Inhaltsverzeichnis
1. Boos schildert, wie er zum Leben des Glaubens erweckt wurde
3. Boos'
Wirksamkeit in Bayern
4. Boos' Leiden in
Bayern. Er wandert aus nach Österreich
1.
Aus Boos' Tagebüchern und "Tagegedanken"
2.
Einige Geschichten aus Boos' Wirksamkeit in Österreich, besonders in
Gallneukirchen
6. Neue
Verfolgung. Boos verläßt Österreich. Seine letzten Lebensjahre
Wer ein
Freund Christi ist, der muß ein Feind sein des Antichrists, der sitzt im Tempel
des HErrn und das Gesetz des HErrn übel deutet und gibt sich vor, er sei Gott.
Wer ein
Freund Christi ist, der muß ein Feind sein aller Lehre, die nicht Christus
predigt, Christus allein, daß Er sei der HErr und der einzige Heiland aller
armen Sünder, die durch den Glauben an Ihn das Leben haben in Seinem Namen.
Wer ein
Freund Christi ist, der muß von der Welt und von allen falschen Christen
gehasset und verfolget werden. Das ist gewißlich wahr.
Wer ist nun
dieser Antichrist, von dem die Rede war? Diese Geschichte wird es deutlich
aufzeigen.
Dem Leser
soll nun von einem Manne erzählt werden, der zwar bitter und gehässig von der
gottlosen Welt und römischen Pfaffen verfolgt, doch bis an sein Ende nicht
allein ein Glied, sondern auch ein Priester der römischen Kirche und gleichwohl
ein rechter Prediger der Gerechtigkeit gewesen ist, die vor Gott gilt.
Wie ist das
möglich? wird der Leser fragen. Ich will ihm aber die Frage erst am Ende
beantworten und zuvor den Beweis führen, daß Martin Boos wirklich eigentlich
ein Lutheraner von echtem Schrot und Korn gewesen wäre.
Recht
deutlich ist das zu ersehen aus einem Briefe vom 17. Dezember, in welchem
Er schreibt
da: "Du nennest mich einen langsamen Märtyrer. - Du hast recht, ich bin's.
In meiner Jugend marterten mich meine Sünden, für die ich lange keinen Heiland
wußte und kannte als mich selber. Als ich späterhin einen Heiland für meine
Sünden und für mein Inneres gefunden und geglaubt hat hatte, so marterten mich
die Konsistorien und der jüdisch gesinnte Pöbel und wollten mir meinen Glauben
und meinen Erlöser abschrecken, abdisputieren, abexulieren usw., und diese
Tragödie geht fort bis auf den heutigen Tag. Dazu kommt noch die Hölle und mein
eignes böses, trotziges, blödes, erschrockenes und verzagtes Herz. Ein Wunder
ist's, daß ich noch lebe, ich fühle mich schrecklich alt, ob ich schon erst
fünfzig Jahre zähle.
Ich habe
mir (ein Tor redet) entsetzlich viel Mühe gegeben, recht fromm zu leben, z. B.
lag ich jahrelang selbst zur Winterszeit auf dem kalten Boden und ließ das Bett
neben mir stehen, ich geißelte mich bis aufs Blut, ich litt Hunger und gab mein
Brot den Armen, jede müßige Stunde brachte ich in der Kirche und Domgruft zu,
ich beichtete und kommunizierte fast alle acht Tage. Ich wollte mit Gewalt aus
meinen guten Werken und guten Sitten leben. Aber ja wohl leben! Bei aller
Heiligkeit fiel ich immer tiefer in die Selbstsucht hinein, war immer traurig,
ängstlich, kopfhängend usw. Der Heilige schrie immer in seinem Herzen: Ich
unglücklicher Mensch! Wer wird mich erlösen? Röm. 7; und kein Mensch antwortete
ihm: Die Gnade Gottes durch JEsus Christus. Kein Mensch gab dem Patienten das
Kräutlein ein: 'Der Gerechte lebt aus dem Glauben'; und als es mir einmal
eingegeben ward, und ich mich besser befand, kam die ganze Welt mit all ihrer
Gelehrsamkeit und hohem geistlichen Ansehen daher und wollte mir weismachen,
ich hätte Gift gegessen, Gift gespien und alles vergiftet, man müsse mich
henken, ertränken, einmauern, davonjagen, verbrennen usw. Ich weiß keinen
blöderen und furchtsameren Menschen als mich, und doch bin ich Hasenfuß der
Welt fürchterlich und widerlich; ich wäre erstaunlich gern still, unbekannt und
unberühmt; aber es hilft nichts, ich bin in Bayern und Österreich berühmter als
Sch ... h ... Sieh, das ist in kurzem mein Lebenslauf; wenn ich einmal tot bin,
so sag' der Welt: ich lasse sie grüßen und hab' ihr weiter kein anderes
Kräutlein eingeben wollen als dieses: daß der Gerechte aus dem Glauben lebe;
das habe mir und anderen geholfen; das sie aber kein Vertrauen zu mir und zu
meiner Medizin gehabt habe, dafür könne ich nicht. Den Glauben, daß man durch
sich selbst gerecht und selig werde, hätt ich so lang probiert wie sie, ich
hätte aber später in einer alten Schrift gefunden, daß wir um Christi willen,
ohne daß wir's verdient, aus Gnaden gerecht und selig werden, und in diesem
Glauben sei ich auch gestorben. Wenn ihr aber diese Brücke nicht anstehe, so
könne sie mit eigenen Füßen durchs Weltmeer waten und zusehen, ob sie nicht
ertrinke. So, dies sagst du der Welt nach meinem Tode."
Wer wird
über dem Lesen dieses kostbaren Briefes nicht einmal ums andere an einen
anderen Martin erinnert, der dreihundert Jahre zuvor in seiner Klosterzelle zu
Erfurt und auf seiner Reise nach Rom ganz denselben Kampf gekämpft, den
gleichen Glauben überkommen, nachmals den gleichen Widerspruch und Haß der Welt
erfahren und endlich dasselbe Vermächtnis den Seinen hinterlassen hatte? Und
wer wird nicht begierig sein, die weit weniger bekannte Geschichte dieses neueren
Martin etwas näher kennenzulernen? Hören wir denn
Martin Boos
wurde am 25. Dezember 1762, nachts zwölf Uhr, in Huttenried an der Grenze von
Oberbayern und Schwaben geboren.
Seine
Eltern waren so wohlhabende Bauersleute, daß sie zwanzig Kühe und vier Pferde
halten konnten.
Als Martin,
der von sechzehn Geschwistern das vierzehnte war, im vierten Jahre stand,
starben beide Eltern innerhalb von vierzehn Tagen. Er konnte sich ihrer von
Angesicht in seinem ganzen Leben nicht erinnern. Sie starben an einer
Krankheit, die allgemein im ganzen Lande herrschte und viele Menschen
wegraffte.
Nun waren
zwölf verwaiste Kinder im Hause. Die älteste Schwester war etwa achtzehn Jahre alt.
Man verteilte daher die Waisen unter die nächsten Verwandten.
Den Martin
trug seine älteste Schwester auf dem Rücken am Pfingstmontag bis nach Augsburg
und übergab ihn seinem Onkel, dem "geistlichen Rate" Kögel. Sie wurde
auf der Reise unter dem Druck ihrer Last so müde, daß sie den Martin in einen
Kornacker hinwarf, ihn liegen ließ und allein nach Augsburg ging. Der
verlassene Martin weinte, schlief aber endlich in dem Kornbette sanft ein. Etwa
nachmittags um 4 Uhr holte ihn die Schwester ab, brachte ihn nach Augsburg,
stelle ihn seinem Onkel vor und bat denselben, daß er ihn an Kindes Statt auf-
und annehmen möchte.
Martin
wollte aber durchaus nicht in Augsburg bleiben, als wenn er ahnte, daß er
daselbst einst viel leiden müsse, sondern er wollte mit der Schwester nach
Hause gehen. Am dritten Tage aber ging die Schwester sehr früh weg, ohne von
ihm Abschied zu nehmen, und nun mußte er freilich bleiben, wo sie ihn abgesetzt
und angebracht hatte. Als Martin etwa acht Jahre als war, schickte ihn der
Onkel in die Schule, wo er lesen und schreiben lernen mußte.
Als er
etliche Jahre in diese Schule gegangen war, sagte ihm sein Onkel, den er um das
Schulgeld bat: "Da, du! Jetzt mußt du die Schule verlassen und ein
Handwerk lernen. Was willst du denn werden?" Martin antwortete darauf:
"Ich möchte gern ein Geistlicher werden." Der Onkel: "Jawohl! Du
willst ein Geistlicher werden? Dazu hast du kein Talent und kein Geld."
Das schmerzte den Martin. Doch sagte darauf der Onkel, er solle nach Tisch zu
ihm kommen, er werde ihm ein Schreiben an seinen Lehrer mitgeben, um sich zu
erkundigen, wie und was er lerne.
Der alte
Lehrer gab ihm das beste Zeugnis; daß er unter dreihundert Schülern der
fleißigste und in den Anfangsgründen der lateinischen Sprache der vorzüglichste
sei, und daß es Sünd' und Schade wäre, wenn er den Martin nicht fortstudieren
ließe.
Martin
hatte nämlich die Anfangsgründe der lateinischen Sprache heimlich gelernt, ohne
seinem Onkel, vor dem er sich fürchtete, etwas davon gesagt zu haben. Dieser
hatte übrigens auch das ganze Jahr nie nach ihm gefragt.
Als Martin
das gute Zeugnis seines Lehrers mit nach Hause gebracht und der Onkel es
gelesen hatte, sagte er zu ihm: "Nun, dein Schullehrer gibt dir ein gutes
Zeugnis. Ich will's versuchen mit dir und dich studieren lassen; wenn es aber
anders als jetzt geht, so mußt du ein Schuster werden."
Nun wurde
Martin noch fleißiger als zuvor. Er studierte und betete Tag und Nacht, daß ihm
der liebe Gott doch zu seinem Zweck helfen möchte.
Er kam nun in die Schule der Exjesuiten (So
nannte man die Jesuiten, welche nach Aufhebung des Ordens doch weiterhin nach
der Regel Loyolas zusammenlebten und in seinem Sinn wirkten, auch als Lehrer.),
wo er die unteren Klassen in fünf Jahren mit gutem Fortgang absolvierte und
dann die Logik auf dem Lyzeum [Gymnasium, Anm. d. Hrsg.] hörte.
Seinem
Onkel war Dillingen, wohin Martin nun kommen sollte, um daselbst seine
Universitätsstudien zu treiben, von den Exjesuiten als ein gefährlicher und
böser Ort bezeichnet worden, wo junge Leute leicht ihren Glauben verlieren
könnten. Der Onkel aber konnte die Exjesuiten nicht leiden, weil er wußte, daß
sie nur verkappte Jesuiten und jedem feind waren, der auf ein gottseliges Leben
in Christus JEsus drang. In Dillingen waren aber damals einige Professoren, die
das taten. "Martin", hatten die Jesuiten zu Boos gesagt, "wir
wollen dir die beste Hauslehrerstelle in Augsburg verschaffen, wenn du bei uns
bleibst; du hast in dieser Hinsicht nichts nach der Unterstützung und dem
Willen deines Onkels zu fragen." Aber Martin Boos kannte das vierte Gebot
besser als die Jesuiten und sagte das seinem Onkel wieder, sowie auch, daß
diese geistlichen Herren ihm seine Zeugnisse nicht herausgeben wollten.
Der Onkel
wurde gewaltig zornig und sprach: "Jetzt gehst du noch einmal zu ihnen;
sage denselben, sie sollten dir deine Zeugnisse geben; wo nicht, so würde ich
solche mit Gewalt zu erheben wissen." Jetzt gaben sie ihm denn die besten
Zeugnisse.
Des anderen
Morgens reiste Martin mit denselben nach Dillingen ab. Hier studierte er Physik
und Metaphysik mit großem Fleiße und wurde dann in das Alumnat aufgenommen, wo
er die Theologie kostenfrei studieren konnte.
Als er nun
nach Augsburg zu seinem Onkel in die Ferien zurückkam, lobte ihn dieser zum
erstenmal in seinem Leben: "Dies Jahr hast du mir Freude gemacht. Dein
Regens (Direktor des Seminars) hat mir schon geschrieben, wie wohl du dich
gehalten hast."
Martin
studierte nun vier Jahre lang als Alumnus Theologie in Dillingen.
Gleich im
Anfang des ersten Jahres bekam er "die vier kleinen Weihen"; im
zweiten um Ostern das Subdiakonat. Er wurde aber krank, und das Fieber verließ
ihn erst acht Tage vor Pfingsten. Er konnte und durfte während der Krankheit
nicht studieren. Weil aber sein Onkel wollte, daß er den nächsten Herbst
"Priester" werden sollte, zog er doch mit den anderen Alumnen zum
Examen nach Augsburg, in welchem er trefflich bestand, obgleich er und sein
Onkel zitterten, weil er von Ostern bis Pfingsten nichts hatte tun können. -
Als er den Onkel einst unter dem Mittagessen fragte, ob er wohl geweiht
(ordiniert) würde? antwortete dieser: "Warum nicht? Wie ich höre, hast du
das beste Examen gemacht."
Im Herbst
darauf erhielt Boos die "Priesterweihe".
Bei seiner
ersten Messe waren fünfhundert Gäste, über dreißig "Geistliche". Das
geschah alles nicht dem Martin, sondern dem Onkel zu Ehren. Der siebzigjährige
Mann war so vergnügt, daß er auf drei Tage ein Scheibenschießen gab, an dem der
ernste Boos schwerlich großes Vergnügen gefunden.
Jetzt mußte
Martin noch zwei Jahre ins Seminar nach Dillingen zurück, um seine Studien zu
vollenden. Endlich kam er auf sieben Wochen in das Generalseminar nach
Pfaffenhausen.
Von hier
aus aber als Kaplan nach Unterthingau, einem großen Marktflecken bei
Kempten. Und damit beginnt
Bald am
Anfang derselben erhielt er zu seinem größten Heil eine Lektion in der
Theologie, wie er sie bis dahin nie gehört.
Er besuchte
nämlich eine unter dem katholischen Volk wegen ihrer guten Werke und Almosen
höchst angesehene Frau auf ihrem Krankenlager.
"Sie
werden doch recht ruhig und selig sterben?" meinte er. Sie fragte:
"Warum denn?" "Nun, weil Sie fromm und heilig gelebt
haben."
Da blickte
die Kranke ihn verwundert und befremdet an und sprach: "Sie wären mir der
rechte Geistliche, ein schöner Tröster. Wo würde ich hinkommen? Wie würde ich
bestehen vor Gottes Gericht, wo man auch von einem jeden unnützen Wort
Rechenschaft geben muß? Da wäre ich ja gewiß verloren, wenn ich die Seligkeit
und den Himmel auf mich und meine Verdienste und Frömmigkeit baute. Wer ist
rein unter den Unreinen? Wer unschuldig in Gottes Augen? Wer gerecht, wenn Er
Sünde zurechnet? Welche unserer Handlungen und Tugenden wird vollwichtig
erfunden, wenn Er sie auf seine Waage legt? Nein, wenn Christus nicht für mich
gestorben, wenn Er nicht für mich genuggetan und bezahlt hätte, so wär ich mit
all meinen guten Werken und frommem Wandel ewig verloren. Er, Er ist meine Hoffnung,
mein Heil und meine Seligkeit."
"Siehe", sagte Boos später, "siehe, dies Wort aus dem
Munde einer Kreuzträgerin, einer im Rufe der Heiligkeit stehenden Seele öffnete
mir zuerst die Augen. Ich erblickte Christus für uns, frohlockte, wie Abraham,
als er Seinen Tag sah, predigte den erkannten Christus auch anderen, und sie
frohlockten mit."
Hatte er
sich im ersten Augenblick nicht wenig geschämt, daß er als ein Meister in
Israel das nicht wußte - so machte das Evangelium, das er hier zum erstenmal
ordentlich gehört, auf ihn einen Eindruck, der ihm lebenslänglich blieb.
"In
Christus ist allein Heil"; und: "Der Gerechte lebet seines
Glaubens" - das war fortan das Thema seiner Predigt, der Text zu seinem
ganzen Leben.
Eben darum
aber wollte Gott der HErr auch an ihm erzeigen, daß er viel leiden müsse um
Seines Namens willen.
Zwar in
Unterthingau, woselbst er zwei Jahre lang Kaplan war, regte sich der Geist der
Verfolgung noch nicht. Erst als er in Kempten zum Stiftskaplan und bald
darauf gar zum Kanonikus in Grönbach ernannt worden war und besonders am
letztgenannten Orte durch treue Predigt und Seelsorge viele Seelen aus dem
verderblichen und verdammlichen Dünkel ihrer Selbst- und Werkgerechtigkeit
aufgerüttelt worden waren, erwachten Neid und Eifersucht der übrigen Kanoniker,
besonders des ersten, des Dekans. Sie konnten's nicht ertragen, daß alle, die
den Weg der Seligkeit suchten, Boos zuliefen, um von ihm getröstet und belehrt
zu werden; denn ihm sah man an, daß er sich und andere mit Ernst selig zu
machen suchte. Wie weit aber der Haß seiner Mitpriester ging, erhellt daraus,
daß sie ihm heimlich, wenn er von seinem ZImmer abwesend war, Pult und Schränke
erbrachen, seine Briefe und Papiere durchsuchten und lasen und ihn dann darüber
bei Tich neckten und verspotteten und durchaus so behandelten, daß sie ihm sein
Leben sauer machten und verbitterten. Ihr Haß und ihre Feindschaft stieg so
hoch, daß sie ihn endlich, wie die Brüder Josephs, nicht mehr unter sich dulden
und sehen konnten. Sie stießen ihn hinaus, d.i. entsetzten ihn seines Amtes und
schickten ihn fort. "In Grönbach hat man mir's wild gemacht, und das
alles, um Gott einen Dienst zu tun", schrieb M. Boos am 20. Oktober 1797.
Der Dekan
hätte ihn lieber "eingemauert oder aufgehenkt" gesehen, wie er selbst
erklärte; mußte ihm aber dennoch nachher alle Jahre, bis Boos auswanderte, den
Gehalt des Kanonikats zusenden; denn diesen konnten und durften sie ihm nicht
nehmen.
Seines
Amtes entsetzt und vertrieben, stand Boos nun auf der Landstraße. Wohin sollte
er seine Schritte lenken?
Sein Weg
führte in an einer Heuhütte vorbei. Da trat er ein, warf sich zur Erde und
betete, um die schwere Last auf den zu werfen, der uns zuruft: Alle eure Sorge
werfet auch Mich; denn Ich sorge für euch. Hierauf wandelte Boos getrost und
freudig weiter und kam nach Seeg, wo der ehemalige Kanonikus wieder zum
Kaplan werden mußte an der Seite des Priesters Feneberg.
Der nahm
ihn auf mit Freuden, und Boos wirkte dort mit mehr Segen und Kraft als zuvor.
Aber hier
so wenig wie in Wiggensbach, wohin Boos 1795 als Kaplan gesetzt wurde,
konnte er die ihm befohlene Herde in Frieden weiden.
Während auf
der einen Seite seine Predigten und sein frommer Wandel einen außerordentlichen
Eindruck machten, wie man es bis dahin an jenen Orten nie gesehen, während
viele Seelen zur Erkenntnis ihrer selbst und zur wahren Erkenntnis Christi
kamen, vieler Blinder Augen aufgetan und viele geistlich Tote lebendig wurden,
rüstete sich andererseits der alte böse Feind mit aller Macht wider den treuen
Zeugen.
Zwar, daß
eine böswillige Hebamme aussprengte, Boos taufe die Kinder auf den Teufel - er
hatte nämlich einmal bei einer Taufhandlung aus reinem Versehen die Frage:
Entsagest du dem Teufel? usw. weggelassen -, war noch nicht das Ärgste,
obgleich der Sturm darüber lang genug dauerte, und eine Zeitlang keine Mutter
mehr ihr Kind von Boos taufen lassen wollte.
Endlich mußten
ja die Lästerer schweigen, nachdem diese Lügen unzähligemal widerlegt worden.
Aber
schwerer fiel schon ins Gewicht, daß infolge der Boosschen Predigten zwar nicht
die wahrhaft guten Werke, die jetzt vielmehr viel reichlicher als zuvor
geschahen, wohl aber die erdichteten guten Werke der Papstheiligen, als da sind
Rosenkranzbeten, Wallfahrtengehen, nach Ablaß laufen und dergleichen, mehr und
mehr abnahmen.
Das war den
Herren Amtsnachbarn des treuen M. Boos ein entsetzliches "Ärgernis".
Denn es kam wohl gar vor, daß ein Priester etwa eine Frau fragte, warum sie nicht,
wie sonst, zum Ablaßfest gehe? und darauf die Antwort erhielt: "JEsus
Christus ist mein Ablaß, weil Er für mich gestorben ist. Einzig und allein das
Blut Christi ist mein Ablaß." -
Konnte
der Satan da ruhig zusehen? Konnte er zusehen, wie durch Boos' Dienst sogar
einige Priester dem Glauben gehorsam wurden? Nimmermehr. Darum reizte er alle
papistisch gesinnten Werkheiligen, Pfaffen und Laien, in der ganzen Umgegend
auf, Boos als einen argen Ketzer und Wolf auszuschreien; und als solcher wurde
er denn auch bei dem Augsburger Bischof angeklagt. -
Am 10.
Februar 1797 stellte er sich vor seinen "geistlichen" Richtern in
Augsburg.
Eine Stunde
von Augsburg entfernt liegt das Dorf Göggingen. Dort befand sich ein
Priesterkorrektions- oder -zuchthaus. In demselben saßen lauter
"geistliche" Verbrecher und "geistliche" Verrückte
gefangen. - Dort wurde Boos zunächst eingesperrt und mußte von hier aus unter
Begleitung eines Soldaten oder Wächters zum Verhör nach Augsburg gehen. Wer ihn
da gehen sah, mußte glauben, er habe das größte Polizeiverbrechen begangen, sei
ein Dieb oder Mörder.
In diesem
Gefängnisse mußte er acht Monate sitzen und wurde, ehe er verhört war, schon
als Verbrecher behandelt. In vierundfünfzig Tagen ward er erst viemal, im
ganzen aber mehr als fünfzigmal verhört.
Von seinen
Richtern waren etliche heftig, bitter und feindselig und wollten ihn mit Gewalt
zum Ketzer stempeln. Andere, die natürlich milder waren, hatten nicht Kraft
genug, jenen zu widerstehen. Unter diese letzteren gehörte der Generalvikar
Nigg, der, um Boos wenigstens einige Leiden zu ersparen und die Untersuchung
abzukürzen, ganze Stöße von dessen Schriften auf die Seite räumte und
verbrannte. Der Mut, sich für Boos zu erklären, fehlte ihm.
Dieser
selbst arbeitete im Gefängnis "Grundsätze und Lehren" aus, in welchen
er die aus der biblisch-evangelischen Rechtfertigungslehre fließenden teuren
Wahrheiten klar und deutlich darlegte, sie als seinen Glaube und seine
Lehre bekannte und damit schloß:
"Ich glaube
aber auch, daß alle diese Sätze den Weisen und Klugen dieser Welt unbegreiflich
vorkommen und sein werden, gleichwie der Friede Gottes über alle Vernunft
ist." (Phil. 4,7; 2 Kor. 3,4.6)
Lag darin
zugleich die Ahnung ausgesprochen, daß Boos bei seinen weltweisen Richtern
wenig Verständnis des Evangeliums und also kein gerecht Gericht finden würde,
so sollte sich diese Ahnung bald genug erfüllen. -
Bei aller Mühe,
die man sich durch eine achtmonatige Untersuchung gab, kam nichts heraus. Denn
was man suchte, Ketzereien und Verbrechen, fand man nicht, umso mehr als Boos,
was er lehrte und glaubte, aus der Heiligen Schrift unter Anführung ähnlich
lautender Stellen der Kirchenväter bewiesen hatte. Und was man fand, gewaltige
Zeugnisse von Christus, Früchte des Geistes und des lebendigen Glaubens, das
verstand und glaubte man nicht, sondern schrieb es, wie die Pharisäer und
Schriftgelehrten bei Christus, der Hölle und dem Teufel zu.
Durch ein
Dekret vom 14. August 1797 wurden auch der Priester Feneberg und seine Kapläne
zur Inquisition vorgeladen, weil sie Boos, als er aus dem Kemptischen
vertrieben war, aufgenommen und seine Gesinnungen mit ihm geteilt hatten.
Auch sie wurden nun in Augsburg am 30.
August streng verhört, dann auch acht Tage in Klöster gesteckt, jeder in ein
besonderes, um "zur verdienten Buße und Strafe geistliche Exerzitien
[Übungen] zu halten."
Einig
blinde Eiferer, besonders Pfarrer und Dekane auf dem Lande, ergrimmten sehr
über die Beklagten und schrieben dem Generalvikar, er möchte einmal ein Exempel
aufstellen und einen solchen Ketzer verbrennen. Nigg erzählte das selbst und
setzte hinzu: Ich dachte, "du bist ein Narr".
Nigg gab
einen anderen Rat, dem die anderen alle beistimmten. "Sie riefen die
Verfolgten, und nachdem sie ihnen vierzig weniger einen gegeben hatten, geboten
sie ihnen, nicht mehr zu reden in diesem Namen, und entließen sie. Diese aber
gingen voll Freude vom Angesichte des Rates hinweg, weil sie gewürdigt worden,
um des Namens JEsu willen Schmach zu leiden." (Apostelg. 5,40.41)
Sie wurden
alle entlassen, nur Boos nicht. Sein am 11. September 1797 gefälltes Urteil
lautete anders. "Der Generalvikar griff einen Bogen heraus, hieß mich in
die Mitte und vorwärts treten und verlas mir dann mit starker Stimme und
zorniger Miene mein Urteil, daß ich auf ein Jahr lang ins Zuchthaus solle. Mir
war unter dem Lesen himmlisch wohl und leicht, gerade als ob es mich gar nicht
anginge", schreibt Boos selbst. "Als aber der Generalvikar fertig
war, tat mein Adam einen Seufzer und sprach: 'Ich unterwerfe mich diesem
Urteile, weil ich es so für Gottes Fügung halte.' Aber das Urteil ist
entsetzlich hart für mich. Ich hoffte, heute sollte meine Strafe ein Ende
nehmen und nun fängt sie erst recht an.
Als Boos
sich über die Härte des Urteils bei seinen Richtern beschwerte, wurde es
insoweit gemildert, daß er nicht mehr in sein Gefängnis zurückkehren, aber noch
Stadtarrestant bleiben mußte. Er durfte nun in der Stadt frei umhergehen, sich
aber nicht aus derselben entfernen. So mietete er sich denn eine kleine Stube,
welche ärmlich aussah, und ließ sich das Essen in einem irdenen Topf, den man
Triangel nannte und den arme Studenten und Bettelleute zu gebrauchen pflegten,
über die Gasse holen.
In dieser
seiner Haft, die der ersten Gefangenschaft des heiligen Apostels Paulus zu Rom
ähnlich war, fehlte es Boos nicht an Glaubensstärkungen aller Art. Und er
bedurfte ihrer auch. Wie Luther auf der Wartburg viele Anfechtungen hatte, ob
sein Werk, das er im Jahre 1517 begonnen, auch wirklich Gottes Werk sei, so war
Boos oft sehr angefochten, weil sein Glaube und seine Lehre dem gewöhnlichen
Sinn und Gang der Menschen in der Welt so sehr entgegen waren und so viel
Widerspruch fanden. Aber die Briefe seiner geistlichen Kinder, die er gezeugt
hatte durch das Wort der Wahrheit, trösteten und stärkten ihn dann oft mächtig.
Zu ganz
besonderem Troste gereichte ihm, daß der Direktor des Gögginger
Korrektionshauses, der Kustos Hoffmann, durch ihn zu seligmachenden Erkenntnis
des Evangeliums gekommen war.
Während
seines Stadtarrestes ging Boos öfters zu einem der auf dem Markte feilhabenden
Bücherhändler (Antiquare), die man in Augsburg Bücheresel nannte, weil sie viel
mit Büchern umgehen, ohne sie zu lesen und zu verstehen. Boos blätterte in
einigen seiner Bücher und fragte: "Was sind das für Bücher?"
Der
Antiquar antwortete: "Das sind Bücher, wie sie unsere Heiligen
haben."
"Was habt
ihr für Heilige?"
Der
Antiquar: "Nu, das sind solche Leute, die nichts als beten und geistliche
Lieder singen, die von der Welt nichts mitmachen, Sonderlinge, die besser sein
wollen als andere Leute; ich halte nichts darauf; ich denke, sie sind Heuchler.
Man kann nicht so sein. Unsereiner muß mit der Welt fortkommen."
Nun, dachte
Boos, das ist sonderbar; da kann was dahinter sein. Ich will und muß doch
sehen, was das ist. Er fragte also, wo sie denn wohnten, diese Heiligen. Und da
es ihm der Bücheresel gerne sagte, so suchte Boos sie auf und fand in ihnen
glückliche, fromme Seelen, die ihr Heil allein auf JEsum bauten und selig im
Glauben und in der Liebe zu ihrem Heilande lebten, sich dieser Welt nicht
gleichstellten, sondern ihre Ehre in der Schmach Christi suchten. - So kam
Martin Boos mit den wenigen protestantischen "Mystikern oder
Pietisten" in Berührung, die Augsburg dazumal aufzuweisen hatte; und der
Segen, den er aus ihrer Gemeinschaft schöpfte, entschädigte ihn für manche unnütze
Quälerei, der er sich ausgesetzt sah.
So sagte
der Generalvikar Nigg einmal zu ihm, er sitze zuviel auf sich selbst, brüte
zuviel über theologische Materien, er solle sich mehr zerstreuen, solle auch
unter die Leute und in Gesellschaft gehen; er befehle ihm hiermit, in ein
Wirtshaus oder Kaffeehaus zu gehen. Boos antwortete: "Wie Ew. Hochwürden
befehlen; ich will sogar hierin gehorchen und einen Versuch machen." Er
ging also in ein solches Haus. Als er aber zur Türe hineintrat, erblickte ihn
schnell die Wirtin, die ihn übrigens gar nicht kannte, ihm aber wohl besser als
der Generalvikar angesehen habe mußte, daß er kein Mann fürs Wirtshaus und das
Wirtshaus nicht für ihn sei, ergriff ihn sogleich beim Arme und sprach, ihn
hinausführend: "Packe dich hinaus, du gehörst nicht hierher." - Boos
ging, heimlich froh und lachend, wie man ihn führte, kam und erzählte dem
Generalvikar, wie er seinem Rate gefolgt und wie es ausgefallen wäre. Auch Nigg
konnte sich jetzt des Lachens nicht erwehren und sprach: "Nu, nu, lieber
Boos. Ich sehe schon, mit Ihnen ist nichts anderes anzufangen; man muß Sie Ihre
Wege gehen lassen. Tun Sie in Gottes Namen, wie Sie es für recht halten."
-
Nun, die
Haft Boos' ging zu Ende.
Es war im
Januar 1798, als er wieder zu seiner gänzlichen Freiheit gelangte, und im
Februar, als er wieder in die Seelsorge gesendet wurde.
Seine
Richter waren durch seinen Privatumgang milder geworden, bezeugten ihm selbst,
er sei der beste Geistliche der Diözese, und sandten ihn als Seelsorger nach Langeneifach,
doch nicht, ohne einen gewissen Priester, K.E. Koch, zu seinem geistlicher
Oberaufseher zu machen.
Auch an dem
neuen Bestimmungsort war Boos' Wirksamkeit eine reichgesegnete. Aber nach acht
Wochen gab es schon wieder Lärm; und das Geschrei fing wieder an: "Was,
der Ketzer predigt wieder? Fort mit ihm ins Zuchthaus!"
Der Fürst
von Kempten und andere Prälaten und Dekane, die ihn früher angeklagt, fanden
sich beleidigt, daß man den Beklagten schon losgelassen. Sie klagten daher von
neuem, und zwar unmittelbar bei dem Kurfürsten und Bischof Klemens Wenzeslaus,
und verlangten mit Ungestüm, daß Boos "wieder gefangen und auf ewig
eingesperrt würde".
Aber wie
sollte man jetzt Boos beikommen?
Man hatte
ihm befohlen, seine Mitverfolgten und Gesinnungsgenossen nimmer zu grüßen, kein
Wort mehr an sie zu schreiben. Sie schrieben aber an ihn, trugen dieselbe
Schmach und baten auch um Trost. Wie hätte da Boos schweigen dürfen? Er schrieb
also, Gott mehr gehorchend als den Menschen, freute sich ihres Glaubens und
munterte sie zur Geduld auf in ihren Verfolgungen.
Dieser
Trostbrief wurde aufgefangen. Man nahm ihn einem Manne mit Gewalt aus der
Tasche und schickte ihn nach Augsburg. Jetzt hieß es: "Er hat wieder
geschrieben und die alten Ketzereien aufgeweckt." -
Boos
verließ nun am 3. April 1798 Langeneifach und eilte nach Augsburg. Ehe er sich
aber vor seinen "geistlichen" Richter stellte, ging er zu einem
Freunde, der indes in Augsburg angestellt worden war, und lag bei ihm in der
Domsakristei auf drei Stühlen über Nacht, weil er das Bett des Freundes,
welches ihm dieser anbot, nicht annahm. Morgens fragte Boos den Freund:
"Soll ich mich stellen oder fliehen? Gehört haben sie mich schon. Was
nützt es, ihnen das Alte zu sagen?"
Der Freund:
"Verfolgt man euch in einer Stadt, so fliehet in eine andere."
Da ging
Boos auf der Stelle und floh nach München zu dem ihm teuer gewordenen Prediger
Winkelhofer, um auch den zu fragen, was er denn tun, ob er denn wieder ins
Zuchthaus gehen solle? "Da gehst du nicht hinein", sprach
Winkelhofer, "da bist du schon gewesen und weißt, wie es da
aussieht." Er verbarg ihn in seinem Zimmer drei Wochen.
Weil Boos
aber nicht länger verborgen bleiben konnte, so floh er von einer Stadt zur
andern, von einem Freund zum andern. Keiner wagte es, ihn lange zu behalten.
Doch wer ihn aufnahm, auch nur auf kurze Zeit, bekannte, daß er eine Perle an
ihm gefunden. Gott wirkte in dieser Zeit und durch diese Flucht viel Gutes
durch ihn. Er mußte den Samen des göttlichen Worts im ganzen Lande herumtragen,
hier Schlafende wecken, dort Tote zum Leben bringen.
Gar mancher
Pfarrer, an den Freunde ihn empfohlen hatten, erschrak, wenn Boos vor seiner
Türe stand, und verweigerte ihm die Aufnahme; gar mancher Wirt, bei dem er übernachten
wollte, nahm ihn beim Arm und wies ihn in den letzten Winkel der Stube und
setzte ihm einen Krug ohne Deckel vor, wie man ehemals den Schindern zu tun
pflegte, die man nicht für ehrlich hielt.
Von Not gedrungen,
wollte sich Boos einmal in einer Gegend von Bayern, wo er unbekannt war, bei
einem Bauern als Schweinehirt verdingen. Sein Plan ward aber glücklich
vereitelt. Denn als er zum Bauern in die Stube trat, um seine Bitte
untertänigst vorzutragen, begrüßte ihn der Bauer sogleich als einen
Geistlichen, zog eilends seine Mütze und näherte sich ihm ehrerbietig, um ihm
die Hand zu küssen. Da entfiel dem Bittsteller der Mut. Er dachte: Nun bist du
schon verraten und darfst nicht mehr merken lassen, was du willst. Es ergab
sich dagegen nun ein anderes Gespräch und statt seiner Tiere Hüter ward Boos
der Retter seiner Seele. So ward mehr gewonnen als verloren.
Endlich
aber, nachdem Boos noch viel umhergewandert war, bald einige Tage Ruhe
gefunden, bald wieder flüchtig geworden war, stellte er sich, da er nicht
länger mehr verborgen bleiben konnte, am 9. Dezember 1798 zu Augsburg vor
seinen Richtern. "Müde des Nichtstuns und Verborgenseins, warf ich mich
meinen Feinden zu Augsburg wieder selbst in die Hände."
Sie
staunten, daß er sich selber stellte, verhörten ihn am 13., am 14., 29. und 31.
Dezember und befragten ihn besonders über seine Freunde, bei denen er sich
aufgehalten, und mit wem er Briefe gewechselt hätte. Allein, Boos gestand ihnen
hierüber nichts, weil sie seine Wohltäter seien, ohne die er nicht hätte leben
können, und die sie auch nichts angingen. - Über diese Weigerung wurde der
Fiskal, der die Fragen stellte, oft dermaßen zornig, daß er nicht mehr wußte,
was er tat, und oft nicht mehr fragen konnte.
So wurden
denn die Verhöre geschlossen und Boos blieb den Winter über in Augsburg, wo er
vier Monate Stadtarrest hatte, wieder unter dem Schutze des Herrn Nigg.
Nigg gab
ihm oft einen Dukaten oder Louisdor in die Hand mit der Weisung, es ja dem
Fiskal nicht zu verraten. Ja, er hätte ihn gerne ganz gerettet. Aber da er sah,
daß kein Friede für den Verfolgten und Verhafteten in dieser Diözese zu
erwarten sei, so riet er ihm selbst, weiter zu gehen, um Aufnahme in einer
anderen Diözese nachzusuchen und, wenn er diese erhalten hätte, um seine
Entlassung einzukommen.
Boos
befolgte diesen Rat und erhielt durch die Empfehlung eines berühmten,
teilnehmenden Freundes Aufnahme in der Diözese Linz in Oberösterreich, deren
Bischof damals Josef Anton Gall war.
So reiste
denn Martin Boos, der in seinem Vaterlande geächtete Prediger der
Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, am 29. oder 30. April des Jahres 1799 auf
einem Floße ab und fuhr, geleitet von den Tränen und Segenswünschen seiner
Brüder in Freunde in Christus, den Lech und die Donau hinab, dem neuen Ziele
entgegen.
In Linz
wurde der müde Gejagte mit Freuden aufgenommen. Bischof Gall äußerte öfters, er
wünsche nur zwanzig solche Geistliche zu erhalten.
Boos aber war
wie neugeboren, als er sich nach so langen und schweren Verfolgungen einmal
ruhig und unangefochten fühlte.
Er wurde
sofort provisorisch zu Leonding bei Linz als Hilfsprediger angestellt,
kam aber gar bald nach Waldneukirchen und von da erst nach Pöstlingberg,
1806 aber nach Gallneukirchen. Das war eine der ansehnlichsten und
größten Pfarreien der Linzer Diözese. 4000 Seelen hatte Boos da zu weiden.
Und wie
treulich hat er sie geweidet!
Mögen
einige kurze Auszüge aus seinen Tagebüchern und einige Geschichten aus seinem
Amtsleben uns einen Blick tun lassen in Boos' evangelisches Seelsorgeherz!
8. Juli
1803. Eine Witwe mit sechs Kindern schleppte heute mit Gewalt ihren Sohn in die
Schule. Als dieser unter der Schultüre mich und den Lehrer erblickte, wollte er
der Mutter davonlaufen. Diese ergriff ihn aber mit beiden Händen, stellte das
große Kind mitten in die Schule hin und sprach weinend zum Lehrer und zu mir:
"Helfen Sie mir, diesen Jungen ziehen. Er will mir nimmer folgen."
Ich sagte: "Ja, wir helfen dir; denn weil du deine Kinder in die Schule
trägst, verdienst du unsern Beistand und unsere Hilfe." Zum Jungen sprach
ich: "Du fällst vor deiner Mutter auf die Knie nieder (!) und küssest ihr
zuerst den Fuß und dann die Hand." Der Junge tat es sogleich. Jetzt mußte
er der Mutter danken, daß sie ihn in die Schule getragen, auch sie und die
Kinder um Verzeihung bitten. Es geschah ohne Widerrede. "Es ist noch nicht
aus mit dem Kinde", sagte ich jetzt zur Mutter; "er läßt sich ja noch
im Gehorsam exerzieren wie ein Rekrut." Sie ging getrost weiter.
15. Juli
1803. "Ich habe noch etwas auf dem Herzen", sagte mir eben eine
Person; "aber ich darf es keinem Menschen sagen, auch Ihnen nicht, und es
drückt mich oft so sehr." "So sag's Gott", sprach ich,
"denn Gott darf man alles sagen, Gutes und Schlechtes, Kleines und Großes,
alles." Jetzt sagte sie das Heimliche auch mir.
21. Juli
1803. "Je früher ein Mensch sich bekehrt, desto besser für ihn. Aber besser
spät als gar nicht." So sagte ich heute einem Menschen, der auf seinem
Sterbebette wegen immer verschobener Buße verzweifeln wollte. Er faßte Mut und
Vertrauen.
22. August
1803. Heute besuchte ich einen Kranken, der mit seiner Nachbarin in Feindschaft
lebte. "Du kannst sterben", sagte ich ihm, "mußt dich mit deiner
Nachbarin innerlich und äußerlich versöhnen usw." - Ja, mein Gott,
antwortete jener, ich fürchte einen neuen Krieg, wenn ich mit ihr rede.
"Wenn dir's recht ist", sagte ich, "so bitte ich in deinen Namen
um Verzeihung." "Ja, das wäre mir wohl recht." - Ich ging hin,
zog den Hut ab und bat die Nachbarin in des Kranken Namen um Verzeihung. Das
ging ihr zu Herzen, daß sie weinte und mir versprach, sie werde dem Kranken sogleich
etwas Gutes kochen und es ihm als Zeichen ihrer Versöhnung ins Haus bringen.
"Bravo, geh hin und tue, wie du sagst."
22.
September 1803. Unser Schinder klagte mir heute, daß ihn seine Frau als
bürgerlich tot in die Zeitung habe setzen lassen. Die Leute hätten ihn zuvor
schon geflohen, weil er Schinder sei, aber jetzt noch viel mehr. "Für
dich, Hans!" sprach ich, "ist nun kein anderer Rat mehr, als du tust
Buße und suchst die Freundschaft JEsu; denn er nimmt auch die Schinder an und
alle jene Leute, mit denen niemand mehr zu tun haben mag." Hans lächelte
und war getröstet.
9. Oktober.
"Wenn du nicht gleich still bist, so muß ich den Richter gleich um
Satisfaktion (Genugtuung) ansprechen!" So sagte heute ein Schneider vor
dreihundert Bauern, als ihm einer einen Vorwurf machte. Gleich wollen die
Christen Satisfaktion haben, ob sie gleich Christum am Kreuze hängen sehen,
ohne Satisfaktion zu fordern oder zu erhalten.
10.
Oktober. Es gibt Menschen, die es für Schwäche halten, einem Beleidiger zu
vergeben. Nach diesem Grundsatz wäre Gott der Schwächste im Himmel und auf
Erden, weil niemand im Himmel und auf Erden so viel vergibt wie er.
- - So ist
Boos' Tagebuch durch und durch mit köstlichen Betrachtungen angefüllt, daß einem
die Auswahl schwer fällt. Nur eine einzige Stelle sei noch daraus genommen, wo
er vom Unterschiede des Gesetzes und Evangeliums redet. Dann mögen einige
Erzählungen folgen.
"Moses
und das Gesetz - sagt Boos - hätten den verlorenen Sohn bei seiner
Rückkehr mit der Ruhe, mit dem Gefängnis oder mit Wasser und Brot empfangen. Christus
oder das Evangelium empfängt ihn mit Umarmungen, mit Küssen, mit einem
neuen Kleid, Schuhen, Ring, mit einer vornehmen Mahlzeit. Siehe da den
Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium! Die meisten Sünder wissen's bloß
nicht oder glauben's nicht, daß sie von Gott so gnädig empfangen werden; sonst
täten sie häufiger (zahlreicher) Buße."
A.
Die
Klambäurin stand öfters schon vor der Türe des Pfarrers, um diesem ihr Herz
auszuschütten, aber eine gewisse Furcht jagte sie wieder die Treppe hinab.
Endlich hatte sie Mut gefaßt, ging zu ihm und dankte unter Tränen für alle
Predigten. Der Pfarrer, der wußte, daß sie noch unruhig im Gewissen sei, sagte
ihr's frei ins Gesicht: Klambäurin! ob du schon meine Predigten vom Glauben an
Christus gerne hörest und heute dich dafür bedankst, so fürchte ich doch, du
glaubst noch nicht recht, was ich predige.
Sie:
O, ich glaube alles, was Sie predigen.
Pfarrer:
Ich zweifle daran. Sieh, an deiner Unruhe, deiner Angst, die du über deine
Sünden im Herzen herumträgst, erkenne ich, daß noch Unglaube in dir stecke und
du es noch nicht ganz erglauben kannst, daß Gott auch dir um Christi willen
deine Sünden vergeben und dir seinen Heiligen Geist ins Herz schenken wolle.
Jetzt fing
sie an zu weinen und sagte: Ja, es fehlt freilich noch bei mir; ich bin einmal
eine große Sünderin, es ist nicht möglich, daß mir Gott alles verzeihe.
Pfarrer:
Klambäurin! Ich bin ein größerer Sünder als du; ist es aber Gott möglich
gewesen, mir zu verzeihen, der Sünderin bei JEsu Füßen, der beim Jakobsbrunnen,
Petrus und Paulus, dem Mörder usw., so wird's ihm auch möglich sein, dir zu
vergeben. Sieh, wie du Gott eben jetzt mit deinem Unglauben beleidigst! Schäme
dich, daß du vor mir, deinem Pfarrer, in meinem Zimmer hier so sündigst!
Sie weinte
immer ärger und konnte vor Weinen nicht antworten. Sie erschrak und getraute
sich nicht mehr zu sagen, daß sie eine zu große Sünderin und daß es Gott
unmöglich sei, ihr zu verzeihen. Jetzt überwies sie der Pfarrer aus vielen
Schriftstellen, daß Gott die größten Sünder durch den Glauben an JEsum
begnadige, daß man die Gerechtigkeit nicht durch Werke, sondern durch den
Glauben erlange und erbe, daß hier kein Unterschied sei zwischen einer Bäurin
und einem Pfarrer und Mörder. Röm. 3,22.26
Darum sie
so gut, Klambäurin! fuhr er fort, und laß dir auch einmal ein recht großes
Almosen geben für die vielen Almosen, die du den Armen und meinen Kaplänen
gibst, die bei dir zu Mittag essen, wenn sie einen weiten Speisgang haben. -
Sieh, ich sage dir: Gott, der himmlische Vater, hat dich so lieb, daß er dir
nicht bloß ein Faß voll Geld, nicht bloß Himmel und Erde, sondern noch etwas
Größeres, seinen Eingebornen, mit all seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit, als
ein Almosen zum Eigentum schenken will. Auch will er dir alle deine Sünden auf
der Stelle vergeben, und du darfst nichts tun, nur glauben, nichts tun, nur den
Sack, die Hände, das Herz, den Mund und die Ohren auftun und das große Almosen
annehmen. Glaubst du das?
Unter einem
Strom von Tränen antwortete sie mit lauter Stimme: Ich kann nicht mehr anders,
ich muß glauben.
Selig bist
du, sprach der Pfarrer, weil du nicht anders kannst. Gehe hin im Frieden, deine
Sünden sind dir vergeben; dein "Ich muß glauben" hat dir geholfen.
Sie:
Ja, jetzt kann ich noch nicht gehen; mir ist so wohl, als wenn ich im Himmel
wäre; wenn Sie's erlauben, so bleib' ich noch länger da. So ist mir mein Lebtag
nie gewesen. Und sie blieb bis zum Abend im Hause und trug den Frieden Gottes
mit sich fort, der über alle Vernunft geht.
Aber nach
drei Tagen kam sie wieder verzagt daher, weinte und sagte: Ach, ich habe meinen
Frieden verloren! Aus ist's mit mir; ich werde kaum selig werden.
Pfarrer:
Warum denn nicht?
Sie:
Ach, weil ich eine Bäurin, Wirtin, ein Weib von einem betrunkenen Manne und
eine Mutter vieler Kinder bin. Ich habe der Anfechtungen, Zerstreuungen und
Geschäfte zu viele, bei mir tut's nicht.
Der Pfarrer
lachte und sagte: Jetzt bin ich gewiß, daß dein Glaube vor drei Tagen der
rechte und wahre gewesen ist, weil er schon so heftig angefochten wird. Nur
frisch daran! Laß den Mut nicht sinken. Wenn man nicht in allen Ständen an
JEsum glauben und in ihm leben und selig werden könnte, hätte JEsus nie
befehlen können, daß man das Evangelium allen Kreaturen predigen sollte. Er
hätte ausdrücklich sagen müssen: Nur den Braumeisterleuten nicht; nur den
Wirtsleuten nicht; nur den Weibern nicht, die einen versoffenen Mann, viele
Kinder und Gäste haben; denen predigt es nicht; die können nicht glauben, haben
nicht Zeit zum Seligwerden. Dies hat aber JEsus nicht gesagt. Also nur frisch
daran, frisch angefangen, standgehalten und gerufen: Zurück, Satan!
Sie:
Nun, so müßt' ich denn noch einmal anfangen. Ich habe schon gedacht, es sei bei
mir nicht möglich. Und sie ging wieder mit dem vorigen Frieden Gottes heim. Nun
äußerte sie öfters den Wunsch, wenn sie nur ihren Mann, ihre Kinder und
Wirtschaft verlassen und mit diesem Glauben in Frieden in eine Einöde oder in
ein Stübchen ziehen dürfte.
Nicht doch!
sagte der Pfarrer, bleib du, wo du bist, wohin dich Gott berufen hat. Mitten in
der Welt haben die Apostel und ersten Christen ihren Glauben, ihre Liebe und
inneren Frieden erhalten, und sie waren Menschen wie ich und du. - So ging sie jedesmal wieder frisch und
fröhlich ihre Wege und glaubte immer fort. Selbst selig im Glauben, suchte sie
auch andere zu beseligen. Bei ihrer Dienstmagd und ihren Töchtern, bei ihrer
Schwester und etlichen Nachbarinnen gelang es ihr wirklich. Im Jahre 1814 starb
ihr Mann; da hätte sie sich ins Stübchen setzen können. Doch nein! sagte sie,
ich habe nun schon fünf Jahre bei der Wirtschaft in meinem Glauben selig
gelebt, meine Kinder sind noch klein, ich erziehe sie zu Christen, und Gott
wird mein Mann und meiner Kinder Vater sein.
Nachher war
sie nicht mehr so allgemein beliebt wie vorher; sie hatte viele Feinde, ohne
daß sie wußte warum. Kein Abel ohne Kain. Christ sein und ohne Ursache gehaßt
sein, gehört zusammen. Frisch fort!
B.
Magdalena
war eine Witwe, voll guter Werke, aber immer unruhig und ängstlich. An Mariä Geburt
1810 aber gefiel es Gott, ihr die Augen zu öffnen; es war ihr, als ob die ganze
Frühlehre für sie ganz allein wäre. Er meint ja mich, sagte sie zu sich selbst,
und beugte sich vor Scham und Betroffenheit tief in den Stuhl hinab.
Nach der
Frühlehre kam sie zum Pfarrer, noch voll Angst und Verwirrung, aber Herz und
Zunge war heute gelöst. Alle Falten und Winkel des Herzens waren
aufgeschlossen, ein Tränenstrom floß. Der Pfarrer tröstete sie mit dem Glauben
an Christus und sein Evangelium. Da haben wir ja die Magdalena, sprach er;
glaube bloß, daß Christus auch für deine Sünden gestorben sei und genug getan
habe, und daß er sie dir schenken wolle, mit allem, was er ist und hat. Tu den
Mund auf und das Herz und nimm's als ein himmlisches Almosen an. Laß dir diesen
großen Brocken nicht zu groß sein, denn Gott gibt mehr als ein Mensch fassen
kann. - Heute verstand sie alles, glaubte alles. Und sieh, es war ihr geholfen.
Unaussprechlich war von diesem Tage an ihre Ruhe, Freude und Friede. Sie liest
fleißig im Neuen Testament, kaufte vierzehn Exemplare desselben und teilte sie
unter ihre Verwandten aus, mit dem heißesten Gebet, daß das Reich Gottes in
ihre Herzen komme möchte wie in ihr eigenes.
Auch ließ
sie sich später durch Lügen und Lästerungen, Kommissionen und Inquisitionen
nicht irremachen. Es steht ja so, sagte sie, daß wir durch viele Trübsale ins
Reich Gottes ein- und darin fortgehen müssen. Sie trank den Kelch, als er ihr
zuteil ward, mit sichtbarer Freudigkeit.
C.
Eine ledige
Magd lebte von Kindheit an fromm, abgesondert von aller Welt; ihre Freude war
Beten, Lesen, Hören, Beichten, Kommunizieren; nie hielt sie es mit der lustigen
Welt, und doch war sie stets ängstlich, traurig, niedergeschlagen, überaus
sündig in ihren Augen, ihre Hauptversuchungen innerliche Anfechtungen von
unreinen Gedanken. Dieser Satanas schlug und plagte sie Tag und Nacht; sie
konnte ihn durch nichts vertreiben; es brannte stets wie ein wildes Feuer in
ihr, obschon sie von außen nicht den geringsten Anlaß gab; denn sie sah keinen
Menschen an, schlug die Augen immer nieder oder hielt sie gar zu, ließ sich nie
in eine Bekanntschaft oder Liebschaft ein, war die eingezogenste, frömmste,
keuscheste Jungfrau; man sah sie nie lachen, hörte sie ohne Not kein Wort
reden; sie hatte vom Kopfhängen einen krummen Hals bekommen.
Zu dieser
sagte der Pfarrer einmal: "Dein krummer Hals, deine beständige tiefe
Traurigkeit kommt nach meiner Einsicht bloß von deinem Unglauben."
"Ich meine ja doch nicht", sagte sie.
Pfarrer:
Aber ich meine ja doch. Sag' mir aufrichtig: Du meinst sicherlich, du müssest
dich selbst gerecht beten, beichten, fasten, kommunizieren; und ich sage dir,
das wirst du nie zuwege bringen, sondern du mußt durch den Glauben an JEsum
Christum gerecht und selig werden. Wie dir Adam die Erbsünde im Alten
Testamente vermacht hat und alle an dieser Sünde klebenden Wehen und Strafen,
so hat dir der zweite Adam, Christus, alle seine Gerechtigkeit und Verdienste
wie ein Erbteil vermacht. Wenn du dieser seiner vor Gott allein
geltenden Gerechtigkeit teilhaftig werden willst, so mußt du glauben, daß es so
sei, wie ich dir sage, mußt dreist zugreifen und nehmen, das Vertrauen nimmer
auf dich und deine befleckte Heiligkeit setzen, sondern allein auf ihn. Wenn du
dies glauben kannst, so wirst du Ruhe und Frieden in deiner Seele haben; dein
krummer Hals wird gerade werden, deine zugedrückten Augen werden sich öffnen,
dein Mund wird einmal lachen usw.
Auf diese
Rede sah sie den Pfarrer das erstemal freundlich an, fing das erstemal an zu
lächeln und sah heiter drein.
Pfarrer:
Nun, das wäre einmal ein anderes, fast gläubiges Gesicht. Glaubst du also, was
ich dir sage?
Sie:
Sie wissen, daß ich schon seit vier und einhalb Jahr auf niemand mehr Vertrauen
setze als auf Sie. Ich glaube alles, was Sie mir sagen: ich wollte mich selbst
gerecht beten, hab's aber nie zustande gebracht. Aber wie froh bin ich, wenn,
wie Sie mir sagen, ich die vor Gott geltende Gerechtigkeit von Christus erben
und nur im Glauben nehmen darf. Jetzt ist mir geholfen, jetzt will ich gern
lachen. Das habe ich nie so recht verstanden.
Und von
dieser Stunde an war diese allertraurigste Seele die allerfröhlichste; der
nachmalige Lästersturm über den Pfarrer schadete ihr am wenigsten; sie ist und
bleibt fest in ihrem durch und nach vielen Ängsten und Leiden
erpobten Glauben.
Alle Abende
rief Boos seine Hausleute zusammen und las ihnen vor vom Glauben, vom neuen
Leben mit Christus in Gott und von der Freudigkeit des Glaubens in der Liebe,
wenn er einmal von oben im Herzen angezündet und vom Geiste des Vaters und
Sohnes belebt ist.
So redete
Boos in seinem und in allen Häusern, wo er einzukehren Gelegenheit hatte. Die
Leute zerflossen oft in Tränen und erkannten, daß Christus alles in allem und
der Mensch nichts sei. Er sank dann mit ihnen auf die Kniee nieder in den Staub
zu den durchbohrten Füßen des gekreuzigten Versöhners und gab sich und alle
diese zerknirschten und auferweckten Seelen ganz hin in die Arme ihres
Erbarmers. Da wurden sie dann froh und voll Dank, so daß Boos sie immer nur von
sich weg und zu Christus hinzuweisen hatte.
Die beiden
letzten Erzählungen haben den Leser bereits ahnen lassen, daß Boos auch in
Österreich Haß und Verfolgung leiden mußte.
Beides hat
er auch dort reichlich erfahren müssen. Wie hätte es auch anders sein
können! War er doch ein Zeuge JEsu Christi.
Doch kann
ich den Gang dieser zweiten, heftigeren Verfolgung nicht so ausführlich wie den
der ersten beschreiben, will vielmehr nur kurz das Wesentlichste davon
mitteilen. Hat sich doch in bezug auf Anklage und Verteidigung gar vieles hier
wiederholt, wie leicht zu denken ist. -
Der Bischof
Joseph Anton Gall war im Jahr 1807 gestorben. Er, der selbst fleißig in der
Heiligen Schrift las, hatte Boos gerne gewähren lassen. Sein Nachfolger aber
war ein dem göttlichen Evangelium durchaus entfremdeter und feindseliger Mann.
Als er
vernommen, wie Boos gegen den toten Kopf- und Maulglauben vieler seiner
Beichtkinder Zeugnis ablegte, schrieb er ihm eigenhändig dringend, er möchte
doch nimmer sagen, daß die Leute den
rechten Glauben noch nicht hätten; denn das beleidige sie entsetzlich.
Boos
antwortete, der Bischof habe recht, daß es sie beleidige; "aber wenn die
Leute zum lebendigen Glauben kommen, so bekennen sie es selbst, daß sie vorher
den rechten Glauben nicht gehabt hätten; und es ist auch wahr. Denn den
Glauben, in dem Geist, Leben, Friede, Ruhe, Vergebung der Sünden und das ewige
Leben liegt, haben sie nicht. - Und wer den lebendigen Glauben nicht hat, der
meint, es gebe keinen andern und könne keinen andern Glauben geben als den
toten, der ihm so lieb und teuer ist, daß er nicht genug wehren zu können
meint, damit ja sein Glaube nicht lebendig werde."
Was aber
die Leute, die Boos beim Bischof verklagt hatten, noch mehr empörte, war ein
Wort, das Boos am dritten Adventssonntage des Jahres 1810 redete: "Johannes
der Täufer sagt nicht, daß unsere Haderlumpen, d.i. unsere befleckten Werke,
das Lamm Gottes seien, das hinwegnehme die Sünden der Welt, sondern er zeigt
auf JEsum, der mit dem Heiligen Geiste taufet."
Das drückte
bei denen, die die heilsame Lehre nicht leiden konnten, dem Faß den Boden aus. Nun gab's Visitation auf
Visitation, Inquisition auf Inquisition. Zwar
die erste Untersuchung, vorgenommen von einem frommen Regierungsrate Bertgen,
lief aufs herrlichste für Boos hinaus, nämlich damit, daß Bertgen, nachdem er
Boos' Lehre angehört, vom Sofa aufsprang, die Hände emporhob und gerührt
ausrief: "Die Narren, die! (er meinte die Kläger); das ist ja die
tröstlichste Lehre von der ganzen Theologie; und sie wollen's Ketzerei nennen?!
Dafür sollten ja alle danken!" -
Boos
unterließ nun nicht, dem Konsistorium, das ihn schon als Ketzer verschrieen
hatte, in einem herzeindringlichen Vorhalt das gegebene Ärgernis unter Augen zu
stellen. Aber so demütig dies auch geschah, so diente es doch nur dazu, daß die
"geistlichen Konsistorialräte" umso gehässiger und verbissener
wurden.
Am 7. März
1811 wurde - nach kurzem Waffenstillstand - Boos vor den Generalvikar und seine
Kollegen nach Linz geladen. Aber so tapfer und standhaft er sich auch aus der
Heiligen Schrift verteidigte, er wurde nicht verstanden und konnte von
Römlingen nicht verstanden werden. "Es zeigte sich - schrieb Boos von
ihnen -, daß sie weder den Vater noch den Sohn, weder uns noch den Glauben
kennen, in dem wir aus Gnaden stehen. Paulus z.B., meinen sie, rede in seinem
Briefe an die Römer bloß vom Zeremonialgesetz, aber nicht vom ganzen
Sittengesetz ... O, Christus ist eine zu große Gabe für diese Leute! Ihr Mund
ist zu klein, ihr Herz zu eng, er kann nicht in sie hinein." -
Während nun
auf der einen Seite die Liebe der durch Boos' Dienst zum lebendigen Glauben an
Christus Gekommenen sie trieb, sowohl vor dem Konsistorium als vor dem Kaiser
Franz für Boos' ungefälschten Glauben und gottseligen Wandel ein Zeugnis ums
andere abzulegen, wurde dieser andrerseits einmal ums andere inquiriert, mit
Vorwürfen aller Art überhäuft und endlich gar ins Klostergefängnis in Linz
gesteckt, 1815-1816. - Es würde hier zu weit führen darzulegen, was er dort
alles erlitten, wie seine müde Seele in vielen Verhören fast zu Tode gehetzt,
wie er vom Bischof selbst, als er auf dessen Aufforderung hin seine Lehre nicht
widerrufen wollte, angespuckt, wie ihm jede mündliche und schriftliche
Einwirkung und Verbindung mit seiner Pfarrgemeinde, deren Glieder der Mehrzahl
nach sich nach seiner Predigt herzlichst sehnten, auf das strengste verboten
wurde, und wie er endlich, nachdem der Kaiser seine Haft geendet, mit der
Weisung versehen wurde, um seine Auswanderung nachzusuchen.
Wir eilen
hier mit unserer Erzählung zum Ende. Boos, dessen heftigste Widersacher fast
unmittelbar nach seinem Abgang von Österreich eines auffallend plötzlichen,
jähen und schrecklichen Todes gestorben waren, der aber selbst in seiner
Schwachheit mächtig vom HErrn war gestärkt worden, wandte sich nun wieder
zunächst nach Bayern, im Mai 1816, folgte aber, da er dort seines Bleibens
abermal nicht hatte, schon im Jahr 1817 einem Rufe als Religionslehrer und
Professor nach Düsseldorf und im Juni des Jahres 1819 einem Rufe an die Pfarre
zu Sayn im Rheinland. Auch an diesen beiden Orten hat er in höchstem Segen
gewirkt, wiewohl auf einem dürren und unfruchtbar scheinenden Erdreich, das ihm
oft die Tränen der Sehnsucht nach den viertausend Schafen in Österreich aus den
Augen trieb.
Im
fröhlichen und getrosten Glauben ist Boos in Sayn am 29. August 1825, nachdem
seine Predigt Tausenden ein Geruch des Lebens zum Leben geworden, ohne allen
Schmerz selig entschlafen, als er eben seinen Geist in die Hände des HErrn JEsu
empfohlen.
Wie aber,
so wird nun, nachdem dies Lebensbild an seinen Augen vorübergegangen, mancher
Leser mehr noch als am Beginn unserer Geschichte fragen: Wie kommt es, daß
dieses auserlesene Rüstzeug Gottes den Weg in die lutherische Kirche nicht gefunden
hat?
Auf diese
Frage habe ich ja eingangs zurückzukommen versprochen.
Und schier
hätte ich darauf geantwortet: Weil es damals keine lutherische Kirche gegeben
hat.
Aber das
wäre nicht recht geredet.
Wahr ist's:
hätte Boos zu eben derselbigen Zeit als ein Diener der evangelischen Kirche die
Gerechtigkeit gepredigt, die vor Gott gilt, er hätte ebensolche Drangsale zu
erdulden gehabt. Man würde ihn ebenso verfolgt, eingesteckt, seines Amtes
entsetzt und vermutlich auch schließlich zum Lande hinausgejagt haben. Denn zu
der Zeit, als Boos lebte, sah es in der "evangelischen" Kirche
Deutschlands wie in der katholischen über alle Begriffe traurig und entsetzlich
aus. Auf allen Kanzeln fast wurde von der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben
kommt, gänzlich geschwiegen. Wer Christus noch als den wahrhaftigen Gott, vom
Vater in Ewigkeit geboren, bekannte, der galt schon um deswillen, wenn er auch
sonst in hundert anderen Punkten von der Lehre der evangelisch-lutherischen
Kirche weit, weit abwich, bei den meisten sogenannten Evangelischen für einen
ganz gefährlichen Mystiker, Schwärmer und Pietisten. Zusammenfassend: es stand
ganz greulich und scheußlich in der "evangelischen" Kirche. Aber
vorhanden war sie darum doch.
Sie war
vorhanden in den wahren Gläubigen, die hin und her zerstreut an verschiedenen
Orten, genährt an den Schriften unserer gottseligen lutherischen Väter, das
Glaubenserbe der lutherische Kirche im Herzen treu bewahrt hatten, während sie
ringsum in den protestantischen Landeskirchen selbst mit Finsternis umgeben
waren.
Was nun
Boos anlangt, so hat er ohne Zweifel den entsetzlichen Zustand der damaligen
"evangelischen" Landeskirchen gut genug gekannt, und wir können uns
daher nicht wundern, wenn ihn nie die Sehnsucht ankam, einer solchen
Kirchengemeinschaft beizutreten.
Aber Boos
hat, wie wir hörten, auch einzelne gläubige evangelische Christen in Augsburg
kennengelernt. Ja, in Gallneukirchen hat ihn einmal eine gewisse Maria
Oberndorfer besucht, von der er dem Linzer Bischof auf Befragen mitteilte, sie
sei "lutherisch geboren (!), ungemein belesen und bewandert in der
Heiligen Schrift und andern Büchern. Unter anderem fiel ihr einmal Roos'
Kirchengeschichte in die Hände, worin sie im zweiten Teil S. 862 meine
(Boosens) Lehre über die Rechtfertigung des Sünders und meine Leiden darüber
las. Sie verwunderte sich, daß es in der katholischen Kirche doch auch einmal
einen Geistlichen gegeben, der im Grunde des Glaubens und der Seligkeit nicht
geirrt habe. Sie wähnte, ich wäre längst tot. Nun hörte sie aber, daß ich noch
lebe und Pfarrer in Gallneukirch unweit Linz wäre. Jetzt entstand der Wunsch in
ihr, mich zu sprechen und persönlich kennen zu lernen, mit mir über den Glauben
an die Erlösung Christi als den einzigen Beruhigungsgrund des Sünders zu
sprechen und Ruhe und Trost für ihre Seele zu holen. Sie kam also Mitte
Dezember 1810 ganz unvermutet zu mir nach Gallneukirchen" usw.
Sollte Boos
von diesen evangelischen Christen in keiner Weise auch auf andere Irrlehren der
römischen Kirche. z.B. von der Messe und den Sakramenten überhaupt, aufmerksam
gemacht und in die Schrift gewiesen worden sein? Wir wissen es nicht. Und hätte
die Boos so oft als Vorwurf zugeschleuderte Behauptung, seine
Rechtfertigungslehre sei ja ganz protestantisch, ganz lutherisch, ihn nicht
dazu bewegen sollen, endlich einmal die symbolischen Bücher
[Bekenntnisschriften, Anm. d. Hrsg.] unserer lutherischen Kirche in die Hand zu
nehmen und darin mit Entzücken den Ausdruck seines aus der Heiligen Schrift
geschöpften Glaubens und weitere Unterweisung in der heilsamen Lehre zu finden?
Ist aber
demnach die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß Boos manche Gelegenheit, in echt
evangelischer Erkenntnis zu wachsen und zuzunehmen, durch eigene Schuld
versäumt hat, so fällt doch unzweifelhaft die Hauptschuld, daß dieses
auserlesene Rüstzeug Gottes den Weg in die lutherische Kirche nicht gefunden
hat, auf die zahllose Schar "evangelischer" Mietlinge und Pfaffen,
die diesen Weg entweder selbst nicht wußten oder gar für alle, die ihn suchten,
verrammelt und mit Brettern vernagelt hatten.
Mit welchem
Frohlocken würde ein Boos in unseren Tagen und in unserem Lande, in dem Gott
aus lauter Gnade und Barmherzigkeit das Licht der evangelischen Lehre an so vielen
Orten, nicht im Winkel und unter dem Scheffel, sondern frei und öffentlich so
helle brennen und scheinen läßt, der Kirche des schriftgemäßen Bekenntnisses
zufallen! [Gemeint sind die USA im ausgehenden 19. Jahrhundert mit der
Ev.-Luth. Missouri-Synode und den anderen rechtgläubigen Synoden der
Synodalkonferenz; Anm. d. Hrsg.]
O, laßt uns
dem HErrn danken, daß Er uns so viele, so viele Lehrer gibt, die uns zur
Gerechtigkeit weisen, zu der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt; laßt uns
dem HErrn danken, daß Er sein lutherisches Zion hier zu einer weithin
sichtbaren Stadt auf dem Berge gemacht hat, zu der man den Weg wohl finden und
getrost wandeln kann.
entnommen aus: Lebensbilder aus der Geschichte der christlichen
Kirche. Von E.A.Wilh. Krauß. St. Louis, Mo. 1911. S. 658-678.