Luthers Einführungen in das Neue Testament
Vorrede auf das Neue
Testament S.
1
Welches
die rechten und edelsten Buecher des Neuen Testaments
sind S.
2
Ein
kleiner Unterricht, was man in den Evangelien suchen und erwarten solle S. 3
Nach der Edition von Anno 1522 und 1527[1]
1. Es wäre
wohl recht und billig, dass dies Buch ohne alle Vorrede und fremden Namen
ausginge und nur seinen selbsteigenen Namen und Rede führte. Aber dieweil durch
manche wilde Deutung und Vorrede der Christen Sinn dahin vertrieben ist, dass
man schier nicht mehr weiß, was Evangelium oder Gesetz, Neues oder Altes
Testament heiße, fordert die Notdurft, eine Anzeige und Vorrede zu stellen,
damit der einfältige Mann aus seinem alten Wahn auf die rechte Bahn geführt und
unterrichtet werde, was er in diesem Buch erwarten soll, auf dass er nicht
Gebote und Gesetze suche, da er Evangelium und Verheißung Gottes suchen sollte.
2. Darum ist
aufs erste zu wissen, dass abzutun ist der Wahn, dass vier Evangelien, und nur
vier Evangelien sind, und ganz zu verwerfen, dass etliche des Neuen Testaments
Bücher teilen in Gesetze, Geschichtsbücher, prophetische Bücher und
Weisheitsbücher; meinen damit (weiß nicht wie) das neue dem Alten Testament zu
vergleichen, sondern fest zu halten, dass, gleichwie das Alte Testament ist ein
Buch, darin Gottes Gesetz und Gebot, daneben die Beschichte beide deren, die
dieselben gehalten und nicht gehalten haben, geschrieben sind: So ist das Neue
Testament ein Buch, darin das Evangelium und Gottes Verheißung, daneben auch
Geschichte beider deren, die dran glauben und nicht glauben, geschrieben sind.
So dass man gewiss sei, dass nur Ein Evangelium sei; gleichwie nur Ein Buch des
Neuen Testaments und nur Ein Glaube und nur Ein Gott, der da verheißt. Denn
Evangelium ist ein griechisches Wort und heißt auf Deutsch: gute Botschaft,
gute Mär, gute neue Zeitung, gutes Geschrei, davon man singt, sagt und fröhlich
ist. Gleich wie da David den großen Goliath überwand, kam ein gutes Geschrei
und tröstliche neue Zeitung unter das jüdische Volk, dass ihr greulicher Feind erschlagen und sie erlöst, zu Freude und
Friede gestellt wären, davon sie sagen und sprangen und fröhlich waren.
3. So ist das
Evangelium Gottes und Neue Testament eine gute Mär und Geschrei, in alle Welt
erschollen, durch die Apostel, von einem rechten David, der mit der Sünde, Tod
und Teufel gestritten und überwunden habe, und damit alle die, so in Sünden
gefangen, mit dem Tod geplagt, vom Teufel überwältigt gewesen, ohne ihr
Verdienst erlöst, gerecht, lebendig und selig gemacht hat und damit zufrieden
gestellt und Gott wieder heim gebracht. Davon sie
singen, danken, Gott loben und fröhlich sind ewiglich, so sie das anders fest
glauben und im Glauben beständig bleiben.
4. Solches
Geschrei und tröstliche Mär oder evangelische und göttliche neue Zeitung heißt
auch ein Neues Testament darum, dass, gleichwie ein Testament ist, wenn ein
sterbender Mann sein Gut bescheidet, nach seinem Tod den benannten Erben
auszuteilen: So hat auch Christus vor seinem Sterben befohlen und beschieden,
solches Evangelium nach seinem Tod auszurufen in alle Welt, und damit allen,
die da glauben, zu eigen gegeben alles sein Gut, das ist, sein Leben, damit er
den Tod verschlungen, seine Gerechtigkeit, damit er die Sünde vertilgt, und
seine Seligkeit, damit er die ewige Verdammnis überwunden hat. Nun kann je der arme Mensch, in Sünden tot und zur Hölle verstrickt,
nichts Tröstlicheres hören als solche teure, liebliche Botschaft von Christus,
und muss sein Herze von Grund lachen und fröhlich darüber werden, wo er’s
glaubt, dass [es] wahr sei.
5. Nun hat
Gott, solchen Glauben zu stärken, dieses sein Evangelium und Testament
vielfältig im Alten Testament durch die Propheten verheißen, wie St. Paulus
Röm. 1,1.2 sagt: „Ich bin ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes,
welches er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der Heiligen Schrift,
von seinem Sohn, der ihm geboren ist von dem Samen Davids“ usw.
6. Und dass
wir derer etliche anzeigen, hat er’s am ersten verheißen, da er sagt zu der
Schlange, 1. Mose 3,15: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau
und zwischen deinem Samen und ihrem Samen, derselbe soll dir den Kopf
zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.“ Christus ist der Same dieser
Frau, der dem Teufel seinen Kopf, das ist, Sünde, Tod, Hölle und alle seine
Kraft zertreten hat. Denn ohne diesen Samen kann kein Mensch der Sünde, dem Tod
noch der Hölle entrinnen.
7. Ebenso 1.
Mose 22,18 verhieß er’s Abraham: „Durch deinen Samen sollen alle Völker auf
Erden gesegnet werden.“ Christus ist der Same Abrahams, spricht St. Paulus Gal.
3,16, der hat alle Welt gesegnet durchs Evangelium. Denn wo Christus nicht ist,
da ist noch der Fluch, der über Adam und seine Kinder fiel, da er gesündigt
hatte, dass sie allzumal der Sünde, des Todes und der Hölle schuldig und eigen
sein müssen. Wider den Fluch segnet nun das Evangelium alle Welt, damit, dass
es ruft öffentlich: Wer an diesen Samen Abrahams glaubt, soll gesegnet, das
ist, von Sünde, Tod und Hölle los sein und gerecht, lebendig und selig bleiben
ewiglich. Wie Christus selbst sagt, Joh. 11,26: „Wer an mich glaubt, der wird
nimmermehr sterben.“
8. Ebenso, so
verhieß er’s David 2. Sam. 7,12, da er sagte: „Ich will erwecken deinen Samen
nach dir, der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will den Stuhl seines
Königreichs bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein, und er soll mein
Sohn sein“ usw. Das ist das Reich Christi, davon das Evangelium lautet, ein
ewiges Reich, ein Reich des Lebens, der Seligkeit und Gerechtigkeit; darein
kommen aus dem Gefängnis der Sünde und [des] Todes alle, die da glauben.
9. Solche
Verheißungen des Evangeliums sind viel mehr auch in den andern Propheten. Wie
Micha 5,1: „Und du Bethlehem Ephrata, die du klein
bist gegen die Tausenden in Juda, aus dir soll mir
kommen, der ein Israel HERR sei.“ Ebenso Hosea 13, V.
14: „Ich will sie erlösen aus der Hölle und vom Tod
erretten. Tod, ich will dir ein Gift sein; Hölle, ich will dir eine Pestilenz
sein.“
10. So ist
nun das Evangelium nichts anderes als eine Predigt von Christus, Gottes und
Davids Sohn, wahrem Gott und Menschen, der für uns mit seinem Sterben und
Auferstehen aller Menschen Sünde, Tod und Hölle überwunden hat, die an ihn
glauben. Dass also das Evangelium eine kurze und lange Rede mag sein, und einer
kurz, der andere lang beschreiben mag. Der beschreibt’s lang, der viel Werke
und Worte Christi beschreibt, wie die vier Evangelisten tun. Der beschreibt’s
aber kurz, der nicht von Christi Werken, sondern kurz anzeigt, wie er durch
sein Sterben und Auferstehen Sünde, Tod und Hölle überwunden habe denen, die an
glauben, wie St. Petrus und Paulus.
11. Darum
siehe nun darauf, dass du nicht aus Christus einen Mose machst, noch aus dem
Evangelium ein Gesetz- oder Lehrbuch, wie bisher geschehen ist, und etliche
Vorreden, auch von St. Hieronymus, sich hören lassen. Denn das Evangelium
fordert eigentlich nicht unser Werk, dass wir damit fromm und selig werden, ja,
es verdammt solche Werke; sondern es fordert den Glauben an Christus
, dass derselbe für uns Sünde, Tod und Hölle überwunden hat, und also
uns nicht durch unser Werk, sondern durch sein eigenes Wort, Sterben und Leiden
fromm, lebendig und selig macht, dass wir uns seines Sterbens und Siegs mögen
annehmen, als hätten wir es selbst getan.
12. Dass aber
Christus im Evangelium dazu St. Petrus und Paulus viel Gebote und Lehre geben
und das Gesetz auslegen, soll man gleich rechnen allen andern
Werken und Wohltaten Christi. Und gleichwie seine Werke und Geschichte
wissen, ist noch nicht das rechte Evangelium wissen; denn damit weißt du noch
nicht, dass er die Sünde, Tod und Teufel überwunden hat: So ist auch das noch
nicht das Evangelium wissen, wenn du solche Lehre und Gebot weißt, sondern wenn
die Stimme kommt, die da sagt: Christus sei dein eigen mit Leben, Lehren,
Werken, Sterben, Auferstehen und alles, was er ist, hat, tut und vermag.
13. So sehen
wir auch, dass er nicht dringt, sondern freundlich lockt und spricht: „Selig
sind die Armen“ usw. Und die Apostel gebrauchen das Wort: „Ich ermahne, ich
flehe, ich bitte“, dass man allenthalben sieht, wie das Evangelium nicht ein
Gesetzbuch ist, sondern eigentlich eine Predigt von den Wohltaten Christi, uns
erzeigt und zu eigen gegeben, wo wir glauben. Mose aber in seinen Büchern
treibt, dringt, droht, schlägt und straft greulich,
denn er ist ein Gesetzschreiber und Treiber.
14. Daher
kommt’s auch, dass einem Gläubigen kein Gesetz gegeben ist, dadurch er gerecht
werde vor Gott, wie St. Paulus sagt, 1. Tim. 1,9, darum, dass er durch den
Glauben gerecht, lebendig und selig ist. Und ist ihm nicht mehr not, als dass
er solchen Glauben mit Werken beweise. Ja, wo der Glaube ist, kann er sich
nicht halten; er beweist sich, bricht heraus durch gute Werke, bekennt und
lehrt solch Evangelium vor den Leuten und wagt sein Leben dran. Und alles, was
er lebt und tut, das richtet er zu des Nächsten Nutz, ihm zu helfen; nicht
allein zu solcher Gnade zu kommen, sondern auch mit Leib, Gut und Ehre, wie er
sieht, dass ihm Christus getan hat, und folgt so dem Beispiel Christi nach.
15. Das meint
auch Christus, da er zuletzt kein anderes Gebot gab als die Liebe, daran man
erkennen sollte, wer seine Jünger wären und rechtschaffene Gläubige. Denn wo
die Werke und Liebe nicht heraus bricht, da ist der
Glaube nicht recht, da haftet das Evangelium noch nicht, und ist Christus nicht
recht erkannt. Siehe, nun richte dich also in die Bücher des Neuen Testaments,
dass du sie auf diese Weise zu lesen wissest.
Anno 1522[2]
1. Aus diesem
allen kannst du nun recht urteilen unter allen Büchern und den Unterschied
nehmen, welches die besten sind. Denn namentlich ist des Johannes Evangelium
und St. Pauli Episteln [Briefe], besonders die an die Römer, und St. Peters
erste Epistel, der rechte kern und Mark unter allen Büchern, welche auch billig
die ersten sein sollten, und einem jeglichen Christen zu raten wäre, dass er
dieselben am ersten und allermeisten läse und sich durch tägliches Lesen so
gemein machte wie das tägliche Brot.
2. Denn in
diesen findest du nicht viel Werke und Wundertaten Christi beschrieben; du
findest aber gar meisterlich ausgestrichen, wie der Glaube an Christus Sünde,
Tod und Hölle überwindet und das Leben, Gerechtigkeit und Seligkeit gibt,
welches die rechte Art ist des Evangeliums, wie du gehört hast.
3. Denn wo
ich je deren eines mangeln sollte, der Werke oder der Predigt Christi, so
wollte ich lieber der Werke als seiner Predigt ermangeln. Denn die Werke hülfen
mir nichts; aber seine Worte, die geben das Leben, wie er selbst sagt Joh.
8,51. Weil nun Johannes gar wenig Werke von Christus, aber gar viel seiner
Predigten schreibt, wiederum die andern drei Evangelisten viel seiner Werke,
wenig seiner Worte beschreiben, ist des Johannes Evangelium das einige zarte,
rechte Hauptevangelium, und den andern dreien weit, weit vorzuziehen und höher
zu heben. So auch St. Paulus und Petrus Episteln weit über die drei
Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas vorgehen:
4.
Zusammenfassend, des Johannes Evangelium und seine erste Epistel, St. Pauli
Episteln, besonders die an die Römer, Galater, Epheser, und St. Peters erste
Epistel, das sind die Bücher, die dir Christus zeigen und alles lehren, das dir
zu wissen not und selig ist, ob du schon kein anderes Buch noch Lehre je siehst
noch hörst. Darum ist St. Jakobs Epistel eine recht stroherne Epistel gegen
sie, denn sie doch keine evangelische Art an sich hat. Doch davon weiter in
anderen Vorreden.
1522[3]
Es ist eine
starke Gewohnheit, dass man die Evangelien zählt und nennt nach den Büchern und
spricht: Es sind vier Evangelien. Daher ist’s gekommen, dass man nicht weiß,
was St. Paulus und Petrus in ihren Episteln sagen, und wird ihre Lehre gleich
geachtet als Zusätze zur Lehre der Evangelien, wie auch ein Prolog des
Hieronymus sich hören lässt. Darnach ist noch eine ärgere Gewohnheit, dass man
die Evangelien und Episteln achtet gleich wie Gesetzbücher, darinnen man lehren
soll, was wir tun sollen, und die Werke Christi nicht anders denn als Beispiel
uns vorgebildet werden. Wo nun diese zwei irrigen Meinungen im Herzen bleiben,
da können weder Evangelium noch Epistel nützlich und christlich gelesen werden,
bleiben eitel Heiden, wie vorher.
Darum soll
man wissen, dass nur Ein Evangelium ist, aber durch viele Apostel geschrieben.
Eine jegliche Epistel Pauli und Petri, dazu die Apostelgeschichte des Lukas,
ist ein Evangelium, ob sie wohl nicht alle Werke und Worte Christi erzählen,
sondern eines kürzer und weniger als das andere umfasst. Ich doch auch der vier
Evangelien keins, das alle Worte und Werke Christi umfasst; ist auch nicht
nötig. Evangelium ist und soll nichts andres sein als eine Rede oder Geschichte
von Christus. Gleichwie unter den Menschen geschieht, dass man ein Buch
schreibt von einem König oder Fürsten, was er getan und geredet und erlitten
hat in seinen Tagen, welches man auch mancherlei Weise mag beschreiben, einer
in der Länge, der andere in der Kürze.
So soll und
ist das Evangelium nichts andres als eine Chronik, Geschichte, Bericht von
Christus, wer der sei, was er getan, geredet und erlitten habe, welches einer
kurz, der andere lang, einer so, der andere so beschrieben hat. Denn aufs
kürzeste ist das Evangelium eine Rede von Christus, dass er Gottes Sohn und
Mensch sei für uns geworden, gestorben und auferstanden, [als] ein HERR über
alle Dinge gesetzt. Soviel nimmt St. Paulus vor sich in seinen Episteln, und
streicht das aus, lässt anstehen alle die Wunder und Wandel, die in den vier
Evangelien geschrieben sind; und begreift doch genugsam und reichlich das ganze
volle Evangelium, wie das im Gruß an die Römer klar und fein zu sehen ist, da
er sagt, was das Evangelium sei, und spricht: „Paulus, ein Knecht Jesu Christi,
berufen zum Apostel und ausgesondert zu predigen das Evangelium Gottes, welches
er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in der heiligen
Schrift, von seinem Sohn, der ihm geboren ist von dem Samen Davids nach dem
Fleisch und kräftig erwiesen ein Sohn Gottes nach dem Geist, der da heiligt,
seit der Zeit ere auferstanden ist von den Toten,
nämlich Jesus Christus, unser HERR“ usw.
Da siehst du,
dass das Evangelium eine Geschichte ist von Christus, Gottes und Davids Sohn,
gestorben und auferstanden und zum HERRN gesetzt, welches da ist die
Zusammenfassung des Evangeliums. Wie nun nicht mehr als Ein Christus ist, so
ist und kann nicht mehr als Ein Evangelium sein. Weil
auch St. Paulus und Petrus nichts andres als Christus lehren auf vorgesagte
Weise, so können ihre Episteln nichts andres als das Evangelium sein. Ja, auch
die Propheten, dieweil sie das Evangelium verkündigt und von Christus gesagt
haben, wie hier St. Paulus meldet und jedermann wohl weiß, so ist ihre Lehre an
demselben Ort, da sie von Christus reden, nichts andres als das wahre, lautere,
rechte Evangelium, als hätten es Lukas oder Matthäus geschrieben. Zum Beispiel,
da Jesaja Kap. 53 sagt, wie er für uns sterben und unsere Sünden tragen sollte,
hat er das lautere Evangelium geschrieben. Und ich sage fürwahr, so nicht
jemand diese Ansicht vom Evangelium fasst, der wird nimmer können in der
Schrift erleuchtet werden, noch den rechten Grund überkommen.
Zum andern,
dass du nicht aus Christus einen Mose[4]
machst, als tue er nicht mehr, als lehren und Beispiel geben, wie die andern Heiligen tun, als sei das Evangelium ein Lehr-
oder Gesetzbuch. Darum sollst du Christus, sein Wort, Werk und Leiden, auf
zweierlei Weise fassen. Einmal, als ein Beispiel, dir vorgetragen, dem du
folgen sollst und auch so tun, wie St. Petrus sagt 1. Petr. 2 (V. 21):
„Christus hat für uns gelitten, darin uns ein Beispiel gelassen.“ Also, wie du
siehst, dass er betet, fastet, den Leuten hilft und Liebe erzeigt, so sollst du
auch tun, dir und deinem Nächsten. Aber das ist das Geringste vom Evangelium,
davon es auch noch nicht Evangelium heißen mag: Denn damit ist Christus dir
nichts mehr nütze als ein anderer Heiliger. Sein Leben bleibt bei ihm und hilft
dir doch nichts; und kürzlich, die Weise macht keinen Christen; es macht nur
Gleißner[5], es muss
noch gar viel höher mit dir kommen; wiewohl jetzt lange Zeit dies die
allerbeste Weise, dennoch selten gewesen ist zu predigen.
Das
Hauptstück und Grund des Evangeliums ist, dass du Christus zuvor, ehe du ihn
zum Beispiel fasst, aufnimmst und erkennst als eine Gabe und Geschenk, das dir
von Gott gegeben und dein eigen sei, so dass, wenn du ihm zusiehst oder hörst,
dass er etwas tut oder leidet, dass du nicht zweifelst, er selbst, Christus,
mit solchem Tun und Leiden, sei dein, darauf du dich nicht weniger mögest
verlassen, als hättest du es getan, ja, als wärest du derselbe Christus. Siehe,
das heißt das Evangelium recht erkannt, das ist, die überschwängliche Güte
Gottes, die kein Prophet, kein Apostel, kein Engel hat je ausreden können, kein
Herz je genugsam kann verwundern und begreifen. Das ist das große Feuer der
Liebe Gottes zu uns, davon werden das Herz und Gewissen froh, sicher und
zufrieden; das heißt den christlichen Glauben predigen. Davon heißt solche
Predigt „Evangelium“, das lautet auf Deutsch so viel wie eine fröhliche, gute, tröstliche Botschaft, von welcher Botschaft
die Apostel genannt werden zwölf Boten.
Davon sagt
Jesaja 9 (V. 6): „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ Ist er
uns gegeben, so muss er unser sein: So müssen wir uns auch seiner annehmen, als des unsern. Und Röm. 8 (V. 32): „Wie hat er
uns nicht alle Dinge sollen geben mit seinem Sohn?“ Siehe, wenn du also
Christus fast als eine Gabe, dir zu eigen geben, und zweifelst nicht daran, so
bist du ein Christ; der Glaube erlöst dich von Sünden, Tod und Hölle, macht,
dass du alle Dinge überwindest. Ach, davon kann niemand genug reden, da ist die
Klage dass solche Predigt in der Welt verschwiegen ist
und alle Tage das Evangelium gerühmt wird.
Wenn du nun
Christus so hast zum Grund und Hauptgut deiner Seligkeit, dann folgt das andre
Stück, dass du auch ihn zum Beispielfasst, ergebest dich auch so deinem
Nächsten zu dienen, wie du siehst, dass er sich dir ergeben hat. Siehe, da
gehen denn Glaube und Liebe im Schwange, ist Gottes Gebot erfüllt, der Mensch
fröhlich und unerschrocken, zu tun und zu leiden alle Dinge. Darum siehe eben
darauf: Christus, als eine Gabe, nährt deinen Glauben und macht dich zum
Christen. Aber Christus als ein Beispiel übt deine Werke; die machen dich nicht
zum Christen, sondern sie gehen von dir [als] Christen aus schon zuvor gemacht.[6] Wie fern
nun Gabe und Beispiel sich scheiden, so fern scheiden sich auch Glaube und
Werke. Der Glaube hat nichts Eigenes, sondern nur Christi Werk und Leben. Die
Werke haben etwas Eigenes von dir; sollen aber doch nicht dein eigen, sondern
des Nächsten sein.
Darum siehst
du, Evangelium ist eigentlich nicht ein Buch der Gesetze und Gebote, das von
uns fordere unser Tun; sondern ein Buch der göttlichen Verheißungen, darin er
uns verheißt, anbietet und gibt alle seine Güter und Wohltaten in Christus.
Dass aber Christus und die Apostel viel gute Lehre geben und das Gesetz
auslegen, ist zu rechnen unter die Wohltat, wie ein andres Werk Christi: Denn
recht lehren ist nicht die geringste Wohltat. Darum sehen wir auch, dass er
nicht greulich dringt und treibt, wie Mose tut in
seinem Buch und des Gebots Art ist, sondern lieblich und freundlich lehrt, sagt
nur, was zu tun und zu lassen sei, was den Übeltätern und Wohltätern begegnen
werde, treibt und zwingt niemand. Ja, er lehrt auch so sanft, dass er mehr
reizt als gebietet, hebt an und sagt: „Selig sind die Armen; selig sind die
Sanftmütigen“ usw. Und die Apostel gebrauchen auch gemeiniglich die Wörter:
„Ich ermahne, ich bitte, ich flehe“ usw. Aber Mose, der spricht: „Ich gebiete, ich verbiete“, droht und schreckt daneben mit greulichen Strafen und Pein. Aus diesem Unterricht kannst
du nützlich die Evangelien lesen und hören.
Wenn du nun
das Evangelienbuch auftust, liest oder hörst, wie Christus hier oder dahin
kommt oder jemand zu ihm gebracht wird, sollst du dadurch vernehmen die Predigt
oder das Evangelium, durch welches er zu dir kommt oder du zu ihm gebracht
wirst. Denn Evangelium predigen ist nichts andres, als dass Christus zu uns
kommt oder man uns zu ihm bringt. Wenn du aber siehst, wie er wirkt und hilft
jedermann, zu dem er kommt und die zu ihm gebracht werden, sollst du wissen,
dass solches der Glaube in dir wirke und er deiner Seele eben dieselbe Hilfe
und Güte anbietet durchs Evangelium. Hältst du hier still und lässt dir gut tun, das ist, so du es glaubst, dass er dir wohltue und
helfe, so hast du es gewiss, so ist Christus dein und dir zur Gabe geschenkt.
Darnach ist’s
not, dass du ein Beispiel daraus machst und deinem Nächsten auch so hilfst und
tust, seist auch ihm zur Gabe und Beispiel gegeben. Davon sagt Jesaja 40 (V. 1
f): „Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem
freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, denn ihre
Missetat ist vergeben, denn sie hat Zweifältiges empfangen von der Hand des
HERRN um alle ihre Sünde“ usw. Diese zweifachen Güter sind die zwei Stücke in
Christus: Gabe und Beispiel; welche auch sind bedeutet durch die zwei Stücke
des Erbteils, die das Gesetz Moses zueignet dem ersten Sohn, und durch viele
andere Figuren [Bilder, Gleichnisse].
Ferner,
wiewohl es Sünde und Schande ist, dass es mit uns Christen dahin gekommen ist
und wir so unfleißig im Evangelium gewesen sind, dass
wir’s nicht allein nicht verstehen, sondern auch allererst bedürfen, dass man
uns mit anderen Büchern und Auslegungen zeige, was darin zu suchen und zu
erwarten sei: Da die Evangelien und Episteln der Apostel darum geschrieben
sind, dass sie selbst solche Zeiger sein wollen, und uns weisen in die Schrift
der Propheten und Moses, des Alten Testaments, dass wir allda selbst lesen und
sehen sollen, wie Christus in die Windeltücher gewickelt und nun in der Krippe
gelegt sei, das ist, wie er in der Schrift der Propheten verfasst sei.
Da sollte
unser Studieren und Lesen sich über und sehen, was Christus sei, wozu er
gegeben sei, wie er versprochen sei, und wie sie alle Schrift an ihn ziehe, als
der selbst sagt, Joh. 5 (V. 46): „Wenn
Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir, denn von mir hat er geschrieben.“
Ebenso (V. 39): „Forscht und sucht in der Schrift, denn dieselbe ist es, die
von mir Zeugnis gibt“. Das meint St. Paulus zu den Römern im ersten, da er
vornan im Gruß spricht, „Das Evangelium sei von Gott versprochen durch die Propheten
in der Heiligen Schrift“. Daher geschieht’s, dass die Evangelisten und Apostel
immerdar uns in die Schrift weisen und sprechen: „So ist’s geschrieben“;
ebenso: „Das ist geschehen, dass die Schrift der Propheten erfüllt würde“ usw.
Und Apg. 17, da die Thessalonicher das Evangelium mit aller Lust hörten,
spricht Lukas (V. 11), dass sie in der Schrift studiert und gehorcht, ob es so
wahr wäre.
Also, da St.
Petrus seine Epistel schreibt, mitten im Anfang (I, 1,10-12), spricht er: „Nach
dieser eurer Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der
zukünftigen Gnade auf euch geweissagt haben, und haben geforscht, auf welche
und welcherlei Zeit deutet der Geist Christi, der in ihnen war, und zuvor
bezeugt hat die Leiden, die in Christus sind, und die Herrlichkeit darnach,
welchen es offenbart ist; denn sie haben’s nicht sich selbst, sondern uns
dargetan, welches euch nun verkündigt ist durch die, so euch das Evangelium
verkündigt haben, durch den Heiligen Geist, vom Himmel gesandt, welches auch
die Engel gelüstet zu schauen.“ Was will hiermit St. Petrus denn uns in die
Schrift führen? Als sollte er sagen: Wir predigen und öffnen euch die Schrift
durch den Heiligen Geist, dass ihr selbst mögt lesen und sehen, was darinnen
ist, und von welcher Zeit die Propheten geschrieben haben, wie er auch sagt
Apg. 3 (V. 24): „Von diesen Tagen haben alle Propheten geredet, von Samuel an,
die da je geweissagt haben.“
Darum spricht
auch Lukas im letzten Kapitel (V. 24), „dass Christus habe den Aposteln den
Verstand aufgetan, dass sie die Schrift verstünden“. Und Christus Joh. Kap. 10
(V. 9) sagt: „Er sei die Tür, durch ihn muss man eingehen; und wer durch ihn
eingeht, dem tut auf der Türhüter (der Heilige Geist),
dass er findet Weide und Seligkeit.“ Also, dass endlich war
ist, wie das Evangelium selbst Zeiger und Unterrichter ist in die Schrift;
gleichwie ich mit dieser Vorrede gerne das Evangelium zeigen und Unterricht
geben wollte.
Aber siehe
zu, wie feine, zarte, fromme Kinder wir sind! Auf dass wir nicht müssten in der
Schrift studieren und Christus allda lernen, halten wir das ganze Alte
Testament für nichts, als das nun aus sei und nichts mehr gelte, so es doch
allein den Namen hat, dass es Heilige Schrift heißt, und Evangelium eigentlich
nicht Schrift, sondern mündlich Wort sein sollte, das die Schrift hervor trüge,
wie Christus und die Apostel getan haben. Darum auch Christus selbst nichts
geschrieben, sondern nur geredet hat, und seine Lehre nicht Schrift, sondern
Evangelium, das isst, eine gute Botschaft oder Verkündigung genannt hat, das nicht mit der Feder, sondern mit dem Mund soll getrieben
werden. So fahren wir zu und machen aus dem Evangelium ein Gesetzbuch, eine
Gebotslehre, aus Christus einen Mose, aus dem Helfer nur einen Lehrer.
Was sollte
nicht Gott verhängen über solch dummes, verkehrtes Volk? Es ist billig, dass er
uns in des Papstes Lehre und Menschenlügen hat fahren lassen, da wir seine
Schrift ließen fahren und anstatt Heiliger Schrift eines lügenhaften Narren und
bösen Schalks Dekretalen[7] lernen
mussten. O wollte Gott, dass bei den Christen doch das lautere Evangelium
bekannt wäre und diese meine Arbeit nur aufs Schierste kein nütz noch not würde[8], so wäre
gewiss Hoffnung, dass auch die Heilige Schrift wieder hervorkäme in ihrer
Würdigkeit!
Das sei genug
zur Vorrede und Unterricht aufs kürzeste gesagt; in
der Auslegung wollen wir mehr davon sagen. Amen.
[1] Entnommen aus: ebd.
Sp. 84-91
[2] Das Folgende bildet
den Schluss der Vorrede von 1522.
[3] Entnommen aus:
Luthers Werke. Hrsg. von Buchwald, Kawerau, … 3. Aufl. Dritte Folge. Bd. 1.
Berlin: C.A. Schwetschke und Sohn. 1905. S. 117-124
[4] Das meint:
Gesetzgeber
[5] Äußerliche Heilige,
Heuchler
[6] Nachdem du durch
Christus zum Christen gemacht bist.
[7] Päpstliche
Verordnungen
[8] Das ist: doch
wenigstens ein klein wenig nütze wäre