, setzte sich Paulus vor im Geist, durch Mazedonien und Achaja zu reisen und nach Jerusalem zu wandeln, und sprach: Nach dem, wenn ich dort gewesen bin, muss ich auch Rom sehen. 22 Und sandte zwei, die ihm dienten, Timotheus und Erastus, nach Mazedonien; er aber verzog eine Weile in Asien.

    23 Es erhob sich aber um diese Zeit eine nicht kleine Bewegung über diesem Weg. 24 Denn einer mit Namen Demetrius, ein Goldschmied, der machte der Diana silberne Tempel und wandte denen vom Handwerk nicht geringen Gewinn zu. 25 Diese versammelte er und die Beiarbeiter desselben Handwerks und sprach: Liebe Männer, ihr wisst, dass wir großen Zugang von diesem Handel haben. 26 Und ihr seht und hört, dass nicht allein zu Ephesus, sondern auch fast in ganz Asien dieser Paulus viel Volk abfällig macht, überredet und spricht: Es sind nicht Götter, welche von Händen gemacht sind. 27 Aber es will nicht allein unserm Handel dahin geraten, dass er nichts gelte, sondern auch der Tempel der großen Göttin Diana wird für nichts geachtet, und wird dazu ihre Majestät untergehen, welcher doch ganz Asien und der Weltkreis Gottesdienst erzeigt.

    28 Als sie das hörten, wurden sie voll Zorns, schrien und sprachen: Groß ist die Diana der Epheser! 29 Und die ganze Stadt ward voll Getümmel. Sie stürmten aber einmütig zu dem Schauplatz und ergriffen Gajus und Aristarchus aus Mazedonien, des Paulus Gefährten. 30 Da aber Paulus wollte unter das Volk gehen, ließen’s ihm die Jünger nicht zu. 31 Auch etliche der Obersten in Asien, die des Paulus gute Freunde waren, sandten zu ihm und ermahnten ihn, dass er sich nicht begäbe auf den Schauplatz. 32 Etliche schrien so, etliche ein anderes, und war die Gemeinde irre, und die meisten wussten nicht, warum sie zusammenkommen waren. 33 Etliche aber vom Volk zogen Alexander hervor, da ihn die Juden hervorstießen. Alexander aber winkte mit der Hand und wollte sich vor dem Volk verantworten. 34 Da sie aber innewurden, dass er ein Jude war, erhob sich eine Stimme von allen und schrien bei zwei Stunden: Groß ist die Diana der Epheser!

    35 Da aber der Kanzler das Volk gestillt hatte, sprach er: Ihr Männer von Ephesus, welcher Mensch ist, der nicht wisse, dass die Stadt Ephesus sei eine Pflegerin der großen Göttin Diana und des himmlischen Bildes? 36 Weil nun das unwidersprechlich ist, so sollt ihr ja still sein und nichts Unbedachtes handeln. 37 Ihr habt diese Menschen hergeführt, die weder Kirchenräuber noch Lästerer eurer Göttin sind. 38 Hat aber Demetrius, und die mit ihm sind vom Handwerk, an jemand einen Anspruch, so hält man Gericht, und sind Landvögte da; lasst sie sich untereinander verklagen. 39 Wollet ihr aber etwas anderes handeln, so mag man es ausrichten in einer ordentlichen Gemeinde. 40 Denn wir stehen in der Gefahr, dass wir um diese heutige Empörung verklagt konnten werden, und doch keine Sache vorhanden ist, damit wir uns wegen solchem Aufruhr entschuldigen möchten. Und da er solches gesagt, ließ er die Gemeinde gehen.

 

    Einige Pläne des Paulus (V. 21-22): Nachdem diese Dinge vollbracht waren, nachdem das Evangelium diesen großen Sieg über die Mächte der Finsternis und über die Herzen der Menschen errungen hatte, entschied sich Paulus, nicht nach einer vorübergehenden Vorstellung, sondern unter der Leitung des Heiligen Geistes. Wie das Werk der Kirche zu allen Zeiten unter seiner Leitung steht, so lenkte er in jenen frühen Tagen die Schritte seiner Missionare auf wunderbare Weise, Kap. 16,6-10. Paulus plante eine Missionsreise durch Mazedonien und Achaja, wo die Gemeinden in Philippi, Thessalonich, Beröa und Korinth und möglicherweise auch in Athen und einigen anderen Städten seinen Rat, seine Ermutigung und seine Ermahnung gut gebrauchen konnten, und wollte dann nach Jerusalem reisen. Sein persönlicher Wunsch war es, nach diesen Reisen Rom, die Hauptstadt des ganzen Reiches, zu sehen. Da er nicht sofort abreisen konnte, schickte er zwei seiner Assistenten voraus, zwei der jüngeren Männer, die ihm dienten, während sie ihre theologischen Kenntnisse vervollkommneten, nämlich Timotheus und Erastus. Diese beiden sollten sich zuerst nach Mazedonien begeben, aber mit dem Auftrag, auch Achaja zu besuchen und dort die Gemeinde in Korinth über die Wege und die Lehre des Paulus zu informieren, 1. Kor. 4,17; 16,10. Paulus selbst blieb noch einige Zeit in Ephesus, obwohl die Gemeinden im Hause Aquilas und Priscillas und anderswo in der Provinz bereits fest gegründet waren, 1. Kor. 16,19. Durch die Hinzufügung dieses Aufenthaltes (V. 10) wird die Gesamtdauer des Aufenthaltes in Ephesus eher drei als zwei Jahre betragen, Kap. 20,31.

 

    Die Rede des Demetrius (V. 23-27): Zu derselben Zeit, als der Apostel Timotheus und Erastus nach Mazedonien vorausgeschickt hatte, entstand in Ephesus ein nicht geringer Aufruhr wegen der Art und Weise, wie Paulus lehrte, und wegen der Verkündigung des Evangeliums mit allem, was dazu gehörte. Denn in der Stadt lebte ein gewisser Mann, ein Silberschmied namens Demetrius, der Meister der Zunft in jenem Jahr, wie einige meinen. Eine antike Inschrift macht es sogar wahrscheinlich, dass er zu jener Zeit Vorsitzender des städtischen Magistrats war. Die Silberschmiede von Ephesus machten damals ein lukratives Geschäft, indem sie kleine Modelle des Schreins der Göttin Diana, des großen Tempels von Ephesus, als Souvenirs verkauften. Dieser Tempel war eines der sieben Weltwunder der Antike, 425 mal 220 Fuß [ca. 129,50 m x 67 m] groß und mit seinen weißen Marmorsäulen, die das Dach stützen, von herrlicher Schönheit. Einige der Porphyrsäulen, die heute in Santa Sophia in Konstantinopel zu sehen sind, sollen aus diesem Tempel entnommen worden sein. „Der Tempel wurde im gesamten westlichen Kleinasien verehrt. Jedes Jahr kamen viele Pilger dorthin, denen ephesische Silberschmiede kleine Nachbildungen des Tempels verkauften. Weil das Christentum durch die Predigt des Paulus so populär wurde, dass der gewinnbringende Verkauf dieser Heiligtümer gestört wurde, kam es zu dem Aufruhr in Ephesus.“[78]  „Bei diesen 'Schreinen' handelte es sich nicht um bloße Statuetten der Göttin, sondern wahrscheinlich um Miniaturdarstellungen des Tempelschreins, die der Göttin manchmal als Votivgaben geweiht, manchmal zweifellos in den Häusern aufbewahrt oder in Gräbern an der Seite der Toten aufgestellt wurden.“[79] Natürlich brachte dieses Geschäft den Silberschmieden viel Geld ein, und ebenso natürlich wurde alles, was dieses Geschäft beeinträchtigte und damit die Handwerker in ihrem empfindlichsten Punkt, der Frage des Einkommens, berührte, mit großem Unmut angeprangert. Die Rede des Demetrius vor seinen Handwerkerkollegen, die er zu einer offiziellen Versammlung einberufen hatte, enthält die Vorwürfe in sehr offener Form, nämlich dass Paulus ihrem Geschäft schade und die Verehrung der Diana störe. Sie alle wussten, dass sie mit diesem Geschäft ein sehr gutes Auskommen hatten. Und nun sahen sie es vor ihren Augen und hörten es täglich, dass sich das Wirken dieses Mannes Paulus nicht auf die Stadt Ephesus selbst beschränkte, sondern dass er fast in der ganzen Provinz Asien eine große Menge von der alten Form der Anbetung überzeugt und abgewendet hatte, weil er sagte, dass die von Menschenhand gemachten Figuren keine Götter seien. Dieses Zeugnis aus dem Mund eines Gegners muss zwar bis zu einem gewissen Grad als Übertreibung mit dem Ziel, Eindruck zu schinden, abgetan werden, vermittelt aber dennoch ein eindrucksvolles Bild vom Erfolg der Arbeit des Paulus. Wenn der Umfang der Geschäfte so weit reduziert worden war, dass alle Mitglieder des Handwerks die Auswirkungen spürten, muss die Zahl der Bekehrten zum Christentum zusammen mit dem moralischen Einfluss ihrer ausgesprochenen oder angedeuteten Missbilligung sehr groß gewesen sein. Aber Demetrius legt seinen Schwerpunkt geschickt auf den zweiten Vorwurf. Er deutet an, dass der Verlust ihrer Einkünfte noch verkraftet werden könne, dass die Gefahr, die diesem Zweig ihres Gewerbes drohe, ihn in Verruf zu bringen, nicht der schwerwiegendste Aspekt der Situation sei, sondern dass dies seine eigentliche Klage sei, dass nämlich das Heiligtum der großen Göttin Artemis (Diana) in schlechten Ruf geraten würde, nicht mehr geachtet würde und dass sie sogar ihrer Herrlichkeit enthoben und ihre Majestät, ihr Ruhm und ihr Lob herabgesetzt würden, obwohl, wie der Redner betont, ganz Asien und die ganze Welt sie verehrten. Sowohl die Griechen als auch die Römer verehrten diese Göttin sehr hoch, und obwohl nur das kleinasiatische Volk regelmäßig zu diesem Tempel pilgerte, war er in allen Teilen der zivilisierten Welt bekannt und wurde gebührend mit der Huldigung bedacht, die der durchschnittliche Heide den Göttern entgegenbringt, über die er unterrichtet wurde. Die Rede des Demetrius war die eines gewitzten Demagogen, der es verstand, mit den Leidenschaften des Volkes zu spielen, indem er ihre empfindlichsten Punkte berührte: die Liebe zum Geld und den religiösen Aberglauben.

 

    Die Wirkung der Rede (V. 28-34): Wenn Demetrius die Absicht hatte, ein Feuer zu entfachen, war er sicherlich erfolgreicher als geplant. Kaum hatte er seine Rede beendet, prägte ein Mitglied der Zunft oder eine andere Person im Publikum einen einprägsamen Satz, der die Gemüter erregte: Groß ist Artemis von den Ephesern! Und voller Zorn griffen die anderen den Ruf auf und trugen ihn auf die Straße. In kürzerer Zeit, als man erzählen kann, hatte sich der Aufruhr in alle Viertel ausgebreitet; er erfüllte die Stadt und schwappte hin und her wie verschiedene Flüssigkeiten, die zusammengeschüttet wurden und sich nicht beruhigen können. Da die Straßen viel zu eng waren, um die Gewalt des Pöbels angemessen zu demonstrieren, wurden Aufwiegler und Pöbel gleichzeitig von der Idee ergriffen und stürmten in das große Theater, das mit einem Durchmesser von 495 Fuß [ca. 150,80 m] und einem Fassungsvermögen von 24.500 Personen wahrscheinlich das größte der Welt ist. Auf dem Weg dorthin gelang es ihnen jedoch, zwei Mitstreiter des Paulus, die Mazedonier Gaius und Aristarchus, zu ergreifen und mit sich zu nehmen. Letzterer wird auch an anderen Stellen als gebürtiger Mazedonier aus der Stadt Thessalonich erwähnt, Kap. 20,4; 27,2. Es ist wahrscheinlich, dass es sich bei diesen beiden Männern, die hier als Begleiter des Paulus genannt werden, um Abgesandte der Gemeinde in Thessalonich handelte, die mit Paulus den Beitrag an die Gemeinde in Jerusalem überbrachten. Da diese treuen Männer in Lebensgefahr schwebten, hatte Paulus die feste Absicht, hinauszugehen und sich der wütenden Menge zu stellen, um sie mit seinem eigenen Leben zu schützen; aber das wollten die Mitglieder der Gemeinde nicht zulassen. Für den wütenden Mob wäre sein Erscheinen zu diesem Zeitpunkt wie ein rotes Tuch gewesen und hätte nach aller Wahrscheinlichkeit nichts bewirken können. Und die Jünger wurden in ihren Bemühungen von einigen der führenden Männer der Stadt unterstützt, den Asiarchen, den Oberpriestern des Römischen Reiches in den Provinzen, zu deren Aufgaben auch die Veranstaltung von Spielen für das Volk gehörte. Einige dieser einflussreichen Männer waren Paulus ausgesprochen freundlich gesinnt, wie dieser Akt der Freundlichkeit zeigt, denn sie machten sich die Mühe, zu ihm zu schicken und ihn eindringlich zu bitten, sich nicht auf das Theater zu wagen. In der Zwischenzeit gerieten die Mitglieder des Pöbels in helle Aufregung, denn sie schrien weiter, die einen mehr, die anderen weniger. Es gab keine Einheit im Denken und in der Führung: Es war eine ungesetzliche, stürmische Versammlung, zusammengeschüttet wie Flüssigkeiten, die sich nicht richtig vermischen. Und wie immer, wenn ein Pöbel, ein Mob, bei solchen Gelegenheiten aus dem Boden schießt, wusste die Mehrheit der Menschen nicht, warum sie sich eigentlich versammelt hatte. Da die Juden der Stadt befürchteten, dass sich die Wut des Pöbels auch gegen sie richten könnte, da Paulus Jude war und sie selbst gegen den Götzendienst waren, machten sie den Versuch, einen aus ihren Reihen, einen Mann namens Alexander, dazu zu bringen, der wogenden Menge die Situation zu erklären. Der Mann versuchte, den Anweisungen zu folgen, die er erhalten hatte, während die Juden ihn nach vorne drängten. Doch kaum hob er die Hand, um den Leuten zu signalisieren, dass er sprechen und in diesem Fall eine Verteidigungsrede halten wolle, machte die Nachricht die Runde, dass er ein Jude sei. Ob sie nun alle deutlich genug sehen konnten, um seine Kleidung und seine Gesichtszüge zu erkennen, oder ob diejenigen, die der Arena oder der Bühne am nächsten waren, das Wort weitergaben, die ganze Menge, der wütende Pöbel, griff mit einer Stimme von ihnen allen, wie das Gebrüll eines wütenden Ungeheuers, den Satz auf, der ihnen in den Sinn gekommen war, als einer der Silberschmiede ihn gerufen hatte: Groß ist Artemis von den Ephesern! Es war eine wilde Demonstration eines gesetzlosen Pöbels, aber ein vergleichsweise harmloses Vergnügen: Es befriedigte ihre Vorstellung von Verehrung, ohne jemanden zu verletzen. Die städtischen Behörden griffen daher nicht ein, denn jeder Widerstand hätte den Mob zu Gewalttaten angestachelt. Sie kannten sich offensichtlich mit der Psychologie des Pöbels aus und warteten ab.

 

    Das Ende des Aufruhrs (V. 35-40): Nach zwei Stunden ununterbrochenen Schreiens hatte sich die Wut des Mobs erschöpft, seine Mitglieder waren erschöpft. Und nun hatte der Sekretär der Stadt keine Mühe mehr, die Leute zu beruhigen. „Er war die einflussreichste Person in Ephesus, denn nicht nur wurden die vorzuschlagenden Dekrete von ihm und den Strategoi [den Magistraten] ausgearbeitet und der Stadt überlassene Gelder in seine Obhut gegeben, sondern da die Macht der Ecclesia, der öffentlichen Versammlung, unter der kaiserlichen Herrschaft abnahm, wurde die Bedeutung des Amtes des Sekretärs erhöht, da er in engerem Kontakt mit dem Hof des Prokonsuls stand als die anderen Magistrate der Stadt und als Kommunikationsmedium zwischen der kaiserlichen und der städtischen Regierung fungierte.“[80] Er wendet sich an die Versammlung als Bürger von Ephesus und fragt, ob es wirklich jemanden gibt, der nicht weiß, dass die Stadt Ephesus die Tempelhüterin der großen Artemis und der vom Himmel gefallenen Figur ist. Das Bild der fruchtbaren Artemis, eine Figur, die die Göttin als Lebensspenderin und Ernährerin darstellt, soll vom Thron des Zeus oder Jupiters, ihres höchsten Gottes, vom Himmel gefallen sein. Der Redner stellte diese Dinge als Tatsachen dar, als selbstverständlich, als von niemandem angezweifelt, natürlich mit der Folgerung, dass all diese Aufregung nicht nötig sei, da alles, was sie über ihre Göttin gesagt hätten, allgemein anerkannt sei. Da diese Dinge unwidersprochen blieben, da niemand diese Aussagen öffentlich angegriffen habe, sei es die offensichtliche Pflicht aller Anwesenden, den Frieden zu wahren und nichts Unüberlegtes zu tun. Was Gaius und Aristarchus, die beiden Männer, die sie indirekt angeklagt hatten, betrifft, so waren sie, auch wenn sie keine direkte Anklage gegen sie erhoben, weder Tempelräuber, noch hatten sie ihre Göttin gelästert. Der Redner ignoriert hier die eigentliche Anklage gegen die Jünger, nämlich die Leugnung, dass mit Händen gemachte Bilder Götter sind. Er hat nicht die ganze Wahrheit gesagt, weil er sie vielleicht gar nicht kannte, sondern einfach so geurteilt, wie sie ihm vor Augen stand. Paulus und seine Gefährten hatten nie, wie spätere fanatische Missionare und Bilderstürmer, heidnische Bilder niedergeworfen und zerstört, noch hatten sie versucht, ihren Standpunkt durch Beschimpfungen und Angeberei durchzusetzen, sondern sie hatten einfach die Wahrheit gelehrt und versucht, die Heiden von der Nichtigkeit ihrer Götzen zu überzeugen. Wenn also Demetrius und seine Gesellen meinten, sie hätten eine Anklage gegen irgendjemanden zu erheben, so fanden in diesem Augenblick die Gerichtsversammlungen statt, die Richter waren anwesend, der Prokonsul war im Dienst; sie sollten also ihre Anklage vorbringen. Diese einfachen Regeln, die in einem geordneten Staat gelten müssen, sollten befolgt werden, dann würde es Gerechtigkeit für alle geben. Wenn aber die Versammlung irgendeinen Beschluss über das künftige Verhalten der Bürger oder der Einwohner der Stadt fassen wolle, so müsse darüber in einer rechtmäßigen Versammlung entschieden werden, die in rechtmäßiger Weise einberufen und befugt sei, solche Beschlüsse zu fassen; die jetzige Versammlung falle nicht unter diese Rubrik. Schließlich erinnerte er die Bürger an die möglichen Folgen ihres törichten Handelns. Sie alle liefen Gefahr, für den Aufruhr an diesem Tag zur Rechenschaft gezogen zu werden, was an sich schon eine ernste Angelegenheit sei, da sie keinen Grund für diesen Tumult angeben könnten. Und die Krönung der taktvollen Diplomatie war das Vorgehen des Sekretärs bei der Entlassung der Versammlung. Die Worte implizieren die übliche förmliche Entlassung, nachdem der Vorsitzende einen Antrag auf Vertagung gestellt hat, der von der Versammlung ordnungsgemäß angenommen wurde. Dieser Trick sollte der Versammlung einen rechtmäßigen Anschein verleihen und dazu beitragen, die Anwesenden im Falle einer Untersuchung zu schützen. Es war also ein geschickter Trick des Sekretärs, um die Leute noch mehr in Verlegenheit zu bringen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie ihm zu Dank verpflichtet waren, weil er sie vor größeren Schwierigkeiten bewahrt hatte. Anmerkung: Der Aufruhr in Ephesus hat seine Parallelen in der zeitgenössischen Kirchengeschichte. Die wahren Prediger des Evangeliums sind keine Kirchenräuber, keine Bilderstürmer, keine sinnlosen Lästerer, sondern ihre Aufgabe ist es, den Heiden unserer Tage die Eitelkeit der modernen Götzen, der Lust des Fleisches, der Lust der Augen, des Stolzes des Lebens zu zeigen. Und diese Haltung wird von denjenigen, die sich schuldig fühlen, bitter beklagt. Wann immer sich ihnen eine Gelegenheit bietet, hetzen sie daher gedankenlose Menschen gegen die Kirche auf. Die Zeit der Pöbelherrschaft ist offensichtlich noch nicht vorbei. Da aber ein wütender Mob keinen Grund hat, werden die Christen ruhig abwarten und ihre Sache in die Hände Gottes legen, bis sie sich wieder zum Wort bekennen und das Reich ihres Herrn bauen können. Der erhabene Christus wacht über die Seinen inmitten aller Gefahren.

 

Zusammenfassung: Paulus arbeitet fast drei Jahre lang mit großem Erfolg in Ephesus, obwohl die Gegner versuchen, der Sache Christi zu schaden, indem sie einen Aufruhr anstiften.

 

 

Kapitel 20

 

Die Reise nach Mazedonien und zurück nach Milet (20,1-16)

    1 Da nun die Empörung aufgehört hatte, rief Paulus die Jünger zu sich und segnete sie und ging aus, zu reisen nach Mazedonien. 2 Und da er dieselben Länder durchzog und sie ermahnt hatte mit vielen Worten, kam er nach Griechenland und verzog allda drei Monate. 3 Da aber ihm die Juden nachstellten, als er nach Syrien wollte fahren, beschloss er, wieder umzuwenden durch Mazedonien 4 Es zogen aber mit ihm bis nach Asien Sopater von Beröa, von Thessalonich aber Aristarchus und Sekundus und Gajus von Derbe und Timotheus, aus Asien aber Tychikus und Trophimus. 5 Diese gingen voran und harrten unser zu Troas.

    6 Wir aber schifften nach den Ostertagen von Philippi bis an den fünften Tag und kamen zu ihnen nach Troas und hatten da unser Wesen sieben Tage. 7 Auf einen Sabbat aber, da die Jünger zusammenkamen, das Brot zu brechen, predigte ihnen Paulus und wollte am anderen Tag ausreisen und verzog das Wort bis zu Mitternacht. 8 Und es waren viel Fackeln auf dem Söller [Obergemach], da sie versammelt waren. 9 Es saß aber ein Jüngling mit Namen Eutychus in einem Fenster und sank in einen tiefen Schlaf, weil Paulus so lange redete, und wurde vom Schlaf überwunden und fiel hinunter vom dritten Söller und ward tot aufgehoben. 10 Paulus aber ging hinab und fiel auf ihn, umfing ihn und sprach: Macht kein Getümmel; denn seine Seele ist in ihm. 11 Da ging er hinauf und brach das Brot und aß und redete viel mit ihnen, bis der Tag anbrach; und also zog er aus. 12 Sie brachten aber den Jungen lebendig und wurden nicht wenig getröstet.

    13 Wir aber zogen voran auf dem Schiff und fuhren nach Assos und wollten dort Paulus zu uns nehmen; denn er hatte es so befohlen, und er wollte zu Fuß gehen. 14 Als er nun zu uns schlug zu Assos, nahmen wir ihn zu uns und kamen nach Mitylene. 15 Und von dort schifften wir und kamen am nächsten Tag hin nach Chios; und am folgenden Tag stießen wir an Samos und blieben in Trogyllion; und am nächsten Tag kamen wir nach Milet. 16 Denn Paulus hatte beschlossen, an Ephesus vorüber zu schiffen, dass er nicht müsste in Asien Zeit zubringen; denn er eilte, auf den Pfingsttag zu  Jerusalem zu sein, so es ihm möglich wäre.

 

    Der zweite Besuch in Mazedonien und in Griechenland (Achaja) (V. 1-5): Paulus hatte vor, eine Reise nach Mazedonien und Achaja [Griechenland] zu unternehmen, Kap. 19,21. Dass der Aufruhr in der Stadt seine Abreise wesentlich beschleunigt habe, oder dass das Werk des Herrn in Ephesus zum Stillstand gekommen sei oder gar einen schweren Rückschlag erlitten habe, ist im Text nicht enthalten, 1. Kor 16,8.9. Keiner der Jünger war in dem Tumult zu Schaden gekommen, und die Rede des Stadtsekretärs ist sicher eher als positiv, wenn auch negativ, zu werten. Nachdem sich der Aufruhr gelegt hatte, nachdem die letzte Aufregung abgeklungen war, was Tage oder sogar Wochen gedauert haben mag, beschloss Paulus, dass die Zeit zum Aufbruch gekommen war. So berief er eine besondere Versammlung aller Jünger von Ephesus ein, denn es muss neben der von Aquila und Priscilla noch andere Hausgemeinden gegeben haben, 1. Kor. 16,19. Bei diesem letzten Gottesdienst hielt er ihnen eine Abschiedsrede mit Ermahnungen und Ermutigungen; dann verabschiedete er sich von ihnen mit der üblichen Begrüßung und brach zu seiner Reise nach Mazedonien auf. Auf dem Meer segelte er nach Troas, wo er erwartet hatte, Titus zu treffen, 2. Kor. 2,12.13. Da er ihn aber nicht fand, verlor er keine Zeit, nach Mazedonien weiterzureisen. Hier unternahm er seine Missionsreisen in gewohnter Weise und besuchte alle Bezirke, in denen Gemeinden gegründet worden waren: Philippi, Thessalonich, Beröa. In all diesen Städten trugen seine Worte der Ermutigung und Ermahnung, mit denen er nicht sparte, dazu bei, die Brüder im Glauben und in einem gesunden Christentum zu stärken. Er dehnte seine Reise sogar bis an die Grenzen von Illyricum, westlich von Mazedonien, aus, Röm. 15, 19. Dann aber wandte er sich nach Süden, nach Griechenland oder Achaja, wo er vor allem die Gemeinde in Korinth aufsuchte, weil dort ein Problem seine Aufmerksamkeit erforderte. Er hielt sich hier volle drei Monate auf und beabsichtigte, danach direkt nach Syrien weiterzureisen. Wahrscheinlich schrieb er in dieser Zeit den Brief an die Galater und auch den an die Römer. Doch seine Pläne wurden durch die Feindschaft der Juden durchkreuzt, die ein Komplott gegen ihn schmiedeten, indem sie ihm entweder in Kenchreä auflauerten oder Attentäter anheuerten, die ihn an Bord des Schiffes ermorden sollten. Paulus änderte daher schnell seine Meinung und seine Pläne und reiste auf dem Landweg durch Mazedonien, um sich in einem dieser Häfen einzuschiffen. Er war auf dieser Reise nicht allein, sondern hatte eine Reihe von Begleitern, von denen sechs, mit Lukas als siebtem in Philippi, den ganzen Weg mit ihm reisten, während zwei vorausgingen, um seine Ankunft in Troas zu erwarten. Es waren Sopater oder Sopater Pyrrus aus Beröa, Aristarchus und Secundus aus Thessaloniki, Gaius aus Derbe und Timotheus aus Lystra, Lukas aus Philippi und schließlich Tychikas und Trophimus, beide wahrscheinlich aus Ephesus. Wie ein Kommentator erklärt, änderte die Entdeckung des jüdischen Komplotts den Plan des Paulus, und zwar im letzten Moment, als die Delegierten der verschiedenen Gemeinden bereits versammelt waren. Die europäischen Delegierten hatten vor, mit Paulus von Korinth aus zu segeln, die asiatischen von Ephesus aus, aber letztere gingen, nachdem sie von der Planänderung erfahren hatten, bis nach Troas, um die anderen zu treffen, und begleiteten sie den Rest des Weges. Anmerkung: In all diesen Berichten wird die liebevolle Vertrautheit zwischen Paulus und den christlichen Gemeinden deutlich, ein großartiges Beispiel in diesen Tagen der Gleichgültigkeit und des Egoismus.

 

   Paulus in Troas (V. 6-12): Paulus und seine Gefährten aus den europäischen Gemeinden, darunter auch Lukas, feierten das Passahfest in Philippi. Nach dem Fest segelten sie aus dem Hafen von Neapolis ab, erreichten aber wegen ungünstiger Winde Troas erst am fünften Tag, während die Reise bei günstigen Winden in zwei Tagen zurückgelegt werden konnte, Kap. 16,11.12. In Troas waren nun alle Abgesandten, die die verschiedenen Gemeinden in Jerusalem vertreten sollten, um ihnen die von Paulus angeordnete Kollekte zu bringen, versammelt. Hier machte Paulus von der "offenen Tür" Gebrauch, von der er an anderer Stelle, 2. Kor. 2,12, spricht, und blieb so lange in der Stadt, wie er es wagte, ohne seine Pläne hinsichtlich des Zeitpunkts der Ankunft in Jerusalem zu gefährden. Am ersten der Sabbate, am ersten Tag der Woche, versammelten sich die Jünger zum Gottesdienst, vor allem zum Brotbrechen und zur Feier des Abendmahls. Hier haben wir den ersten zuverlässigen Bericht über die Wahl des Sonntags als Tag des Gottesdienstes. Da sich der Glaube der Christen auf die Auferstehung des Herrn gründet, wählten sie diesen Tag nicht aus Notwendigkeit oder auf göttlichen Befehl hin, sondern um das Wort Gottes zu hören und die heiligen Sakramente zu empfangen. Es war ein Abendgottesdienst, da Paulus am Morgen abreisen wollte. Paulus selbst hielt eine lange Lehrpredigt, die sich bis Mitternacht hinzog. Es war sein Wunsch, den Jüngern alle mögliche Unterweisung und Ermahnung zu geben, solange er noch bei ihnen war. Lukas berichtet, dass sie in der oberen Kammer des Hauses, das ihnen als Gottesdienstraum diente, viele Lichter hatten, nicht um sich vor dem Verdacht sündiger Praktiken unter den Christen zu schützen, sondern einfach als anschauliche Beschreibung und um zumindest teilweise die Schläfrigkeit des jungen Mannes zu erklären, den die vielen Lichter mit ihrer flackernden Flamme zweifellos schläfrig machten, ebenso wie seine Bemühungen, den Worten des Paulus aufmerksam zu folgen. Dieser junge Mann, der Eutychus hieß, hatte die Fensterbank als Sitzplatz gewählt und wurde dort allmählich vom Schlaf überwältigt. Niemand scheint ihn bemerkt zu haben, bis es zu spät war; denn sein Schlaf wurde schließlich so fest, dass er das Gleichgewicht verlor und aus dem Fenster des dritten Stocks auf das Pflaster darunter fiel. Das Geräusch machte die Anwesenden auf den Unfall aufmerksam, und sie eilten hinunter, aber nur, um den jungen Mann tot aufzuheben. Paulus aber, der ebenfalls hinuntergekommen war, streckte sich über ihn und hielt ihn eng an seinen warmen Körper gedrückt. Danach sagte er den besorgten Brüdern, sie sollten nicht schreien, denn seine Seele sei jetzt in ihm. Es war ein Wunder der Wiederbelebung eines Toten, ähnlich dem des Sohnes der Sunamitin, 2. Kge. 4,33-35. Danach kehrte Paulus in den Versammlungsraum zurück, feierte mit den Brüdern das Heilige Abendmahl und offenbar auch das Fest, das die frühen Christen im Zusammenhang mit dem Sakrament feierten. Nach dem Ende des regulären Gottesdienstes sprach der Apostel noch mit den versammelten Jüngern in einer eher zwanglosen Weise und erklärte ihnen viele Punkte, über die sie Informationen benötigten. Die Versammlung dauerte bis zum Morgengrauen des neuen Tages, an dem Paulus seine Reise nach Süden antrat. Doch die Jünger von Troas brachten den Jungen gesund und munter zurück und wurden von großem Trost und Glaubensstärke erfüllt. Sie erkannten, dass es die Kraft Gottes in Paulus war, die dieses Wunder vollbracht hatte, und dass dieses Werk daher die Wahrheit der Verkündigung des Paulus bezeugte. Diese Lehre ist auch heute noch die Grundlage des Glaubens eines jeden Christen.

 

    Von Troas nach Milet (V. 13-16): Die Gefährten des Paulus gingen zum Schiff hinunter und schifften sich ohne ihn ein. Sie segelten hinunter zur Stadt Assos am Golf von Adramyttene. Die Entfernung auf dem Wasser beträgt etwa vierzig Meilen, während der Landweg nur etwa halb so weit ist. Paulus hatte es so angeordnet, denn er wollte die Reise zu Fuß machen und sich von ihnen ins Schiff bringen lassen, um am Abend oder am nächsten Tag wieder abgeholt zu werden. Paulus war erschöpft von den Mühen und der Aufregung der vergangenen Wochen, ganz zu schweigen von der ständigen Bedrohung durch den Judenhass. Eine kleine Reise zu Fuß, auch wenn sie nach einer schlaflosen Nacht unternommen wurde, würde ihm daher die Gelegenheit geben, mit seinem Herrn allein im Gebet zu sein, und außerdem die Abwechslung der ständig wechselnden Landschaften entlang des Weges bieten, eine Wohltat für Körper und Geist. Anmerkung: Wer zwischen den Zeilen lesen kann, findet hier viel Stoff zum Nachdenken, sowohl über die Lasten, die ein treuer Prediger zu tragen hat, als auch über die Notwendigkeit, zuweilen allein zu sein und sich zu erholen. Nachdem Paulus am Abend oder am nächsten Morgen in Assos zu seinen Begleitern auf dem Schiff gestoßen und von ihnen aufgenommen worden war, fuhren sie weiter nach Mitylene, einem Hafen an der Ostküste der Insel Lesbos, wo sie für die Nacht ankerten, da die Fahrrinne in der Dunkelheit etwas gefährlich zu befahren war. Am nächsten Tag kamen sie gut voran und erreichten einen Punkt in der Nähe des Festlandes gegenüber der Insel Chios, wo sie für die Nacht ankerten. Ihre nächste Station war die Insel Samos, südlich des Golfs von Kyrill und südwestlich von Ephesus. Um die Insel zu erreichen, durchquerten sie direkt den Golf und landeten daher nicht in Ephesus. Von Samos aus setzten sie zum Festland über, wobei sie in Trogyllium einen Zwischenstopp einlegten, wahrscheinlich um einen Teil der Ladung aufzunehmen oder abzuladen. Von dort war es aber nur eine kurze Fahrt nach Milet, dem Hafen an der Mündung des Mäander, einer bevölkerungsreichen und bedeutenden Stadt mit einem großen Binnenhandel, wo das Schiff mehrere Tage bleiben sollte. Die Reise von Troas nach Milet hatte also von Montagmorgen bis Samstagabend gedauert. Und Paulus nahm sich nicht die Zeit, irgendwo anzuhalten und mit einem Schiff an der Küste nach Ephesus zu fahren, denn er hatte beschlossen, auf dieser Reise nicht dort anzuhalten, vor allem wegen der Verzögerung, die eine solche Aktion verursachen könnte. Seine Eile rührte daher, dass er zum Pfingstfest in Jerusalem sein wollte. Nach diesem Plan blieben ihm kaum sieben Wochen seit seinem Aufbruch von Philippi, und davon waren nun etwa drei Wochen vergangen.

 

Paulus und die Ältesten von Ephesus (20,17-38)

    17 Aber von Milet sandte er nach Ephesus und ließ fordern die Ältesten der Gemeinde. 18 Als aber die zu ihm kamen, sprach er zu ihnen. Ihr wisst von dem ersten Tag an, da ich bin nach Asien gekommen, wie ich allezeit bin bei euch gewesen 19 und dem HERRN gedient mit aller Demut und mit viel Tränen und Anfechtungen, die mir sind widerfahren von den Juden, so mir nachstellten; 20 wie ich nichts vorenthalten habe, das da nützlich ist, dass ich euch nicht verkündigt hätte und euch gelehrt öffentlich und sonderlich. 21 Und habe bezeugt beiden, den Juden und Griechen, die Buße zu Gott und den Glauben an unsern HERRN Jesus Christus.

    22 Und nun siehe, ich, im Geist gebunden, fahre hin nach Jerusalem, weiß nicht, was mir dort begegnen wird, 23 außer dass der Heilige Geist in allen Städten bezeugt und spricht: Bande und Trübsal warten mein daselbst. 24 Aber ich achte der keines; ich halte mein Leben auch nicht selbst teuer, auf dass ich vollende meinen Lauf mit Freuden und das Amt, das ich empfangen habe von dem HERRN Jesus, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes. 25 Und nun siehe, ich weiß, dass ihr mein Angesicht nicht mehr sehen werdet, alle die, durch welche ich gezogen bin und gepredigt habe das Reich Gottes. 26 Darum zeuge ich euch an diesem heutigen Tag, dass ich rein bin von aller Blut; 27 denn ich habe euch nichts vorenthalten, dass ich nicht verkündigt hätte den ganzen Rat Gottes.

    28 So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, unter welche euch der Heilige Geist gesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, welche er durch sein eigenes Blut erworben hat. 29 Denn das weiß ich, dass nach meinem Abschied werden unter euch kommen greuliche Wölfe, die die Herde nicht verschonen werden. 30 Auch aus euch selbst werden aufstehen Männer, die da verkehrte Lehren reden, die Jünger an sich zu ziehen. 31 Darum seid wacker und denkt daran, dass ich nicht abgelassen habe drei Jahre, Tag und Nacht einen jeglichen mit Tränen zu ermahnen.

    32 Und nun, liebe Brüder, ich befehle euch Gott und dem Wort seiner Gnade, der da mächtig ist, euch zu erbauen und zu geben das Erbe unter allen, die geheiligt werden. 33 Ich habe von euch kein Silber noch Gold noch Kleid begehrt 34 Denn ihr wisst selber, dass mir diese Hände zu meiner Notdurft und derer, die mit mir gewesen sind, gedient haben. 35 Ich habe es euch alles gezeigt, dass man so arbeiten müsse und die Schwachen aufnehmen und gedenken an das Wort des HERRN Jesu, das er gesagt hat: Geben ist seliger denn Nehmen.

    36 Und als er solches gesagt, kniete er nieder und betete mit ihnen allen. 37 Es war aber viel Weinen unter ihnen allen, und fielen Paulus um den Hals und küssten ihn, 38 am allermeisten betrübt über dem Wort, das er sagte, sie würden sein Angesicht nicht mehr sehen. Und geleiteten ihn in das Schiff.

 

    Paulus wendet sich an die Ältesten von Ephesus (V. 17-22): Milet war nur etwa dreißig Meilen [ca. 48 km] von Ephesus entfernt und mit der Hauptstadt durch eine gute Römerstraße verbunden. Sobald Paulus daher erfuhr, dass sich das Schiff um einige Tage verspäten würde, sandte er eine Botschaft nach Ephesus und bat die Ältesten der Gemeinde eindringlich, herunterzukommen. Die Gemeinde in Ephesus, in der Paulus so lange gewirkt hatte, lag ihm besonders am Herzen, und er konnte es sich nicht leisten, diese Chance verstreichen zu lassen. Als die Ältesten zu ihm kamen, wandte er sich an sie mit Worten eines zärtlichen Abschieds. Er gab ihnen zunächst einen kurzen Rückblick auf seine Arbeit in ihrer Stadt. Von dem Tag an, an dem er zum ersten Mal einen Fuß in ihre Provinz gesetzt hatte, war er während seines gesamten Aufenthalts um ihr geistliches und zeitliches Wohlergehen besorgt gewesen. Er hatte seine Arbeit als treuer Diener des Herrn und nur in seinem Interesse getan, mit der vollen und vollständigen Demut eines solchen Dieners. Seine Haltung war nicht gleichgültig, sondern von echter Sorge um seine Brüder und um die Welt erfüllt, die sich sogar in Tränen äußerte. Er hatte sein Werk inmitten von Versuchungen getan, die ihn umgeben hatten und die von allen Seiten wegen und in den Ränken der Juden aufgetaucht waren. Ihre Feindschaft hatte sich nicht auf einen gelegentlichen Ausbruch von Bosheit beschränkt, sondern hatte ihn ständig begleitet, immer in der Absicht, ihn in seinem Werk für den Herrn müde zu machen. Aber trotz all dieser und anderer Schwierigkeiten hatte er sich beim Lehren nicht zurückgehalten, wie es ein Feigling vielleicht getan hätte, sondern er hatte ihnen offen und freimütig verkündet, was für sie von Wert und Nutzen war. Wenn ein Pfarrer aus Angst um sein eigenes Wohlergehen vor klaren Aussagen der Wahrheit zurückschreckt, ist das gewöhnlich ein Zeichen von Unwürdigkeit und schadet fast immer der Gemeinde. Paulus aber hatte die Dinge, die dem Heil der Epheser dienlich waren, öffentlich, vor der versammelten Gemeinde, und privat, bei Besuchen von Haus zu Haus, gelehrt. Sein ständiges Bestreben war es, sowohl vor den Juden als auch vor den Griechen ein furchtloser und würdiger Zeuge der Umkehr zu Gott und des Glaubens an ihren gemeinsamen Herrn Jesus Christus zu sein. Das ist kurz gesagt die Substanz aller christlichen Predigt, dass alle Menschen, alle Sünder, ihre Sünden anerkennen und sich von ihnen zu dem Gott ihres Heils bekehren sollen, indem sie das volle Sühnopfer und die Erlösung durch Christus im Glauben an diesen ihren Erlöser annehmen. „Reue ist nichts anderes, als die Sünde wahrhaftig anzuerkennen, sie von Herzen zu bereuen und von ihr abzulassen; diese Erkenntnis kommt aus dem Gesetz, reicht aber nicht aus für eine rettende Bekehrung zu Gott, wenn nicht der Glaube an Christus hinzukommt, dessen Verdienst die tröstliche Predigt des heiligen Evangeliums allen reuigen Sündern anbietet, die durch die Predigt des Gesetzes erschreckt werden.“[81]

 

    Paulus warnt vor kommenden Trübsalen (V. 22-27): Die gesamte Ansprache des Paulus ist von unaussprechlicher Traurigkeit geprägt, und der Grund für diesen traurigen Ton wird hier genannt. Obwohl Paulus selbst keine ausdrückliche Offenbarung erhalten hatte, hatten andere ihm den Ausgang der Reise prophezeit. Er fühlte sich vom Geist gedrängt und gezwungen, der seine Schritte bei mehr als einer Gelegenheit lenkte; es wäre ein direkter Ungehorsam für ihn gewesen, nicht nach Jerusalem hinaufzureisen. Er hatte keine genauen Informationen über die Dinge, die ihm in dieser Stadt widerfahren würden, die auf ihn zukommen würden, um ihm zu schaden, nur dass der Heilige Geist in jeder Stadt, die er in letzter Zeit durchquert hatte, deutlich bezeugt hatte, dass ihn Fesseln, Ketten und damit auch Trübsal erwarteten. Je näher er nach Jerusalem kam, desto deutlicher wurden die Prophezeiungen, Kap. 21,11. Auf seinem Weg wurde Paulus auf Schritt und Tritt gewarnt und geleitet, und ganz nebenbei wurde sein Geist von oben mit Trost und Mut erfüllt. Er hielt sein Leben nicht für erwähnenswert, als ein Leben, das für ihn selbst wertvoll war. Wie er immer sein Leben, seine Fähigkeiten, seine Talente, seinen Ehrgeiz dem Willen des Herrn untergeordnet hatte, so hatte er auch hier nur einen Gedanken, nämlich seinen Lauf, den Dienst, den er vom Herrn Jesus empfangen hatte, zu Ende zu führen, unermüdlich in seinem Zeugnis zu sein, das Evangelium von der Gnade Gottes zu bezeugen. Dieser Dienst, dieses Amt, war dem Paulus von Jesus selbst anvertraut worden, Kap. 9,6. 15; Gal. 1,1; Titus 1,3. Gnade setzt Schuld voraus, und deshalb hatte Paulus die Verkündigung des Gesetzes nicht abgeschwächt, sondern seine größte Freude war es immer gewesen, das Evangelium von der Gnade Gottes in Christus Jesus zu bezeugen, um die armen Sünder zur Barmherzigkeit ihres Erlösers zu führen. Derselbe Geist des freudigen und bereitwilligen Dienstes muss die treibende Kraft in jedem wahren Diener des Herrn sein, ob er nun in der Arbeit des offiziellen Dienstes tätig ist oder nicht. All dies hatte Paulus noch einmal betont, weil es seine persönliche Überzeugung war, die sich auf die Prophezeiungen stützte, die er kürzlich gehört hatte, dass sie alle, die jetzt vor ihm versammelt waren und durch deren Mitte er mit der Verkündigung des Reiches Gottes gezogen war, sein Gesicht nicht mehr sehen würden. Alle Anzeichen wiesen in diese Richtung und ließen ihn sehr ängstlich und besorgt werden. Und da dies der Fall war, rief Paulus die Anwesenden an jenem Tag und in jener feierlichen Stunde als Zeugen vor Gott an, dass er rein von ihrem Blut sei, dass nicht ein einziger von ihnen aus Mangel an seelsorgerischer Fürsorge seine Seele von der Hand des Apostels fordern könne; denn er hatte sich nicht zurückgehalten, er hatte sich nicht gescheut, ihnen den ganzen Ratschluss Gottes, den Ratschluss der Erlösung und der Gnade, zu verkünden. „Keine Epistel übertrifft die an die Epheser im Reichtum ihrer Gedanken und in ihrer Vorstellung von einem göttlichen Plan, der sich durch die Zeitalter zieht; keine Epistel verweilt vollständiger in der Vorstellung von der Kirche als dem Leib Christi, oder ermahnt rührender zum Fleiß, die Einheit des Geistes zu bewahren, oder besteht praktischer auf der heiligmachenden Kraft des einen Geistes und dem Sinn einer göttlichen Zugehörigkeit in jedem Bereich des menschlichen Lebens. Die reiche und umfassende Lehre des Briefes richtet sich an Menschen, die die Erkenntnis des Apostels über das Geheimnis Christi zu verstehen vermögen, d. h. an diejenigen, denen er den Ratschluss Gottes umfassender als anderen verkündet hat.“[82]

    Die besondere Aufgabe der Ältesten (V. 28-31): Mit dem Beispiel des Apostels vor Augen und mit seiner Aufforderung im Ohr sollten die Ältesten von Ephesus aufpassen, aufmerksam sein, sich selbst hüten. Er stellt diese Sorge absichtlich an die erste Stelle, da sie der Sorge für die Herde vorausgehen muss. Denn nur durch ständige Wachsamkeit auf sich selbst können sie auch für die Herde, die Gemeinde, sorgen, die der richtigen Ernährung und der treuesten Betreuung bedarf. Denn sie sind immer noch Glieder der Herde, obwohl der Heilige Geist sie als Aufseher in die Mitte der Herde gestellt hat, mit dem einen Ziel und Zweck, nämlich die Gemeinde, die Kirche des Herrn an diesem Ort, mit geistlicher Speise in rechter Menge zu nähren und zu versorgen. Man beachte, dass die Ältesten hier als Bischöfe oder Aufseher angesprochen werden, was zeigt, dass es zur Zeit der Apostel keinen Unterschied zwischen den beiden Ämtern gab und die Namen unterschiedslos verwendet wurden. Es wurde keine Hierarchie durch Gottes Gebot festgelegt. Es ist sehr bezeichnend, dass Paulus die Gemeinde des Herrn als erkauft, erkauft durch sein eigenes Blut beschreibt. „Das ist doch ein klarer Text, aus dem ohne jeden Widerspruch hervorgeht, dass Christus, unser Herr, durch dessen Blut die Gemeinde erkauft wurde, Gott ist, dem die Gemeinde gehört. Denn er sagt deutlich: Gott ist es, der durch sein Blut die Kirche gewonnen hat und dem die Kirche gehört. Da nun, wie wir gehört haben, die Personen verschieden sind, und hier noch geschrieben steht, dass Gott selbst durch sein Blut die Kirche erkauft hat, so ergibt sich mit großer Kraft der Schluss, dass Gott sein eigenes Blut hat, das er für seine Kirche vergossen hat, das heißt, dass Christus, unser Erlöser, wahrer Gott ist, vom Vater geboren von Ewigkeit her, danach auch durch die Jungfrau Maria in der Zeit Mensch geworden und geboren.“[83] Da die Verantwortung so groß ist und er für so kostbare Seelen Rechenschaft ablegen muss, warnt Paulus mit doppeltem Nachdruck vor zwei Gefahren, die seine prophetische Vision voraussehen konnte. Er wusste, dass nach seinem Weggang von ihnen, in einer nicht weit entfernten Zukunft, von außen her schmerzhafte, reißende, wilde Wölfe in die Herde eindringen würden, Irrlehrer, die kein Erbarmen mit der Herde hätten, sondern jedes Mittel anwenden würden, um die Gemeinde zu zerrütten, um die Seelen zu ermorden, indem sie versuchen würden, sie zur Annahme einer falschen Lehre zu überreden. Dazu kämen noch Abtrünnige aus den eigenen Reihen, Männer, die sich ohne Berufung und Autorität erheben und sich als Lehrer aufstellen würden, mit einer Lehre voller perverser und antichristlicher Dinge, in der Absicht, die, die bereits Christen waren, wegzuziehen, wodurch letztere sich des Abfalls von der Wahrheit und von der wahren Kirche Christi schuldig machen würden. Angesichts dieser beiden Gefahren sollten die Ältesten von Ephesus wachen, auf der Hut sein, ständige Wachsamkeit üben und immer daran denken, dass Paulus drei Jahre lang, in runden Zahlen, nicht aufgehört hatte, jeden einzelnen von ihnen Tag und Nacht unter Tränen zu ermahnen. Seine Treue sollte ihnen daher als ständiger Ansporn für die gesamte Arbeit ihres verantwortungsvollen Amtes dienen. Anmerkung: Bis heute ist es der Heilige Geist, der den Gemeinden die Lehrer des Evangeliums gibt. Denn wenn er auch nicht unmittelbar beruft, so bedient er sich doch der Gemeinden als seiner Werkzeuge und leitet die Angelegenheiten seiner Kirche; darum sollen die Gemeinden auch die von ihnen gewählten Hirten in diesem Geiste annehmen und sie zum Lehren und Wachen verpflichten, wie Paulus es hier mit den Ältesten von Ephesus tat.

 

    Abschiedsworte des Paulus (V. 32-35): Paulus hatte den Ältesten von Ephesus sein eigenes Beispiel vor Augen geführt und sie eindringlich vor den Gefahren gewarnt, die der Gemeinde drohten. Nun weist er sie auf die einzige Quelle des Mutes und der Kraft hin, die ihnen genügt, indem er sie Gott und seinem Wort, dem Wort der Gnade, empfiehlt, wobei die Gnade Gottes der Hauptinhalt, die Zusammenfassung des Evangeliums ist. Mit dem Rat und der Ermahnung Gottes, wie sie in diesem Wort dargelegt sind, vor Augen, kann es ihnen inmitten aller Widrigkeiten nicht an Kraft fehlen. Denn dieses Wort ist "jederzeit imstande, die Christen zu erbauen, aufzurichten und ihnen das Erbe unter allen Geweihten nicht nur zu verheißen, sondern tatsächlich zu geben. Die Verheißungen der Barmherzigkeit im Wort Gottes sind so sicher, so klar, dass es keinen Zweifel an seiner Herrlichkeit als Besitz der Gläubigen geben kann. Zum Schluss hält Paulus den Ältesten von Ephesus noch einmal in einem eindringlichen Appell und mit anschaulicher Deutlichkeit sein Beispiel vor Augen. Weder das Silber noch das Gold noch die Kleider von irgendjemandem hatte er begehrt; er war nicht um des Geldes willen unter ihnen im Dienst gewesen. Vielmehr hatte er, wie sie wussten, wegen einer besonderen Ehre, die er zu haben wünschte, mit seinen eigenen Händen gearbeitet, deren mühsam abgenutzte Handflächen er ihnen zeigte, um das Lebensnotwendige für sich selbst und für die, die mit ihm dienten, zu beschaffen. Sehr wahrscheinlich hatte Paulus auch in Ephesus in seinem Beruf gearbeitet, entweder mit Aquila und Priscilla oder mit Philemon. Aber diese seine bevorzugte Prahlerei war bei weitem zweitrangig gegenüber der Tatsache, dass er sich in seinem Dienst sehr angestrengt hatte und dadurch den Christen von Ephesus gezeigt hatte, was in dieser Arbeit erforderlich war; er hatte ihnen in allem ein Beispiel gegeben, indem er seine manuelle Arbeit mit dem Dienst an den Bedürftigen verband. So ist es eine Verpflichtung, den Kranken und allen, die in Not sind, zu Hilfe zu kommen, indem man sich immer an die Worte des Herrn Jesus erinnert, die er selbst gesprochen hatte und die von den Jüngern bewahrt wurden, obwohl sie nicht in den Evangelien stehen: „Geben ist seliger als nehmen.“ Diese selbstlose Hingabe an den Dienst des bedürftigen Nächsten war von Jesus praktiziert worden; sie war von Paulus befolgt worden; sie sollte von allen Christen nachgeahmt werden, denn nur so wird ihr Glaube seinen richtigen Ausdruck und seine richtige Anwendung finden.

    Die Ältesten wünschen ihrem Lehrer alles Gute (V. 36-38): Die rührende Abschiedsrede des Paulus hatte alle Ältesten von Ephesus tief bewegt. Und dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass er, nachdem er seine Rede beendet hatte, niederkniete, sich mit ihnen auf die Knie warf und ein inbrünstiges Flehen zum Thron der Gnade hinaufschickte, für sich selbst, für die Gemeinde in Ephesus, für die Kirche insgesamt, und den Schutz des Herrn für sein eigenes Werk erflehte. Die Verabschiedung war nach der Art der warmblütigen Südländer sehr liebevoll. Alle weinten bitterlich, und unfähig, ihre Gefühle zu beherrschen, fielen sie Paulus um den Hals und küssten ihn wieder und wieder; denn sie waren zutiefst betroffen von dem Wort, das er ihnen sagte, dass sie sein Gesicht nicht mehr sehen und ihn nie wieder erleben würden, wenn er ihnen die wunderbaren Geheimnisse Gottes erklärte. Und dann brachten sie den Apostel als letzten Beweis ihrer Zuneigung und Ehrerbietung zum Schiff, denn der Hafen lag in einiger Entfernung von dem Ort, an dem sie ihn getroffen hatten. Anmerkung: Eine solch zärtliche Zuneigung einer Gemeinde zu dem Lehrer, der ihr das Wort des Lebens gebracht hat, mit ähnlichen Ausdrücken dieser Liebe, wird sogar in unseren Tagen bezeugt; und es ist dem Herrn sicherlich wohlgefällig, wenn die Beziehung diese Form annimmt". Dennoch darf nie vergessen werden, dass die Zuneigung sich auf die Verkündigung des Evangeliums und nicht auf die Person des Pastors oder Lehrers konzentrieren sollte. Das Evangelium und das Werk der Seelenrettung müssen immer im Vordergrund stehen, und um dieser willen sollten die Diener des Herrn sehr hoch geachtet werden, 1. Thess. 5,13.

 

Zusammenfassung: Paulus unternimmt die vorgesehene Reise nach Mazedonien und Griechenland, kehrt über Philippi und Troas nach Asien zurück und trifft die Ältesten von Ephesus in Milet, wo er sich in einer bewegenden Abschiedsrede an sie wendet.

 

 

Kapitel 21

 

Die Reise nach Jerusalem (21,1-16)

    1 Als es nun geschah, dass wir, von ihnen gewandt, dahinfuhren, kamen wir geradewegs nach Kos und am folgenden Tag nach Rhodos und von dort nach Patara. 2 Und als wir ein Schiff fanden, das nach Phönizien fuhr, traten wir darein und fuhren hin. 3 Als wir aber Zypern sahen, ließen wir es zur linken Hand und schifften nach Syrien und kamen an zu Tyrus; denn dort sollte das Schiff die Ware niederlegen. 4 Und als wir Jünger fanden, blieben wir da sieben Tage. Die sagten Paulus durch den Geist, er sollte nicht hinauf nach Jerusalem ziehen

    5 Und es geschah, da wir die Tage zugebracht hatten, zogen wir aus und wandelten. Und sie geleiteten uns alle mit Frauen und Kindern bis hinaus vor die Stadt und knieten nieder am Ufer und beteten. 6 Und als wir einander gesegnet, traten wir ins Schiff; jene aber wandten sich wieder heimwärts. 7 Wir aber vollzogen die Schiffahrt von Tyrus und kamen nach Ptolemais und grüßten die Brüder und blieben einen Tag bei ihnen. 8 Am nächsten Tag zogen wir aus, die wir um Paulus waren, und kamen nach Cäsarea und gingen in das Haus des Philippus, des Evangelisten, der einer von den Sieben war, und blieben bei ihm. 9 Der hatte vier Töchter, die waren Jungfrauen und weissagten.

    10 Und als wir mehrere Tage dablieben, reiste herab ein Prophet aus Judäa mit Namen Agabus und kam zu uns. 11 Der nahm den Gürtel des Paulus und band seine Hände und Füße und sprach: Das sagt der Heilige Geist: Den Mann, des der Gürtel ist, werden die Juden so binden zu Jerusalem und überantworten in der Heiden Hände. 12 Als wir aber solches hörten, baten wir ihn, und die an diesem Ort waren, dass er nicht hinauf nach Jerusalem zöge. 13 Paulus aber antwortete: Was macht ihr, dass ihr weint und brecht mir mein Herz? Denn ich bin bereit, nicht allein mich binden zu lassen, sondern auch zu sterben zu Jerusalem um des Namens willen des HERRN Jesus. 14 Da er aber sich nicht überreden ließ, schwiegen wir und sprachen: Des HERRN Wille geschehe! 15 Und nach diesen Tagen machten wir uns fertig und zogen hinauf nach Jerusalem. 16 Es kamen aber mit uns auch etliche Jünger von Cäsarea und führten uns zu einem mit Namen Mnason aus Zypern, der ein alter Jünger war, bei dem wir herbergen sollten.

 

    Von Milet nach Tyrus (V. 1-4): Der Abschied von den Ältesten war mit solchen Schwierigkeiten verbunden, dass Paulus und seine Gefährten sich buchstäblich aus ihren Umarmungen losreißen mussten, so bitter empfanden sie den Abschied von dem geliebten Apostel. Aber schließlich schifften sie sich ein und segelten fast genau nach Süden zur Insel Coos oder Kos, kurz vor der Öffnung des keramischen Golfs, vor der Küste von Karien, einem Bezirk von Prokonsularasien. Bei günstigem, lebhaftem Wind legten sie diese Strecke in einem Tag zurück. Am nächsten Tag erreichten sie bei fast ebenso günstigem Wind den Hafen von Rhodos auf der Insel Rhodos, wo der große Koloss, der Leuchtturm des Hafens, jetzt auf dem Boden lag. Von hier aus führte ihr Kurs fast genau nach Osten, bis zur Stadt Patara in Lykien. Hier verließen sie das Schiff, das sie von Troas aus gebracht hatte, entweder weil dies sein Ziel war oder weil das Schiff im Küstenverkehr tätig war und sich für ihre Zwecke als zu langsam erwiesen hätte. Sie gingen auf ein Schiff, das direkt nach Phönizien fuhr, gingen an Bord und stachen in See. Zu gegebener Zeit sahen sie die Insel Zypern, die Paulus wegen seiner Arbeit, die er dort Jahre zuvor geleistet hatte, in Erinnerung geblieben war; aber sie ließen sie links liegen, das heißt, sie segelten südlich an der Insel vorbei auf geradem Kurs nach Syrien, zu dessen Provinz Phönizien gehörte. Das Schiff ankerte eine Woche lang in Tyrus, um seine Ladung zu löschen, und Paulus und seine Gefährten gingen an Land. Das Entladen war mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden und nahm viel Zeit in Anspruch, da auch die Ballen, Bündel und Kisten in die Stadt getragen werden mussten. Natürlich verlor die Gruppe des Apostels keine Zeit, die Jünger zu suchen, da sie wussten, dass es in der Stadt eine Gemeinde gab (ein gutes Beispiel für christliche Reisende in unserer Zeit, dem sie folgen sollten). Da ihre Suche erfolgreich war, blieben sie sieben Tage in Tyrus. Diese Jünger, einige von ihnen, erhielten hier eine besondere Offenbarung durch den Geist, zumindest was das allgemeine Schicksal des Paulus anging, und sie rieten ihm wiederholt, nicht nach Jerusalem hinaufzugehen. Diese Warnung scheint nicht in der Offenbarung enthalten gewesen zu sein, sondern wurde aufgrund ihrer Sorge um das Wohlergehen des Apostels hinzugefügt, der jedoch trotz aller Bitten in seinem Entschluss unbewegt blieb.

 

    Von Tyrus nach Cäsarea (V. 5-9): Als Paulus und seine Gefährten die sieben Tage hinter sich gebracht hatten, als sie die Zeit hinter sich gebracht hatten, als die angegebene Zeitspanne abgelaufen war, in der sie zum Ausladen der Ladung geblieben waren, verließen sie die Stadt, um ihre Reise fortzusetzen. Und hier haben wir ein schönes Zeugnis von einem Augenzeugen, das auf die liebevolle Vertrautheit hinweist, die in jenen Tagen die Beziehung der Christen im Allgemeinen kennzeichnete. Denn die Jünger der Stadt, die ganze Gemeinde, nicht nur die Männer, sondern auch ihre Frauen und Kinder, begleiteten sie auf ihrem Weg aus der Stadt hinaus. Das Band der gegenseitigen Liebe, verbunden durch den gemeinsamen Glauben, verband sie enger, als es eine irdische Freundschaft hätte tun können. Vor der Stadt angekommen, knieten sie am Sandstrand in der Nähe des Wassers nieder und übergaben sich und ihre Sache im Gebet an Gott. Gerade die Einfachheit der Erzählung an dieser Stelle macht sie so beeindruckend. Dann verabschiedeten sich die Freunde von einer Woche, die ihnen mehr am Herzen lag als andere von Monaten und Jahren, woraufhin Paulus und seine Begleiter an Bord gingen, während die anderen nach Hause zurückkehrten. Von Tyrus aus hatten die Reisenden nun ihre Reise beendet; sie befanden sich auf dem letzten Abschnitt ihrer Reise, entlang der Küste Syriens und Palästinas. Die Reise von Makedonien aus war mit der Anlandung in Tyrus abgeschlossen, die noch verbleibende kurze Strecke konnte ohne Schwierigkeiten zurückgelegt werden. Ihr Schiff lief ein und ankerte in Ptolemais, einem Hafen acht Meilen nördlich des Berges Karmel, und so hatten sie die Gelegenheit, die Brüder in dieser Stadt zu begrüßen und den Tag mit ihnen zu verbringen. Aber am nächsten Tag brachen sie auf und kamen nach Cäsarea, wo die Reise auf dem Wasser endete. Hier traten sie in das Haus des Evangelisten Philippus ein, der ursprünglich einer der sieben von der Gemeinde in Jerusalem gewählten Diakone war, Kap. 6, der aber durch die Verfolgung des Saulus von Tarsus aus der Stadt vertrieben wurde. Sie wurden von Philippus einige Zeit lang mit aller Herzlichkeit bewirtet. Lukas, der hier zusammen mit einigen seiner Gefährten die Bekanntschaft des Philippus machte, berichtet, dass in dem Haus vier Töchter waren, Jungfrauen, die die Gabe der Weissagung hatten. Der Text lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass sie einem besonderen Orden angehörten oder das Gelübde der Keuschheit abgelegt hatten. Sie nahmen einfach am häuslichen Leben ihres Vaters teil, nutzten ihre außergewöhnlichen Gaben nur, wie der Geist es ihnen eingab, und lehrten nicht öffentlich. Ihr Fall fällt unter die Überschrift der Erfüllung von Joel 2, 20, aus der keine besonderen Schlussfolgerungen für unsere Tage gezogen werden können.

 

    Die Weissagung des Agabus (V. 10-16): „Viele Tage“, einige Tage mehr, blieben sie, Paulus und seine Gefährten, in Cäsarea. Paulus hatte das große Glück gehabt, eine schnelle Reise zu haben, was ihm nun etwas mehr Zeit verschaffte, zumindest einige Tage, etwa zehn oder zwölf Tage. Aber während dieser Zeit, die er bei dem gastfreundlichen Philippus und seiner Familie verbrachte, erhielt Paulus die letzte und übrigens auch die genaueste und ausdrücklichste prophetische Warnung auf dieser ganzen Reise. Denn ein Jünger namens Agabus, der die Gabe der Weissagung besaß, kam aus einer Stadt in Judäa, wahrscheinlich aus Jerusalem, nach Cäsarea hinab, Kap. 11,28. Als dieser Mann das Haus des Philippus betrat, verhielt er sich ganz im Sinne der Propheten des Alten Testaments, indem er die Worte, die er sprach, durch eine symbolische Handlung unterstrich. Er nahm den Gürtel ab, der das Obergewand des Paulus an Ort und Stelle hielt, band seine eigenen Füße und Hände und erklärte dann, dass die Juden in Jerusalem den Besitzer dieses Gürtels auf dieselbe Weise binden würden, wie er jetzt gebunden war, und ihn in die Hände der Heiden ausliefern würden. Dies gab er nicht als seine eigene Meinung aus, sondern erklärte ausdrücklich, dass der Heilige Geist die Prophezeiung mache, eine Tatsache, die jeden Widerspruch und Zweifel unmöglich machte. Die Ankündigung löste natürlich die größte Bestürzung aus, nicht nur im Kreis der Gefährten des Paulus und im Haushalt des Philippus, sondern in der gesamten Gemeinde von Cäsarea, den Bewohnern der Stadt. Und sie alle, auch Lukas, baten Paulus, nicht nach Jerusalem hinaufzugehen. Aber Paulus blieb standhaft, nicht aus falschem Streben nach der Märtyrerkrone, denn er hatte bei anderen Gelegenheiten den Bitten seiner Freunde nachgegeben, sondern aus einem Grund, den er nicht preisgeben wollte. Er bat sie jedoch seinerseits inständig, davon abzulassen. Er fragte sie, was sie mit dem Weinen meinten, warum sie darauf bestanden, ihm das Herz zu brechen. Ihre zärtliche Sorge um sein Wohlergehen rührte ihn zutiefst, aber sie konnte ihn nicht von seinem Entschluss abbringen. Er erklärte, er sei bereit, sich nicht nur binden zu lassen, sondern auch in Jerusalem um des Herrn Jesus willen zu sterben. Den Namen seines Erlösers konnte und wollte er nicht verleugnen. Er war davon überzeugt, dass seine Berufung ihn nach Jerusalem führte und dass es sich nicht um eine freie Entscheidung handelte. Die Judenchristen, die seine Missionsarbeit mit Misstrauen betrachteten, mussten von ihrer Torheit überzeugt werden, und die Einheit der Kirche zwischen Juden und Heiden musste endgültig hergestellt werden. Dies war auch der Zweck der Kollekte, die seine Gefährten den Brüdern in Jerusalem brachten. Obwohl Paulus dies alles nicht ausführlich erklärte, stellten die Brüder in Cäsarea ihre Bemühungen ein, ihn von der jüdischen Hauptstadt fernzuhalten, und legten die Angelegenheit und ihren Ausgang ganz in die Hände des Herrn, dessen Wille geschehen sollte. Nachdem die Tage verstrichen waren, die Paulus zugestanden worden waren, sammelten er und seine Gefährten ihr gesamtes für die Reise erforderliches Gepäck und machten sich auf den Weg hinauf ins Hochland, wo Jerusalem lag, eine Entfernung von etwas mehr als sechzig Meilen. Ihre Gruppe wurde durch einige Jünger aus Cäsarea vergrößert, die ihnen bei ihrer Ankunft in Jerusalem halfen, indem sie sie zum Haus eines Mnason aus Zypern führten, in dessen Haus sie für die Zeit ihres Aufenthalts untergebracht werden sollten. Dieser Mann war ein alter Jünger, d.h. ein ursprünglicher Jünger, einer derjenigen, die sich am großen Pfingsttag bekehrt hatten.[84] Man beachte, dass die christliche Tugend der Gastfreundschaft in den frühen Tagen der Kirche in jeder Stadt, in der Paulus und seine Gruppe Zeit hatten, Halt zu machen, frei ausgeübt wurde.

 

Der jüdische Aufruhr gegen Paulus (21,17-39)

    17 Als wir nun nach Jerusalem kamen, nahmen uns die Brüder gerne auf. 18 Am nächsten Tag aber ging Paulus mit uns ein zu Jakobus, und kamen die Ältesten alle dahin. 19 Und als er sie gegrüßt hatte, erzählte er eins nach dem andern, was Gott getan hatte unter den Heiden durch sein Amt.

    20 Da sie aber das hörten, lobten sie den HERRN und sprachen zu ihm: Bruder, du siehst, wieviel tausend Juden sind, die gläubig geworden sind, und sind alle Eiferer über dem Gesetz. 21 Sie sind aber berichtet worden gegen dich, dass du lehrst von Mose abfallen alle Juden, die unter den Heiden sind, und sagst, sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden, auch nicht nach dessen Weise wandeln. 22 Was ist’s denn nun? Allerdings muss die Menge zusammenkommen; denn es wird vor sie kommen, dass du gekommen bist. 23 So tu nun das, was wir dir sagen: 24 Wir haben vier Männer, die haben ein Gelübde auf sich; diese nimm zu dir und lass dich reinigen mit ihnen und wage die Kosten an sie, dass sie ihr Haupt bescheren, und alle vernehmen, dass nicht sei, wes sie gegen dich berichtet sind, sondern dass du auch treu lebst und hältst das Gesetz. 25 Denn den Gläubigen aus den Heiden haben wir geschrieben und beschlossen, dass sie der keines halten sollen, als nur sich bewahren vor dem Götzenopfer, vor Blut, vor Ersticktem und vor Hurerei.

    26 Da nahm Paulus die Männer zu sich und ließ sich am nächsten Tag samt ihnen reinigen und ging in den Tempel und ließ sich sehen, wie er aushielte die Tage der Reinigung, bis dass für einen jeglichen unter ihnen das Opfer geopfert wurde. 27 Als aber die sieben Tage sollten vollendet werden, sahen ihn die Juden aus Asien im Tempel und erregten das ganze Volk, legten die Hände an ihn und schrien: 28 Ihr Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der alle Menschen an allen Enden lehrt gegen dies Volk, gegen das Gesetz und gegen diese Stätte; auch dazu hat er die Griechen in den Tempel geführt und diese heilige Stätte gemein gemacht. 29 Denn sie hatten mit ihm in der Stadt Trophimus, den Epheser, gesehen; den, meinten sie, hätte Paulus in den Tempel geführt. 30 Und die ganze Stadt wurde bewegt, und wurde ein Zulauf des Volks. Sie griffen aber Paulus und zogen ihn zum Tempel hinaus; und alsbald wurden die Türen zugeschlossen.

    31 Da sie ihn aber töten wollten, kam das Geschrei hinauf vor den obersten Hauptmann der Schar, wie das ganze Jerusalem sich empörte. 32 Der nahm sogleich die Kriegsknechte und Hauptleute zu sich und lief unter sie. Da sie aber den Hauptmann und die Kriegsknechte sahen, hörten sie auf, Paulus zu schlagen. 33 Als aber der Hauptmann nahe herzukam, nahm er ihn an sich und hieß ihn binden mit zwei Ketten und fragte, wer er wäre, und was er getan hätte. 34 Einer aber rief dies, der andere das im Volk. Da er aber nichts Gewisses erfahren konnte um des Getümmels willen, hieß er ihn in das Lager führen.

    35 Und als er an die Stufen kam, mussten ihn die Kriegsknechte tragen vor Gewalt des Volks. 36 Denn es folgte viel Volks nach und schrie: Weg mit ihm! 37 Als aber Paulus jetzt zum Lager eingeführt wurde, sprach er zu dem Hauptmann: Darf ich mit dir reden? Er aber sprach: Kannst du Griechisch? 38 Bist du nicht der Ägypter, der vor diesen Tagen einen Aufruhr gemacht hat und führtest in die Wüste hinaus viertausend Meuchelmörder? 39 Paulus aber sprach: Ich bin ein jüdischer Mann von Tarsus, ein Bürger einer namhaften Stadt in Zilizien; ich bitte dich, erlaube mir, zu reden zu dem Volk.

 

    Der Empfang in Jerusalem (V.17-19): Als Paulus und seine Gefährten in Jerusalem ankamen, wurden sie von den Brüdern der Gemeinde mit Freude empfangen, sehr zur Ermutigung aller. Am nächsten Tag fand eine formellere Versammlung statt, bei der Paulus seine Gefährten nahm und sie Jakobus, dem Bruder des Herrn, dem bedeutendsten Ältesten der Gemeinde, vorstellte. Auch alle anderen Ältesten der Gemeinde waren bei dem Gespräch anwesend. Nachdem er sie alle begrüßt hatte, begann Paulus zu erzählen, wörtlich: einen nach dem anderen und in allen Einzelheiten zu berichten, was der Herr durch seinen Dienst unter den Heiden getan hatte. Dies bezog sich besonders auf den Erfolg der zweiten und dritten Reise, denn die Brüder in Jerusalem hatten die Geschichte der ersten Reise gehört, Kap. 15,4. Sehr wahrscheinlich hat Paulus mit seinem Bericht auch deutlich gemacht, dass er die Beschlüsse der Konferenz in Jerusalem acht oder neun Jahre zuvor erfüllt hatte. Berichte aus den Missionsgebieten sollten für alle christlichen Geschwister immer höchst interessant sein und das Interesse an der Arbeit wecken.

 

    Ein Fall von jüdischem Vorurteil (V. 20-26): Die Reihen der Gemeinde in Jerusalem waren noch stark von jüdischen Vorurteilen geprägt, und selbst die Ältesten, einschließlich Jakobus, hatten noch nicht die klare Unterscheidung zwischen christlicher Freiheit und jüdischen Bräuchen erreicht, die für eine volle Würdigung der neutestamentlichen Segnungen notwendig war. Die Konferenz der Ältesten antwortete auf den Bericht des Paulus mit einem Lobpreis Gottes und drückte ihre volle Übereinstimmung mit seiner Arbeitsweise aus. Aber nebenbei hatten sie noch eine kleine Angelegenheit, die sie für wichtig genug hielten, um sie ihm zur Kenntnis zu bringen. Wie sie sagten, musste Paulus selbst gesehen haben, dass es vor allem in Jerusalem Tausende von Juden gab, die gläubig waren und Jesus wirklich als den verheißenen Messias angenommen hatten. Gleichzeitig waren sie jedoch glühende Verfechter des Gesetzes geblieben und glaubten, dass die Einhaltung aller Gebote und Traditionen notwendig und sogar unerlässlich sei. Diese Juden hatten den Bericht gehört, hatten die Information über Paulus erhalten, dass er den Abfall von Mose lehrte, und zwar nicht allgemein, sondern für alle Juden, die in der Diaspora lebten, unter den Heiden im Ausland. Diese allgemeine Anklage wurde in zwei Fällen präzisiert, nämlich dass Paulus sie gelehrt habe, den Ritus der Beschneidung nicht zu praktizieren, und dass er sie in ähnlicher Weise überredet habe, nicht nach den Sitten und Gebräuchen zu leben, die durch Tradition und Gewohnheit verbindlich geworden waren. Diese Vorwürfe waren jedoch nicht zutreffend. Paulus hatte die Juden nicht gelehrt, ihre Kinder nicht zu beschneiden, sondern er selbst hatte Timotheus, einen Halbjuden, beschnitten, weil dieser wahrscheinlich unter Juden arbeiten würde. Paulus hatte sie nicht gelehrt, die Sitten ihrer Väter aufzugeben; denn er selbst hatte etwa ein Jahr zuvor an die Korinther geschrieben, dass er für die Juden ein Jude gewesen sei, 1. Kor. 9,20.21. Er verlor nie den Unterschied aus den Augen zwischen dem, was wir um anderer willen tun dürfen, und dem, wozu wir verpflichtet sind, um Gott zu gehorchen. Und diese Unterscheidung hatte er in seinen Bemühungen, die Juden davon zu überzeugen, dass die alten Riten für ihr Gewissen nicht mehr bindend waren, deutlich gemacht. Die Ältesten von Jerusalem mögen sich all dessen mehr oder weniger bewusst gewesen sein, aber sie fürchteten, dass die Judenchristen, die noch nicht den Wissensstand erreicht hatten, um den Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament richtig zu verstehen, in ihrem Vergehen fortfahren würden. Sie überlegten, was man unter diesen Umständen tun könnte, und kamen zu dem Schluss, dass eine Versammlung der gesamten Gemeinde unbedingt notwendig sei, denn die Nachricht von der Ankunft des Paulus hatte sich inzwischen in der ganzen Stadt verbreitet. Um Unannehmlichkeiten zu vermeiden, machten sie Paulus einen Vorschlag, was er tun könnte, um alle falschen Eindrücke zu beseitigen und den schwachen Brüdern wenigstens auf halbem Weg entgegenzukommen. Sie hatten in der Gemeinde vier Männer, die unter einem Nasiräer-Gelübde standen, Num. 6,2-12, das als unerfüllte Verpflichtung auf ihnen lag. „Dies erforderte ihre Reinigung, die sieben Tage dauerte, die Rasur ihrer Köpfe auf dem Altar, die Darbringung eines Sündopfers und eines Brandopfers für jeden von ihnen und den Verlust der Zeit, die sie unter dem Gelübde verbracht hatten. Paulus sollte erstens für sie aufkommen, d. h. einen Teil oder die gesamten Kosten für die Opfer, die sie darzubringen hatten, übernehmen, und zweitens in den Tempel gehen und den Priestern mitteilen, wann ihre Tage der Reinigung erfüllt sein würden, damit ein Priester bereit sei, ihre Opfer darzubringen. Letzteres konnten sie nicht selbst tun, denn das Gesetz schloss sie während ihrer Unreinheit vom jüdischen Hof aus; aber da Paulus nicht durch den Kontakt mit einem toten Körper, sondern durch einige der vielen anderen im Gesetz genannten Ursachen unrein war, konnte er sich an einem einzigen Tag reinigen, indem er seine Kleider wusch und sein Fleisch badete und bis zum Abend unrein blieb, 3. Mose 15, 1-30.“[85] Diese Handlung des Paulus würde ihnen allen zu verstehen geben, dass die Dinge, die über ihn berichtet worden waren, ohne Grundlage waren, und dass er sich so verhielt, dass er das Gesetz hielt. Und was die Heidenchristen betrifft, so beruhigten die Ältesten von Jerusalem Paulus, indem sie ihn an ihren in seiner Gegenwart gefassten Beschluss erinnerten, dass sie nicht verpflichtet seien, das jüdische Zeremonialgesetz zu halten, dass sie sich aber davor hüten sollten, das Fleisch von Götzenopfern, Blut und das Fleisch von erwürgten Tieren zu essen, und dass sie Unzucht und sexuelle Laster vermeiden müssten. Aus dieser Beschreibung geht hervor, dass die Glieder der Gemeinde in Jerusalem immer noch eifrige Verfechter des mosaischen Zeremonialgesetzes waren, dass sie ihre Kinder weiterhin beschnitten, dass sie die Reinigungen des Kirchengesetzes, obwohl sie in einigen Fällen das Darbringen von Opfern beinhalteten, als verbindlich auch für die Christen jüdischer Abstammung ansahen, dass sie aber den heidnischen Brüdern keine dieser Observanzen auferlegten, weil sie glaubten, dass der Beschluss der früheren Konferenz ihren Fall vollständig abdeckt. Solange bloße Schwäche oder Mangel an geistlicher Erkenntnis angenommen werden kann, mag ein solches Verhalten toleriert werden, aber sobald Dinge, die an sich gleichgültig sind, als Gesetze Gottes angeführt werden, muss auf der Freiheit des Evangeliums bestanden werden.

 

    Der Beginn des Aufruhrs (V. 26-30): Paulus zeigte hier, dass der Geist Christi in ihm lebte, dass er bereit war, um der anderen willen an einer Zeremonie teilzunehmen, von der er wusste, dass sie ihre eigentliche Bedeutung und ihren Wert verloren hatte und zu einer bloßen leeren Form geworden war, 1. Kor. 9,20. Er nahm die vier Männer mit sich, wurde ihr Gefährte, vollzog die erforderlichen Reinigungsriten in seinem eigenen Fall und ging dann in den eigentlichen Tempel, den Teil, der ausschließlich den Kindern Israels vorbehalten war, und kündigte dort den Priestern den Tag an, an dem das Gelübde beendet werden sollte, und brachte für jeden der vier die erforderlichen Opfergaben. Offensichtlich verbrachte auch Paulus die meiste, wenn nicht sogar die ganze Zeit während dieser Woche im Tempel. So wurde er allen Menschen alles. Merke: In Angelegenheiten, in denen es nicht um grundlegende biblische Prinzipien geht, kann sich ein Christ anderen anpassen; aber er muss sich davor hüten, dass Heuchelei und Menschenfurcht sein Motiv für dieses Verhalten sind. Bis jetzt war alles erfreulich glatt verlaufen, und keine Wolke schien den Horizont zu verdunkeln. Umso überraschender war die Tatsache, dass der Sturm aus einem praktisch klaren Himmel aufzog. Denn als sich die sieben Tage der Reinigung der Nasiräer dem Ende zuneigten, die Zeit, in der der Apostel mit den Männern zusammen war, sahen ihn Juden aus der Provinz Asien, wahrscheinlich sogar aus Ephesus, die zum Pfingstfest heraufgekommen waren, im Tempel, und ihr Hass entlud sich augenblicklich zu einer weißen Wut. Allein die Tatsache, dass dieser vermeintliche Verächter des Tempels es wagen sollte, dessen innere Höfe zu betreten (die den Heiden bei Todesstrafe verboten waren), war in ihren Augen eine Beleidigung. Sofort machten sie einen Aufruhr, wühlten das Volk auf, wie Flüssigkeiten, die sich nicht vermischen und hin und her schwappen, und legten gewaltsam die Hände an Paulus. Gleichzeitig erhoben sie ihre Stimmen und riefen die versammelten Israeliten zu Hilfe. Schon der Name sollte sie alle an die Würde und den Ruhm, an die Hoffnungen und Verpflichtungen ihres Volkes erinnern. Indem sie Paulus verächtlich als "diesen Mann", diesen Ausgestoßenen, bezeichneten, warfen sie ihm vor, er habe es sich zur Gewohnheit gemacht, alle Menschen zu lehren, überall, gegen das Volk, gegen das Gesetz, gegen diesen Ort, diese Stadt. Es ist bezeichnend, dass die Anklage gegen Paulus fast mit den gleichen Worten erhoben wird wie die gegen Stephanus, Kap. 6,13. Der schwerwiegendste Teil der Anklage war jedoch die Behauptung, dass Paulus Griechen in den eigentlichen Tempel gebracht hatte, innerhalb des Soreg oder der Steinmauer, die das Heiligtum umschloss, und so das Heiligtum selbst entweiht hatte. Die letztgenannte Anklage beruhte jedoch auf einer falschen Annahme, nämlich dass Paulus Trophimus, den Abgesandten der ephesinischen Gemeinde, der in seiner Begleitung in der Stadt gesehen worden war, in den Tempel gebracht hatte - eine völlig ungerechtfertigte Schlussfolgerung. Aber die Juden waren bereit, ihren Verdacht auf noch geringere Beweise zu stützen, wenn es ihnen nur gelänge, Paulus zu beseitigen. Die unmittelbare Wirkung ihrer verblüffenden und vehementen Anklage und Denunziation ließ nichts zu wünschen übrig. Die ganze Stadt war in Aufruhr, die Aufregung hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet; es kam zu einem tumultartigen Auflauf des Volkes; er wurde von einer Schar von Leuten umringt, die ihn packten und aus dem Heiligtum in den Vorhof der Heiden schleppten. Und dann wurden die Türen des Tempels, des Heiligtums, von den Leviten verschlossen, entweder weil sie befürchteten, dass der Tempel durch das Blutvergießen verunreinigt werden würde, oder weil sie glaubten, dass diese Verunreinigung bereits durch den Eintritt eines Heiden in das Heiligtum stattgefunden hatte und dass es gereinigt werden müsse, bevor es wieder geöffnet werden könne. Anmerkung: Die Juden, genau wie ihre Nachfolger in unseren Tagen, waren dem von Paulus gepredigten Evangelium so feindlich gesinnt, weil er ihre pharisäische Selbstgerechtigkeit verurteilte und vor Juden und Griechen gleichermaßen bezeugte, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird, ohne die Werke des Gesetzes. Die falsche Kirche, die sich ihrer eigenen Gerechtigkeit rühmt, und die ehrbare, tugendhafte Welt sind seit jeher die Hauptfeinde der Kirche Christi und des Evangeliums von Gottes freier Gnade und Barmherzigkeit gewesen.

 

    Der Oberste der römischen Schar greift ein (V. 31-34): Es war ein typischer Pöbel ohne Vernunft und Verstand, der im Vorhof der Heiden hin und her wogte, jeder versuchte, den Gefangenen zu ergreifen und ihm Gewalt anzutun, alle waren darauf aus, ihn zu töten. Nun aber brachte jemand dem römischen Offizier im Turm von Antonia, der den Tempel und seine Vorhöfe überblickte, die Nachricht, dass die ganze Stadt Jerusalem in Aufruhr sei, dass ein Aufstand alle Einwohner erfasst habe. Und dieser Offizier, der Militärtribun oder Chiliarch, der in der Garnison tausend Mann unter seinem Kommando hatte, verlor keine Zeit, sondern nahm mehrere hundert Mann mit ihren Zenturien oder Offizieren mit und stürzte sich auf den brodelnden Pöbel, von der Burg bis zur unteren Plattform des Hofes, wo sich das Zentrum des Aufruhrs befand. Dieses schnelle Handeln rettete Paulus wahrscheinlich das Leben; denn als die Leute den Tribun sahen, hörten sie auf, ihren Gefangenen zu verprügeln. Als der Befehlshaber näher kam, sah er, dass Paulus der Mittelpunkt und in gewisser Weise auch der Anlass des Aufruhrs war, und schloss daraus ganz natürlich, dass er ein Verbrecher war, den die Juden schnell bestrafen wollten. Da dies nicht der richtige Zeitpunkt war, um Nachforschungen anzustellen, nahm er den Gefangenen in Obhut und befahl, ihn mit zwei Ketten zu fesseln. Nachdem er ihn so gesichert und zumindest teilweise vor dem wütenden Ansturm des Pöbels geschützt hatte, versuchte der Chiliarch nun herauszufinden, wer er war und was er getan hatte. Aber wie bei einem Mob üblich, war nicht mehr klar, worum es ging; der eine schrie das eine, der andere das andere, und bald wurde dem Offizier klar, dass es wegen des Tumults unmöglich war, die Fakten zu erfahren. So befahl er, Paulus in die Kaserne des Turms Antonia zu führen. So hatte Gott das Leben seines Dieners wieder einmal gerettet, denn er wollte, dass er vor einigen Mächtigen dieser Erde Zeugnis vom Evangelium ablegte.

 

    Auf dem Weg in die Kaserne (V. 35-39): Als der Tribun mit seinen Kohorten kam, hatte sich der Tumult des Volkes etwas gelegt; aber als die Soldaten sich umdrehten, um den Befehl ihres Befehlshabers auszuführen, ergriff eine neue Raserei das Volk, denn es schien, als würde ihnen die Beute entrissen werden. So geschah es, dass, als Paulus zu den Stufen kam, die zum Turm der Antonia hinaufführten, das wahnsinnige Volk sich mit zunehmender Gewalt um die kleine Gruppe von Soldaten drängte, um Paulus zu erreichen. Die Situation war so gefährlich, dass die Soldaten gezwungen waren, Paulus hochzuheben und zu tragen, weil das Volk so wütend war. Denn die Menge des Volkes verfolgte ihn hartnäckig und schrie nebenbei: Tötet ihn! Tötet ihn!", ein Ruf, den der jüdische Pöbel zu erheben pflegte (Lukas 23, 18; Johannes 19, 15). Als die Soldaten mit dem Gefangenen in ihrer Mitte das obere Ende der Treppe erreicht hatten, während sich unter ihnen der gesamte Tempelbereich mit einer wirbelnden, brüllenden Menge füllte, und im Begriff waren, in die Kaserne zu gehen, wandte sich Paulus an den Befehlshaber mit der Frage, ob es ihm erlaubt sei, mit ihm zu sprechen. Dieser fragte erstaunt: „Warum, verstehst du Griechisch?“ Aus der Gewalttätigkeit des Pöbels und aus anderen Anzeichen hatte der Chiliarch geschlossen, dass Paulus zweifellos jener Ägypter sein musste, den Josephus ebenfalls erwähnt, der Mann, der eine Bande von viertausend Mördern, Attentätern, in die Wüste geführt hatte. Offensichtlich dachte der Tribun, dass der Ägypter es gewagt hatte, nach seiner schmachvollen Niederlage in die Stadt zurückzukehren und nun als Hochstapler hingestellt wurde. Doch Paulus berichtigte ihn mit wenigen Worten, indem er ihm sagte, er sei ein Jude aus Tarsus in Zilizien, wobei er mit verzeihlichem Stolz hinzufügte, dass er ein Bürger einer nicht unbedeutenden Stadt sei, denn Tarsus sei eine große und blühende Stadt. Nachdem der ernste Verdacht des Tribuns ausgeräumt war, fügte Paulus nun die ernsthafte Bitte hinzu, dass man ihm die Erlaubnis erteilen möge, vor dem Volk zu sprechen. Es war seine Absicht, auch in dieser Notlage ihre Vorurteile gegen ihn und das Evangelium Jesu zu beseitigen und so, wenn möglich, Bekehrte für das Wort der Gnade zu gewinnen.

 

Zusammenfassung: Paulus setzt seine Reise von Milet nach Tyrus und von dort nach Cäsarea fort, von wo aus er nach Jerusalem reist, wo die Juden aus Asien einen Tumult gegen ihn erheben und sein Leben nur durch das schnelle Eingreifen des römischen Chiliarchen gerettet wird.

 

 

Kapitel 22

 

Des Paulus Rede an die Juden (21,40-22,21)

    40 Als er es aber ihm erlaubte, trat Paulus auf die Stufen und winkte dem Volk mit der Hand. Da nun eine große Stille ward, redete er zu ihnen auf Hebräisch und sprach: 22:1 Ihr Männer, liebe Brüder und Väter, hört mein Verantworten an euch! 2 Da sie aber hörten, dass er auf Hebräisch zu ihnen redete, wurden sie noch stiller. Und er sprach: 3 Ich bin ein jüdischer Mann, geboren zu Tarsus in Zilizien und erzogen in dieser Stadt zu den Füßen Gamaliels, gelehrt mit allem Fleiß im väterlichen Gesetz und war ein Eiferer um Gott, gleichwie ihr alle heute seid. 4 Und ich habe diesen Weg verfolgt bis an den Tod. Ich band sie und überantwortete sie ins Gefängnis, beide, Mann und Frau, 5 wie mir auch der Hohepriester und der ganze Haufe der Ältesten Zeugnis gibt, von welchen ich Briefe nahm an die Brüder, und reiste nach Damaskus, dass ich, die dort waren, gebunden führte nach Jerusalem, dass sie gepeinigt würden.

    6 Es geschah aber, da ich hinzog und nahe an Damaskus kam, um den Mittag, umblickte mich schnell ein großes Licht vom Himmel. 7 Und ich fiel zum Erdboden und hörte eine Stimme, die sprach zu mir: Saul, Saul, was verfolgst du mich? 8 Ich antwortete aber: HE, wer bist du? Und er sprach zu mir: Ich bin Jesus von Nazareth, den du verfolgst. 9 Die aber mit mir waren, sahen das Licht und erschraken; die Stimme aber des, der mit mir redete, hörten sie nicht. 10 Ich sprach aber: HERR was soll ich tun? Der HERR aber sprach zu mir: Stehe auf und gehe nach Damaskus; da wird man dir sagen von allem, was dir zu tun verordnet ist. 11 Als ich aber vor Klarheit dieses Lichtes nicht sehen konnte, wurde ich bei der Hand geleitet von denen, die mit mir waren, und kam nach Damaskus.

    12 Es war aber ein gottesfürchtiger Mann nach dem Gesetz, Ananias, der einen guten Ruf hatte bei allen Juden, die dort wohnten. 13 Der kam zu mir und trat vor mich hin und sprach zu mir: Saul, lieber Bruder, siehe auf! Und ich sah ihn an zu derselben Stunde. 14 Er aber sprach: Der Gott unserer Väter hat dich verordnet, dass du seinen Willen erkennen solltest und sehen den Gerechten und hören die Stimme aus seinem Mund. 15 Denn du wirst sein Zeuge zu allen Menschen sein des, das du gesehen und gehört hast. 16 Und nun, was verziehst du? Stehe auf und lass dich taufen und abwaschen deine Sünden und rufe an den Namen des HERRN.

    17 Es geschah aber, da ich wieder nach Jerusalem kam und betete im Tempel, dass ich entzückt wurde und sah ihn. 18 Da sprach er zu mir: Eile und mache dich behände von Jerusalem hinaus: Denn sie werden nicht aufnehmen dein Zeugnis von mir. 19 Und ich sprach: HERR, sie wissen selbst, dass ich gefangenlegte und stäupte die, so an dich glaubten, in den Synagogen hin und her. 20 Und da das Blut des Stephanus, deines Zeugen, vergossen wurde, stand ich auch daneben und hatte Wohlgefallen an seinem Tode und verwahrte denen die Kleider, die ihn töteten. 21 Und er sprach zu mir: Gehe hin; denn ich will dich ferne unter die Heiden senden.

 

    Über des Paulus frühes Leben und die Verfolgung der Kirche (21,40-22,5): Der Befehlshaber der Garnison kam der Bitte des Paulus, vor dem Volk zu sprechen, um so bereitwilliger nach, als er sich von der Rede erhoffte, die wahren Anschuldigungen gegen ihn zu erfahren. Nachdem die Soldaten Paulus also abgesetzt und zumindest eine seiner Ketten gelöst hatten, stellte er sich an den Kopf der Treppe und winkte dem Volk mit seiner charakteristischen Geste zu, dass er zu ihnen sprechen wolle. „Welch edlerer Anblick als der des Paulus in diesem Augenblick! Da steht er, mit zwei Ketten gefesselt, bereit, seine Verteidigung vor dem Volk vorzutragen. Der römische Befehlshaber sitzt dabei, um durch seine Anwesenheit für Ordnung zu sorgen. Ein wütendes Volk blickt von unten zu ihm auf. Doch inmitten so vieler Gefahren, wie selbstsicher ist er, wie ruhig!“ (Chrysostomus) Als dann viel Stille herrschte, als die relative Ruhe wiederhergestellt war und die Tatsache, dass der Mann, den sie gerade zu ermorden bereit waren, ihnen etwas mitzuteilen suchte, einen gewissen Eindruck auf sie machte, sprach Paulus zu ihnen in hebräischem Dialekt, d. h. in der aramäischen Sprache, wie sie damals allgemein von den Juden gesprochen wurde. Er sprach sie als Brüder und Väter an. Obwohl es ihnen fast gelungen war, ihm das Leben zu nehmen, und sie den Gedanken noch lange nicht aufgegeben hatten, zeigte Paulus weder in seinem Ton noch in seinen Worten irgendeinen Zorn oder Groll. Im Angesicht des Todes dachte er nur an das geistliche Wohlergehen seiner Brüder nach dem Fleisch und daran, ob es ihm gelingen würde, einige von ihnen zu retten. Er bittet sie, von seinen Lippen die Verteidigung zu hören, die er ihnen jetzt vorzutragen gedenkt. Die Tatsache, dass er sich des aramäischen Dialekts bediente, trug ebenfalls zur Beruhigung der Menge bei; sie schwieg umso mehr. Viele Mitglieder der Menge, die nur die Hälfte der Anklage hörten und sie nicht richtig verstanden, hatten zweifellos angenommen, dass der Mann, der vor ihnen stand, selbst ein Heide war und weder die jüdische Sprache noch die jüdischen Sitten beherrschte. Und nun legt Paulus in dem ehrlichen Versuch, seine Zuhörer dazu zu bringen, seiner Entschuldigung wenigstens aufmerksam zuzuhören, einige Fakten aus seinem Leben vor. Er war ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Zilizien, aber in eben dieser Stadt Jerusalem erzogen und zu Füßen des berühmten Lehrers Gamaliel nach der vollen Strenge des väterlichen Gesetzes unterrichtet. Die Pharisäer, zu denen Gamaliel1 gehörte, rühmten sich der Genauigkeit ihrer Auslegung des Gesetzes und der Wörtlichkeit, die sie bei dessen Einhaltung forderten. All dies hatte Paulus gelernt, darin war er gedrillt worden. Und deshalb war er eifrig, eifrig für Gott und seine Ehre, wie es auch seine Zuhörer an jenem Tag bewiesen hatten, Röm. 10, 2. Die Worte des Paulus enthalten keine Anklage wegen böswilliger Verstocktheit, sondern sind nur die Feststellung einer Tatsache, die ihnen durchaus von Nutzen sein kann. Von seinem eigenen Eifer sagt er, dass er diesen Weg, die Menschen, die den Weg des Heils durch den Glauben an die Erlösung Jesu angenommen haben, bis zum Tod verfolgt hat, denn das war sein Ziel und sein Interesse in dieser Sache. Und um dieses Ziel zu erreichen, hatte er Männer und Frauen gebunden und ins Gefängnis geworfen. Und für die Wahrheit dieser Behauptung konnte der Hohepriester jenes Jahres selbst Zeugnis ablegen und das ganze Synkdrion, denn von ihnen hatte er Briefe, Beglaubigungen, an die Brüder erhalten, worauf er nach Damaskus gereist war, um auch die Jünger jener Stadt zu binden und nach Jerusalem zu bringen, um sie in Fesseln zurück zu führen, damit ihnen eine angemessene Strafe zuteil werde. Paulus legt ein offenes Bekenntnis ab, verschweigt seinen Zuhörern nichts und bietet keine Entschuldigung für sein Handeln. Seine Erzählung ist eine Beschreibung des Zustands des unbekehrten Geistes. In seinem unerweckten Zustand wird ein Mensch entweder den fleischlichen Begierden dienen und das Gesetz Gottes mit Füßen treten, oder er wird nach einer äußerlichen Gerechtigkeit des Gesetzes eifern und die Kraft und Schönheit des Evangeliums verachten.

 

    Die Vision (Gesicht) auf dem Weg nach Damaskus (V. 6-11): Der erste Teil der Ansprache des Paulus sollte nicht nur Sympathie für ihn selbst wecken, sondern auch Neugier auf den Grund, warum er seine Ansichten so vollständig geändert hat. Die Erklärung wird in diesem Teil mit viel Anschaulichkeit und Liebe zum Detail gegeben. Als er die Reise unternommen hatte, für die er von den jüdischen Behörden eine Genehmigung erhalten hatte, und sich der Stadt Damaskus näherte, geschah es, dass um die Mittagszeit, als die Sonne in voller Pracht stand, plötzlich und ohne Vorwarnung ein Licht aus dem Himmel um ihn herum aufblitzte, dessen Helligkeit die der Sonne weit übertraf. Er war auf den festen Boden, das Pflaster der Straße, gestürzt und hatte eine Stimme gehört und verstanden, die zu ihm sprach: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Auf seine erschrockene Frage nach der Identität der Stimme, die er selbst dem Herrn, Jesus, zugeschrieben hatte, der ihm im Licht erschienen war, hatte er die Auskunft erhalten, dass es Jesus von Nazareth selbst war, der, den er in seinen Jüngern verfolgte, der ihm hier erschienen war. Seine Begleiter hatten das übernatürliche Licht gesehen, ohne jedoch Jesus zu sehen, und sie hatten zwar den Klang einer Stimme gehört, aber die Worte, die gesprochen wurden, nicht verstanden. Vgl. Kap. 9,3-7. Auf seine weitere ängstliche Frage, was er nun tun solle, hatte der Herr ihm die Anweisung gegeben, aufzustehen und in die Stadt Damaskus zu gehen, wo ihm alles gesagt werden würde, was für ihn bestimmt war. Der Herr hatte alles im Voraus arrangiert; sein ganzes Leben und alle Wechselfälle seines Lebens waren von Jesus vorgezeichnet worden; seine Arbeit für den Rest seines Lebens war vollständig geordnet und geplant. Und die Vision und die Stimme waren keine Einbildung gewesen, denn die himmlische Herrlichkeit des Lichts, das ihn umhüllt hatte, hatte ihn blind gemacht; er konnte seine Augen nicht gebrauchen, sie verweigerten ihren Dienst. Da er völlig blind war, musste er von denen, die ihn begleiteten, an der Hand geführt werden, und so kam er in die Stadt. So geschah die Bekehrung des Paulus, und so geschieht die Bekehrung eines jeden Menschen. Es gibt bei keinem Menschen eine besondere Neigung, Veranlagung oder Veranlagung zum Glauben an Jesus, den Erlöser, sondern die Wiedergeburt ist ausschließlich ein Werk der Macht und Barmherzigkeit Gottes. Gott verändert den Geist des Menschen, der aus eigener Vernunft und Kraft nicht an Jesus Christus, seinen Herrn, glauben kann, und bewirkt so den Glauben an den Erlöser.

 

    Paulus und Ananias (V. 12-16): Paulus gibt hier aus seiner persönlichen Erfahrung, aus den Ereignissen, die sich ihm unauslöschlich eingeprägt hatten, einen ausführlicheren Bericht über die Worte des Ananias, als in Kapitel 9 berichtet worden war. Dieser Ananias war keineswegs ein Heide und auch kein Jude ohne Ansehen der Person, sondern, wie Paulus betont, ein frommer Mann, fromm nach dem jüdischen Gesetz, nach ihren eigenen Maßstäben, für die alle Juden in Damaskus bürgten. Durch ihn erhielt Paulus den Auftrag, das Evangelium von Christus zu verkünden, vor allem den Heiden, wie er hier sorgfältig hervorhebt. Zu diesem Zweck kam Ananias zu ihm und stand neben oder über ihm, als er da lag oder saß, niedergeschlagen vor Kummer, redete ihn wie einen Bruder an und vollbrachte durch ein einfaches Befehlswort das Wunder der Wiederherstellung seines Augenlichts. In derselben Stunde, das heißt in demselben Augenblick, wurde ihm das Augenlicht wiedergegeben. Und dann hatte Ananias ihm erklärt, auf welche Weise die Pläne des Herrn verwirklicht worden waren und verwirklicht werden sollten. Der Gott ihrer Väter, der wahre Gott, wie ihn die Juden verehrten, hatte im Voraus bestimmt, dass Paulus seinen Willen erfahren sollte, um herauszufinden, für welche wichtige Aufgabe er ausgewählt worden war. Dass er den Gerechten sah und die Stimme aus seinem Mund in der Vision in der Nähe der Stadt hörte, war ebenfalls im Voraus von Gott bestimmt worden. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass Paulus Jesus Christus tatsächlich gesehen hat. Und dieselbe Stimme des Herrn, die vor der Stadt zu ihm gesprochen hatte, wandte sich nun erneut an ihn mit dem Auftrag, er solle allen Menschen ein Zeuge des Herrn sein über das, was er gesehen und gehört hatte. Warum also sollte es einen Grund zum Zögern geben? Ananias hatte ihn gefragt. Er hatte ihm gesagt, er solle aufstehen, sich taufen lassen und dadurch seine Sünden abwaschen lassen, und gleichzeitig den Namen des Herrn anrufen. Beachte: Die Taufe ist nicht nur eine äußere Form oder ein Symbol, um den Empfang der Vergebung der Sünden vorher oder nachher anzuzeigen, sondern durch die Waschung des Wassers in der Taufe werden die Sünden weggenommen, der Schmutz der Seele wird abgewaschen; es ist eine Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, Titus 3, 5. Durch den Namen Jesu und durch den Glauben an den Erlöser, der in der Taufe dem Wort Gottes vertraut, werden die großen Segnungen verliehen und besiegelt.

 

    Des HERRN direkter Auftrag an Paulus (V. 17-21): Paulus hatte mit seinen letzten Worten beabsichtigt, eine wohlwollende Betrachtung seiner Sache zu gewinnen, indem er den Kacheljuden zeigte, dass er, der wie sie ein Verfolger gewesen war, durch einen wunderbaren Beweis vom Himmel zu einem Gläubigen und Verfechter von Jesus von Nazareth geworden war. Er wollte nun den Beweis erbringen, dass seine Mission unter den Heiden auf dieselbe Weise bestimmt worden war, durch eine direkte Offenbarung vom Himmel, die er, wie sie wohl wussten, nicht zu missachten gewagt hätte. Als er bei seinem ersten Besuch nach seiner Bekehrung nach Jerusalem zurückkehrte, fiel er während des Gebets im Tempel in Trance und wurde von einer übernatürlichen Ekstase ergriffen, in der er den Herrn sah, der ihm befahl, Jerusalem eilig zu verlassen, da die Juden sein Zeugnis über den Erlöser nicht annehmen würden. Dieser Bericht ergänzt den von Kap. 9,29.30, denn dort wird die tatsächliche persönliche Gefahr erwähnt, die hier als Grund für die Aussendung des Herrn dargestellt wird. „Könnte es nicht sein, dass der hl. Lukas das Ereignis in Bezug auf die Juden und die Kirche und der hl. Paulus in Bezug auf seine eigene persönliche Geschichte schildert, wobei der hl. Lukas den äußeren Anstoß, der hl. Paulus den inneren Beweggrund angibt, so dass die beiden Ursachen, die eine natürliche, die andere übernatürliche, nebeneinander erwähnt werden?“[86] Paulus hatte damals, wie er erzählt, dem Herrn widersprochen und dies damit begründet, dass die Juden das Zeugnis von demjenigen sicher annehmen würden, von dem sie wussten, dass er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, die an ihn Glaubenden in jeder Synagoge ins Gefängnis zu werfen und zu schlagen; auch war ihnen bekannt, dass er anwesend war und gerne zustimmte und sogar das Amt des Wächters der Kleider der Zeugen übernahm, als sie das Blut von Stephanus, seinem Zeugen, vergossen. Aber dieses Argument hatte ihm gegen den Willen des Herrn nichts genützt, denn dieser hatte nur mit größerem Nachdruck darauf bestanden: Geh, ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden. Vor einem anderen Publikum und zu einer anderen Zeit wäre diese Rechtfertigung des Paulus vielleicht akzeptabel gewesen, denn sie konnten kein einziges Argument widerlegen. Aber die Aussage, dass Paulus von ihnen weggeschickt wurde, weil sie starrsinnig und hartherzig waren, und dass zumindest in seinem Fall die Heiden den Juden vorgezogen wurden, dass seine Mission in erster Linie den verachteten Heiden galt, war zu viel für dieses Publikum. Es ist immer so gewesen, dass die volle, kompromisslose Wahrheit des Wortes Gottes, selbst wenn zusätzliche Beweise aus der Geschichte angeboten wurden, teils mit Skepsis, teils mit offener Feindschaft aufgenommen wurde. Das Herz des natürlichen Menschen ist trügerisch über alle Dinge und verzweifelt böse.

 

Paulus und der römische Oberst (22,22-30)

    22 Sie hörten ihm aber zu bis auf dies Wort und hoben ihre Stimme auf und sprachen: Hinweg mit solchem von der Erde; denn es ist nicht recht, dass er leben soll! 23 Da sie aber schrien und ihre Kleider abwarfen und den Staub in die Luft warfen, 24 hieß ihn der Hauptmann in das Lager führen und sagte, dass man ihn geißeln und befragen sollte, dass er erführe um welcher Ursache willen sie so über ihn riefen. 25 Als er ihn aber mit Riemen anband, sprach Paulus zu dem Unterhauptmann, der dabeistand: Ists auch recht bei euch, einen römischen Menschen ohne Urteil und Recht zu geißeln? 26 Da das der Unterhauptmann hörte, ging er zu dem Oberst (Oberhauptmann) und verkündigte ihm und sprach: Was willst du machen? Dieser Mensch ist römisch. 27 Da kam zu ihm der Oberhauptmann und sprach zu ihm: Sage mir, bist du römisch? Er aber sprach: Ja. 28 Und der Oberhauptmann antwortete: Ich habe dies Bürgerrecht mit großer Summe zuwege gebracht. Paulus aber sprach: Ich aber bin auch römisch geboren.

    29 Da traten alsbald von ihm ab, die ihn befragen sollten. Und der Oberhauptmann fürchtete sich, da er vernahm, dass er römisch war, und er ihn gebunden hatte. 30 Am nächsten Tag wollte er gewiss erkunden, warum er verklagt würde von den Juden, und löste ihn von den Banden und hieß die Hohenpriester und ihren ganzen Rat kommen und führte Paulus hervor und stellte ihn unter sie.

 

    Paulus betont sein Bürgerrecht (V. 22-28): Paulus‘ einfache Erklärung der Tatsache, dass er vom Herrn durch eine direkte Offenbarung berufen wurde, den Heiden das Evangelium zu predigen, versetzte die fanatischen Juden in einen vollkommenen Wutanfall. Bis zu diesem Punkt seiner Rede hatten sie ihm zugehört, aber jetzt verhielten sie sich wie Menschen, die ihrer Sinne beraubt sind. Sie erhoben ihre Stimmen zu einem wütenden Geschrei und sagten, dass ein solcher Mensch sofort vom Erdboden vertilgt werden müsse, da es nicht mehr angemessen sei, ihn am Leben zu lassen, dass er nicht lebensfähig sei. Dieses Geschrei hielten sie aufrecht, wobei sie in einem Anfall von unbändiger Wut ihre Kleider, ihre Mäntel, durch die Gegend warfen und Staub in die Luft schleuderten. In ihren Handlungen vereinen sich verblüffte Wut und äußerste Verachtung zu einer solchen Zurschaustellung, wie sie nur ein seines Opfers beraubter Pöbel darzustellen vermag. Der Tribun befahl nun, Paulus in die Kaserne zu bringen, und ordnete gleichzeitig an, dass ihm die Frage gestellt werden sollte, dass er unter Folter angehört werden sollte, während die Geißel an ihm angewendet wurde. Diese schreckliche Methode wurde von den Römern bei Gefangenen, vor allem aus der Unterschicht, angewandt, um ein Geständnis zu erzwingen, wenn kein geeignetes Beweismittel zur Hand war. So wollte der Tribun herausfinden, warum das Volk ihn so anschrie. Als sie ihn aber mit dem Rücken über den Peitschenpfahl gestreckt hatten und sich anschickten, ihn mit Riemen zu befestigen, fragte Paulus den Hauptmann, der dabeistand und das grausige Werk beaufsichtigte, ob es erlaubt sei, einen römischen Bürger ohne ein ordentliches Verfahren zu geißeln. Die Frage, so bescheiden sie auch gestellt wurde, entbehrte nicht der Ironie und des Vorwurfs über das Vorgehen in seinem Fall. In großer Bestürzung erstattete der Zenturio seinem Vorgesetzten, dem Befehlshaber der Garnison, Bericht: Was wollt ihr tun? Dieser Mann ist ein römischer Bürger. Diese Information brachte den Chiliarchen in große Eile. Er fragte Paulus direkt, ob er ein römischer Bürger sei, und Paulus bejahte dies. Mit einem gewissen Zweifel in der Stimme sagte der Tribun dann zu Paulus, dass er das römische Bürgerrecht durch eine beträchtliche Geldsumme erworben habe, und gab damit einen Akt der Bestechung zu. Denn das römische Bürgerrecht konnte man entweder durch Verleihung durch den römischen Senat für besondere Verdienste oder durch Vererbung von einem Vater, der römischer Bürger war, oder durch Geburt in einer freien Stadt erwerben. Und so konnte Paulus in diesem Fall mit berechtigtem Stolz behaupten, er sei als römischer Bürger geboren worden. Es ist durchaus richtig und zu billigen, wenn Christen unter Umständen von ihren Bürgerrechten Gebrauch machen.

 

    Vorbereitungen für eine weitere Anhörung (V. 29-30): Die Erklärung des Paulus, er sei ein freier römischer Bürger, zeigte sofort Wirkung. Diejenigen, die ihn mit der Folter befragen wollten, zogen sich sofort zurück, denn die Folter war bei einem römischen Bürger verboten, obwohl sie bei Sklaven und Ausländern angewendet werden durfte. Auch der Chiliarch fühlte sich vor Angst ziemlich unwohl, da er nun erfahren hatte, dass Paulus ein römischer Bürger war, und weil er ihn gefesselt hatte. Wäre Paulus rachsüchtig gewesen, hätte er dem Tribun vielleicht Schwierigkeiten bereitet, aber Rache kam ihm nicht in den Sinn, denn sein Ziel war ja erreicht. Aber der Kommandant handelte nun vorsichtiger. Er war nach wie vor fest entschlossen, den wahren Grund für die Anklage des Paulus durch die Juden herauszufinden, was der eigentliche Grund für den Ärger war. So ließ er Paulus von seinen Fesseln befreien und befahl, dass die Hohepriester und das gesamte Synedrium zusammenkommen sollten, wobei die Verhandlung wahrscheinlich in ihrem eigenen Ratssaal oder an einem anderen Ort in der Stadt außerhalb des Turms von Antonia stattfand, höchstwahrscheinlich im Hof der Heiden, wo die Römer erscheinen durften, denn er führte Paulus vom Hügel herunter und stellte ihn vor sie. Damit hatte sich die Prophezeiung des Agabus erfüllt, und Paulus befand sich in den Händen der Heiden, dorthin ausgeliefert durch die Hände seiner eigenen Landsleute.

 

Zusammenfassung: Die Rede des Paulus vor den Juden, die zunächst in interessiertem Schweigen gehört wurde, wird durch Zornesschreie unterbrochen, woraufhin Paulus sich vor der Geißelung durch die Soldaten rettet, indem er sein römisches Bürgerrecht erklärt.

 

 

 

 

Kapitel 23

 

Die Anhörung des Paulus in Gegenwart des Sanhedrin (23,1-11)

    1 Paulus aber sah den Rat an und sprach: Ihr Männer, liebe Brüder, ich habe mit allem guten Gewissen gewandelt vor Gott bis auf diesen Tag. 2 Der Hohepriester aber, Ananias, befahl denen, die um ihn stunden, dass sie ihn aufs Maul schlügen. 3 Da sprach Paulus zu ihm: Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Sitzt du und richtest mich nach dem Gesetz und heißt mich schlagen gegen das Gesetz? 4 Die aber umherstanden, sprachen: Schiltst du den Hohenpriester Gottes? 5 Und Paulus sprach: Liebe Brüder, ich wusste es nicht, dass er der Hohepriester ist. Denn es steht geschrieben: Dem Obersten deines Volks sollst du nicht fluchen.

    6 Da aber Paulus wusste, dass ein Teil Sadduzäer war und der andere Teil Pharisäer, rief er im Rat: Ihr Männer, liebe Brüder ich bin ein Pharisäer und eines Pharisäers Sohn; ich werde angeklagt um der Hoffnung und Auferstehung willen der Toten. 7 Da er aber das sagte, ward ein Aufruhr unter den Pharisäern und Sadduzäern, und die Menge spaltete sich. 8 Denn die Sadduzäer sagen, es sei keine Auferstehung noch Engel noch Geist; die Pharisäer aber bekennen beides. 9 Es ward aber ein großes Geschrei. Und die Schriftgelehrten, der Pharisäer Teil, standen auf, stritten und sprachen: Wir finden nichts Arges an diesem Menschen; hat aber ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet, so können wir mit Gott nicht streiten.

    10 Da aber der Aufruhr groß wurde, hatte der oberste Hauptmann Sorge, sie könnten Paulus zerreißen, und hieß das Kriegsvolk hinabgehen und ihn von ihnen reißen und in das Lager führen. 11 Am nächsten Tag aber in der Nacht stand der HERR bei ihm und sprach: Sei getrost, Paulus; denn wie du von mir zu Jerusalem gezeugt hast, so musst du auch zu Rom zeugen.

 

    Paulus weist den Hohenpriester zurecht (V. 1-5): Die Verhandlung war vom römischen Tribun Lysias eröffnet worden. Die Mitglieder des Sanhedrins saßen oder standen in einem Halbkreis, Paulus stand ihnen gegenüber und der Kommandant der Wache in der Nähe. Die jüdischen Oberhäupter waren vom römischen Chiliarchen vorgeladen worden, um auszusagen und ihre Anklage gegen Paulus vorzubringen. Diese Tatsache macht die ganze Situation deutlich. „Wenn wir die Umstände betrachten, ist es klar, dass es sich nicht um eine formelle Sitzung des Rates der Nation handelte, sondern um eine Versammlung führender Männer, die von dem römischen Offizier, der in Jerusalem das Kommando hatte, eilig als Berater einberufen wurden. Der Offizier hatte die Autorität; er war der einzige Mann, der urteilen und eine Entscheidung treffen konnte; die anderen waren nur seine Beisitzer. Auf keinen Fall konnte eine ordnungsgemäße Versammlung des Rates einberufen werden, wie es bei dieser Gelegenheit geschah.“[87] Paulus war nicht unter der Jurisdiktion des Sanhedrins anwesend, sondern als römischer Bürger im Auftrag des römischen Kommandanten von Jerusalem. Das zeigt sich auch in seinem gesamten Verhalten. Denn anstatt darauf zu warten, dass die Juden die Versammlung eröffnen, schaute er sie mit seinem charakteristischen festen, unerschrockenen Blick an und lud dann ruhig ihre Anklagen ein, indem er mit offensichtlicher Gelassenheit erklärte, dass er sich bis zu diesem Tag mit gutem Gewissen vor Gott benommen habe. Beachten Sie, dass er sie als Brüder anspricht und sich damit auf eine Stufe mit ihnen stellt. Und er beteuert ruhig seine Unschuld an jeglichem Fehlverhalten in dem Sinne, wie es die Juden forderten, denn er verwendet ein Wort, das wörtlich bedeutet, dass er seine volle Pflicht als Bürger des Gemeinwesens Gottes erfüllt und dessen Gesetze geachtet und befolgt hat. Aber die Aussage des Paulus erregte den heftigsten Groll des Hohenpriesters, namentlich des Ananias. Dieser Ananias war nicht der Hohepriester der Evangelien, sondern war von Herodes von Chalkis in dieses Amt eingesetzt worden. Er wurde von Quadratus, dem Statthalter von Syrien, wegen eines Streits mit den Samaritern als Gefangener nach Rom geschickt; er gewann jedoch seinen Prozess und kehrte nach Jerusalem zurück. Er vergaß, dass er nicht der Vorsitzende dieser Versammlung war und dass Paulus nicht unter seiner Gerichtsbarkeit stand, und rief denjenigen, die in der Nähe des Angeklagten standen, zu, sie sollten ihm auf den Mund schlagen und damit zu verstehen geben, dass sie glaubten, Paulus würde eine gemeine Lüge verbreiten. Paulus' Zurechtweisung kam prompt und auf den Punkt. Er nannte ihn eine übertünchte Wand, wie Christus die Pharisäer übertünchte Gräber genannt hatte (Matth. 23,27). Der Anstrich mit Tünche sollte die Schwachheit und den Schmutz darunter verdecken. Er hatte Paulus befohlen, geschlagen zu werden: Gott würde ihn für sein heuchlerisches Verhalten schlagen; denn er saß dort als einer der Richter nach dem Gesetz, und gegen dieses Gesetz befahl er Paulus, geschlagen zu werden, 3. Mose 19,33; 5. Mose 25,1.2. Der Herr bestrafte diesen Hohepriester auf schreckliche Weise, denn einige Jahre später kam er in einem Tumult um, den sein eigener Sohn anzettelte. Die Umstehenden, die über die Worte des Paulus erschrocken waren, fragten ihn, ob er den Hohenpriester Gottes, d.h. den Stellvertreter Gottes, so schmähen würde, während er sein Amt ausübte (5. Mose 17,12). Die Antwort des Paulus kann als Entschuldigung oder Entschuldigung verstanden werden. Ananias war nur als Mitglied des Sanhedrins anwesend; er saß weder auf dem Stuhl des Vorsitzenden, noch trug er die für sein Amt charakteristischen Gewänder; und Paulus kannte ihn nicht persönlich. Er könnte daher beabsichtigt haben, anzuerkennen, dass sein Verhalten, soweit es die Schmähung betraf, nicht mit 2. Mose 22,28 übereinstimmte. Luther glaubt mit Augustinus, dass die Antwort des Paulus beißende Ironie und Spott war.[88] Es ist vollkommen richtig und vertretbar, wenn Christen die Sünden der Regierung kritisieren und tadeln, aber dies muss immer mit dem nötigen Respekt geschehen.

 

    Eine Spaltung unter den Mitgliedern des Sanhedrin (V. 6-9): Paulus war zu der Versammlung gekommen, in der Hoffnung, dass es eine echte Anhörung geben würde. Er hatte sich um eine ruhige Verteidigung bemüht, die durch die ungerechtfertigte Einmischung des Hohenpriesters unsanft unterbrochen worden war. Da in Gegenwart solch voreingenommener Fanatiker weder eine faire Untersuchung noch eine gerechte Entscheidung zu erwarten war, wählte er nun eine andere Methode. Da er wusste, dass ein Teil des Sanhedrins, der kleinere Teil, aus Sadduzäern und der andere aus Pharisäern bestand, rief er vor allen aus, dass er ein Pharisäer und ein Sohn oder Schüler der Pharisäer sei. Diese Aussage war kein kleiner Trick oder eine böswillige Täuschung, wie manche dachten. Jeder in der Versammlung wusste, dass er ein Christ war; seine Behauptung wurde daher von ihnen so verstanden, wie sie von uns verstanden werden sollte, dass er ein Mitglied dieser Sekte gewesen war und noch immer mit ihnen, wie viele andere frühere Pharisäer, in bestimmten Lehren übereinstimmte. Über eine dieser Lehren wurde er nun angeklagt, nämlich über die Hoffnung und die Realität der Auferstehung der Toten. Dies war buchstäblich wahr und kann nicht als Ausrede betrachtet werden; denn die grundlegende Lehre des von Paulus gepredigten Evangeliums war die Tatsache, dass Christus von den Toten auferstanden war und dass aufgrund seiner Auferstehung alle Gläubigen ihrer eigenen Auferstehung zum ewigen Leben sicher waren. Kaum hatte Paulus dies gesagt, kam es zu einer Kontroverse, einer Meinungsverschiedenheit, einem Streit zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern. Zuvor war die Gesamtheit des Sanhedrins, die ganze Masse, gegen Paulus vereint gewesen, aber jetzt waren sie in zwei Parteien gespalten, in die beiden Fraktionen, die wegen ihrer unterschiedlichen Lehrmeinungen gewöhnlich miteinander verfeindet waren. Denn, wie Lukas hier erklärend einfügt, pflegten die Sadduzäer zu sagen, dass es keine Auferstehung, keinen Engel und keinen Geist gibt. Ihre Position war die der Verneinung, der Leugnung. Die Pharisäer aber bekannten sich zur Auferstehung der Toten und zur Existenz von Geistern und glaubten daran. Der Aufruhr in dieser Angelegenheit nahm von Minute zu Minute zu und wurde schließlich heftig. In den Debatten der Juden war es üblich, auf die Seite desjenigen überzuwechseln, dessen Sache man vertrat, und so ganz nebenbei seine Stimme abzugeben. Und so stellten sich hier einige der Schriftgelehrten unter den Pharisäern offen auf die Seite des Paulus, gingen hinüber und stellten sich neben ihn und stritten mit Nachdruck und argumentierten sehr vehement für ihn. Sie behaupteten, sie fänden nichts Böses an dem Angeklagten, und was wäre, wenn ein Geist mit ihm geredet hätte oder ein Engel, wie er am Vortag erklärt hatte? -das sei kein Grund, den Mann zu verurteilen. Damit befanden sich die jüdischen Oberhäupter in einer schlimmeren Lage als je zuvor. Der Befehlshaber hatte die Versammlung einberufen, um die Juden dazu zu bringen, einen Grund zu nennen, warum sie den Tod des Paulus gefordert hatten, und hier saßen sie nun, nicht nur ohne jede Anklage, die in den Augen der Römer Gewicht gehabt hätte, sondern tatsächlich in eine bittere Kontroverse untereinander verwickelt. So hat die Uneinigkeit der Ungläubigen oft zur Freiheit oder zu einem anderen Nutzen der Gläubigen beigetragen. Das ist einer der Wege, auf denen Gott seine Kirche inmitten dieser bösen Welt bewahrt und schützt, dass er inmitten ihrer Feinde Zwietracht sät.

 

    Paulus wird vom HERRN gestärkt (V. 10-11): Als der Aufruhr der Juden über Paulus mit jeder Minute größer und heftiger wurde, wurde der Chiliarch, der die Szene mehr als interessierter Zuschauer denn als aktiver Teilnehmer verfolgte, beunruhigt und begann zu fürchten, dass Paulus tatsächlich von ihnen in Stücke gerissen werden würde. Diejenigen, die sich an seiner Seite befanden, hielten ihn fest, um ihn zu schützen, andere legten gewaltsam die Hände an ihn, um ihn fortzureißen, und so wurde er hin und her geschleift. Da gab Lysias durch einen Befehlshaber den Befehl, dass die stets bereitstehende Schar von Soldaten von der Ebene der Antonia aus in den Tempelbereich hinuntermarschieren und den Gefangenen aus ihrer Mitte herausreißen sollte, um ihn dann in die Kaserne zu führen. So wurde Lysias bei seinen Versuchen, die Fakten im Fall des Paulus herauszufinden, einmal mehr enttäuscht; aber er muss wohl zu dem Schluss gekommen sein, dass die Juden keine Anklage politischer Natur gegen ihn hatten, die sie formulieren konnten oder wollten. Doch an diesem Punkt kam der Herr seinem Diener zu Hilfe. In der Nacht nach der Anklage vor dem Sanhedrin stand der Herr selbst in einer Vision neben oder über ihm, während er schlief, und beruhigte ihn, indem er ihm sagte, dass er, so wie er in Jerusalem ein zuversichtliches Zeugnis über die ihn betreffenden Tatsachen abgelegt und das Evangelium seiner Gnade offen und furchtlos gepredigt hatte, es für ihn notwendig sein würde, nach Gottes Willen auch in Rom Zeugnis abzulegen. Paulus hatte vor, Rom bei der ersten Gelegenheit zu besuchen; er hatte den Christen in Rom einen Brief geschrieben, der eine ausführliche Darlegung der christlichen Lehre enthielt; und er würde die Stadt noch sehen, wenn auch wahrscheinlich nicht so, wie er es geplant hatte. Die Geschicke der Kirche liegen in den Händen des erhabenen Christus. Er ist es, der seinen treuen Bekennern auf Erden zu allen Zeiten nahe ist, der sie stärkt und bestätigt und den Lauf des Evangeliums nach seinem Willen lenkt.

 

 

Der Komplott der Juden gegen Paulus (23,12-22)

    12 Da es aber Tag wurde, rotteten sich etliche Juden zusammen und verschworen sich, weder zu essen noch zu trinken, bis dass sie Paulus getötet hätten. 13 Ihrer aber waren mehr denn vierzig, die solchen Bund machten. 14 Die traten zu den Hohenpriestern und Ältesten und sprachen: Wir haben uns hart verschworen, nichts zu essen, bis wir Paulus getötet haben. 15 So tut nun kund dem Oberhauptmann und dem Rat, dass er ihn morgen zu euch führe, als wolltet ihr ihn besser verhören; wir aber sind bereit, ihn zu töten, ehe denn er vor euch kommt.

    16 Da aber des Paulus Schwestersohn den Anschlag hörte, ging er hin und kam in das Lager und verkündigte es Paulus. 17 Paulus aber rief zu sich einen von den Unterhauptleuten und sprach: Diesen Jüngling führe hin zu dem Oberhauptmann; denn er hat ihm etwas zu sagen. 18 Der nahm ihn an und führte ihn zum Oberhauptmann und sprach: Der gebundene Paulus rief mich zu sich und bat mich, diesen Jüngling zu dir zu führen, der dir etwas zu sagen habe. 19 Da nahm ihn der Oberhauptmann bei der Hand und wich an einen besonderen Ort und fragte ihn: Was ist’s, das du mir zu sagen hast? 20 Er aber sprach: Die Juden sind eins worden, dich zu bitten, dass du morgen Paulus vor den Rat bringen lässt, als wollten sie ihn besser verhören. 21 Du aber traue ihnen nicht; denn es halten auf ihn mehr denn vierzig Männer unter ihnen, die haben sich verschworen, weder zu essen noch zu trinken, bis sie Paulus töten; und sind jetzt bereit und warten auf deine Verheißung. 22 Da ließ der Oberhauptmann den jungen Mann von sich und gebot ihm, dass er niemand sagte, dass er ihm solches eröffnet hätte.

 

    Der mörderische Plan der Juden (V. 12-15): Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was in der Versammlung der Juden geschah, nachdem Paulus von den römischen Soldaten entrissen worden war, wie sie sich gegenseitig für ihre Dummheit tadelten und verfluchten, ihr geplantes Opfer entkommen zu lassen, wie sie schworen, einen Weg zu finden, den verhassten Prediger Christi bei der ersten Gelegenheit zu beseitigen. Und diese Gelegenheit bot sich offenbar bald. Denn am folgenden Tag schmiedeten die Juden, von denen einige besonders heftig ihren Hass gegen Paulus zum Ausdruck brachten, eine Verschwörung, indem sie sich feierlich mit einem Fluchschwur aneinander banden und sich selbst unter ein Anathema stellten, das sie den schrecklichsten Strafen Gottes unterwarf, falls sie essen oder trinken würden, bevor sie Paulus getötet hätten. Diese etwa vierzig Juden, die sich auf diese Weise eines fast unglaublichen blasphemischen Gebrauchs des Namens Gottes schuldig machten, gehörten höchstwahrscheinlich zu jener Klasse wilder Eiferer, die als Meuchelmörder bekannt sind und im Interesse dessen, was sie für die wahre Orthodoxie hielten, vor keinem Verbrechen zurückschreckten. Offensichtlich waren sie sich ihrer Sache ziemlich sicher, denn sie zögerten nicht, zu den Hohenpriestern und den Ältesten zu gehen und ihnen ihren Plan zu unterbreiten, vielleicht nicht offiziell, aber in der vollen Erwartung inoffizieller Anerkennung und Zustimmung. Sie sagten ihnen freimütig, dass sie sich durch einen großen Fluch verpflichtet hätten, keine Nahrung zu sich zu nehmen, bis sie Paulus getötet hätten. Aber sie brauchten die Mitarbeit der Hohenpriester bei der Ausführung ihres mörderischen Plans, und ihr Vorschlag lautete kurz gesagt, dass die jüdischen Führer dem römischen Tribun mitteilen sollten, dass sie die Absicht hätten, mit dem gesamten Synedrium eine genauere Untersuchung des Falles Paulus vorzunehmen, als ob sie seine Sache genauer beurteilen wollten. Aus diesem Grund sollte der Tribun den Gefangenen zu ihnen hinunterführen. Und die Mörder waren bereit, ja sie waren sogar darauf vorbereitet, Paulus unterwegs zu ermorden, bevor er überhaupt in die Nähe des Versammlungsortes kommen würde, damit die Mitglieder des Sanhedrins nicht in den Verdacht gerieten, an dem Verbrechen beteiligt zu sein. Es war wahrlich ein teuflischer Plan, der offenbar zum Erfolg führen sollte. So wird der Hass der Welt gegen die Bekenner Christi bis heute nicht zögern, zu extremen Mitteln, zu lästerlichen Schwüren, Verschwörungen und Morden zu greifen, um den Lauf des Evangeliums zu behindern.

 

    Das Komplott wird offenbart (V. 16-22): Wir haben hier den ersten und einzigen direkten Hinweis auf die Familie, zu der Paulus gehörte, denn der Sohn seiner Schwester, sein Neffe, wird in die Geschichte eingeführt. Ob die Schwester des Paulus in Jerusalem lebte, oder ob der junge Mann zum Pfingstfest heraufgekommen war, lässt sich nicht feststellen. Auf irgendeine Weise erfuhr dieser junge Mann von dem Komplott, erhielt die volle Information über den Plan der Juden, ihren Hinterhalt. Seine Eile ist aus dem Text ersichtlich, denn er tauchte plötzlich in Antonia auf, stieß zu ihnen und ging in die Kaserne. Offensichtlich durften die Freunde des Paulus ihn besuchen, und deshalb hatte niemand etwas dagegen, dass der junge Mann zu ihm ging. So erzählte er Paulus die ganze Geschichte. Paulus erkannte sofort, dass das Komplott nur durch äußerste Geheimhaltung vereitelt werden konnte, dass ein Mangel an Vorsicht eine ernste Krise auslösen könnte. So rief er einen der Hauptleute zu sich und bat ihn, den jungen Mann zum Feldherrn zu führen, da er ihm etwas mitzuteilen habe, eine Neuigkeit, die er ihm mitteilen müsse. Der Zenturio ließ sich von dem jungen Mann zum Chiliarchen begleiten, wo er ihn mit der Bemerkung vorstellte, Paulus, der Gefangene, habe ihn gerufen und ihn gebeten, diesen jungen Mann zu ihm zu führen, da er ihm etwas zu sagen habe. Der Chiliarch spürte sofort, dass etwas Ungewöhnliches in der Luft liegen musste, und so nahm er mit feinem Takt und einer beruhigenden Geste den jungen Mann bei der Hand, führte ihn zur Seite und fragte ihn: Was ist die Neuigkeit, die Sie für mich haben? Diese Behandlung gab dem Informanten das nötige Vertrauen, und er erzählte schnell seine Geschichte und fügte solche Nuancen hinzu, die sein tiefes Interesse verrieten. Die Juden hatten sich zusammengesetzt und den Plan gefasst, den Kommandanten der Garnison zu bitten, Paulus ins Synedrion zu bringen, als wolle er seinen Fall genauer untersuchen, sorgfältiger prüfen als am Vortag. Und hier überkommt den Erzähler die Aufregung, und er bittet den Chiliarchen eindringlich, ihnen nicht zu trauen, denn mehr als vierzig der Juden lauerten im Hinterhalt, die sich alle mit einem furchtbaren Fluch verpflichtet hatten, weder zu essen noch zu trinken, bis sie Paulus aus dem Weg geräumt hätten, bis sie ihn getötet hätten. Und selbst jetzt waren sie bereit und warteten nur noch auf die Zusage des römischen Tribuns. Das würde ihr Signal sein, sich auf den mörderischen Angriff vorzubereiten. Auf diese Weise hat der Herr die bösen Pläne der Feinde der Kirche und seiner Diener vereitelt, und so tut er es auch jetzt. Ohne seine Erlaubnis darf kein einziges Haar von ihrem Haupt zu Boden fallen. Mit einer Warnung vor der Notwendigkeit strengster Geheimhaltung entließ Lysias den jungen Mann.

 

Paulus wird nach Cäsarea gebracht (23,23-35)

    23 Und rief zu sich zwei Unterhauptleute und sprach: Rüstet zweihundert Kriegsknechte, dass sie nach Cäsarea ziehen, und siebzig Reiter und zweihundert Schützen auf die dritte Stunde der Nacht. 24 Und die Tiere richtet zu, dass sie Paulus draufsetzen und bringen ihn bewahrt zu Felix, dem Landpfleger. 25 Und schrieb einen Brief, der lautete so: 26 Claudius Lysias dem teuren Landpfleger Felix Freude zuvor! 27 Diesen Mann hatten die Juden gegriffen und wollten ihn getötet haben. Da kam ich mit dem Kriegsvolk dazu und riss ihn von ihnen und erfuhr, dass er ein Römer ist. 28 Da ich mich aber wollte erkundigen der Ursache, darum sie ihn beschuldigten, führte ich ihn in ihren Rat. 29 Da befand ich, dass er beschuldigt wurde von den Fragen ihres Gesetzes, aber keine Anklage hatte, des Todes oder der Bande wert. 30 Und da vor mich kam, dass etliche Juden auf ihn hielten, sandte ich ihn sogleich zu dir und entbot den Klägern auch, dass sie vor dir sagten, was sie gegen ihn hätten. Gehab dich wohl!

    31 Die Kriegsknechte, wie ihnen befohlen war, nahmen Paulus und führten ihn bei der Nacht nach Antipatris. 32 Am nächsten Tag aber ließen sie die Reiter mit ihm ziehen und wandten wieder um zum Lager. 33 Da die nach Cäsarea kamen, überantworteten sie den Brief dem Landpfleger und stellten ihm Paulus auch dar. 34 Da der Landpfleger den Brief las, fragte er, aus welchem Land er wäre. Und da er erkundet, dass er aus Zilizien wäre, sprach er: 35 Ich will dich verhören, wenn deine Ankläger auch da sind. Und hieß ihn verwahren in dem Richthaus des Herodes.

 

    Die Vorbereitung für die Reise (V. 23-30): Es ist Lysias hoch anzurechnen, dass er sich für den Weg entschied, den ihm sowohl die Gerechtigkeit als auch die Klugheit vorgaben. Hätte er die erhaltenen Informationen ignoriert, wäre er vielleicht zum Komplizen bei der Ermordung des Paulus geworden. Hätte er die Attentäter bei ihrem Anschlag getötet, hätte er sich die Juden zu seinen erbitterten Feinden gemacht. Doch er handelte schnell und umsichtig. Er rief zwei der ihm unterstellten Zenturien zu sich und befahl ihnen, einen Marsch nach Cäsarea vorzubereiten und gegen neun Uhr abends zweihundert Mann Infanterie, schwer bewaffnete Soldaten, und siebzig Reiter sowie zweihundert leicht bewaffnete Soldaten, Speerwerfer oder Lanzenträger, marschbereit zu haben. Es sollten auch Satteltiere zur Verfügung gestellt werden, damit sie Paulus, wenn nötig mit einem Wechsel, auf eines von ihnen setzen und ihn sicher zu Felix, dem Statthalter, hinunterführen konnten, der in Cäsarea, der politischen Hauptstadt der Provinz, residierte. Da Lysias in Jerusalem nur über tausend Mann verfügte, 760 Mann Infanterie und 240 Mann Reiterei, reduzierte er seine Truppen beträchtlich, um Paulus sicheres Geleit geben zu können, aber er war sich des Ernstes der Lage bewusst und ergriff entsprechende Maßnahmen. Er schrieb auch einen Brief an den Statthalter als den ranghöheren Mann und das höchste Gericht in der Provinz. Dieser Brief ist interessant, weil er vom Verständnis des Lysias geprägt ist und weil er natürlich darauf abzielt, sein eigenes Verhalten in ein möglichst günstiges Licht zu rücken. Lukas gibt eine Zusammenfassung dieses Briefes. Er beginnt mit dem üblichen einleitenden Gruß des Schreibers an den Adressaten. Von Paulus, den er mit Hochachtung erwähnt, sagt Lysias, er sei von den Juden ergriffen worden und im Begriff gewesen, von ihnen getötet zu werden, als er mit den von ihm befehligten Soldaten scheinbar gerade noch rechtzeitig erschien, ihn mitnahm und so rettete. Die Tatsache, dass Lysias sich hier auf das Heer bezieht, würde natürlich bedeuten, dass alle Soldaten der Garnison nötig waren, um den Aufruhr zu unterdrücken, und würde den Statthalter in seiner Umsicht bestärken. Dasselbe gilt für die Aussage, er habe dies getan, nachdem er erfahren hatte, dass Paulus ein römischer Bürger war. Auch hier verzerrt der Tribun, um seinen Eifer im öffentlichen Dienst zu unterstreichen, die Wahrheit, denn er erfuhr erst nach der Rettung, dass Paulus ein Römer war. Der Schreiber erzählt dann weiter, wie er ernsthaft den Grund für die Anklage herausfinden wollte und ihn in eine Versammlung ihres Synedrions mitgenommen hatte. Dort habe er nur so viel erfahren, dass er wegen gewisser Forderungen des jüdischen Gesetzes angeklagt worden sei, dass er aber kein Verbrechen begangen habe, das den Tod oder gar eine Gefängnisstrafe verdiene. In der Zwischenzeit hatte er erfahren, dass einige von ihnen ein Komplott gegen ihn schmiedeten, um ihn zu töten, weshalb er unverzüglich zum Statthalter schickte (was wiederum seinen Eifer unterstreicht) und den Anklägern nebenbei mitteilte, dass sie ihre Sache vor den Statthalter bringen müssten. Der gesamte Brief zeigt, dass Lysias alles unternahm, um Felix positiv zu beeindrucken, denn im großen Spiel der Politik kann man nie sagen, wie viel ein guter Eindruck wert sein kann, und ein Aufstieg war immer willkommen. Christen werden solche Geschichten nutzen, indem sie sich an die Aufforderung des Herrn erinnern, klug zu sein wie die Schlangen und harmlos wie die Tauben (Matth. 10,16).

 

    Die Reise und die Ankunft in Cäsarea (V. 31-35): Der Aufbruch von Jerusalem erfolgte bei Nacht, um so wenig wie möglich aufzufallen, und die bewaffnete Eskorte war so stark, dass sie den Angriff einer Mörderbande leicht hätte abwehren können. Auch die Tatsache, dass die Soldaten die Straße nach Norden verließen, trug dazu bei, dass sie nicht bemerkt wurden. Sie marschierten vier Meilen nach Norden, über die alte Straße, deren Pflastersteine noch an einigen Stellen zu sehen sind, und bogen dann nach Osten ab, über die Berge von Ephraim und hinunter in die schöne Ebene von Scharon, wo Antipatris lag. Dies war ein Gewaltmarsch von fast dreißig Meilen, der für Paulus eine große Belastung gewesen sein muss. Die Gefahr eines Angriffs aus Jerusalem war nun jedoch gebannt. Die vierhundert Mann Infanterie kehrten daher an dieser Stelle um und kehrten in die Kaserne im Turm von Antonia in Jerusalem zurück, während die Kavalleristen die Reise mit Paulus fortsetzten. Diese Männer kamen rechtzeitig in Cäsarea an, übergaben den Brief dem Statthalter und stellten ihm Paulus vor. Der Prokurator las den Brief und fragte Paulus, welcher Provinz er angehöre, der kaiserlichen oder der senatorischen, da er diese Information benötigte, um den Bericht des Lysias über den Fall zu vervollständigen. „Ein Prokurator von Judäa, wie Felix, war nur dem Statthalter von Syrien unterstellt, insofern dieser in Notfällen seine höchste Macht zur Geltung bringen konnte. Das militärische Kommando und die unabhängige Gerichtsbarkeit des Prokurators gaben ihm praktisch die alleinige Macht in allen gewöhnlichen Geschäften, aber der Statthalter konnte das Oberkommando übernehmen, wenn er Grund hatte, revolutionäre oder andere ernsthafte Schwierigkeiten zu befürchten.“[89] Als Felix herausgefunden hatte, dass Paulus aus Kilikien stammte und somit in den Fall eingreifen konnte, versprach er ihm eine gerichtliche Anhörung, sobald seine Ankläger sich melden würden. In der Zwischenzeit ordnete der Statthalter an, dass Paulus im Prätorium des Herodes festgehalten werden sollte, dem Palast, den Herodes Agrippa I. dort errichten ließ, Kap. 12,19, errichtet hatte, und der auch eine Wachstube enthielt, in der Paulus gefangen gehalten werden konnte. Anmerkung: Wir finden Paulus hier noch einmal unter dem Schutz der römischen Regierung. Deshalb ist die Regierung von Gott eingesetzt worden, um friedliche Bürger, also auch die Christen, vor Aufruhr und Gewalt zu schützen. Und so hält der Herr seine schützende Hand über die Seinen. Wenn er es nicht aus eigenen Gründen zulässt, kann das Toben und Wüten aller Feinde seiner Kirche keinen Schaden zufügen.

 

Zusammenfassung: Paulus wird vor dem römischen Tribunal in Anwesenheit des Sanhedrins angeklagt und zum Objekt einer mörderischen Verschwörung der Juden gemacht, nach deren Entlarvung er von Lysias, dem römischen Tribun in Jerusalem, zu Felix, dem Statthalter, geschickt wird.

 

 

Kapitel 24

 

Die Verhandlung des Paulus vor Felix (24,1-22)

    1 Nach fünf Tage zog hinab der Hohepriester Ananias mit den Ältesten und mit dem Redner Tertullus; die erschienen vor dem Landpfleger gegen Paulus. 2 Da er aber herbeigerufen wurde, fing an Tertullus zu verklagen und sprach: 3 Dass wir in großem Frieden leben unter dir, und viel redliche Taten diesem Volk widerfahren durch deine Vorsicht, allerteuerster Felix, das nehmen wir an allewege und allenthalben mit aller Dankbarkeit. 4 Auf dass ich aber dich nicht zu lange aufhalte, bitte ich dich, du wolltest uns kurz hören nach deiner Lindigkeit.

    5 Wir haben diesen Mann gefunden schädlich, und der Aufruhr erreget allen Juden auf dem ganzen Erdboden, und einen Vornehmsten der Sekte der Nazarener, 6 der auch versucht hat, den Tempel zu entweihen; welchen wir auch griffen und wollten ihn gerichtet haben nach unserem Gesetz. 7 Aber Lysias, der Hauptmann, unterkam das und führte ihn mit großer Gewalt aus unsern Händen 8 und hieß seine Ankläger zu dir kommen, von welchem du kannst, so du es erforschen willst, dich des alles erkundigen, um was wir ihn verklagen. 9 Die Juden aber redeten auch dazu und sprachen, es verhielte sich also.

    10 Paulus aber, da ihm der Landpfleger winkte zu reden, antwortete: Dieweil ich weiß, dass du in diesem Volk nun viele Jahre ein Richter bist, will ich unerschrocken mich verantworten. 11 Denn du kannst erkennen, dass nicht mehr als zwölf Tage sind, dass ich bin hinauf nach Jerusalem gekommen, anzubeten. 12 Auch haben sie mich nicht gefunden im Tempel mit jemand reden oder einen Aufruhr machen im Volk noch in den Synagogen noch in den Städten: 13 Sie können mir auch nicht beweisen, des sie mich verklagen.

    14 Das bekenne ich aber dir; dass ich nach diesem Weg, den sie eine Sekte heißen, diene so dem Gott meiner Väter, dass ich glaube allem, was geschrieben stehet im Gesetz und in den Propheten. 15 Und habe die Hoffnung zu Gott, auf welche auch sie selbst warten, nämlich dass zukünftig sei die Auferstehung der Toten, beide, der Gerechten und Ungerechten. 16 In diesem aber übe ich mich, zu haben ein unverletztes Gewissen allenthalben beide, gegen Gott und die Menschen.

    17 Aber nach vielen Jahren bin ich gekommen und habe ein Almosen gebracht meinem Volk und Opfer. 18 Darüber fanden sie mich, dass ich mich reinigen ließ im Tempel ohne allen Rumor und Getümmel. 19 Das waren aber etliche Juden aus Asien, welche sollten hier sein vor dir und mich verklagen, so sie etwas gegen mich hätten. 20 Oder lass diese selbst sagen, ob sie etwas Unrechtes an mir gefunden haben, dieweil ich stehe vor dem Rat, 21 außer um des einigen Worts willen, da ich unter ihnen stand und rief: Über der Auferstehung der Toten werde ich von euch heute angeklagt. 22 Da aber Felix solches hörte; zog er sie auf; denn er wusste sehr wohl um diesen Weg und sprach: Wenn Lysias, der Hauptmann, herabkommt, so will ich mich über euere Sache erkundigen.

 

    Die Delegation der Juden aus Jerusalem (V. 1-4): Paulus befand sich nun wieder in Cäsarea, in der Stadt, in der der Prophet Agabus seine Gefangennahme durch die Heiden vorausgesagt hatte, Kap. 21,11. Noch vor wenigen Wochen hatte er hier die Gastfreundschaft des Philippus und die freundliche Gesellschaft der Jünger der Stadt genossen, und nun war er ein Gefangener in den Händen der Römer und wurde vorläufig im Palast des Herodes in strenger Haft gehalten. Aber nach fünf Tagen, gerechnet von dem Tag an, an dem Paulus Jerusalem verlassen hatte, als die Juden von Lysias eine förmliche Nachricht erhielten, machte sich der Hohepriester Ananias mit einigen der Ältesten und einem gewissen Redner, Tertullus, auf den Weg von Jerusalem hinunter nach Cäsarea. Die jüdischen Führer hatten also keine Zeit verloren und eine repräsentative Delegation aus dem Sanhedrin ausgewählt, mit Ananias selbst an der Spitze; und sie hatten die Dienste eines römischen Anwalts, Tertullus, in Anspruch genommen, da sie nun vor einem regulären römischen Gericht erscheinen mussten und daher einen Anwalt brauchten, der mit dem Verfahren eines solchen Gerichts vertraut war. Diese Delegation erstattete durch ihren Anwalt vor dem Prokurator förmlich Anzeige gegen Paulus, wobei sie ihre Anklage in der von der römischen Rechtspraxis geforderten Weise darlegte. Als Paulus dann vor diese Ankläger geladen wurde, begann Tertullus mit großem rednerischen Einsatz seine Anklagerede gegen den Gefangenen. Es ist bezeichnend, dass der Anwalt versucht, die Schwäche der von ihm vertretenen Sache durch eine große Menge von Worten zu untermauern. Die Einleitung seiner Rede diente ausschließlich dazu, dem Statthalter zu schmeicheln und sein Wohlwollen für die Juden zu gewinnen. Der Redner lobte in überschwänglichen Worten den einheitlichen, vollkommenen Frieden, der über sie gekommen war und den sie durch ihn genossen, und die Verbesserungen, Reformen oder sehr würdigen Taten, die durch seine Weitsicht, die all diese Vorteile für die Nation im Voraus geplant hatte, zum Eigentum des Volkes geworden waren. Und all dies, wie Tertullus mit großer Unterwürfigkeit hervorhebt, nahmen die Juden zu allen Zeiten und an allen Orten mit der gebührenden Dankbarkeit an. Der volle Name des ehrenwerten Felix, wie Tertullus den Statthalter, den Prokurator von Judäa, nennt, war Antonius Felix. Er war ein Freigelassener des Kaisers Claudius und ein Bruder des Pallas, der ein Günstling des Nero war. Er trat sein Amt 53 n. Chr. nach der Absetzung des Cumanus an, übte aber, wie der Geschichtsschreiber Tacitus sagt, die Macht eines Königs im Geiste eines Sklaven aus, was später seine Abberufung zur Folge hatte. Die erste Aussage des Tertullus, Felix habe den Frieden in der Provinz wiederhergestellt und aufrechterhalten, war in gewissem Maße wahr, da er einige Räuberbanden, die das Land heimgesucht hatten, unterdrückt hatte; sie wurde jedoch durch die Tatsache entkräftet, dass er Mörder anstellte, um den Hohepriester Jonathan zu ermorden, und dass er gewalttätigen und egoistischen Leidenschaften unterworfen war. Der nächste Hinweis des Anwalts auf Reformmaßnahmen muss durch die Tatsache entkräftet werden, dass die Historiker seine Willkür schildern, die schließlich Unruhe und Rebellion dauerhaft machte. Und die Behauptung, das jüdische Volk sei Felix immer und überall für seine Dienste dankbar gewesen, wurde später durch die Tatsache widerlegt, dass die Juden selbst seine Ankläger in Rom waren. Wir können den Titel also bestenfalls als eine leere Form betrachten. Wenn Höflichkeit und Taktgefühl in niedere Schmeicheleien und spöttische Unterwürfigkeit ausarten, werden Wahrheit und Ehrlichkeit unweigerlich verdrängt. Dieser Eindruck wird durch die nächsten Worte noch verstärkt. Denn Tertullus tut nun so, als hätte er gar nicht erst begonnen, all die lobenswerten Taten des Felix aufzuzählen, und würde, wenn es die Zeit erlaubte, gerne noch lange so weitermachen. Aber er deutet an, dass der Statthalter mit all seinen Plänen für weitere Reformen so beschäftigt ist, dass er ihn nicht durch eine langwierige Aufzählung all seiner Vorzüge behindern und ermüden darf. Er wird daher der Ansicht sein, dass genug gesagt worden ist, und bittet den Gouverneur lediglich darum, ihnen freundlich zuzuhören und, wenn möglich, ihren Wunsch nach seiner Gnade zu erfüllen. Er verspricht, sich kurz zu fassen. Um die höfliche Aufmerksamkeit von Felix nicht zu strapazieren. Ein Beispiel für kriecherische, ekelerregende Heuchelei.

 

    Die Vorwürfe gegen Paulus (V. 5-9): Nach dem rhetorischen Versprechen der Einleitung ist die Anklage gegen Paulus im Gegensatz dazu umso schwächer. Tertullus erklärt, dass die Juden diesen Mann für eine regelrechte Plage hielten, für einen äußerst schlechten und bösen Menschen; für einen Aufwiegler aller Juden in der ganzen Welt, in der ganzen Länge und Breite des römischen Reiches, für einen Zerstörer allen Friedens und aller Ordnung, indem er Zank stiftete; für einen Rädelsführer der Sekte der Nazarener, des verächtlichen Beinamens für die Anhänger Jesu. Dieser Mann, gegen den diese Anschuldigungen erhoben wurden, hatte als Krönung seiner Laufbahn und als Ausdruck des ihm zugeschriebenen niedrigen Charakters versucht, den Tempel zu entweihen. Die Juden hatten ihn daraufhin ergriffen und verhaftet, in der Absicht, wie Tertullus behauptet, ihm einen fairen Prozess nach ihrem Gesetz zu machen. Das war wiederum eine Übertreibung der Wahrheit, denn die Angelegenheit im Tempel war das Ergebnis der Gewalt des Pöbels und konnte nicht anders interpretiert werden. Aber Lysias, der Chiliarch, war, wie der Anwalt mit einer großen Show der empörten Gerechtigkeit sagt, über sie gekommen und hatte den Gefangenen mit großer Gewalt, mit Waffengewalt, aus ihren Händen weggeführt und damit, wie Tertullus andeutete, in das Gesetz eingegriffen, nach dem die Juden von den Römern die Erlaubnis hatten, jeden zu töten, der den Tempel entweihte. Und dann hatte Lysias den Anklägern des Paulus befohlen, zum Statthalter zu gehen, und dieser konnte nun, so schließt der Anwalt seine Rede, durch die Untersuchung des Gefangenen zu einer Einsicht gelangen, zu einem Schluss kommen, was die Anschuldigungen betraf, die sie gegen ihn erhoben. Seine Entscheidung konnte, wie der Tonfall des Tertullus andeutet, gar nicht anders ausfallen als zugunsten der Juden. Es war ein feines Lügengespinst, das der geschickte Advokat konstruiert hatte, indem er die Tatsachen verdrehte, Motive hinzufügte, die zur Zeit der Ausführung bestimmter Taten nicht bestanden hatten, und Aussagen über den Charakter des Gefangenen machte, die nichts als Verleumdungen waren. Die Juden aber schlossen sich der Anklage an, indem sie die Worte ihres Anwalts bestätigten und fälschlicherweise behaupteten, dass all diese Dinge wahr seien, dass es sich um Tatsachen handele. Mit solchen Mitteln versuchen Ungläubige und Feinde Christi, die Wahrheit zu behindern und zu zerstören.

 

    Paulus weist die Vorwürfe zurück (V. 10-13): Paulus befand sich in dieser Angelegenheit in einer sehr unangenehmen Lage, denn er sah sich plötzlich durch die winkende Hand des Statthalters mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich vor einer sehr schwerwiegenden Anklage zu verantworten, von denen einige in der Tat schwerwiegend genug waren, um, wenn sie aufrechterhalten würden, eine schwere Strafe, wenn nicht sogar den Tod zur Folge zu haben. Aber er verließ sich auf die Verheißung des Herrn, der ihm Mund und Weisheit gab, Luk. 21,16. Seine Antwort ist auffallend frei von der kriecherischen Schmeichelei, die das herausragende Merkmal der Rede des Tertullus gewesen war. Er stützte sich auf die Tatsache, von der er wusste, dass sie wahr war, dass Felix viele Jahre lang Richter dieses Volkes gewesen war, dass er eine Zeit lang die höchste richterliche Autorität im Lande gewesen war und so eine persönliche Kenntnis der öffentlichen Angelegenheiten und einen gewissen Einblick in die religiösen Bräuche der Juden erworben hatte. Felix war nun etwa sechs oder sieben Jahre lang Prokurator von Judäa gewesen, eine vergleichsweise lange Zeitspanne für Statthalterschaften in diesem Land, und er war zwangsläufig in ständigem Kontakt mit dem jüdischen Leben und den jüdischen Sitten gewesen. Diese Tatsache gab Paulus den nötigen Mut, seine Verteidigung mit aller Offenheit und Zuversicht vorzutragen. Als erstes erklärte Paulus, da Felix sich dadurch ein genaues Bild von der Lage machen konnte, dass er erst vor zwölf Tagen nach Jerusalem hinaufgegangen war, um dort zu beten. Diese Aussage lässt sich, wie eine Reihe von Historikern gezeigt hat, leicht auf verschiedene Weise begründen, wobei die genaue Abfolge der Ereignisse keine Rolle spielt. Zwei Tatsachen stechen in diesem Satz hervor, nämlich dass der ausdrückliche Zweck des Paulus, nach Jerusalem zu gehen, darin bestand, anzubeten, und dass die Kürze der Zeit es ihm unmöglich erlaubt hätte, einen Aufstand anzuzetteln. Und deshalb weist er die Anschuldigungen, die von den Juden durch ihren Anwalt erhoben worden waren, entschieden zurück. Sie hatten ihn mit niemandem streitend, diskutierend, zankend angetroffen; sie trafen ihn nicht bei der Aufwiegelung des Volkes an, weder in den Synagogen noch in irgendeinem Teil der Stadt. Sie konnten dem Statthalter keine Beweise für eine der Anschuldigungen vorlegen, die sie jetzt gegen ihn erhoben. Paulus' schlichte Behauptung der Wahrheit war nicht nur ein allgemeines Dementi der Anschuldigung, dass er ein Aufwiegler unter den Juden in allen Teilen des Reiches gewesen sei, sondern forderte nebenbei die Gegner auf, Beweise für ihre Anschuldigungen zu erbringen. Auf diese Weise hatte Paulus die einleitenden Anschuldigungen des Tertidlus in einer Form von selbstverständlicher Wahrhaftigkeit entsorgt, die einen tiefen Eindruck hinterlassen musste. Wenn die Christen in unseren Tagen dieselben Methoden anwenden, werden sie ihrer Sache in der Regel besser dienen als durch kauernde Angst und falsche Unterwerfung.

 

    Der Vorwurf, ein Nazarener zu sein (V. 14-16): Paulus greift hier die nächste Anklage auf, nämlich die, ein Rädelsführer der Nazarener zu sein. Ohne sich auf den ihm verliehenen Titel zu berufen, bekennt er stolz die Wahrheit dieses Vorwurfs, wenn das ein Verbrechen ist, wobei er nebenbei aber auch die Juden selbst zurechtweist. Nach dem Weg, den sie gerne als Sekte, als schismatische Partei bezeichneten, diente er dem Gott der Väter. Der Gedanke, der den Worten des Paulus zugrunde lag, war, dass das Christentum keine Abspaltung, sondern vielmehr eine Erfüllung der jüdischen Religion und des jüdischen Glaubens ist. Zwischen der alttestamentlichen und der neutestamentlichen Religion gibt es keinen Unterschied in der Art, sondern nur im Ausmaß; die jüdischen Patriarchen wurden durch ihren Glauben an den kommenden Messias gerettet, während die Christen durch ihren Glauben an den Christus gerettet werden, der gekommen ist und die wichtigsten Prophezeiungen des Alten erfüllt hat. Nur Paulus wusste, dass sich die messianischen Hoffnungen in Jesus von Nazareth verwirklicht hatten, während seine Ankläger noch im Dunkel und in der Blindheit einer Hoffnung herumtappten, die sich niemals erfüllen würde. Und er hegte dieselbe Hoffnung gegenüber Gott, die auch diese Männer akzeptierten, nämlich dass eine Auferstehung der Gerechten wie der Ungerechten sicher stattfinden würde. Man beachte, dass Paulus hier keinen Unterschied zwischen dem Hohepriester, einem Sadduzäer, und den Vertretern des Sanhedrins, die Pharisäer waren, macht, sondern sie einfach als Juden betrachtet, die die Hoffnung ihres gesamten Volkes hegten. Aus diesem Grund übte sich Paulus in dieser Überzeugung und bemühte sich ernsthaft, wie sie, ein reines Gewissen gegenüber Gott und allen Menschen überall zu haben. Die stärkste Triebfeder und treibende Kraft eines Christen ist sein Glaube an das Wort Gottes und seine Hoffnung auf die Auferstehung der Toten. Anmerkung: Die Verteidigung des Paulus, vor allem in diesem Abschnitt, ist eine schöne Apologie des Christentums und des christlichen Glaubens. So werden die Gegner des wahren Glaubens zum Schweigen gebracht, wenn sie ihre Behauptungen gegen die Christen nicht beweisen können und wenn darüber hinaus der Glaube und das Leben der Christen wahrheitsgemäß zu ihrer Verteidigung angeführt werden können. Die Christen bilden keine neue Sekte; ihre Religion ist die wahre Religion, wie sie von Anfang an in der Welt war; sie glauben an das Wort Gottes und haben die Hoffnung auf die Auferstehung des Leibes und auf das ewige Leben.

 

    Der Schluss der Verteidigungsrede des Paulus (V. 17-22): Nachdem Paulus die Anschuldigungen der Juden ausgeräumt und ihre völlige Unhaltbarkeit aufgezeigt hat, dreht er nun den Spieß um und erwähnt einige Überlegungen, die sie in ein sehr ungünstiges Licht rücken. Er nennt den Zweck der jetzigen Reise. Nach einer Reihe von Jahren, etwa acht oder neun Jahren, war er heraufgekommen, um seinem Volk Almosen zu bringen, die Sammlung, die in den Gemeinden Mazedoniens, Achaias und Asiens durchgeführt worden war, und um Opfer darzubringen, die üblichen Festopfer oder auch die Opfer für die nasiräischen Judenchristen. Bei der Erfüllung dieser religiösen Pflichten, nachdem er im Tempel gereinigt worden war, hatten ihn einige Juden aus Asien angetroffen, aber nicht mit einer Menschenmenge, die er vielleicht zu einem Aufruhr aufstacheln wollte, und auch nicht mit einem Tumult, der aus irgendwelchen Intrigen von ihm resultieren konnte. Diese Juden waren es, die ihn zuerst ergriffen hatten (eine delikate Korrektur der Aussage von V. 6), und ihre Aufgabe wäre es gewesen, bei diesem Prozess anwesend zu sein und Anklage zu erheben, wenn die Worte des Lysias befolgt worden wären. Es war eine sehr bedeutsame Tatsache, wie Paulus andeutet, dass die einzigen persönlichen Zeugen dessen, was er im Tempel getan hatte, nicht anwesend waren, um gegen ihn auszusagen. Und zu diesem bezeichnenden Schuss fügt Paulus eine weitere halbsarkastische Bemerkung hinzu. Er fordert genau diese hier anwesenden Männer auf, zu sagen, was sie an ihm auszusetzen hatten, als er vor dem Synedrium bei der Anhörung des Lysias stand, es sei denn, es handelte sich um die eine Äußerung, als er, als er dort stand, rief, dass er wegen der Auferstehung der Toten heute vor ihnen vor Gericht stehe. Das war ein äußerst wirksamer Hohn, denn es würde Felix zeigen, dass sie durch Parteieneid gegen ihn aufgebracht waren, dass der ganze Streit um eine Sache ging, in der die Juden selbst uneins waren. Alles in allem war die Verteidigung des Paulus eine glänzende Rechtfertigung seiner Person und seiner Sache, die das Lügengebäude, das Tertullus aufgebaut hatte, völlig umstürzte. Und Felix konnte nicht anders, als dies zu spüren. Aber er handelte auf eine charakteristische Weise. Er vertröstete die Juden und vertröstete Paulus auf eine weitere Verhandlung, als ob es nicht möglich wäre, vor einer weiteren Untersuchung der Angelegenheit sofort ein Urteil über Freispruch oder Verurteilung zu fällen. Felix hatte eine genauere und detailliertere Kenntnis des Weges, der christlichen Religion, da er all die Jahre nicht blind gewesen war und es in Cäsarea eine christliche Gemeinde gab. Er wusste, dass die Christen harmlose, unschuldige Menschen waren. Andererseits verbieten ihm politische Gründe, offen die Rolle des Paulus zu übernehmen und damit die Feindschaft der Juden zu provozieren. So begründete er sein Vorgehen damit, dass er abwarten müsse, bis Lysias, der Chiliarch, herabkomme, der dann aufgrund der Zeugenaussagen aller Seiten eine Entscheidung treffen könne. Anmerkung: Felix ist hier, wie Pontius Pilatus, ein Beispiel für einen ungerechten Richter, der zwar grobe Gewalt verhindert, aber gleichzeitig um die Gunst des Volkes wirbt und die Rechte der Gläubigen beschneidet.

 

Paulus wird als Gefangener zurückbehalten (24,23-27)

    23 Er befahl aber dem Unterhauptmann, Paulus zu behalten und lassen Ruhe haben, und niemand von den Seinen wehren, ihm zu dienen oder zu ihm zu kommen. 24 Nach etlichen Tagen aber kam Felix mit seiner Frau Drusilla, die eine Jüdin war, und forderte Paulus und hörte ihn von dem Glauben an Christum. 25 Da aber Paulus redete von der Gerechtigkeit und von der Keuschheit und von dem zukünftigen Gericht, erschrak Felix und antwortete: Gehe hin auf diesmal; wenn ich gelegene Zeit habe, will ich dich lassen rufen. 26 Er hoffte aber daneben, dass ihm von Paulus sollte Geld gegeben werden, dass er ihn losgäbe; darum er ihn auch oft fordern ließ und besprach sich mit ihm. 27 Da aber zwei Jahre um waren, kam Portius Festus an des Felix Statt. Felix aber wollte den Juden eine Wohltat erzeigen und ließ Paulus zurück als Gefangenen.

 

    Das Verfahren gegen Paulus war auf unbestimmte Zeit fortgesetzt worden; er wurde nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit und der Politik von Felix in Haft gehalten. Aber der Prokurator hatte wenigstens noch genug Menschlichkeit übrig, um die Haft des Paulus so leicht wie möglich zu machen. Er erteilte einem bestimmten Zenturio den ausdrücklichen Befehl, ihn in Gewahrsam zu halten, und übertrug ihm damit die Verantwortung für seine Verwahrung. Gleichzeitig sollte ihm aber Nachsicht gewährt und eine gewisse Bewegungsfreiheit zugestanden werden, und niemand von seinen eigenen Leuten, den Mitgliedern der örtlichen christlichen Gemeinde und anderen, sollte daran gehindert werden, ihm zu dienen. Jede Art von persönlichem Dienst, auch in kleinen Angelegenheiten, war erlaubt, wobei die Nachsicht so weit reichte, wie es der Hauptmann für sicher hielt. Einige Zeit später kam Felix mit seiner Frau Drusilla, einer Jüdin, die wahrscheinlich gerade von einem Besuch in der Stadt zurückgekehrt war, und schickte nach Paulus. Es handelte sich nicht um eine formelle Anhörung, sondern um ein privates Gespräch, wahrscheinlich weil Drusilla schon so oft von der christlichen Religion gehört hatte und diesen großen Lehrer dieser Sekte etwas über den Glauben an Christus erzählen hören wollte. Diese Drusilla war die jüngste Tochter von Herodes Agrippa I. und war im Alter von vierzehn Jahren mit Azizus, dem König von Emesa, verheiratet worden. Felix lernte sie kennen, war von ihrer bezaubernden Schönheit angetan und verführte sie mit Hilfe eines jüdischen Zauberers namens Simon von Zypern von ihrem Ehemann, mit dem sie nach dem Bericht des Josephus ein sehr unglückliches Leben geführt hatte. So war sie nun zwar nach römischem Recht mit Felix verheiratet, aber nach dem Gesetz Gottes lebte sie mit ihm in einer ehebrecherischen Verbindung. Wo das Wort Gottes nicht regiert, wird jeder Form von Sünde und Schande freien Lauf gelassen, wie es die Begierde des Fleisches gebietet. Paulus kam der Aufforderung bereitwillig nach und stellte gemäß dem Befehl des Herrn zunächst die Sünde und ihre Verurteilung bloß. Er sprach von der Gerechtigkeit, von der absoluten Notwendigkeit der Reinheit vor Gott, von der Sündlosigkeit vor seinem Gericht; er sprach von der Mäßigung, von der Selbstbeherrschung, von der Notwendigkeit, die Lüste und Begierden des Fleisches unter der richtigen Kontrolle zu halten; er sprach von dem zukünftigen Gericht, wenn alle diese Dinge vor den Augen des allwissenden Gottes offenbart werden würden. „Er sprach von der Gerechtigkeit zu einem Richter, von der Enthaltsamkeit zu einem Präfekten, dessen Leichtsinn und Zügellosigkeit ihn berüchtigt gemacht hatten, und von dem künftigen Gericht zu einem Mann, der es nötig hatte, an seine künftige Rechenschaft erinnert zu werden.“ Das Ergebnis war, dass Felix von Angst erfüllt war. „Als er auf die befleckte und schuldige Vergangenheit zurückblickte, hatte er Angst. Er war ein Sklave in der niederträchtigsten aller Stellungen gewesen, in der niederträchtigsten aller Epochen, in der niederträchtigsten aller Städte. Er hatte sich mit seinem Bruder Pallas in die Position eines Höflings am moralisch verkommensten aller Höfe geschlichen. Er war ein Offizier jener Hilfstruppen gewesen, die die schlimmsten aller Truppen waren. Welche Geheimnisse der Wollust und des Blutes in seinem früheren Leben verborgen lagen, wissen wir nicht; aber reichliche und unbestreitbare Zeugnisse, jüdische und heidnische, heilige und weltliche, enthüllen uns, was er gewesen war - wie gierig, wie wild, wie verräterisch, wie ungerecht, wie durchtränkt vom Blut privater Morde und öffentlicher Massaker während der acht Jahre, die er nun in der Regierung zuerst von Samaria, dann von Palästina verbracht hatte. Hinter ihm waren Schritte zu hören; er hatte das Gefühl, als sei ‚die Erde aus Glas‘.“[90]) Und es ist zweifelhaft, ob sich Drusilla während der Ansprache des Paulus wohler fühlte als ihr „Mann“. Felix hatte genug; er sagte Paulus, er könne für den Moment gehen; zu einem geeigneten Zeitpunkt würde er ihn wieder rufen. Aber diese günstige Zeit kam offenbar nie. Das ist bis heute eine beliebte Redewendung von Sündern in hohen und niedrigen Positionen: Irgendwann, nachdem sie alle Lüste der Welt gründlich genossen haben, werden sie ihr Leben ändern. Und in der Zwischenzeit ergreift die Sünde so vollständig Besitz von ihren Herzen, dass sie ihre Fesseln nicht abschütteln können; der günstige Augenblick kommt nie, und sie sind verloren. Wie wenig das Herz von Felix durch die ernsten Worte des Paulus berührt worden war, zeigt die Tatsache, dass er hoffte, von Paulus etwas Bestechungsgeld zu bekommen. Entweder hatten sich die Lebensumstände des Paulus seit dem wahrscheinlichen Tod seines Vaters gebessert, oder der Prokurator glaubte, die Christen würden bereitwillig genug Geld für ihren führenden Lehrer sammeln, um ihn von der Schande der Gefangenschaft zu befreien. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ließ er Paulus häufig zu sich kommen und unterhielt sich mit ihm, wobei er wahrscheinlich ab und zu einen Hinweis auf eine Methode gab, mit der er seine Freilassung bald erreichen könnte. Aber Paulus weigerte sich, sich an einem Verbrechen zu beteiligen, und war taub für alle Andeutungen und Vorschläge, ob offen oder versteckt. Auf diese Weise vergingen bald zwei Jahre, bis Felix um 59 n. Chr. von Nero abberufen wurde; sein Nachfolger wurde Porcius Festus. Und die allerletzte Handlung von Felix war eine Ungerechtigkeit gegenüber Paulus, denn da er sich bei den Juden für den Fall einer Rückkehr in sein Amt beliebt machen wollte, ließ er Paulus in Cäsarea in Haft. Überall, wo es im öffentlichen oder privaten Leben skrupellose Beamte gibt, findet man sie als Zeitdiener, die immer bereit sind, sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen und ihr eigenes Verhalten in ein möglichst günstiges Licht zu rücken. Dass dabei auch Unschuldige zu Schaden kommen können, spielt für sie offenbar keine Rolle. Aber die Regierung des erhabenen Christus geht trotz all dieser erbärmlichen Täuschungen und Tricks weiter.

 

Zusammenfassung: Paulus verteidigt sich gegen die Anklagen der Juden, die durch ihren Anwalt Tertullus vor Felix vorgetragen wurden, und sein Verfahren wird auf unbestimmte Zeit fortgesetzt, er bleibt in Haft, auch wenn Felix zurückgerufen wird.

 

 

Kapitel 25

 

Paulus beruft sich auf den Kaiser (25,1-12)

   1 Als nun Festus ins Land gekommen war, zog er über drei Tage hinauf von Cäsarea nach Jerusalem. 2 Da erschienen vor ihm die Hohenpriester und die Vornehmsten der Juden gegen Paulus und ermahnten ihn 3 und baten um Gunst gegen ihn, dass er ihn fordern ließe nach Jerusalem, und stellten ihm nach, dass sie ihn unterwegs umbrächten. 4 Da antwortete Festus, Paulus würde ja behalten zu Cäsarea; aber er würde in kurzem wieder dahinziehen. 5 Welche nun unter euch (sprach er) können, die lasst mit hinabziehen und den Mann anklagen, so etwas an ihm ist.

    6 Da er aber bei ihnen mehr als zehn Tage gewesen war, zog er hinab nach Cäsarea; und am nächsten Tag setzte er sich auf den Richterstuhl und hieß Paulus holen. 7 Da dieser aber vor ihn kam, traten umher die Juden, die von Jerusalem herabgekommen waren, und brachten auf viel und schwere Klagen gegen Paulus, welche sie nicht beweisen konnten, 8 dieweil er sich verantwortete: Ich habe weder an der Juden Gesetz noch an dem Tempel noch an dem Kaiser mich versündigt.

    9 Festus aber wollte den Juden eine Gunst erzeigen und antwortete Paulus und sprach: Willst du hinauf nach Jerusalem und dort über diesem dich vor mir richten lassen? 10 Paulus aber sprach: Ich stehe vor des Kaisers Gericht, da soll ich mich lassen richten; den Juden habe ich kein Leid getan, wie auch du aufs Beste weißt. 11 Habe ich aber jemand Leid getan und des Todes wert gehandelt, so weigere ich mich nicht zu sterben; ist aber der keines vorhanden, des sie mich verklagen, so kann mich ihnen niemand ergeben. Ich berufe mich auf den Kaiser. 12 Da besprach sich Festus mit dem Rat und antwortete: Auf den Kaiser hast du dich berufen, zum Kaiser sollst du ziehen.

 

    Die Anhörung vor Festus wird bewerkstelligt (V. 1-5): Porcius Festus, der neue Prokurator von Judäa, wird von Josephus lobend erwähnt, weil es ihm gelang, die Räuberbanden zu vertreiben und viele der Mörder, die das Land heimsuchten, zu töten. Er trat im Jahr 60 n. Chr. sein Amt als Statthalter in der Provinz an, landete in Cäsarea und nahm die Verwaltungsgebäude in Besitz. Doch schon bald, nach drei Tagen, reiste er von Cäsarea nach Jerusalem, das noch immer die Hauptstadt der jüdischen Nation war. Offensichtlich hatten die jüdischen Führer ihren Hass auf Paulus während seiner langen Gefangenschaft nicht vergessen; wenn überhaupt, waren sie rachsüchtiger als je zuvor, da ihre Pläne keinen Erfolg gehabt hatten. Denn sie nutzten die Gelegenheit, Festus über Paulus zu informieren und ihn förmlich und gerichtlich als Verbrecher anzuklagen. Der Hohepriester Ananias war abgesetzt worden, und Ismael, der Sohn des Phabi, war der amtierende Hohepriester; aber bei dieser Gelegenheit waren alle Hohenpriester, frühere und jetzige, zusammen mit den führenden Männern der jüdischen Nation vereint, entschlossen, Paulus um jeden Preis aus dem Weg zu räumen. Sie baten Festus inständig um einen besonderen Gefallen, Paulus nach Jerusalem hinaufzuschicken, nachdem sie einen Hinterhalt gelegt hatten, um ihn auf dem Weg zu töten. Das ist eine Kombination aus Heuchelei und Hass, wie sie nur selten vorkommt, ja nicht einmal annähernd. Nachdem ihre mörderischen Pläne ausgereift und die Mörder engagiert sind, tun sie so, als ginge es ihnen nur um einen neuen Prozess, bei dem sowohl Festus als auch die Hauptkläger in Jerusalem anwesend sind. Festus, der darauf bedacht war, die Gunst der Juden zu gewinnen und zu erhalten, hielt es jedoch für unangebracht, den Gefangenen nach Jerusalem bringen zu lassen. Paulus befand sich zu diesem Zeitpunkt in Cäsarea in Haft, und sein eigener Aufenthalt in Jerusalem würde sehr kurz sein, da er die Absicht hatte, in Kürze abzureisen. So war Festus durch die Vorsehung Gottes gezwungen, schnell nach Cäsarea zurückzukehren, damit das Leben des Paulus nach seinen Plänen verschont werden konnte. Der Statthalter fügte hinzu, dass diejenigen unter den Juden, die aufgrund ihres Ranges oder ihres Amtes befugt waren, zu handeln, diejenigen, die befugt waren, die Juden in dieser Angelegenheit zu vertreten, mit ihm nach Cäsarea hinunterreisen sollten, und dann könnten sie ihre Anklagen gegen Paulus vorbringen, ob wirklich etwas Verbrecherisches an ihm sei, ob er der Übeltäter sei, für den ihre Anklagen ihn hielten. Anmerkung: Statt von Zufall und Glück zu sprechen, sollten die Christen die Vorsehung und die Regierung Gottes an ihre Stelle setzen, denn viele Dinge, die uns von sehr geringer Bedeutung erscheinen, sind von größter Wichtigkeit, wie die folgende Geschichte beweist.

 

    Der Beginn der Verhandlung (V. 6-8): Nach der Unterredung mit den Juden blieb Festus nicht länger als acht oder zehn Tage in Jerusalem und war die ganze Zeit damit beschäftigt, sich mit der Kirchenverwaltung und den verschiedenen Sitten und Gebräuchen der Juden, wie sie von der römischen Regierung anerkannt wurden, vertraut zu machen. Danach reiste er nach Cäsarea hinunter und löste sein Versprechen gegenüber den Juden ein, indem er den Prozess für den nächsten Tag ansetzte. Die Erzählung deutet darauf hin, dass die Juden mit Festus hinuntergefahren waren, und zeigt auch seine Schnelligkeit. Als er den Richterstuhl eingenommen hatte und sich im Gerichtssaal auf das Podium gesetzt hatte, befahl er, Paulus vorzuführen. Als der Gefangene eingetreten war und den ihm zugewiesenen Platz eingenommen hatte, drängten sich die Juden, die von Jerusalem herabgekommen waren, so nahe wie möglich an ihn heran und stellten sich um ihn herum, um ihn einzuschüchtern. Da jede Bezugnahme auf ihr eigenes Gesetz und auf Streitigkeiten über ihre eigenen Bräuche nutzlos gewesen wäre, formten sie ihre Anschuldigungen so, dass sie dem Anlass entsprachen, und brachten viele und ernste Beschwerden vor. Aus der Antwort des Paulus geht hervor, dass sie versuchten, sein Christsein zu einer Sünde gegen ihr eigenes Gesetz, seine angebliche Entweihung des Tempels zu einer Sünde gegen das Heiligtum und die angebliche Aufwiegelung zu Aufständen zu einer Sünde gegen Caesar zu machen. Aber all ihre Behauptungen, so sicher sie auch sein mochten, konnten vor dem römischen Gericht nicht bewiesen werden, und einen Beweis konnten die Ankläger nicht erbringen. Was Paulus betrifft, so hatten die drohenden Blicke, die finsteren Blicke der Juden keinerlei Wirkung auf ihn, denn er konnte sich in Bezug auf jede Anklage ohne die geringste Schwierigkeit verteidigen. Er behauptete, er habe weder gegen das Gesetz der Juden noch gegen das Heiligtum noch gegen den Kaiser ein Verbrechen begangen. So wurde die Wahrheit und das Recht gegen die Lüge und das Böse gerechtfertigt; so wurde das Gebundensein des Paulus an seinen Herrn mit dem Schutz des Herrn belohnt.

 

    Der Appell des Paulus an den Kaiser (V. 9-12): Offensichtlich hatten die Juden mit der ihnen eigenen Hartnäckigkeit ihr Vorhaben, Paulus nach Jerusalem bringen zu lassen, noch nicht ganz aufgegeben. Jedenfalls veranlasste der Gedanke, dass er dadurch an Popularität gewinnen könnte, Festus, Paulus zu fragen, ob er nach Jerusalem hinaufgehen wolle, um dort vor ihm über diese Dinge verhandelt zu werden. Die eigentliche Gunst, die Festus den Juden erweisen wollte, scheint darin bestanden zu haben, dass die Mitglieder des Sanhedrins den Prozess in seiner Gegenwart führen würden. Das war ein höchst ungewöhnlicher Vorschlag, der ganz und gar nicht dem römischen Rechtsverfahren entsprach und der Paulus offenbar überraschte. Doch seine Antwort kam ohne Zögern. Er wollte nicht von einem jüdischen Gericht verurteilt werden; er stand vor dem Tribunal des Cäsar, wo Recht und Gerechtigkeit verlangten, dass er verurteilt wurde. Das Gericht des römischen Prokurators war ein niederes Gericht, nur eine Stufe vom kaiserlichen Gericht entfernt, und der Statthalter hielt Gericht als Vertreter Cäsars. Paulus fügt hinzu, dass er den Juden keinen Schaden zugefügt habe, dass er ihnen kein Unrecht getan habe, „wie du auch sehr gut verstehst“, sagt er kühn. Festus erkannte mit jeder Minute besser, dass die Anschuldigungen der Juden nur vorgetäuscht waren und keine Tatsachengrundlage hatten. Was ihn selbst betraf, so war Paulus bereit, sich jedem gerechten Prozess zu stellen. Wenn er sich eines Verbrechens schuldig gemacht hatte, wenn er etwas getan hatte, das nach römischem Recht den Tod verdiente, würde er sich nicht weigern, buchstäblich, er würde nicht vor dem Tod zurückschrecken. Aber wenn die Juden ihn nicht anklagten, wenn sie ihre Anschuldigungen gegen ihn nicht belegen konnten, hatte niemand das Recht, ihn ihnen auszuliefern, ihnen den Gefangenen zum Geschenk zu machen, damit sie mit ihm machen konnten, was sie wollten. Und Paulus schloss seine klangvolle Verteidigung seiner Unschuld mit den Worten: Ich appelliere an Cäsar. Ein römischer Bürger, der wegen eines Verbrechens angeklagt und verurteilt wurde, hatte das Recht, sich an den Kaiser zu wenden, wenn er das Urteil des Gerichts für ungerecht hielt; in Strafsachen konnte er sich jedoch jederzeit auf diese Berufung berufen, wenn er der Meinung war, dass der Richter seine Befugnisse überschritt und gegen die Gesetze verstieß. Eine solche Berufung hatte die sofortige Unterbrechung des Verfahrens zur Folge und verurteilte alle Richter und Amtsträger, die einen römischen Bürger, der sich im Fall des Paulus an Cäsar gewandt hatte, zum Tode verurteilt, gefoltert, gegeißelt, eingekerkert oder verurteilt hatten, als Störenfriede des öffentlichen Friedens, weshalb das Verfahren sofort eingestellt wurde. Festus beriet sich lediglich kurz mit den Beisitzern des Gerichts, d. h. den Beratern oder Beamten, die bei der Rechtsprechung hinzugezogen werden, wobei es in diesem Fall wahrscheinlich um die Frage ging, ob die Berufung angenommen werden sollte, da Paulus noch nicht förmlich verurteilt worden war. Aber das Ergebnis der Diskussion wurde von Festus festgehalten: Du hast dich an Caesar gewandt, zu Caesar sollst du gehen! In den Worten scheint ein gewisser Spott mitzuschwingen, der zweifellos darauf zurückzuführen ist, dass die Berufung zu diesem Zeitpunkt auf das Misstrauen des Gefangenen gegenüber der Unparteilichkeit des Richters hinwies. Aber diese Maßnahme mag sich für Festus als Erleichterung erwiesen haben, denn nun konnten die Juden nicht mehr behaupten, er sei nicht bereit gewesen, ihnen ihren Segen zu gewähren, und er war die ganze unangenehme Angelegenheit los. Der Unglaube, der Hass der Juden auf Christus und die Ungerechtigkeit des römischen Statthalters trugen also dazu bei, dass Paulus auch in Rom, der Hauptstadt der Welt, das Evangelium predigen konnte. Auch heute noch dienen die Bosheit und die Feindschaft der Welt oft dazu, das Reich Christi auf Erden zu verbreiten.

 

Agrippa und Bernice in Cäsarea (25,13-27)

    13 Aber nach etlichen Tagen kamen der König Agrippa und Bernice nach Cäsarea, Festus zu empfangen. 14 Und nachdem sie viel Tage da gewesen waren, legte Festus dem Könige den Handel von Paulus vor und sprach: Es ist ein Mann, von Felix hinterlassen gefangen, 15 um welches willen die Hohenpriester und Ältesten der Juden vor mir erschienen, da ich zu Jerusalem war, und baten, ich sollte ihn richten  lassen; 16 welchen ich antwortete: Es ist der Römer Weise nicht, dass ein Mensch  ergeben werde umzubringen, ehe denn der Verklagte habe seine Kläger gegenwärtig und Raum empfange, sich der Anklage zu verantworten. 17 Da sie aber hierher zusammenkamen, machte ich keinen Aufschub und hielt am nächsten Tag Gericht und hieß den Mann vorbringen. 18 Von welchem, da die Ankläger auftraten, brachten sie der Ursachen keine auf, der ich mich versah. 19 Sie hatten aber etliche Fragen gegen ihn von ihrem Aberglauben und von einem verstorbenen Jesus, von welchem Paulus sagte, er lebe. 20 Da ich aber mich der Frage nicht verstand, sprach ich, ob er wollte nach Jerusalem reisen und daselbst sich darüber lassen richten. 21 Da aber Paulus sich berief, dass er auf des Kaisers Erkenntnis behalten würde, hieß ich ihn behalten, bis dass ich ihn zum Kaiser sende.

    22 Agrippa aber sprach zu Festus: Ich möchte den Menschen auch gern hören. Er aber sprach: Morgen sollst du ihn hören. 23 Und am nächsten Tag, da Agrippa und Bernice kamen mit großem Gepränge und gingen in das Richthaus mit den Hauptleuten und vornehmsten Männern der Stadt, und da es Festus hieß, wurde Paulus gebracht. 24 Und Festus sprach: Lieber König Agrippa und alle ihr Männer, die ihr mit uns hier seid, da seht ihr den, um welchen mich die ganze Menge der Juden angegangen ist, sowohl zu Jerusalem und auch hier, und schrien, er solle nicht länger leben. 25 Ich aber, da ich vernahm, dass er nichts getan hatte, was des Todes wert sei, und er auch selber sich auf den Kaiser berief, habe ich beschlossen, ihn zu senden, 26 von welchem ich nichts Gewisses habe, das ich dem Herrn schreibe. Darum habe ich ihn lassen vor euch bringen, allermeist aber vor dich, König Agrippa, auf dass ich nach geschehener Erforschung haben könne, was ich schreibe; 27 denn es erscheint mir ein ungeschicktes Ding sein, einen Gefangenen zu schicken und keine Ursache gegen ihn anzeigen.

 

    Festus legt die Sache Agrippa vor (V. 13-21): Einige Tage nach der Gerichtsverhandlung, die so weitreichende Folgen haben sollte, kamen König Agrippa und seine Schwester Bernice nach Cäsarea, um Festus zu seinem Amtsantritt zu gratulieren. Agrippa II. war der Sohn von Herodes Agrippa I., Kap. 12. Da er zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters erst siebzehn Jahre alt war, erhielt er nicht das Königreich, sondern wurde nach dem Tod seines Onkels zum Herrscher von Chalkis, einer kleinen Stadt und einem Bezirk in der Nähe des Antilebanon, ernannt, und auch die Verwaltung des Tempels wurde ihm übertragen, zusammen mit dem Recht, den Hohepriester zu ernennen. Später kamen die Tetrarchien von Philippus und Lysanias zu seinem Herrschaftsgebiet hinzu, und er trug den Titel eines Königs, wenn auch nicht des Königs von Judäa. Bernice, seine älteste Schwester, war mit Markus von Alexandria verlobt, heiratete dann ihren Onkel Herodes von Chalkis, wurde einige Jahre später Witwe, lebte bei ihrem Bruder und wurde erneut verheiratet, und zwar mit Polemon, dem König von Kilikien, den sie jedoch bald verließ. Die Geschichte ihres Lebens ist die einer lüsternen Frau, die nur eine einzige gute Tat vollbrachte, als sie versuchte, den Prokurator Florus davon abzuhalten, die Juden zu töten. Die beiden königlichen Besucher hatten sich schon einige Zeit in der Stadt aufgehalten, als Festus dem König den Fall Paulus vortrug, weil er sicher war, dass dieser aufgrund seiner besseren Kenntnis der jüdischen Angelegenheiten in der Lage sein würde, sich ein richtiges Bild von der Situation zu machen. So erklärte er die Dinge, wie er sie verstand. Felix hatte einen Mann in Haft gelassen, über den die Juden ihm, als er sich in Jerusalem aufhielt, Informationen vorgelegt hatten, in denen sie ein Urteil gegen ihn forderten. Die Juden scheinen also neben dem Versuch, die Verhandlung nach Jerusalem zu verlegen, auch andere Pläne verfolgt zu haben. Festus hatte den Juden gesagt, dass es bei den Römern nicht üblich sei, einen Menschen zu verurteilen, um einen anderen zu verpflichten, bevor der Angeklagte seinen Anklägern von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehe und die Möglichkeit habe, sich gegen die gegen ihn erhobene Anklage zu verteidigen. Und als sie dann in Cäsarea zusammenkamen, hatte er keinen Aufschub gemacht, er hatte die Sache nicht auf einen anderen Tag verschoben, sondern gleich am nächsten Tag auf dem Gericht Platz genommen und befohlen, dass der Mann angeklagt werde. Aber als die Ankläger vor Gericht standen, brachten sie keine böse Anklage gegen ihn vor, wie Festus vermutet hatte. Die Verbitterung, die die Hohenpriester und die Mitglieder des Sanhedrins in Jerusalem an den Tag gelegt hatten, hatte den Statthalter dazu veranlasst, eine Anklage wegen eines sehr schweren Verbrechens zu erwarten. Stattdessen hatten sie, wie der Redner verächtlich bemerkt, bestimmte Fragen über ihre eigene Religion gegen ihn und über einen gewissen Jesus, der gestorben war und von dem Paulus behauptete, er lebe. Während der Gerichtsverhandlung muss auf beiden Seiten viel gesagt worden sein, was Lukas nicht aufzeichnete, da er nur an einer Zusammenfassung der Geschichte interessiert war. In mehreren Sätzen zeigt sich die Skepsis des Römers, wenn er den jüdischen Glauben buchstäblich als Dämonenanbetung, als törichte Religion bezeichnet, vgl. Kap. 17,22, und wenn er die ernsthafte Aussage des Paulus als bloße Behauptung bezeichnet. Das Ergebnis der Angelegenheit war, dass Festus im Zweifel war, dass er nicht wusste, wie er in diesen Fragen vorgehen sollte, und dass er deshalb fragte, ob Paulus nach Jerusalem gehen und dort vor Gericht gestellt werden wolle. Da Paulus aber darum gebeten hatte, seinen Fall der Entscheidung des römischen Kaisers Augustus zu überlassen, hatte der Statthalter den Befehl gegeben, ihn so lange in Haft zu halten, bis er ihn zu Cäsar, dem höchsten Gericht des römischen Reiches, schicken konnte. Der Bericht von Festus ist ziemlich korrekt, wenn auch durch sein Verständnis des Falles verfälscht. Aber er war offensichtlich immer noch verwirrt und zählte darauf, dass Agrippa, mit dem er bereits bekannt war, ihm mit gutem Rat zur Seite stehen würde.

 

    Paulus wird Agrippa vorgestellt (V. 22-27): Agrippa interessierte sich natürlich für Paulus, den großen Lehrer des Christentums, so wie sein Verwandter etwa dreißig Jahre zuvor den Wunsch hatte, Jesus zu sehen (Luk. 23,8). Seine Familie hatte immer die gleiche Beziehung zu Christus und dem Evangelium gehabt. Sein Großvater hatte versucht, Jesus in Bethlehem bei der Schlachtung der Unschuldigen zu töten, sein Onkel hatte Johannes den Täufer ermordet und Jesus verhöhnt, sein Vater hatte den Apostel Jakobus erschlagen und die Kirche unterdrückt. Agrippa wäre wahrscheinlich keinen Schritt weit gegangen, um Paulus zu sehen oder zu hören, aber bei dieser unerwarteten Gelegenheit, die Lehre der Nazarener kennenzulernen, war er sehr erfreut. So äußerte er den Wunsch, den Mann selbst zu hören, um sich dann ein angemessenes Urteil bilden zu können; und er erhielt von Festus das Versprechen, dass ihm diese Gelegenheit am nächsten Tag gegeben würde. Zur festgesetzten Zeit kamen Agrippa und Bernice also mit großem Pomp, mit einer außergewöhnlichen, orientalischen Prachtentfaltung, sehr wahrscheinlich in all ihren königlichen Gewändern und in Begleitung eines ganzen Gefolges von Dienern, und das alles in derselben Stadt, in der ihr Vater bei einer ähnlichen Gelegenheit von Gott geschlagen und von Würmern gefressen worden war. Die hohen Gäste wurden empfangen und geleitet und betraten so den Saal, der für diese informelle Anhörung bestimmt war, kaum der Gerichtssaal, da ein formeller Prozess nicht in Frage kam. Der Glanz des Anlasses, der den Charakter eines Empfangs hatte, wurde durch die Anwesenheit der Chiliarchen und der vornehmsten Männer der Stadt noch gesteigert, sicherlich die glänzendste Audienz, die Paulus, den Festus nun hereinbringen ließ, je erlebt hatte. Obwohl Agrippa den Zweck der Versammlung kannte, hielt der Statthalter nun eine förmliche Rede, die an ihn und an alle Anwesenden gerichtet war und in der er ihnen den Mann vorstellte, der diese ganze Aufregung unter den Juden verursacht hatte. Sie sahen diesen Mann vor sich, über den die ganze Schar der Juden mit ihm gesprochen und sich bei ihm beschwert hatte, sowohl in Jerusalem als auch in Cäsarea. Sie hatten lautstark ihre Meinung geäußert, dass er nicht mehr leben sollte. Aber Festus war zu dem Schluss gekommen, dass Paulus nichts getan hatte, was des Todes würdig gewesen wäre, und nun hatte der Gefangene selbst an Cäsar, den römischen Kaiser, appelliert, an den Namen, der von den Römern als göttliche Ehre angesehen wurde. Und so hatte Festus entschieden, dass er ihn schicken würde. Es war ein feierlicher, beeindruckender Anlass, und der Statthalter machte das Beste daraus, indem er die Bedeutung des Ereignisses hervorhob und seine Rolle in diesem Drama übertrieb. Die Schwierigkeit, mit der er konfrontiert war, wie er weiter erklärte, und die ihn in eine missliche Lage brachte, bestand darin, dass er seinem Herrn, dem Kaiser, nichts Konkretes über Paulus zu schreiben hatte. Deshalb habe er ihn vor diese illustre Versammlung und vor allem vor König Agrippa gebracht, damit er nach einer Art Untersuchung etwas Genaues zu schreiben habe. Denn da die Anklage des Verrats von Paulus mit großem Nachdruck widerlegt worden war, erschien die noch verbleibende Frage teils unklar, teils absurd. Und all dies geschah, weil es dem Statthalter unvernünftig, ja sinnlos erschien, dass jemand, der einen Gefangenen schickt, in dem Begleitschreiben nicht angibt, welche Gründe er für diesen Schritt hat. Die Situation war sicherlich unangenehm. Er war im Begriff, Paulus nach Rom zu schicken, um vor dem kaiserlichen Gericht zu erscheinen, obwohl er keine einzige Anklage gegen ihn hatte; und gleichzeitig musste er geschickt werden, da er sich an Caesar gewandt hatte. Agrippa würde ihm daher wahrscheinlich helfen können, damit er in der Sache solche Briefe aufsetzen konnte, um in den Augen Neros nicht als Narr dazustehen. So erhielt Paulus die Gelegenheit, vor dieser großen und prächtigen Versammlung Zeugnis von Christus abzulegen. Und so haben in vielen anderen Fällen Sünder aller Klassen die Gelegenheit, das Evangelium von Jesus Christus zu hören, das allein ihre Seelen retten wird. Oh, wenn doch jeder von ihnen hören würde!

 

Zusammenfassung: Paulus, der vor Festus angeklagt ist, sieht sich gezwungen, an Cäsar zu appellieren, woraufhin sein Fall vor den Gast Agrippa gebracht wird.

 

 

Kapitel 26

 

Die Anhörung vor Agrippa (26,1-32)

    1 Agrippa aber sprach zu Paulus: Es ist dir erlaubt, für dich zu reden. Da verantwortete sich Paulus und reckte die Hand aus: 2 Es ist mir sehr lieb, lieber König Agrippa, dass ich mich heute vor dir verantworten soll alles, des ich von den Juden beschuldigt werde, 3 allermeist weil du weißt alle Sitten und Fragen der Juden. Darum bitte ich dich du wollest mich geduldig hören.

     4 Zwar mein Leben von Jugend auf, wie das von Anfang unter diesem Volk zu Jerusalem zugebracht ist, wissen alle Juden, 5 die mich vorher gekannt haben, wenn sie es wollten bezeugen. Denn ich bin ein Pharisäer gewesen, welche ist die strengste Sekte unseres Gottesdienstes. 6 Und nun stehe ich und werde angeklagt über der Hoffnung an die Verheißung, so geschehen ist von Gott zu unseren Vätern. 7 Zu welcher hoffen die zwölf Geschlechter der Unseren zu kommen mit Gottesdienst emsig Tag und Nacht. Dieser Hoffnung halben werde ich, lieber König Agrippa, von den Juden beschuldigt. 8 Warum wird das für unglaublich bei euch gerichtet, dass Gott Tote auferweckt?

    9 Zwar ich meinte auch bei mir selbst, ich müsste viel zuwider tun dem Namen Jesu von Nazareth, 10 wie ich denn auch zu Jerusalem getan habe, da ich viel Heilige in das Gefängnis verschloss, darüber ich Macht von den Hohenpriestern empfing; und wenn sie erwürgt wurden, half ich das Urteil sprechen. 11 Und durch alle Synagogen peinigte ich sie oft und zwang sie zu lästern und war überaus unsinnig auf sie, verfolgte sie auch bis in die fremden Städte.

    12 Über welchem, da ich auch nach Damaskus reiste mit Macht und Befehl von den Hohenpriestern, 13 mitten am Tag, lieber König, sah ich auf dem Weg, dass ein Licht vom Himmel, heller als der Sonne Glanz, mich und die mit mir reisten, umleuchtete. 14 Da wir aber alle zur Erde niederfielen, hörte ich eine Stimme reden zu mir, die sprach auf Hebräisch: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu lecken. 15 Ich aber sprach: HERR wer bist du? Er sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst; aber stehe auf und tritt auf deine Füße. 16 Denn dazu bin ich dir erschienen, dass ich dich ordne zum Diener und Zeugen des, das du gesehen hast, und das ich dir noch will erscheinen lassen. 17 Und will dich erretten von dem Volk und von den Heiden, unter welche ich dich jetzt sende, 18 aufzutun ihre Augen, dass sie sich bekehren von der Finsternis zu dem Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott, zu empfangen Vergebung der Sünden und das Erbe samt denen, die geheiligt werden durch den Glauben an mich.

    19 Daher, lieber König Agrippa, war ich der himmlischen Erscheinung nicht ungläubig, 20 sondern verkündigte zuerst denen zu Damaskus und zu Jerusalem und in alle Gegend jüdischen Landes, auch den Heiden, dass sie Buße täten und sich bekehrten zu Gott und täten rechtschaffene Werke der Buße. 21 Um deswillen haben mich die Juden im Tempel ergriffen und unterstanden, mich zu töten. 22 Aber durch Hilfe Gottes ist es mir gelungen und stehe bis auf diesen Tag und zeuge beiden, dem Kleinen und Großen, und sage nichts außer dem, was die Propheten gesagt haben, dass es geschehen sollte, und Mose: 23  Dass Christus sollte leiden und der Erste sein aus der Auferstehung von den Toten und verkündigen ein Licht dem Volk und den Heiden.

    24 Da er aber solches zur Verantwortung gab, sprach Festus mit lauter Stimme: Paulus, du rast; die große Kunst macht dich rasend. 25 Er aber sprach: Mein teurer Festus, ich rase nicht, sondern ich rede wahre und vernünftige Worte. 26 Denn der König weiß solches wohl, zu welchem ich freudig rede; denn ich achte, ihm sei der keines nicht verborgen, denn solches ist nicht im Winkel geschehen. 27 Glaubst du, König Agrippa; den Propheten? Ich weiß, dass du glaubst. 28 Agrippa aber sprach zu Paulus: Es fehlt nicht viel, du überredest mich, dass ich ein Christ würde. 29 Paulus aber sprach: Ich wünschte vor Gott, es fehlte an viel oder an wenig, dass nicht alleine du, sondern alle, die mich heute hören, solche würden, wie ich bin, ausgenommen diese Bande.

    30 Und da er das gesagt, standen der König auf und der Landpfleger und Bernice, und die mit ihnen saßen, 31 und entwichen zur Seite, redeten miteinander und sprachen: Dieser Mensch hat nichts getan, was des Todes oder der Bande wert sei. 32 Agrippa aber sprach zu Festus: Dieser Mensch hätte können losgegeben werden, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte.

 

    Des Paulus Einleitung zu seiner Rede (V. 1-3): Obwohl Festus der Prokurator der Provinz war, überließ er Agrippa als seinem Gast und als König höflich den Rang des Vorstehers. Und Agrippas einleitende Worte zeigen, dass er die Gebote der Höflichkeit ebenso sorgfältig beachtete, denn er spricht Paulus nicht in seinem eigenen Namen an, sondern in der dritten Person: Es ist dir gestattet, für dich selbst zu sprechen. Hier wurde Paulus das Wort und das Vorrecht eingeräumt, seinen Fall so darzustellen, wie er es für richtig hielt. Und Paulus eröffnete seine Rede mit der Geste, die in so vielen antiken Statuen dargestellt ist. Er warf seinen Mantel von der rechten Schulter, den er mit der linken Hand festhielt, und streckte die rechte Hand in einer Geste aus, die Aufmerksamkeit erregte. Zu seiner Verteidigung wandte er sich zunächst direkt an König Agrippa. Er schätzte sich glücklich, dass er sich vor diesem König in Bezug auf all die Dinge, die ihm von den Juden vorgeworfen wurden, verteidigen konnte. Im Auftreten des Paulus war keine Spur von Selbstbewusstsein und Angst zu erkennen. „Wäre er sich seiner Schuld bewusst gewesen, hätte er sich davor gefürchtet, vor einem Richter, der alle Tatsachen kennt, vor Gericht gestellt zu werden; aber es ist ein Zeichen eines reinen Gewissens, sich vor einem Richter, der die Umstände genau kennt, nicht zu scheuen, sondern sich sogar zu freuen und sich glücklich zu nennen.“ (Chrysostomus.) Und Paulus freute sich umso mehr, als er wusste, dass Agrippa als langjähriger Tempelverwalter alle Sitten und Gebräuche sowie die Fragen und theoretischen Diskussionen kannte, die unter den Juden überall herrschten. Agrippa war wie alle Idumäer seit der Zeit Herodes des Großen im jüdischen Glauben erzogen worden und hatte deshalb die Aufsicht über die religiösen Angelegenheiten in Jerusalem erhalten, obwohl die Stadt ansonsten dem römischen Prokurator unterstand. Aus diesem Grund bat Paulus den König, ihn geduldig und mit aller Großzügigkeit anzuhören. Die Art und Weise, wie Paulus sich an ihn wandte, war nicht von kriecherischer Unterwürfigkeit geprägt, sondern Ausdruck eines echten Vergnügens, das wahrscheinlich zum Teil auf die Hoffnung zurückzuführen war, Agrippa für die Sache Christi zu gewinnen. Die Rede der Christen sollte stets darauf abzielen, wenn nicht direkt Bekehrte für Christus zu gewinnen, so doch zumindest seiner Sache keinen Schaden zuzufügen.

 

    Das frühe Leben und der frühere Glaube des Paulus (V. 4-8): Paulus war schon früh, zu Beginn seiner Jugendzeit, nach Jerusalem gekommen. Und seine Lebensweise, die Gewohnheiten seines Lebens, wie er sich in jeder Hinsicht verhielt: all dies, da es von Anfang seiner Ausbildung an, von seiner frühen Jugend an, inmitten seines Volkes und in Jerusalem selbst stattgefunden hatte, wussten alle Juden und waren mit ihm vertraut, denn sie kannten ihn vorher und von Anfang an. Wenn sie es bezeugen wollten, könnten sie die Wahrheit sagen, dass er in Übereinstimmung mit der strengsten Sekte, der strengsten Gruppe von Menschen in ihrer eigenen Mitte (Paulus schließt hier sich selbst und Agrippa mit den Juden ein), die Grundsätze lebte und dem religiösen Kult folgte, wie ein Pharisäer. Der Apostel weist hier darauf hin, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass er gegen das jüdische Gefühl verstoßen würde, denn ihre Bräuche waren ihm angeboren und tief verwurzelt, und zwar nach der strengsten Auslegung. Und nun, da sein ganzes Leben wie ein offenes Buch vor dem Volk lag und seine gründliche jüdische Erziehung als Argument für seine Rechtgläubigkeit diente, wurde er wegen seiner Hoffnung auf die Verheißung, die Gott den Vätern gegeben hatte, verurteilt. Dafür stand er vor dem römischen Gericht, dafür wurde er von den Juden verurteilt. Und doch hofften die zwölf Stämme Israels gemeinsam, dieselbe Verheißung zu erlangen, zu erlangen durch einen Dienst in aller Eile bei Tag und Nacht; wegen dieser Hoffnung wurde er von den Juden angeklagt, wie er dem König nachdrücklich erklärt. Das war für Paulus das Merkwürdigste an der ganzen Angelegenheit, dass die Juden so blind sein konnten, ihre eigene Lehre und ihren Glauben zu verleugnen, um ihm zu schaden. Das veranlasst ihn zu schreien: Warum haltet ihr es für unglaublich, dass Gott die Toten auferweckt? Warum sollten sie sich mit der ganzen Kraft des Unglaubens dagegen wehren, wenn Gott die Toten auferweckt? Diese verwirrte Frage könnte sich in unseren Tagen in Bezug auf diese größte Wahrheit der geoffenbarten Religion, die Tatsache, auf der die christliche Religion beruht, durchaus wiederholen. Der Widerstand der Ungläubigen führt dazu, dass sie die herrlichste Gewissheit verlieren, die dem Menschen zuteil werden kann, und wir können den Grund für ihre Hartnäckigkeit nicht erkennen.

 

    Des Paulus frühere Stellung zu Jesus (V. 9-11): Paulus bekennt hier freimütig seine Feindschaft gegen Christus und seine Gläubigen, um die Gnade, die er bei seiner Bekehrung empfangen hatte, umso deutlicher hervorzuheben. Er selbst war in jenen Tagen der Meinung gewesen, er hatte an der Überzeugung festgehalten: Es war ein Zwang, der aus seiner willentlichen Selbsttäuschung resultierte, dass er viel gegen den Namen Jesu von Nazareth tun müsse. Der Name Jesu war ihm so verhasst, dass er sich ganz der Verfolgung derer hingab, die sich zum Christentum bekannten. In jenen Tagen stand sein Eifer gegen Christus und die Kirche dem der gesamten Familie des Herodes in nichts nach: Er sah es als seine wichtigste Lebensaufgabe an, das Bekenntnis zum Namen Jesu zu verhindern und diese Idee mit Verfolgung und Tötung durchzusetzen. Dies tat er in Jerusalem, indem er viele Heilige mit der Vollmacht der Hohepriester ins Gefängnis sperrte. Man beachte, dass Paulus hier bewusst jene Menschen als Heilige bezeichnet, die er zuvor mit so unauslöschlichem Hass verfolgt hatte. Und als die Gläubigen hingerichtet wurden, stimmte er für die Hinrichtung, entweder als Mitglied des Sanhedrins, wie manche meinen, oder er sprach sich für die Maßnahme aus, wobei er seine ganze Überzeugungskraft gegen den verhassten Namen in die Waagschale warf. Seine Blutrünstigkeit begnügte sich auch nicht mit den Hinrichtungen, die er herbeiführen konnte, sondern er bestrafte sie in allen Synagogen oft, wobei er darauf achtete, keinen einzigen zu übersehen, und er zwang sie, Christus nicht nur zu leugnen und zu verleugnen, sondern sogar zu verfluchen, um ihr Leben zu retten; er unternahm den Versuch immer wieder: und es ist nur zu wahrscheinlich, dass er zumindest in einigen Fällen Erfolg hatte. Sein Hass trieb ihn schließlich bis zum äußersten Wahnsinn, bis zum Irrsinn, was die Christen betraf, allein der Gedanke an die Ausbreitung des Glaubens ließ ihn vor Wut toben, und er setzte seine Verfolgungen gegen sie auch in anderen Städten außerhalb Jerusalems fort. Er hatte also gute Gründe, sich als Gotteslästerer, Verfolger und Schädiger zu bezeichnen. 1. Tim. 1,13. Sein Beispiel ist das eines Menschen, dem die Feindschaft gegen Christus keine Ruhe lässt, weder bei Tag noch bei Nacht, und der sich genötigt sieht, dem Lauf des Evangeliums mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu schaden. Mit solchen Menschen müssen die Christen bei der Erfüllung ihrer Pflicht rechnen, und diese Tatsache darf sie nicht zu sehr beunruhigen.

 

    Paulus erzählt seine wunderbare Bekehrung (V. 12-18): Paulus erzählt hier die Geschichte seiner Bekehrung im Wesentlichen so, wie sie von Lukas, Kap. 9, und von ihm selbst in seiner Rede vor den Juden, Kap. 22. In diesem Auftrag, in dieser Angelegenheit der Feindschaft gegen Jesus, reiste er nach Damaskus, bewaffnet mit der Autorität und Macht der Hohenpriester selbst; er handelte als ihr Beauftragter, als ihr Bevollmächtigter, und hatte praktisch freie Hand, seinen Hass auf jede Art und Weise zu zeigen, die er wollte. Mitten am Tag, im klaren, hellen Licht des vollen Tages, hatte er ein Licht vom Himmel gesehen, heller und greller als die Sonne, die um ihn und die, die mit ihm reisten, schien, das sie alle in seinen blendenden Glanz einhüllte. Und als sie alle zu Boden gefallen waren, Paulus zuerst und seine Gefährten auch, nach einigen Augenblicken des stummen und starren Staunens, hatte er eine Stimme gehört, die zu ihm in hebräischer, d.h. aramäischer Sprache sprach und ihn fragte, warum er ihn verfolge, und ihm sagte, dass es ihm schwerfallen würde, gegen die Ochsen zu treten. Im Orient bestand der Ochsenbock wie heute aus einem langen Stock, an dessen Ende eine scharfe Eisenspitze befestigt war. Paulus war wie ein widerspenstiger Ochse, der, wenn er angestachelt wurde, um sich schlug und sich dadurch bei der Verfolgung der Kirche noch mehr Schmerzen zufügte; denn je schlimmer seine wahnsinnige Feindseligkeit wurde, desto weniger Befriedigung erhielt er durch die Befriedigung seiner Gier nach dem Blut der Christen. Es war eine törichte und nutzlose Anstrengung für ihn, zu versuchen, Jesus in seinen Nachfolgern zu verfolgen, „eine Anstrengung, die ihm selbst nur tiefere Wunden zufügte, eine Anstrengung, die so müßig war wie die, die der Psalmist beschreibt, Ps. 2, 3. 4.“ Auf Paulus' besorgte und ängstliche Frage nach der genauen Identität des Herrn, der zu ihm sprach, hatte er die Antwort erhalten, dass es Jesus sei, den er verfolgte. Der Herr hatte ihm daraufhin befohlen, aufzustehen und sich auf die Füße zu stellen, da er ihm zu diesem Zweck erschienen war, um ihn als einen Mann auszuwählen und einzusetzen, den die Hand Gottes aus der Mitte der Gefahren, die seine Seele bedrohten, herausgerissen hatte, um sein Diener und Zeuge der Dinge zu sein, die er gesehen hatte, sowie der Dinge, die der Herr ihm noch zeigen wollte. Dies hatte der Herr weiter erklärt, indem er ihm sagte, dass er ihn aus der Mitte seines eigenen Volkes wie auch aus der der Heiden heraushebt und rettet. Und zu letzteren sandte der Herr nun seinen Apostel, um ihre Augen zu öffnen, die in geistlichen Dingen blind waren, um sie aus der Finsternis ihrer geistlichen Blindheit und ihres Unglaubens zum Licht des Evangeliums und aus der Macht des Satans, in dessen Herrschaft sie von Natur aus gehalten wurden, zu Gott, ihrem Erlöser, zu führen, um Vergebung der Sünden und das Erbe inmitten derer zu empfangen, die durch den Glauben an den Erlöser geheiligt sind. So nennt die Heilige Schrift in diesem Abschnitt den natürlichen Menschen, was die geistlichen und göttlichen Dinge betrifft, nichts als Finsternis.[91] Der Weg des Heils, die Methode, mit der Gott die Sünder zu seiner Barmherzigkeit führt, wird hier klar und deutlich gelehrt. Durch die Verkündigung des Evangeliums werden den Sündern die Augen geöffnet, damit sie Christus, ihren Erlöser, erkennen; durch das Evangelium werden die Sünder bekehrt, damit sie sich von der Finsternis, vom Dienst der Sünde, von der Macht des Satans abwenden und sich Gott und dem Licht und dem Heil in Christus zuwenden, so dass sie alles Heidentum und den Aberglauben hinter sich lassen und nichts anderes als die Erkenntnis, die Anbetung und den Dienst des gesegneten Erlösers ihre Aufmerksamkeit erregt. Man beachte, dass der Glaube, der das Vertrauen auf die Erlösung durch Jesus bewirkt hat, den Gläubigen ganz nebenbei weiht, absondert und für den Dienst des Herrn heiligt.

 

    Wie Paulus die Arbeit gemäß seiner Berufung ausgeführt hat (V. 19-23): Die wunderbare Vision und die Worte Christi, mit denen er ihn zum Apostel berufen hatte, hatten Paulus überzeugt; aufgrund all dessen war er der himmlischen Vision nicht ungehorsam gewesen; die barmherzige Macht des Herrn hatte die Veränderung seines Herzens bewirkt und ihn willig und begierig gemacht, Botschafter des Allerhöchsten, des erhöhten Christus zu werden. Er hatte in Damaskus damit begonnen, Christus zu predigen, dass er der Sohn Gottes ist, Kap. 9,20. Er hatte kühn im Namen des Herrn Jesus in Jerusalem geredet, Kap. 9,29, und in allen Gegenden Judäas. Schließlich hatte er mindestens drei Missionsreisen in die heidnische Welt unternommen. Und überall war seine Botschaft dieselbe gewesen; es war die Botschaft des Täufers, es war die Botschaft Jesu, nämlich dass die Menschen Buße tun und sich zu Gott bekehren sollten. Zuerst kommt das Eingeständnis der Sünde und ihrer Verdammlichkeit; dann verzweifelt der Sünder an sich selbst und an all seiner Gerechtigkeit und wendet sich an Gott um Hilfe und Rettung, während er die herrliche Botschaft des Evangeliums hört; und dann kommen die Werke, die der Umkehr würdig sind, die sich am Maßstab der tatsächlichen Umkehr messen, die nichts von Schein oder Betrug an sich haben, sondern das aufrichtige Bemühen des Christen verkörpern, dem Evangelium Jesu Christi würdig zu sein. Aus diesen Gründen, weil Paulus das Evangelium in seiner ganzen glorreichen Reinheit verkündete, hatten die Juden ihn im Tempel ergriffen und gewaltsam zu töten versucht. Alle anderen Punkte, die sie behauptet hatten, waren zum Teil reine Erfindung und zum Teil Verdrehung der Wahrheit, um dem Lauf des Evangeliums zu schaden. Das Gleiche geschieht in unseren Tagen, wenn die Feinde Christi Vorwände erfinden, um die Verkündigung der Wahrheit zu unterdrücken. Paulus aber hatte das Glück, von Gott Hilfe zu erhalten, und so blieb er bis zu jenem Tag standhaft, indem er vor den Kleinen und Großen Zeugnis ablegte, keinen Unterschied zwischen den Personen machte und nichts anderes sagte als das, was die Propheten wörtlich gesagt hatten, dass es geschehen sollte, und auch Mose. Die Botschaft des Neuen Testaments unterscheidet sich nicht wesentlich von der des Alten Testaments; die Gläubigen der Zeit vor Christus hatten die Prophezeiungen des Heils, das im Messias kommen sollte; die Gläubigen seit seiner Zeit blicken zurück auf das Heil, wie es durch Christi Geburt, Leben, Tod und Auferstehung erlangt worden ist, und vertrauen darauf. Was Mose und die Propheten gepredigt haben, die große zentrale Lehre des Christentums, das Heil durch den Glauben an Jesus, das ist das Thema der christlichen Verkündigung bis ans Ende der Zeiten: dass Christus nach dem Willen und Ratschluss Gottes leiden musste, dass er als erster von den Toten auferstanden ist, dass er dazu bestimmt war, als Licht die Segnungen zu verkünden, die Botschaft des Lichts allen Menschen zu bringen, auch den Heiden, den Juden und den Heiden gleichermaßen. Wie üblich bestand Paulus darauf, dass die Identität des Messias mit Jesus von Nazareth nicht nur durch sein Leiden, wie vorhergesagt, sondern auch durch seine Auferstehung und durch die Kraft, die die Botschaft dieser Auferstehung ausübte, um die Segnungen des geistigen und ewigen Lichts in die Herzen der Menschen zu bringen, bewiesen wurde.

 

    Des Paulus größter Wunsch (V. 24-29): Paulus hatte in aller Einfachheit und Wahrhaftigkeit gesprochen, ohne den Versuch einer rhetorischen Wirkung, nur einer seiner Sätze hatte die Kraft einer rhetorischen Phase. Aber seine Ernsthaftigkeit und die Überzeugung, mit der er seinen Fall vortrug, konnten nicht ohne Einfluss auf seine Zuhörer bleiben. Und fast unwillkürlich unterbrach Festus, mitgerissen von der Wucht der Argumentation, Paulus mit dem Ausruf: Du bist nicht bei Sinnen. Die verblüffenden Ankündigungen, die Paulus über die Auferstehung Jesu und die Kraft seines Wortes gemacht hatte, veranlassten den heidnischen Statthalter zu der Vermutung, dass er wahnsinnig sein müsse, dass er sich nicht bewusst sein könne, was er da sage. Festus glaubte, dass viel Weisheit, große Gelehrsamkeit, den Gefangenen zu vorübergehendem Wahnsinn verleitet hatte. Vielleicht bezog er sich nur auf die große Gelehrsamkeit, die Paulus gerade an den Tag gelegt hatte, oder er schloss dies aus der großen Zahl von Büchern, die Paulus bei sich hatte. All dies, so glaubte er, habe den Gefangenen in den Wahnsinn getrieben. Aber Paulus, der ihn mit dem ehrenwerten Festus, Euer Exzellenz, ansprach, sagte ihm ruhig, dass er nicht verrückt sei, sondern Worte der Wahrheit und Nüchternheit spreche. Nach dem Urteil der blinden Kinder dieser Welt gilt der Glaube der Christen und ihre ruhige Fröhlichkeit bis heute als Wahnsinn und als Beweis dafür, dass sie unmöglich bei klarem Verstand sein können. Diejenigen aber, die so reden, haben nicht die leiseste Ahnung von dem, was das Christentum ist, und auch nicht von seiner ruhigen, überzeugenden Wahrheit. Zur Bestätigung dieser Tatsache wandte sich Paulus an König Agrippa und erklärte, dieser habe das richtige Verständnis für diese Dinge, und deshalb habe Paulus auch mit so fröhlicher Offenheit zu ihm gesprochen. Agrippa wusste, dass die Worte des Paulus nüchtern und fundiert waren und auf Tatsachen beruhten. Ein Christ war der König nicht, aber für die Wahrheit der Geschichte würde er sicher einstehen, und der Apostel war fest davon überzeugt, dass ihm nichts von diesen Dingen verborgen war, denn die ganze Bewegung, die Einführung der christlichen Religion, war nicht in einer Ecke, verborgen vor den Augen der Welt, geschehen, sondern es war eine Bewegung, von der jeder im ganzen Land wissen konnte und gehört haben musste. Paulus argumentiert hier, wie es Jesus vor ihm getan hatte, Joh. 18,21, und verweist darauf, dass die Botschaft des Evangeliums ohne den geringsten Versuch der Geheimhaltung verkündet worden war. Und die Kühnheit des Paulus, die er während seiner ganzen Rede an den Tag gelegt hatte, veranlasst ihn nun auch, sich offen an Ring Agrippa zu wenden und ihn direkt zu fragen: Glaubst du. König Agrippa: die Propheten? Ich weiß, dass du glaubst. Diese Frage sollte die Worte des Paulus weiter untermauern; denn auch wenn Festus seine Worte nicht als Aussagen von Wahrheit und Nüchternheit betrachten konnte. Agrippa konnte ihnen gegenüber nicht gleichgültig sein, da sie sich auf die Propheten stützten und Agrippa als Jude die Bücher des Alten Testaments zumindest nominell akzeptierte und seinen Glauben auf sie stützte. Es war ein eindringlicher Appell, der auf Herz und Verstand des Königs hätte wirken müssen. Agrippa ließ sich jedoch nicht beugen, sondern erwiderte: Mit wenig Überredung willst du mich zum Christen machen? Damit wollte er entweder mit Ironie oder mit kalter Gleichgültigkeit zu verstehen geben, dass er nicht so einfach zum Christen gemacht werden konnte. Er wollte ein stärkeres Argument als einen bloßen Appell an seinen Glauben, um ihn dazu zu bewegen, Christ zu werden. Der sarkastische Ton der Antwort schüchterte Paulus jedoch nicht ein. Mit der gleichen heiteren Kühnheit wie zuvor spricht er seinen ehrlichen Wunsch aus: Er hoffe zu Gott, dass nicht nur Agrippa, sondern alle, die ihn an jenem Tag hörten, wie er selbst Christen werden würden, ohne jedoch die schändlichen Zeichen der Gefangenschaft, die Fesseln, die ihn gefangen hielten, tragen zu müssen. So ließ sich auch der Apostel, der so rührend von der Liebe predigte (1. Kor 13), nicht leicht reizen und nahm keine Rücksicht auf das Böse. Ebenso müssen alle Diener des Herrn darauf bedacht sein, sich durch die versteckten oder offenen Spötteleien der Ungläubigen weder entmutigen noch reizen zu lassen, sondern weiterhin von Christus zu zeugen und alle Menschen einzuladen, die Botschaft des Evangeliums anzunehmen und Christen zu werden.

 

    Das Ende der Anhörung (V. 30-32): Nachdem Paulus seinen letzten Appell vorgetragen hatte, erhob sich der König und gab damit zu verstehen, dass er die Verhandlung für beendet erklärte, woraufhin der Statthalter, Bernice und die übrigen geladenen Gäste den Saal verließen. Nachdem sie den Saal verlassen hatten, zogen sie sich in ein anderes Gemach zurück, um ihre Gedanken auszutauschen. Und alle waren sich einig, dass dieser Mann, Paulus, nichts getan hatte, was den Tod oder eine Gefängnisstrafe verdiente. Das hatte ihnen zumindest die offene und furchtlose Rede des Paulus gezeigt. Und wenn Agrippa sich auch nicht für das Christentum gewinnen ließ, so fühlte er sich doch verpflichtet, Festus mitzuteilen, dass dieser Mann freigelassen werden könnte, wenn er nicht an Cäsar appelliert hätte. Aber die Berufung war nun erfolgt und angenommen worden, und Paulus musste nach Rom geschickt werden. Sehr wahrscheinlich beeinflusste diese von Agrippa abgegebene Stellungnahme das Schreiben, das Festus in dieser Angelegenheit an den kaiserlichen Hof richtete, und kann somit die Behandlung von Paulus bei seiner Ankunft in der Hauptstadt erklären. Anmerkung: In all diesen Tatsachen, wie sie hier dargestellt werden, ist die lenkende Hand des erhabenen Christus, des Hauptes seiner Kirche, deutlich zu erkennen: Er wollte, dass Paulus nach Rom kommt, aber er schützte ihn auch vor allem Unheil.

 

Zusammenfassung: Paulus hält bei der Anhörung vor König Agrippa eine Verteidigungsrede, die diesen veranlasst, zu erklären, dass er aller Verbrechen unschuldig ist und dass nur seine Berufung der Grund dafür ist, dass er nach Rom geschickt wurde.

 

 

Kapitel 27

 

Die Reise von Cäsarea nach Malta (27,1-44)

    1 Da es aber beschlossen war, dass wir nach Italien schiffen sollten, übergaben sie Paulus und etliche andere Gefangene dem Unterhauptmann mit Namen Julius von der kaiserlichen Schar. 2 Da wir aber in ein adramyttisch Schiff traten, dass wir an Asien hin segeln sollten, fuhren wir vom Land; und es war mit uns Aristarchus aus Mazedonien von Thessalonich. 3 Und wir kamen am nächsten Tag in Sidon an. Und Julius hielt sich freundlich gegen Paulus, erlaubte ihm, zu seinen guten Freunden zu gehen und seiner zu pflegen: 4 Und von dort stießen wir ab und schifften unter Zypern hin, darum dass uns die Winde entgegen waren. 5 Und wir überquerten das Meer in Richtung Zilizien und Pamphylien und kamen nach Myra in Lyzien. 6 Und dort fand der Unterhauptmann ein Schiff von Alexandrien; das schiffte nach Italien und lud uns darauf. 7 Da wir aber langsam schifften und in vielen Tagen kaum gegen Knidus kamen (denn der Wind wehrte uns), schifften wir unter Kreta hin nach der Stadt Salmone. 8 Und zogen kaum vorüber, da kamen wir an eine Stätte, die da heißt Guthafen; dabei war nahe die Stadt Lasäa.

    9 Da nun viel Zeit vergangen war, und es nunmehr gefährlich war zu schiffen, darum dass auch das Fasten schon vorüber war, ermahnte sie Paulus 10 und sprach zu ihnen: Liebe Männer, ich sehe, dass die Schiffahrt will mit Leid und großem Schaden abgehen, nicht allein der Last und des Schiffes, sondern auch unseres Lebens. 11 Aber der Unterhauptmann glaubte dem Schiffsherrn und dem Schiffsmann mehr als dem, was Paulus sagte. 12 Und da die Anfurt ungelegen war zu wintern, bestand der größere Teil von ihnen auf dem Rat, von dort zu fahren, ob sie könnten kommen nach Phönix, um zu wintern, welches ist eine Anfurt an Kreta, gegen den Wind Südwest und Nordwest. 13 Da aber der Südwind wehte, und sie meinten, sie hätten nun ihr Vornehmen, erhoben sie sich nach Assos und fuhren an Kreta hin.

    14 Nicht lange aber danach erhob sich gegen ihr Vornehmen eine Windsbraut, die man nennt Nordost. 15 Und da das Schiff ergriffen wurde und konnte sich nicht gegen den Wind richten, gaben wir’s dahin und schwebten so. 16 Wir kamen aber an eine Insel, die heißt Klauda; da konnten wir kaum einen Kahn ergreifen. 17 Den nahmen wir hoch mit Hilfsmitteln und banden ihn unten an das Schiff; denn wir fürchteten, es möchte in die Syrte fallen, und ließen das Gefäß hinunter und fuhren so. 18 Und da wir großes Unwetter erlitten hatten, da taten sie am nächsten Tag einen Auswurf. 19 Und am dritten Tag warfen wir mit unseren Händen aus die Bereitschaft im Schiff. 20 Da aber in vielen Tagen weder Sonne noch Gestirn erschien, und nicht ein kleines Unwetter uns entgegen war, war alle Hoffnung unseres Lebens dahin.

    21 Und da man lange nicht gegessen hatte, trat Paulus mitten unter sie und sprach: Liebe Männer, man sollte mir gehorcht haben und nicht von Kreta aufgebrochen sein und uns dieses Leides und Schadens überhoben haben. 22 Und nun ermahne ich euch, dass ihr unverzagt seid; denn kein Leben aus uns wird umkommen, nur das Schiff. 23 Denn diese Nacht ist bei mir gestanden der Engel des Gottes, des ich bin und dem ich diene, 24 und sprach: Fürchte dich nicht, Paulus; du musst vor den Kaiser gestellt werden; und siehe, Gott hat dir geschenkt alle, die mit dir schiffen. 25 Darum, liebe Männer, seid unverzagt; denn ich glaube Gott, es wird so geschehen, wie mir gesagt ist. 26 Wir müssen aber anfahren an eine Insel.

    27 Da aber die vierzehnte Nacht kam, und wir in Adria fuhren um die Mitternacht, wähnten die Schiffsleute, sie kämen etwa an ein Land. 28 Und sie senkten den Bleiwurf ein und fanden zwanzig Klafter tief. Und über ein wenig von dannen senkten sie abermals und fanden fünfzehn Klafter. 29 Da fürchteten sie sich, sie würden an harte Orte anstoßen, und warfen hinten vom Schiff vier Anker und wünschten, dass es Tag würde. 30 Da aber die Schiffsleute die Flucht suchten aus dem Schiffe und den Kahn niederließen in das Meer und gaben vor, sie wollten die Anker vorn aus dem Schiffe lassen, 31 sprach Paulus zu dem Unterhauptmann und zu den Kriegsknechten: Wenn diese nicht im Schiff bleiben, so könnt ihr nicht beim Leben bleiben. 32 Da hieben die Kriegsknechte die Stricke ab von dem Kahn und ließen ihn fallen.

    33 Und da es anfing, licht zu werden, ermahnte sie Paulus alle, dass sie Speise nähmen, und sprach: Es ist heute der vierzehnte Tag, dass ihr wartet und ohne zu essen geblieben seid und habt nichts zu euch genommen. 34 Darum ermahne ich euch, Speise zu nehmen, euch zu laben; denn es wird euer keinem ein Haar von dem Haupt entfallen. 35 Und da er das gesagt, nahm er das Brot, dankte Gott vor ihnen allen und brach’s und fing an zu essen. 36 Da wurden sie alle guten Muts und nahmen auch Speise. 37 Unser waren aber alle zusammen im Schiff zweihundert und sechsundsiebzig Seelen. 38 Und da sie satt wurden, erleichterten sie das Schiff und warfen das Getreide in das Meer.

    39 Da es aber Tag wurde, kannten sie das Land nicht. Einer Anfurt aber wurden sie gewahr, die hatte ein Ufer; dahin wollten sie das Schiff treiben, wenn es möglich wäre. 40 Und da sie die Anker aufgehoben, überließen sie sich dem Meer und lösten die Ruderbande auf und richteten den Segelbaum nach dem Wind und trachteten nach dem Ufer. 41 Und da wir fuhren an einen Ort, der auf beiden Seiten Meer hatte, stieß sich das Schiff an, und das Vorderteil blieb fest stehen unbeweglich; aber das Hinterteil zerbrach von der Gewalt der Wellen. 42 Die Kriegsknechte aber hatten einen Rat, die Gefangenen zu töten, dass nicht jemand, so herausschwömme, entflöhe. 43 Aber der Unterhauptmann wollte Paulus erhalten und wehrte ihrem Vornehmen und hieß, die da schwimmen könnten, sich zuerst in das Meer lassen und entrinnen an das Land, 44 die andern aber, etliche auf den Brettern, etliche auf dem, was vom Schiff war. Und so geschah es, dass sie alle erhalten ans Land kamen.

 

    Von Cäsarea nach Guthafen (V. 1-8): Die Anhörung vor Agrippa, die sowohl ihm als auch Festus die Überzeugung vermittelte, dass. Die Anhörung vor Agrippa, die sowohl ihm als auch Festus die Überzeugung vermittelte, dass Paulus unschuldig an den Vergehen gegen das Reich war, hatte ein gutes Ergebnis: Sie beendete die Ungewissheit der Gefangenschaft in Cäsarea. Es wurde beschlossen, dass die Reise nach Italien, für die mehrere Wege offen standen, ausschließlich auf dem Seeweg erfolgen sollte. Lukas schloss sich hier, wie der Text zeigt, wieder der Gesellschaft des Paulus an. Wahrscheinlich hatte er in den zwei Jahren dazwischen das Material gesammelt, das er später unter der Führung des Heiligen Geistes in seinem Evangelium verwendete. Paulus und einige andere Gefangene wurden in die Obhut eines Zenturios namens Julius übergeben, eines Offiziers der kaiserlichen Garde oder Kohorte, einer Truppe von Soldaten, die den Namen des Kaisers trug und wahrscheinlich für vertrauliche Geschäfte zwischen Rom und den Provinzen eingesetzt wurde. Da sie es etwas eilig hatten, warteten sie nicht auf die Ankunft eines großen Schiffes, sondern schifften sich in einem Schiff aus Adramyttium ein, d. h. aus dem Hafen von Adramyttium, einem Hafen an der Küste von Mysien, nicht weit von Troas entfernt. Es handelte sich um ein Segelschiff, das im lokalen Frachtverkehr eingesetzt wurde und zu den kleinasiatischen Häfen unterwegs war. Julius hatte die Absicht, nach einem größeren Schiff Ausschau zu halten, das direkt nach Italien fahren würde. Eine Erwartung, die kaum unerfüllt bleiben konnte. Paulus hatte nicht nur Lukas als Begleiter, sondern auch Aristarchus aus Thessalonich, einen der Männer, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren, Kap. 20,4. Die Tatsache, dass dieser Mann später als Mitgefangener des Paulus bezeichnet wird, Kol. 4,10, spricht nicht dafür, dass er die Reise mit Paulus in dieser Eigenschaft gemacht hat. Die Chancen dafür stehen gut. Lukas hätte die Tatsache, dass er ein Gefangener war, erwähnt, wenn dies sein damaliger Zustand gewesen wäre. Am nächsten Tag hatte das Schiff eine Strecke von fast siebzig Meilen entlang der Küste zurückgelegt und legte in Sidon an, der ehemaligen Hauptstadt von Phönizien, die als Handelsmetropole von Tyrus abgelöst wurde. Hier gab Julius den ersten Beweis für den Respekt und die Freundlichkeit, die er Paulus während der gesamten Reise entgegenbrachte: Er behandelte ihn freundlich, nachdem er wahrscheinlich von Festus entsprechende Anweisungen erhalten hatte und selbst von der Persönlichkeit und dem Verhalten des Paulus beeindruckt war. Wahrscheinlich erhielt der Apostel zusammen mit dem Soldaten, an den er gefesselt war, die Erlaubnis, zu seinen Freunden in der Stadt, den Brüdern der dortigen Gemeinde, zu gehen und ihre Fürsorge in Anspruch zu nehmen. Er brauchte vielleicht nicht unbedingt ärztliche Hilfe, aber die freundlichen Worte seiner Mitchristen in dieser Zeit waren für Paulus zweifellos mehr wert als jede bloße Unterhaltung zu seinem Nutzen. Nachdem die Geschäfte des Schiffskapitäns in diesem Hafen abgeschlossen waren, stachen sie von dort aus in See und segelten unter Zypern entlang, im Windschatten dieser großen Insel im östlichen Mittelmeer. Dies machte es erforderlich, dass das Schiff um die lange Halbinsel herumfuhr, die sich nach Syrien hin erstreckt, anstatt das Mittelmeer südlich der Insel zu durchqueren. Doch die Winde waren ungünstig. Nachdem das Schiff die nordöstliche Spitze Zyperns umrundet hatte, schlich es sich langsam von Punkt zu Punkt an der Küste Ziliziens und Pamphyliens entlang, „wobei es, wenn möglich, die örtlichen Landwinde nutzte und die Strömung, die an der Südküste ständig nach Westen lief“. auf diese Weise erreichten sie den Hafen von Myra an der Südküste Lykiens, einen der großen Häfen im Getreidehandel zwischen Ägypten und Rom. Der Hauptmann fand hier ein Schiff aus Alexandria in Ägypten, offenbar ein Getreideschiff, das nach Italien unterwegs war, und er brachte seine Gefangenen und ihre Freunde auf dieses größere Handelsschiff, setzte sie an Bord und war überzeugt, dass der Rest der Reise nun leicht zu bewältigen sei. Doch mehrere Tage lang kamen sie nur langsam voran und erreichten nur unter großen Schwierigkeiten einen Punkt vor Knidus, einer Stadt an der Küste Kariens, in die sie nicht einfahren konnten. Da der Wind ihr Vorankommen in der Ägäis immer noch behinderte, wendeten sie sich nach Süden, um den Kurs im Windschatten der Insel Kreta zu versuchen, die sie vor dem Kap Salmone an der Ostspitze erreichten. Und auch hier segelten sie nur mit Mühe an der Südseite der Insel entlang, bis sie einen bestimmten Ort erreichten, der Fair Havens genannt wurde und sich etwa in der Mitte der Südküste befand; in der Nähe lag die Stadt Lasea. Da sie im Spätsommer oder Frühherbst des Jahres 59 oder 60 von Cäsarea aus aufgebrochen waren, nahte nun der Winter, und die Schifffahrt wurde gefährlich.

 

    Abfahrt von Guthafen (V. 9-13): Aufgrund der ungünstigen Winde und des extrem langsamen Vorankommens war die Jahreszeit schon sehr weit fortgeschritten, und die Schifffahrt war lebensgefährlich geworden. Der große Fasttag des jüdischen Kalenders, der Versöhnungstag, der am zehnten Tischri (entspricht in etwa unserem Oktober) begangen wurde, war bereits vorbei. Damals hörte die Schifffahrt mit dem Einsetzen der stürmischen Jahreszeit auf und wurde erst im Frühjahr wieder aufgenommen. Paulus mahnte daher, sei es aus eigener Initiative oder auf Bitten des Hauptmanns, dass die Reise, soweit er es erkennen konnte, nur mit großem Schaden und viel Unheil, nicht nur für die Ladung und das Schiff, sondern auch für ihr eigenes Leben, weitergehen würde. Die Elemente, vor allem die Heftigkeit des Sturms, würden ihnen und dem Schiff sicher Schaden zufügen, und das Ereignis rechtfertigte den Rat des Paulus voll und ganz. Aber der Hauptmann ließ sich eher von dem Kapitän und dem Besitzer des Schiffes überzeugen als von dem, was Paulus sagen konnte. Einigen Auslegern zufolge handelte es sich bei den beiden Männern um den Lotsen und den Kapitän des Schiffes, und ihr Interesse, sich dem Rat des Paulus zu widersetzen, beruhte auf geldgierigen Motiven, denn der Proviant wurde in Rom sehnlichst erwartet, und der Unterhalt einer großen Mannschaft während eines langen Aufenthalts in Fair Havens war ein erheblicher Posten. Hinzu kam, dass der Hafen für die Überwinterung nicht geeignet war, nicht so sehr aus nautischen Gründen, sondern aus dem Grund, dass es in der Nähe keine große Stadt gab und die Seeleute unter dem Mangel an einer geeigneten Beschäftigung leiden würden. So schlug die Mehrheit schließlich vor, von dort aus in See zu stechen, mit der Absicht, in Phoenix zu überwintern, einem Hafen Kretas, der nach Südwesten und Nordwesten ausgerichtet war. Das Wetter schien sie in ihrer Meinung zu bestärken, denn anstelle des unangenehmen und entgegengesetzten Windes aus dem Westen begann eine mäßige Brise aus dem Süden zu wehen, die ihrer Absicht, etwa sechzig Meilen an der Küste entlang zu fahren, durchaus förderlich erschien. In der Überzeugung, ihr Vorhaben verwirklichen zu können, lichteten sie den Anker und segelten an Kreta entlang nach Westen, noch näher an der Küste als zuvor, um die Küste zu umschiffen. Es war ein gefährliches Unterfangen, aber sie waren bereit, es zu riskieren, so wie heute viele Menschen Leib und Leben tausendfach aufs Spiel setzen, um ein paar Dollar zu gewinnen.

 

    Die Stürme (V. 14-20): Die sanfte Brise scheint nur eine Flaute gewesen zu sein, während sich der Sturm verlagerte, denn nicht lange nachdem sie von Fair Havens aufgebrochen waren und wahrscheinlich noch bevor sie das Kap umrundet hatten, wo ihr Kurs auf Nordwest drehte, schlug ein stürmischer Wind, ein Orkan, von Kreta und seinen Bergen herab. Sein Name wird mit Euroclydon oder Ost-Nordost angegeben, der heute als „Levanter“ bekannt ist, und seine Kraft war so stark, nachdem das Schiff von ihm erfasst worden war, dass es unmöglich war, sich dem Wind zu stellen. Also gaben die Seeleute dem Wind nach, überließen das Schiff der Gnade des Orkans und ließen sich treiben. Stetig wurden sie nach Südwesten getrieben, bis sie in den Windschatten einer kleinen Insel namens Clauda gerieten. Hier war die Wucht des Sturms nicht ganz so groß wie auf offener See, und so konnten die Matrosen drei Vorsichtsmaßnahmen treffen. Mit einiger Mühe gelang es ihnen, das Boot oder Skiff zu erreichen, das normalerweise am Heck schwamm, jetzt aber Gefahr lief, gegen die Seiten des Schiffes geschleudert zu werden, und das sie an Deck hievten. Als Nächstes untermauerten sie das Schiff, indem sie Seile um den Rumpf legten, was in diesem Fall zweifellos der längere Weg war, um die gesamte Beplankung des Schiffes zu sichern und die Kraft der Wellen zu brechen. Und schließlich, da die Seeleute befürchteten, in die gefürchtete Syrte, die großen Treibsandbänke nahe der afrikanischen Küste, getrieben zu werden, senkten sie die Ausrüstung, die Takelage der Segel, oder setzten sie so, dass sie dem Wind den geringstmöglichen Widerstand bot, und wurden so getrieben. Ihre Vorsichtsmaßnahmen scheinen zumindest so viel Wirkung gezeigt zu haben, dass der Kurs des Schiffes von Südwest auf West geändert wurde. Am nächsten Tag tobte der Sturm mit unverminderter Heftigkeit, und da sie durch den Sturm hin und her geworfen wurden und große Not litten, warfen sie die Ladung oder die losen Teile davon über Bord. Am dritten Tag warfen sie die Takelage und das Takelwerk des Schiffes mit allen Spieren und Tauwerk über Bord. Das Leid und die Not aller Männer an Bord wurde noch dadurch vergrößert, dass sie sich bei der Steuerung des Schiffes auf die Sterne verlassen mussten, und da nun tagelang weder Sonne noch Sterne zu sehen waren und der Sturm mit unverminderter Kraft wütete, gaben sie schließlich jede Hoffnung auf Rettung auf. Das war das Ergebnis einer unbedarften Gefahr, einer reinen Anmaßung.

 

    Paulus tröstet die Schiffsbesatzung und Passagiere (V. 21-26): Vierzehn Tage und Nächte lang wurde das Schiff von den Wellen des Mittelmeers wie eine Nussschale hin- und hergeworfen, und während dieser Zeit waren Besatzung und Passagiere in zu großer Bedrängnis, um an Essen zu denken; sie enthielten sich völlig. Als aber Paulus an einem dieser Tage in ihre Mitte trat und vor sie hintrat, waren sie bereit, mit größerem Respekt auf einen zu hören, dessen Urteilsvermögen gesünder war als das der meisten, wenn nicht aller von ihnen. Ohne die geringste Spur von Bosheit in seiner Haltung, sondern mit der Offenheit, die ihn stets auszeichnete, sagte Paulus ihnen, sie hätten sich von ihm überreden lassen und nicht von Kreta aus in See stechen sollen. Wenn sie nicht in See gestochen wären, wie er es ihnen geraten hatte, hätten sie diesen Verlust nicht erlitten, sondern sich sowohl Not als auch Schaden oder Verlust von Eigentum erspart. Nun aber ermahnte er sie eindringlich, guten Mutes zu sein, da keiner von ihnen sein Leben verlieren würde, es sei denn, es wäre das des Schiffes. Das Schiff würde sich bei den kommenden Ereignissen als Totalverlust erweisen, aber alle Menschenleben würden verschont bleiben. Und diese Ermahnung stützt Paulus durch eine Vision oder einen Traum. In der gerade zu Ende gegangenen Nacht war der Engel des Herrn, dessen Eigentum er war und dem er diente, bei ihm gestanden und hatte ihm gesagt, er solle sich nicht fürchten, denn es müsse geschehen, dass er vor Cäsar gestellt und vor dem Kaiser angeklagt werde, und Gott habe ihm das Leben aller, die mit ihm segelten, geschenkt. Sie waren sein Geschenk, eine Gabe Gottes, mit dem Hinweis, dass sie ohne diese Gabe alle umkommen würden. Und so ermahnt Paulus die Männer erneut, guten Mutes zu sein, denn er hatte absolutes Vertrauen in die Worte Gottes, dass die Dinge genau so eintreffen würden, wie es ihm gesagt worden war. Und im Geiste der Prophezeiung fügt der Apostel hinzu: Auf einer bestimmten Insel aber sollen wir gestrandet sein. Das war nicht Teil der Botschaft des Engels an ihn, sondern er hatte diese Information durch den Geist Gottes. Beachte: Jeder wahre Christ betrachtet sich als dem Herrn zugehörig, als sein Eigentum; und jeder Christ verbringt sein Leben im Dienst seines Herrn, so wie Paulus es tat. Beachte auch: Gott verschont oft die Ungläubigen und Spötter um der Christen willen, die dann das Werk des Herrn mit doppelter Kraft verrichten sollen.

 

    Land in Sicht (V. 27-32): Um diese Zeit wurde das Schiff, ein bloßer Spielball der Wellen, in der Adria, im Ionischen Meer zwischen Sizilien und Griechenland, hin und her geworfen und in einer gleichmäßigen, kontinuierlichen Bewegung nach Westen getrieben, und die vierzehnte Nacht war über sie hereingebrochen. Es war etwa mitten in der Nacht, als die Seeleute vermuteten, nicht weil sie in der dichten Dunkelheit etwas erkennen konnten, sondern weil das Geräusch der Wellen, das Rollen der Brandung, darauf hinzudeuten schien, dass dasselbe Land sich ihnen näherte, so wie es einem Reisenden vom Deck eines Schiffes aus erscheint. Sie sondierten also schnell und fanden eine Tiefe von zwanzig Faden (ein Faden sind sechs Fuß); nachdem sie aber noch ein wenig weiter gefahren waren und den Peilstab erneut ausgeworfen hatten, maßen sie fünfzehn Faden. Die Schlussfolgerung, die sie aus diesen Peilungen zogen, ließ die Besatzung und die Passagiere befürchten, dass sie auf felsigen Grund stoßen würden, entweder an der Küste oder auf untergetauchte Riffe. Also ließen sie vier Anker am Heck des Schiffes aus und wünschten sich von Herzen, dass der Tag anbrechen möge. Das Ankern vom Heck aus, ohne zu wissen, was einige Meter von ihnen entfernt war, ermöglichte es den Matrosen, das Schiff viel leichter zu steuern und es unter Kontrolle zu halten, falls es sich als machbar erweisen sollte, es am Morgen an Land zu bringen. Paul war an Deck, ebenso wie die meisten Passagiere, und so konnte er einen heimtückischen Plan der Besatzung vereiteln. Denn die Matrosen wollten unbedingt vom Schiff fliehen und Soldaten, Passagiere und Gefangene ihrem Schicksal überlassen; sie ließen das kleine Boot ins Meer hinab, mit der Begründung, sie wollten auch die Anker am Bug des Schiffes auswerfen. Sie taten so, als müssten sie die Anker über die gesamte Kabellänge auswerfen. Doch Paulus bemerkte ihre Täuschung und sagte dem Hauptmann und den Soldaten, dass sie nicht alle gerettet werden könnten, wenn diese Männer nicht im Schiff blieben. Die Soldaten machten daraufhin kurzen Prozess mit ihm. Sie kappten einfach die Seile, die das Boot hielten, und ließen es hinunterfallen, woraufhin die Wellen das Boot mit sich rissen. Auf diese Weise rettete Paulus erneut das Leben aller Menschen auf dem Schiff, denn es lag auf der Hand, dass weder die Soldaten noch die Passagiere in der Lage sein würden, das Schiff in einer Notlage wie dieser zu steuern. Ein Christ wird immer das Wohl aller Menschen im Auge haben und sie, soweit es in seiner Macht steht, in jeder körperlichen Not beraten, ihnen helfen und sie beschützen.

 

    Paulus ermutigt die anderen Schiffsinsassen (V. 33-38): Dass die Ereignisse der letzten zwei Wochen, die schrecklichen Stöße von Wind und Wellen, die ständige Todesgefahr, die Abwesenheit von Sonne und Sternen, auf alle Männer an Bord eine demoralisierende Wirkung gehabt hatten, ist leicht zu verstehen. Trotz der aufmunternden und beruhigenden Worte von Paulus auf dem Höhepunkt des Sturms hatte die Belastung weder der Besatzung noch den Passagieren erlaubt zu essen. Der Mann mit der größten Gelassenheit und Selbstbeherrschung auf dem ganzen Schiff war der Apostel; er war jetzt mit Leichtigkeit der führende Geist in der gesamten Schiffsgesellschaft. Seit etwa Mitternacht hatte das Schiff an seinen Ankern gezerrt, in ständiger Gefahr, dass eine ungewöhnlich schwere See die Taue lösen und alle auf die felsigen Riffe werfen könnte. Und nun kam endlich die späte Morgendämmerung eines tiefliegenden Novembertages. Aber gerade als der Tag anbrechen sollte. Paulus forderte alle Männer an Bord eindringlich auf, etwas zu essen, und erinnerte sie daran, dass es nun schon der vierzehnte Tag war, seit sie auf der Wache waren, um nach Hilfe und Rettung Ausschau zu halten, und dass sie während dieser ganzen Zeit ohne Nahrung gewesen waren und nichts gegessen hatten, keine regelmäßige Mahlzeit eingenommen hatten. Ab und zu hatte einer von ihnen vielleicht einen hastigen Bissen zu sich genommen, aber nicht genug, um für einen Notfall genügend Kraft zu haben. „Paulus schlägt der ganzen Gesellschaft vor, Nahrung zu sich zu nehmen, um sich für die Flucht vom Schiff zu stärken. Dies war eine weise und notwendige Maßnahme. Sie wurde Paulus durch die Situation aufgezwungen; aber er war der einzige, der genügend Gelassenheit und Mut bewahrte, um an die Vorbereitung für die unmittelbare Zukunft zu denken.“[92] Paulus bittet sie also, etwas zu essen zu nehmen und eine gute Mahlzeit daraus zu machen, da dies für ihre Sicherheit und für das Werk, das sie verrichten müssten, um aus ihrer gegenwärtigen Gefahr befreit zu werden, notwendig sei. Und er versichert ihnen erneut, dass kein einziges Haar auf ihrem Haupt umkommen würde; sie würden weder ihr Leben verlieren noch an ihrem Körper ernsthaft verletzt werden. Nach diesen Worten ging Paulus selbst mit gutem Beispiel voran: Er nahm etwas Brot, dankte Gott vor allen und brach das Brot und begann zu essen. Man beachte, dass Paulus selbst in der größten Gefahr nicht versäumte, das Tischgebet zu sprechen und Gott zu danken, der für die Nahrung gesorgt hatte; auch die Anwesenheit von Heiden hinderte ihn nicht daran, in dieser Hinsicht seiner Gewohnheit zu folgen. Der Mut des Paulus war ansteckend, denn nun war die ganze Gesellschaft guten Mutes; alle Männer an Bord fühlten das Bedürfnis, mehr Vertrauen und Mannhaftigkeit zu zeigen, und so nahmen sie auch selbst etwas Fleisch zu sich, nahmen an der Nahrung teil, eine große Zahl, wie Lukas bemerkt, insgesamt zweihundertsechsundsiebzig Seelen: sie alle waren von seinem Vertrauen beseelt. Als sie dann zu ihrer Zufriedenheit gegessen hatten und jeder eine volle Mahlzeit zu sich genommen hatte, wurden sie so ruhig und stark, dass sie anschließend das Schiff erleichterten, indem sie das Getreide, das einen großen Teil der Ladung ausgemacht zu haben scheint, ins Meer warfen. Der Zweck war, das Schiff so hoch wie möglich im Wasser fahren zu lassen und so den Tiefgang zu verringern, um es über Ufer und Untiefen zu heben und es so nah wie möglich an das Land zu bringen. Anmerkung: Es ist immer zum Vorteil und Nutzen der Kinder dieser Welt, wenn Christen in ihrer Mitte leben. Mehr als einmal haben der Rat und die Gebete der Christen in Tagen großer Gefahr und Bedrängnis Hilfe gebracht.

 

    Dem gestrandeten Schiff entkommen (V. 39-44): Als es hell genug wurde, um Objekte deutlich zu erkennen, versuchten die Seeleute, sich zu orientieren, aber sie erkannten das Land nicht. Vielleicht waren sie schon einmal auf der Insel gewesen, aber dieser bestimmte Abschnitt am nordöstlichen Ufer war ihnen nicht vertraut. Von ihrem Ankerplatz aus, in der Nähe einer felsigen Landzunge, sahen oder bemerkten sie eine kleine Bucht oder einen Meeresarm mit einem Sandstrand, der viel einladender aussah als die Riffe weiter draußen. In diese kleine Bucht wollten sie also, wenn möglich, das Schiff treiben; sie wollten es am Strand an Land ziehen. Nachdem sie also die Anker gelöst hatten, indem sie die Taue, die sie im Inneren des Schiffes hielten, durchtrennten, ließen sie sie im Meer zurück. Gleichzeitig lösten sie die Bänder, die Befestigung der Ruder, der beiden Schaufelruder, mit denen die Schiffe jener Tage ausgestattet waren, denn sie brauchten sie nun, um das Schiff zu steuern. Schließlich hissten sie das Focksegel, breiteten es im Wind aus und fuhren auf den flachen Strand zu. Doch als das Schiff in die Fahrrinne einfuhr, stieß es plötzlich auf eine unter Wasser liegende Bank, einen Bergrücken, eine Untiefe oder ein Riff, wobei der Bug tief in den Schlamm oder Sand eindrang und sich festsetzte, während das Heck durch die Wucht der Wellen zu zerbrechen begann. Es war eine äußerst gefährliche Situation, in der die Soldaten fast ihre Selbstbeherrschung und ihren gesunden Menschenverstand verloren. Denn ihr Plan war nun, die Gefangenen zu töten, damit nicht einer von ihnen schwimmend entkommen konnte. Als ob die Gefahr dafür groß gewesen wäre. Auf der felsigen Insel! Aber hier zeigte Julius, der Zenturio, wieder seinen guten Willen. Er wollte Paulus sicher durchbringen und hinderte sie deshalb an ihrem Plan, machte ihrem Vorhaben ein Ende. Er gab den Befehl, dass alle, die schwimmen konnten, zuerst über Bord springen und so das Land erreichen sollten. Und danach, wenn die See um den Schiffsrumpf herum frei von Schwimmern war, sollten die übrigen, einige auf Planken und andere auf Wrackteilen, dasselbe tun. Es war kein leichtes Unterfangen, bei schwerer See und hohen Wellen am Ufer einen Ort zu erreichen, an dem keine Gefahr drohte, aber schließlich kamen alle Männer, die sich auf dem Schiff befunden hatten, die Besatzung, die Soldaten, die Passagiere und die Gefangenen, gemäß der Vorhersage des Paulus in Sicherheit an. Es war eine wundersame Flucht. Hätten sie doch nur alle anerkannt, dass dies dem Gott der Christen zu verdanken war, dem sie das Leben und alle Segnungen verdankten!

 

Zusammenfassung. Die Reise nach Rom beginnt in Cäsarea mit einem adramyttinischen Schiff, wird in Myra mit einem alexandrinischen Schiff fortgesetzt, führt durch die südliche Ägäis und an der Südseite Kretas entlang, wo ein schrecklicher Sturm das Schiff nach Westen treibt und es an der Insel Malta Schiffbruch erleidet.

 

 

Kapitel 28

 

Die Reise von Malta nach Rom (28,1-16)

    1 Und da wir überlebt hatten, erfuhren wir, dass die Insel Melite [Malta] hieß. 2 Die Leute aber zeigten uns nicht geringe Freundlichkeit, zündeten ein Feuer an und nahmen uns alle auf um des Regens, der über uns kommen war, und um der Kälte willen. 3 Da aber Paulus einen Haufen Reiser zusammenraffte und legte es aufs Feuer, kam eine Otter von der Hitze und fuhr Paulus an seine Hand. 4 Da aber die Leute sahen das Tier an seiner Hand hängen, sprachen sie untereinander: Dieser Mensch muss ein Mörder sein, welchen die Rache nicht leben lässt, ob er gleich dem Meer entgangen ist. 5 Er aber schlenkerte das Tier ins Feuer, und ihm widerfuhr nichts Übles. 6 Sie aber warteten, wenn er schwellen würde oder tot niederfallen. Da sie aber lange warteten und sahen, dass ihm nichts Ungeheures widerfuhr, änderten sie ihre Ansicht und sprachen, er wäre ein Gott.

    7 An diesen Örtern aber hatte der Oberste in der Insel mit Namen Publius ein Vorwerk; der nahm uns auf und herbergte uns drei Tage freundlich. 8 Es geschah aber, dass der Vater des Publius am Fieber und an der Ruhr lag. Zu dem ging Paulus hinein und betete und legte die Hand auf ihn und machte ihn gesund. 9 Da das geschah, kamen auch die anderen auf der Insel herzu, die Krankheiten hatten, und ließen sich gesund machen. 10 Und sie taten uns große Ehre, und da wir auszogen, luden sie auf, was uns not war.

    11 Nach dreien Monaten aber schifften wir aus in einem Schiff von Alexandrien, welches bei der Insel überwintert hatte und hatte ein Panier der Zwillinge. 12 Und da wir nach Syrakus kamen, blieben wir drei Tage da. 13 Und da wir umschifften, kamen wir nach Rhegium; und nach einem Tag, da der Südwind sich erhob, kamen wir am nächsten Tag nach Puteolj. 14 Da fanden wir Brüder und wurden von ihnen gebeten, dass wir sieben Tage dablieben. Und so kamen wir nach Rom. 15 Und von dort, da die Brüder von uns hörten, gingen sie aus uns entgegen bis nach Appifor und Tretabern. Da die Paulus sah, dankte er Gott und gewann eine Zuversicht. 16 Da wir aber nach Rom kamen, über antwortete der Unterhauptmann die Gefangenen dem obersten Hauptmann. Aber Paulus wurde erlaubt zu bleiben, wo er wollte, mit einem Kriegsknecht, der sein hütete.

 

    Paulus erneut in Gefahr (V. 1-6): Als die Menschen auf dem Schiffswrack das Land sicher erreicht hatten, erfuhren sie erst, dass die Insel Melita oder Malta hieß. Sie hatten also in den zwei Wochen eine Strecke von fast fünfhundert Meilen [ca. 804 km] zurückgelegt; denn die Insel liegt südlich von Sizilien und bildet mit Gozo und einigen anderen kleineren Inseln eine Gruppe, die heute als Maltesische Inseln bekannt ist. Lukas bezeichnet die Inselbewohner als Barbaren, nicht als Vorwurf, sondern weil die Griechen und Römer alle Fremden, die kein Griechisch sprachen, so nannten. Die Bewohner der Insel waren phönizischer Abstammung und waren nach dem Zweiten Punischen Krieg unter die Herrschaft Roms gekommen. Sie erwiesen sich hier in ungewöhnlichem Maße als gastfreundlich und begegneten den Schiffbrüchigen mit außergewöhnlicher Freundlichkeit. Es muss ihnen schwergefallen sein, ein Feuer zu entfachen und sie alle zu empfangen: Sie bereiteten ihnen einen herzlichen Empfang, der zweifellos doppelt so groß war, weil sie alle kalt und nass bis auf die Haut waren; außerdem regnete es unaufhörlich, und die Kälte fror bis auf die Knochen. Paul hielt sich keineswegs zurück, als die anderen damit beschäftigt waren, das Feuer wieder aufzufüllen, sondern sammelte fröhlich mit den anderen Holzscheite. Als er jedoch gerade dabei war, ein Bündel Stöcke aufzuschichten und auf das Feuer zu legen, glitt eine Schlange, die durch die Wärme geweckt worden war, zwischen den Stöcken hervor und biss ihn, bevor Paul seine Hand zurückziehen konnte, in die Wunde. Als die Inselbewohner das Tier an seiner Hand hängen sahen, waren sie sehr erschrocken und äußerten ihre Meinung über die Angelegenheit, indem sie sagten, dass es sich bei diesem Mann sicherlich um einen Mörder handeln müsse, den die Gerechtigkeit nicht am Leben gelassen hatte, obwohl er aus dem Meer gerettet worden war. Sie wussten, dass Paulus ein Gefangener war, weil er unter Bewachung stand, und ihre Schlussfolgerung war so voreilig wie die der meisten Menschen unter ähnlichen Umständen. Aus Erfahrung kannten sie die Bösartigkeit des Giftes dieser Schlangen, und in ihren Augen war Paulus bereits tot; die Göttin der Gerechtigkeit, an die sie glaubten, hatte sich an ihm gerächt. Doch Paulus schüttelte die Viper mit einer ruckartigen Bewegung seiner Hand ins Feuer ab und erlitt kein Übel, keine unangenehmen Folgen, welcher Art auch immer. Aber die Inselbewohner beobachteten ihn, weil sie sicher waren, dass er anschwellen oder plötzlich tot umfallen würde. Aber nichts von alledem geschah. Lukas, als Arzt, war mit solchen Symptomen bestens vertraut. Und als sie lange gewartet und beobachtet hatten und nichts Ungewöhnliches geschah, änderten die Bewohner ihre Meinung und sagten, er sei ein Gott. Ihr abergläubischer Verstand konnte zu keiner anderen Schlussfolgerung gelangen; es war der Weg, den ihre Ausbildung sie gelehrt hatte, zu gehen. Anmerkung: Moderne Menschen mögen über diesen Aberglauben abschätzig lächeln, aber da fast die ganze Welt in der einen oder anderen Form ähnliche Überzeugungen vertritt, ist es sicher nicht angebracht, andere mit Steinen zu bewerfen. Es war der Herr, der seine schützende Hand über seinen Knecht hielt, wie er es versprochen hatte (Mark. 16,18).

 

    Die Heilung des Vaters des Publius (V. 7-10): Im selben Viertel, in der Nähe des Ortes, der heute als St. Paul's Bay bekannt ist, hatte der römische Herrscher der Insel, dessen Titel der Häuptling oder der erste Mann war, wie eine antike Inschrift zeigt, seinen Sitz. Sein Name war Publius, und er zeigte den Schiffbrüchigen eine fast beispiellose Gastfreundschaft, die eines Legaten des Prätors von Sizilien, zu dessen Provinz Malta gehörte, durchaus würdig war. Denn er nahm zumindest die Passagiere und Paulus auf, wenn nicht sogar die gesamte Schiffsbesatzung, und bot ihnen seine Gastfreundschaft an, da seine Gebäude groß genug waren, um ein solches Arrangement zu ermöglichen. Er tat dies drei Tage lang mit größter Höflichkeit und Wohlwollen, bis andere Mittel gefunden werden konnten. So geschah es, dass der Vater des Publius krank im Bett lag, mit Fieber und Ruhr, wie Lukas mit seinen medizinischen Kenntnissen feststellen konnte, und Paulus ging als Gegenleistung für die empfangene Gastfreundschaft zu ihm hinein, betete über ihn im Namen Jesu, legte ihm die Hände auf und machte ihn gesund, heilte ihn, gab ihm seine Gesundheit zurück. Wie in anderen Fällen geschah dieses Wunder, um Christus zu verherrlichen und die Kraft des Evangeliums zu bezeugen. Die Folge war, dass auch die übrigen Bewohner der Insel, die krank waren, zu Paulus kamen und geheilt wurden. Es war eine Zeit der barmherzigen Heimsuchung der Insel, in der der Herr sich vielen von ihnen offenbarte. Dementsprechend groß war die Dankbarkeit der Inselbewohner. Um des Paulus willen ehrten sie sie mit vielen Ehren, indem sie ihnen nicht, wie manche meinen, ein Arzthonorar aufdrängten, sondern ihnen alles gaben, was Ehrengäste an Geschenken und Bewirtung genießen sollten; und als sie ausliefen, nahmen sie für Paulus und die ganze Schiffsbesatzung alle Vorräte und Annehmlichkeiten an Bord, die sie für den Rest der Reise brauchten. So steuert Gott sogar die so genannten zufälligen Ereignisse des Lebens und lenkt sie zum Wohl der Gläubigen und der Menschen, unter denen sie leben. Anmerkung: Es war durchaus angemessen und lobenswert, dass die Bewohner der Insel ihre Dankbarkeit für die barmherzige Heimsuchung Gottes an seinen Dienern zeigten. Wenn diese angenehme Beziehung überall hergestellt würde, gäbe es weniger Arbeit unter dem Handicap des Seufzens in der Kirche, Hebr. 13,17.

 

    Von Malta nach Rom (V. 11-16): Der Aufenthalt in Malta wurde so kurz wie möglich gehalten, da Julius darauf bedacht war, seine Gefangenen an den kaiserlichen Hof zu bringen. Nach drei Monaten, spätestens aber Ende Februar oder Anfang März, segelten sie alle mit einem Schiff aus Alexandria ab, das auf der Insel überwintert hatte und dessen Erkennungszeichen, entweder auf der Galionsfigur am Bug oder auf dem Wimpel, die Zwillingsbrüder Castor und Pollux waren. Diese beiden heidnischen Götter galten als die besonderen Beschützer der Seeleute, und die Schiffe waren oft mit ihren geschnitzten Figuren geschmückt. Sie segelten fast genau nach Norden und legten in Syrakus an, einer Stadt an der Ostküste Siziliens, wo sie drei Tage lang blieben und wahrscheinlich auf günstige Winde warteten. Als sie hier ablegten, kam der Wind immer noch aus der falschen Richtung, und sie mussten sich durch Wenden an der Küste entlang vorarbeiten und erreichten so Rhegium, in der südwestlichen Ecke Italiens, an der Straße von Messina. Hier hatten sie mehr Glück, denn nach nur einem Tag Aufenthalt kam ein stetiger Südwind auf, der es ihnen ermöglichte, in zwei Tagen nach Puteoli zu gelangen. Hier beendete das Schiff seine Reise, und Paulus und seine Mitgefangenen gingen von Bord. Die Stadt war in jenen Tagen einer der wichtigsten Häfen Italiens, ihre Beziehung zu Rom entsprach in etwa der von Liverpool zu London. Hier fanden Paulus und seine Gefährten Brüder, Christen, die eine Gemeinde bildeten, und wurden von ihnen gebeten, sieben Tage zu bleiben, bevor sie in die etwa hundertvierzig Meilen entfernte Hauptstadt weiterreisen. Die Tatsache, dass Paulus von Julius die Erlaubnis erhielt, der dringenden Bitte der örtlichen Christen nachzukommen, zeigt, dass er bei dem Römer in hohem Ansehen stand. So erreichten sie hier, in Puteoli, die Grenzen des römischen Territoriums, denn Lukas unterscheidet sorgfältig zwischen der Stadt selbst und dem weiteren Gebiet, das man gemeinhin zu ihr rechnete.[93] Die Nachricht von der Ankunft des Paulus war inzwischen bis in die Stadt vorgedrungen, wo die Brüder die Ankunft ihres großen Lehrers mit großem Interesse erwarteten. Einige der römischen Jünger gingen ihnen bis nach Appii Forum entgegen, einem Dorf an der Via Appia, dreiundvierzig Meilen von Rom entfernt; und zehn Meilen näher an der Hauptstadt, in Drei Tavernen, erwartete eine andere Abordnung von Christen den Apostel. Obwohl die beiden Städtchen also sonst keine Bedeutung hatten und eines von ihnen zumindest durch seine Straßenhäuser bekannt war, sind ihre Namen als Rastplätze der Begleiter des Paulus in der heiligen Geschichte erhalten geblieben. Dieses Zeichen der Achtung und Zuneigung seitens der römischen Brüder erfüllte Paulus mit großer Freude und tröstete sein Herz; denn als er sie sah, dankte er Gott und fasste Mut. Es ist für den Glauben erhebend und stärkend, wenn Christen auf ihrem Lebensweg überall Brüder finden, die mit ihnen dem wahren Gott des Himmels dienen. Als Julius mit seiner Schar von Gefangenen Rom erreichte, übergab er Paulus den zuständigen Offizieren oder dem Präfekten der kaiserlichen Garde. Der Bericht des Hauptmanns und der Brief des Festus müssen sehr günstig ausgefallen sein, denn Paulus erhielt die Erlaubnis, in seiner Wohnung zu bleiben, während er darauf wartete, dass sein Fall aufgerufen wurde, und während seines Prozesses nur einen Soldaten als Wache bei sich hatte. Er war mit einer leichten Kette an diesen Soldaten gefesselt, was zuweilen lästig gewesen sein muss, aber es war fast die leichteste Form der Gefangenschaft, die die Römer kannten, und gab dem Apostel die freie Gelegenheit, die Brüder zu sehen und alle Dienste zu verrichten, die er wünschte. Der erhabene Christus selbst hielt seine schützende Hand über Paulus, damit die Gemeinde in Rom in den Genuss der Lehre des Paulus kam und in der christlichen Lehre gefestigt wurde.

 

Zwei Jahre in Rom (28,17-31)

    17 Es geschah aber nach dreien Tagen, dass Paulus zusammenrief die Vornehmsten der Juden. Da diese zusammenkamen, sprach er zu ihnen: Ihr Männer, liebe Brüder, ich habe nichts getan gegen unser Volk noch gegen väterliche Sitten und bin doch gefangen aus Jerusalem übergeben in der Römer Hände, 18 welche, da sie mich verhört hatten, wollten sie mich losgeben, da keine Ursache des Todes an mir war. 19 Da aber die Juden dagegen redeten, wurde ich genötigt, mich auf den Kaiser zu berufen; nicht, als hätte ich mein Volk um etwas zu verklagen. 20 Um der Ursache willen habe ich euch gebeten, dass ich euch sehen und ansprechen möchte; denn um der Hoffnung willen Israels bin ich mit dieser Kette umgeben.

    21 Sie aber sprachen zu ihm: Wir haben weder Schrift empfangen aus Judäa deinethalben, noch ist ein Bruder gekommen, der von dir etwas Arges verkündigt oder gesagt habe. 22 Doch wollen wir von dir hören, was du hältst. Denn von dieser Sekte ist uns kund, dass ihr wird an allen Enden widersprochen. 23 Und da sie ihm einen Tag bestimmten, kamen viele zu ihm in die Herberge, welchen er auslegte und bezeugte das Reich Gottes und predigte ihnen von Jesus aus dem Gesetz Moses und aus den Propheten vom frühen Morgen an bis an den Abend. 24 Und etliche fielen zu dem, was er sagte; etliche aber glaubten nicht.

    25 Da sie aber untereinander uneins waren, gingen sie weg, als Paulus ein Wort redete, das passend der Heilige Geist gesagt hat durch den Propheten Jesaja zu unsern Vätern 26 und gesprochen: Gehe hin zu diesem Volk und sprich: Mit den Ohren werdet ihr’s hören und nicht verstehen, und mit den Augen werdet ihr’s sehen und nicht erkennen. 27 Denn das Herz dieses Volks ist verstockt, und sie hören schwer mit Ohren und schlummern mit ihren Augen, damit sie nicht dereinst sehen mit den Augen und hören mit den Ohren und verständig werden im Herzen und sich bekehren, dass ich ihnen hülfe. 28 So sei es euch kundgetan, dass den Heiden gesandt ist dies Heil Gottes; und sie werden’s hören. 29 Und da er solches redete, gingen die Juden hin und hatten viele Fragen untereinander.

    30 Paulus aber blieb zwei Jahre in seinem eignen Gedinge und nahm auf alle, die zu ihm kamen, 31 predigte das Reich Gottes und lehrte von dem HERRN Jesus mit aller Freudigkeit unverboten.

 

    Paulus ruft die Juden zusammen (V. 17-20): Zu dieser Zeit gab es in Rom eine blühende Gemeinde, und Paulus hätte seine ganze Zeit den bereits versammelten Gläubigen widmen können. Aber wie an anderen Stellen rief er auch hier absichtlich die einflussreichsten Juden zusammen und hielt sich dabei an seine Regel: dem Juden zuerst und auch dem Griechen, Röm. 1,16. Das Dekret des Claudius, das die Juden aus Rom verbannte, Kap. 18,2, war inzwischen widerrufen worden, und die Juden waren wieder in die Hauptstadt geströmt. Als die führenden Juden seiner Einladung folgten und sich an dem von Paulus bezeichneten Ort trafen, legte er ihnen einige persönliche Angelegenheiten vor. Er wollte vor allem alle Vorurteile ausräumen, die sie ihm gegenüber hegen könnten, erstens wegen seiner Gefangenschaft, zweitens wegen der Tatsache, dass er sich an den Kaiser gewandt hatte, und drittens, um die Auswirkungen der verleumderischen Berichte zu beseitigen, die möglicherweise aus Jerusalem gekommen waren. Er sagte ihnen, dass er nichts getan habe, dass er sich weder gegen das jüdische Volk noch gegen die Sitten und Gebräuche der Väter schuldig gemacht habe und dennoch in die Hände der Römer geraten sei. Paulus verweist taktvoll darauf, dass seine Verhaftung nur indirekt von den Juden veranlasst worden sei. Als die Römer ihn angehört hatten, wollten sie ihn freilassen, da sie keine Todesursache in ihm sahen und dem Apostel kein einziges Verbrechen nachgewiesen werden konnte. Als die Juden dann aber Einspruch erhoben, war er gezwungen, sich an Cäsar zu wenden: aber nicht in dem Sinne, wie Paulus sich beeilt hinzuzufügen, als ob er irgendeine Anklage gegen sein eigenes Volk zu erheben hätte. Aber deshalb hatte er sie gerufen, hatte sie gebeten, sich mit ihm zu treffen, um sie zu sehen und mit ihnen zu sprechen, sich mit ihnen zu beraten. Denn er versichert ihnen, dass er diese Kette trägt, die sie alle sehen konnten, dass er mit diesem Zeichen der Gefangenschaft umgeben war, und zwar wegen der Hoffnung Israels. Die einzige Hoffnung Israels war die auf den Messias; auf ihn hatten alle Propheten gewartet, von ihm hatten alle Weisen gesprochen. Und weil Paulus von der Erfüllung all dieser Hoffnungen und Vorhersagen und Prophezeiungen in der Person Jesu Christi von Nazareth predigte, hatte ihn die Feindschaft getroffen, die zu seiner Verhaftung führte.

 

    Paulus bezeugt das Reich Gottes (V. 21-24): Als Paulus bei ihnen um ein faires Verfahren bat, sagten ihm die Juden freimütig, dass sie weder schriftliche noch mündliche Mitteilungen erhalten hätten, die gegen ihn persönlich sprachen; Briefe aus Judäa hatten sie nicht erhalten, und keiner der Brüder, die in den letzten Jahren nach Rom gekommen waren, hatte etwas Schlechtes gegen ihn berichtet. Aber sie hielten es für gut und richtig, von Paulus selbst zu hören, was er dachte, um seine Meinung über die ganze Situation zu erfahren, denn was diese neue Sekte betraf, so wussten sie, dass sie überall auf Widerspruch und Widerstand stieß. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Christen eine atheistische und gottlose Sekte waren, die von allen Menschen verabscheut wurde. Aber die führenden Juden Roms wollten fair sein und die Geschichte des Paulus auf seine Weise hören und setzten einen Termin fest, an dem sie in größerer Zahl zu seiner Unterkunft kommen würden. Ihnen allen erklärte und erläuterte Paulus, nicht so sehr zur Rechtfertigung seines eigenen Verhaltens, sondern als Zeugnis für Christus, das Reich Gottes, indem er ihnen zeigte, was der Begriff bedeutet, auf welche Weise sie in dieses wunderbare Reich eintreten können, was der Glaube ist, wobei er immer Jesus, den Heiland, in den Mittelpunkt seiner überzeugenden Rede stellte. Von morgens bis abends gab er sein Bestes, um sie von Jesus zu überzeugen, aus dem Gesetz des Mose, aus den geschichtlichen Büchern des Alten Testaments, aus den Büchern der Propheten, um durch einen Vergleich mit dem Leben Jesu zu beweisen, dass er der verheißene Messias sein muss. Es war ein Tag der Segnungen des Herrn, ein Tag seines barmherzigen Rufs an alle Anwesenden. Aber das Ergebnis war das übliche unter ähnlichen Umständen. Einige ließen sich von dem überzeugen, was Paulus sagte, aber andere waren stur und weigerten sich zu glauben. Wie nachdrücklich und überwältigend die Beweise auch sein mögen, manche Menschen werden darauf bestehen, ihr Herz gegen den gnädigen Einfluss des Evangeliums zu verhärten und so die ihnen angebotene Gnade Gottes zu verschmähen.

 

    Anwendung eines Wortes aus Jesaja (V. 25-29): An diesem Punkt der Diskussion, als einige von den Worten des Paulus überzeugt wurden und sich der Überzeugung des Wortes Gottes beugten, während andere in ihrem Unglauben verharrten und sie sich nicht einigen konnten, erinnerte Paulus sie an ein Wort des Propheten Jesaja, Kap. 6,9.10, was die Versammlung veranlasste, sich aufzulösen, ohne zu einem endgültigen Ergebnis in dieser Sache zu kommen. Er bezog sich auf die Prophezeiung über die Selbstverhärtung, gefolgt von der Verstockung durch Gott. Jesaja hatte den ausdrücklichen Auftrag erhalten, zu den Juden seiner Zeit zu gehen und ihnen zu sagen, dass sie buchstäblich mit dem Gehör hören und doch nicht verstehen würden; dass sie mit ihren Augen das Wort sehen und doch keinen Eindruck auf ihren Verstand bekommen würden. Und der Grund für dieses Urteil war, dass das Herz des Volkes gefühllos geworden war, dass das geistliche Hören ihrer Ohren schwer geworden war und ihre Augen am Sehen gehindert wurden. Deshalb hatte der Herr sie der Härte ihres Herzens überlassen, damit sie nicht mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren, damit der Herr sie heilt. Dieses furchtbare Gericht über die widerspenstigen Juden hatte zur Zeit Jesajas begonnen, es war in den Tagen des Erlösers angedroht worden, Matth. 13,14.15; Mark. 4,12; Luk. 8,10, angedroht worden, und es stand nun kurz davor, sich in seinem letzten schrecklichen Fluch zu verwirklichen. Und sie würden niemanden für die schrecklichen Folgen ihrer Feindschaft gegen Christus und Gott verantwortlich machen können außer sich selbst. Förmlich und feierlich verkündet Paulus den versammelten Juden diese Konsequenz ihres Widerstandes und den Weg, den er von nun an einschlagen muss. Er möchte, dass sie wissen und verstehen, dass das Heil Gottes im Evangelium des Messias jetzt zu den Heiden gesandt wurde und dass sie die herrliche Botschaft hören und annehmen werden. Man beachte, dass auch diese letzten Worte nicht nur zur Verurteilung, sondern auch zur Umkehr gesprochen werden. Es war, als würde man den Juden den schrecklichen, gähnenden Abgrund zeigen, an dessen Rand sie standen, nachdem sie absichtlich ihre Augen und Ohren vor jeder Warnung verschlossen hatten. Und diese letzte Warnung scheint etwas bewirkt zu haben, wenn der Text hier richtig ist, denn als Paulus diese Worte sagte, verließen sie sein Quartier und diskutierten die Angelegenheit mit großer Heftigkeit untereinander. Wenn das auf diese Weise geweckte Interesse nur zu einer sorgfältigen Suche in der Heiligen Schrift führt, kann man sich selbst für solche scheinbar fruchtlosen Diskussionen gut belohnt fühlen.

 

    Zwei Jahre in Rom (V. 30-31): Paulus konnte sich zu dieser Zeit vielleicht viele Annehmlichkeiten leisten, oder die Freigebigkeit der verschiedenen Gemeinden machte es möglich; jedenfalls konnte er zwei Jahre lang eine eigene Wohnung mieten und bewohnen, so lange dauerte es wahrscheinlich, bis sein Fall vor Gericht kam und entschieden wurde. Und er war gewiss nicht schwer zu finden oder schwer zu erreichen, denn er nahm alle auf, die zu ihm kamen; ganz gleich, aus welcher Gemeinde die Brüder kamen, sie waren immer willkommen. Er war noch in Haft, Phil. 1,13.17, aber es war gewiss von der allerleichtesten Art. Und gerade zu dieser Zeit öffnete Gott eine Tür für sein Wort. Denn Paulus verbrachte seine ganze Zeit damit, das Reich Gottes zu verkünden, nicht nur durch gesprochene Worte, sondern auch in Briefen, denn wir haben aus dieser Zeit seines Lebens die Briefe an die Epheser, an die Kolosser, an die Philipper und an Philemon. Indem er die Menschen einlud, Glieder des Reiches Gottes, der wunderbaren Gemeinschaft der Heiligen zu werden, lehrte und wiederholte Paulus stets ohne Rast und Müdigkeit die Botschaft vom Herrn Jesus. Mit aller Zuversicht, mit aller offenen Fröhlichkeit predigte er; seine Predigten und privaten Gespräche waren alle mit dem Öl der gleichen kühnen Freude durchtränkt, mit der der Herr ihn gesalbt hatte. Und durch die Gnade Gottes konnte er dies unbehelligt und ungehindert tun. Das muss ein großer Trost für ihn gewesen sein und hat seine Bereitschaft und die Freude an seiner Arbeit für den Herrn stark erhöht. Die ganze Geschichte zeigt, wie das Evangelium Christi seine Siege erringt. Denn dasselbe Evangelium, das Paulus in der Hauptstadt der Welt verkündete, hat seitdem seinen Weg durch die Länder genommen und wird bis zum heutigen Tag unter den Heiden gepredigt. Die Kirche, die auf Jesus, den Felsen der Zeitalter, gegründet ist, steht heute und wird bis ans Ende der Zeit stehen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.

 

Zusammenfassung: Die Reise von Malta nach Rom verläuft ohne Zwischenfälle, und Paulus nutzt in der Hauptstadt die Gelegenheit, zu den Juden und danach zu vielen anderen zu sprechen und ihnen das Reich Gottes und ihren Retter Jesus Christus zu predigen.

 

 

Exkurs: Zusammenfassung des spaeteren Verlaufs des Lebens des Paulus

    Eine einigermaßen exakte chronologische Zusammenfassung des letzten Abschnitts im Leben des Paulus ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden, wie die vielen unterschiedlichen Listen, insbesondere die von Meyer, zeigen. Selbst die sorgfältigste Untersuchung kann keine absolute Genauigkeit beanspruchen, vor allem weil der biblische Bericht einen so großen Spielraum zulässt. Die hier angebotene Liste ist daher lediglich als Orientierungshilfe gedacht und kann in dieser Hinsicht ebenso viel historische Genauigkeit beanspruchen wie jede andere Liste.

    Bekehrung des Paulus. 32 oder 33 n. Chr.

    Erster Besuch in Jerusalem 35 oder 86 n. Chr. Gal. 1, 18.

    Beginn der ersten Missionsreise 46 n. Chr.

    Rückkehr nach Antiochia. Etwa August 48 n. Chr.

    Zweite Reise nach Jerusalem und Beschlüsse zur judaistischen Lehre. 49 n. Chr., Gal. 2, 1.

    Beginn der zweiten Missionsreise; Syrien und Zilizien. Herbst, 49 n. Chr.

    Derbe, Lystra, Ikonium, Antiochia. Winter 49-50 n. Chr.

    Troas, Philippi. Frühling, 50 n. Chr.

    Thessalonich und Beröa. Sommer 50 n. Chr.

    Athen und Korinth. Frühherbst, 50 n. Chr.

    Aufstand der Juden. - Gallio. Spätsommer, 51 n. Chr.

    Jerusalem und Antiochia. Frühling und Frühsommer, 52 n. Chr.

    Beginn der dritten Reise. Syrien, Zilizien, Galatien. 52-53 n. Chr.

    In Ephesus. Sommer 53 n. Chr. bis Juni, 56 n. Chr.

    Makedonien und Illyrien. Sommer und Herbst, 56 n. Chr.

    In Korinth. Ende 57 n. Chr. und Anfang 58 n. Chr.

    Jerusalem. Pfingsten 58 n. Chr.

    Gefangener in Caesarea. Juni 58 n. Chr. bis Juni 60 n. Chr.

    Reise nach Rom. August 60 n. Chr. bis Februar oder März 61 n. Chr.

    Gefangener in Rom. Frühling 61 n. Chr. bis Frühling 63 n. Chr.

    Spätere Reisen. 63-66 n. Chr.

    Zweite Gefangenschaft. 66 n. Chr. oder 67 n. Chr.

    Hinrichtung. 67 n. Chr. oder 68 n. Chr.[94]

 

 



I Entnommen aus: Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Nachdr. der 2., überarb. Aufl. St. Louis, Missouri. Bd. 14. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1987.  Sp. 92-95

[1] McGarvey, New Commentary on Acts, X.

[2] Luther, 14, 92.

[3] Clarke, Commentary, 5,680.

[4] McGarvey, New Commentary on Acts, 16, 17.

[5] Schaff, Commentary, Acts, 21.

[6] Luther, zitiert in Stöckhardt, Biblische Geschichte des Neuen Testaments, 334.

[7] Luther, 13b. 2060. 2061.

[8] Luther, 13b, 2066.

[9] Luther, 13b, 2070. 2071.

[10] McGarvey, New Commentary on Acts, 30.

[11] Barton, Archeology and the Bible, 209. 210.

[12] Edersheim, The Temple, 147.148.

[13] McGarvery, New Commentary on Acts, 69.

[14] Apologie. Müller, 105.

[15] McGarvery, New Commentary on Acts, 82. 83.

[16] Clarke, Commentary 5,715.

[17] Einige Kommentatoren glauben, dass der doppelte Ausdruck, den Lukas verwendet, sich allein auf den Sanhedrin bezieht und die Bedeutung des Falls hervorhebt. Vgl. Moulton and Milligan. Vocabulary, und Grimm-Thayer, sub voce.

[18] Konkordienformel. Vom unfreien Willen. Mueller, 594. 595.

[19] Ramsay, The Bearing of Recent Discovery, 238.

[20] Schaff, Commentary, Acts, 103.

[21] Luther, 13a, 1060. 1061.

[22] Luther, 12, 193.

[23] Edersheim, The Temple, 67.

[24] Luther, 11,2077.

[25] Clarke, Commentary, 5, 738.

[26] Ramsay, The Bearing of Recent Discovery, 117. 118.

[27] Luther, 12,143.

[28] McGarvey, New Commentary on Acts, 145.

[29] Luther, 1,1818.

[30] Barton, Archeology and the Bible, 33.

[31] Luther, 12,1152; 13a, 1093.

[32] Luther, zitiert in Stöckhardt, Biblische Geschichte des Neuen Testaments, 358.

[33] Luther, 13a, 1101.

[34] Luther, 13a, 1098.

[35] Barton, Archeology and the Bible, 214, Fig. 266.

34a Die hebräische Namensform, die sich in der Bibel findet, lautet Tabitha.

[36] Schmalkaldische Artikel, Teil III, Art. 8,8. Mueller, 322.

[37] Konkordienformel, Ausf. Darl., II,51, Mueller, 600.

[38] McGarvey, New Commentary on Acts, 205.

[39] Konkordienformel, Ausf. Darl., VII,36, Mueller, 654.

[40] Apologie, Art. XII,65. Mueller, 178.

[41] Luther, 12,494.

41a Wir haben hier den ersten klaren Übergang der Mission von den Juden zu den Heiden, ähnlich, wie wir ihn zuvor (Kap. 8) zu den Samaritern hatten. Jedes Mal sind die Apostel involviert, jedes Mal bestätigt der Heilige Geist diesen Übergang durch die außergewöhnlichen Gaben, die mit den Aposteln verbunden waren (vgl. 2. Kor. 12,12). So etwas findet sich dann auch noch Mal im Blick auf den Eingang der Johannesjünger in die Gemeinde (Apg. 19,6). Wenn wir die Heilsgeschichte betrachten, so finden wir außergewöhnliche Wirkungen des Heiligen Geistes nur an sogenannten „heilsgeschichtlichen Schnittstellen“, wie den Beginn des Alten Bundes bei Mose, den Beginn der Königszeit bei Saul, die frühe Prophetenzeit bei Elia und Elisa und dann die Zeichen des Messias und der Beginn des Neuen Bundes mit den Aposteln. In den sonstigen Zeiten finden wir sie für gewöhnlich nicht. Und für die letzte Zeit warnt Christus ausdrücklich, dass außergewöhnliche Vorkommnisse, „Wunder“ dort gerade Zeichen der Irrlehrer, Verführer sein werden (Matth. 24). (Anm. d. Hrsg.)

[42] Gibbon, Decline and Fall of the Roman Empire, Chapter XXIV.

[43] McGarvey, New Commentary on Acts, 227.

[44] Hopkins, Evidences of Christianity, Lecture X; Zahn, Einleitung, 11, Exkurs II, 632.

[45] Cobern, The New Archeological Discoveries, 538-540.

[46] Ramsay, The Cities of St. Paul, 262. 263.

[47] Cobern, The New Archeological Discoveries, 531. 415.

[48] Luther, 12,511.

[49] Konkordienformel, Ausf. Darl. IX, 60. Müller, 717.

[50] Konkordienformel, Ausf. Darl. XI, 8. Müller, 705.

[51] Cobern, The New Archeological Discoveries, 528; Ramsay, The Cities of St. Paul, 317. 343.

[52] Cobern, The New Archeological Discoveries, 414. 529.

[53] Cobern, The New Archeological Discoveries, 526.

[54] Vgl. den Artikel, der an Lukas 2 angehängt ist: „Die Historizität von Quirinius.“

[55] Apologie, IV, 99. Müller, 105.

[56] Farrar, Life of Paul, 243.

[57] Luther, zitiert in Besser, Bibelstunden, III: 2, 744.

[58] Conybeare-Howson, Life and Letters of St. Paul, I, 270. 271.

[59] Cobern, The New Archeological Discoveries, 415.

[60] Cobern, New Archeological Discoveries, 545; Hopkins, Evidences of Christianity, Lecture X.

[61] Vgl. Expositor’s Greek Testament, II, 344. 355; Hogarth, Authority and Archeology, 349. 350.

[62] Barton, Archeology and the Bible, 226.

[63] Ramsay, The Bearing of Recent Discovery, 137.

[64] Ramsay, St. Paul the Traveler and Roman Citizen, 225; Moulton and Milligan, Vocabulary, sub voce.

[65] Luther, 8, 1023. 1024.

[66] Cobern, New Archeological Discoveries, 129.

[67] Barton, Archeology and the Bible, 438.

[68] McGarvey, New Commentary on Acts, II,118.

[69] Cobern, The New Archeological Discoveries, 489.

[70] Cobern, The New Archeological Discoveries, 489. 490. Vgl. Barton, Archeology and the Bible, 220.

[71] Theological Quarterly, 10 (1906), 9 ff.

[72] Expositor's Greek Testament, II, 389.

[73] Edersheim, The Temple, 374.

[74] Sowohl aus grammatischen wie historischen Gründen kann V. 5 nicht als etwas betrachtet werden, das zu den Worten des Paulus gehört. Vgl. jedoch Syn. Ber., Minn. Dist., 1912, 39.

[75] Cobern, The New Archeological Discoseries, 229.

[76] Pieper, Christliche Dogmatik, III, 338; Syn. Ber., Minn. Distr., 1912, 36.

[77] Stöckhardt, Biblische Geschichte des Neuen Testaments, 387. 388.

[78] Barton, Archeology and the Bible, 223.

[79] Cobern, The New Archeological Discoveries, 479.

[80] Expositor’s Greek Testament, II, 416.

[81] Konkordienformel, Ausf. Darl. V, 4.8, Müller, 634.

[82] Expositor‘s Greek Testament, II, 434.

[83] Luther, 12, 650; Konkordienformel, Kurze Darl., VIII,  14, Müller, 546.

[84] Vgl. Cobern, The New Archeological Discoveries, 129; Moulton and Milligap, Vocabulary, sub voce.

[85] McGarvey, New Commentary on Acts, II, 208.

[86] Expositor’s Greek Testament, II, 460.

[87] Ramsay, The Bearing of Recent Discovery, 90.

[88] Luther, 19, 695; 22, 1728.

[89] Expositor’s Greek Testament, II, 476.

[90] Farrar, Life of Paul, 550.

[91] Konkordienformel, Ausf. Darl., II,10. Müller, 590.

[92] Ramsay, The Bearing of Recent Discovery, 312.

[93] Ramsay, The Bearing of Recent Discovery, 44; St. Paul the Traveler, 347.

[94] Vgl. Syn. Bericht, Östlicher Distrikt 1907-1913; North Dakota und Montana 1910 und 1912; Minnesota 1913.