D. Martin Luthers Widerlegung der Ursachen des Latomus,
so er für die Mordbrenner, die Sophisten der Schule
Löwen angegeben[1]
1521
Luther hatte
die in der Fußnote erwähnte Schrift des Latomus noch
im März 1520 mit einem Nachwort, das unter anderem die fehlende biblische
Begründung der Artikel kritisierte, herausgegeben. Latomus
hat für einige dann diese Begründung noch nachgeliefert, weshalb Luther darauf
antworten musste. Er nannte die Löwener
„Brandstifter“ oder „Mordbrenner“, weil sie seine Schriften verbrannt hatten.
Die „Widerlegung des Latomus“ gilt als eine der in sich geschlossensten und
systematischsten Darlegungen der zentralen reformatorischen Gnadenlehre und
Anthropologie vor der Schrift „Vom unfreien Willen“. Luther konzentriert sich
dabei auf die Erörterung seiner schon früher aufgestellten These, dass auch
alle guten Werke Sünde sind. Auch Latomus hatte diesem Thema fast die Hälfte
seiner Schrift gewidmet. Ausgehend von Jes. 64,5 und Pred. 7,20 macht er
deutlich, dass kein Mensch vor Gott gerecht sein kann, keiner vor Gott wirklich
Gutes wirken kann. Luther entwickelte dabei auch seine Auslegungsprinzipien.
Für Luther sind Sünder „Leute der Barmherzigkeit“, die sich allein auf Christus
verlassen sollen. Der Angelpunkt der Auseinandersetzung, das wird deutlich, ist
das Sündenverständnis., nämlich dass Sünde alles das ist, was gegen Gottes
Gesetz ist, und Christus sie vollständig getragen hat. Auch nach der Taufe
verbleibt noch Sünde als wesenhaftes Stück, wie Paulus (und in seinem Gefolge
auch Augustinus) betont hat, während Rom nur noch Schwachheit sehen will. Um
Christi willen wird aber diese noch vorhandene Sünde dem Christen nicht
angerechnet; sie ist zwar vorhanden, aber nicht mehr herrschend. Daher kann es
auch keine guten Werke ohne Sünde geben. Der Höhepunkt der Schrift ist die
Auslegung von Römer 7 und die klare Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.
Gnade, so betont Luther, ist dabei Gunst, freundliche Zuwendung Gottes zum
Sünder um Christi willen. Jegliche menschliche Mitarbeit in der Rechtfertigung
wird ausgeschlossen.[2]
JESUS.
Dem
rechtschaffenen Herrn Justus Jonas, des geistlichen Stifts zu Wittenberg
Propst, seinem Oberen (Lehrmeister) im HERRN, entbietet M. Luther im HERRN
seinen Gruß!
Da ich auch,
mein allerliebster Jonas, bei eurem angetretenen obrigkeitlichen Amt (Rektorat)
gerne sein und Glück wünschen wollen, aber nicht kann, habe ich diesen meinen Latomus an euch schicken wollen; nicht den, der weiter auf
die Wissenschaft in Sprachen geifere, denn derselbe Jesbibenob[3]
ist durch unseres Abisai Kraft gefallen, darum
fürchtet euch nichts; aber auch nicht den, welcher durch eine boshafte Schminke
und unselige Wortränke der Löwenschen Mordbrenner
Schuld als ein langsamer Verteidiger rechtfertige, den ich glaube, dass ihr
gesehen, solchen Menschen nämlich, der sich des Herrn Papsts und seiner Bulle
rühmt: Sondern denjenigen schicke ich, den Luther mit Weihwasser besprengt und
gereinigt, dass er nicht mehr so von unruhigen Poltergeistern geplagt werde,
noch andere gute Herzen auf gleiche Weise plage. Wenn sie diesen Grund in
Zeiten angeben und vor der Tat, wie sich’s geziemt, mit denselben weisen Leuten
zu Rate gegangen wären, hätten sie meine Schriften weder verdammt noch
verbrannt, würden auch nun nicht erst, wie Narren, nachdem die Tat geschehen,
Rat suchen: Das, hoffe ich, wollte ich ausgerichtet haben. Es lehrt mich Latomus gar sattsam in diesem Buch, wie leicht es sie
ankommen, in Abwesenheit Luthers in ihren Winkeln zu schwatzen: Das ist
ketzerisch! Das ist irrig! Welches sie öffentlich anzugreifen sich ganz
ohnmächtig befunden haben würden.
Endlich
glaube ist fest, dass diese treffliche Rechenschaft gar nicht würde an den Tag
gekommen sein, wenn ihr nicht die Bulle Mut gemacht hätte, dadurch Latomus rühmt, dass sein Tun gebilligt worden; er träumt
noch von dem alten, aber auch veralteten, Schrecken der vormaligen Bullen,
daher er dachte, die ganze Welt würde vor seiner Schrift erbeben, dass er nun
des Luthers mit der allerheiligsten Schrift Gottes
spotten dürfte. Ich aber wollte nicht viel nehmen, dass eine solche Bulle nicht
ein solch Tun gebilligt oder mich nicht verdammt hätte. Es stimmt alles fein
zusammen, Bulle, Sache, Richter, Verteidiger: Vor deren Gemeinschaft und
ansteckenden Seuche mich der HERR Jesus und alle frommen Seelen bewahren wolle!
Amen.
Ich solltet
aber kaum denken, wie ungern ich von der friedfertigen Schrift Christi, der ich
mich in diesem Patmos ganz ergeben hatte, abgerissen worden, die Zeit mit des
stacheligen und dornigen Schullehrers Lumpereien zu verderben, da ich gesehen,
dass der Mensch vom Fuß bis auf den Scheitel ganz sophistisch, dazu von der
Bullenblase aufgeschwollen, so trotzig geschrieben, dass er geglaubt, er dürfe
weder Vernunft noch Fleiß gebrauchen, sondern nur ins Gelag
hinein schwatzen, was er entweder gelesen oder ihm eingefallen. Worauf ich
höchst ungern antworte, weil man darin weder seinen Witz gebrauchen, noch die
Gelehrsamkeit fördern kann und doch die guten Stunden verderben muss. Ich
meine, der Mensch habe geglaubt, Luther sei ganz auf die Seite gebracht oder zu
ewigem Stillschweigen verdammt, dass sie wieder die Welt mit sophistischer
Tyrannei beherrschen könnten, deren ziemlichen Sturz sie guten Teils mir
zuschreiben. Und wollte Gott, dass sie völlig gestürzt wäre, dass ich diese
zumal unvergebliche Schuld (wenn den heiligen
Bullenpäpsten zu glauben) völlig auf mir haben könnte.
Ich sorge
aber, dass, indem wir über die Gnade und guten Werke streiten, wir nicht um
Gnade und gute Werke kommen. Wenigstens bitte ich, der ich diese schrecklichen
Zeiten des Zornes ansehe, um nichts anderes, als dass meinem Haupt
Tränenquellen gegeben werden, zu beweinen diese letzte Verheerung der Seelen,
die das Reich der Sünden und des Verderbens wirkt. Es sitzt das römische
Ungeheuer mitten in der Kirche und gibt sich für Gott aus; die Bischöfe
heucheln, die Sophisten reden zu Gefallen, und die falschen Christen (oder
Fuchsschwänzer) tun alles für dasselbe. Indes tut die Hölle ihre Seele weit auf
und sperrt den Rachen auf ohne alle Maßen, und der Satan treibt mit dem
Verderben der Seelen sein Spiel. Und ist niemand unter uns, der ernstlich und
mit Tränen stehe am Tag dieses Grimms und sich zur Mauer stelle für Israel.
Darum bin ich voll Unwillens und Zorns gegen solche gottlose Latomos, die in solchen ernstlichen Dingen ihren Spott
haben und uns zwingen, bessere Sachen liegen zu lassen und mit solchem ihrem
tollen, ja allertollsten Zeug zu schaffen zu haben, und wünsche ihnen auf ihre
harten Stirnen, was dort steht: Alle meine Feinde müssen sich schämen und
sehr erschrecken; sie müssen sich wenden und zuschanden werden plötzlich.
[Ps. 6.]
Dass ich
euch aber nicht mit einem längeren Schreiben aufhalte, so will ich auf die
Punkte der Latomischen Vorrede in einer anderen
Vorrede antworten. Ihr aber erkennt indes hieraus, dass ich euch meinen
geneigten Willen [habe] bezeugen wollen, und betet für mich, dass ich auch von
den bösen (denn so keck rede ich auch mit dem Apostel) und ungläubigen Menschen
errettet werde, die in solchem Babel sind, und dass mir die Tür aufgetan werde
zu Lob der herrlichen Gnade des Evangeliums seines Sohnes.
Ich aber
bete zum HERRN, dass er euch seinen Geist gebe, damit ihr die
allerschändlichsten Dekretalien (oder geistlichen Rechte) des Antichrists, darüber ihr zu lesen bestellt seid, aus keiner
anderen Absicht lehrt, als wie ich euch gesagt habe: dass ihr nämlich ein Aaron
und mit heiligen Kleidern angetan, das ist, mit göttlicher Schrift verwahrt,
ergreift das Rauchfass des Gebets und diesem Verheerer
entgegen geht mitten unter dem römischen Brand, davon die Welt jetzt raucht,
und welcher bald mit der anderen Feuersbrunst vom Himmel durch die Zukunft
unseres Heilandes, des wir warten, ausgelöscht werden wird. So sollt ihr, mein
Bruder, tun, dass ihr lehrt, wie man das verlernen müsse, worüber ihr lest, und
dass man wisse, wie man das als tödlich fliehen müsse, was der Papst und die
Papisten setzen und glauben. Denn da wir solch großes Übel der Welt mit Gewalt
nicht dämpfen können, und solche gottlosen babylonischen Ämter verwalten
müssen, so ist übrig, sie so zu verwalten, dass wir sie ganz anders, nämlich
als des Vaterlandes in Jerusalem feindliche Verheerer
und der unersättlichen Grausamkeit der Feinde Vorsteher ansehen, dass wir nicht
mit denen, die verloren gehen, in welchen das Evangelium der Herrlichkeit
Gottes verdeckt ist, unser Gefängnis auch sehen und greifen (d.i. erfahren).
Und haltet
euer Werk nicht für etwas Geringes, wenn ihr das heilsame und seligmachende
Evangelium CHRISTI nach des Papstes giftigem Dreck (sonst Dekreten) und
allertollsten Tollheit einrichtet; nämlich solchergestalt, dass die Jugend ein
Gegengift gegen dieses Gift bekomme, dessen bloßer Geruch auch den Menschen
tötet, bis sie für sich lerne, Böses verwerfen und Gutes erwählen. Dieser
Emanuel sei euch befohlen! Seid also männlich und stärk, dass ihr diesen Baalpeor nicht fürchtet, weil er kaum ein Beelzebub oder
Mücken- (Fliegen-)Mann ist, wenn wir anders glauben, dass Jesus Christus
hochgelobter HERR in Ewigkeit ist! Amen.
Der wolle euch und seine Kirche bei euch vollenden und kräftigen. In
demselben gehabt euch wohl!
Gegeben im
Ort meiner Wallfahrt, den 8. Juni 1521.
Auf des Latomus Vorrede
1. Zuerst
beschuldigt mich Latomus: Ich hätte gleich vom Anfang
den Worten nach das Meinige dem Papst unterworfen.
Das dichtet
er nach seiner sophistischen Trügerei und Keckheit.
Ich aber bedaure, dass ich mich im Ernst ihm unterworfen, denn ich habe damals
wirklich vom Papst, Konzilen und Universitäten so gehalten, wie sie noch jetzt
insgemein heißen. Denn ob mir wohl vieles an ihnen ungereimt und ganz anders
schien als Christus wollte, so habe ich doch meine Gedanken über zehn Jahre,
nach dem Wort Salomos: Verlass dich nicht auf deinen Verstand, im Zaum
gehalten und mir vorgestellt, es gäbe doch noch immer auf Universitäten
Theologen, welche, wenn das gottlose Dinge wäre, nicht dazu schweigen würden;
dachte auch, dass nirgends weniger so grobe Stöcke (Blöcke) und Esel, und nun
auch so böse gefunden werden könnten wie in Löwen.
Es ist mir
aber unter dem Handel sowohl die Erkenntnis der Sachen wie der Mut gewachsen,
da sie ihre Unwissenheit und Bosheit, indem sie auf dies Zeichen des
Widerspruchs gestoßen, trefflich verraten haben. Und wenn sie die nicht mit so
schrecklichen Haufen offenbart, sondern noch bei sich behalten hätten, so
hätten sie mich Narren immer bis ans Ende betört. Ich danke aber meinem HERRN
Jesus Christus, der mich um dieser Versuchung willen mit dem hundertfältigen Gut
dieser Wissenschaft noch in der Zeit beehrt hat, dass ich nun gewiss weiß, der
Papst sei das letzte in aller Schrift verkündigte Ungeheuer, der Antichrist;
die Universitäten aber Synagogen oder Schulen aller Schulen des Satans, darin
falsche Theologen, nämlich solche epikurischen Säure, ihr Regiment haben.
2. Er sagt:
Ich wäre weit entfernt von der evangelischen Bescheidenheit, die ich lehre,
besonders in der Schrift, da ich eben den Sophisten zu Löwen geantwortet habe,
nachdem sie meine Dinge so meisterhaft verdammt haben.
Ich habe
aber nie danach getrachtet, dass mich jemand für bescheiden oder heilig halten,
sondern dass alle das Evangelium erkennen könnten, da ich hingegen frei
gelassen, auf mein Leben loszuziehen, wie ein jeder wollte. Des aber rühmt sich
mein Gewissen, dass ich niemanden an seinem ehrlichen Namen oder Leben
angegriffen: Nur habe ich Lehren, Studieren und Köpfe, die gegen Gott sind und
ihn schänden, etwas hart angergriffen. Darin nun entschuldige ich mich, bin
auch nicht ohne Beispiel: Denn Johannes der Täufer und nach ihm Christus heißen
die Pharisäer Otterngezücht, durch die allergreulichste
und schändlichste Lästerung, gegen so gelehrte, heilige, mächtige und geehrte
Leute, dass sie ihm auch wieder an den Hals warfen: Er habe den Teufel. Wenn
hier Latomus Richter gewesen wäre, lieb er, was für
ein Urteil hätten sie dann zu erwarten gehabt? An anderer Stelle heißt Christus
sie Blinde, Lügner, Boshafte, Kinder des Teufels. Paulus aber (lieber Gott!),
wie ist er vollends so gar fremd von evangelischer
Bescheidenheit, da er der Galater Meister (die meines Erachtens keine kleinen
Leute waren) zu einem Fluch und Bann macht: Andere Hunde, unnütze Wäscher,
Lügenprediger, Betrüger und Elymas den Zauberer gar
ein Kind des Teufels voller List und Schalkheit nennt und so ins Angesicht
schilt.
Und ich
halte nicht, dass die Sophisten berechtigt sind, mein Herz (oder Gemüt) zu
richten, da sie nicht sehen, dass mein Werk etwas anderes ist als der Apostel,
Christi und der Propheten ihres. Aber evangelische Bescheidenheit ist, wie es
die Latomi zu unserer Zeit auslegen, die, wenn man zu
gottlosen und verruchten Päpsten und Sophisten mit geborenen Knien sagt:
Gnädiger Herr, Eure Gnaden tun wohl! Vortrefflicher Magister noster, Eure Exzellenz redet wohl! Wo man sie aber das, was
sie wirklich sind, heißt, nämlich ungelehrt, dumm, gottlos, und die Gottes Wort
entheiligen und mit unschätzbarem Schaden der Gottseligkeit und Seelen dasselbe
schänden, so ist das ganze Evangelium (auf unbescheidene Art) übertreten.
Wenn man
aber solchen schmeichelt, ob man schon alle Menschen umbrächte und die Welt
verkehrte, so wäre man doch nicht unbescheiden. Denn wann würde wohl Latomus den Papst, der doch mit so viel Kriegen und bösen
Streichen tobt, der Unbescheidenheit beschuldigen? So gar
beruht die evangelische Bescheidenheit oder Grobheit aller auf den Papstgötzen
und den ehrwürdigen Sophisten allein! Endlich beschuldigt die blutgierige Bulle
(deren Grausamkeit alle Frommen verfluchten, wenn sie gleich mit Recht verdammte)
der bescheidene und aller Bescheidenheit Förderer und Ausstreicher Latomus im geringsten nicht, sondern vielmehr lobt, preist
und erhebt er sie, ist darauf trotzig und rühmt sich von ihr. Das sin die
Männer des Bluts (Blutgierigen) und Falschen, die die Bescheidenheit in Worten
und im Gesicht vorwenden und indes lauter Mord, Drohungen und Blut von sich
schnauben. Niemand soll mich bereden, dass das ein redlicher und bescheidener
Mensch sei, dem solche Bulle gefallen kann!
Ich will
lieber offenherzig (redlich heraus) sein und niemanden mit Schmeicheleien
betrügen. Das kann ich wohl versichern. Meine Rinde (oder äußere Schale) kann
etwas hart sein: Aber mein Kern (oder Inwendiges) ist weich und süß. Denn ich
gönne niemandem Böses, sondern wollte gerne jedermann samt mir aufs beste raten; wie auch meine Härtigkeit
niemandem schadet, so betrügt sie auch niemanden: Der mich meidet (oder mein
müßig geht), der wird darum nichts von mir leiden; wer mich duldet, wird davon
Gewinn haben. Salomo spricht Spr. 28: Wer einen Menschen straft, wird
hernach beliebt sein, mehr als der, der mit der Zunge schmeichelt.
Hernach
führt er, meine Schuld zu vergrößern, einen Alten an, der davon handelt im
Gespräch, wie ein römischer Bischof gestraft werden solle, der ihm weiße dünke.
Denn die eigentliche Meinung ist: Man solle weder ganz schweigen noch reden;
das Maß aber davon sei über seinem Verstand.
Und das ist
kein Wunder. Denn er hat der lieben Bulle hierunter dankbar sein müssen, um
deren willen man auch das nicht wissen und über seinen Verstand halten muss,
was Kinder wissen: Wiederum auch wissen, was sonst wohl die Engel nicht wissen.
Denn Latomus, der Meister der Theologie, hat unter
der Bedingung, göttliche Dinge zu wissen, sich erklärt, wie er sie denn auch
als grundgelehrt darin in dieser Schrift verteidigt, dass er auch die
menschlichen und durch täglichen Gebrauch ganz gemeinen Dinge elendig nicht
wisse noch verstehe, wie den armen Seelen in ihrer Gefahr zu helfen sei.
Dagegen er doch weiß, was die Seelen im Fegfeuer machen, die alsdann kein
Gefühl haben, und von deren Zustand auch die Schrift nichts sagt, da doch des
Papsts und ihr Zeug alles in der Schrift stehen soll.
Aber lass
die Sophisten bei ihrer Art bleiben, denn es steht ihnen doch nichts so an wie
Heucheln, Lügen und Fuchsschwänzerei. Lasst uns aber
den Alten hören, der ihm weise geschienen. Es lehrt derselbe dreieierlei Arten: Die erste, dass Fürsten und Gemeinden
nicht mehr ungerechte Dinge begehren, sondern, wenn man sie ihnen auch selbst
anböte, sie von sich weisen sollen; hernach auch selbst erst an uns abstellen,
was man am Papst tadele, indem es etwas Freches wäre, das am Fürsten nicht
leiden wollen, was man an sich selber habe. Die andere Art ist das Gebet; 3)
die dritte die Vertragung. So urteilt dieser weise Mann.
Die erste
Art ist also wünschende, nämlich ein Gedanke, den wir fassen; z.B. wenn der
Esel flöge, so hätte der Esel Federn. So lasst uns denken: Wenn niemand
unrechte Dinge begehrte, so würde der Papst besser. Warum aber sollte man nicht
auch so denken: Wenn sich der Papst besserte, so würde niemand unrechte Dinge
begehren. Wie aber wird es denn in dem gehen, wenn man nichts von dem Papst
begehrt, sondern er, wie er gar oft tut, aus eigener Tollheit und Grimm tobt?
Und, welches das vornehmste, nichts nach dem Evangelium fragte und nicht das
geringste Stück des bischöflichen Amtes täte, wie es 1. Tim. 3 beschrieben ist?
Ist es genug, hier zu denken: Wenn niemand unrechte Dinge forderte? Denken wir
aber jetzt nicht in der ganzen Welt so, nicht allein wie jener (alte Weise)
vorschreibt, sondern wie ich’s auch noch verbessert habe? Denn wer wünscht
dergleichen nicht? Was wird aber daraus? Was kann man mehr? Denn wer (außer der
Kraft Gottes, die er nach seiner anderen Art im Gebet zu suchen lehrt) kann Fürsten
und Gemeinden halten? Nämlich dem Papst nichts Unbilliges zuzumuten? Er rät
auch dieses nicht (nämlich des Latomus Weiser), dass
man es versuchen solle: Nämlich so ist es der Fürsten und Völker Schuld, dass
der Papst böse sei. Aber lasst uns vielmehr denken: Wenn der Teufel ihn nicht
ritte, so würde er fromm; dass wir also auf den Teufel schieben, dass der Papst
böse ist. Diesen Rat könntest du brauchen, und zu Zeiten so denken: Wollte
Gott! Dass ich hier und dort selig wäre! Denn das wäre eine gute Art, in den
Himmel zu kommen.
Darum tut in
diesem ersten Rat des alten Weisen die Welt schon fast zu viel. Denn für wen
betet man jetzt aller Orten mehr als für den Papst? Desgleichen, wessen
Tyrannei verträgt man geduldiger als die des Papstes? Wo bleibt dann also eines
so weisen Rat? Wie einen schönen Götzen macht uns solcher Weise aus dem Papst,
dass sich die Schafe anfangen, selber zu weiden und das Volk selbst seinen Weg
zu richten und dem Hirten die weide und dem Anführer die Bahn zu bereiten? Aber
seht auch, wie fein er mit Latomus, seinem Dichter,
stimmt. Latomus meint, man solle nicht ganz
schweigen; sein Weiser aber will, man solle ganz schweigen. Welcher unter
beiden redet nun wahr, der Dichter oder das Gedicht? Denn entweder lügt Latomus, dass ihm derselbe klug scheine, oder er lügt
darin, dass ihm dünke, es sei nicht ganz zu schweigen. Aber auch der Weise
bleibt nicht auf einer Rede, denn einmal rät er zu schweigen, und doch macht er
aus dem Papst einen liederlichen Vettel, da er sagt: Er gebe ungerechte Dinge
und die man verschmähen müsse, wenn er sie auch selber antrüge.
Wie schön
hat Hilarius gesagt: Es würde schwer sein, die Sache der Wahrheit gegen die
Gottlosen zu verteidigen, wenn die Klugheit so viel einredete und raten wollte,
wie sich die Gottlosigkeit heraus nähme!
Aber lasst
uns die Geheimnisse dieser heiligen Schmeichelei weiter beleuchten. Er spricht:
Man muss des
Fürsten Laster dulden, so man selber an sich hat. Dass demnach alle schweigen
(wie dieser Latomische Weise rät), müssen alle auch
wider Willen einerlei Laster haben. Oder es wird doch denen die Bestrafung frei
bleiben, die nicht dergleichen an sich haben. Warum heißt er aber auch die
schweigen? Also gönne ich nun wohl seine eine geschickte und ratsame Dankbarkeit
derselben alles billigenden Bulle: Da aber dieses künstliche Spiel eigentlich
auf den Luther gerichtet ist, so möchte ich gerne wissen, was er mit dem Papst,
wie Fürsten, für ein Laster gemeinsam habe. Habe ich an allen päpstlichen Greueln Teil? Ich frage aber: Da er das Evangelium predigen
muss aller Kreatur, dazu er berufen ist: Ob der Papst eine Kreatur sei? Warum
darf man ihm denn die Wahrheit nicht frei und trocken heraus sagen? Aber genug
hiervon! Solche Schmeichelei hat einen würdigen Lohn für diese Torheit.
Darum wollen
wir solchen siebenmal tollen und törichten Weisen fahren lassen und uns
unterweisen lassen, wie die freien Bekenner des Evangeliums unterwiesen werden
sollen; und lasst uns so halten und tun:
Je größer
der Oberste ist, besonders ein Geistlicher, desto weniger soll man sie dulden;
sondern ihre Laster am meisten bestrafen. Denn das Wort Gottes soll nicht um
des Menschen willen gebunden sein, und es weiß kein Ansehen der Personen. So
steht Psalm 119: Und redete von deinen Zeugnissen vor Königen und scheute
mich nicht. Und wen straft er Ps. 2, wenn er spricht: Und nun, ihr
Könige, bekommt Verstand, und lasst euch unterweisen (züchtigen), die ihr die
Erde richtet! Wie haben zum Beispiel alle Propheten, die vom Pöbel
ausgenommen wurden und Könige, Priester und Propheten am meisten haben strafen
müssen. Welche straft Christus im Evangelium? Etwa den Pöbel? Und nicht
vielmehr die Großen allein? Was ist das also für eine pestilenzialische Fuchsschwänzerei des Latomus,
dass er uns solche Beispiele verdüstern will und daher leugnet, er wisse solche
Dinge nicht, die Kinder wissen?
Ja, aber
Christus war GOTT (der konnte es eher tun). Antwort: Das ist wahr, er hat sich
aber erniedrigt und Knechtsgestalt an sich genommen. Er strafte nicht als GOTT,
und ist so allen Predigern ein Beispiel geworden, dass sie den Pöbel
verschonen, aber die Fürsten nicht schonen sollen, weil des Pöbels Unglück auf
der Fürsten Schuld beruht.
Oder ist
darum zu schweigen, weil es durch Gottes Zorn böse Regenten gibt, wie Latomus der Heuchler meint; welcher will, man soll über den
Pöbel losziehen, aber die Fürsten schonen? Antwort: Fürwahr, er weiß die Dinge
wohl zu schätzen, der die Laster nicht nach den Verdiensten, sondern nach den
Personen misst, und der Fürsten Laster zu des Volkes Schuld macht! Denn er
lehrt, dass man die Laster nicht als Laster, sondern, insofern sie an Großen
und Kleinen sind, diese entweder dulden oder strafen müsse.
Was wollen
diese Feinde des Kreuzes, als dass das Ärgernis des Kreuzes aufhören solle?
Denn sie wissen, dass es ohne Gefahr ist, den Pöbel zu strafen, die Fürsten
aber nicht ohne augenscheinliche Gefahr angetastet werden können. Aber das sind
Mietlinge, stumme Hunde, die nicht bellen können, Jes. 56, die den Wolf kommen
sehen und fliehen, Joh. 10, oder sich lieber zum Wolf schlagen. Nicht so
Christus, dessen Hörner in Hecken hängen bleiben; dessen Abfahrt die Berge
berührt, dass sie rauschen; sein Reiser fängt das Haupt Behemot;
er greift in die schreckliche Reihe seiner Zähne (oder Rachen) hinein,
durchbohrt seinen Backen mit einem Armband (Fallstrick), Hiob 40, und tötet mit
Simson Löwen. Kurz, die ganze Schrift bezeugt, dass die Stimme des HERRN die
Zedern zerbricht, die Berge Israels, die Eichen Basans
und die hohen Türme, und alles, was groß ist, schlägt, Psalm 29, wie auch ein
Kind erkennen kann, welches doch über den Verstand eines Meisters in Israel
gehen soll.
Man ist
freilich der Hoheit Ehrerbietung schuldig; das gestehe ich. Antwort: Aber dem
Wort Gottes ohne Schaden; weil das Gott selber ist, dem man mehr gehorchen muss
als Menschen, Apg. 5. Wenn aber einer Obrigkeit Laster zu dulden ist, so mag es
eher der weltlichen als geistlichen ihres sein; nicht allein darum, weil die
Kirchenobrigkeit (nämlich des Papsts) nicht so aus Gott ist wie die weltliche;
denn Gott weiß gar nichts um das Päpstegesindel, wie
es heutzutage herrscht, weil er nur Propheten und Diener des Wortes in der
Kirche geordnet hat. Ja, sie sind auch von Menschen nicht geordnet, sondern sie
haben sich selber aufgeworfen, Gott und Menschen zum Verdruss, wie die Riesen
vor der Sintflut; sondern auch darum ist es nicht zu leiden, weil das Laster
einer weltlichen Obrigkeit mit keiner solchen Gefahr der Seelen geschieht. Ein
Bischof aber, wenn er das Wort nicht achtet, ob er schon heilig wäre, ist ein
Wolf und Satansapostel. Der ist nichts von einem Wolf unterschieden, der für
die Schafe nicht gegen den Wolf wacht.
Da wir aber
wissen, dass der Teufel nicht schläft, heucheln wir doch den schlafenden
Bischöfen, ja, helfen ihnen noch, wenn sie dem Teufel in seinen Werken helfen,
und verdammen und würgen dagegen die, welche sie erwecken und an ihre Pflicht
erinnern! Was kann ärgere Tollheit sein als diese? Darum sei der dreimal
verflucht, welcher des HERRN Werk betrügerisch tut und dem Papst, der mit dem
Teufel unter einem Hütlein spielt und ihm als höllischen Wolf durch die Finger
sieht, noch hofiert, und kein Erbarmen hat, ob schon so vieler Brüder Seelen,
die mit Christi Blut erkauft sind, elend umkommen!
Wenn Latomus nichts anderes geschrieben hätte, so hat er durch
diesen höllischen Rat schon genug gezeigt, dass er von des Satans Geist voll
ist. Wie darf man hoffen, dass solche Sophisten die Schrift aus recht
gottseligem Herzen lesen, verstehen oder lehren? Wie sollen sie über die
christliche Lehre urteilen? Ja, was kann man Gutes von ihnen erwarten, da ihnen
dieser Rat weise dünkt, welcher aus lauter Worten des leidigen Teufels selber
besteht? Welcher die Sache der Kirche, die Laster der Hirten, das Heil der
Seelen so gering achtet, wie wenn es nur eine leichte Schuld weltlicher
Tyrannei wäre, die über Leib oder Gut herfährt?
Ich Armer
führte recht sehr, dass ich über Papst und Bischöfe, als des Teufels Gesellen
und Gehilfen, noch gar zu glimpflich und bescheiden gewesen, noch selbst genug
die viel tausend Seelen bedacht, die derselbe Antichrist ohne Unterlass
zugrunde richtet, mit seinen Bischöfen und Sophisten, so eine rechte Pest aller
Ende der Welt sind.
Aber man
muss einen Aufruhr befürchten, und sie werden doch nichts besser; spricht Latomus.
Antwort: Was
für eine Judenstimme ist das! Denn sie fürchten auch, es könnte ein Aufruhr
durch Christus werden, und sie besserten sich kein Haar, ja, wurden noch
schlimmer. Sollte Christus darum haben schweigen müssen? Und wer hat dir
gesagt, dass sie nichts besser würden? Ist das ein theologischer Satz: Sie
werden nicht hören, darum will ich schweigen? Man fürchtet sich vor Aufruhr,
der die Leiber verdirbt, und verteidigt doch den Aufruhr, der die Seelen verdirbt.
So fürchtet jener kluge Mann, wo etwas zu fürchten ist, dass er den leiblichen
Frieden der ewigen Seelen Seligkeit vorziehe. Wer könnte diesen leibeigenen
Knecht (Sklaven) und durch die allerpestilenzischsten
Ratgebungen verderbten Fuchsschwänzer nach Würden
genug verabscheuen? O! Solche Leute sind es ja, die der Papst billigen muss;
die sind es, auf deren Urteil Bücher verdammt und verbrannt werden müssen!
Es ist
niemals weniger Aufruhr zu befürchten, als wenn das Wort Gottes gelehrt wird.
Den Gott, als ein Gott des Friedens, ist alsdann zugegen: Und wenn das die
Papstgötzen nicht hören wollen und fortfahren, in ihrer Tyrannei verstockt zu
bleiben, mit verbieten, verdammen, verbrennen, und alsdann ein Aufruhr oder
Unglück über sie kommt, so muss man ihrer spotten und lachen mit der Weisheit
Sprüche 1. Es ist dann die Schuld nicht des gelehrten Wortes, sondern der Gottlosigkeit,
die nicht hört das Schelten und die Strafen der Weisheit, wie eben daselbst
steht.
Dass aber Latomus nicht vorwende: Er rede nicht vom Evangelium,
sondern von der Bestrafung:
So wissen
wir, dass Christus selbst das Evangelium nicht habe lehren können, ohne zu
strafen. Und die Weisheit klagt, dass ihre Zucht verachtet worden [ist]. Sei
ist das Salz der Erde: Sie beißt, damit sie reinige; straft, damit sie heile;
schilt, damit sie selig mache; tötet, damit sie lebendig mache. Wer anders
lehrt, der predigt nicht das Evangelium, sondern plaudert seine Schmeichelei
daher.
Lasst uns
nun auf einen anderen Punkt kommen, da er derer zu Löwen ihre Tollheit bei
Ehren erhalten und mich nicht der Schuld der Ketzerei lossprechen will, unter
Vorwand der Disputation: Weil von dem, was in den prophetischen und
evangelischen Schriften stehe, nicht zu disputieren sei, wie Leos, des
römischen Bischofs Worte lauten, die er reichlich anzieht. Hernach wäre meine
Art zu disputieren nicht schulmäßig, sondern ketzerisch, weil ich dieselbe
nicht die Wahrheit zu erforschen, sondern zu bestreiten angetreten hätte.
Dass man
denn wisse, dass Latomus hier nur seine Dinge
ersinne: So sage ich noch einmal, dass ich vom Anfang her in Ernst disputiert
habe, ehe ich wusste, dass unsere Meister solche groben ungeschickten Tölpel
und Säue wären, denn hernach (wie sie selbst gestehen) habe ich gesagt, dass ich
nicht disputiere, so gar, dass ich mich auch zum
Feuer dargeboten. Ich bin nie von einer solchen Verstellung gewesen, dass ich
erst von dem disputieren wollte, was ich zu bejahen beschlossen; wie dieser
ehrliche Mann lügt. Aber gesetzt, ich hätte mich verstellt, dass ich
disputieren wollte, wer hätte mir es denn wehren können? Etwa (der Papst) Leo?
Wer hat aber dem Leo solche Macht, es zu verbieten, gegeben? Etwa Latomi Glaube und der Sophisten Träumerei? Wohlan! Hat
Christus den Juden, die ihn schalkhaft versuchten, nie geantwortet? Sollte also
Leos Wort mehr gelten als Christi Beispiel? Das ist der Sophisten ewige und
unbändige Tollheit, dass sie immer Menschenwort treiben und Gottes Wort
verstecken.
Aber das ist
noch artiger: Leo sucht nicht, dass man nicht antworte, sondern dass die
Widersacher nur nicht streiten (disputieren).
Latomus zieht das dahin, dass es nicht brauche, dem
Widersacher zu antworten. Und das ist der hochweise Rat der Schule zu Löwen,
nach welchem sie gegen Luther verfahren möchte. Wenn der Türke uns mit Krieg
angreift, welches er doch nicht darf, und sich nicht wollte wehren lassen, so
wollen wir die Theologen zu Löwen als Gesandte abschicken, die zu ihnen sagen:
Du darfst nicht streiten, sonst wollen wir dich verdammen; alsdann wollen wir
ihn lassen toben und uns rühmen, dass wir siegen. So ist weiter des Paulus Rat
und Gebot nicht nötig, dass die Bischöfe über der heilsamen Lehre der
Gottseligkeit halten und die Widersacher zu strafen du ihr Maul zu stopfen;
sondern es ist genug, dass sie nicht disputieren sollen, so mögen sie unwissend
und Götzen seien und sicher ruhen. So können wir auch zuletzt Gebet oder alle
Waffen des Geistes hinwerfen und dem Teufel nicht widerstehen, sondern ihm nur
sagen: Du darfst die Kirche nicht anfallen. Welches wir auch ziemlich tun. Das
ist der Latomische Glaube, welcher der Väter Sprüche
behandelt.
Was ist aber
das für eine Vermessenheit und Trotz von einem so bescheidenen Mann, dass er
seine prophetischen und evangelischen Dinge so keck bejaht? Denn Leos Worte
lauten von den prophetischen und evangelischen. Sind etwa die von Löwen
Propheten und Evangelisten gewesen? Das hat Luther gar nicht gewusst, auch wohl
sonst keiner, als Latomus, welch ein großes Wunder,
verstanden. Ebenso eine Kühnheit ist es, dass er vorgibt, meine Disputation
wäre gegen die Wahrheit: Da der untrügliche Richter und Evangelist durch
Wahrheit allezeit derer von Löwen ihre Meinungen versteht; darüber der törichte
Luther geglaubt, dass der Richter nicht aber eine Partei erkennen müsste.
Es ist aber
auch dies ein sophistischer Stolz und Mordbrennertrotz, dass er sagt: Man hätte
meinen Irrtümern nicht nachsehen sollen, welche aber noch keiner je erwiesen
oder jetzt erweist. Es war aber genug, dass die Meinung der Evangelisten und
Propheten zu Löwen die Wahrheit war, die mit ihnen nicht stimmte.
Die Summe
dieses Vorhabens, das Latomus in dieser Vorrede
beschreibt, ist offenbar diese gewesen: Wir sind Magistri nostri,
wir Richter, wir können nicht irren, uns muss die Welt gehorchen. Wir sagen,
was wir wollen, so ist das ein Glaubensartikel, etwas Evangelisches und
Prophetisches. Habe ich das nicht in meiner Schrift gegen sie gänzlich
vorhergesagt, was hier Latomus gesteht? Wenn ich ein
Feind dieser Fakultät (oder hohen Lehrer Gesellschaft) wäre, könnte ich ihren
Stolz, Einbildung, Kühnheit, Dummheit, Unwissenheit und Bosheit dieses
Anschlags nicht heftiger durchziehen, als dieser Latomus
in dieser prächtigen Vorrede tut; so gar sind alle Buchstaben voll moabitischen Stolzes und mehr als sophistischer Hochmut.
Denn er redet von dieser Streitigkeit nicht anders, als wenn sie stets außer
Streit gewesen wäre; dass du, Latome, uns solche
stattlichen Esel beinahe zu Göttern machst. So viel Wind hat eine Bulle allein
in eine einzige Blase hineintreiben können.
Ich gebe zu
und billige auch, dass man Ketzerbücher verbrennen möge; aber nicht solche, von
welchen du noch nicht erwiesen, dass sie irrig sind, wie die Frechheit der
neuen Propheten tobt. Denn ich habe auch päpstliche Bücher verbrannt, dass
unsere Magistri sehen, dass weder Kunst noch Witz dazu gehört, Bücher zu
verbrennen, welches auch unsere Küchenjungen und Aufwärter in Gast- und
Wirtshäusern können. Das Feuer (sprechen sie,) löst die Gründe nicht auf. Die
in der Apostelgeschichte haben die Bücher nicht eher verbrannt, als bis sie die
Wahrheit erforscht und gewusst, dass sie vorwitzig waren. Unsere Magistri haben
das Leichte hiervon behalten, was aber schwer ist und Mühe kostet, haben sie
den Herzen der Gläubigen überlassen, weil es dabei bleibt: Die von Löwen irren
nicht.
Endlich
verdrießt mich, dass Maximilianus, zu der Zeit, da
die Sophisten der Juden Bücher anfochten, nicht ihren Anschlag auf ihren
eigenen Kopf gewandt und alle sophistischen Raupen, Heuschrecken, Käfer,
Frösche, Läuse und Geschmeiß weggeräumt, dass sie auf die einige und lautere
Schrift gewiesen worden wären. Denn das wäre ein allerheilsamst und viel
nötiger Werk gewesen, als was man von den Büchern der Juden damals vorbrachte,
mit so tollen und närrischen Artikeln, zu der Sachen Nachteil, dass ich mich
damals recht des christlichen Namens geschämt, dass unsere Propheten und
Ältesten über dergleichen Lappalien so ein Spiel anheben könnten. Wir
verdienten aber damals ebenso wenig Dank, wie wir hoffen, dass uns jetzt bald
gegeben werden wird. Unterdessen gefällt mir sehr wohl, dass der Papst das
Urteil von fünf Universitäten in der Sache für gut gefunden. Denn was konnte
der hohe und berühmte Stuhl, so immer Christus zum höchsten widerstrebt, tun,
das ihm besser anstünde?
Was das
bedeute, so er in dem von ihnen verdammtem Satz sagt: Die Heiligen haben nicht
ohne Sünde gelebt, da sie nicht das vorhergehende (antecedens)
der Vorsatz verdammt, sondern die Folge eines üblen Schlusses; und dass ihn
wundere, dass wir der Welt Urteil nicht gescheut und sie wegen solches
verdammten Satzes angegriffen, verstehe ich nicht.
Vielleicht
hat er haben wollen, die Welt sollte vorher ihre heimliche Schlusskunst
erraten, die er auch im Buch selbst gebraucht, wie wir bald sehen werden;
vielleicht wird er daselbst auch diese Dinge erklären. Im Übrigen spotte ich
seines Frohlockens und Siegesgeschreis, da er rühmt: Er habe Väter angezogen,
die mir zuwider wären, nicht selten, sondern oft; nicht beiläufig oder
leichthin, sondern mit gutem Bedacht usw. Er wollte denn (spricht er) sagen,
dass sie sich selbst widersprächen. Denn das hofft er nicht, dass wir
dergleichen sagen sollten, in der gewissen Versicherung, dass wir keine
Propheten seien: Darum frohlockt und hüpft er als der siegende Teil. Wehe aber
denen, die danieder liegen.
Wir habe
aber indes, da sie die Väter gelesen, die sie erst nicht geachtet, nicht still
gesessen und befunden, dass sie gar oft Menschen gewesen, geirrt, sich
widersprochen und geschlummert, so dass auch diese Rede Latomi
auf dem Sand ruht und bald einfallen wird, sobald ich sein Buch angreifen
werde.
Endlich gibt
der artige Zutrinker einen Vorgeschmack meiner
Schrift zu kosten und spricht: Etliche meiner Artikel wären gegen die
Grundsätze des Glaubens.
Lasst uns
denn auch nach ihm und nach solchem so schönen Vorgeschmack herum trinken: Ihr
sollt da sehen, was zu Löwen Grundsätze des Glaubens sind. Der erste ist: Gott
hat unmögliche Dinge geboten. Diesen Artikel handelt der rechtschaffene und
richtige Mann so, dass er mich kein Wort dazwischenreden lässt, auch nicht das Wörtlein, uns, oder ohne die Gnade Gottes, verschweigt,
davon er doch gesteht, dass es in meinen Schriften mit hinzugesetzt gewesen.
Wir fragen aber: Was denn das für ein harter und ungnädiger Grundsatz des
Glaubens sei, der da leugne, dass uns, das ist, ohne Gnade Gottes, die Gebote
unmöglich seien? Hat denn denselben etwa Christus oder Paulus oder Mose
gestellt? Ach nein! sondern irgendein menschliches Dekret auf dem Hieronymus,
welches so lautet: Wer da sagt, dass Gott unmögliche Dinge geboten, der sei
verflucht.
Dies
zweifelhafte und dunkle Menschenwort wird von den Sophisten so getrieben, dass
sie alle Sinnen zuhalten und nur schreien: Verflucht, verflucht, verflucht!
Dass man sie gleich an der Stimme als rasende Leute erkennt. Diesem
Menschenwort muss man weichen und schweigen. Die so klare, helle und häufige
Schrift mag dagegen streiten, wie sie will, so lässt dasselbe zarte
Menschendekret nicht eine Silbe einer Erläuterungsglosse zu, sondern muss ganz
hart und roh, wie sie klingt, in alle Ohren gebläut, verkündigt und in alle
Herzen getrieben werden, mit größter Gefahr des Glaubens und der Erkenntnis der
Gnade Gottes, aus keiner anderen Ursache, als weil es von Menschen geordnet
ist, und unsere Magistri danach zu richten pflegen, als nach einer untrüglichen
Regel, denn der freie Wille hat von diesen Dekreten sehr große Kraft empfangen.
Ja, es ist
dieser Glaubenssatz so stolz und ehrsüchtig wie ein Romulus, und will seinen
Gesellen und Bruder Remus nicht zugleich mit sich herrschen lassen. Denn es ist
noch ein gar gottseliges Dekret neben diesem Ärgernis gesetzt, das so lautet: Wer
da sagt, dass wir ohne die Gnade Gottes die Gebote erfüllen können, der ist
verflucht.
Dies letzte
arme Dekret hat niemanden, der es ausstreiche, erhebe, einschärfe, in das Herz
treibe, sondern muss seinem Bruder, wie ich gesagt habe, die Herrschaft lassen.
Dies ist kein Grundsatz des Glaubens; nach diesem richten und verdammen unsere
Magistri nicht. Warum das? Weil es allzu göttlich ist und fast alle Schriften
der Meister gegen dasselbe sind.
Überdies
siehe unserer Meister vortreffliche Billigkeit. Da es noch nicht genug war,
dass solch armes Dekret unter der Bank läge, haben sie es noch mit einer
feisten Glosse vollends gar unterdrückt und kraftlos gemacht, indem sie sagten:
Die Gebote Gottes werden auf doppelte Art erfüllt, einmal nach dem Wesen der
Tat, danach nach der Meinung und Absicht des Gebietenden.
Da sie diese
Ausflucht erfunden, ei wie haben sie der Wahrheit spotten können. Denn da haben
sie gelehrt, dass es die Gnade Gottes gar nicht brauche, Gottes Gebote zu
erfüllen, sondern die Absicht Gottes, die über die Gebote erfordert wäre, zu
erfüllen. Den Gott, als ein unbilliger Forderer, ist nicht vergnügt, dass die
Gebote erfüllt werden, sondern will auch, dass sie in der Gnade erfüllt werden,
dass die Gnade nicht Gnade, sondern eine strenge Forderung sei. Denn der freie
Wille hat dem Gesetz Genüge getan, Gott aber ist damit nicht zufrieden; welches
die allergottloseste und verruchteste Meinung ist. So geht es aber (wie ich
gesagt habe) dem armen Dekret.
Wenn man
aber den ersten Satz so mildern will, dass das Unmögliche schlechthin genommen
werde, entweder in der Gnade oder außer der Gnade, so wehren sie hier mit
Händen, Feuer und Schwert und lassen nichts anrühren, sondern, wenn man es
nicht gesteht, wie es klingt, so schreien sie aus: Ketzer! Ketzer! Ketzer! Weil
er der Väter Dekrete leugnet, der heiligen Kirche nicht glaubt, noch [sich] an
die Grundsätze des Glaubens hält. Lieber! Was ist hier anderes zu tun, als dass
man solch Otterngezücht zum unauslöschlichen Höllenfeuer reif werden und gehen
lasse? Kann man zweifeln, dass solcher Sophistenhaufen
Satans Schule sei? Nun siehe! wie mir solche Latomische
Wasserblase solches Dekret getrost vorhält, und wie magistralisch
(meisterhaft) und nostralisch [von uns] er das andere
verschweigt, nämlich weil er der Welt Ohren verspotten wollen, nur dass die von
Löwen nicht gottlos gehandelt haben sollen.
Wie hoch
haben sie aber ferner diese ihre gottlose und schändliche Glosse ausgestrichen?
Sie lehren, dass durch die Werke nach dem Wesen der Tat so viel erlangt werden
könne, wenn man sie aus allen natürlichen Kräften tue, dass ihnen Gott
notwendigerweise und unfehlbar die Gnade verleihe. Das ist nun, das tun, so
viel man kann: Da doch Paulus und nach ihm Augustinus mit solchen Donnerstimmen
daher schallen, dass der Mensch ohne Gnade durchs Gesetz nur schlimmer werde,
weil das Gesetz Zorn wirke, und einkommen, dass die
Sünde überhand nehmen möchte. So dass sie mit dieser verruchten Meinung das
ganze Neue Testament zunichte gemacht und uns leider! unselige Christen, die
bloß den Namen führen, dahin gebracht haben, dass Christus weiter zu nichts
diene, als dass er nur ein Lehrer sei.
Denn was ist
es nötig, groß zu erzählen, was sie von dem ungestaltenen
Glauben, von dem erworbenen (oder angeschaften),
desgleichen dem gemeinen und besonderen Glauben, desgleichen von den
Grundsätzen des Glaubens hier schwatzen. Es ist endlich daher gekommen, dass,
ob es schon unmöglich [ist,] die Gebote Gottes ohne Gnade zu erfüllen, nach der
Meinung des Gebietenden, es dennoch bei euch stehe und ganz leicht sei, die
Gnade Gottes durch Werke nach dem Wesen der Tat zu erlangen. Dass also der
freie Wille nicht allein herrsche in den Werken des Wesens, sondern auch in der
Absicht selbst des Gebietenden, das ist, in der Gnade Gottes selbst. Es steht
nämlich so in seiner Gewalt, dass die Gnade komme oder nicht komme.
Daher kommt
das sittliche Gute, das neutrale (ohne keinseitige)
Gute. Und was soll ich sagen? So viele Grundsätze des Glaubens haben sie, als
Sprüche der Väter, als Dekrete der Konzilien, als Papstgesetze, als unserer
Magister Meinungen, dass man sieht, wie die Welt durch eine ganze Flut solcher
bloßer Grundsätze des Glaubens zugrunde gegangen. Und was werden erst die
Folgerungen und Schlüssel derselben sein? Und wenn vollends die siebenmal
verruchtere Theologie der neueren, welches kein Mensch leugnen kann, dazu
kommt: So darf doch das unverschämte und unreine Maul derer von Löwen den
Rüssel hervor recken und in die Welt blöken: Die Alten hätten eben das gelehrt,
was diese neueren. So darf er doch fortfahren, beider Sprüche und Meinungen zu
vereinigen, dass er Christus mit Belial verknüpfe und Licht mit Finsternis
vermenge.
Man sehe
aber nur, was für Sprüche der Schrift vor solchem Ärgernis haben müssen den
Platz räumen. Paulus spricht Röm. 8: Was dem Gesetz unmöglich war, indem es
durchs Fleisch geschwächt war, das tat Gott und sandte seinen Sohn in der
Gestalt des Fleisches der Sünden, und verdammte die Sünde wegen Sünde, dass die
Rechtfertigung des Gesetzes in uns erfüllt würde.
Hier sieht
man, wie er mit offenem Mund sagt: Es sei dem Gesetz unmöglich gewesen, die
Rechtfertigung des Gesetzes in uns zu bewirken oder zu erfüllen; man wolle denn
auch hier die Rechtfertigung des Gesetzes zur Absicht des Gebietenden machen.
Ist es nun dem Gesetz unmöglich gewesen, so zur Hilfe gegeben worden: Wieviel
mehr ist es ohne Hilfe des Gesetzes unmöglich, ja so gar unmöglich, dass auch
des Gesetzes Hilfe mehr schadet? Denn er sagt: In solchem Unmöglichen sei das
Gesetz schwach, das ist nicht erfüllt worden, wegen des sündlichen
Fleisches; oder sie müssen hier sagen, dass es nicht erfüllt sei, nach der
Absicht des Gesetzgebers. Aber da wäre die Schuld nicht des Fleisches, dadurch
er sagt, dass es nicht erfüllt worden, sondern Gottes mit seinem Absehen, der
nicht genug dran hätte, dass es erfüllt worden, sondern die Gnade erfordere.
Und so würde das Gesetz durch das Fleisch ganz wohl gekräftigt, durch die
Absicht des Gebietenden aber entkräftet. O gotteslästerliche und rasende Worte!
Aber diese göttliche Stimme, wie gesagt, hat müssen unter dem Rost und Motten
still liegen, dass nur das Dekret, der Grundsatz des Glaubens herrschen könnte.
So Apg. 13: Durch
diesen wird euch Vergebung der Sünden verkündigt von allem, dadurch ihr im
Gesetz Moses nicht konntet gerecht werden; in diesem wird ein jeder, der da
glaubt, gerecht. Es hat der Apostel keine so große Kenntnis der
griechischen Sprache gehabt, dass er gesprochen hätte: Durch welches es schwer
hielt, gerecht zu werden; so musste er gar sagen, dass es unmöglich gewesen.
Desgleichen
Apg. 15 spricht Petrus: Das ist die Last (Joch), so weder wir noch
eure Väter haben ertragen können. Was sagst du hier, Petrus? Nicht haben
ertragen können? Haben sie es nicht getragen nach dem Wesen der Tat (oder des
Werks)? Sind sie nicht beschnitten worden, haben geopfert und das alles
gehalten? Ich sehe wohl, du weißt nichts von Grundsachen des Glaubens und
schwärmst auf viele Art gegen die Theologie von Löwen.
Aber wird
hier Latomus sagen: Petrus redet von der
Beschneidung, wie aus des Kapitels Anfang erhellt. Antwort: Aber haben sie die
Beschneidung nicht tragen können? Ja, er redet vom Gesetz Moses. Denn so steht
vorher geschrieben: Es sind einige aufgestanden von der Sekte der Pharisäer,
die gläubig geworden waren, und haben gesagt: Man muss sie beschneiden und sie
vor allem das Gesetz Moses halten lassen. Siehe, das Joch, welches Petrus
unmöglich (oder unerträglich) nennt. Was aber beschließt er endlich? Antwort: Wir
glauben (sagt er), durch die Gnade unseres HERRN Jesus Christus selig zu
werden, gleicherweise wie auch sie. Und hast du, Petrus, so nicht das Wesen
der Taten, so das Joch trage, und die Gnade hierzu nötig.
Ich
übergehe, was er in der Epistel an die Hebräer nicht [nur] an einem Ort von der
Unmöglichkeit redet.
Christus
auch, da er Matth. 19 sagt: Es ist leichter, dass
ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme;
und die Jünger darüber erstaunt, dass die Seligkeit unmöglich wäre, und sagen: Wer
kann dann selig werden? Hat er in Unwissenheit diesen Grundsatz des
Glaubens, nicht geleugnet, sondern bejaht, dass es unmöglich und nicht bloß
schwer wäre, aber doch dies hinzugetan: unmöglich ist es bei den Menschen,
wohl aber alles möglich bei Gott. Denn das hat er nicht bloß von den
Reichen gesagt, sondern auf das geantwortet: Wer kann dann selig werden?
Darum, da im Neuen Testament besonders das Amt des Geistes herrschen soll, das
ist, die Predigt der Gnaden, wie der Apostel sagt: So wäre zu wünschen gewesen,
dass dies Wort des Hieronymus entweder nie von ihm geredet wäre oder im Dunkeln
begraben gelegen hätte. Denn Christen gebührt nichts, als die Ehre
(Herrlichkeit) Gottes zu predigen und zu bekennen, das ist, unsere
Unmöglichkeit und Gottes Möglichkeit, wie Christus hier sagt, und alle
Ärgernisse aus dem Weg zu tun, so den freien Willen heben oder aufblähen
können, dergleichen dies Dekret ist; und würde also unter den vornehmsten
Dingen entweder Gottes Gnade rein oder unseres Elendes Erkenntnis bewahrt.
Es hat aber
den Menschen etwa geirrt, dass ich gesagt: Es würden alle Gebote Gottes auch in
der Gnade völlig erfüllt in diesem Leben. Welches nicht mein, sondern des
Augustinus Spruch ist, retract. 19, darauf wir unten
kommen werden. Da ich aber gesagt habe: Sie geschähen nicht; habe ich nicht
geleugnet, dass sie doch geschehen könnten. Und der großsprecherische Sophist
hat noch nicht so viel aus seiner Schlusskunst gelernt, dass er wüsste, es sei
etwas anderes, nicht geschehen und nicht geschehen können. Ich habe gesagt: Es
geschieht nicht. Er schließt, darum hast du gesagt: Es kann nicht geschehen.
Wer zweifelt, dass Gott jemandem so große Gnade geben könne, dass er es völlig
erfülle, wie wir von der heiligen Jungfrau halten? Ob er es gleich nicht allen
tut. Und wenn dem das Dekret widerspricht, mag es an den Galgen gehen und
verflucht sein.
Aber es hat
dieser auch noch einen anderen Fehler, den die Sophisten immer haben, und ist
die Wiederholung der Streitfrage (petitis principii), welches eine grundfalsche Art zu disputieren
ist, damit auch dies ganze Buch Latomi trügt. Denn
das ist der Sophisten stete Tollheit, dass sie das immer für ausgemacht und für
einen untrüglichen Glaubenssatz nehmen, was sie doch erst vor allen Dingen
beweisen und darlegen sollten. Wie zum Beispiel an diesem Ort: Dass Gottes
Gebote völlig halten so viel heiße wie: Gottes Gebote in solchem Genüge tun,
dass nichts zu vergeben bleibe; das hätte Latomus
zuvorderst beweisen sollen. Denn das leugnen Augustinus und ich, die Schrift
leugnet es auch. Er aber kümmert sich um nichts und fährt sicher daher, als ob
er einen unleugbaren Grund des Glaubens hätte. Und da er mit dem Schwert des
Geistes alles zu verheeren gedenkt, treibt er ein lächerliches Spiel vor uns
mit Stoppeln und Strohhalmen seiner Meinung. Denn auch sein Dekret nicht die
Meinung hat, indem wir sagen: Dass alle Gebote Gottes völlig erfüllt werden,
nicht dass wir völlig alles tun, sondern dass die Gnade Gottes reichlich
vergebe. Da ist nichts unmöglich, sondern alles ganz völlig, und besser sagen
wir so, als dass ohne die vergebende Gnade Gottes mit bloßen Werken alles getan
sei. Und darum hätte er (wie gesagt), beweisen sollen, dass sein unmögliches
Ding das bedeute, was er haben will. Sie gestehen aber auch selber, dass in
diesem Leben niemandem die völlige Gnade Gottes gegeben, sondern immer gemehrt
werde, da doch die Gnade nicht gegeben wird, als zur Erfüllung der Gebote
Gottes, und daraus folgt, dass sie insofern nicht erfüllt werden, wenn die
Gnade Gottes nicht völlig wird; aber weil das die Magistri nostri
recht meisterhaft sagen, so muss es gelten. Wenn es aber Luther sagte, wäre es
verdammlich.
Zweiter Artikel: Die Sünde bleibt nach der Taufe nicht
übrig
Diesen
Artikel verdammt er durch das Zeugnis des Gregorius, den ich durch des Paulus
Zeugnis bewiesen habe, Röm. 7. Aber der falsche Wiederholer der Streitfrage
erklärt da Sünde nicht von Sünde, sondern von Schwachheit, als wenn er
bewiesen, dass man es so deuten müsste, oder als ob Paulus nicht gewusst, auf
was für Art er reden müsste, oder ich seine Worte nicht gebrauchen dürfte. Lasst
uns aber des Gregorius Beweis sehen. Er spricht: Christus hat gesagt: Wer
gewaschen ist, der ist ganz rein. Bleibt also nichts übrig von seinem
Sündengift (oder Ansteckung), die doch die ganze Welt bekennt und er erlöst
hat. Latomi Unachtsamkeit übergehe ich, der
versprochen hat, dass er die Zeugnisse nicht zählen, sondern wägen wolle, das
ist, nach einem sophistischen Streich hat er’s umgekehrt gemeint, nämlich zu
zählen und nicht zu wägen.
Ich frage
Gregorius: Sage uns, Gregorius, wo Christus das sage, was du sagst? Solltest du
nicht Christi Worte in deinem Text anziehen? Du sprichst: Wer gewaschen ist,
ist ganz rein. Christus aber spricht: Wer gewaschen ist, braucht nicht, als
dass er die Füße wasche, sondern er ist ganz rein. Woher kommt denn die
Unsauberkeit der Füße nach dem Waschen? Sagt er nicht, dass er so ganz rein
sei, dass doch die Füße noch zu waschen seien? Was isst das anderes, als dass
die Sünde zwar in der Taufe ganz vergeben werde, aber doch noch überbleibe? Wie
auch Paulus Röm. 7 sagt: Die Füße werden im ganzen Leben gewaschen, auch bei
denen, die ganz rein sind, wie er sagt: Sollt ihr einander die Füße waschen.
Ist diese
Stelle nicht für mich gegen Latomus? Es sind alle
Sünden abgewaschen, und bleibt doch noch zu waschen. Dieser Spruch ist klar.
Wie ist denn alles abgewaschen? Nämlich weil es durch die Gnade vergeben und
geschenkt ist. Wie denn noch zu waschen? Nämlich weil (die Sünde) noch in ihrer
Natur übrig ist. Davon hernach; denn hier hat man Latomus
nur den Mut benehmen müssen, dass er sähe, die Väter wären manchmal als
Menschen gestolpert. Und er denn ferner seine falsche Art zu disputieren
erkenne, nämlich da er immer wieder auf das noch Streitige und Unbewiesene
kommt; da er doch erst beweisen sollte, ganz rein sein, bedeute so viel wie,
dass nichts von der Sünde nach der Taufe übrig bliebe. So auch Gregors Worte
nicht notwendig wollen, oder wenn sie es wollen, zu verleugnen sind. Sie aber
schieben unter der Väter Worten ihre Meinung ein und treten, wie der Esel unter
der Löwenhaut, auf, dass sie uns Grundsätze des Glaubens nicht aus der Väter,
sondern ihrer Meinung machen, die sie mit der Väter Worten bekleiden; die
schalkhaftesten Künstler.
Dritter Artikel: Dass nicht alle Todsünden dem
Priester zu beichten
Von diesem
sagt er, er sei in einem allgemeinen Konzil verdammt; darum ist er verdammt.
Der Schluss ist richtig von Latomus zu seinem Weisen.
Was hat aber das Konzil für Schrift für sich? Wenn das Konzil ohne Schrift
gilt, und es genug ist, dass die Bischofshüte und Platten zusammenkommen, warum
nehmen wir nicht hölzerne und steinerne Bilder aus den Kirchen, tragen sie
zusammen und setzten ihnen dergleichen Hüte und Mützen auf und sagen: Dass da
ein allgemeines Konzil sei? Ist es nicht höchst unrecht, dass ein Konzil ohne
Wort Gottes handele oder beschließe? Ich sage aber auch noch weiter, und leugne, dass man die Beichte
ganz und gar zu fordern habe, wie ich schon in einer veröffentlichten deutschen
Schrift getan und dergleichen in einer lateinischen tun werde, wenn es die Zeit
fügt. Denn Menschensatzungen muss man aus der Kirche schaffen, und gesteht auch
Latomus in dial., dass sie
Menschen wieder abschaffen können. Die Beichte aber ist nichts anderes als eine
tyrannische Forderung (oder Zwang) der Päpste, und hat keinen Grund in der
Schrift.
Der letzte Artikel: Dass ein jedes gutes Werk in den
heiligen Wandersleuten [Pilgern] Sünde sei
Ei! Was für
ein ungereimtes Zeug macht er aus diesem (Artikel), und scheint er einem so
großen Mann gerade gegen das Wort des Glaubensbekenntnisses zu sein: Die
Gutes getan haben, werden ins ewige Leben gehen. Hier aber frohlockt er im
Ernst und spricht: Es sei eine Schande, dass man in solchen Dingen Rede und
Antwort von ihnen begehre. Endlich droht er gar, der trotzige Geselle, dass
sich niemand zu mir geselle. So taten auch die Juden vor Pilatus: Wäre
dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten dir ihn nicht überantwortet. Wohl
recht närrische und schändliche Leute, können es sein, die unsern Magistris zu Löwen nicht auf ihren bloßen Wink geglaubt
haben; wie wenn dieselben Leute wären, die irren oder etwas Böses denken
könnten, wie andere Menschen, besonders da auch der Bullenbischof ihr Tun für
gut erkannt, eine Bulle nämlich andere Bullen (oder Blasen).
Aber siehe
die Schalkheit des Menschen! Er legt allezeit die Sünde (davon ich im guten
Werk rede) für das aus, was sie verdammlich heißen, denn diese allein ist gegen
das Wort: die Gutes getan haben, werden ins ewige Leben gehen. Denn sie
geben selbst zu, dass ein gutes Werk, darin erlässliche Sünde statthabe, nicht
gegen dasselbe Glaubensbekenntnis sei. Sie geben auch zu, was Gerson sagt: Dass
keine erlässliche Sünde an sich in ihrer Natur erlässlich sei, und dass mehr
Gnadengüter Gott wegnehmende als gebende seien (privatiuas
positivas), und dass sie (die erlässliche Sünde) bloß
aus Gottes Barmherzigkeit erlässlich sei. Ja, welches zu verwundern, so leugnet
Latomus erst nicht, dass in einem jeden guten Werk
erlässliche Sünde sein könne, zum Beispiel Nachlässigkeit (Saumseligkeit), und
doch ist es ihnen nichts Ungereimtes, dass sie so Sünde lehren im guten Werk,
ist auch nicht gegen das Glaubensbekenntnis, aus keiner anderen Ursache, als
weil sie es gesagt haben, nicht aber ich.
Ich will sie
aber auch unten dahin zwingen, und vielleicht geben sie es ungezwungen zu: Es
sei ungewiss, ob ein einig gut Werk bei allen Menschen, ob es noch so gut ist,
ohne Sünde sei; denn sie werden wohl keinen Menschen zwingen, solches von
seinem guten Werk zu sagen. Und siehe, was ungewiss ist, das kann doch wohl
sein, und ist vielleicht auch, nach ihrer Meinung. Wenn es aber ein anderer
sagt, so ist es abgeschmackt und gegen das Symbolum (Glaubensbekenntnis), so
dass sie nichts Ungereimteres zu nennen wissen. Denn was er für Sprüche der
Väter anzieht, der Wiederholer der Streitfrage, zieht er alle dahin, wohin er
nicht erweist, dass sie gehören, nämlich, dass in einem Werk keine Sünde sei,
ob sie sie noch für gut halten, dass sie nicht verdammen usw., welches auch
alles ich nicht leugne.
Aber kurz:
Diese Vorrede des Latomus kannst du, mein Leser, für
ein sophistisches Muster halten. Denn da ist dir ein Sophist recht lebendig
geschildert in seinem Aufzug, da er nämlich in Gebärden und Worten
Bescheidenheit vor sich hat, aber übrigens voller Stolz, Hoffart, Bosheit,
Schalkheit, Frechheit, Trotz, Unwissenheit und Unverstand ist, dass nichts
drüber sein kann.
Der erste
Artikel, an den sich Latomus macht, ist dieser:
Ein jedes
gutes Werk ist Sünde.
1) Schließt er, was sich nicht schließen
lässt; 2) setzt er widrige Dinge entgegen; 3) löst er meine gründe auf, wie er
selbst die Teilung macht. Ich, a ich diesen Sanherib wieder in sein Land zu
bringen vorhabe, will vom letzten Punkt anfangen und meine Dinge erst
verteidigen.
Den
trefflichen Ort Jes. 64, wo da steht: Wir sind allesamt wie die Unreinen,
und alle unsere Gerechtigkeiten sind wie das Tuch
einer monatskranken Frau usw. will er mir nehmen und legt ihn so aus, dass
er weder ihm noch mir nütze sei; denn er macht es ungewiss, von wem die Rede
sei, und führt an, dass einige ihn verstünden von dem assyrischen Gefängnis,
andere von dem babylonischen, andere von der römischen Gefangenschaft der
Juden. Er folgt aber mit Hieronymus und Lyra den letzteren; endlich zum vierten,
wenn man ihn auch auf die Gläubigen deuten sollte, behilft er sich mit einer
Zusammenfassungsart (Syechdochen), und will, dass
alle Gerechtigkeiten so viel heiße wie, einige Gerechtigkeiten, welche Art zu reden in der Schrift gemein
wäre. Also, da er nichts Gewisses setzt und des Hieronymus Zeugnis allein nicht
gilt, als der immer gern anderer Meinungen bloß in seinen Auslegungsbüchern
anführt, wie er an Augustinus schreibt; so läuft es endlich auf lauter
Ungewissheit mit dem Verstand hinaus.
Und das sei
zuvorderst auf alles geantwortet, was er auf solche Meinung baut, schließt und
gründet. Denn man muss mit gewissen Dingen streiten. So mag denn diese Stelle
dem Latomus gegen mich ungewiss sein und nichts
taugen. Hernach muss ich sehen, dass ich eine gewisse und mächtige Meinung
gegen ihn habe. Und zwar gebe ich zu und beweise es, dass es von dem Gefängnis
der Juden und in der Person der Gefangenen geredet werde: nicht der
assyrischen, denn durch die ist die Stadt Jerusalem nicht verheert noch der
Stamm Juda gefangen worden, wie hier der Prophet
klagt; und wenn ich auch erweisen kann, dass es nicht von den Römischen zu
verstehen, so muss es freilich dabei bleiben, dass es von dem babylonischen zu
verstehen sei.
Lasst uns
erst die Stelle selbst betrachten und hören: Du begegnest dem Fröhlichen und
der Gerechtigkeit tut; in deinen Wegen werden sie dein gedenken. Siehe! du bist
zornig geworden, und wir haben gesündigt; wir sind immer darin gewesen und
werden erhalten (sel.) werden. Und sind allesamt geworden wie die Unreinen, und
alle unsere Gerechtigkeiten wie das Tuch einet
monatskranken Frau. Und sind hingefallen wie ein Blatt, und unsere Sünden haben
uns dahin geführt wie ein wind. Es ist niemand, der deinen Namen anrufe, der
sich aufmache und dich halte. Du hast dein Antlitz vor uns verborgen und hast
uns zerstoßen in der Hand unserer Missetat. Und nun, HERR, du bist unser Vater,
wir aber Ton und du unser Töpfer, und wir alle deiner Hände Werk. HERR, zürne nicht
so sehr und gedenke nicht weiter unserer Missetat. Siehe, schaue auf uns, wir
sind alle dein Volk. Die Stadt deines Heiligen ist verwüstet worden, Zion ist
zur Einöde geworden. Jerusalem ist zerstört. Das Haus unserer Heiligung und
Herrlichkeit, wo unsere Väter dich gelobt haben, ist zu einem Brand geworden,
und alles, was uns lieblich war, ist über den Haufen gerissen. Wirst du dich,
HERR, über dem allem halten, schweigen und uns so heftig plagen.
Latomus, als ein starker Springer, ist tapfer über die
Mauer gesprungen, die seiner Meinung entgegen war in dem Wort: werden
erhalten (sel.) werden; welches von den bösen Juden nicht kann verstanden
werden, sondern ohne Zweifel in der Person der Auserwählten und Gläubigen
gesagt wird. Hernach das Wort: du begegnest dem Fröhlichen usw. berührt
er so, dass er sagt: Wer ist, der Gerechtigkeit tut, dem der Herr als einem
Fröhlichen begegnet? Wenn man das Wort, wie M. will, von einem jeden Gläubigen
zu aller Zeit versteht usw. Damit schnappt er ab, als wenn er auf Kieselsteine
gebissen hätte, und weiß nicht, was er fragt, vielleicht aus Furcht, er könnte
unglücklich im Auslegen sein.
Latomus spricht mit den Seinen: Es würde dies in der Person
derer gesagt, die auf Jerusalem und den Tempel sahen, indem sie wünschten, dass
er wieder gebaut würde, damit sie opfern und Gott loben könnten, wie ihre
Väter. Das halte ich für wahr, nicht, weil sie es sagen, als denen ich nichts
glaube; sondern weil der Text, der sie gezwungen, auch mich zwingt; denn warum
sollte er sonst die Klage so häufen und Verheerung der Stadt Gottes so
vorhalten, als dadurch zu bitten, dass Gott aus Erbarmen sie wieder baue? Er
zeigt dem Arzt die Wunde, ohne Zweifel, dass er heil werden wolle. Und da er
gesagt hatte: Alle unsere lieblichen Dinge sind eingeäschert; hat er
hinzugetan: Willst du dich, HERR, über dem allen so still verhalten? Was heißt
das anders, als lasse sie nicht so liegen. Denn wenn er das nicht wieder baute,
so hielte er sich freilich über dem, was einmal zerstört lag. Ist es also nicht
gewiss und klar, dass in diesen Worten gebetet und geseufzt werde, dass er
Jerusalem und den Tempel wieder baue? Sonst sehe ich nicht, warum er denselben
immer so anführe, so vorhielte, und das Elend vergrößerte und erhöbe. So muss
man mit stockischen Sophisten auch von Dingen, die an
sich klar sind, handeln, dass sie unstreitig klar werden.
Muss also
für so eine Sache gebetet und geseufzt werden, die wieder gebaut werden kann.
Denn der Heilige Geist ist nicht so närrisch, dass er offenbar unmögliche Dinge
zu bitten antreibe. Es war aber schon beschlossen, dass nach Christus weder auf
dem Berg noch zu Jerusalem, sondern im Geist und in der Wahrheit Gott angebetet
werden sollte, wie Christus Joh. 4 sagt; welches künftige Geheimnis auch der
Geist Jesaja so verkündigt hatte, dass kein anderer es nach David so klar
erkannt und vorhergesagt hatte. Desgleichen Hag. 2 wird dies letzte Haus
verkündigt. Und Daniel hat vorhergesehen, dass die Verheerung, so nach Christus
kommen würde, bis ans Ende bestehen solle, dass es unmöglich ist, dass wieder
eine Erbauung statthaben könne, auf welche die Juden warten. Darum kann solche
Klage und Bitte nicht auf die Zeiten nach Christus gehen, sondern nur auf die
babylonische Gefangenschaft, wo dem Geist billig Hoffnung und Seufzen und Gebet
beigelegt wird, die Stadt wieder zu bauen.
Denn das hat
man zu merken, dass man dem Heiligen Geist nicht Gotteslästerung beimesse, wenn
er in der Person der Gottlosen und Lästerer gebetet hätte. Denn es steht Ps.
109 geschrieben, dass das Gebet der Juden, während der römischen
Gefangenschaft, werde Sünde und ein Greuel sein.
Hernach spricht Christus Ps. 16, er wolle ihrer Namen nicht gedenken auf
seinen Lippen. Wie sollte also der Geist Jesaja in der Person der
Gotteslästerer ihre Lästerungen vor Gott mit solcher Demut, mit so gottseligem
Bekenntnis, mit so redlichem Herzen und Andacht ausschütten? Denn es müsste ja
auch sein Gebet Sünde und Lästerung sein.
Das hat wohl
die Schrift, dass der Geist auch von und für die Gottlosen durch die Heiligen
bete, aber niemals in ihrer Person. Er ist der Geist des Leibes Christi und
hilft im Geist ihrer Schwachheit auf und seufzt und bittet für sie. Dergleichen
Gebet auch Jesajas ist, wie ein jeder begreifen kann. So hat Christus über
Jerusalem geweint, aber nicht in der Person Jerusalems. Paulus auch für die
Juden, aber nicht in der Person der Juden. Hier aber nimmt Jesaja die Person
derer an, mit und für welche er bittet.
Da es nun
gefährlich ist, etwas zu sagen, was in der Schrift kein Beispiel hat, so darf
man nur das sagen, was darin steht: Folglich lasst uns gestehen, dass der Geist
des Leibes Christi nie in einer fremden, das ist, des Leibes des Satans,
sondern allezeit nur in seiner Leibesperson rede, wirke, lebe und bleibe. Es
kann einer, der Gott lobt, nicht die Person führen eines, der Gott lästert, da
der, welcher die Person führt, und der, welches Person er führt, wenigstens in
Worten, Meinungen und Wünschen übereinkommen müssen, wenn sie nicht in Vermögen
und Taten dergleichen können. Aber zwischen solchen Juden und dem Geist Gottes
ist eine unversöhnliche Feindschaft, und wenn er damals durch Jesaja in ihrer
Person geredet hätte, so würde er auch noch heutiges Tages und vielmehr durch
sie reden, da seine Worte da sind, und es die Not weit mehr erfordert. Wir
können auch nicht leugnen, dass es des Geistes Worte sind, weil sie in dem
heiligen Kanon (oder göttlichen Schriften) stehen. Wenn sie nun des Geistes sind,
so sind sie gottselig und gläubig und heilig und schicken sich (wie man sieht),
gar nicht für die Person aller Juden. Wenn er nur die Worte der Gottlosen
hersagte, so könnte ihre Meinung noch geduldet werden, aber in ihrer Person zu
beten und zu wirken, das kann er nicht leiden. Er sagt bei Jesaja die Worte des
stolzen Babels und Assurs und Sanheribs her; bei
Hesekiel die Worte des großen Drachen im Strom und vieler anderer. Er führt
aber nie die Person als der Frommen und Seinigen.
Überdies
sagt er klar im Text: Siehe, schaue, wir sind alle dein Volk. Wissen wir nicht,
was es sei, Gottes Volk zu sein? Dieselben Juden sind jetzt kein Volk, wie Hosea steht: Nenne seinen Namen: Nicht mein Volk; weil
ihr nicht mein Volk sein werdet, und ich nicht euer Gott sein will. Und
abermals: Und du, HERR, bist unser Vater, wir sind Ton, du unser Töpfer und
wir alle deiner Hände Werk. Sind die Juden jetzt Kinder und nicht vielmehr
Feinde? Sind das Ton des Töpfers, die sich nicht wollen zurichten lassen, denn
sie erkennen den Töpfer nicht. Sind sie das Werk seiner Hände und nicht
vielmehr das Werk des Satans? Und hier gilt nicht der Einwurf, dass es heiße,
sie nannten ihn auf allgemeine Art Vater, Töpfer, Schöpfer. Denn der Prophet
redet im Geist, und die Worte gehen aus der Inbrunst des Geistes, darin Gott
nur der Kinder Vater ist, die gläubig sind, wie wir auch im Vaterunser den
Vater im Geist anbeten. Darum er den Namen des Vaters außer dem Geist,
besonders im Neuen Testament, nicht hört, welches doch sein müsste, wenn das in
der Person der Juden gesagt würde, da jetzt (wie ich gesagt), die Not ja
vorhanden und die Worte noch da sind.
Hierdurch,
so hoffe ich, werde klar sein, dass dies nicht in der Person des ungläubigen
Volkes geredet sein könne; welches auch noch weiter erhellt wird, wenn wir
ihren Verstand ansehen werden.
Dass er aber
haben will: Es würden solche allgemein lautenden Redensarten doch nur meist von
einigen verstanden, wie die: Es suchen alle das Ihrige; da Titus und viele
andere dergleichen nicht getan. Und so würden hier alle Gerechtigkeiten
unrein geheißen, obschon nur einige so wären.
So muss hier
Latomus entweder vor Bosheit und Neid blind oder
erzdumm sein, nicht allein weil er ganz ungeschickte Beispiele hierher bringt,
sondern auch, weil er diese Redegestalt zur Unzeit hierher dreht. Wenn wir so
unser Gefallen, ohne genügend Grund, mit Redegestalten (ober verblümten Worten)
spielen dürfen, warum können wir nicht allen Dingen einen neuen und besonderen
Verstand geben? Ich will auch etwas sagen aus Ps. 1: Alles, was er macht,
das wird gedeihen; kann man das nicht auch so verstehen: Etwas wird
gedeihen. Und Ps. 2: Wohl allen, die auf ihn trauen, das ist einigen;
und Ps. 5: Du wirst umbringen alle, die Lügen reden, das ist einige. Und
was sollte da nicht mit der Schrift für Spötterei herauskommen?
Latomus, als ein so großer Theologe, sollte nicht sagen,
was man so geben oder deuten könnte; sondern was man so sagen müsste. Man fragt
hier nicht, was der Mutwille herplaudern könne,
sondern was die Gottseligkeit im Auslegen leisten müsse, besonders da er mit
solchen Pausbacken rühmt, er wolle die Zeugnisse der Schrift nicht zählen,
sondern wägen, und den Luther, der sie unrecht anzieht, überweisen. Heißt das
Zeugnisse wägen? Heißt das, den, der sie unrecht anzieht, überwinden, wenn man
bloß sagt: Ich kann es so und so verstehen? Habe ich nicht durch dies Urteil
die Sophisten bisher verdammt, dass sie alles so und so verstehen können, nie
aber verstehen wollen, wie sie sollen? Das heißt nicht, den Widersacher
widerlegen, sondern die Heilige Schrift ineinander werfen.
Und wie
fällt ihm diese Redegestalt allein an diesem Ort ein? Wie schnarcht er denn so
sehr im Folgenden, da gesagt wird: Es ist niemand, der deinen Namen anruft,
der sich aufmache und dich halte? Kann er es nicht auch hier deuten:
Etliche und viele rufen ihn nicht an? Dadurch er verhütet hätte, dass er nicht
zur Unzeit und ganz ungereimter Weise eine lange Ausschweifung hätte machen und
sagen dürfen: Es hätte immer Leute gegeben, die den Namen des HERRN anriefen.
Hat in den Verneinungen solche Redegestalt nicht statt? Findet man sie nicht
Jes. 57: Der Gerechte kommt um, und niemand achtet darauf, und gütige Leute
werden weggerafft, und niemand versteht es. Verstand (oder merkte) es
Jesaja nicht, der dies sagte? Darf Latomus nur, wo er
will, Redegestalten (Figuren) hermachen, und wo er nicht will, keine gelten
lassen? Es wusste nämlich der kluge Mensch, dass der Spruch allda ohne Figur
(alle Gerechtigkeiten unrein), gegen ihn schlösse; so
musste er ihn vernichten. Hingegen, dass der: Niemand ist, der anrufe
usw., wenn er in einer Figur geredet wäre, nicht gegen Luther schlösse, darum
musste er sie da wegnehmen. Und bedachte der große Mann dabei nicht, wie er
durch solchen Mutwillen und Freiheit dem Widersacher auch Anlass gäbe,
dergleichen zu tun. Denn mit eben der Freiheit kann ich unter diesen beiden für
figürlich ausgegebenen Orten umwechseln, dass sie bald zugleich, bald einer um
den anderen Figuren oder keine Figuren haben. Das ist aber eine rechte Art, die
Schrift zu behandeln.
Wiederum
legt der treffliche Theologe das Wort alle unsere Gerechtigkeiten
sind unrein, so er den Gläubigen mit einer Figur beigelegt hatte, den
zuletzt verheerten Juden ohne Figur bei; als von welchen sie diesen Ort
erklären, dass sich die sämtlichen unreinen Gerechtigkeiten
auf sie besser schicken. So nimmt sich Latomus
heraus, mit der Schrift umzuspringen, wie er will, auch wenn er im Ernst redet
und für den Glauben gegen den ärgsten Ketzer streitet. Wenn ich ein Ketzer wäre
(welches Gott verhüte!) und mit solchen Larven (oder Popanzen) auf mich
losziehen sähe: So würde ist desto fester auf meiner Meinung stehen und all das
ihre für verdächtig halten, weil sie so unbeständig sind und nur daher
plaudern; denn ich könnte mit nicht einbilden, dass
sie in Ernst und Wahrheit reden; daher ich es auch nun desto mehr verwerfe und
verabscheue.
Es mag aber
die Löwen’sche und neue Art zu theologisieren
hinfahren; denn ich will alles Zeug des Latomus mit
einem Wort übern Haufen werfen und niederschlagen. Denn so oft er durch
angezogene Zeugnisse erstreiten will, dass das gute Werk nicht Sünde sei, will
ich mich auch mit seiner Ausflucht einer Synecdoche
(oder Zusammenfassungsart) retten und sagen: Das gute Werk wird verstanden von
dem guten Werk nach einigem Stück (oder einigen Maßen); desgleichen auch die
Sünde, von Sünde in einigen Stücken. Denn so bringt er auch einige Gerechtigkeiten, als nicht wohlgetan, synecdochisch
heraus. Wie wird mir alsdenn der Sieg so ein leichtes sein, den ich selbst
durch des Widersachers Waffen erfochten? Das heißt auch gut löwenisch
und latomisch, den Verstand der Schrift aus der
Reihe, Folge und Umständen der Worte herleiten, die man doch nicht ohne größte
Sünde des Vatermordes grobe Stöcke und Blöcke nennen darf.
Mag also
solch löwenisch Zeug und wahre Eitelkeit hinfahren
und des Augustinus Spruch, so mit der Wahrheit und aller Menschen Verstand
übereinkommt, Statt haben: Eine Figur (oder rednerische Wortgestalt) beweist nichts.
Welches zwar von den heiligen Bildern oder Gleichnissen gesagt ist, doch aber
auch auf die Figuren der Wörter in der Sprachkunst gezogen werden kann. Denn
man darf in keiner Schrift, viel weniger in der göttlichen, Figuren nach
Belieben dichten, sondern sie meiden und bei dem einfachen, klaren und lauteren
Wortverstand so lange bleiben, bis entweder ein Umstand selber oder die klare
Ungereimtheit zwingt, auf eine Figur zu fallen. Denn was wird sonst für ein
Babel der Sprachen und Wort ein der Welt sein? Es wäre alsdann besser stumm als
beredt zu sein. Lasst uns in einfältigen (groben) Beispielen zeigen, dass
unsere Magistri von Löwen gar zu grob und tölpisch geworden. Wenn der Poet
spricht: Nascetur pulchra Trojanus
origine Caesar: Es wird der Cäsar vom schönen
trojanischen Stamm geboren werden.
Wenn du hier
eine Figur dichtest, dass Cäsar so viel sein soll wie Cäsares,
so kannst du es tun nach deinem Gefallen; wirst du es aber den
Sprachkunstlehrern weiß machen?
Desgleichen
sagt eben derselbe: Tu populos regere Imperio,
Romane, memento. Du Römer, denke wohl, die Völker zu
regieren. Da kannst du ohne Figur einen einigen Bürger verstehen; was werden
aber die Sprachkunstlehrer sagen?
So steht Ps.
16: Du hast mir bekannt gemacht die Wege des Lebens usw. Da kannst du
aus deinem Kopf sagen, dass irdische Wege gemeint wären, die wir mit leiblichen
Füßen betreten, du folgst aber zugleich Irrtum, statt des Weges. Und was
braucht es mehr? Wir gestehen, dass alles voll von Figuren, dabei man aber
Verstand haben muss, sie zu treffen, davon man aber keine eigentlichen Regeln
geben kann. Wiewohl ich auch noch kein Beispiel dieser Figur gefunden habe in
den allgemein lautenden Reden, wie Latomus hier
dichtet. Wir haben die zwei Dinge, die uns den Weg weisen müssen: Nämlich
Ungereimtheit der Dinge und den Umstand der Worte. Denn dass das Schwert der
Hüfte Ps. 45, und der Jünger Schwerter Luk. 22 nicht Eisen bedeuten, beweist
der Umstand der Worte stärker als die Ungereimtheit; wiewohl auch die da
statthat. Ferner, dass einer, der seine Frau verlässt, 100fältiges in diesem
Leben erlange, das zwingt die Ungereimtheit der Sachen nicht vom leiblichen
lassen und wieder empfangen zu verstehen.
So kann mein
Latomus im gegenwärtigen Fall nicht sagen: Das kann
man mit Figuren verstehen, nämlich alle für einige. Ich leide die Figur nicht,
so lange er nicht zeigt, dass etwas Ungereimtes folgen würde oder die Not des
Umstandes es erfordert; sondern ich will ihn dringen, dass der schlichte,
eigentliche Hauptverstand bleiben muss, dass alle unsere Gerechtigkeiten
unrein sind. Solches, sage ich, soll bleiben, weil in der Schrift nicht
Ungereimtes gefunden wird, das dem zuwider ist. Und so besteht dies Zeugnis
noch unüberwindlich und spottet des latomischen
Unternehmens und übereilter Großsprecherei; und beweist, dass alle
Ungerechtigkeit unrein, alles gute Werk Sünde sei: Wiewohl ich mich wundere,
dass er seine Ausflucht, die er sonst in allen anderen Dingen gebracht,
vergessen habe. Er könnte aber auch hier sagen: Die Unreinigkeit sei nichts
anderes als Unvollkommenheit, wie er in dem Wort Sünde und Laster tut, nach der
Macht, da sie den Dingen selbständige Wesen und den Wörtern Bedeutungen
andichten, wie ihnen beliebt. Aber der großmütige Held wollte einmal durch
einen herrlichen Sieg prahlen, als der durch bloße Ausflüchte erworben wird.
Dazu noch
kommt, dass diese Figur nicht statthaben kann, weil in der Schrift die Regel
gilt: Dass, wo schlichtweg und wollkommen eine allgemeinlautende Redeart steht, dass platt alle Synecdoche
(oder Zusammenfügungsart), da unter allen nur einige gefasst waren, weichen
muss; so lässt sie es nicht genug sein, bloß auf allgemeine Art und
bejahungsweise zu reden, sondern sie tut auch die allgemeine Verneinung hinzu.
Z.B. Röm. 3
aus Ps. 14: Sie sind alle abgewichen, alle untüchtig geworden, da ist
keiner, der klug ist und nach Gott fragt, da ist keiner, der Gutes tut, wo
Paulus diese Regel beachtet und bestätigt und durchaus schließt, dass schlicht
alle Juden und Griechen, d.i. alle Menschenkinder unter der Sünde sind. Denn
wenn hier die Synecdoche nicht wegbleiben müsste, so
fiele die ganze Disputation oder Schluss des Apostels hin, und käme nicht die
Notwendigkeit der Gnade, die er da haben will, heraus.
Dergleichen
ist auch Ps. 32: Selig sind die, denen die Sünden vergeben sind und deren
Missetaten bedeckt werden! Selig ist der Mann, dem der HERR die Sünde nicht
zurechnet, und in dessen Geist kein Falsch ist.
Siehe, dass
eine völlige und gänzliche Vergebung angedeutet würde, so war es nicht genug zu
sagen: Sie wären vergeben und bedeckt, bejahungsweise; es kam auch die
Verneinung hinzu, dass ihm der HERR solche nicht zurechne, und kein Falsch
(oder Schalkheit) in ihm sei.
So steht es
auch Klagelieder 2: Der HERR hat gestürzt und nicht verschont alle Lieblichkeiten Jakobs, dass er anzeigte, wie gar nichts
davon übrig blieb.
Ebenso Ps.
28,5: Du wirst sie niederreißen und nicht bauen; dass du nicht dächtest,
es wäre eine Zerstörung zum Teil. Es ist doch gleichwohl die Synecdoche (oder Zusammenfassungsart) eine liebe und
notwendige Redegestalt und ein Sinnbild der Liebe und Barmherzigkeit Gottes,
dass, wenn es heißt, er schlage und verheere, man nicht denke, dass er
alle aufreibe oder schlage, denn er berührt das Ganze, wenn er einen Teil
berührt (oder angreift).
So häuft
hier an diesem Ort Jesaja auch sowohl Bejahungs- als Verneinungssprüche, nach
eben der Regel; indem er sagt 1) Wir sind allesamt geworden wie die
Unreinen, alle unsere Gerechtigkeiten sind wie ein
unflätiges Tuch. Und: Wir sind alle hingefallen (verwelkt), wie ein
Blatt, und unsere Missetaten haben uns dahin geführt wie der Wind. Es
kommen aber auch die (allgemeinen) Verneinungen: 2) Niemand ist, der deinen
Namen anrufe oder sich aufmache und dich halte. Nämlich so gar sind alle Gerechtigkeiten unrein, dass gar keine bei dir etwas gilt,
dich zu halten in deinem Zorn. Darum fällt hier Latomus
sein kahles Gedicht ganz über den Haufen.
Das sag ich
aber, nicht, dass ich Latomus zugegeben hätte, dass
in den von ihm vorgebrachten Orten eine Synecdoche
wäre; sondern dass ich gestehe, es habe solche Redegestalt sonst in der Schrift
gar oft statt. Und mag der Sophist sehen, mit was für leichtem Stroh er sich an
einen so festen Fels mache, weil sein Gewäsch auf mehr als eine Art
niedergeworfen werden kann. Denn ich erinnere mich nicht, dass ich in
irgendeinem Ort der Schrift bei allgemeinen Redearten nur eine Synecdoche erblickt hätte. Die aber Latomus
beibringt, da zwingt er sie hinein, da sonst keine drin ist.
Endlich
widerlegt er sich selbst, da er spricht: Man müsse diese Worte nach ihrer Sache
(oder Materie) beschränken. Wie das in Jesaja (Jes. 13), dass er alle Erde
zerstöre, nämlich die ganze Welt oder Erdreich, sondern das Land Babel. So
Luk. 2, da alle Welt geschätzt wird, ist es freilich nicht von der
ganzen Welt gemeint, sondern von der Welt des römischen Kaisertums. Ebenso (Matth. 27): Es wurde eine Finsternis über die ganze Erde;
so man allein vom jüdischen Land verstanden haben will, weil die römischen
Schreiber der Finsternis nicht gedenken, außer der fabelartige Dionysius in
Heliopolis, dessen Brief man hat, aber meines Erachtens erdichtet und falsch
ist. Zudem zieht er allein unreine Gerechtigkeiten
auf das Volk der römischen Gefangenschaft, ohne Synecdoche.
So hat der
Ort (Jes. 1) Das ganze Haupt ist krank usw. aus doppelter Ursache keine Synecdoche (oder Zusammenfassung); erstlich, weil er
allgemein lautet und auch die Verneinung hinzukommt: Es ist nichts Gesundes
daran usw. Und wie Paulus Röm. 9 es erklärt, so geht es auf die Juden, die
nach Christus verlassen (hingegeben) wurden, an welchen wirklich ein jeder Kopf
trauert und nichts Gesundes dran ist. Sie waren aber auch schon zu Christi
Zeiten solche Leute. Denn er redet auf die, die da ohne Christus gewesen und
geblieben sind.
So der Ort
Jeremias (Kap. 6): Sie geizen allesamt vom Kleinsten bis zum Größten,
geht freilich nur auf den Körper (oder Haufen) des Geizes, dass die Frommen
ausgeschlossen werden.
Wie auch der
Ort des Paulus: Sie suchen alle das Ihre, gehört zu seiner Materie und
Gegenziel. Sonst hätte Paulus, der anderweitig Röm. 3 alle Menschen unter die
Sünde beschließt, und Röm. 3 alle leer von dem Ruhm Gottes nennt, sich, den
Abraham und alle Frommen auch mit eingeschlossen, sondern er redete von
solchen, die ohne rechten Glauben lebten. Darum, wie ich gesagt habe, spottet Latomus mit ungeschickten Beispielen, weil er sich seines
Irrtums bewusst und in Angst ist, und daher ausschlüpfen will, aber nicht kann.
Denn es ist ein klares Zeichen, dass er durch die unüberwindliche Arbeit
überwiesen sei, weil er solche nichtigen Schlupfwinkel sucht und herbeitreibt.
Ach! ein reines Gewissen geht nicht mit solchen Schwänken um und bebt nicht so.
Ihr armen Sophisten, kommt zu spät mit solchen Ausflüchten.
Hier aber
ist eine Figur Synecdoche im Evangelium: So wird
des Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte Im Herzen (mitten) der Erde sein.
Ebenso: Die Mörder (Diebe), so mit ihm gekreuzigt waren, lästerten ihn.
Und augenscheinlich Ps. 78: Sie versuchten Gott, dass sie Speise suchten für
ihre Seelen. Das wird zur Schande gleichsam des ganzen Volkes Israel
gesagt. Hingegen wird Ps. 105 zu ihrem Lob gesagt: Sie baten, und es kam die
Wachtel usw. Das wird zum Lob gesagt. Aber beides durch eine Synecdoche, das Ganze fürs Teil. Vor allem aber herrscht
solche Figur stark in den Propheten. Aber hier kann Jesajas Wort nicht bloß auf
etliche gezogen werden, weil er sich mit einschließt. Er redet nicht zu
anderen, wie in oben genannten Orten, sondern durch eine Personeinführung
(prosopop.) macht er, dass sie von sich selbst redet
und sagt: Wir alle usw. Alle unsere Gerechtigkeiten
usw. Er spricht nicht: sie oder ihr.
Nun aber ist
noch übrig: Wie man das von den Gläubigen sagen könne?
Und da hoffe
ich nicht, dass ich erst beweisen müsse, dass sie gläubig und fromm gewesen, da
sie auf des Jeremia Wort gehorsam sich ins Gefängnis gegeben, einige willig,
andere gezwungen. Denn Christi und der Apostel Fleisch war noch in ihnen, um
welches willen man sie allen noch gläubig und gottselig heißen kann, weil wir
doch von seines Geschlechtes Schnur billig glauben, dass sie das ganze
menschliche Geschlecht hindurch bis zu der Mutter der Jungfrau, der heilige und
auserwählte Samen gewesen.
Ich will
also erst überhaupt und hernach vom Text selber sagen.
Ich habe
gelehrt. Dass unsere guten Werke von der Art seien, dass sie vor Gottes Gericht
nicht bestehen, nach dem Ps. 143: Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht,
weil vor dir kein Lebendiger gerechtfertigt werden wird. Da nun sein
Gericht auch wahrhaft und gerecht ist, so verdammt er nicht Werke, die ganz
ohne Schuld sind, denn er tut niemanden unrecht; sondern, wie geschrieben
steht: Er4 gibt einem jeden nach seinen Werken. Daher denn folge, dass
unser Gutes nicht gut sei, wenn nicht seine Barmherzigkeit darüber waltet, die
uns solches vergebe. Hingegen aber böse sei, wenn sein Gericht über uns geht,
dass einem jeden gibt, was ihm gehört. Das ist die rechte Art, Furcht und
Hoffnung auf Gott zu lehren. Diese gottselige Weisheit verwerfen meine Lästerer
und blähen ihre Werke auf, berauben die Menschen der Furcht und Hoffnung und
machen sie stolz durch ihre schädlichen Lehren, indem sie ein gutes Werk
dichten, das Lob, Ruhm und Lohn verdient; wie Latomus
hier auch poltert.
Solche
Meinung habe ich nun auch mit diesem Ort Jesajas bekräftigt, und zwar mit
Recht, so viel ich noch sehe; ja, er steht nun auch noch fester für mich als
bevor Latomus seine Streiche dabei vorgebracht. Denn
Jesaja will, da Gott zürnt und sein Volk ins Gefängnis und Wüstenei steckt,
dass Gott nun nicht nach seiner Barmherzigkeit, sondern nach seiner
Gerechtigkeit, ja Zorn, mit ihm handele. In welchem Gericht oder Handel der
Gerechtigkeit wohl etwa fromme und solche Leute sein können, deren Gerechtigkeit
außer dem Gericht unter der Herrschaft der Barmherzigkeit rein wäre, nun aber
ihnen gar nichts hilft, so dass sie den ärgsten und unreinsten Sündern gleich
sind. Denn der HERR erkennt sie nicht in seinem Grimm, sondern gibt sowohl den
Frommen wie Gottlosen dahin, und lässt sich nicht halten. Und was tut er
anderes hierdurch, als dass er die, welche gerecht sind, so hält und so
auftreten lässt oder darstellt, als wenn sie nicht gerecht wären. In welchem Gericht aber, weil er recht und
wahrhaftig richtet, sie notwendig zugleich gerecht und doch unrein sein müssen.
Und so erweist er, wie keiner auf seine Gerechtigkeit, sondern allein auf seine
Barmherzigkeit zu trauen habe.
In dem
Verstand sagt auch Hiob Kap. 9: Ich habe eines geredet, er reibt sowohl den
Unschuldigen wie Gottlosen auf. Denn er redet nicht von einem dem Schein
nach Unschuldigen, und doch richtet er nicht mit Unrecht hin. So auch Jesaja
versteht hier die recht Gerechten und Reinen. Denn der Geist redet in dem Geist
der Frommen, nicht von gemalten oder erdichteten Gerechten oder in der Person
falscher Gerechter. Es ist eine ganz wahre Gerechtigkeit, und doch wie unrein,
weil sie alles dasjenige leidet, was die Unreinen leiden; nicht unschuldig bei
dem gerechten Gott, obwohl unschuldig vor Menschen und in unserem Gewissen.
In eben dem
Verstand steht auch etwa Ps. 44, da die, welche viel Böses gelitten haben,
sagen: Das alles ist über uns gekommen, und habe doch nicht unrecht
gehandelt in deinem Testament (Bund). Unser Herz ist nicht abgewichen von
deinem Weg. Das sagt auch Jeremia Kap. 48: Siehe, derer das Gericht
(d.i. Strafe) nicht war, haben vom Kelch getrunken; sollten sie Trinkende
trinken, und du unschuldig bleiben? Du sollst nicht unschuldig sein, sondern
Trinkende trinken.
Wie war die
Strafe nicht ihre und trinken doch? Nämlich in ihrem Gewissen und vor den
Leuten, wie Hiob war, welchen der HERR selbst für unschuldig erklärt, da er
doch Kap. 9 ganz anders sagt; sonst hätte sie der gerechte Gott nicht geplagt.
Denn er sagt abermals Jer. 31: Ich will dich im Gericht züchtigen, dass du
dich nicht für unschuldig achtest. Wir sündigen demnach alle vor ihm, wenn
er richtet, und sind verloren, wenn er zürnt; die wir doch, wenn uns die
Barmherzigkeit deckt, unschuldig und gottselig sind, sowohl vor ihm als aller
Kreatur. Das ist es, was Jesaja hier sagt.
Dabei ist zu
wissen, dass, der die Gerechtigkeit tut, hier nicht einen solchen bedeutet, der
gerecht handelt, wie der im 15. Ps. Ist, der Gerechtigkeit wirkt usw.,
dergleichen Gerechtigkeiten er hier alle unrein
heißt; sondern den, der da ist der Macher (oder Schöpfer) der Gerechtigkeit,
der Urheber derselben, dass in seinen Tagen Gerechtigkeit sei; wie Jer. 33: Es
wird ein König herrschen und weise sein, und wird Recht und Gerechtigkeit
machen (schaffen) auf Erden. Und Ps. 119: Ich habe Gericht und
Gerechtigkeit geschaffen. Denn das sind fröhliche selige Zeiten, wenn
Stifter (Urheber) der Gerechtigkeit sind, die freilich zugleich Täter der
Gerechtigkeit sein müssen. Und diese Stelle klagt ganz drüber, dass, wenn es
gleich Fromme und Gerechte gäbe, sie doch in solcher Zeit des Zorns die
Gerechtigkeit nicht aufrichten (oder darstellen) können, dadurch Gottes Zorn
gestillt und gehalten würde. Sondern sie werden zugleich mit den Gottlosen
aufgerieben, indem ihre Gerechtigkeit für nichts gehalten wird, weil sie der
Zorn Gottes nicht aufkommen lässt: Dass du auf meine Gefahr diesen Ort noch
viel weiter und reicher auslegen kannst, auf diese Art:
Du
begegnest dem Fröhlichen usw. Wenn fröhliche Zeiten sind und die
Gerechtigkeit gedeiht, welches allerdings das Reich deiner Gnade ist, so bist
du auch gnädig begegnest ihnen und nimmst sie mit offenen Armen an: Sie rufen
deinen Namen an, und du erhörst sie; sie machen sich auf und finden dich; sie
halten dich, und du schonst aller, wie zur Zeit Moses in der Wüste. Da heißt
es, in deinen Wegen gehen; da heißt es, dein gedenken,
dich loben, dir danken für die ausgeschütteten Wohltaten. Nun aber, da dein
Zorn tobt und trübe Zeiten sind, sind wir nichts als Sünder: Du begegnest
nicht, wirst nicht gefunden, nicht gehalten. Ob es gleich Fromme und Gerechte
gibt, so darf doch keiner von ihnen auftreten und dich halten oder dienen Namen
für uns anrufen, weil er es nicht wagen kann. Es ist hier nichts von deinem Lob
zu hören, weil wir bloß über unser Böses jammern. Und wie zur Zeit, wenn die
Gerechtigkeit blüht, auch anderer Sünden so weiß sind wie der Schnee, und du
sie nicht strafst, ja, für keine Sünden achtest: So hältst du auch zu der Zeit
des Zornes und einherfahrenden Gerechtigkeit alle unsere Gerechtigkeiten
für unrein und strafst sie zugleich mit den Sünden der anderen, und raffst sie
mit unter den Haufen der Bösen und zerstößt uns in der Hand unserer Bosheit und
lässt uns widerfahren, was die Sünden verdient haben, dass wir als die ganz
Unreinen sind. So, wenn uns die Barmherzigkeit verlässt, führen uns unsere
Sünden hin wie ein Wind, und gelten alle unsere Gerechtigkeiten
nichts gegen ihn.
So sagt auch
der Pöbel von einem erzürnten Fürsten: Niemand darf ihm etwas von der Sache
sagen oder dafür bitten, weder Kind, Frau noch Freund usw. So klagt er über
einen so großen Zorn, dass er auch alle Gerechtigkeiten
der Frommen so handelt, als wenn sie Sünden und Unreinigkeiten wären und nicht
auftreten oder ihn anrufen oder beugen dürfen. Es ist aber eine kalte und
elende Meinung, dass man das nur von der gottlosen unheiligen Gerechtigkeit
verstehen solle, wenn man sie gegen dies hitzige und eifrige Gebet hält;
welches, wenn es jemals zu Recht hat gebetet werden können, so mag man es heute
beten, da viele Fromme sind, aber der Papst Antichrist so überhand
nimmt, dass er die Auserwählten nicht allein in Irrtum, sondern auch in
das Übel der Strafen mit zieht, und ist hier niemand, der für uns Arme
aufstehe, den Namen Gottes anrufe und ihn halte.
Dass sich
dieser Verstand schön zu dem Folgenden schicke, meine ich, sei ganz offenbar,
und mag es unseren Latomis bloß daran liegen, dass
sie denken, der Heilige Geist rede nicht im Ernst, sondern führe nur einige
erdichtete Gerechtigkeiten an; aber da dürfte er
nicht klagen, dass sie unrein würden, denn sie wären es schon. Hier aber
bekennt er, dass es reine Gerechtigkeiten seien, und
ist die Rede, dass sie befleckt und unrein würden, weil ihnen nicht widerführe,
was rechten Gerechtigkeiten pflegt, sondern das
Gegenteil, nämlich dass sie nicht auftreten und erscheinen, noch den erzürnten
Gott halten am Tag des Grimms, bei welchem sie sonst alles vermögen am Tag der
Gnaden. So reißt der Grimm und die Strenge der Gerechtigkeit den Gerechten und
Ungerechten dahin; die Barmherzigkeit allein erhält, die erhalten werden.
So siehst du
hoffentlich, mein Leser, dass diese Stelle mit dem, was folgt, mit der
eigentlichen Bedeutung der Worte, mit dem einfältigen und rechten Verstand,
ohne die läppische Verwechslung der löwenischen
Sophisten, für mich sei und unverrückt bestehe, und dieser Scylla ihr Gebell
erachte. Es bleibt, sag ich, dabei, dass ein gutes Werk in seiner Natur, wenn
die Wolke der Gnade nicht drüber schwebt, unrein sei und anders nicht als durch
Verzeihung der Gnade allein rein, löblich und rühmlich geachtet werde.
So stützt
dieser Ort nicht allein meine Meinung, sondern reicht auch zugleich ein Muster
dieser Lehre dar. Denn so steht es mit den Werken ohne die vergebende Gnade,
wie wir Jesaja hier winseln hören. Und wenn sie doch nicht recht unrein und
böse wären, würde der gerechte Gott nicht so mit ihnen handeln. In welcher
Sache wir erkennen, wie reich die Gnade Gottes über uns sei, wie sie die
Unwürdigen aufnehme, dass wir von ganzem Herzen dankbar seien und solchen Schatz
und Reichtum der herrlichen Gnade Gottes preisen und loben. Diese Ehre Gottes
und Erkenntnis der Wahrheit suchen jene Schlussmacher und Umstandsschmiede, die
Sophisten, hinzurichten, da sie sich allein für die rechten Schriftausleger
ausgeben und doch nichts tun, als dass sie sie in ein Haufen Stücke reißen und
sie zweideutig und dunkel machen.
Hiermit ist
zugleich dem hochtrabenden Spott des Latomus
geantwortet, dadurch er Luther als einen ganz ungereimten Menschen durchzieht,
dass er diesen Ort nicht bloß auf die Juden, in deren Person ich gestehe, dass
er geredet wurde, sondern zugleich auf die Heiligen aller Zeiten deute. Denn
eben der Geist, der in Jesaja hier zu seiner Zeit und in seiner Trübsal
gewesen, der ist auch gewesen in Hiob, Abraham, Adam, ja, ist noch in allen
Gliedern des ganzen Leibes Christi, vom Anfang der Welt bis ans Ende, zu eines
jeden Zeit und Stand der Trübsal. Es hätte denn Paulus 2. Kor. 4 nicht sagen
dürfen: Und wir glauben, darum reden wir auch, weil er nicht gleiche
Entzückung (Trieb, extasin) und zu eben der Zeit
gehabt wie David. Die Zeiten, Sachen, Körper und Trübsale sind wohl anders,
aber es ist einerlei Geist, einerlei Sinn, einerlei Speise und Trank aller,
durch alles hindurch. Höre, wenn dir das nicht ansteht, so gebe ich den
Mordbrennern von Löwen einen anderen Rat, nämlich den Psalter Davids zu
verbrennen und einen neuen, der eure Triumphe über Reuchlin und Luther preisen,
zu schmieden, weil jener nur der Juden Taten und Geschichten enthält, die sich
also auf unsere neuen Dinge nicht schicken. Ihr blinden Leute und Maulwürfe! So
seht ihr auch der göttlichen Schrift ins Antlitz und richtet nach den Werken,
nicht nach dem Geist; wie die Juden in der Wüste, die an der Tür ihrer Hütten
standen und nichts anderes sahen als Moses Rücken, der in die Hütten des Bundes
des HERRN einging.
Last uns zu
dem andern fortgehen. Da ich gesagt hatte, man könne nicht von der
Gerechtigkeit des Gesetzes verstehen, die vielmehr aufblähe, nicht aber demütig
seufze, wie dieser Ort seufzt; so spricht Latomus:
Ich setze ein falsches Ding zum Grund, denn der ganze Text handle von den
stolzen Juden, die um zeitliche Erlösung anhielten. Und diese falsche Sache
beweist er mit einem trefflichen Zeugnis, nämlich der Meinung des Latomus, der da glaube, dass dies von solchen Juden zu
verstehen sei.
So
unterstehen sich diese Leute, auf sich selbst zu bauen und alles zu verdammen.
Darum muss der Heilige Geist in der Person der Stolzen bisweilen stolzieren und
vor Gott hoffärtig reden?
Ferner, darf
Latomus ebenso frech sagen, dass auch das vorige
Kapitel von eben denselben auszulegen sei, da die Stolzen sagen: Warum hast
du uns irren gemacht von deinen Wegen? Wir sind geworfen, wie am Anfang, da du
nicht über uns herrschtest, weil Jesaja in eben dem Geist in gleichem
Zusammenhang rede.
Da ich
ferner geleugnet hatte, dass die Gerechtigkeit des Gesetzes böse sei und den
Gebrauch verworfen, darum sie getadelt wird: so zeigt Latomus
abermals, wie gelehrt er in Heiliger Schrift sei. Er führt an 2. Kor. 3: Denn
auch das, was herrlich gewesen ist, ist nicht hierin verherrlicht wegen der
überschwänglichen Herrlichkeit. Hernach meint er, ich habe nie von dem Ort Hes. 19 gehört, wo steht: Ich habe ihnen nicht gute
Gebote gegeben. Wenn er mündlich so mit mir handelte, dächte ich, er
scherzte mit mir, wenn er wohl zu sprechen hätte, oder spottete mein, wenn er
zornig wäre. Aber um der anderen willen wollen wir doch etwas davon sagen.
Viele stehen
in dem Wahn, Paulus handele von der zeremonialen
Gerechtigkeit, welche zunichte (oder aufgehoben) worden ist, da er doch vom
ganzen Gesetz redet, und Gesetz gegen Gnade, nicht aber Gesetz gegen Gesetz
stellt. Der Irrtum kommt daher, weil sie das Evangelium für eine Lehre der
Gesetze halten. Kurz: Es gibt zwei Ämter der Predigt, das eine des Buchstabens
und das andere des Geistes. Der Buchstabe ist des Gesetzes, der Geist ist der
Gnaden. Jene gehören zum Alten, dieser zum neuen Testament. Des Gesetzes
Klarheit (oder Herrlichkeit) ist die Erkenntnis der Sünde: des Geistes Klarheit
ist die Offenbarung oder Erkenntnis de Gnade, welches ist der Glaube. Darum
machte das Gesetz nicht gerecht; sondern, weil es menschliche Schwachheit nicht
vertragen konnte, ist noch bis auf den heutigen (tag) die Gnade mit ihm
verdeckt auf dem Berg Tabor. Denn niemand kann die Kraft des Gesetzes
vertragen, ohne die heilige Gnade, darum hat Mose sein Antlitz verdecken
müssen. Darum verstehen die Juden das Gesetz bis auf den heutigen Tag nicht,
denn sie suchen ihre Gerechtigkeit aufzurichten und wollen sie nicht zur Sünde
machen lassen, dass sie der Gerechtigkeit Gottes untertan würden. Denn das
macht die Klarheit des Gesetzes, dass alle schuldig werden, wie Röm. 11 steht: Er
hat alles unter die Sünde beschlossen. So ist das Gesetz die Kraft der
Sünde, wirkt Zorn und tötet. Der Geist aber macht lebendig.
Was nun
Hesekiel sagt: Ich habe ihnen Gebote gegeben, die nicht gut sind, und
Gerichte, in welchen sie nicht leben werden; so geht das auf das ganze
Gesetz, nicht bloß auf die Zeremonien. Wie auch das Wort des Paulus: Ist
keine Klarheit (oder nicht verherrlicht) in diesem Stück, so vorher klar
gewesen usw. ebenfalls aufs ganze Gesetz geht. Denn das ganze Gesetz ist
wohl heilig, gerecht und gut gewesen, wie Paulus sagt Röm. 7. Aber was gut ist,
kann uns wegen unserer eigenen Schuld nicht gut sein, und macht uns nicht
lebendig, sondern tötet uns. Denn auch Gott selbst, das höchste Gut, ist doch
den Gottlosen kein Gut, sondern der höchste Schrecken und Jammer, wie Hos. 5
steht: Ich bin dem Ephraim wie eine Made und dem Haus Juda
wie eine Made. Ich bin Ephraim wie eine Löwin und dem Haus Juda
wie ein junger Löwe.
Ist es also
ein Irrtum an unseren Meistern, die gar nichts in der Schrift wissen, und weder
was Gesetz, noch was Gnade oder was zeremonialisch,
was gesetzlich sei, verstehen; darum werden sie so irre, dass sie eins in das
andere mengen. Ich sage demnach: Wie das Gesetz der Zehn Gebote gut ist, wenn
man es hält (das ist, wenn man Glauben hat, welcher die Fülle des Gesetzes und
Gerechtigkeit ist): Hingegen aber lauter Tod und Zorn, und dir nicht gut, wen
du es nicht hältst, das ist, wenn du nicht Glauben hast, ob du wohl seine Werke
tust. Denn die Gerechtigkeit des Gesetzes, auch der Zehn Gebote, ist unrein und
durch Christus abgeschafft, ja, mehr als die zeremonialische.
Denn sie ist eigentlich die Decke des Antlitzes Moses, so des Glaubens
Herrlichkeit wegnimmt. So ist auch eine jede zeremonialische
Ordnung gut, wen du sie hältst (du hältst sie aber nicht durch Werke, sondern
durch den Glauben), das ist, wenn du sie so tust, dass du weißt, dass nicht in
denselben, sondern im Glauben die Gerechtigkeit stehe. Hingegen nicht gut,
sondern der Tod und Zorn, wenn du sie außer dem Glauben hältst; welches ebenso
viel ist, als wenn du sie nicht hieltest. Ist also klar, dass das ganze Gesetz
ein tötender Buchstabe sei, die Gnade im Glauben Christi aber ein lebendigmachender Geist.
Da er ihnen
nun das Gesetz des Buchstabens gegeben durch Mose, nicht aber das Gesetz des
Glaubens; so sagt er recht, er habe nicht gute noch lebendigmachende
Gesetze gegeben, weil sie sie nicht fromm und lebendig machen konnten. Die
Gnade aber ist das Gesetz des Lebens, so gut, lebendig und gerecht macht. Und
so will Paulus, dass die Diener des Neuen Testaments Diener der Gnade seien,
nicht Diener des Gesetzes (2. Kor. 3), weil ihr Amt (Dienst) nicht Moses ist, denn
das war schon dahin gelassen, sondern Christi, das ist, die Klarheit der Gnade
zu predigen. Und ich möchte gerne von unseren Meistern hören, woher sie wissen,
dass Hesekiel und Paulus 2. Kor. 3 nur vom Zeremonialgesetz reden? Werden sie
sich nicht bloß auf ihren Kopf oder Menschenfündlein
berufen? Denn so fahren die unreinen Säue daher und reißen die Sprüche der
Schrift ohne Verstand an sich und verstehen daraus, was sie wollen, und wollen
doch für den Glauben streiten, ehe sie ihre Waffen betrachten, ob sie gemalt
oder recht seien.
Da ich aber
die Stelle Jesajas: alle unsere Gerechtigkeit, und wir alle unrein usw., so
gehandelt hatte, dass ich auf der allgemeinen Redeart
bestünde, weil er sagt: alle und wir, und sämtliche unsere usw., kehrt der
scharfsinnige Schlusskünstler den Schluss auf mich und spricht: Schließ
vielmehr so: Er spricht nicht alle, sondern wir alle; noch alle Gerechtigkeiten, sondern unsere Gerechtigkeiten;
will also, dass man es auf die gottlosen Juden und nicht auf die Gläubige aller
alle ziehe.
Welches wir
bereits genug widerlegt haben, weil es auf der ungewissen Meinung des Latomus beruht, ich aber bewiesen habe, dass es sich auf
die Gläubigen, und selbst die besten darunter, sehr wohl schicke.
Es hat aber
der reiche Theologus auch noch eine andere Ausflucht:
Lass es sein, dass er auch schlechthin gesagt hätte: all Gerechtigkeiten,
und allesamt unrein; so muss man es doch nur auf einen Teil etlicher ziehen.
Und ruft also hier wieder seine Redegestalt, entweder der Vergrößerung oder der
Zusammenfassung zu Hilfe. Spricht man zu ihm: Woher weißt du, dass eine solche
Figur hier statt habe, und dass man die Rede einschränken müsse? So antwortet
er: Weil man es in anderen Stellen der Schrift so findet (wie oben zu sehen),
wie: das ganze (oder alles) Haupt ist matt (traurig) usw. (Jes. 1). Da ihr denn
abermals seht, dass Meister Latomus frei habe, alles
in Figuren zu fassen und mit der Schrift nach seinem Willen zu spielen. Das
heißt zu Löwen, die Zeugnisse der Schrift nach Meisterart wägen, gründlich
lehren und die Ketzer glücklich bezwingen. Denn durch diesen Meistergriff will
ich auch aus solchem Ort Jesajas herausbringen, dass nur ein Gottloser da
verstanden werde, und will auch Latomus wehren, dass
er nicht einmal derselben Gerechtigkeiten aus diesem
Ort unrein machen und den Ort auf sie ziehen könne; auf diese Art nämlich. Wenn
er spricht: alle Gerechtigkeiten sind besudelt, so
antworte ich: Das muss man einschränken, wie jenes, aller Haupt traurig (Jes.
1) usw. nur auf etliche geht, wegen der Figur. Nun lasst uns diese etliche zu
zweien machen und zu ihnen sagen: alle eure Gerechtigkeiten
sind unrein; so werden sie sagen: Nein! Es ist nur eine Figur (oder
Redegestalt), da das Ganze für die Hälfte oder einen Teil genommen wird.
Scheinen wir nun, mein Leser, euch nicht fein theologisch zu lehren? Denn da Latomus genug daran hat, mit gleicher Schrift zu streiten,
so glaube ich, weil er in der Schrift gelesen, dass einmal eine Jungfrau
geboren, werde er Jungfrauen zu Müttern machen, so oft es ihm beliebt, weil er
zeigen kann aus einem Ort, dass dergleichen einmal geschehen ist.
So siehe mir
nun die Art und Künste der Sophisten, dadurch sie nur alles ungewiss und
unbeständig machen. Ihre Dekretellen (decretellum) nämlich: Verflucht ist, der da sagt, dass die
Gebote Gottes unmöglich sind! das treiben sie mit solcher Strenge und Ernst,
wie die Worte lauten, dass sie gar keine Silbe einer gottseligen Auslegung
zulassen, und alle Welt verketzern, wenn sie dagegen mucke. Warum das? Weil es
ihr Werk ist, ein ganz menschliches und vom Menschen erborgtes Wort. Wenn du
aber die Schrift Gottes gegen sie gebrauchst, da haben sie hundert Ausflüchte;
da sie nichts denken können, das sie nicht gleich zu einem Glaubensartikel
machen, so denken sie doch nie etwas Beständiges und Einiges aus. Ich glaube,
wenn Christus heute seine Stimme vom Himmel hören ließe und spräche: Luthers
Meinung ist recht, so würden sie doch eine Unterscheidungsart vom rechten (oder
wahren) zu schmieden wissen, damit sie nicht gezwungen wären, zum rechten Weg
zurückzukehren.[4] Du aber,
lieber Leser, kannst jene unstetigen Augen des hurerischen
Weibes [Spr. 7] zum Zeugnis nehmen, dass bei unseren Magistern nicht einmal das
Streben nach der einfachen Wahrheit ist, sondern nur nach mannigfaltigem und
unbeständigem Gespött. Wenn ich mich so mit Meinungen, Gleichnissen,
mannigfaltigen Deutungen abarbeiten sollte. So wollte ich kein Christ sein.
Denn wie könnte ich hoffen, in diesen Stürmen und Fluten die gegründete
Wahrheit zu finden? Was bleibt also übrig? Ohne Zweifel, da Latomus
nicht beweisen kann, dass hier eine bildliche Redeweise sei, so wird er
gezwungen sein, diesen Spruch ohne Bild in der einfachen und eigentlichen
Bedeutung zuzulassen und dass alle unsere Gerechtigkeit befleckt sei und alle
Menschen unrein seien ohne die Barmherzigkeit Gottes.
Eine andere
Stelle greift Latomus auch an, nämlich Pred. 7,21: Es ist kein gerechter Mensch auf Erden, der
gutes tue und nicht sündige. Hier droht er mir sogar am Ende, ich solle
aufhören, auf den Ruhm der Heiligen einen Flecken zu bringen, weil, nach ihm,
der Ruhm der Heiligen ihr Werk ohne Sünde sein soll; wie sie Ps. 3,4 sagen: Du
bist mein Ruhm[5],
das heißt, du bist mein gutes Werk ohne Sünde, und Ps. 89,18: Denn du bist
der Ruhm ihrer Stärke, das heißt, du bist ihr gutes Werk ohne Sünde;
nämlich, dass wir uns selbst zu Göttern machen, wie jene gesagt haben, 2. Mose
32,23: Mache uns Götter, was eigentlich gesagt ist von guten Werken,
womit sich jene Heiligen des Latomus brüsten. Und
damit stimmt Jesaja 2,8: Sie beten an ihrer Hände Werk, welches ihre Finger
gemacht haben. Denn die Heiligen Gottes werden vor Gott in ihren Werken zu
Schanden und rühmen sich allein in ihm, wie Jeremia 9,23 sagt: Der Starke
rühme sich nicht seiner Stärke, und Paulus 1. Kor. 1,31: Wer sich rühmt,
der rühme sich des HERRN. Doch, wie gesagt, unsere Magister reden so vor
allzu großer Klugheit, damit ihrer Herzen Gedanken offenbar würden, dass sie
von der Gottseligkeit höhere Gedanken haben könnten als die Propheten oder
Apostel fassen könnten. Denn, was Latomus von dem
Glauben und den Werken ernstlich hält, das beweist hinlänglich sein Mund, der
da überläuft von dem, des das Herz voll ist; die Natur kommt hier der Kunst
zuvor, so dass er es nicht verbergen konnte.
Die Folge,
die Umstände und (wie er es nennt) den Faden der Rede hat hier der überaus
kluge Wäger der Zeugnisse bei Seite liegen lassen, weil er die Gefahr merkte,
darum nahm er zuerst seine Zuflucht zu den Auslegungen anderer und dann nach
seiner Art zu einer anderen Stelle der Schrift. Gleichwohl würde auch ich, wenn
ich außer diesem Spruch nichts hätte, nicht auf dieser Meinung bestehen. Ich
habe sie aber darauf gegründet, weil ich gar nichts Befriedigendes gegen sie
vorbringen könnte, wie es auch Latomus nicht kann,
noch, wie ich glaube, irgendein anderer. Weil die Stelle darum mit deutlichen
Worten hierher zu gehören scheint, auch von uns durchaus kein anderer Sinn in
ihr gefunden werden kann, so habe ich sie, bis der Heilige Geist eine
vollkommenere [Auslegung] gibt, mit denen verbunden, die deutlich und unfehlbar
sind. Ich habe ihr auch öfter mit solchen Glossen, auf welche Latomus sich stützt, zu entgehen gesucht (elusi), aber immer hat sie Stand gehalten, hat sich dagegen
gesträubt und ist in großer Übereinstimmung mit meinen anderen Stellen
übereingekommen. Denn während Latomus nichts Neues
beibringt, glaubt er doch, Luther habe nichts davon gesehen, und diese
Leichtgläubigkeit war genug, ihn zum Schreiben zu veranlassen.
Es ist
leicht zu sagen, der Spruch: Es ist kein Gerechter auf Erden, der da Gutes
tue und nicht sündige, sei ebenso viel wie 1. Kge
8,46: Es ist kein Mensch, der nicht sündige. Aber während er [der
Heilige Geist] in jener Stelle einen Menschen und einen Gerechten,
ferner Gutes tun und nicht sündigen miteinander verbindet, im Buch der
Könige dagegen einfach sagt: Mensch und einfach nicht sündigen,
so entschlüpft Latomus, indem er vor dem, was folgt,
und vor den Umständen flieht, denen er doch vor allem zu folgen versprochen
hatte. Ich aber, der ich sie beobachte, bleibe fest dabei, dass es nicht meine
Sache sei, als ein Einsichtiger zu behaupten, Mensch und gerechter
Mensch, desgleichen sündiges und Gutes tun und nicht sündigen
sei ein und dasselbe. Aber ich gebe völlig zu, wenn Latomus
mir diese Stelle entgegenhielte und als Verteidiger dieser meiner Meinung
aufträte und behauptete, Mensch werde in der Schrift fast immer im bösen Sinn
genommen für Sünder, wie 1. Mose 6,3 und 8,21: Der Mensch will sich von
meinem Geist nicht strafen lassen, denn er ist Fleisch und Paulus [1. Kor.
3,4]: Seid ihr denn nicht fleischlich?; desgleichen öfter: Ich rede
auf Menschenweise [Röm. 3,5]; desgleichen: von einem menschlichen Tag
[1. Kor. 4,3] und Ps. 82,7: Ihr werdet sterben wie Menschen usw., so
würde er mit wahrlich Angst gemacht haben.
Die Stelle
hätte darum mit deutlichen Schriftstellen abgewiesen werden müssen, dass sie
diesen Sinn nicht enthielte, oder man hätte ich weichen müssen, wenn sie
dasselbe lehrt, was viele andere Sprüche. Denn es ist Ein Zeugnis, aber in
seinem Mund wird das Wort nur dann bestehen, wenn ein zweiter oder dritter
Spruch mit ihm übereinstimmt. Weil ich daher diese Stelle nicht aufzulösen
weiß, so werde ich von ihrer Anforderung los, indem ich ihr weiche, da noch
andere und deutlichere Zeugnisse hinzukommen, bis der Geist offenbart, dass
Mensch so viel sei wie gerechter Mensch, und Gutes tun und nicht sündigen, so
viel wie sündigen. So lange aber will ich dem folgen, wie die Worte lauten, da
ich (wie gesagt) nicht folgen, sondern dahingestellt sein lassen würde, wenn
ich allein vorläge. Doch ist die Bejahung dieses Sinnes sicherer als die
Verneinung, auch wenn sie in der ganzen Schrift allein dies aussagte, weil
hierin niemand sündigt, wenn er vor Gott seine guten Werke als unnütz,
sündhaft, ja als gar keine anklagt, und mit Hiob alle fürchtet. Dagegen wäre es
gefährlich, ja gottlos, wenn er nur Ein Werk vor sich rühmte und lobte. Dieser
Grund zwingt sogar, diesen Sinn anzunehmen, selbst wenn der Spruch, wie Latomus will, nur zum Schein so redete. Nun aber, da er mit
klaren Worten darauf hinausgeht und nur die Furcht da ist, dass er etwas
Verborgenes enthalten könne, und der Sinn weder ganz dunkel noch ganz klar ist,
so muss der Sinn, der mit der Gottseligkeit übereinkommt, oder selbst kein
Sinn, den Vorzug haben vor einem, der gottlos ist.
Hierzu
kommt, dass auch hier im Hebräischen derjenige, welcher Gutes tut, der
ist, welcher der Urheber isrt, dass Gutes da ist, so
dass es nicht nur ein in der Person liegendes (personales), sondern ein
wirksames, nach außen hin beglückendes Gutes (bonitatem)
bezeichnet, und dennoch sagt er, dass ein solcher sündige, um wieviel mehr muss
er den, der das Gute ausübt, zu einem Sünder machen! Wenn jedoch meine Kenntnis
der hebräischen Sprache Glauben finden möchte, so würde ich behaupten, dass im
Hebräischen dieser Sinn liege, denn es lautet so: Denn kein Mensch ist gerecht
auf Erden, welcher Gute tue und nicht sündige. Der erste Teil es ist kein
Mensch gerecht auf Erden beweist sicherlich das, was Latomus
aus den Büchern der Könige anführt: Es ist kein Mensch, der nicht sündigt; ja,
es beweist noch mehr, wie vor Augen ist. Was dann folgt, setzt auseinander,
dass ein solcher sogar sündige, wenn er Gutes tut. Denn die Hebräer wissen,
dass das Bindewort in dergleichen Redeweisen überflüssig gesetzt zu werden pflegt,
wie z.B. 1 Mose 17,14: Wenn ein Knäblein nicht wird beschnitten an seinem
Fleisch, dessen Seele soll ausgerottet werden aus seinem Volk; ferner 2.
Mose 12,15: Ein jeglicher, der Sauerteig isst, und seine Seele soll umkommen
aus Israel; so auch hier: Der da Gutes tue und nicht sündige ist so
viel wie: der, wenn er Gutes tut, nicht sündige.
Doch Latomus hat das nicht widerlegt, was die Folge erzwingt, da
ich gesagt habe, es scheine überflüssig, dass Salomo bei einem gerechten
Menschen noch hinzufügt und spricht, der Gutes tue und nicht sündige, als ob
ein anderer gerecht wäre, der nicht Gutes tue; denn, was er vom Fallen und
Sündigen zum Gespött gemacht zu haben glaubt, hat gar kein Gewichtr.
Denn nicht danach, was Beda oder irgendein Mensch sagt, frage ich, sondern
danach, was sie hätten sagen sollen. Allein auf die Schrift Gottes muss man
achten, nicht nur, was gesagt wird, sondern auch, wer es sage. Auch hilft es
ihm nichts, dass er die andere Stelle aus 1. Kön. 8 beibringt, da ihm gesagt
wurde, dass er vorher beweisen müsse, diese Stele habe dieselbe Meinung und
beweise gegen mich. Denn er durfte nicht etwas daneben setzen, [war nicht zur
Sache gehört], sondern musste widerlegen. Warum hat er sonst nicht auch den
Spruch eingeführt: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“? Und wie oft, frage
ich, muss man ihm sagen, dass er nicht daneben, sondern dagegen setzen soll?
Gleichwie ich nicht daneben und Ähnliches, sondern jenen stellen
Widersprechendes gesetzt habe. Ich höre nicht darauf, so und so wird anderswo
gesagt, sondern das will ich hören: Anderswo wird augenscheinlich das Gegenteil
gesagt. Er tue sein „man kann so sagen“ hinweg und bringe dafür das gemeine
„man muss so sagen“.
Und das muss
er tun. Denn da sie gerichtet, verdammt und verbrannt haben, auch von der Bulle
gebilligt worden sind, so wäre es überaus schmachvoll für sie, dass sie sich
nur auf das gestützt haben, was so gesagt werden kann, und nicht zeigen, dass
es so gesagt werden muss. Denn was wird die Welt denken, wenn sie sich selbst
an den Tag geben, dass sie über etwas so Zweifelhaftes ein so gewisses Urteil
gefällt, aufgeführt haben und haben billigen lassen? Und wer würde da nicht
bestätigen, dass Latomus, jener Verfechter der
Wahrheit, da er Grund und Ursache angeben und die Wahrheit verfechten sollte,
öffentlich zuschanden geworden sei und in keiner anderen Absicht geschrieben
habe, als um Sophistereien und Gespött zu treiben, nicht aber, um zu lehren
oder zu verteidigen? Denn das ist allzu grob Sophisterei treiben und den
Verstand und das Urteil der ganzen Welt auf die Probe stellen. Ich will in
Bezug auf nichts von dem Meinigen, dass es so gesagt werden könne, sondern
alles, was nicht so gesagt werden muss, das mag dahin fahren und bleibe zum
Disputieren. Auch wenn Latomus das zuwege brächte,
dass das von mir Beigebrachte nicht zwingend wäre, so genügte dies doch nicht
für die, welche Rechenschaft ablegen, nicht für die, welche verdammen, nicht
für die welche das Meine verbrannt haben, als ob es gleichsam nicht nur erzwinge,
sondern durchaus nicht hätte gesagt werden sollen. Was ist das für eine
Leichtfertigkeit oder Dummheit, dass, wenn du es zum Gegenstand deiner
Beweisführung gemacht hast, von Christus zu handeln, du alsbald ein anderes
Lied vornimmst und von dem trojanischen Hektor singst?
Unter
anderem schwatzt er auch mit spitzfindigen (dialecticis)
Ränken gegen Luther, als ob derselbe ohne alle Logik und Dialektik unwissend
sei, und sagt: „Es ist eine ebenso schlechte Folgerung: ‚Es ist kein Gerechter,
der Gutes tue und nicht sündige‘; folglich sündigt er mit einer und derselben
Handlung, wie diese Folgerung: ‚Es ist kein Mensch, der lebt und den Tod nicht
sehe‘, folglich lebt er und stirbt zugleich. Oder als wenn jemand sagte: ‚Es
ist kein Mensch, der wachte und nicht schliefe‘ und man wollte hieraus
schließen, dass er wachte und zu gleicher Zeit schliefe. Desgleichen: ‚Es ist
kein Mensch, der da lebt und nicht äße‘; folglich isst er zu jeder Zeit, da er
lebt.“ So weit jener.
Lieber, gib
mir einen von den Schulknaben des Latomus, der Einen
Tag Dialektik gehört hat, um vor ihm seines Lehrers Geschicklichkeit zu prüfen.
Sprich, Knabe: Ist jede solche Folgerung gut, dass aus etwas Unmöglichem sich
alles ergibt, was einem beliebt, wie die ersten Anfangsgründe bei Aristoteles
haben? Zum Beispiel, ist das eine gute Folgerung: 3 und 2 sind 8, folglich ist
der Teufel Gott, nach der Regel: Auf etwas Unmögliches folgt alles Beliebige.
Denn sobald der Vordersatz richtig ist, muss auch der Schluss-Satz richtig
sein. Ist’s also nicht ebenso richtig gefolgert: Es ist kein Mensch, der lebt
und den Tod nicht sehe, folglich lebt und stirbt er zugleich? Denn ist der
Vordersatz unmöglich, da kein Lebender den Tod sehen kann, so folgt aus demselben
Vordersatz auch das Gegenteil des Schluss-Satzes, nämlich: Folglich lebt und
stirbt er nicht zugleich. Ebenso: Es ist kein Mensch, der wache und nicht
schlafe. Folglich wacht und schläft er zu gleicher Zeit; denn der Vordersatz
ist unmöglich, da der Mensch, welcher wacht, nicht schlafen kann; aber nicht
umgekehrt. Folgt nicht so auch: Es ist kein Mensch, der lebe und nicht äße,
folglich, wenn er nur lebt, isst er und isst nicht; ja und nein, und alles, was
man nur folgern will? Warum leugnet denn dein Lehrer diese Folgerungen und
verdammt sie? Warum narrt er so in einer so ernsten Sache? Oder hat die Bulle
auch diese herrliche Tat gebilligt? Siehe darum, lieber Leser, wie blind diese
sophistische Gehässigkeit ist, dass sie selbst diese schülerhaften Anfangsgründe
und den allgemeinen Menschenverstand nicht fasst.
Doch es wird
vielleicht irgendein Anhänger des Latomus (Latomaster) sprechen: „Unsere herrlichen Magister haben das
so gewollt: ‚Es ist kein Mensch, der leben und den Tod nicht einmal in Zukunft
sehen wird‘ und Ä Es ist kein Mensch, der wache und nicht einmal schlafe‘, das
heißt zu einer anderen Zeit, als da er wacht; und: ‚Es ist kein Mensch, der
lebt und nicht einmal äße‘, doch nicht zu jeder Zeit, da er lebt. Denn hieraus
folgt nicht: folglich lebt und stirbt er zugleich, wacht und schläft er zugleich,
lebt und isst er zugleich.“
Dank für den
guten Unterricht. Doch das heißt unsere herrlichen Magister von einer
Ungereimtheit befreien und in zwei andere stürzen. Deren erste ist, dass sie
die Grammatik nicht kennen, noch den Unterschied zwischen dem Ausdruck der
gegenwärtigen und zukünftigen Zeit5 wissen, indem sie eine zukünftige Sache
durch die gegenwärtige Zeit ausdrücken, zugleich viele Beiwörter verbergen,
vielleicht zur Strafe dafür, dass sie vorher die Kenntnis der Sprache
verleumdeten und nun die Empfindungen (passiones) der
Seele, die nach Aristoteles, wie der Dialog des Latomus
hat, bei allen, dieselben sind, nicht ausdrücken können und, wie sie es gewollt
haben, sprachlos sind. So gebe ich zu, dass dieser Schluss sehr schlecht ist:
Es ist kein Mench, der lebt und den Tod nicht sehen
wird (wie der 89. Psalm V. 49 hat), oder den Tod nicht bisweilen sehe, folglich
lebt und stirbt er zugleich. Ebenso schlecht ist der Schluss: Es ist kein
Mensch, der wache und nicht bisweilen schlafe, folglich wacht und schläft er zu
gleicher Zeit. Es folgt nicht: Es ist kein Mensch, der da lebt und nicht
bisweilen äße, folglich, wenn er nur lebt, isst er. Doch gegen wen streiben denn diese lächerlichen Schlüsse? Hat denn Luther
gesagt: Es ist kein Gerechter auf Erden, der da Gutes tue und nicht bisweilen
sündige, folglich tut er Gutes und sündigt zugleich? Wer kann mir dieses
Beiwort „bisweilen“ aufzwingen? Wer kann sich erdreisten, es bei Salomo
hinzuzusetzen?
Und das ist
die zweite Ungereimtheit unserer Magister, deren sie sich fast immer schuldig
machen, welche man die petitio principii[6]
nennt. Und weil Latomus dieselbe so häufig gebraucht,
so will ich es mich nicht verdrießen lassen, den Menschen ebenso oft daran zu
erinnern, ob er vielleicht aus diesem Streit wenigstens irgendeine Regel der
Dialektik lernen könnte. Ich sage so, das hätte Latomus
beweisen sollen, dass Salomos Spruch das Beiwort „bisweilen“ einschlösse,
dadurch die Sünde auf die bösen Werke außerhalb des guten Menschen g
beschränkt bleiben würde. Aber er, als ob es schon
bewiesen sei, nimmt und beweist in der fehlerhaftesten Weise das Geleugnete
durch das Geleugnete.
Aber wenn
auch diese Fehler nicht wären, so stolpert er doch in der Art, etwas an sich
oder als etwas Zufälliges auszusagen. Denn ich habe gewollt /was unseren
Magistern alle Haare zu Berge stehen machen wird), und ich sage jetzt, dass die
Sünde, wenn man an sich davon redet (praedicatione perseitatis) dem guten Werk inne wohne, so lange wir leben,
gleichwie die Fähigkeit zu lachen in dem Menschen ist (ich rede nach der Art
des Aristoteles, aber nicht der
Sophisten, die noch nicht wissen, was bei Aristoteles „an sich“ oder „eigenes
Erleiden“ [propria passio] ist), aber Essen, Schlaf,
Tod sind bei dem Menschen nur, wenn man von dem Zufälligen redet (praedicatione per accidens). Wie daher nicht folgt, der
Mensch hat alle Zeit die Fähigkeit zu lachen, folglich lacht er alle Zeit, so
folgt nicht, der Mensch lebt, folglich wacht, isst und stirbt er alle Zeit.
Jedoch gleichwie folgt: Der Mensch lebt, folglich hat er die Fähigkeit zu
lachen, zu essen, zu schlafen, zu sterben usw., so folgt auch: Der Mensch tut Gutes,
folglich sündigt er. Denn der Gutes tuende Mensch ist die Grundlage (subiectum), die Sünde sein Erleiden, wie aus Salomo zu
Grunde gelegt wurde.
Darum will
ich solche Folgerungen des Ansichseins besser fertig bringen als Latomus und meine Folgerung mit wahren Beispielen und mit
notwendigen als notwendig erweisen. In dieser Weise folgt ganz richtig: Es ist
kein Sophist zu Löwen, der die Schrift behandele und die Sprüche nicht verdrehe
und die Wahrheit nicht verdamme, folglich behandelt er in derselben Handlung
die Schrift und verdreht sie. Denn es ist die Art der Sophisten, bisweilen die
Schrift zu behandeln, aber ihnen eigentümlich, sie zu verdrehen und zu
verdammen. So folgt auch richtig: Es ist kein theologischer Stümper (theologista) zu Löwen, der da predige und nicht Fabeln und
seine Träume rede, folglich, so oft er predigt, fabelt er. Denn ein
theologischer Stümper maßt sich das Wort Gottes an, aber seine Eigentümlichkeit
ist es, anstatt dessen Fabeln zu lehren. Desgleichen: Es ist kein Heuchler zu
Löwen, der Messe halte und nicht einen
Abgott anbete, folglich, so oft er Messe hält, betet er einen Abgott a; denn
alle Vordersätze sind notwendig und an sich so, da sie nicht anders sein
können. Du wirst mir, gottseliger Leser, dies mein albernes Geschwätz verzeihen
und es dem Latomus zurechnen, der sich nicht scheute,
in dieser so ernsten Sache die Wahrheit mit solchen Possen zu verleumden. Ich
wollte diese Spitzfindigkeiten übergehen, aber, eingedenk des Gepränges und der
Bulle, fürchtete ich, einfache Leute könnten glauben, dass diese Narrenpossen
wirklich etwas taugten. Wenn sie Geltung hätten, würden sie meine Meinung einer
unglaublichen Ungereimtheit überführen. Darum musste ihm so vergolten werden,
was er verdiente. Solche Leute sind es, welche der Papst billigt und sie die
gläubigen Bebauer des Ackers des HERRN nennt, allein
zu meinem Unglimpf, nicht aus Wohlgefallen an ihnen, womit sie sich doch allein
brüsten.
Dass er aber
den Hieronymus hinzufügt, welcher lehrt: „Kein Mensch ist, der nicht sündige“,
sei so viel als, er sei nicht beständig ohne Sünde, das heißt, es sei kein
Gerechter, der Gute tue, der nicht sündige, müsse so verstanden werden, dass er
bisweilen sündigt, wie man von David liest, dass er allen Willen Gottes getan
und doch bisweilen gesündigt habe. Wiederum bringt hier Latomus
sein: „Es kann so gesagt werden“ und weist doch nicht nach, dass so gesagt
werden muss. Lieber, wer zweifelt, dass die Heiligen bisweilen sündigen? Aber Latomus hätte dies beweisen müssen, dass solches des Salomo
Meinung in dem vorliegenden Spruch sei. Sein zweiter Fehler an dieser Stelle
ist, dass er von etwas Ähnlichem schließt. Der dritte Fehler ist die petitio principii, weil er die
Ähnlichkeit nicht zuvor beweist.
Ich gebe die
angezogene Meinung des Hieronymus zu, aber ich leugne, dass dies die gleiche
und selbe Meinung des Salomo sei. Was soll man nun machen? Auch ich werde
wiederum den Latomus anschreien: „Hörst du, Latomus, deine Begründung, die du übernommen hast, ist die:
Eoin gutes Werk ist nicht Sünde, und den Satz: Ein gutes Werk ist Sünde, musst
du widerlegen, nicht jenen beweisen: Die Heiligen sündigen bisweilen; auch
nicht jenen widerlegen: Die Heiligen sündigen nie. Denn darüber streitet
niemand mit dir. Nun denkt Hieronymus an dieser Stelle nicht einmal an diesen
Spruch des Salomo, geschweige denn, dass er bewiese, derselbe habe den Sinn,
den Latomus aus ihm vorbringt. Es ist eine ganz
abgeschmackte Folgerung: Hieronymus sagt, dass die Heiligen bisweilen sündigen
und nicht immer ohne Sünde sind, folglich will Salomo dasselbe, wenn er sagt:
Es ist kein Gerechter auf Erden, der da Gutes tue und nicht sündige. Warum
sagst du nicht auch, was Petrus sagt: Liebe Brüder, wacht und seid nüchtern?
Du ziehst Folgerungen und beweist sie nicht; sodann willst du den Sinn einer
Stelle in eine andere gewaltsam hineintragen aus eigener Macht, als ob dir die
ganze Welt ohne irgendein Zeugnis glauben und nachgeben müsse. Bringe so viel
Stellen zusammen, wie du willst, aber sei eingedenk, dass du auch beweisen
musst, dass sie dieselbe Meinung haben, für die du sie angesehen haben willst.
Denn dies, mein lieber Latomus, war die Aufgabe, die
auf dich genommen hast; hast du diese nicht vollbracht, so hast du nichts
ausgerichtet. Es steht meine Meinung und mein Salomo noch fest, und ihr werdet
als Mordbrenner und Gottesräuber überwiesen werden. Ob aber Hieronymus den
Spruch: „David hat allen Willen Gottes getan“ und doch bisweilen gesündigt,
richtig behandelt habe in dem, dass er sagt, Gott habe gesagt „allen Willen“,
aber nicht hinzufügt „beständig“, lasse ich dahingestellt, da es nicht zu dem
gehört, was uns vorliegt. Wir sagen, es geschieht aller Wille Gottes so, dass
er jedem unserer Werke verzeiht, wie Augustinus spricht: „Die Gebote Gottes
werden erfüllt, wenn das, was nicht geschieht, verziehen wird“. Hier
disputieren wir nicht von jenen groben Sünden, mit denen auch die Heiligen
bisweilen sündigen, sondern von der täglichen, uns anhängenden, gleichwie sie
auch selbst von einer lässlichen reden. Des Hieronymus Auslegung scheint mir
ziemlich hart: Alle, das heißt, bisweilen oder die meiste Zeit; ich verdamme
sie jedoch nicht wegen jener bildlichen Redeweise der Synekdoche.
Sodann irrt
er augenscheinlich, dass er den Paulus beschuldigt, als habe er entweder
gesündigt oder kein gutes Werk getan, da er an Timotheus schrieb in Betreff der
Pergamente und so oft er der notwendigen Bedürfnisse dieses Lebens gedacht hat.
Wo ist nun hier jener Prahler, der sagte, er wolle die Zeugnisse wägen, nicht
zählen? Es ist ein Irrtum, sage ich, zu behaupten, Paulus habe hierin nichts
Gutes getan. Paulus selbst sage viel besser [Kol. 3,18; 1. Kor. 10,31]: Ihr
esst nun oder trinkt oder was ihr tut, so tut es alles in dem Namen des HERRN
Jesus Christus.“ Das gewöhnliche Leben des Gerechten ist nichts als lauter
gute Werke, Denn nicht eine Klaue von seinen Schafen hat Christus in Ägypten
gelassen. Dies sage ich, damit die Sophisten wissen, dass die heiligen Väter,
wie sie bisweilen gesündigt haben, was Latomus aus
Hieronymus an dem Beispiel Davids nachweist, so auch bisweilen geirrt haben,
was ich hier an Hieronymus nachweise. Demgemäß haben ihre Zeugnisse den größten
Wert, wenn sie sich auf klare Schriftstellen stützen; wenn nicht, so sollen sie
mir nicht daherschreien und sich brüsten, als hätten
sie gesiegt, weil das Zeugnis irgendeines Heiligen auf ihrer Seite stände. Wir
sind im Streit, wo man sich auf göttliche und zwar gewisse und augenscheinliche
Zeugnisse stützen muss. Die menschlichen aber mögen bei vertraulichem Zureden
und in einer Rede an das Volk ihre Geltung haben.
Doch, weil
er den Paulus als ein Beispiel anzieht, der ein gutes Werk ohne Sünde getan
habe, so wollen auch wir diese Personendichtung (prosopopoeiam)
unternehmen. Stellen wir also St. Paulus oder Petrus vor, wie er betet oder
lehrt oder sonst ein gutes Werk wirkt. Wenn das gute Werk ohne Sünde und ohne
Fehler ist, so kann er mit der gebührenden Demut vor Gott stehen und so
sprechen: „Siehe, HERR Gott, dieses gute Werk habe ich durch die Hilfe deiner
Gnade getan; es ist in ihm kein Fehler oder irgendeine Sünde, noch bedarf es
deiner verzeihenden Barmherzigkeit, die ich darüber auch nicht erbitte; ferner
will ich, dass du nach deinem wahrhaftigen und strengsten Gericht es richtest.
Denn dessen kann ich mich vor dir rühmen, dass auch du es nicht verdammen
kannst, weil du gerecht und wahrhaftig bist; ja, ich bin gewiss, wenn du dich
nicht selbst verleugnest, wirst du es nicht verdammen. Es ist nicht mehr
Barmherzigkeit nötig, die in diesem Werk die Schuld erlasse, wie dein Gebet
[Vaterunser] lehrt, dass ist hier schlechterdings inhaltsleer, sondern nur
Gerechtigkeit, die dasselbe kröne.“
Schauderst
und schwitzt du nicht, Latomus? Es ist gewiss, dass
all dieses von einem solchen Werktreiber gesagt werden könne, ja müsse, weil
man die Wahrheit sagen muss, zumal vor Gott, denn nicht einmal um Gottes willen
darf man lügen. Aber die Wahrheit ist, dass ein Werk, das ohne Sünde ist, des
Lobes würdig, der Barmherzigkeit aber nicht bedürftig ist, das Gericht Gottes
nicht fürchtet, ja schon auf das Werk selbst und das erhaltene Geschenk der
Gnade vertrauen und hoffen darf, weil wir etwas haben, das wir sogar Gott
selbst und seinem Gericht und seiner Wahrheit entgegenhalten können. Daher
müssen wir ihn auch nicht mehr fürchten und auf seine Barmherzigkeit nicht
vertrauen. Ist es nicht so, Latomus, dass dies alles
folgen und geschehen muss? Denn wenn Gott auch gute Kreaturen zerstört, so
verdammt und verwirft er sie darum nicht. So könnte er freilich auch einen
solchen Heiligen mit seinem Werk zerstören, aber er kann ihn doch nicht
verdammen oder verwerfen, denn die Wahrheit bleibt fest: Du liebst Gerechtigkeit
und hasst gottloses Wesen. [Ps. 45,8.] Und so haben wir durch die Gnade
Gottes etwas, das wir auch in diesem Leben und vor dem Gericht Gottes
entgegenhalten und sowohl seine Barmherzigkeit als sein Gericht sicher beiseite setzen können.
Und so
bleibt dann der Spruch Ps. 143,2: Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht,
denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht? Oder ist hier „kein Lebendiger“
eine Synekdoche, das ist, viele oder einige Lebendige? Aber auch Paulus spricht
1. Kor. 4,4: Ich bi mir wohl nichts bewusst (siehe da die guten Werke), aber
darin bin ich nicht gerechtfertigt. Wie nicht gerechtfertigt, da doch in
einem guten Werk Gerechtigkeit und keine Sünde sein soll? Sicherlich hast du
das Evangelium mit allen Kräften gepredigt, du hast, wie Latomus
sagt, eine Kollekte gesammelt mit allen tugendhaften Umständen, die auch von
Aristoteles gefordert werden. Sicherlich kannst du nicht leugnen, dass dies
Werk gut gewesen sei, wie bist du also darin noch ein Sünder? Oder bist du
nicht ein Sünder, da du dich darin nicht gerechtfertigt nennst? Oder lügst du
sogar, dass du dich nicht gerechtfertigt nennst, während du doch gerechtfertigt
bist? Wenn du den Latomus hörst, so solltest du nicht
sagen: Auch richte ich mich selbst nicht, der HERR ist es aber, der mich
richtet, sondern du solltest sagen: Ich richte mich selbst, weil ein gutes
Werk sein Gericht nicht fürchtet, denn es ist gerecht. Entweder also lästern
Leute wie Latomus Gottes Barmherzigkeit und Gericht
mit ihren Werken ohne Sünde, oder du, Paulus, lügst, ja lästerst auch selbst
die Wahrheit, die von ihnen gelehrt wird. Es können nicht beisammen stehen: Ich
habe ein Werk ohne Sünde; und: Darin bin ich nicht gerechtfertigt. Mache Gott
nicht ungerecht, dass ein gutes Werk ohne Sünde nicht rechtfertige. Denn was
sollte er darin verdammen? die Unvollkommenheit? Aber diese ist nicht Sünde,
sondern eine Strafe, welche die Güte [des Werkes] vermehrt, dass es vielleicht
sogar besser ist, viele dergleichen Unvollkommenheiten zu haben, als wenige.
Aber du
sagst: Jeremia spricht Kap. 17,16: Aber ich bin drum nicht von dir geflohen,
mein Hirte, so hab ich Menschentage nicht begehrt, das weißt du; was ich
gepredigt habe, das ist recht vor dir und 2. Kön. 20,3 spricht Hiskia: Ach
HERR, gedenke doch, dass ich vor dir treu gewandelt bin und mit rechtschaffenem
Herzen und habe getan, das dir wohlgefällt. Ich antworte: Er spricht aber
nicht, dass er gerade in diesen Dingen nicht gesündigt habe, indem er fast
dieselbe Meinung wie der Apostel ausspricht: „Ich bin mir wohl nichts bewusst“,
ich habe getan, was dir wohlgefiel und alles, was mir geboten wurde, aber
hierin bin ich nicht gerechtfertigt. Er spricht nur, soweit er sich bewusst
ist. Zudem rufen die Heiligen im Psalter und überall an anderen Stellen das
Gericht Gottes an für ihre Sache gegen die Gegner. Und doch werden diejenigen,
welche vor den Menschen und ihrem Gewissen untadelig sind, vor Gott hierin
nicht gerechtfertigt, wohl aber in einem anderen, nämlich in Christus. Wenn
also der Apostel zu sagen wagt, er sei sich nichts gewusst und darin doch nicht
gerechtfertigt, um wieviel mehr sind dann Hiskia und Jeremia in dem nicht
gerechtfertigt, was sie anführen, da es viel größer und vollkommener ist, sich
nichts bewusst zu sein, als in der Wahrheit zu wandeln und zu tun, was Gott
gefällt. Denn diese können sich immer noch etwas bewusst sein, wie auch Latomus aus Hieronymus beweist.
Übrigens ist
es um das Wort eine ganz andere Sache; denn da wagt auch Paulus zu sagen, Gott
könne nicht lügen, noch sich selbst verleugnen, denn das Wort ist sein, nicht
unser, auf dem können wir mit Zuversicht stehen, auch vor ihm, und sprechen:
„ich weiß, dass du dieses nicht verdammen kannst, denn es ist gerechtfertigt in
sich selbst, es ist sich nicht einmal irgendeiner Sache bewusst, es fürchtet
dein Gericht nicht, noch sucht es Barmherzigkeit; zudem können wir es dir auch
entgegenhalten, da es dir in allem gemäß ist“ usw. Aber im Gebrauch, im Dienst
und in der Behandlung des Wortes können wir das nicht, weil hier das Unsrige
hinzukommt. Daher spricht Jeremia sehr wohl: Was ich gepredigt habe, das ist
recht vor dir. Zudem müssen wir für das Wort sterben, da wir so gewiss
sind, dass es die reine Wahrheit ist; aber wer sollte es wagen, für sein gutes
Werk, das ohne alle Fehler wäre, zu sterben? Denn auch Paulus, wenn er zu
Timotheus [s. Ep. 4,7] sprach: Ich habe einen
guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben behalten,
hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der HERR an
jenem Tag, der gerechte Richter, geben wird, sagt nicht, dass er hierin
gerechtfertigt sei, sondern redet Ähnliches wie Hiskia, unter Voraussetzung der
Barmherzigkeit, durch deren Wohltat er, da er sich nichts bewusst ist, die
Krone der Gerechtigkeit erwartet. Das tun auch alle Gläubigen, denn die Hoffnung
erwartet nicht Zorn, sondern Herrlichkeit, wie es Tit. 2,13 heißt, aber nicht
in den Werken, sondern in der Barmherzigkeit Gottes.
Wie aber?
Wenn Latomus und seine Leute hier entschlüpfen
wollten und sagen: Wir wollen nicht, dass es so geschehe, denn niemand ist
sicher, ob er ein solches Werk habe. Was höre ich? Sind wir Stoiker oder
Akademiker, dass wir nichts für gewiss halten? Wahrlich, ich glaube nicht, dass
sie so toll sind. Denn was wäre ungereimter, als gute Werke lehren und zugleich
nicht wissen, was gute werke sind, oder doch kein Beispiel zeigen können. Denn
Paulus [1. Kor. 4] zweifelt durchaus nicht, auch David nicht; denn er spricht
nicht: Ich bin zweifelhaft; sondern: Ich bin mir nichts bewusst. Und
Hiskia spricht nicht: Ich bin zweifelhaft, ob ich getan habe, was dir
wohlgefällt. Und David, Ps. 7,9, spricht nicht: Richte mich nach meinem
Zweifel; sondern: „nach meiner Gerechtigkeit, die ich habe“. Wiederum zweifelt
Paulus [1. Kor. 4] nicht, ob seine Werke in Sünde geschehen; denn er spricht
nicht: Aber hierin zweifle ich, ob ich gerechtfertigt bin; sondern so: Darin
bin ich nicht gerechtfertigt. Und David spricht nicht [Ps. 143,2]: Wer
weiß´, ob vor dir ein Lebendiger gerecht wird; sondern: Denn vor dir ist
kein Lebendiger gerecht. Denn wer würde sich zu einem guten Werk überreden lassen,
wenn er zweifeln müsste, was ein gutes Werk wäre? Wer möchte im Zweifel oder
aufs Ungewisse laufen, wie der Apostel spricht [1. Kor. 9,26] und Luftstreiche
machen wissentlich und vorbedacht? Dann würde es in #wahrheit niemals Frieden
geben, da man gute Werke haben muss, und niemand in seinem ganzen Leben wüsste,
wann er sie hätte.
Daher hat
uns Gott auf das Beste beraten, da er uns über beides gewiss machte, indem er
Gal. 5,22 lehrt, dass die guten Werke offenbar seien, dir Früchte aber des
Geistes sind Liebe, Freude, Friede usw., und Matth.
7,16: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Wiederum macht er uns
gewiss, dass sie nicht ohne Fehler und Sünde seien (damit wir nicht unsere
Zuversicht darauf setzten), so dass wir in jedem Werk nicht mit zweifelhaftem
und trügerischem Bekenntnis uns als Sünder anerkennen können und als Leute
erfunden werden, denen Barmherzigkeit widerfahren ist [Jes. 57,1, nach der
Vulgata; 1. Tim. 1,13]. Ferner, damit wir einen unfehlbaren Frieden hätten, hat
er uns sein Wort in Christus gegeben, auf welches wir uns mit Zuversicht
stützen und sicher sein könnten vor allem Bösen. Denn gegen das Wort vermögen
auch die Pforten der Hölle mit allen Sünden nichts. Dort ist der Fels unserer
Zuflucht, dort können wir auch mit Jakob gegen Gott ringen und ihn mit seinen
eigenen Verheißungen, seiner Wahrheit und mit seinem eigenen Wort (so zu sagen)
zu zwingen wagen. Denn wer will Gott und sein Wort richten? Wer will auch den
Glauben an sein Wort anklagen oder verdammen? So sollen denn auch meine Leute
wie Latomus aufhören, der Herrlichkeit Gotts einen
Makel anzuhängen, und ihr lästerliches Maul im Zügel halten, auch uns nicht den
Abgott unseres zweifelhaften und ungläubigen Werkes aufrichten, damit nicht
auch wir unsere Ehre verwandeln in das Gleichnis eines Kalbes, das da Heu
frisst [Ps. 106,20].
Am Ende ist
er unwillig, dass ihnen vorgeworfen worden sei, sie verständen nicht, was Sünde
sei nach dem Gebrauch der Schrift. Lasst uns sehen, spricht er, in der Schrift,
was Sünde sei; dann nimmt er die Sünde in vierfacher Weise, erstlich für die
Ursache der Sünde, zweitens für die Wirkungen oder Strafen derselben, drittens
das Opfer für die Sünde, viertens für die Schuld selbst, dadurch die Seele
schuldig wird. Und ich wundere mich, warum sie dieselben nicht auch fünftens
für die Belohnung der Sünde genommen haben; sodann hätte diese fruchtbaren
Unterscheider, damit wir den ganzen Aristoteles hätten, auch die Sünde an sich
und die Sünde als Zufälliges nehmen können. Wenn ich nun hier fragen wollte:
Was ist das für eine Schriftstelle, darin dieses Viergespann von Sünden dem Latomus erschienen ist? so antwortet er, Origenes und
Ambrosius nennen den Teufel Sünde und Augustinus die nach der Taufe
zurückbleibende böse Lust oder ihre Anreizung. Hieraus schließe ich, dass
Origenes, Ambrosius und Augustinus die Heilige Schrift sind, auf diese Weise
werden durch die guten Werke nicht nur die Götter vermehrt, sondern auch die
Schriften der Götter durch die Sünden. Denn was wären die Götter, wenn sie uns
nicht auch heilige Schriften geben würden? Danach leugnet er, dass der ein
Sünder genannt werde, der Sünde nach der zweiten Art hat, das heißt, böse Lust
oder deren Regung nach der Taufe.
Doch lassen
wir diese Ungeheuerlichkeiten fahren und kommen zur Sache. Hier rate ich dir,
mein lieber Leser, dass du frei und ein Christ seist, der auf keines Menschen
Wort geschworen hat, und ein beständiger Bekenner der Schrift. Wenn sie etwas
Sünde nennt, so hüte du dich, dass du dich durch niemandes Worte bewegen
lassest, da sie, die besser reden wollen, die Sünde selbst leugnen und sie bald
als eine Unvollkommenheit, bald als eine Strafe, bald als einen Mangel
bezeichnet haben wollen, wodurch sie die Worte Gottes abschwächen und
verspotten, da die Schrift nichts davon hat. Du aber glaube, dass es der
Heilige Geist wohl verstanden habe, seine Sachen mit passenden Worten
auszusprechen, so dass er der Menschenfündlein nicht
bedurfte. Denn es ist unglaublich, wie Paulus die Sophisten quält, indem er
Röm. 6,7 und 8 die nach der Taufe noch zurückgebliebene böse Lust Sünde und
nicht Strafe nennt. Wenn sie könnten, würden sie dies Wort mit viel Geld
erkaufen.
St. Hilarius
hat mit Recht dafür gehalten, dass man außer der himmlischen Vorschrift nichts
behaupten dürfe; wer dies aber versuchen würde, der verstände sie entweder
nicht oder ließe sie andere nicht verstehen, was auch diesen Leuten bei dem
Wort Sünde an dieser Stelle des Paulus widerfahren ist. Es merken aber die
Sophisten nicht, wie ungereimt und unglaubwürdig es ist, die Sünde an dieser
Stelle Strafe der Sünde zu nennen, und dass dies auf kein anderes Zeugnis der
Schrift hin gelehrt werden kann, was doch im Streit der Fall sein sollte, damit
dem Gegner der Mund gestopft würde, wie Paulus dem Titus befahl. Aber sie
können dies nicht nur nicht lehren, dass Sünde an dieser Stelle Strafe sei,
sondern obenein vermag nicht einmal die Löwener Weise, Theologie zu treiben, hier etwas, dass aus
der Schrift wenigstens auch nur Eine andere Stelle vorgebracht würde, in
welcher Sünde in ähnlicher Weise diese Strafe bezeichne, wenn er auch dieser
Stelle nicht Gewalt antäte, dass sie von einer solchen Sünde zu verstehen sei.
Da sich aber gerade hierin der Angelpunkt fast der ganzen Frage befindet und
der ganze Wirrwarr der unförmlichen Masse des Latomus
mit diesen Spielereien und Zweideutigkeiten des Wortes Sünde sich brüstet, so
müssen wir damit umgehen, die Wahrheit so zu behaupten, dass der Gegner keine
Gelegenheit mehr habe, sie zu verspotten, aber er hat sie, wen wir nicht
beweisen können durch die Schrift, dass Sünde auf diese Weise nicht
unterschieden und nicht mehrdeutig genommen werden dürfe. In Wahrheit können
weder sie noch wir dies beweisen. Darum müssen wir bei der einfachen und
beständigen Bedeutung verbleiben und nicht darüber hinausgehen, bis uns eine
klare Schriftstelle darüber hinauszugehen zwingt. Wir müssen dies darum ein
wenig höher anfangen.
Vor allem
zweifle nicht, dass Sünde in der Schrift nicht in vielfacher, sondern in einer
einzigen, ganz einfachen Weise genommen werde, und lass dir das durch die
geschwätzigen Sophisten nicht abdringen. Sünde aber ist nichts anderes als das,
was nicht nach dem Gesetz Gottes ist. Denn der Spruch steht fest Röm. 3,20: Durch
das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde, gleichwie umgekehrt durch die Sünde
Unkenntnis des Gesetzes; denn die Sünde ist Finsternis, die durch das Gesetz
erleuchtet und offenbar wird, so dass sie erkannt werden kann. Das aber
behaupten wir gern und freuen uns, dass sich die Schrift sehr häufig
grammatischer Figuren bedient, der Synekdoche[7],
der Metalepsis, der Metapher und der Hyperbel, ja, in keiner anderen Schrift
gibt es häufiger bildliche Redeweisen. So ist Himmel in der ganzen Schrift nur
ein einfaches und eindeutiges Wort, welches das obere Weltgebäude (machinam) bezeichnet; dennoch wird es Ps. 19,1 durch eine
Metapher für die Apostel gesetzt. Was die Erde als einfaches Wort bedeutet,
weiß jedermann, metaphorisch aber bezeichnet es die Gottlosen, die von Lastern
und allem Bösen zertreten werden. Sollte nun jemand behaupten wollen, dass
diese Worte nichtsdestoweniger viele Bedeutungen hätten, so antworte ich: Wenn
du so willst, so widerstreite ich nicht, aber was ist dann dies für ein
Wörterbuch, das du hast, das uns die Wörter lehren soll? da ja dergleichen
bildliche Ausdrücke in der Willkür oder, so zu sagen, im Belieben derer stehen,
die sie gebrauchen? Wie Horaz lehrt:[8]
Dixeris egregie, notum si callida verbum Reddiderit iunctura novum.
[Zu deutsch: Man kann etwas herrlich ausdrücken, wenn eine
scharfsinnige Gedankenverbindung ein bekanntes Wort zu einem neuen macht.]
Zum Beispiel: Fahne hält jedermann für ein einfaches
Wort; aber wenn ich sage Kreuzesfahne oder Fahne des Wortes, so sieht
jedermann, dass aus einem ganz bekannten Wort in trefflicher Weise ein neues
geworden ist,. und wenn jemand diese prächtigen Neubildungen zu eigenen
Bedeutungen machen wollte, was würde dabei herauskommen? Wirst du nämlich darum
in dein Wörterbuch schreiben: Fahne bedeutet bisweilen das aufgelegte Kreuz und
das gepredigte Evangelium? Persius nennt die Zwiebel mit einem Unterkleid (tunicatum) bekleidet. Ist darum so zu schreiben: Merke,
Unterkleid bedeutet eine Zwiebelschale?
Daher
gefallen mir jene hebräischen Sprachkünstler nicht, die einem Wort so viele
Bedeutungen beilegen, nach dem Vorgang jener Chaldäer Onkelos
und Jonathan, deren Beschäftigung es gewesen zu sein scheint, das, was die
Schrift mit den schönsten und zierlichsten Redebildern ausspricht, für die
Ungelehrten herauszuziehen und mit einem groben und einfachen Ausdruck
wiederzugeben. Daher sind dann in dieser Sprache jene Zweideutigkeiten ohne
Ursache entstanden und eine Art babylonischer Verwirrung der Wörter. Denn durch
die Mannigfaltigkeit werden Verstand und Gemüt außerordentlich zerstreut. Wenn
man nur eine einzige einfache Bedeutung (so oft es geschehen kann) aufgestellt
und alle anderen Bilder und verblümten Redeweisen beiseite gesetzt hätte, so
hätte man auf ruhige und leichte Art jene ganze Verwirrung beheben können.
Ferner würde man auch dem Gedächtnis und dem Verstand in außerordentlicher
Weise zu Hilfe kommen und nicht minder zugleich das Gemüt mit süßem Behagen
einnehmen. Denn ich weiß nicht, was für eine Kraft dieser bildlichen Redeweise
innewohnt, dass sie so mächtig eingeht und Eindruck macht, so dass ein jeder
Mensch von Natur gern bildlich reden hören und sprechen mag.
Klingt es
nicht viel lieblicher [Ps. 19,1]: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes,
als das: Die Apostel predigen das Wort Gottes? Und wenn Mose 5. Mose 4,9 von
den Gestirnen spricht, die nicht angebetet werden sollten: Dass du sie nicht
anbetest und ihnen dienst, welche der HERR, dein Gott, verordnet hat allen
Völkern unter dem ganzen Himmel. Wenn du das hebräische Wort in seiner
Einfachheit mit Einschluss der Metapher wiedergibst, so kannst du gewiss nichts
Süßeres, Gewaltigeres, Völligeres hören; denn so lautet es hebräisch: Welche
der HERR, dein Gott, allen Völkern unter dem Himmel zur Liebkosung gemacht hat.
Ich bitte dich, welch eine Anleitung zur Gottseligkeit? Welch eine Erregung der
Empfindungen? Welch ein Ergötzen liegt nicht in diesem Wort? Dass Gott, der
HERR, jene Gestirne des Himmels allen Völkern gegeben habe, um ihnen gleichsam
zu schmeicheln und ihnen Liebkosungen zu erweisen, damit er sie durch seine
süßeste und zarteste Güte an sich locken und durch diese sanften Wohltaten
einladen möchte zur Liebe gegen ihn, gleichwie eine Mutter ihr Kind auf ihren
Knien liebkost.
Wenn du mir
nun hier mit Doppelsinnigkeiten kommst und behauptest, dieses Wort bedeute an
dieser Stelle eigentlich er hat ausgeteilt oder, wie unser Übersetzer
[Vulgata] übersetzte er hat geschaffen, so muss ich dir zwar nachgeben,
aber wie große Lieblichkeit hast du nicht dadurch zugleich beraubt und
gleichsam aus dem Paradies auf die Erde gestoßen, indem du allzu eigentlich und
ohne Bild redest, während ich doch in dem Bild nicht weniger mit Vergnügen auch
deine Bedeutung besaß! Denn dass davon[9]
Anteil, Teil, Loss, Erbe gesagt wird, wer sieht nicht, dass das daher stammt,
dass Gott einem jeden freundlich sich erweist nach seinem Bedürfnis und seine
Liebkosungen zu unserem Anteil macht, so dass du sagen kannst: Das ist für mich
eine Liebeserweisung Gottes und mein Anteil, und daher scheint die Bedeutung
des Wortes Teilung durch eine Metalepsis herausgezogen worden zu sein. Dahin
gehört auch der Spruch 1. Mose 49,7: Ich will sie zerteilen in Jakob.
Aber Ps. 5,10 heißt es: Mit ihren Zungen heucheln sie, anstatt mit ihrer
Zunge liebkosen sie, welches das anmutige Wort beibehält. Daher hättest du das,
woraus du gleichsam drei Worte machst, teilen, liebkosen und schaffen, nach dem
Gebrauch der Verfasser, die entweder das Bild anwandten oder das Redebild aufhoben, mit größerer Anmut und Deutlichkeit in
einem einzigen Wort zusammenfassen können.
So, wenn es
5. Mose 6,7 heißt: Und du sollst sie deinen Kindern erzählen, so klingt
es stärker, wenn du [nach dem Hebräischen] gesagt hättest: Und du sollst sie
deinen Kindern einschärfen.[10]
Dass es nämlich nicht eine einfache Erzählung sein soll, beweist das Folgende: und
davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt oder auf dem Weg gehst, wenn du dich
niederlegst oder aufstehst. Willst du dagegen sagen, „einschärfen“ gehe
nicht auf Worte, sondern auf eisernes Gerät, so dass hier dies Wort im
eigentlichen Sinn „wiederholen, erzählen, eindringlich sagen“ bedeuten müsse,
so will ich dir das zugeben, aber ich will doch mehr der ersteren als der
annehmlicheren und vielleicht alleinigen Bedeutung glauben. Denn dem Nachdruck
dieses Wortes scheint auch Paulus 2. Tim. 4,2 nachgeeifert zu haben, wo er
sagt: Halte an, es sei zu rechter Zeit oder zur Unzeit; strafe, drohe,
ermahne. Was heißt das anders, als dass man das Wort Gottes beständig
treiben und einbläuen, einschärfen und im Glanz erhalten müsse? Damit nämlich
keine Menschensatzungen Eingang finden und das Wort Gottes stumpf machen und
jenes Wort des Predigers Anwendung finde [10,10]: Wenn das Eisen stumpf wird
und an der Schneide ungeschliffen bleibt, muss man’s mit Macht wieder schärfen
usw.
Und 2. Mose
32,25, wo es heißt: Da nun Mose sah, dass das Volk bloß geworden war, denn
Aaron hatte es los gemacht um der Schmach und Schande willen und hatte es bloß
unter seine Feinde gestellt [nach der Vulgata], so will ich mich nicht
hindern lassen, dasselbe besser so wiederzugeben: Und Mose sah, dass das
Volk los geworden war (denn Aaron hatte es los gemacht durch sein Geschwätz,
damit er sie fein wollte anrichten). Diesem Wort eiferte Paulus an die
Galater [5,4.11] nach und sprach: Ihr habt Christus verloren, und: Das
Ärgernis des Kreuzes hat aufgehört, das heißt, das Ärgernis ist zu Ende,
nun nicht mehr wirksam, und auch Christus ist nicht mehr in euch tätig. Ebenso
hatte es hier Aaron mit seinem Kalb dahin gebracht bei dem Volk, dass es weder
von Gott getrieben wurde, noch Gott in ihm wirkte, sondern, los von allen
göttlichen Werken, war es angerichtet zum Ruhm der eigenen Gerechtigkeit. Fasse
ich in diesem Wort nicht schön zusammen nicht nur die Blöße selbst, sondern
auch, was sie sei und anzeige? Dass es nämlich kommen werde, wie auch Aaron
getan hatte, dass die Priester das Volk vom Gesetz Gottes abziehen und, wenn es
nun los von den göttlichen Wirkungen wäre, es in ihren [der Priester] eigenen
Werken anrichten würden; wie auch Paulus spricht [Gal. 6,13]: Sie wollen,
dass ihr euch beschneiden lasst, auf dass sich von eurem Fleisch rühmen können.
Denn diesen Ruhm tastet Mose an, wenn er sagt, das Volk sein von Aaron lose
gemacht worden und doch zu seiner Schande angerichtet, auf dass er damit selbst
gebrandmarkt würde, da auf sein Betreiben das Volk so geworden war; was
Hieronymus ausdrückt: „um der Schande des Schmutzes willen und hatte es bloß
unter die Feinde gestellt“, was doch weder auf die Sache noch auf den Wortlaut
Bezug hat, man wollte denn alles zweideutig machen, was ich nicht verwehren
will. Von diesem Wort[11]
hat der König von Ägypten den Namen Pharao, weil er der König eines solchen
Volkes ist, das los von den Werken Gottes und nur in seinen eigenen Werken
tätig war.
Nun noch
eins. In Psalm 119 wird häufig das Wort „nachdenken“ wiederholt; so. z.B. [V.
24]: Deine Zeugnisse sind mein Nachdenken; und [V. 16.117]: Ich will
nachdenken deinen Rechten allezeit; und dies wird in den verschiedensten
Weisen in verschiedener Fassung ausgedrückt; doch kann ich leicht sie alle in
Eine Bedeutung zusammenfassen, nämlich was man gewöhnlich im Deutschen
ausdrückt: „freundlich zu ihm tun, fein zu ihm stellen“[12],
wie es 1. Mose 4,4 f. heißt: Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer;
aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.
Anders Spr. 8,30: Ich hatte meine Lust täglich und wiederum [V. 31]: Meine
Lust ist bei den Menschenkindern. Jes. 17,7.8: Zu der Zeit wird sich der
Mensch halten zu dem, der ihn gemacht hat, und seine Augen werden auf den
Heiligen in Israel schauen, und wird sich nicht halten zu den Götzen.
Ferner Jes. 66,12: Auf den Knien wird man euch freundlich halten;
wiederum Jes. 6,10: Und blende ihre Augen. Ich bitte dich, es mögen alle
diese Bedeutungen richtig sein, so dass ein und dasselbe Wort „nachdenken“ sich
halten, seine Lust haben, ansehen, freundlich halten, blenden und vielleicht
noch mehr bedeuten kann. Ist es aber recht, aus Einem Wort so viele zu machen,
während du doch entweder alle oder die meisten in Eine Bedeutung zusammenfassen
könntest und sie allein durch bildliche Redeweise verändern? Gott sah an
Abel, das heißt, während er dies tat, neigte er sein Gemüt zu ihm. Die
Weisheit hat ihre Lust täglich, das heißt, während sie dies tut, neigt sie
ihr Gemüt allen zu und schmeichelt sich auf gütige Weise bei den
Menschenkindern ein. So wendet sich der Mensch lieblich zu Gott, so liebkost
eine Mutter das Kind auf ihrem Schoß und heftet ihren Blick auf seinen Blick
und gebärdet sich liebkosend gegen dasselbe. So blendet er ihre Augen, indem er
macht, dass sie dieselben nun freiwillig auf ihr Bestreben richten und sie so
geschlossen werden. So sind deine Zeugnisse ein Nachdenken, indem ich
mich mit Verachtung alles anderen nur zu ihnen wende. Kurz, alle diese
Mannigfaltigkeit fasse ich dahin zusammen, dass ich mich zu den Dingen wende,
richte, zubereite, gern und von Herzen.
Dies will
ich zu dem Zweck gesagt haben, uns zu beweisen, dass die Schrift voll
bildlicher Ausdrücke ist; wir dürfen aber darum nicht ebenso viele Bedeutungen
und Wörter machen, wie bildliche Redeweisen vorhanden sind, denn wozu brauchte
man dann noch bildliche Redeweisen? Und um wieder auf meine Aufgabe
zurückzukommen, so ist Christus, da er geopfert wurde, für uns zur Sünde
gemacht, aber im bildlichen Sinn, da er in allem einem Sünder so gleich war,
wie solcher verdammt, verlassen und zu Schanden gemacht, dass er sich in nichts
von einem wahren Sünder unterschied, als dass er die Schuld und Sünde, die er
trug, nicht selbst getan hatte. So sagt er im 69. Psalm [V. 5]: Ich muss
bezahlen, das ich nicht geraubt habe; damit man nicht zweifele, er bekenne
sie als die Seinigen, so spricht er ebendaselbst [V. 10]: Die Schmach derer,
die dich schmähen, fallen auf mich; und wiederum [V. 6]: Du weißt meine
Torheit, und meine Schulden sind dir nicht verborgen. Es muss aber in der
Metapher ein Unterschied von der wirklichen Sache sein; weil Ähnlichkeit (similtudo) (wie man sagt) nicht genau dasselbe mit der
Sache (identitas) ist. Und was übertragen wird,
überträgt man nach der Ähnlichkeit (similtudinem),
sonst wäre es nicht einmal eine Übertragung. Und hierauf hat Paulus gesehen, da
er Röm. 8,3 sagte: Gott sandte seinen Sohn in der Gestalt (similtudinem) des sündigen Fleisches; und Hebr.
4,15: Er ist versucht worden allenthalben gleich wie wir (pro similtudine), doch ohne Sünde. Und in dieser
Übertragung liegt nicht nur in den Worten, sondern auch in dem Inhalt eine
Metapher. Denn in Wahrheit sind unsere Sünden von uns übertragen und auf ihn
gelegt worden, so dass ein jeder, der gerade dies glaubt, in Wahrheit keine
Sünden hat, sondern, auf Christus übertragen, sind sie in ihm verschlungen, da
sie nun nicht mehr verdammen. Gleichwie daher die bildliche Redeweise anmutiger
und kräftiger ist als die einfache und grobe, so ist auch uns die wahre Sünde
lästig und unerträglich, aber die übertragene und metaphorische überaus
angenehm und heilbringend.
Wie daher
Christus von dem Apostel, 1. Kor. 10,4, in Wahrheit der Fels genannt wird: Der
Fels aber war Christus, so ist auch Christus in Wahrheit die Sünde.
Desgleichen ist Christus die eherne Schlange, das Osterlamm [Passahlamm] und
alles, was von ihm gesagt wird; darum sagen wir jedoch nicht, dass „eherne
Schlange“ zwei Wörter sind, ebenso wenig wie „Fels“. Niemand hat je gesagt:
Osterlamm bedeutet auf eine Art ein Stück Vieh, auf eine Art Christus. Niemand
hat gesagt: Aaron bedeutet auf eine Art Christus, auf eine andere Art den Sohn Amrams. Niemand hat gesagt: David ist auf eine Art der Sohn
Isais, auf eine andere Art Christus; Salomo ist auf
eine Art der Sohn Davids, auf eine andere Art Christus. Und doch sagen wir mit
Wahrheit: Christus ist David, Salomo, Aaron und alle jene Vorbilder des Alten
Testaments. Und wegen dieses Christus, der zur Sünde gemacht ist, wird auch was
ihm ähnlich ist (sua similtudo) Sünde genannt,
nämlich das Opfer des Alten Testaments, so dass nicht die Verschiedenheit,
sondern die Ähnlichkeit mit der Sünde in allem bleibt, welche zu bildlichen
Redeweisen Anlass gibt und das Wort gemeinsam macht. Jene aber behandeln das
Wort Sünde so, dass ihre vier Arten ungleicher sind als Himmel und Erde. Durch
diese Ungleichheit wird der Verstand abgestumpft, die Seele verwirrt und die
ganze Gnade zugrunde gerichtet, sowohl dem Wort als der Sache nach. In dieser
Weise spricht Paulus, wenn er Röm. 8,3 von der Sünde handelt: Und verdammte
die Sünde im Fleisch durch Sünde, das heißt, durch jene Sünde, dazu er
Christus gemacht hat; da unsere Sünde auf ihn übertragen wurde, verdammte er
unsere Sünde; worüber wir jetzt sehen wollen.
Wir sagen
also, dass die Sophisten in Wahrheit nicht wissen, was Sünde nach dem
Sprachgebrauch der Schrift sei. Denn indem sie es eine strafe nennen, erträumen
sie sich darunter etwas, was von Sünde ganz verschieden ist, was die Schrift
nicht tut; denn wie gesagt, Christus war der Sünde in allem ähnlich, nur dass
er keine Sünde getan hat. Denn all das Übel, was nach der Tat der Sünde in uns
ist, nämlich Furcht vor dem Tod und der Hölle, fühlte und trug Christus; jenes
ihr Fündlein aber von einer Anklage (reatus) und Zurechnung zur Strafe verstehen sie selbst
nicht. Christus fühlte nämlich jene Zurechnung und war gleich dem, welchem in
dieser Weise zugerechnet wird, obwohl ohne Schuld. Was ist aber für eine
Zurechnung, die man nicht fühlen sollte? Sie ist gar nichts. Daher unterschied
sich Christus (wie gesagt) damals in nichts von dem allerletzten Sünder, der
schon den Urteilsspruch zu Tod und Hölle empfangen hat und nun verdammt werden
sollte. Jene Zurechnung war in Kraft, nur das fehlte, dass er solche Zurechnung
nicht verdient hatte und, ohne etwas getan zu haben, für uns ihr überliefert
wurde; wiewohl diese Sache mehr mit der Empfindung als mit Worten gehandelt und
erfasst werden muss. Ja, wir sagen noch weiter, die Sophisten fassen wohl
einigermaßen, was das Wesen der Sünde sei, nämlich Beleidigung Gottes und
Übertretung des Gesetzes Gottes; wie sie aber beschaffen sei, nach der
Kategorie[13] der
Größe, Beschaffenheit, Beziehung, Tätigkeit und Leiden, davon wissen sie hier
gar nichts. Darum will ich hier in der Weise davon handeln, dass ich auf alles
von Latomus Vorgebrachte nur einmal antworte, damit
das Büchlein nicht übermäßig groß werde, wenn ich alles im Einzelnen durchgehe;
denn man muss den Leser schonen.
Um also für
die Sophisten ganz grob zu reden, so wollen wir über die Sünde nach ihren
Kategorien handeln, ob sie uns vielleicht folgen könnten. Sünde ohne Metapher,
wo sie sich auch finden mag, ist in Wahrheit Sünde ihrer Natur nach, und ist
die eine nicht mehr Sünde als die andere, nach der Eigentümlichkeit des Wesens,
das mehr und minder nicht duldet. Doch eine mag größer und stärker sein als die
andere, gleichwie auch ein Wesen größer ist als das andere; denn die Fliege ist
nicht weniger ein Wesen als der Mensch, der schwache Mensch nicht weniger als
der starke. Ferner, dass sie mich nicht etwa in Worten fangen, so nehme ich
hier „Wesen“ nicht nach dem Gebrauch des Aristoteles, sondern nach dem des
Quintilian, in der Weise, dass man von einem jeden Ding in der Welt zuerst
aussagen könne, was es sei, sodann wie groß, sodann wie beschaffen, und so
fort; wie es auch Aristoteles immer beobachtet, so oft er etwas erörtert; aber
auch die Sophisten teilen jeder Kategorie ihre Wesenheit (quidditatem)
zu. Denn so muss man, wenn man von der Gerechtigkeit handeln will, nach den
Kategorien die Hauptpunkte (locos) der Rede ordnen,
zuerst, was sie sei, ihrem Wesen nach; sodann wie groß, wie beschaffen sie sei,
wem sie zukomme, womit sie umgehe, was sie leide, wo sie sei, zu welcher Zeit
sei sei, was sie habe, wie sie sich verhalte. Denn
dieses Verständnis von den Kategorien wäre meines Erachtens ungemein nützlich
für die Beredsamkeit, für das Gedächtnis, für den Verstand und für die
Erkenntnis der Dinge, wenn es recht geübt würde; allein den sophistischen
Schulen ist es gänzlich unbekannt.
Zwar diese
wesentliche Sünde (wie gesagt) verstehen die Sophisten einigermaßen; aber nach
der Taufe und nach Eingießung der Kraft Gottes ist es
so damit bewandt, dass sie noch nicht ganz nichts ist, doch ist sie zerschlagen
und unterworfen, so dass sie nun nicht mehr vermag, was sie vermochte. Was
vermochte sie aber= Sie machte uns schuldig vor Gott, plagte das Gewissen tyrannisch
und zog es von Tag zu Tag in größere Übel. Sie war in Größe, Beschaffenheit und
Tätigkeit mächtig, herrschte in Ort und Zeit, denn überall und allezeit, in
allen Kräften, zu jeder Stunde behielt sie die Oberhand. Dagegen in der
Kategorie des Leidens war sie nichts; denn sie ertrug nicht die Strafe des
Gesetzes; wollte auch nicht einmal angerührt sein. Sodann hatte sie ihren Sitz
im Herzen aufgeschlagen, ihr Angesicht nach unten gewendet und eilte der Hölle
zu. Ferner war ihre Beziehung die allerschlimmste, weil sie der Gnade sich
widersetzte, ein Gegenstand des Zornes und des Grimmes Gottes. So herrschte
sie; wir dienten ihr.
Aber da das
Reich Gottes gekommen war, wurde dieses Reich geteilt, der Fürst der Welt
hinausgeworfen und das Haupt der Schlange zertreten bis auf die Hefe und einige
Überreste, welche auszurotten unsere Sache sein soll. So wurden nach dem Einzug
der Kinder Israel in das Land Kanaan geradezu alle Könige getötet und ihre
Kraft zertreten, doch es blieben noch Überreste der Jebusiter,
Kanaaniter und Amoriter zurück (wie Richter, Kap. 1, geschrieben steht), ein
natürlicher und echter Teil jener ausgerotteten Völker, aber so, dass sie
zinspflichtig und Knechte waren, nicht aber herrschten oder den Kindern Israel
gleich gewesen wären, die dann später David, als das Reich befestigt war, ganz
ausrottete. So erlangen auch wir, nachdem wir durch die Gnade der Taufe in das
Reich des Glaubens berufen worden sind, die Herrschaft über die Sünde, da alle
ihre Kräfte zerschlagen sind. Nur in den Gliedern bleiben noch Überreste, die
unwillig murren und die Art und Natur ihres ausgerotteten Geschlechtes an sich
haben, die wir durch unseren eigenen Kampf beseitigen müssen. Dies wird aber
geschehen, wenn wir unser David nach Befestigung des Reichs auf dem Stuhl
seiner Majestät sitzen wird.
Um diese
übriggebliebene Sünde dreht sich die Frage zwischen mir und den Sophisten, ob
sie in Wahrheit für Sünde zu halten sei oder nicht? Und, wie gesagt ist, sie
können nicht leugnen, dass sie von dem Apostel Sünde genannt werde, wie sie es
gerne möchten, darum nehmen sie ihre Zuflucht zu den Auslegungen und
Unterscheidungen der Väter, so dass sie es sogar dahin gebracht haben, dass das
Wort des Paulus in der ganzen Welt verstummt ist und niemand mehr da ist, der
diese Sünde mit dem Namennennt, wie Paulus sie nennt; indem sie dies als eine
ungereimte und gefährliche Benennung hinstellen, als ob der Heilige Geist nicht
vorsichtig genug gewesen sei, oder die rechten Worte nicht gewusst hätte, mit
denen er ohne Gefahr von seinen eigenen Sachen reden und uns reden lehren
sollte.
Deshalb, um
den Gebrauch des paulinischen Wortes wieder einzuführen, so wollen wir hier
alle Aussprüche aller Väter allesamt auf einen Haufen verneinen, sie mögen nun
diesen Überrecht böse Lust, Schwachheit, Strafe, Unvollkommenheit, Fehl oder
wie sie sonst noch wollen, nennen. Wir halten ihnen unseren Apostel Paulus
entgegen, das heißt den Apostel der Heiden, den so fruchtbaren Schriftsteller,
der es nicht bloß an Einer Stelle Sünde, sondern allezeit Sünde nennt, und
niemals Strafe, niemals Unvollkommenheit, niemals Schwachheit. Auch Augustinus,
obwohl er von allen am höchsten steht, war es nicht erlaubt, das Wort des
Paulus zu ändern und dafür ein anderes zu erfinden.
Wir sagen
so: Wenn sie beweisen, sei es aus der Ungereimtheit der Meinung oder aus dem
Zusammenhang, diese Sünde sei nicht wahrhaft Sünde, so wollen wir weichen und
zugeben, dass Sünde an dieser Stelle nicht Sünde, sondern Strafe bedeute, sonst
aber wollen wir nicht einmal einem Engel vom Himmel, der anders sagen würde,
weichen. Was wollt ihr mehr, ihr Sophisten? Und die Väter halte ich freilich
für entschuldigt, die, teils in der Anfechtung, teils durch Not gezwungen, fest
leugneten, dass nach der Taufe noch Sünde zurückbleibe, weil sie mit solchen
stritten, welche die Gnade geradezu leugneten. Um sie [die Gnade] darum
gebührend herauszustreichen, behaupteten sie, es würde alle Sünde weggenommen.
Und es stimmte ihre Rede sehr fein und passend mit dem Gegenstand, von dem sie
handelten, denn die Gegner stritten in Bezug auf die herrschende Sünde und
leugneten, dass diese weggenommen werde, was gottlos ist; denn in Wahrheit ist
die ganze Sünde getilgt, dass sie nun durchaus nicht mehr herrscht. Doch Augustinus
selbst nennt sie an vielen Stellen klar sowohl Fehl als auch Sünde, z.B. in dem
Brief an Hieronymus, worin er sagt, niemand habe in diesem Leben eine so große
Liebe, dass sie nicht zunehmen sollte. „Und das, was unterdes mangelt, ist ein
Fehl“, spricht er und sagt dann weiter: „Um dieses Fehls willen wird vor Gott
kein Lebendiger gerecht. Um dieses Fehls willen, wenn wir sagen würden, wir
hätten keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in
uns. Um dieses Fehls willen ist kein Gerechter auf Erden, der da Gutes tue und
nicht sündige.“ Soweit Augustinus. Hier siehst du, dass auch Augustinus diesen
Schriftspruch so verstanden habe, dass der, welcher Gutes tut, sündigt, weil er
in der noch nicht hinreichend gemehrten Liebe wirkt, die er Fehl nennt, indem
er darlegt, es fehle in einem solchen Werk nichts anderes als die völlige
Liebe. Ist das nicht klar genug?
Aber auch Latomus führt einiges aus demselben an, wo er es immer auf
dieselbe Meinung als einen Fehl bezeichnet; wiewohl ich, wie gesagt, dem
Augustinus nicht durchaus glaube, damit nicht etwa der Gegner sage, ich stütze
mich nur auf ihn, wo er zu meinen Gunsten sei. Meinetwegen mag er sich selbst
widersprechen, wie Latomus erzwingt, das verschlägt
mir nichts. Jedoch, da Latomus von diesen
Donnerschlägen auf das Haupt getroffen war, so dass er lange Zeit von Sinnen
und nicht bei sich selbst war, und sah, dass er in Luther den Augustinus
verdammt hatte, was sämtliche Sophisten vor ihrer Vermessenheit[14]
nicht sehen konnten, so dachte er, als er endlich wieder zu sich kam: Wo soll
ich tun? Es ist eine Schande, besiegt zu werden. Das will ich tun: Ich will mir
einbilden, die lateinische Sprache samt der griechischen und hebräischen sei
durch die Kraft meines Dialogs[15]
auf dem ganzen Erdkreis vertilgt, oder, wenn noch einige Überreste
zurückgeblieben sind, so will ich sagen: Gleichwie ich von dieser Sünde sage,
es sei nicht Sünde, so sei jenes nicht eine Sprache; denn der Papst hat unsere
Tat gebilligt; so wird es leicht sein, dass ich die ganze übrige Welt zwinge,
von der Löwener theologischen Fakultät die Bedeutung
der Wörter zu holen. Weil darum das Wort „Fehl“ bei Augustin so häufig
vorkommt, dass es sogar noch mehr feindlich entgegensteht als das Wort „Sünde“
bei Paulus, so haben wir verordnet und befehlen in Kraft unserer Fakultät, dass
es ein Fehl bedeuten soll, wie wir ihn wollen, nämlich eine Unvollkommenheit,
nicht etwas, was fehlt und doch nicht fehlen muss, oder etwas, was gegen das
Gesetz Gottes ginge. Wenn aber jemand anders sagen würde, der soll wissen, dass
er in die Ungnade der Bulle und in ihren Schwanz verfallen[16]
werde. Gegeben unter dem Insiegel usw.
Ich bitte
dich, mein lieber Leser, der du dich wunderst, dass ich so gegen diese
Sophisten mein Spiel treibe, ob mein Schmerz über solche unerhörte
Vermessenheit und unverschämten Ränke nicht gerecht ist? Sollte ich ihrer nicht
spotten? Da sie nicht zufrieden sind, die Schrift Gottes, die Aussprüche der
Väter, die überzeugenden Vernunftgründe zum Spott zu haben, sondern auch dazu
fortfahren, der ganzen Welt den Mund zu stopfen und geradezu alle Menschen in
Bestien zu verwandeln, als ob wir nicht einmal unsere Sprache verständen. Alle
Jahrhunderte, die ganze Welt nennt „Fehl“ auch das, was gegen die sittlichen
Tugenden ist, und der Ausdruck ist von Lastern und Tugenden ganz gebräuchlich,
auch ihr Aristoteles nennt die Sünden nicht anders als „Fehle“. Und dennoch
wagen sie es, aufzutreten, wollen unsere, ihre, göttliche und alle Dinge
leugnen und ins Angesicht aller sprechen, „Fehl“ werde nicht nur nicht gegen
die Tugenden, sondern auch nicht gegen die Gnade gesagt. Da siehe, Löwen, deine
Mordbrenner, die Feinde der Sprachen und der Wahrheit; und du, römischer
Antichrist, siehe da, deine Pflanzschulen!
Deshalb
lasst uns diese Hurenstirnen verachten und den Augustin mit Paulus verbinden;
was dieser Sünde nennt, nennt jener Fehl. Fehl aber, wissen wir, ist etwas, was
Schuld und Tadel hat und strafwürdig ist, auch in leiblichen Dingen. So sagt
die ganze lateinische Sprache. Lasst uns daher Paulus über die Sünde hören, der
Röm. 8,3 f. so spricht: Gott sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches und verdammte die Sünde im Fleisch
durch Sünde, auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllt
würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist.
Was heißt das: die Sünde wird verdammt durch Sünde? Wir haben gesagt, Christus
sei für uns zur Sünde gemacht worden, wie es 2. Kor. 5,21 heißt: Er hat den,
der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in
ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Hier setzt er an beiden Stellen
beiderlei Art Sünde: die metaphorische oder allegorische ist Christus; eine
Sünde, durch die er unsere wirkliche Sünde verdammte. Denn dass unsere Sünde
weggenommen wird, wem haben dies anders zu verdanken als Christus, der für uns
zur Sünde gemacht ist; durchaus nicht unseren Kräften oder Verdiensten, sondern
der Sünde Gottes, das heißt, dem, welchen Gott zur Sünde gemacht hat? Ich frage
nun, warum hat er nicht gesagt: „er vertilgte die Sünde“, sondern setzt
vorsichtig: er verdammte die Sünde? Denn wir glauben nicht dem Löwener Sophisten, es habe dem Paulus an den Worten
gefehlt, der ein auserwähltes Rüstzeug sein sollte, von dem vorhergesehen war,
dass er auch in den auserwählten und eigentlichen Worten reden würde. Wer ist
denn verdammt? Sodann fügt er hinzu: „im Fleisch“, womit er geradezu behauptet,
es sei Sünde im Fleisch oder verdammt. Verdammt ist ja doch der, der nicht bei
Straßenraub oder schlimmen Verbrechen ergriffen, nicht nur gefangen und
eingekerkert wurde, sondern gerichtet und nach gefälltem Todesurteil zur
Hinrichtung geführt ist, so dass nun nichts anderes mehr mit ihm geschehen
kann, als dass er abgetan werde, wenn er auch noch nicht hingerichtet ist. Was
hat denn ein solcher Mörder für Tugend?
So ist auch
durch die Taufe die Sünde in uns gefangen, gerichtet und ganz entkräftet, so
dass sie nichts vermag, und ist der völligen Vernichtung anheim gegeben. Wer
aber dieser verdammten [Sünde] zustimmt, der verfällt dem Spruch Joh. 16,8.11: Der
Geist wird die Welt strafen um das Gericht, dass der Fürst dieser Welt
gerichtet ist. Wir müssen glauben, dass die Sünde verdammt und dies Gericht
recht sei, und es ausführen. Was sind aber diese Bande der Gefangenschaft? Jes.
11,5: Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und der Glaube der Gurt
seiner Nieren. So heißt es Ps. 68,19: Du bist in die Höhe gefahren und
hast das Gefängnis gefangen, du hast Gaben empfangen für die Menschen. Wer
weiß aber nicht, dass ein Räuber, wenn er frei ist, in gleicher Weise ein
Räuber ist, wie wenn er gefangen ist? Aber seine Macht ist erloschen, so dass
nichts schwächer ist als er, da ihm der Tod ganz nahe bevorsteht, er vermag nur
nicht, was ein Räuber gerne täte; er ist also elend, aber doch ein Räuber, denn
wenn man ihn losließe, würde er tun, was ein Räuber tut. So ist auch die Sünde
in uns nach der Taufe wirkliche Sünde, ihrer Natur nach, aber nur in ihrem
Wesen, nicht in ihrer Ausdehnung, nicht in der Beschaffenheit, nicht in der
Tätigkeit, im Leiden aber ganz und gar. Denn es ist durchaus dieselbe Regung
zum Zorn und zur Wollust in dem Gottseligen und dem Gottlosen, dieselbe vor der
Gnade und nach der Gnade; aber in der Gnade vermag sie nichts, außer der Gnade
herrscht sie. Daher spricht Paulus Röm. 8,2: Das Gesetz des Geistes, der da
lebendig macht in Christus Jesus, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde
und des Todes. Warum sagt er nicht: „hat mich freigemacht von Sünde und
Tod“? Hat uns Christus nicht freigemacht zugleich von Sünde und Tod? Aber er
[Paulus] redet von dem eigentlichen Werk des Gesetzes des Geistes, welches das
ausrichten soll, was Christus verdient hat. Christus hat allerdings alle auf
einmal losgesprochen und befreit von Sünde und Tod, indem er uns das Gesetz
des Geistes, der da lebendig macht verdient hat. Was hat also dieser Geist
des Lebens getan? Er hat uns noch nicht vom Tod, er hat uns noch nicht von der
Sünde befreit; aber er wird uns einmal davon frei machen; denn noch müssen wir
sterben, noch in Sünden uns abmühen. Aber vom Gesetz der Sünde und des Todes
hat er uns frei gemacht, das heißt, von dem Reich und der Tyrannei der Sünde
und des Todes, so dass zwar Sünde vorhanden ist, aber die Herrschaft verloren
hat und nichts vermag; und der Tod zwar noch bevorsteht, aber da er den Stachel
verloren hat, nun nicht mehr schaden noch schrecken kann. Siehe also schon zwei
Stellen, darin Paulus das nach der Taufe zurückgebliebene Böse Sünde nennt.
Daher
befiehlt Paulus Röm. 8,13 und Kol. 3,5, die Glieder zu töten, die auf Erden
sind, Zorn, schändliche Lust, Geiz und dergleichen, indem er sich klarer Worte
bedient, und sie nu nicht mehr bloß Sünde nennt, sondern mit ihren eigenen
Namen: Zorn, schändliche Brunst, Geiz. Aber es werden uns diese neuen
Sprachforscher einreden, es seien nicht Namen von Lastern und Sünden; denn der
Apostel schreibe den Heiligen und Gläubigen. Sie mögen sich daher einbilden,
schändliche Brunst sei an dieser Stelle nicht ein Laster, sondern eine Strafe
der Sünde und eine gewisse Unvollkommenheit, nicht gegen das Gesetz Gottes. War
sie nicht auch vor der Taufe eine Strafe der Sünde? Oder hat hier allein die
Zurechnung die Sache und das Wesen verändert? Sie werden darum nötig haben,
fast den ganzen Paulus mit neuen Wörtern zu füllen und die alten ursprünglichen
auszukratzen. So Röm. 6,12: So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem
sterblichen Leib, ihr Gehorsam zu leisten in seinen Lüsten. Was hätte
klarer gesagt werden können? die Sünde ist in dem Leib, und die Lust zu
derselben, aber man soll dafür sorgen, dass sie nicht herrsche. Hier ist schon
die dritte Stelle. Die vierte ist ebendaselbst [V. 14]: Denn die Sünde wird
nicht herrschen können über euch, da ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern
unter der Gnade. Siehe, er schreibt solchen, die unter der Gnade leben, und
sagt, die Sünde herrsche nicht über sie; was schlechterdings nicht von der
äußerlichen, sondern von der innerlichen verstanden werden muss. Denn wer kann
der äußerlichen widerstehen und einem anderen wehren, dass er nicht sündige?
Die fünfte Stelle ebendaselbst [V. 6]: Unser alter Mensch ist samt ihm
[Christus] gekreuzigt, auf dass der sündliche Leib
aufhöre. Unser Mensch, spricht er, ist gekreuzigt, und doch muss der sündliche Leib aufhören in denselben Leuten, in uns. In
keinem Fall will er sagen, dass er [Christus] den unvollkommenen Leib oder den
sträflichen Leib zerstöre. Siehe, da haben wir fünf deutliche Stellen, in denen
Paulus die Sünde nennt, ohne die, welche wir nicht noch aufzählen, wo er
einzelne Namen von Sünden gebraucht. Und diese Rauch verkaufenden, elenden
Menschen wollen alle diese himmlischen Donnerschläge zwingen, dass sie ihnen
weichen sollen, auf Eine erfundene, jämmerliche Erklärung hin, die sie aus
ihrem eigenen Kopf vorgebracht haben und die nicht einmal mit einer einzigen
Schriftstelle bewährt worden ist. Denn von dem siebten Kapitel, das ganz
hierher gehört, werden wir weiter unten handeln.
Was nun?
Sind wir Sünder? Vielmehr, wir sind Gerechtfertigte, aber durch die Gnade. Die
Gerechtigkeit beruht nicht auf den Formen der Beschaffenheit, sondern auf der
Barmherzigkeit Gottes. Denn in der Tat, wenn du von den Frommen die
Barmherzigkeit wegnimmst, so sind sie Sünde rund haben wahrhaftige Sünde; aber
weil sie glauben und sich unter dem Reich der Barmherzigkeit befinden, und die
Sünde verdammt ist und beständig in ihnen getötet wird, so wird sie ihnen nicht
zugerechnet. Das ist diese überaus herrliche Vergebung durch die Taufe; und
sicherlich, wenn man die Sache aufmerksam betrachtet, so ist es fast größer,
den für gerecht zu halten, der noch mit Sünden behaftet ist, als den, der ganz
rein ist. Darf man also nicht sagen, dass die Taufe nicht alle Sünden wegnehme?
In Wahrheit nimmt sie alle weg, nicht dem Wesen nach, sondern nur größtenteils
dem Wesen und die ganze [Sünde] ihren Kräften nach, zugleich nimmt sie dieselbe
auch täglich dem Wesen nach weg, damit sie vernichtet werde. Und ich bin nicht
der einzige oder erste unter den Menschen nach den Aposteln, der dies sagt. Die
Worte des Augustinus sind: „In der Taufe wird die ganze Sünde erlassen, nicht,
dass sie nicht sei, sondern dass sie nicht zugerechnet werde.“ Hörst du? Es ist
auch nach der Vergebung der Sünde noch da, aber sie wird nicht zugerechnet. Ist
dir nicht genug, dass diese unaussprechliche Barmherzigkeit Gottes dich ganz
von aller Sünde rechtfertigt und dich hält, als seist du ohne Sünde, nur dass
du fortfahren sollst, das zu töten, was von ihm schon verdammt und dem Tod nahe
gesetzt ist? Es zeige also Latomus eine Ungereimtheit
und erzwinge, dass der Apostel nicht von der wahren Sünde im eigentlichen Sinn
des Wortes zu verstehen sei. Aber, wirst du sagen, dass nicht zugerechnet
werden ist doch soviel als keine Sünde. Das ist es, was ich will, dass man
es nicht dem Wesen des Werkes, sondern der Barmherzigkeit zuschreibe, die sie
nicht zurechnet. Latomus aber setzt die Verzeihung
der Barmherzigkeit ganz beiseite und will, es ei seinem Wesen nach nicht Sünde;
das aber ist ein Gottesraub.
Hiermit,
glaube ich, ist nun verteidigt, dass jedes gute Werk Sünde sei, wenn nicht die
Barmherzigkeit verzeiht. Denn auch sie selbst können nicht leugnen, dass die
Frucht die Natur des Baums an sich trägt. Aber von dem Baum ist schon erwiesen,
dass er nicht ohne Sünde sei, wenn sie auch schon verdammt und verziehen ist;
darum ist auch sein Werk nicht ohne Sünde, obwohl sie verdammt und verziehen
ist. Hier sagt auch Augustinus im ersten Buch seiner Retractionen,
Kap. 19, wo er erörtert, ob die Gebote Gottes in diesem Leben erfüllt werden,
und schließt: „Alle Gebote Gottes werden erfüllt, wenn das, was nicht
geschieht, verziehen wird.“ Sagt er hier nicht klar, nicht durch die getanen
Werke, sondern durch die verzeihende Barmherzigkeit Gottes würden die Gebote
erfüllt? Was wird aber verziehen, wenn nicht Sünde? Es ist also klar, dass die
Sophisten sich an bloße spitzfindige Verdrehungen der Worte hängen, wenn sie
sagen, es sei nicht Sünde, und doch zugeben, es werde von Paulus Sünde genannt,
so dass du nach ihnen sagen kannst: Das gute Werk ist nicht Sünde und ist doch
das, was Sünde genannt wird. In gleicher Weise vorher von der Unmöglichkeit:
Das Gebot Gottes ist nicht unmöglich und ist doch das, was unmöglich genannt
wird; als wenn du es dem Demodocus bei Aristoteles
nachmachtest und sagtest: Die Löwener sind zwar keine
Narren, sie tun aber das, was die Narren tun, nämlich sie richten ein solches
Spiel an, dass sie die Wörter „Sünde“ und „unmöglich“ öffentlich in gar keinem
Sinn gelten lassen, aus keiner anderen Ursache, als weil sie widersprochen
haben, damit unsere Magister nicht von der Wahrheit zuschanden gemacht werden
könnten.
Und weil wir
hier von der Sünde geredet haben, so will ich den Leser voraus erinnert haben,
damit er etwas habe, was er kurz auf alle Einwände des Latomus
antworten könne. Zuerst beachte, wie Latomus in allem
einhergeht, als ob es mit der von mir behaupteten Sünde nichts sei und als ob
dieselbe schon längst überwunden sei, wie es die Art der Sophisten ist, vor dem
Sieg zu triumphieren und in der fehlerhaftesten Weise das erst zu Beweisende
als bewiesen anzunehmen. Was er daher alles in der Schrift und den Väter nur
zusammenraffen kann, worin verneint wird, dass die Gläubigen sündigen, das,
glaubt er, erhöre hierher, damit er mich überweise. Du also bediene dich auf
dies alles des Wortes des Paulus an die Römer 6,12: Lasst die Sünde nicht
herrschen in eurem sterblichen Leib, auf dass du wissest, es sei etwas
anderes, die Sünde herrscht, und etwas anderes, die Sünde wird beherrscht.
Verstehst du? Denn so kannst du auch nach der Art des Latomus
sagen, es sei etwas anderes, die Sünde wollen, und etwas anderes, die Sünde
ausführen, während es doch dieselbe Sünde ist, wie z.B. Diebstahl oder Mord.
Sprich also, wenn er mit Wollen von Zeugnissen angefahren kommt: Herr Zähler
und nicht Wäger der Zeugnisse, Ihr beweist sehr wohl, es sei nicht in den
Heiligen oder ihren Werken herrschende Sünde, aber ihr beweist nicht, dass
beherrschte Sünde nicht da sei, wie die, auf welche Paulus hinweist, wenn er
sagt: Leistet ihr nicht Gehorsam in ihren Lüsten; ihren, ihren, hört
Ihr’s, Herr Latomus? Ihren, das heißt, der Sünde, die
nicht herrschen soll im Leib und doch mit ihren Lüsten im Leib ist. Denn Luther
sagt nie von den herrschenden Sünde, dass sie in den Heiligen wäre; ihr tut
also nicht recht, dass ihr etwas anderes versprecht als ihr leistet; ihr wollt
Luther widerlegen und widerlegt irgendein Traumgebilde, das ihr gemacht habt.
Z.B., wenn
Paulus sagt 1. Kor. 7,28: Wenn eine Jungfrau freit, sündigt sich nicht; und
wenn du freist, sündigst du nicht. Dies führt Ew.
Herrlichkeit gegen Luther an und Ihr beweist nicht, dass es dasselbe ist mit
dem: Lasst die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leib; folglich
redet er von der herrschenden Sünde, was der ganze Zusammenhang beweist, weil
er von den Heiligen redet, in denen keine Sünde herrscht. Hat nicht auch
Luther, viel stärker als Ihr, nach 1. Joh. 3,9 gesagt: Wer aus Gott geboren
ist, der tut nicht Sünde und kann nicht sündigen? Denn aus Gott sein und
sündigen widerspricht einander. Die Jungfrau freit und sündigt nicht,
ist weniger als sie kann nicht sündigen. Dies drückt Paulus Röm. 6,14 so
aus: Die Sünde wird nicht herrschen können über euch, das heißt, ihr
könnt nicht sündigen, da ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der
Gnade.
Denn auch Latomus, der da sagt: Wenn eine Jungfrau freit, sündigt
sie nicht, und Luther, der da sagt: Wenn eine Jungfrau freit, kann sie
nicht sündigen, können nicht leugnen, dass eine freiende Jungfrau in der
Leistung der Pflicht des Fleisches sündigt, wie alle einstimmig erklären und
Ps. 51,7 beweist: Siehe, ich bin aus sündlichem
Samen gezeugt, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen. Wie also
sündigt die Freiende und sündigt doch nicht? Oder will Latomus
das Wort „freien“ dahin einschränken, dass es nur bei der Verlobung vor der
ehelichen Zusammenkunft gebraucht werde? Ich glaube nicht, dass er so offen
seine Sophistereien treiben wolle, doch möge er es tun. Was will er dann zu dem
Gebot sagen, das er [Paulus] daselbst vorausschickt [V. 3]: Der Mann leiste
der Frau die schuldige Freundschaft, desgleichen die Frau dem Mann? Lehrt
er denn nicht hier das Werk der Erzeugung in Sünden, von dem David spricht?
Aber der Freiende ergibt sich diesem Werk von Herzen. Aber auch Latomus sagt, die Heiligen sündigen öfter, so kann auch
eine Jungfrau freien, dass eine lässliche Sünde mitunterläuft; folglich muss
eine Jungfrau, die da freit, der Lehre des Apostels entgegen, sündigen.
Doch siehe
den kühnen Apostel [Paulus] an, der, ohne die Zustimmung der theologischen
Fakultät zu Löwen einzuholen, weiter spricht [V. 5]: Entziehe sich nicht
eins dem anderen, es sei denn aus beider Einwilligung eine Zeitlang, dass ihr
zum Beten Muße habt, und kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht
versuche um eurer Unkeuschheit willen. Was machst du, Paulus? Ohne Brief
und Siegel der theologischen Fakultät zu Löwen wagst du in den Heiligen eine
Unkeuschheit anzunehmen, und zwar in solchen, die du lehrst, sie sollen Muße
haben zum Gebet? Fürwahr, du bist ein Tatian,
Verteidiger der Kataphrygen[17],
dass du die Ehe mit der Sünde verstrickst, ja, nicht nur die Ehe, sondern die
Heiligen Gottes. Und der ganze Ballst,
den Latomus an Ungereimtheiten gegen Luther anführt,
fällt nun auf dich, und es wird so weit kommen, dass deine Bücher verbrannt
werden, dann wird nachher eine schreckliche Bulle jenen gläubigen Bebauern des Ackers des HERRN Recht geben, und Latomus wird aufstehen und in einer ausführlichen
Begründung nachweisen, dass jene Unkeuschheit keine Unkeuschheit, sondern
Schwachheit und Strafe ist. Und wenn Satan sie versucht, so versucht er sie
nicht zur Unkeuschheit, sondern zur Schwachheit. Haben sie dann aus irgendeinem
Zufall der Unkeuschheit zugestimmt, so haben sie nicht einer Sünde, sondern
einer Schwachheit und Strafe zugestimmt, und darum, wenn sie sündigen, werden
sie auch nicht sündigen. Siehe da, welch ein schändlicher Ketzer du sein wirst.
Zudem muss
es hiernach geschehen, dass sämtliche göttlichen Gebote nicht die Sünde
verboten haben, sondern die Schwachheit und Strafe der Sünde; und es wird eine
neue Theologie in die Welt kommen, dass es Sünde sei, nicht der Sünde, sondern
der Schwachheit und Strafe zuzustimmen. Und Gott wird es nicht geboten haben,
die Sünde zu meiden, sondern die Schwachheiten und Strafen der Sünde; und der
Sinn des Paulus Röm. 6,12 wird sein: So lasst nun die Strafe der Sünde nicht
herrschen in eurem Leib, ihr Gehorsam zu leisten in ihren Lüsten. Wiederum muss
Sünde sein dem zuzustimmen, was nicht sündhaft und verdammt ist. Fürwahr, ein
ganz neuer Grund der Sünde! Die Schwachheit ist weder Sünde noch verdammt, und
doch, wen du in eine Sache willigst, die weder verdammt ist noch Schuld
begründet, so hast du gesündigt!
Darum, wenn
diese Sophisten gewollt hätten, dass den frommen Seelen geraten werde, so
hätten sie alle Verdrehungen der Worte beiseite gelassen
und die Sache einfach, wie sie ist, etwa folgendermaßen, vorgelegt: Seht, meine
lieben Brüder, wir gestehen, dass gute Werke Gott gefallen und wir ganz und gar
durch sie selig werden; aber sie sind nicht so gut, dass sie ohne Sünde wären,
sondern, dass sie im Streit gegen die Sünde geschehen sind. Denn gerade darin
besteht das ganze gute Werk, dass Sünde in uns ist und wir mit uns selbst
kämpfen, dass sie nicht herrsche, und wir nicht ihren Lüsten Gehorsam leisten.
Denn obgleich die Strange des Gesetzes Gottes auch dies verlangen könnte, dass
dieser Kampf nicht in uns sei, weil er uns nicht so von Anfang geschaffen hat,
denn Gott hat den Menschen rechtschaffen gemacht; aber sie versuchen viele
Künste (spricht der weise Mann [Pred. 7,30]),
denn durch dies Übel werden wir gehindert, ganz in seinem Gesetz zu sein, und
der Teil von uns, welcher mit uns streitet, widerstrebt seinem Gesetz: Dennoch
hat er allen Barmherzigkeit und Verzeihung zugesagt, welche wenigstens diesem
Teil nicht zustimmen, sondern gegen ihn kämpfen und ihn zu vernichten suchen.
Dies Bestreben gefällt Gott, nicht weil es dessen würdig wäre, sondern weil er
Nachsicht mit uns gehabt und verheißen hat, uns anzunehmen.
Daher blähe
dich nicht auf oder werde hochmütig; du hast in dir selbst Ursache, das Gericht
und die Strenge zu fürchten und deine Zuflucht allein zur Barmherzigkeit zu
nehmen. Denn durch ihr Erbarmen, nicht durch dein Laufen, sind deine Werke gut.
Du musst also nach der Strenge des Gerichts Gottes anders von dir urteilen, als
nach der Milde der Barmherzigkeit. Und diese beiden Gesichtspunkte wirst du in
diesem Leben nicht voneinander trennen. Nach jenem sind alle deine Werke
befleckt und unrein wegen des Gott feindlichen Teils in dir; nach diesem aber
bist du ganz rein und gerecht. Und damit du dies seist, hast du das Wahrzeichen
der Taufe zum Zeugnis, darin dir in vollster Wahrheit alle Sünden vergeben
sind; vergeben, sage ich, ganz und gar, aber noch nicht alle abgetan. Denn wir
glauben ohne Zweifel, dass darin eine Vergebung aller Sünden geschehen ist;
aber wir handeln und erwarten täglich, dass auch ein Abtun und eine in jeder
Hinsicht vollkommene Vernichtung aller Sünden eintrete; und die, welche darauf
hinarbeiten, tun gute Werke. Siehe, das ist mein Glaube, weil dies der
katholische Glaube ist. Die Sophisten aber, die dies bekämpfen, gehen damit um,
dass sie uns eine Zuversicht auf Werke aufrichten, und sowohl das Werk der
göttlichen Barmherzigkeit als auch des göttlichen Gerichts abschwächen, wie von
ihnen im 10. Psalm [V. 5] gesagt wird: Deine Gerichte sind ferne von ihm.
Und darum verkehren sie auch die Furcht Gottes und unser Vertrauen; sonst wären
sie noch zu leiden und zu tragen, wenn sie uns nicht dies unser zugefallenes
Los und Hauptbollwerk der Seligkeit zu zerstören und zu verwüsten trachteten,
und in geringeren Dingen ihre Possen trieben oder unsinnig wären.
Aber, wirst
du mir einwenden, das ist deine und eine neue Unterscheidung zwischen einer
herrschenden und einer beherrschten Sünde, die nach deiner Willkür aufgestellt
ist. Ich antworte: Gesetzt, es sei so, dann verachte dieselbe, ich will nicht
über Worte streiten, mache du dir eine andere; wenigstens ist das Wort
„herrschende Sünde“ nicht meine Erfindung, sondern ein Ausspruch des Paulus.
Nenne du das, was nicht herrscht, mit welchem Namen du willst, obwohl für mich
auch der Spruch redet 1. Mose 4,7: Aber lass du ihr nicht ihren Willen,
sondern herrsche über sie. Hier ist sicherlich die Sünde als untertan
beschrieben. Aber auch die Sophisten sind gezwungen, zuzugeben, dass die
lässliche Sünde etwas anderes ist als die Todsünde. Und während sie behaupten,
die lässliche schade nicht, herrsche nicht, verdamme nicht, nennen sie dieselbe
dennoch eine ganz wahrhafte und eigentlich so genannte Sünde. Sie machen auch
aus ihr darum nicht etwa eine Sünde einer anderen Art oder Natur, weil jene
tödlich, diese lässlich sei, sondern behaupten von jeder von beiden, dass sie
eine Abweichung vom Gesetz Gottes und dem Gesetz Gottes zuwider sei. Und ich
bitte um nichts weiter, als dass sie mir erlauben, jenen Überrecht nach der
Taufe Sünde zu nennen auf dieselbe Weise, wie sie die lässliche, nämlich dass
dieser [Überrest] der Barmherzigkeit bedürfe und seiner Natur nach böse und ein
Fehl sei; wenn du darein willigst, so hast du sie [die Sünde] auch zu einer
herrschenden gemacht und ihr gedient und tödlich gesündigt. Hierin habe ich
Paulus in der schon genügend erwähnten Stelle Röm. 6,12 für mich, von dem ich
mich nicht abreißen lassen will.
Ich sage,
sie können nicht leugnen, dass nach der Taufe zwei Übel zurückbleiben, die
Sünde und die Lust zu ihr. Die Worte des Paulus sind deutlich, die Sünde, der
Zunder selbst, ist das natürliche Böse, und die Lust ist ihre Regung. Dieser,
sagt er, dürfe man nicht gehorchen, jene müsse man zerstören, „auf dass der sündliche Leib“, spricht er [V. 6] „aufhöre“. Sie mögen
also jene beiden nennen, wie es ihnen beliebt, sie sollen aber nicht leugnen,
das Paulus solches sage. Getötet und zerstört will sie Paulus haben, weil sie
zur Tötung verdammt sind, folglich sind sie böse Fehler und Sünden. Denn
Schwachheiten, vergängliche Dinge (mortalitates) und
Strafen fallen nicht unter ein Gebot, können auch nicht in unseren freien
Willen gestellt werden. Denn wer könnte den Tod und die Strafen töten als
allein Gott ohne uns? Aber über Sünden und das, was uns schuldig macht, werden
Gebote gegeben. Wenn er uns also gebietet zu töten, ihnen nicht zu gehorchen,
so versteht er durchaus nicht Strafen, nicht der Vergänglichkeit Unterworfenes,
nicht Schwachheiten, sondern Sündern. Denn was wäre das für ein Gesetz: Du
sollst der Schwäre nicht gehorchen; du sollst dem Fieber nicht gehorchen; du
sollst dem Hunger und Durst nicht gehorchen; du sollst der Blöße und den Banden
nicht gehorchen oder der bösen Lust zu einem dieser Dinge? Sind das nicht auch
Schwachheiten, Strafen, vergängliche Dinge? Sondern der Sünde, dem Sünder und
ihren Einflüsterungen, die ebenfalls Sünde sind, soll man nicht gehorchen.
Doch ist es
töricht, dass wir uns in einer so ganz offenbaren Sache mit so vielen Worten
abarbeiten, da wir den Apostel haben, der es mit klaren, ausdrücklichen Worten
als Sünde und böse Lust behauptet. Wer sich bei den Worten des Paulus nicht
beruhigt, wird der sich von den unsrigen überzeugen lassen? Lieber, was würden
sie getan haben, wenn Paulus dunkel geredet hätte und für Sünde übel oder
Schwachheit gesetzt hätte? Oder anstatt gehorchen und nicht herrschen wachen
oder sich enthalten gesagt hätte? Gleichwie Petrus spricht [1. Ep. 2,11]: Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten,
wie sichere, wie frohe Triumphe hätten sie hier gefeiert? Nun aber, da sie dem
Licht und dem Tag nicht widerstehen können, so suchen sie Wolken darüber zu
decken und am hellen Mittag eine Finsternis zu schaffen, damit Sünde nicht
Sünde sei und damit es scheine, als habe Paulus gelogen. Und selbst wenn die
Väter dafür zu lauten schienen, so darf man ihnen doch nicht anhangen, sondern
mehr dem Paulus, auch wenn sie Wahres gesagt hätten, weil sie dunkler und unkräftiger reden als Paulus. Des Paulus Worte sind zu
klar, als dass sie irgendeiner Auslegung bedürften, ja, sie werden durch jede
Auslegung mehr verdunkelt. Doch, wiewohl, wie gesagt, die Väter ebenfalls
bisweilen dieses Sünde und Fehl nennen, so reden sie doch öfter von der
herrschenden Sünde.
Darum möchte
ich unseren Sophisten, die mich mit den Aussprüchen der Väter bekämpfen, so
antworten: Ihr beweist ganz klare Worte mit dunklen und erörtert Göttliches mit
Menschlichem. Darum, weil selbst euer Aristoteles dies verboten hat,
Unbekanntes mit Unbekanntem, Dunkles mit Dunklem zu beweisen, geschweige denn
Deutliches mit Dunklem, so überführe ich euch als ungeschickte Streiter, die in
dem ganzen Handel und zu jeder Zeit nichts tun, als in der fehlerhaftesten
Weise das als Beweis aufstellen, was noch zu beweisen ist. Die Summa der
Antwort und Widerlegung Luthers gegen die Begründung des Latomus
ist die: Wenn in den angeführten Stellen des Apostels Paulus das bewiesen
werden kann, das Worte Sünde sei nicht im wahren und eigentlichen Sinn des
Wortes Sünde, so fällt Luther; kann es nicht bewiesen werden, so fällt Latomus. Aber es kann nicht bewiesen werden, außer durch
gewisse Aussprüche der Väter, die sich noch dazu widersprechen, und außerdem
menschlich sind, wenn sie sich auch nicht widersprächen; ihnen müssen die
göttlichen vorgezogen werden, ohne deren Zeugnis nichts als gewiss behauptet
werden darf: Folglich fällt Latomus und all sein Ding
dahin und Luther steht mit all dem Seinen.
Ich lobe
jedoch des Latomus Treue und Beständigkeit. Nachdem
er es einmal übernommen hatte, die Sache der hartnäckigen Sophisten zu
verteidigen, unternimmt er nichts, was der Weise und der Halsstarrigkeit eines
Sophisten unwürdig wäre, sondern zieht, verderbt, verdreht, zwingt alles
Göttliche und Menschliche, was gegen sie ist, wohin es ihm nur beliebt. Das
haben wir schon oben gesehen, da so viele Zeugnisse der Schrift beweisen, es
sei uns unmöglich, das Gebot Gottes zu erfüllen, dass es nichts Klareres geben
kann. Doch, wie die tauben Ottern, verstopfen sie dagegen ihre Ohren [Ps. 58,5]
und wenden die Augen weg, nur um dies ihr einziges Dekretlein
vor den Leuten zu erhalten, das sie einmal vorgebracht haben: „Verflucht sei,
wer da sagt, Gott habe uns Unmögliches geboten.“ Dies menschliche Wort muss
herrschen, dies müssen alle billigen, daran darf mit keiner Erklärung gerüttelt
werden. Aber die göttlichen Donnerschläge muss man verschweigen und liegen
lassen, ja, auch beliebige willkürliche Auslegungen eines jeden Buben zulassen.
Eines Menschen Wort ist heilig und ehrwürdig, Gottes Wort aber der Schändung
preisgegeben.
So auch
hier; während so viele heilige Donnerschläge bezeugen, es sei nach der Taufe
noch Sünde und böse Lust zurückgeblieben, wie sie z.B. auch Zorn, Wollust,
Geiz, Unenthaltsamkeit offenbar nennen mit solchen
Namen, womit nach aller Menschen Begriff in einer jeden Sprache Sünden und
Fehler benannt zu werden pflegen, so erheben sich dennoch diese frechen
Stirnen, halten die Ohren zu, schließen die Augen und wenden das Herz ab, nur damit
dies ihr menschliches Wort aller Ohren fülle, dies allein den Platz behaupte,
dagegen niemand auch nur mucken darf, nämlich es bleibe nach der Taufe nur noch
Strafe und Schwachheit zurück. Dem gegenüber müssen die göttlichen
Offenbarungen schweigen, dem muss Paulus weichen, dem muss auch unsere tägliche
Erfahrung und die aller Heiligen weichen. Tun sie das nicht, so sollen sie doch
eine Maske vorbinden und unter dem Ausdruck Sünde eine Unvollkommenheit und
Schwachheit vorstellen und sich hüten, dass sie sich unseren Auslegungen nicht
anbequemen. Denn auch das hat Latomus weiter oben
bekannt, dass die Heiligen vielfach sündigen (in seiner Bedeutung von Sünde)
unversehens, aus Unwissenheit und auf andere Weise, was Paulus „die Lüste der
Sünde im sterblichen Leib“ nennt, denen wir nicht gehorchen, das heißt, nicht
zustimmen sollen. Denn man kann nicht unwissend oder in Übereilung oder gegen
seinen Willen eine Zustimmung zu etwas geben; denn er hat ja gesagt, dass sie
gegen ihren Willen sündigen. Aber weil Paulus gerade dies Sünde nennt, so wird
er gezwungen, unter Sünde Strafe zu verstehen, und zwar aus keiner anderen
Ursache, als weil es der Geist und nicht ein Mensch gesagt hat, damit es ganz
im Belieben der Sophisten stehe, was Sünde und was Strafe sein muss. Lieber,
wen sollte solche mehr als moabitische
Unverschämtheit nicht entbrennen machen?
Doch du
wirst einwenden: Glaubst du also nicht den Aussprüchen der Väter? Ich antworte:
Ich soll glauben? Wer hat geboten, dass man ihnen glauben soll? Wo ist ein
Gebot Gottes von diesem Glauben? Warum haben denn sie selbst ihren Vätern nicht
geglaubt, besonders dem Augustinus, der frei sein wollte und befohlen hat, dass
alle frei sein sollten in Bezug auf die Schriften aller Menschen? Weil uns die
Sophisten eine solche Tyrannei und Gefangenschaft unserer Freiheit aufgelegt
haben, bis sie uns sogar gezwungen haben, dem zweimal verfluchten Aristoteles
nicht zu widersprechen, sondern uns ihm zu unterwerfen: Sollten wir darum auf
ewig in dieser Sklaverei verbleiben und nicht endlich einmal nach christlicher
Freiheit aufatmen und nach der Rückkehr aus diesem Babel nach unserer Schrift
seufzen? Aber es waren ja Heilige und haben die Schrift ins rechte Licht
gesetzt, sprichst du. Wer hat denn das bewiesen, dass die Schrift von ihnen
hell gemacht worden sei? Wie, wenn sie sie verfinstert hätten? Mit welchem Grund
beweist du, dass sie die Schrift hell gemacht haben? Willst du auf Löwenisch oder Kölnisch sagen: Es scheint mir so, und so
sagt man? Meinetwegen mag es ihnen so scheinen und mögen sie so sagen, aber mir
sollen sie es beweisen oder aufhören, mir ihre eitlen Worte aufzuzwingen. Mir
ist nicht geboten, ihren Träumen, sondern den Worten Gottes zu glauben. Nur
Einer ist der Meister, Christus, und die Väter sind nach der Richtschnur der
göttlichen Schrift zu prüfen, damit man erkenne, welche sie hell und welche sie
dunkel gemacht haben; wie Paulus gebot [1. Thess. 5,21]: Prüft alles und das
Gute behaltet; und 1. Kor. 14,29: Die Weissager aber lasst reden, zwei
oder drei, und die anderen lasst richten. Der, welcher alles zu prüfen
geboten hat, hat keinen Menschen ausgenommen, nicht den Augustinus, nicht den
Hieronymus, nicht den Origenes, ja, nicht einmal den Antichrist, den Papst.
Aber die
dunkle Schrift bedarf der Erklärung. Lasse sie, wo sie dunkel ist; halte sie,
wo sie klar ist. Und wer hat bewiesen, dass die Väter nicht dunkel sind?
Wiederum dein „Es scheint so“ und jener „Man sagt“? Denn was tun auch die
Väter, als dass sie die klarsten und deutlichsten Zeugnisse der Schrift suchen
und vorbringen? Arme Christen, deren Wort und Glaube noch auf Deutungen der
Menschen beruht und von ihnen Erleuchtung erwartet; das ist leichtfertig und gottlos.
Die Schrift ist allen gemeinsam, deutlich genug, soweit es zur Seligkeit
notwendig ist, auch dunkel genug für Geister, die [vorwitzig] forschen wollen.
Ein jeglicher folge seinem Beruf in diesem reichen und gemeinsamen Wort Gottes;
Menschenworte aber lasst uns entweder zurückweisen oder sie mit Urteil lesen.
Dies ist genug auf diesen Spruch, und übrig mehr als genug.
Zum Dritten
Er macht
sich an Paulus, Röm. 7. Hier bekräftigt mir Latomus
meine Meinung aufs allerstärkste und verrät, wie er nicht aus Eifer für die
Wahrheit, sondern in der Absicht, zu verderben und die Welt zu betrügen, dies
Buch geschrieben habe, bloß um die Schmach des Mordbrennens und
gottesräuberischen Urteils von sich abzuwenden. Denn wie trotzig und
halsstarrig er auch sonst ist, so geht er durch die Worte des Paulus doch so
bleich und zitternd, schweigend und vorsichtig hindurch, als habe er bei jedem
Tüttelchen gefürchtet, es könnte sich irgendein Abgrund auftun und das
armeselige Sophistlein verschlingen. Nachdem er aber
diese Gefahren überstanden hatte und in sein Feld kam, wo er freies Spiel
hatte, da rafft er die Sprüche der Väter zusammen, Als ob er es für ein Wunder
gehalten haben wollte, dass ein im Sitzen ausdauernder und müßiger Leser viel
nicht zur Sache Gehöriges zusammenflicken und anhäufen kann, vielleicht in der
Hoffnung und Absicht, mich durch die Menge abzuschrecken, dass ich nicht noch
einmal schriebe, da ein Buch von ganz unendlichem Umfang dazu gehören würde,
auf seine einzelnen Punkte zu antworten. Doch diese Hoffnung wird ihn täuschen,
denn da meine Schriftstellen bewährt worden sind, ist er gerade dadurch
niedergeworfen, so dass eine besondere Antwort auf alle einzelnen Punkte nicht
nötig ist. Die Summa der Ausflucht des Latomus also
ist diese: Das, was hier von Paulus gesagt wird, beweist nichts anderes, als
dass nach der Taufe noch eine Schwachheit zurückbleibt, welche Sünde genannt
werden mag; dass aber nichtsdestoweniger der Geist, wenn er diese Schwachheit
regiert, das Gute so wirkt, dass es nicht für eine verdammenswerte Sünde zu
achten sei, noch auch, dass darum der Mensch in einem guten Werk sündige oder
der Sünde diene.
Hier siehst
du erstlich, wie Latomus die Sache nur in die Länge
ziehen, den Leser davon abbringen und die Zeit hinbringen will, indem er eine
ganz andere Frage behandelt, als wovon die Rede ist. Er hat nämlich die Frage
von der durch die Barmherzigkeit verzeihlichen Sünde zu behandeln auf sich
genommen, denn dass ich hiervon rede, hat er selbst an mehr als Einer Stelle
bezeugt. Und bei allem und nach allem diesem Lärm von Zeugnissen kommt er zu
folgendem Schluss: Siehe, es ist keine verdammungswürdige Sünde; während er
doch so hätte schließen müssen: Siehe es ist keine Sünde, nicht einmal eine
verzeihliche, auch nicht eine solche, für welche Barmherzigkeit nötig wäre.
Gleichwie wenn du mich tadeltest, dass ich das Lachen eine lässliche Sünde
genannt hätte, und du dann, nachdem du alle deinen Geifer ausgespien und deinen
Schweiß vergeudet hättest, endlich aufatmend zu mir sagen würdest: Siehe da,
Lachen ist keine Todsünde. Auf diese Weise disputierte auch Elihu
gegen Hiob [Kap. 18]. Hältst du es aber für eine geringe Probe der Geduld,
solche Nichtswürdigkeiten, hinterlistige Ränke und
Kunstgriffe von solchen zu ertragen, die sich als Lehrmeister der ganzen Welt
aufwerfen in einer so heiligen und nötigen Sache? Ich klage jetzt nicht
darüber, dass sie nicht wissen, was Sünde sei, sondern, dass sie sich so
boshaft verstellen und sagen, sie wüssten es sehr wohl, und mit ihrer
unverschämten Lüge so viele gottselige Herzen berücken.
Doch der
schreckhafte und flüchtige Sophist macht mir Zuversicht. Ich will vor sein
Angesicht den Paulus stellen, dass er nicht entrinnen kann; ich will ihm
nachjagen und ihn ergreifen, und nicht umkehren, bis er umkomme [Ps. 18,38].
Entweder soll Latomus den Paulus oder Paulus den Latomus umbringen, der sich vergebens auf menschliche Hilfe
stützt. Ich frage also ernstlich: Ist mir, als einem christlichen Bekenner des
Evangeliums, erlaubt, das Sünde zu nennen, was der Apostel Paulus Sünde heißt?
Ich erörtere nun durchaus nicht, was die Bedeutung von Sünde sei, hierauf werde
ich später zu sprechen kommen. Ich will, dass man mir einfach darauf antworte,
ob es mir erlaubt sei, dies paulinische Wort zu gebrauchen? Ist es nicht
erlaubt, so tilge man den Paulus aus; ist es aber erlaubt, was brüllen dann die
Sophisten mit so grausamen Worten gegen mich, weil ich ein gutes Werk Sünde
genannt habe? Ist es ihnen nicht auch erlaubt, ein gutes Werk unvollkommen und
schwach zu nennen? Was nun? Werden sie mich etwa zwingen, ihre Worte zu
gebrauchen? Oder warum wollen sie nicht gezwungen sein, meine und des Paulus
Worte zu gebrauchen? Sie wollen es nicht Sünde nennen; wohl! Und ich will es
nicht Schwachheit und Unvollkommenheit nennen. „Aber die heiligen Väter haben
doch Sünde für Unvollkommenheit und Schwachheit genommen.“ Wohl! Wer will mich
aber zwingen, die Worte der Väter zu gebrauchen? Wer will mich zwingen, das
Wort des Paulus fahren zu lassen? Oder wollen sie vielleicht sagen, weil es
ungereimt und gefährlich ist? Das geht aber dann nicht gegen mich, den Luther,
sondern gegen Paulus und den Geist Christi.
Aber du
gebrauchst das Wort Sünde nicht so wie Paulus. Wer hat euch das gesagt? Der
Vergleich der Väter mit dir. Wer hat diesen Vergleich angestellt? Wir! Wer seid
denn ihr? Wer hat euch gewiss gemacht, dass ihr nicht irrt? Vielleicht, weil
die Bulle euch gebilligt hat? Ja, wer hat euch denn gewiss gemacht, dass die
Väter das Wort des Paulus richtig ausgelegt haben? Hört ihr, was murmelt ihr
da? Du siehst also, dass alles, was die Sophisten bisher vorgebracht haben, aus
ihrem eigenen Kopf hervorgeht; aber mit dir Latomus,
als dem Führer der Sophisten, habe ich besonders zu reden. Die Sache drückt
deine Schultern, denn du führt eine solche und so große Sache, wie sie weder
Cicero noch Demosthenes geführt haben. Ich klage euch vor Gott und den Menschen
an als Mordbrenner, Gottesräuber, Mörder und Verletzter der christlichen
Gottseligkeit. Meine also ja nicht, dass du noch disputieren und dein Spiel
treiben kannst; es ist eine ernste Sache, die wir führen.
Weil ihr
nämlich in der Schande ergriffen seid /den im Anfang trachtet ihr nach Ruhm,
darum beginnt schon Beschämung sein Ende zu werden), das ist die Ursache, das
ihr so brüllt, donnert, rast und mit zugehaltenen Ohren niemanden hören wollt,
sondern mit unsinnigem Geschrei nur dies aufwerft: Es ist keine Sünde, es ist
keine Sünde, es ist keine Sünde in einem guten Werk. Darum ist alles nichts,
was ich vorbringe, auslege und auseinandersetze. Nur gegen solch Wort rast ihr
so, aus keiner anderen Ursache, als weil wir es verdammt habt und fürchtet, es
könnte durch Paulus zu eurer Beschämung wieder auferweckt werden, so dass Latomus mit unglaublicher Unverschämtheit gerade dies von mir gesetzte Wort an allen Stellen für
verdammliche und Todsünde auslegt. Was doch bei Paulus nur eine Schwachheit
bezeichnen soll, das legt er mir überall mit Unterdrückung meiner eigenen
Auslegung so arg und gehässig aus wie möglich, da er sogar bekannt hat, dass
ich von einer verzeihlichen rede, indem er will, dass die Welt glaube, ich
nenne Sünde, was er selbst als Sünde angesehen wissen will, dieser ehrbare und
wahrheitsliebende Mann. Wiederum in Paulus legt er es so schwach aus, dass er
das Wort ganz aufhebt. Welch ein mächtiger Schriftsteller ist doch Latomus, der das Recht hat, die Worte zu schärfen und zu
unterdrücken, nicht nach der Absicht der Schreiber, sondern nach seinem
Belieben! Ich verspreche aber dir und der ganzen Welt, dass ich das Wort nicht
anders gebrauchen will als Paulus, wofür ich den Namen des HERRN anrufe, dass
er mir widerstehe, wenn ich es anders gebrauchen sollte. Was willst du noch
mehr? Doch das Wort selbst will ich beibehalten, aber deine und der Väter
Wörter will ich nicht, das sollst du wissen. Ich will, sage ich, Sünde nennen,
was ihr Mangel oder Unvollkommenheit nennt; willst du mich anders zwingen? Ich
mache mir nichts aus eurem noch so ungestümen Lärm, den ihr, wie ich sehe,
nicht ohne Ursache erregt damit ihr nicht unterliegen und als solche erfunden
werden könntet, die sich mutwillig in so große Schande gestürzt haben; aber das
hättet ihr vorher bedenken sollen.
Lasst uns
nun auf die Bedeutung dieses Wortes kommen. Paulus nennt das Sünde, was nach
der Taufe noch zurückbleibt; die Väter nennen es nicht Sünde, sondern
Schwachheit und Unvollkommenheit. Hier stehen wir an einem Scheideweg; ich
folge dem Paulus, du wirst den Vätern folgen. Ich nehme den Augustinus aus,
weil er es mit runden Worten wirklich einen Fehler und Ungerechtigkeit nennt.
Wir kommen
nun weiter zu der Hauptsache des Streites, nämlich, ob eine solche Sünde, oder,
wie du willst, eine solche Schwachheit ihrer Natur nach, oder allein durch die
vergebende Barmherzigkeit, nicht gegen Gott und sein Gesetz sei. Ist dies nicht
der kurze Inbegriff unseres Streites? Ich habe den Ausdruck des Paulus für
mich. Jeder weiß, was der bezeichnet, nämlich das, was seiner Natur nach gegen
Gott ist (wenn es nicht vergeben wird). Du hast, wie es dir scheint, die Väter
für dich, welche behaupten sollen, dass es seiner Natur nach nicht gegen Gott
und sein Gesetz sei. Zuerst beweist du nicht, dass dies die Meinung der Väter
sei, sondern alles, was du einführst, kann leicht von mir abgewiesen werden,
wenn ich sage, sie reden von der Sünde [nicht] außer der Barmherzigkeit. Denn
sie sagen ganz recht: Diese Sünde unter der Gnade (so würde ich nach meiner
Denkungsart sagen) beschuldige durchaus niemanden, verdamme niemanden, schade
nicht, habe durchaus nichts gemein mit der Sünde außer der Gnade. Sage ich denn
nicht auch so, Latomus? Was für ein Gottesraub ist
denn bei mir, da wir an dem Ziel zusammenkommen, dass jeder von uns beiden
behauptet, ich: Diese Sünde habe kein Böses an sich, du (wie du es nennst):
Diese Schwachheit habe kein Böses an sich. Warum wütest du so gegen mich und
beschuldigst mich so hart, da du doch aus den Vätern nichts anderes beweisen
kannst, als das, was ich gesagt habe? Aber durch Verwegenheit und Feuer werde
ich weder geschreckt noch geschmeidig gemacht, lieber Latomus.
Aber
immerhin, es mag ja unter den Vätern irgendeiner sein, den ich noch nicht
gesehen habe, denn den Augustinus, Hieronymus, Ambrosius, Gregor und Bernhard
kenne ich, so dass du mir vergebens so viele Wolken[18]
vorhältst. Aber es mag einer sein, der behauptet, dass das, was [nach der
Taufe] übrig ist, seiner Natur nach nicht gegen Gott sei, noch gegen sein
Gesetz, und der da leugnet, dass es allein durch die vergebende Barmherzigkeit
Gottes nicht gegen Gott und sein Gesetz sei. Wenn du einen solchen finden
würdest (ich hoffe aber, du werdest ihn bei dem finden, was ein Maulesel
gebiert), was hast du dann gefördert? Was ausgerichtet? Was ersiegt? Wer wird
mich gewiss machen, dass das die Meinung des Paulus sei? Oder wird es mir nicht
freistehen, an seiner [des Kirchenvaters] Meinung zu zweifeln? Darf ich nicht
so bei mir murmeln: Der Man ist zwar heilig, aber wie, wenn er ein Mensch wäre
und hier Menschliches vorbrächte? Wer weiß, ob nicht etwas anderes im Apostel
verborgen liegt, was jener nicht sieht? Zumal da Paulus es so frei und offen
Sünde nennt, der doch, wenn er gewollt hätte, ebenso hätte reden können, wie
jener redet. Wer hat ihm das Recht gegeben, uns ein Gesetz aufzulegen [und zu
fordern], dass es so verstanden werden müsse? Niemand unter euch lege ein
Gesetz auf, spricht Christus [Luk. 11,46; Matth.
23,4]. Möchtest du, o Latomus, mit dienen Sophisten
diesen Gedanken eines gottseligen Herzens zu Feuer oder Strick verdammen? Wie,
wenn er nicht anders könnte und gerechte Ursache da wäre, weil er gewiss ist,
dass Gott in Paulus rede, dessen Worte zu verehren, aber nicht zu verletzen
sind? Bei jenem [Kirchenvater] ist er nicht gewiss, ob Gott oder ein Mensch
rede.
Was sollen
wir hier tun? Du wirst sagen: Wir wollen zur Vernunft und zum gemeinen
Menschenverstand gehen. Dafür danke ich. Wir sind also in dieser Sache des
Ansehens der Menschen los. Dein Grund wird darum ein solcher sein, dass er sich
rühmt, aus einem Glaubensartikel zu fließen, nämlich, dass wir glauben, in der
Taufe werde uns die Vergebung aller Sünden geschenkt, wie Paulus an vielen
Stellen lehrt. Denn dies ist der Grund, den auch deine Väter haben, und er gefällt
mir. Aber was ist das, dass den Paulus dieser Grund so gar nichts gekümmert
hat, dass er das, was nach der Vergebung aller Sünden noch übrig ist, Sünde
nannte? Die Väter aber soll er dazu bewogen haben, dass sie die Sünde leugnen,
wie du sagst. Ihr habt eine Unterscheidung der Sünde erfunden, um jenen Grund
und das Wort des Paulus zu retten, da ihr diese beiden auf keine Weise
miteinander in Übereinstimmung bringen konntet und doch könnt ihr gerade diese
Unterscheidung mit keiner Stelle der Schrift beweisen, sondern sie ist ein
menschliches Fündlein, wie du nicht leugnen kannst,
aber (wie es euch scheint) ein notwendiges wegen des vorher angeführten
Grundes. Verhält es sich nicht so? Verstehe ich nicht deine Sachen? Und gegen
dieselben habe ich nichts aus Versehen oder Unwissenheit aufgestellt, so dass
ich dich als Magister [Lehrmeister] durchaus nicht nötig gehabt hätte.
Wenn ich nun
schon durch Erleuchtung des Heiligen Geistes eine Art gefunden haben sollte,
dass sowohl die Gewissenhaftigkeit gegen die Glaubensartikel unverletzt, als
auch Paulus zu gleicher Zeit unverletzt bliebe und nicht nötig wäre, irgendeine
gewaltsame und unerhörte Veränderung mit seinem Wort vorzunehmen, sondern
dasselbe einfach, eigentlich und auf rechte Art in der Bedeutung angenommen
würde, die es auch anderswo haben kann, dadurch aus dem Grund genuggetan würde,
der euch dringt, dem Wort allein in dieser Stelle seine rechte Bedeutung zu
nehmen, das heißt, in Paulus und außerdem nirgends in der Schrift: Wolltest du
es mir verweigern? Und wenn du es nicht annehmen wolltest, wolltest du mich
auch meiner Freude berauben, da wir in dem Inbegriff der Sachen schön überein
kämen? Aber ich würde mich von dem einfältigen Verstand der Worte Gottes nicht
abbringen lassen; wenn ich sie, ohne dem Glauben etwas abzubrechen, in gutem
Sinn verstehen könnte, so wollte ich euren menschlichen Fündlein
durchaus nicht weichen.
Du sprichst
aber: Wenn wir in der Hauptsache übereinkommen, was bringst du denn unheilige
Neuerungen in den Wörtern auf und bist mit uns nicht einig ohne Ärgernis? Ich
antworte: Weil ich lieber aus der Quelle als aus den Bächlein trinken will;
willst du mir dies wehren? Denn es sind zwei Dinge, die mir anliegen. Zuerst,
dass ich die Schrift in ihrer Kraft rein haben will, unbefleckt von aller
Menschen, auch der Heiligen Berührung, unvermischt mit allem irdischen Zusatz.
Denn ihr seid es, die unheilige Neuerungen in den Wörtern nicht vermieden habt,
wie Paulus sagt [1. Kor. 1,10], sondern habt diese heiligen Ergötzlichkeiten
Gottes mit irdischen Zutaten würzen wollen. Aber meine Seele ekelt mit Hesekiel
[Kap. 4,12.14], das Brot zu essen, das mit Menschenmist bedeckt ist; weißt du,
was das bedeutet? Zweitens, dass ihr auch dies Geheimnis der Gnade und der
Sünde nicht habt mit lauteren Worten und lauter behandeln können, ferner
dasselbe auch nicht verstehen, noch auch lieb haben, und so seid ihr kalt, blass,
traurig und träge geworden im lob und in der Liebe gegen Gott. Denn ein
menschliches Wort, welches zu dem göttlichen hinzugetan wird, ist eine Decke
über die reine Wahrheit, ja, wie ich bereits gesagt habe, ist Menschenmist, von
dem es bedeckt wird, wie der HERR im Hesekiel abbildet Es ist das Manna,
welches im goldenen Krug aufbewahrt werden muss, nicht in den Händen von
Menschen herumgeworfen und damit berührt werden.
Du wirst
sagen: Was ist denn nun diese deine Art? Ich will es mitteilen, wiewohl ich
vermute, dass es euch, die ihr nach Knoblauch und Pfeben
schmachtet und bereits an einem verdorbenen Geschmack leidet, nicht gefallen
wird. Aber mit genügt es, dass ihr diese Art nicht widerlegen könnt, sie aber
euch überführen kann, dass ihr Gottes Worte verdreht auf eine solche Meinung,
die sie an keiner anderen Stelle haben. Jedermann weiß, wie schmählich es ist,
dass man das hören muss von Christen, geschweige von Theologen.
Die
göttliche Schrift handelt von unserer Sünde auf zweifache Weise, auf eine Weise
nach dem Gesetz Gottes, auf die andere nach dem Evangelium Gottes. Dies sind
die beiden Testamente Gottes, die zu unserer Seligkeit verordnet sind, damit
wir von der Sünde befreit werden. Das Gesetz handelt von der Sünde nicht
anders, als dass es dieselbe offenbare, wie Paulus sagt Röm. 3,20: Durch das
Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde. Diese Erkenntnis lehrt zweierlei, die
Verderbtheit der Natur und den Zorn Gottes. Von der ersteren sagt [die Schrift]
Röm. 7,7: Die Sünde erkannte ich nicht, außer durch das Gesetz. Denn ich
wusste nichts von der Lust, wenn das Gesetz nicht hätte gesagt: Lass dich nicht
gelüsten. Denn jenen schändlichen Kitzel hat sie der Natur nach nicht Sünde
genannt, sondern seinen bösen Gebrauch an einem anderen Körper Wie Schändung,
Ehebruch, Hurerei; so nennt sie Zorn und Geiz nicht Sünde, sondern ihren
Gebrauch im Diebstahl, Betrug, Schmähung, Mord und ebenso in anderen Dingen.
Und ich weiß nicht, ob Sünde in der Schrift jemals für diese Werke genommen
wird, die wir Sünde nennen. Denn sie scheint fast nur den zugrunde liegenden
Sauerteig so zu nennen, der die bösen Werke und Worte als seine Früchte
hervorbringt. Denn diese Sünde offenbart das Gesetz recht eigentlich, da sie
vorher unbekannt und tot war, wie Röm. 5,13 sagt; sie liegt auch sehr lebendig
verborgen unter den scheinbaren Werken der Heuchler. Denn Paulus sagt [Röm.
11,32], dass durch die Schrift alle Menschen unter diese Sünde beschlossen sind,
obwohl nie verborgen bleiben kann, dass sie nicht ihre Früchte hervorbringe, in
dem einen auf diese, in einem anderen auf eine andere Weise. Aber du kannst
kein böses Werk anzeigen, darunter du alle Menschen beschließen könntest. Davon
anderswo mehr. Von dem anderen (nämlich dem Zorn Gottes) sagt Röm. 4,15: Das
Gesetz richtet nur Zorn an, weil es Gal. 3,10 heißt: Verflucht sei
jedermann, der nicht bleibt in allem dem, das geschrieben steht in dem Buch des
Gesetzes, dass er es tue“; und Röm. 5,12: Der Tod durch die Sünde;
und Röm. 6,23: Der Tod ist der Sünde Sold. Soweit unterrichtet uns also
das Licht des Gesetzes und lehrt uns, dass wir unter der Verderbnis und unter
dem Zorn sind, und beschließt einen jeden Menschen, dass er sowohl ein Lügner
als auch ein Kind des Zornes ist. Aber die Verderbnis hätten wir vielleicht
verachtet und uns in unserem Übel gefallen, wenn nicht das andere Übel des
Zornes uns diese Torheit vertriebe und wehrte mit Schrecken und Gefahr des
Todes und der Hölle, dass wir im ersteren Übel keinen Frieden hätten. Und der
Zorn ist für uns ein bei weitem größeres Übel als die Verderbnis, weil wir die
Strafe mehr hassen als die Schuld.
Darum
offenbart das Gesetz ein zweifaches Übel, ein innerliches und ein äußerliches;
das eine, welches wir uns selbst aufgelegt haben, die Sünde oder die Verderbnis
der Natur, das andere, welches Gott auflegt, Zorn, Tod und Fluch. Es seien
diese beiden, wenn du willst, Schuld und Strafe. Aber unter diesen Ausdrücken
haben wir die Schuld und die Strafe allzu schwach und kalt behandelt, und ich
weiß nicht, was für Beziehungen und Zurechnungen erdichtet. Wir nennen, der
Schrift gemäß, derb und voll Sünde oder Schuld oder innerliches Übel die ganze
Verderbnis der Natur, in allen Gliedern, die böse ist und zum Bösen geneigt von
Jugend auf, wie 1. Mose 6,5 und 8,21 geschrieben steht. Und dieser Zorn ist so
groß, dass das, was gut scheint, nichts nützt, z.B. Künste, Gaben, Klugheit,
Tapferkeit, Keuschheit und was es nur an natürlichen, sittlichen und
Verstandesgaben gibt, an welchen der gemeine Menschenverstand keinen Fehler
wahrnehmen könnte, so sehr, dass heutzutage auch unsere Theologen diese Dinge
unter das Gute rechnen und ihnen nichts Böses zuschreiben. Nur das, was außer
der Gnade getan werde, verdiene nicht das Himmelreich, wiederum verdiene es
doch auch weder die Hölle noch Strafe. Sie würden bereit sein, geradeaus zu
behaupten, dergleichen könne auch den Himmel verdienen, wenn sie nicht einen
gewissen Schall von der Notwendigkeit der Gnade vernommen hätten, den sie
meinen, es fehle daran nichts, was das erfordere, sondern nur das, worauf die
Gnade dringe. Sie lehren, dem Gesetz sei genuggetan, aber nicht dem Evangelium.
Sie fügen
noch hinzu, dieses Gute sei so groß, dass es Gnade verdiene nach der Billigkeit
(de congruo), und unfehlbar, und werde so ein völlig
Gutes, wenn auch nicht eigentlich verdient, doch durch eigenes Verdienst.[19]
Hierzu kommt, dass Gott selbst nicht leugnet, dass diese Dinge gut sind, wie
dies in Wahrheit nicht geleugnet werden kann, sondern er belohnt sie und
schmückt sie mit zeitlichen Wohltaten, wie Herrschaft, Vermögen, Ruhm, gutem
Ruf, Würde, Ehre, Vergnügen und dergleichen, derart, dass nicht nur die Decke
des eigenen Scheins, sondern auch der göttlichen Vergeltung zu der natürlichen
Blindheit hinzukommt, welche das wahrhaft Gute nicht kennt, so dass sie sicher
und auf das hartnäckigste darauf besteht, diese Dinge seien gut. Darüber hat
sich hauptsächlich das prophetische Amt abgearbeitet und alle Propheten sind
getötet, weil sie diese Dinge tadelten und ein wahrhafteres Gutes forderten.
Denn die Prophetie ist nichts anderes gewesen, als die verfeinerte Darlegung (expolitio) und (dass ich so sage) Praxis und Anwendung des
Gesetzes oder, wie es in den Schlussreden (syllogismis)
heißt, das Untergeordnete (subsumptio), welches
aussprechen sollte, wie ein jedes gute Werk vorfiel, ob es wahrhaft gut wäre
oder nicht recht gut. Daher lesen wir, dass in den alten Büchern vieles
verworfen wird, was wir anstaunen. Damit wehrte Gott, dass sie ihrer Meinung
nicht folgen sollten, sondern seine Stimme hören. Darum hat er ihnen immer
Propheten erweckt, welche in diesen guten Dingen (dass ich so sage) das Gesetz
in Ausübung brächten und gleichsam an Beispielen zeigten, was das Gesetz wäre.
Das Gesetz
allein zeigt daher, freilich nicht, dass diese Digne böse sind an sich, denn
sie sind Gottes Gaben, aber dass sie in bösem Gebrauch sind wegen der sehr
verborgenen Wurzelsünde (radicale peccatum),
dadurch sie auf diese Dinge vertrauten, sich darin gefielen und sich rühmten in
dem nicht wahrnehmbaren Bösen, wie noch jetzt und allezeit dieses innerlichste
Übel der Sünde tut, da man doch allein auf Gott vertrauen, ihm gefallen und
seiner sich rühmen soll, wie es Jeremia 9,23 heißt: Ein Weiser rühme sich
nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher
rühme sich nicht seines Reichtums. Denn alle diese Dinge sind gut, umsonst
ausgestreut, häufiger über Böse als über Gute, so dass der 73. Psalm [V. 2]
sich beklagt, dass er deshalb schier gestrauchelt und sein Tritt beinahe
geglitten wäre. Aber alles dies ist (wie ich gesagt habe) unter dem Horn und
dem Fluch beschlossen, und es nützt nichts, und bereitet so gar nicht zu der
Gnade nach dem, was gebührt (de congruo), dass es
vielmehr das Herz verhärtet, dass es die Gnade nicht begehrt oder für notwendig
achtet. Wied er 119. Psalm [V. 70) sagt: Ihr Herz ist geronnen wie Milch
[Vulg.] Besser im Hebräischen: Ihr Herz ist dick
wie Schmeer. Dieses Volk wird eigentlich in der Schrift der Gottlosigkeit,
des Unglaubens, des harten Nackens beschuldigt, weil sie ihren unbezähmten Sinn in diesen ansehnlichen guten Dingen nicht
demütigen, weder das Gesetz noch ihre Sünde darin erkennen konnten, sondern
immer meinten, dass sie Gott darin einen Dienst leisten vor allen anderen
wahrhaft Gerechten. Diesen wird vergebens gepredigt, diese sind die
Blutgierigen und die Falschen [Ps. 5,7; 55,24]. Kurz, das Gesetz meinen
sie, erfüllt zu haben, und sie bedürfen der Gnade nicht (wie ich gesagt habe),
außer für ein gewisses Überflüssiges, was Gott fordert. Diesen ist Mose
verhüllt, sie ertragen nicht sein glänzendes Angesicht (cornutam
faciem) [2. Mose 34,29.30.35]; in so großer Weisheit,
Gute, Gerechtigkeit, Gottesdienst wollen sie nicht böse sein, und können auch
nicht erkennen, dass sie es sind, weil sie nicht hören. Du siehst also, wie
unvergleichlich viel höher das Gesetz ist als die natürliche Vernunft, und wie
tief die Sünde stecke, deren Erkenntnis ds Gesetz
lehrt. Diese sind also alle unter dem Zorn, weil sie alle unter der Sünde sind.
Das
Evangelium dagegen behandelt die Sünde so, dass es dieselbe wegnimmt und folgt
in solcher Weise sehr schön auf das Gesetz. Denn das Gesetz führt die Sünde ein
und überschüttet uns damit durch Erkenntnis derselben. Dadurch hat es zuwege
gebracht, dass wir begehren, von ihr befreit zu werden und nach der Gnade
Verlangen trugen. Denn das Evangelium predigt und lehrt auch zweierlei,
Gerechtigkeit und die Gnade Gottes. Durch die Gerechtigkeit heilt es das
Verderben der Natur, und zwar durch die Gerechtigkeit, welche eine Gabe Gottes
ist, nämlich der Glaube an Christus, wie Röm. 3,21 sagt: Nun aber ist ohne
Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt; und wiederum Röm.
5,1: Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir
Frieden mit Gott usw. und Kap. 3,28: So halten wir es nun, dass der
Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Und
diese Gerechtigkeit, welche der Sünde entgegengesetzt ist, wird in der Schrift
insgemein für die innerste Wurzel genommen, deren Frucht die guten Werke sind.
Der Begleiter bei diesem Glauben und dieser Gerechtigkeit ist die Gnade oder
Barmherzigkeit, die Gunst Gottes, gegen den Zorn, welcher der Begleiter der
Sünde ist, so dass ein jeder, der an Christus glaubt, einen gnädigen Gott hat.
Denn wir würden in diesem Gut der Gerechtigkeit weder recht fröhlich sein, noch
würden wir dies sein Geschenk groß achten, wenn es allein wäre und uns nicht
einen gnädigen Gott machte. Gnade nehme ich hier eigentlich für Gunst Gottes,
wie es sich gebührt, nicht für eine Eigenschaft des Gemüts, wie unsere Neueren
lehren. Aber diese Gnade wirkt endlich wahrhaft Frieden des Herzens, dass der
Mensch, von seinem Verderben geheilt, auch empfindet, dass er einen gnädigen
Gott hat. Das ist’s, was die Gebeine fett macht und das Gewissen fröhlich,
sicher, unerschrocken, dass es alles wagt, alles kann, so dass es auch des
Todes spottet in diesem Vertrauen auf die Gnade Gottes.
Wie demnach
der Zorn ein größeres Übel ist als das Verderben der Sünde, so ist die Gnade
ein größeres Gut als die Gesundheit der Gerechtigkeit, von der wir gesagt
haben, dass sie aus dem Glauben herkomme. Denn jedermann (wenn es möglich wäre)
wollte lieber die Gesundheit der Gerechtigkeit entbehren als die Gnade Gottes.
Denn Vergebung der Sünden und Friede wird eigentlich der Gnade Gottes
zugeschrieben, aber dem Glauben die Heilung der Verderbnis. Denn der Glaube ist
ein innerliches Geschenk und Gut, welches der Sünde entgegengesetzt ist,
welches reinigt, und der Sauerteig im Evangelium [Matth.
13,33], der unter drei Scheffel Mehl gar verborgen ist. Aber die Gnade Gottes
ist ein äußerliches Gut, die Gunst, dem Zorm
entgegengesetzt. Diese beiden Dinge unterscheidet Röm. 5,17: Denn so um des
Einen Sünde willen der Tod geherrscht hat durch den Einen, viel mehr werden
die, so da empfangen die Fülle der Gnade und Gabe zur Gerechtigkeit herrschen
im Leben durch Einen, Jesus Christus. Die Gabe in der Gnade Eines Menschen
nennt er den Glauben an Christus (den er auch öfter eine Gabe nennt), der uns
in der Gnade Christi gegeben ist, das ist, weil er, als der allein unter allen
Menschen Angenehme und Wohlgefällige, einen gnädigen und gütigen Gott hatte, so
dass er uns diese Gabe und auch diese Gnade verdienen konnte.
Im ersten
Kapitel St. Johannes‘ [V. 17] sagt Johannes der Täufer folgendermaßen: Das
Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus
geworden; und vorher [V. 14]: voller Gnade und Wahrheit. So ist die
Wahrheit, welche von Christus auf uns fließt, der Glaube, die Gnade aber
begleitet den Glauben wegen der Gnade Christi, wie er ebendaselbst
vorausgeschickt hat [V. 16]: Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade
um Gnade. Welche Gnade? Um welche Gnade? Unsere Gnade, dass Gott uns
günstig wäre, um die Gnade Christi, durch welche er ihm günstig ist. Denn, sagt
er, das Gesetz ist durch Mose gegeben, aber die Gnade und Wahrheit ist durch
Jesus Christus geworden. Wir haben also zwei Güter des Evangeliums gegen zwei
Übel des Gesetzes, die Gabe statt der Sünde, die Gnade statt des Zorns. Daraus
folgt, dass diese zwei, Zorn und Gnade, sich so verhalten (da sie außer uns
sind), dass sie ganz und gar ausgeschüttet werden, so dass, wer unter dem Zorn ist,
ganz unter dem ganzen Zorn ist, wer unter der Gnade, ganz unter der ganzen
Gnade ist, weil #Zorn und Gnade die Person betreffen. Denn, wen Gott in die
Gnade aufnimmt, den nimmt er ganz auf, und wem er günstig ist, dem ist er ganz
günstig; wiederum, wem er zürnt, dem zürnt er ganz und gar. Denn er teilt diese
Gnade nicht, wie er die Gaben teilt; er liebt nicht das Haupt und hasst die
Füße, noch ist er der Seele günstig und hasst den Körper. Und doch schenkt er
der Seele, was er dem Leib nicht gibt, er schenkt dem Kopf, was er den Füßen
nicht gibt. So auch in der ganzen Kirche, welche in derselben Gnade Gottes
steht, wie Röm. 5,2 sagt: Durch welchen wir auch einen Zugang haben im
Glauben zu dieser Gnade, darin wir stehen usw. Verschieden und mannigfaltig
ist er in seinen Gaben. So auch umgekehrt, wem er nicht günstig ist, dem ist er
ganz und gar nicht günstig, und doch straft er ihn nicht ganz, ja, einer bleibt
durch Eine Sünde Eines Gliedes ganz unter dem Zorn, aber ein anderer bleibt
durch Eine Gabe Eines Werkes ganz unter der Gnade, damit man die Gnade, wie
gesagt, weit scheide von den Gaben, weil allein die Gnade Gottes das ewige
Leben ist [nach der Vulgata], Röm. 6,23, und allein der Zorn der ewige Tod.
Nun wollen
wir zur Sache kommen. Der Gerechte und Gläubige hat ohne Zweifel Gnade und
Gabe; die Gnade, welche ihn ganz angenehm macht, dass die Person durchaus
wohlgefällig ist, und der Zorn, bei ihr nicht mehr statt hat; die Gabe aber,
welche ihn heilt von der Sünde und seinem ganzen Verderben an Seele und Leib.
Es ist darum überaus gottlos zu sagen, dass ein Getaufter noch in Sünden sei, oder
dass nicht alle Sünden aufs völligste vergeben seien. Denn was ist da noch für
Sünde, wo günstig ist und keine Sünde wissen will, und er völlig den ganzen
Menschen annimmt und heiligt? Das ist aber nicht unserer Reinigkeit
beizulegen, wie du siehst, sondern allein der Gnade Gottes, der da günstig ist.
Alles ist durch die Gnade vergeben, aber noch nicht alles gesund durch die
Gabe. Die Gabe ist auch eingegossen, der Sauerteig ist gemischt, arbeitet, dass
er die Sünde auskehre, welche der Person schon vergeben ist, und dass er den
bösen Geist austreibe, den hinauszuwerfen er Erlaubnis hat. Indessen, während
dies geschieht, heißt es Sünde und ist wirklich in seiner Natur Sünde, nur muss
man in seiner Gnade und Gabe beharren. Die Sünde ist von sich selbst nicht
verschieden, ihrem Wesen nach, vor der Gnade und nach der Gnade, es ist aber
ein Unterschied in der Behandlung. Denn sie wird jetzt anders behandelt als
vorher. Wie wurde sie vorher behandelt? Dass sie da wäre und erkannt würde und
uns belastete; jetzt wird sie behandelt, dass sie nicht sei und hinausgeworfen
werde. Aber um deswillen ist und bleibt sie wirklich und von Natur Sünde. Ja,
es ist Undankbarkeit und Beleidigung der Gnade und Gabe Gottes, zu leugnen,
dass sie wirklich Sünde sei. Die Gnade freilich hat da keine Sünde, weil die
ganze Person wohlgefällig ist, aber die Gabe hat Sünde, weil sie ausfegt und kämpft.
Aber auch die Person ist weder wohlgefällig, noch hat sie Gnade, außer um der
Gabe willen, welche sich bemüht, auf diese Weise die Sünde auszukehren. Gott
macht nicht erdichtete, sondern wahre Sünder selig; er lehrt nicht eine
erdichtete Sünde töte, sondern wahre Sünde.
Siehe, diese
einfache und paulinische Art zu verstehen und zu reden suche ich und will ich
haben in der Behandlung der Sünde und der Gnade. Sie ist rein und lauter, wird
durchaus ohne alle Schwierigkeit gefasst, bedarf keiner Unterscheidungen und
ist wundersam lieblich und klar und eröffnet die ganze Schrift. Hier ist nicht
nötig zu sagen, Sünde werde bei Paulus für Schwachheit genommen, ja, es ist
nötig, dass sie für wahre Sünde genommen werde, damit die Gnade und Gabe Gottes
rein und der Wahrheit gemäß dargelegt werden können. Wenn jemand das leugnet,
dass es wirklich Sünde sei, der lästert die Gabe Gottes und ist undankbar. So
sage und lehre ich, dass ein jeder Mensch wisse, er habe in jedem Werk soviel
von der Sünde, wie in ihm die Sünde noch nicht hinausgeworfen ist; wie der
Baum, so die Frucht damit er sich vor Gott nicht wegen seiner Reinigkeit in sich selbst rühme, er rühme sich aber in der
Gnade und Gabe Gottes, dass er einen günstigen Gott hat, der diese Sünde nicht
zurechnet und obenein die Gabe gegeben hat, durch
welche er sie ausfege. Darum bekenne er die Wahrheit, dass, wenn er nach der
Natur des Werkes, ohne Gnade gerichtet werden sollte, er vor seinem [Gottes]
Angesicht nicht bestehen könnte, jetzt aber, weil er sich auf die Gnade stützt,
ist nichts, was ihn anklagen könnte. Ist denn dies so dunkel, wie die
ungeheuren Bände der Sophisten, die zusammengetragen sind über Sünde und Gnade?
Oder kommen nicht bereits das Wort des Paulus und der gottselige Glaube und der
Grund, welcher zu erzwingen schien, dass Sünde für Strafe genommen werden
müsse, schön überein? Was ist leichter, als zu sagen, dass Sünde entweder nach
dem Gesetz oder nach dem Evangelium behandelt werde? Wenn man sie allein nach
dem Gesetz behandelt, so ist sie Tod und Zorn, wenn allein nach dem Evangelium,
so ist sie Gnade und Leben, sie bleibt aber unter beiden wirklich und
wesentlich Sünde. Deshalb sind die Sprüche der Väter, welche leugnen, dass in
einem Gerechten Sünde sei, alle nach der Gnade zu verstehen, aber nicht nach
dem Wesen der Sünde oder nach dem Gesetz, den Christus hat uns frei gemacht,
dass wir bereits nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind.
Aber du
wirst sagen, die heiligen Väter leugnen die Sünde und du beweist nicht, dass
Sünde auf diese Weise hier genommen werden müsse. Ich antworte: Erstens, ich
verstehe und lehre doch nichts Gottloses und was sich nicht mit dem Glauben
reime. Lässt du das nicht zu? Und ich werde es noch ausführlicher beweisen.
Ferner beweise ich dies, dass Sünde in der Schrift überall so genommen wird,
wie ich es nehme, darum beweise ich kräftig, dass es so genommen werden muss,
da ohne das Beispiel der Schrift in Glaubenssachen nichts behauptet werden
darf. Danach beweist du in zweifacher Art nichts. Zuerst beweist du nicht, dass
die Väter sagen, es dürfe Sünde nicht so genommen werden, oder könne nicht so
genommen werden, wie ich es nehme, weil sie es zwar Schwachheit nennen und die
Sünde leugnen, man aber annehmen kann, sie hätten dies getan, indem sie nicht
das Wesen der Sünde im Auge gehabt haben, sondern die Gnade Gottes, und du hast
nichts, was du hier entgegensetzen kannst. Ja, wenn sie selbst aus Herzensgrund
leugneten, es sei nach seinem Wesen Sünde, so beweisen sie es doch nicht, noch
ist es ein Artikel des Glaubens, was sie meinen oder sagen, ja, sie reden
gefährlich, wenn sie ohne Vorbild der Schrift reden.
So dass
Sünde nur Schuld[20]
bedeute, beweist weder du, dass sie das wollen, noch beweisen sie, dass es so
sein müsse. Ihr habt hier das sehr dunkle Wort Schuld (reatus)
erfunden, und wollt, dass es dem Wesen nach Sünde bedeute. Aber die Schrift ist
einfacher, hat in leichter und klarer Rede nur: Verderbnis und Zorn. So beweist
du nicht, dass Vergebung aller Sünden, Abwaschung der Sünden und was sie sonst
noch von der Herrlichkeit der Taufe mit Recht sagen, dasselbe sei wie, dass
keine Sünde in ihrer Natur übrig bleibe, und sie selbst beweisen das auch
nicht. Aber dem allen steht Paulus entgegen, aber auch Petrus. Letzterer sagt
[1. Petr. 2,11]: Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche gegen die
Seele streiten, ersterer aber [Gal. 5,17]: dass die Sünde im sterblichen
Leib gegen den Geist gelüste, und sie erzwingen, dass die Aussprüche der
Väter ihr Absehen haben auf die Gnade, welche dem Getauften günstig ist, und
auf das Geschenk, welches der Sünde entgegengesetzt ist, nicht auf das Wesen
der Sünde oder auf das Geset5z. Und so, lieber Latomus,
ist alles, was du vorgebracht hast, nichtig und widerlegt, zerstreut wie Staub
vor dem Angesicht des Windes. Da nun dieser meiner Meinung die gottselige Lehre
günstig ist, die Worte der Schrift damit übereinstimmen und in ihr Einfachheit
und Lauterkeit in Worten und Sachen ist, so will ich mir das Wort Sünde nicht
nehmen lassen bei allen Menschen und allen ihren Werken in diesem Leben,
obgleich ich bekenne, dass sie nach der Gnade Gottes keine Sünde und auch kein
böses Werk haben. Wer mir nicht folgen will, der lasse es und folge anderem,
aber er soll wissen, dass sich sein Ding auf menschlichen Grund stütze, nicht
auf göttliche Zeugnisse. Ich werde nicht leiden, dass man dem Augustinus, der
den Apostel erklärt, mehr glaube als dem Apostel selbst, der die Sünde so oft
wiederholt.
Nun wollen
wir sehen, wie die Schrift zu dieser Meinung stimme.
Lukas im letzten Kapitel [24,47] sagt Christus, dass Buße und Vergebung der
Sünden in seinem Namen gepredigt werde. Warum war Vergebung der Sünden nicht
genug? Kommt hiermit nicht überein, dass Buße die Änderung der Verderbnis und
beständige Erneuerung von der Sünde ist welche der Glaube wirkt, das Geschenk
Gottes und die Vergebung? Das Geschenk der Gnade ist, dass da keine Sünde des
Zorns bleibt. Denn er lehrt nicht, dass die erdichtete Buße der Sophisten
gepredigt werden soll, welche nur eine Stunde lang dauert. So lange gepredigt
wird, so lange man lebt, muss man Buße tun und erneuert werden, damit die Sünde
ausgetrieben werde. Kannst du etwa diese beiden Dinge der Schwachheit und der Strafe
auch so anpassen? Wer würde Buße tun über seine Schwachheit5? Wer würde die
Strafe erneuern? Dasselbe besagt das Wort Johannes‘ des Täufers, welches
Christus wiederholt hat [Matt. 3,2; 4,17]: Tut Buße, das Himmelreich ist
nahe herbeigekommen. Was ist das anderes, als das Leben ändern, was der
Glaube ausrichtet, der die Sünde ausfegt, und in dem Reich Gottes sein, welches
die vergebende Gnade zuwege bringt? Denn das nennt Johannes [Matth. 3,8] rechtschaffene Früchte der Buße, wenn
die Sünde ausgekehrt wird und nicht äußerliche Werke erheuchelt werden. Hiermit
stimmt so schön das Gleichnis Matth. 13,33 vom
Sauerteig und den drei Scheffeln Mehl, dass es nichts Passenderes geben kann.
So stimmt es aber nicht, wenn du die Sünde nur Schwachheit und Strafe nennst,
ja, dann hast du es mit diesen Worten schon dunkel gemacht, dass du das
Gleichnis weder sehen noch verstehen kannst. Hierher gehört auch das Gleichnis
von dem Halbtoten, der von dem Samariter geheilt wurde, ganz und gar und in
erster Reihe. Dieser wurde nicht auf einmal gesund, er ist aber auf einmal
aufgenommen, dass er geheilt würde, indem der Levit und der Priester, die
Diener des Gesetzes, ihn zwar sahen, ihm aber nicht halfen. Das Gesetz (wie ich
gesagt habe) bringt Erkenntnis der Sünde, aber Christus macht gesund durch den
Glauben und bringt wieder zur Gnade Gottes.
Hierher
gehört Joh. 13,10: Wer gewaschen ist, der ist ganz rein, nämlich durch
die Gnade, und doch wäscht er durch den Glauben, der tätig ist, die Füße der
übriggebliebenen Sünde. Hierher gehört auch, dass wir Reben sind an Christus
[Joh. 15,2], welcher der Weinstock ist, weil wir Frucht bringen als rein in
allem, und doch reinigt der himmlische Weingärtner den Reinen, damit er mehr
Frucht bringe.
Von allem
diesem kannst du nichts reimen mit der Strafe und der Schwachheit, denn
sogleich geht der Sinn des Waschens, des Reinigens, des Heilens verloren, nur
dass man die unbestimmten erlässlichen Sünden hierher ziehen könnte. Aber das
ist ein oberflächlicher Sinn, der die Blätter beschneidet, die Wurzel aber
nicht ausschneidet. Und, wie das Gleichnis gibt, welches Latomus
eingeführt hat, eine solche Art zu heilen ist gleich dem Abscheren der Haare,
wo sie von neuem wieder wachsen. So ist aber nicht die Gabe Gottes, welche die
Wurzeln zu töten sich bemüht und nicht die Taten, sondern sie reinigt die
Person selbst, dass diese erlässlichen Sünden aufhören oder doch wenigstens in
geringerem Grad hervorsprossen. Vergebens widerstehst du den erlässlichen Sünden,
wenn du nicht die Sünde, welche der Zunder dazu ist, auslöschst, aus der jene
sprießen. Sie Sünde begehrt immer, aber du widerstehst ihrer Begierde, wen du
nicht nur ihren Regungen widerstehst, sondern sie selbst auch tötest, was
geschieht durch die Gabe des Glaubens, welche den alten Menschen der Sünde, wie
ihn der Apostel nennt, tötet, kreuzigt und mit verschiedenen Leiden übt.
Hierher passt auch das Bild, welches ich oben gebraucht habe, dass die Kinder
Israel, nachdem sie in Besitz des Landes Kanaan gekommen waren, die
Überbleibsel der Amoriter, Jebusiter und Kanaaniter
nicht ausrotteten. Diese Überbleibsel hatten keine andere Beschaffenheit, als
die Völker selbst. Aber diese unsere [Gegner] lehren, die Schwachheit und die
Strafe seien auch nicht böse, vielmehr nützlich und zu erstragen, gleich als ob
sie nicht auszufegen wäre.
Ich schließe
also, da Paulus Röm. 6,12 die Sünde in eurem sterblichen Leib, [V. 14] die
Sünde wird nicht herrschen können, [V. 6] der sündliche
Leib höre auf, Röm. 8,2 hat mich frei gemacht vom Gesetz der Sünde,
Röm. 7,13 die Sünde wirke, [V. 23] die Sünde widerstreite, die
Sünde nehme gefangen, [V. 25] dem Gesetz der Sünde dienen, 1. Kor.
7,5 Unkeuschheit, 1. Kor. 5,8 den alten Sauerteig der Bosheit und
Schalkheit, Eph. 4,22 den alten Menschen, Kol. 3,5.8 Zorn, böse
Lust, Geiz, Hebr. 12,1 die Sünde, so uns immer anklebt, – kurz, da
Paulus es überall mit dem Namen Sünde und Fehl benennt, so würde ich doch auch,
wenn er es nur Ein Mal Sünde genannt hätte, keinem
Engel weichen. Denn da er an so vielen Stellen beständig dasselbe behauptet,
wer sind denn jene Menschen, dass sie mich zwingen sollten, ihre Deuteleien in
den Text zu setzen und die Worte des Paulus auszutilgen? Ich will ihre
Meinungen nicht, und sage zuversichtlich, dass Sünde in uns sei und in allen
unseren Werken, so lange wir hier leben. Wen mich also meine Löwener vorher gehört hätten und mehr auf Gottes als der
Menschen Wort Acht gehabt hätten, so würden sie gewiss die Wahrheit reiner
erkannt haben, welche sie bewahrt hätte vor einer so entsetzlichen
Gotteslästerung, Schändung des Heiligtums, Verbrechen und Schandtat, dass sie
das Wort des Paulus nicht so verwegen verbrannt hätten. Ich stelle ihnen aber
noch die Wahl, dass sie in sich gehen, ihren Irrtum anerkennen, Gott die Ehre
geben, ihre Tollheiten bekennen, die sie mit keinem Grund schützen können, und
siehe, alles soll ihnen verziehen sein. Denn ich will sehr gern mit ihnen
Gemeinschaft haben, und ihres Bösen niemals gedenken, wie ich nicht will, dass
Gott des meinigen gedenke. Sollten sie aber in dem verharren, was ich
verwünsche, so werde ich sie sicherlich für verflucht halten. Der HERR wird ein
Einsehen haben, ob mein Bann mehr oder weniger auf sich habe, als die
abgeschmackten, blutgierigen, gottesschänderischen,
kurz, des Papsts und Roms allerwürdigsten Bullen. Amen. Hiermit glaube ich nun,
ist gebührend dargetan, verteidigt und begründet, was ich in Bezug auf diesen
Artikel in meiner Erörterung (resolutione)
beigebracht habe, welche Latomus anficht, und dass
alle Dinge des Latomus nichts sind als Unwissenheit
in der Schrift, dann auch bloße Mutmaßungen und Beweise aus zu Beweisendem.
Eins will
ich noch hinzufügen, damit ich dieser Sache mit Vernunft und Erfahrung helfe.
Ich disputiere mit Sophisten. Wir wollen von der Regel zum Beispiel kommen,
damit wir nicht Stoiker seien, welche einen solchen Mann als einen Weisen
beschrieben, wie sie ihn niemals gesehen hatten, wie auch Quintilian einen
solchen Redner zurichtet. Ich frage, ob sie es wagen, einen solchen Menschen zu
verschaffen, der von Einem guten Werk, welches er getan hat, sagen könne, dies
ist ohne Sünde, selbst auf die Weise, wie sie selbst von der Sünde reden. Ich
glaube nicht, dass sie selbst oder irgendein Mensch es wagen würden, von seinem
Werk diese Meinung zu haben. Wenn sie sagen, das könne keiner, was beschuldigen
sie mich denn so entsetzlich, da sie selbst dasselbe halten, ja, mehr sagen als
ich. Denn ich habe nichts von der erlässlichen Sünde geredet. Was ist denn
Ungereimtes daran, wenn man sagt, dass in jedem guten Werk Sünde sei, da sie
selbst zugestehen, in den meisten sei sicherlich Sünde, und in wenigen sei keine
Sünde, auch da sie ohne Beispiel, allein nach der Regel, reden? Wenn es nicht
ungereimt ist an Einem oder vielen, wie kann es ungereimt oder unmöglich sein
bei allen? Sind wir nicht so schöne Doktoren, da wir die Regel ohne Beispiel
lehren? Aber sie werden sagen: Es ist ungewiss, wessen Werk gut sei, ohne
Sünde. Was tun wir also? Führen wir die Leute aufs Ungewisse mit unseren
Lehren? Oder ist das nicht ungereimt, in der Kirche Ungewisses zu lehren? Wann
wir dann Friede in unseren Herzen sein? Was soll man inzwischen tun? Soll man
beten um Vergebung der Sünde in einem guten Werk, oder soll man es vor Gott
rühmen? Es ist Gefahr, wenn es Sünde ist, und man nicht um Vergebung bittet.
Wiederum ist Gefahr, wenn man um Vergebung bittet, wo nicht Schuld ist, oder
man doch nicht glaubt, dass Schuld da ist. Denn man würde lügen und für das
bitten, wovon man dafürhält, dass nicht dafür gebetet werden müsse, und gerade
dadurch bekennen, das Werk habe Vergebung nötig, und ihm dadurch Unrecht tun.
Soll man es in Zweifel stellen? So soll man auch Ungewisses beten, nicht nur
tun? Habt Dank, Magistri nostri, die ihr uns alles
ungewiss lasst und nicht einmal das gewiss macht, ob alles ungewiss sei.
Aber das mag
dahinfahren. Ein Beispiel dieser Regel: Ein gutes Werk ist ohne Sünde. Das
fehlt ganz in diesem Leben, weil Paulus (wie wir gesagt haben) dies nicht von
seinen Werken zu behaupten wagt, da er spricht [1. Kor. 4,4]: Ich bin mir
wohl nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt. Wir müssen
aber gewiss sein; darum hat Gott in seiner Gnade uns mit einem Menschen
versorgt, auf den wir vertrauen sollten, und nicht auf unsere Werke. Denn
obgleich er uns durch die Gabe des Glaubens gerechtfertigt hat und durch seine
Gnade uns geneigt geworden ist, so hat gewollt, dass wir uns auf Christus
stützen, damit wir nicht ohne Festigkeit wären in uns selbst und in seinen
Gaben; damit auch diese angefangene Gerechtigkeit uns nicht genügend dünke,
wenn sie nicht in der Gerechtigkeit Christi hange und aus ihm fließe; damit
auch nicht irgendein Unverständiger, nachdem er die Gabe einmal empfangen hat,
sich schon satt und sicher dünke, sondern er hat gewollt, dass wir von Tag zu
Tag mehr zu ihm [Christus] gezogen werden, nicht stehen bleiben bei dem, was
wir empfangen haben, sondern ganz in Christus verklärt würden. Denn seine
Gerechtigkeit ist gewiss und beständig, da ist kein Wanken, da ist kein Fallen,
er ist HERR aller Dinge.
So oft daher
Paulus den Glauben an Christus predigt, predigt er ihn mit wunderbarer Sorgfalt
so, dass nicht allein durch ihn und von ihm die Gerechtigkeit sei, sondern auch
zu ihm, dass er uns in sich hineinbringe und verkläre, und gleichsam ins
Verborgene setze, bis der Zorn vorübergehe. So Röm. 5,1: Nun wir denn sind
gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren
HERRN Jesus Christus. Siehe, der Glaube ist nicht genug, sondern der
Glaube, welcher sich unter die Flügel Christi verbirgt und sich seiner
Gerechtigkeit rühmt; und wiederum [V. 2]: Durch welchen wir auch einen
Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade. Wiederum lehrt er den Glauben so,
dass er ihn unter die Flügel Christi wirft; auch Kol. 1,19.20: Denn es ist
das Wohlgefallen gewesen, dass alles durch ich versöhnt würde zu ihm selbst.
Siehe: Durch ihn zu ihm. Und weiter [V. 20]: Damit, dass er Frieden machte
durch das Blut an seinem Kreuz durch sich selbst. Siehe: Durch das Blut an
seinem Kreuz durch sich selbst. Was will mit diesen Worten der Apostel anders,
als dass jener unbestimmte Glaube der Sophisten nicht genug ist, von dem man
dafürhält, dass er nach empfangener Gabe wirke? Sondern das ist erst der
Glaube, welcher dich zu einem Küchlein, Christus zur Gluckhenne macht, dass du
unter seinen Flügeln Hoffnung habest. Denn Heil ist unter desselben Flügeln,
sagt Maleachi [Kap. 4,2], damit du dich nämlich nicht stützt auf den
empfangenen Glauben, denn das heißt Hurerei treiben; sondern du sollst wissen,
dass sei Glaube, wenn du ihm anhangst, auf ihn
vermessen bist, weil er für dich heilig und gerecht ist. Siehe, dieser Glaube
ist die Gabe Gottes, welcher uns die Gnade Gottes erlangt und jene Sünde
auskehrt und uns selig und gewiss macht, nicht durch unsere, sondern Christi
Werke, dass wir bestehen und bleiben können in Ewigkeit, wie geschrieben ist
[2. Kor. 9,9]: Seine Gerechtigkeit bleibt Ewigkeit.
Du möchtest
aber sagen: Ihr scheint euch in einem Wortstreit zu drehen, da ihr in der
Hauptsache übereinkommt, und keiner von beiden behauptet, jenes Überbleibsel
nach der Taufe sei verdammlich, möge es nun Sünde sein oder Strafe. Ich
antworte: In Bezug auf den Zweck kommen wir überein, dass es nämlich
unschädlich sei; aber keineswegs über die Sache selbst. Denn sie schreiben der
Natur zu, was Gottes Gnade ist; das darf man nicht leiden. Ferner machen sie
die Menschen sicher, dass sie die Sünde nicht ausfegen. Sie vermindern auch die
Kenntnis des Geheimnisses Christi, dadurch auch das Lob und die Liebe gegen
Gott, indem sie nicht die Güte erwägen, welche sich ausbreitet über die Sünder,
dass die Gnade aufs reichste über sie ausgeschüttet ist, sondern sie machen die
Natur unschuldig. Wenn gleich nichts anderes entgegenstände, so reden sie doch
ohne Schrift, verderben auch die Lauterkeit der Schrift ohne Ursache und
verdunkeln das Verständnis der Sachen. Daher kommt’s, dass sie ihre Einfachheit
verliert und zum Ärgernis wird, welches uns gar weit von ihr abführt. So ist es
ergangen, als wir zuerst Deutungen von Menschen zuließen, als ob sie gottselig
und klarer wären als die Schrift. Endlich wurde auch für diese Deutung eine
andere Deutung gegeben, so dass bereits kein Maß noch Ziel war, die Deutungen
der Deutungen zu vermehren, und uns in die allergrößte Verwirrung der Worte zu
ziehen, bis dass wir zuletzt durchaus nichts mehr von christlichen Dingen
wussten und gar glaubten, heidnischer Wahnwitz sei unseren Sachen gleich und
nützlich.
Diese
Ärgernisse und Höhen müssen abgetan werden, und die Wege Zions, welche lang und
genug getrauert haben, müssen endlich einmal wieder betreten werden, und wir
müssen mit dem reinen Weizen der einfachen und lauteren Schrift geweidet
werden. Du siehst nämlich, dass Latomus auch hier
alles mit Menschendeutungen ungewiss macht, außer dem, was Menschen und
Philosophen sonst schon aufgebracht haben, in solchem Grad, dass er glaubt, er
dürfe auch diese Stelle des Paulus auf zweifache Weise auslegen, sowohl von dem
Menschen unter dem Gesetz, als auch von dem Menschen unter der Gnade. Aber das
heißt nichts lehren, sondern die Seelen verwirren. Die Meinung derer ist
abzuleugnen und ganz zu verwerfen, welche behaupten, dass Paulus hier von dem
Menschen unter dem Gesetz rede, da die Worte offenbar und hell sind [Röm.
7,22.25], dass er Lust habe an Gottes Gesetz und mit dem Gemüt dem Gesetz
Gottes diene. Das kann sich auf keinen Gottlosen reimen, der mit allen Kräften
dem Gesetz Gottes widerstrebt, wie er im 3. und 5. Kapitel gelehrt hatte. Mein
Rat wäre, wer die Heilige Schrift nicht in einem gewissen Sinn festhalten kann,
der bleibe davon. Es ist sicherer, mit den Laien die Schrift nicht zu wissen,
als sie ungewiss zu haben. Es ist unglaublich, wie große Beschwerden der Satan
einem Sterbenden durch dieselbe macht, wenn er sie zweideutig hat, so dass ich
glaube, die Sophisten seien dazu vom Teufel angestiftet, dass sie dieselbe
ungewiss machen sollen durch ihre Zweideutigkeiten und Spielereien.
Wir fragen
also hier: Wo ist jener Wäger der Zeugnisse, der eine Begründung liefern wollte
für unsere Inhaber der Magisterwürde zu Löwen? Behauptet er nicht selbst lauter
Ungewisses? Geht er nicht allein damit um, dass Luthers Meinung seiner
zweifelhaften Meinung zuwider sei? Aber jene, welche verdammt und verbrannt
haben, sind ganz andere Leute gewesen, nämlich solche, die da wollten, es sei
ihre ausgesprochene, gewisse und unbefehlbare
Meinung, dass nicht allein so gesagt werden könne, sondern, dass auch so gesagt
werden müsse. Und für diese Armen redet Latomus
nichts, wiewohl er versprochen hat, für sie zu reden, und so zuversichtlich
war, dass er rühmte, man müsse sich schämen, in einer so gewissen Sache Grund
und Ursache zu begehren. Aber, wie ich gesagt habe, sie haben sich nicht auf
ihre Begründung, sondern auf die Bulle verlassen, dass sie wagten
hervorzukommen, und da sie hervorkamen, nichts anderes suchten, als dass sie
die Schrift zerfleischten und der ganzen Welt das Maul schmieren mit ihrem: Man
kann so sagen. Wenn sie nur auch in Bezug auf ihr wütendes Vornehmen diese
Meinung gehabt und gesagt hätten: Es kann so verdammt und verbrannt werden,
aber wir sagen noch nicht, dass so verdammt und verbrannt werden müsse, so
würde ihr Werk ihren Worten entsprechen. Wer sieht nicht, wofür sie sich selbst
erklären? Die das als gewiss verdammt haben, wovon sie noch heute selbst
bekennen, dass sie ungewiss darüber seien. Denn obgleich die heiligen Väter
bisweilen zweifeln und verschieden sind in dem Sinn der Schrift, so haben sie
doch niemals diese Raserei hinzugefügt, dass sie das behaupteten, und
Abweichendes verdammten und verbrannten. Darum ist die Begründung noch nicht an
den Tag gekommen, welche von diesem Wäger versprochen wird. Denn damit, dass er
den Luther und seine Meinung verspottet, beweist er die seinige doch nicht,
noch widerlegt er die meinige, sondern macht beide ungewiss, da doch die
zweifache von ihm beigebrachte Auseinandersetzung nicht wahr sein kann. Daher
schließe ich, dass unsere Magister verrückt gewesen sind, als sie mich
verdammten, und nicht wussten, was sie taten. Dessen ist ihr Anwalt Latomus Zeuge, der dieses Buch um deswillen geschrieben
hat, damit der Welt dies nicht länger verborgen bliebe.
Da ich
gesagt hatte, dem Gesetz widerstreiten sei nichts anderes als sündigen; nicht
Gutes tun sei gegen das Gesetz, antwortet er: Dass Augustinus wage zu
behaupten, es sei nicht Sünde, wenn nicht die Einwilligung dabei sei. Dann fügt
er hinzu: Es sei auch nichts Verdammliches in ihnen, weil sie nicht sündigten.
Siehe den nichtswürdigen Sophisten, wie er alles fälscht! Wer sieht nicht, dass
Augustinus hier von der Todsünde rede, welche begangen wird durch Zustimmung
zur Lust zur Sünde, aber er leugnet doch nicht, dass diese Regungen erlässliche
Sünden sind. Doch erdichtet Latomus, dass dies gegen
Luther sei, nicht, weil er nicht weiß, dass ich von solcher Sünde rede, die
nicht Todsünde oder verdammlich ist, sondern weil er, von Bosheit erregt,
wünscht, dass mein Ding so verstanden werde. Und nun was für eine Dialektik des
Latomus ist das: Es ist nichts Verdammliches, weil
sie nicht sündigen, also folgt auch aus dem Gegensatz der Folge der Gegensatz
des Vordersatzes. Die erlässlich Sündigen sündigen,
so ist etwa Verdammliches an ihnen. Das heißt den Apostel Paulus auf Löwen’sche Weise auslegen. Sie behaupten, eine erlässliche
Sünde sei ohne Verdammnis, meine Sünde aber [von der ich rede] machen sie zu
einer verdammlichen.
Sie halten
es auch nicht der Mühe wert, sich zu erinnern, wie oft ich das eingeführt habe,
was Paulus sagt, es sei nichts Verdammliches, wenn auch etwas Sünde da sei,
weil er so viel von der Sünde voraus geschickt hatte; aber darum ist nichts
Verdammliches, nicht weil keine Sünde da wäre, wie Latomus
lügt, sondern weil sie in Christus Jesus sind, wie Paulus sagt, das heißt, die
Küchlein ruhen unter der Henne und unter dem Schatten seiner Gerechtigkeit
oder, wie Paulus Röm. 5,15 deutlicher sagt, sie haben Gnade und Gabe in seiner
Gnade. Dann wandeln sie auch nicht nach der Sünde oder nach dem sündlichen Fleisch, das heißt, sie stimmen der Sünde nicht
zu, welche sie wirklich haben. Denn Gott hat sie mit zwei sehr starken und
festen Grundlagen versehen, damit ihnen diese Sünde nicht zur Verdammnis
gereiche, zuerst Christus selbst als einen Gnadenstuhl (wie Röm. 3,25 sagt),
dass sie unter seiner Gnade sicher seien, nicht weil sie glauben und den
Glauben oder die Gabe haben, sondern weil sie dieselbe in der Gnade Christi
haben. Denn niemandes Glaube würde bestehen, wenn er sich nicht auf Christi
eigene Gerechtigkeit stütze und durch seinen Schutz erhalten würde. Dies ist
nämlich der wahre Glaube (wie ich gesagt habe), nicht eine unbeschränkte
(absoluta) oder vielmehr veraltete (obsoleta)
Eigenschaft in der Seele, wie jene erdichten, sondern der sich von der Gnade
Christi nicht abreißen lässt, noch sich auf etwas anderes stützt als er weiß,
der [Christus] sei bei Gott in Gnaden und könne nicht verdammt werden, noch
irgendjemand, der sich so auf ihn verlässt. Freilich, diese übrige Sünde ist
etwas so Großes, ein so unerträgliches Gericht Gottes, dass du nicht bestehen
kannst, wenn du ich nicht für dich entgegenstellst, von dem du weißt, dass er
ohne alle Sünde ist; das tut der wahre Glaube.
Das andere
ist, dass sie nach empfangener Gabe nicht nach dem Fleisch wandeln und der
Sünde nicht gehorchen. Aber das erste ist die hauptsächlichste und stärkste
Grundlage, wiewohl auch die andere etwas ist, aber in Kraft der ersteren. Denn
Gott hat einen Bund mit denen geschlossen, die auf diese Weise in Christus
sind, dass, wenn sie gegen sich selbst und ihre Sünde streiten, nichts
Verdammliches an ihnen sein soll. Nicht deshalb ist nichts Verdammliches, wie Latomus rast, weil sie nicht sündigen, oder keine Sünde in
einem guten Werk wäre. Dies erdichtet der Sophist, ohne und gegen den klaren
Text des Paulus, aus seinem eigenen Kopf. Sondern er sagt [Röm. 8,1]: Weil sie
in Christus Jesus sind und nicht wandeln nach dem Fleisch, indem er offenbar
von der Todsünde redet. Die Sophisten gehen allein damit um, dass sie diese
Sünde abschwächen, welche Gott doch so groß macht, dass er will, dass ihm sein
Sohn entgegen gehalten werde, und alle Menschen durch dies überaus strenge
Urteil zu Christus drängen und treiben, damit sie zitternd, verzweifelnd und
seufzend sich unter seine Flügel begeben. Aber jene Leugner dieser Sünde machen
schläfrige und sichere Leute, die sich auf das empfangene Gut verlassen;
dadurch machen sie auch Christi Gnade wertlos und die Barmherzigkeit Gottes
gering, worauf notwendigerweise Erkaltung in der Liebe, Trägheit im Lob und
Lauheit in der Dankbarkeit folgen muss. Diese wissen durchaus nichts von
Christus.
Darum hüte
du dich vor jenen höchstverderblichen Leuten und lerne, dass die Werke Gottes
groß, wunderbar und herrlich seien. Deshalb sollst du wissen, dass du diese
Sünde nicht groß genug machen kannst, denn kein Mensch hat jemals das Übel
derselben völlig erforschen oder fassen können, da es unendlich und ewig ist,
damit du wiederum erkennst, dass die Werke Gottes, in Christus an dir
geschehen, unermesslich sind, da er dir in Christus eine so mächtige Gnade zuvorverordnet hat, die nicht zulässt, dass du durch ein so
großes Übel verderbt werdest. Und wiewohl du eines so großen Übels wert bist,
sollst du doch durch die Gnade dieses Menschen nicht allein nicht verderbt
werden durch dasselbe, sondern endlich auch davon befreit werden. Der Ruhm der
Gnade muss hoch erhoben werden, und sie kann nicht hoch genug gepriesen werden,
so dass Paulus ausruft [2. Kor. 9,15]: Gott aber sei Dank für seine
unaussprechliche Gnade. Höre also ja nicht auf das kalte und matte Zischen
der Sophisten von guten Werken ohne Sünde, vom eingegossenen Glauben, vom
erworbenen Glauben, vom freien Willen; das sind Träume und Possen gegen diese
ernste Sache. Du musst dich zu Christus ziehen lassen, wie Jes. 2,10 sagt: Gehe
hin in den Felsen und verbirg dich in der Erde, vor der Furcht des HERRN und
vor seiner herrlichen Majestät; und im Hohelied, Kap. 2,14: Meine Taube
in den Felslöchern, in den Steinritzen. Irre dich nicht. Die Große des
Schutzes zeigt genügend an, wie groß diese Sünde sei, wenn du nicht etwa
dafürhältst, dass Christus, der Sohn Gottes ein hölzernes Bild sei. Alle
Heilligen erzittern vor diesem Gericht, und wenn sie nicht Christus zum
Beschirmer haben, so sind sie verloren. Und wir disputieren und spielen noch,
ob in guten Werken Sünde sei. Freilich, so klug sind wir in Bezug auf die
schreckliche ewige Majestät, dass wir gleich als von einem Menschen
disputieren, wenn wir von ihr disputieren.
Danach geht
der Unterscheider weiter und spricht: Aus zwei Ursachen sei der Fehl, der gegen
das Gesetz Gottes zu sein schiene, nicht Sünde: Erstens, wenn der Gebrauch der
Vernunft fehlt, wie bei Wahnsinnigen, Schlafenden, Kindern; zweitens, wenn man
ihm nicht zustimmt, wie bei Jungfrauen usw. Wer sieht hier wiederum nicht, dass
nicht die Löwener verteidigt werden, welche den
Luther verdammt haben wegen der Sünde in den Heiligen, die durch die Gnade
Gottes geknechtet ist, sondern irgendwelche erdichtete Traumgötter, die ihn
verdammt haben, als ob er gelehrt hätte, dass eine Todsünde in einem guten Werk
sei. Bis jetzt hat mich noch kein Sophist so völlig überdrüssig gemacht wie
dieser Latomus, solche Nichtswürdigkeit ist in diesem
Menschen und solche Unsinnigkeit in den Spielereien. Denn so dumm ist er nicht,
dass er nicht verstände, ich rede nicht von einer solchen Sünde, in Bezug auf
welche er die Sprüche der Väter zitiert und davon er selbst plappert, da er
öfter bezeugt, er wisse das, sondern es ist reine Nichtswürdigkeit, dass er
gegen sein eigenes Zeugnis prahlt, ich habe von der verdammlichen Sünde
geredet, und solches (wie ich gesagt habe) der Welt weis macht.
Der Art ist
dieses, dass er die Geneigtheit zum Bösen nicht ein Hindernis der Tugend, noch
etwas Böses, noch Sünde nennt, sondern (sagt er) es hat den Märtyrern zum Guten
sogar genützt. Was höre ich? Es hat ihnen zum Guten genützt, also ist es nicht
Sünde. Du siehst, wie trefflich die Sophisten die Gnade Gottes lästern möchten.
Denn das, was der Gnade Gottes zukommt, schreiben sie auf das unverschämteste
der Sünde zu. Der Teufel, als ein Versucher, nüt5zt den Heiligen zum Guten, als
sind seine Versuchungen weder böse noch Sünden. Man muss das Böse der Neigung
überwinden, also ist es nicht böse. Ich bitte dich, wie gar sehr stellt dieser
Sophist meine Geduld auf die Probe. Wirklich, wenn ich in dem Büchlein, welches
ich gegen ihr Verdammungsurteil herausgegeben habe, so büße ich es hier
reichlich, indem ich ihre unglaubliche Dummheit, Unwissenheit und Bosheit
tragen muss. Denn die Geneigtheit [zum Bösen]
ist um deswillen Sünde, weil sie den Märtyrern widersteht und ihnen zu
schaffen macht, obgleich die Kraft der Gnade dadurch mehr hervorleuchtet. Es
muss aber dieses Zuschaffenmachen nicht sein, wenn
man das Gericht Gottes ansieht. Die Barmherzigkeit bewirkt es, dass verschont
wird; Gotts Gabe ist es, dass überwunden wird. Du aber, lieber Leser, siehe,
welch einer unterhörten Tat ich schuldig geworden bin, dass ich diese Leute
dargestellt habe als solche, die dümmer sind als die Klötze.
Und er fügt
noch das hinzu, die Sünde sei nur eine freiwillige, besonders die Tatsünde, also ist in einem guten Werk keine Sünde. Der
Schluss gilt von Latomus auf Latomus;
besonders weil Gregor sagt: Niemals würde Gott die Gefäße des Zorns vernichten,
wenn nicht freiwillige Sünde an ihnen erfunden würde. Und warum gibt er Kindern
und Unwissenden das Verderben zum Lohn? Aber auch Gregor redet hier von Gefäßen
des Zorns und von ihren Sünden, was Latomus versteht
von den Sünden der Heiligen in einem guten Werk, wie könnte er es sonst gegen
mich einführen? Wie würde er sonst zur Sache reden? Denn er greift die Sünde
an, die ich namhaft gemacht habe, und beweist durch Gregor, dass dies keine
Sünde sei, weil sie allein mit Willen geschehen könne. Aber ich habe es satt.
Fort mit dem überaus abgeschmackten Ränkeschied, der weder mich, noch sich,
noch die Väter, noch die Schrift auch nur eines Haares breit versteht, und wenn
er sie verstände, nicht verstehen will. In diesem ganzen Buch ist nichts recht
gehandelt, als dass den Löwener Mordbrennern und der
antichristlichen Bulle ein würdiger Anwalt gegeben ist.
Nun wollen
wir den Apostel selbst ansehen und ihre Deutungen, daneben gesetzt, betrachten,
damit wir lernen, wie viele neue Wörter alsbald aufkommen. Wir wissen,
sagt er [Röm 7,14 ff.], dass das Gesetz gut ist, ich aber bin fleischlich,
unter die Sünde verkauft, das heißt, wie jene sagen, ich bin schwach und
bestraft, verkauft unter die Strafe. Dann „geistlich“, weil es im Gegensatz
gesagt wird, wird dasselbe fein als Gesund, ohne Strafe erlöst von der Strafe.
Ferner: Denn ich weiß nicht, was ich tue (das ist, ich leide Strafe), denn
ich tue nicht das Gute (das ist, die Freiheit von der Strafe), das ich
will, sondern das Böse (das ist die Strafe), das ich hasse, das tue ich.
So ich aber das tue, das ich nicht will, so willige ich ein (das ist, ich
bin straflos), dass das Gesetz gut sei (das ist, dass es Straflosigkeit
sei). So tue nun nicht ich dasselbe, sondern die Sünde (das ist, die
Strafe), die in mir wohnt. Denn ich weiß, dass in mir (das ist, in meinem
Fleisch) wohnt nichts Gutes (das ist, Freiheit von der Strafe). Wollen
habe ich wohl, aber Vollbringen das Gute finde ich nicht. Denn das Gute
(das ist, Freiheit von Strafe), das ich will, das tue ich nicht, sondern das
Böse (das ist, die Strafe), das ich nicht will, das tue ich. So ich aber
tue, das ichnicht will, so tue ich dasselbe nicht,
sondern die Sünde (das ist, die Strafe), die in mir wohnt. So finde ich
in mir nun ein Gesetz, der ich will das Gute (das ist, die Freiheit von der
Strafe) tun, das mir das Böse (das ist, die Strafe) anhängt. Denn ich
Lust am Gesetz Gottes (das ist, ich bin straflos) nach dem inwendigen
Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz (das ist, Strafe) in meinen Gliedern, das
da widerstreitet (das ist bestraft) dem Gesetz in meinem Gemüt (das
ist, meiner Straflosigkeit) und nimmt mich gefangen (das ist, schleppt
mich zur Strafe), in der Sünde Gesetz (das ist, in die Strafe), welches
ist in meinen Gliedern. Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leib
dieses Todes? (das ist, dieser Strafe) Ich danke Gott durch Jesus
Christus, unserem HERRN. So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes (das
ist, ich bin unter Straflosigkeit gestellt), aber mit dem Fleisch dem Gesetz
der Sünde (das ist, ich bin unter die Strafe gestellt). So ist nun
nichts Verdammliches usw.
Heißt das,
den Paulus erläutern, wenn ich auch zugäbe, dass gut und recht so gesagt werde?
Aber die Väter haben so geredet. Haben sie aber etwa befohlen oder befehlen
können, dass man so reden müsse? Muss man nicht Gott mehr gehorchen als den
Menschen? Paulus befiehlt und hatte das Recht zu befehlen [1. Tim. 6,20]: Meide
die ungeistlichen losen Geschwätze (novitates), und dass du reden sollst, wie er selbst
redet, und bei den heiligen, altherkömmlichen Wörtern bleibst. Denn was ist ungeistlich? Ist es nicht das, was nicht heilig ist? Aber
Menschliches ist nicht heilig, dann aber auch neu[21],
weil es nicht von den Aposteln gesetzt ist. Auch kannst du mir nicht
entgegenhalten, dass das Wort homousios[22]
gegen die Arianer angenommen worden sei. Von vielen ist es nicht angenommen
worden, und zwar von sehr berühmten Leuten, dass auch Hieronymus wünschte, es
möchte abgeschafft werden, und so wenig entgingen sie durch dieses neu
aufgebrachte Wort der Gefahr, dass Hieronymus klagt, er wisse nicht, was doch
für ein Gift in den Silben und Buchstaben sei. Denn die Arianer beschäftigen
sich gar viel mehr mit diesem Wort als mit der Schrift. Und auch Hilarius
konnte hierauf nichts anderes antworten, als dass durch dieses Wort gerade das
ausgedrückt würde, was die [rechte] Sache sei, und die ganze Schrift enthielte
dies. Das findet aber in gegenwärtigem Fall nicht statt. Denn an keiner Stelle
nimmt die Schrift das Wort Sünde für diese Strafe, sondern im Gegenteil überall
für das Böse, welches dem Gesetz Gottes entgegen ist, dass auch die Ähnlichkeit
(nach welcher ganz allein Latomus ein Theologe ist)
hier nicht statthat.
Ja, wenn
eine Ähnlichkeit wäre, und das Beispiel gälte, so dürfte man sich doch nicht
darauf berufen, sondern den Vätern zugute halten,
dass sie einmal ohne Schrift ein ungeistliches Wort
gesetzt haben. Sonst, wenn man das Beispiel einführt, so dürfte man die ganze
Schrift in andere Wörter verändern, wie die Sophisten getan haben. Wenn nun
meine Seele das Wort homousios hasste, und ich es
nicht gebrauchen wollte, würde ich kein Ketzer sein. Denn wer könnte mich
zwingen, [dies Wort] zu gebrauchen, wenn ich nur die Sache festhalte, welche
auf dem Konzil aus der Schrift festgestellt worden ist? Obgleich die Arianer in
Glaubenssachen üble Meinung gehabt haben, so ist doch diese ihre Forderung sehr
gut gewesen, mag sie nun aus bösem oder gutem Sinn entsprungen sein, dass man
in Glaubensartikeln kein ungeistliches (profanam) und neues Wort einführen dürfe. Denn die
Lauterkeit der Schrift muss bewahrt werden, und ein Mensch darf nicht so
vermessen sein, dass er mit seinem Mund klarer und lauterer reden wolle, als
Gott mit seinem Mund geredet hat. Wer die Worte Gottes nicht versteht, der in
göttlichen Dingen für sich redet, der glaube nur nicht, dass er die Worte eines
Menschen verstehen werde, der von fremden Dingen redet. Niemand redet besser
als der, welcher es am besten versteht; wer aber könnte die Dinge besser
verstehen als Gott selbst? Ja, wie viel ist es denn, was der Mensch von
göttlichen Sachen versteht?
Der elende
Mensch gebe vielmehr Gott die Ehre und bekenne entweder, er verstehe seine
Worte nicht oder lasse ab, dieselben mit seinen neuen und eigenen Worten zu
entheiligen, damit uns die liebenswerte Weisheit Gottes in echter Gestalt
bleibe. Darum mögen die Väter sagen, was sie können; ich will, dass die Worte
dieses Paulus an dieser Stelle bedeuten, wie sie lauten, und verachte ihre
Erdichtungen von Anklage (reatibus) und Schuld und
derartige Spielereien, welche das Verständnis mehr verdunkeln als ihm helfen.
Leicht, offenbar und treu sind die Worte des Apostels; jene brennenden und
stark glänzenden Sonnen bedürfen nicht der menschlichen Fackeln. Du sagst, da
ist keine Anklage, da ist keine Schuld, also ist auch keine Sünde da, und
kommst dir vor, als habest du schön geredet, da du doch aufs dunkelste und, wie
Nehemia [Kap. 13,24] sagt, Asdodisch redest und nach
der Sprache eines jeglichen Volks und schon die heilige und väterliche Sprache
vergessen hast. Darum weg mit den ausländischen Sprachen und wir wollen die
heimatliche und echte wieder einführen.
Denn warum
sagst du nicht viel reiner und lichtvoller: Da ist nicht Zorn, sondern Gnade?
Darum verdammt die Sünde da nicht, obgleich sie rechte Sünde ist. Der
Evangelist Johannes trinkt rechtes Gift, aber es tötet ihn nicht, weil die
Kraft des Glaubens da war, welche das rechte Gift nicht zu etwas anderem machte, als rechtem
Gift, oder zur Strafe, oder zur Schwachheit, aber er hinderte demselben zu
schaden. Wenn ein anderer es getrunken hätte, so wäre er wahrhaftig gestorben.
Christus sagt [Mark. 16,18]: So sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen
nicht schaden. Er hat nicht gesagt, so wird es nicht mehr tödlich sein,
sondern, es wird nicht schaden, weil sie in meinem Namen trinken werden. Was
wäre es sonst für ein Ruhm des Wunders, wenn es aufhörte, tödlich zu sein, wenn
es getrunken würde? Das chaldäische Feuer war wirklich Feuer und blieb es, aber
es verletzte nicht die drei Männer [Dan. Kap. 3], nicht, weil es nicht brennen
und sengen konnte, sondern weil es dies an ihnen nicht tun konnte, während es
die anderen vor dem Ofen gänzlich verzehrte.
So ist diese
Sünde wahre Sünde, weil sie alle anderen dem Zorn unterwirft [Röm. 5,9], diese
aber nicht unterwirft, weil sie das Gegenmittel haben, aber jene nicht, nämlich
die Gabe Gottes in der Gnade des Einen Menschen Jesus Christus, mit welcher
angetan sie nicht nach dem Fleisch wandeln. Ist denn dies nicht so klar und
leicht, dass niemand so unbeholfen sein kann, dass er es nicht sehr leicht
fasse? Dagegen jene Spitzfindigkeiten von Anklage, Schuld, vom Gestaltlichen
und Wesentlichen der Sünde, der Beraubung, der Fertigkeit, der Tat, der
Vertreibung, der Eingießung, der Vergebung, der
Eigenschaften, der Formen, der Gegenstände, der inneren und äußeren Güte, der
inneren und äußerlichen Bosheit, der Gebührenden, des Verdienstlichen, der Art
des Guten, des Angenehmen, des Nichtangenehmen (deaccepati),
– wer kann alle Stimmen dieser Frösche und Fliegen hören, geschweige
durchmustern? Selbst die fassen es noch nicht einträchtig, welche die Lehrer
(Magistri) der anderen sind, geschweige denn, dass das arme Volk von ihnen eine
richtige Kenntnis erhalten könnte, was Sünde und Gnade sei, denn hier muss man
auch den äußerlichen Dreck der Philosophie und zehnmal Geschissenes
verschlungen haben, ehe man verstehen kann, was Anklage (reatus)
oder Schuld sei. Diese Ungereimtheiten und Ungeheuerlichkeiten der Sophisten
mögen dahinfahren.
Recht sagt
daher Paulus [Röm. 7,14]: Ich aber bin fleischlich (er sagt nicht, ich
bin fleischlich gewesen), unter die Sünde verkauft. Beweise mir also,
dass „fleischlich“ in der Schrift bedeute, Strafübeln und Schwachheiten
unterworfen. ER nennt sich aber fleischlich, nicht weil er ganz fleischlich
ist, sondern nach dem Gemüt ist er geistlich, nach dem Fleisch fleischlich, wie
nach dem Gemüt frei von der Sünde, nach dem Fleisch verkauft unter die Sünde,
wie er spricht [V. 25]: So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes,
aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde. Hier lass dich von Latomus nicht irre machen, der zweierlei willen setzt. Es
ist Ein Mensch Paulus, der beides von sich bekennt in einer und der anderen
Beziehung; unter der Gnade ist er geistlich, aber unter dem Gesetz fleischlich;
es ist derselbe, ja ebenderselbe Paulus in beiden Lagen. Die Gabe macht, dass
er geistlich ist und unter der Gnade, in der Gnade des Einen Menschen Jesus
Christus. Die Sünde macht, dass er fleischlich ist, aber nicht unter dem Zorn,
weil Gnade und Zorn nicht zusammenstimmen, noch sich gegenseitig bekämpfen,
noch übereinander herrschen, wie die Gabe und die Sünde tun. So auch [Röm.
7,15]: Denn was ich tue, weiß ich nicht, als ein Fleischlicher, ich weiß
es aber als ein geistlicher Mensch. Wie könnte er sonst von sich aussagen, er
wisse nicht, was er tue? Danach im Folgenden nennt er das das Böse, was er tut;
so versteht er das Böse, was er tut, aber nach dem Fleisch weiß er es nicht,
was er nach dem Geist erkennt. Denn er glaubt wirklich, dass die Sünde, welche
im Fleisch wütet, etwas Gutes sei, welches er begehrt, und lässt es auch dem
Menschen so erscheinen und sieht nicht, wie böse sie ist [V. 15,19]: Denn
das Gute, das ich will, tue ich nicht, sondern das Böse, das ich hasse, das tue
ich. Siehe, er versteht das Gute und das Böse, aber der geistliche Paulus
versteht so und will und hasst. Der fleischliche aber versteht das Gute nicht
und tut und liebt das Böse statt des Guten.
Nun möge Latomus Schrift vorbringen, dadurch bewiesen werde, dass
fleischlich hier etwas anders bedeute als in anderen Stellen, und wie es die
Grammatik und einfache Bedeutung erfordert. Er beweise, dass das Böse und das
Gute in dieser Stelle etwas anderes
bedeute als an anderen Stellen. Er beweise, dass wollen, nicht wollen, hassen,
tun hier etwas anderes bedeute als an anderen Stellen. Da er dies nun nicht
kann, und ihre Bedeutung an dieser Stelle der Gottseligkeit nicht zuwider ist,
weshalb sollten wir uns durch Menschendeutungen bewegen lassen? Denn ebensowohl wird der eigentlich fleischlich genannt, welcher
nur teilweise fleischlich ist, wie ich gesagt habe, als der ein Mensch ist,
welcher ein gebrechlicher oder kleiner Mensch ist. Wenn der Kopf eines Menschen
verwundet ist, so sagen wir auch recht, der Mensch ist verwundet. Und wer den
Fuß eines Hundes schlägt, von dem sagt man ganz recht, er habe den Hund
geschlagen. So weiß Paulus nicht, weil er nach dem Fleisch nicht weiß; und er
wirkt, weil er nach dem Fleisch wirkt; und er tut Böses, weil er nach dem
Fleisch tut. Und es ist böse, weil s gegen den Geist und das Gute ist. Doch
deshalb kann man ganz wohl sagen, er wirke, er tue, er sei böse, er verstehe
ganz, wiewohl er nicht ganz wirkt, nicht ganz tut, nicht alles Böse vollbringt,
oder nur teilweise versteht. Wie auch ein Mensch nicht deshalb unverwundet ist,
weil er nicht an jedem Teil verwundet und getötet ist, und du einen Hund ebensowohl geschlagen hast, wenn du ihn auch nicht an jedem
Teil geschlagen und getötet hast, ja, du hast verwundet, geschlagen, wenn du
auch nur das geringste Glied desselben verletzt hast, nach der eigentlichen und
echten Bedeutung des Wortes. Darum ist hier auch recht eigentlich Sünde,
wiewohl sie nicht den ganzen Menschen tötet, verdammt, dem Zorn unterwirft.
Denn die Gnade und die Gabe bewahren den Menschen, dass er nicht sündigen, das
isst, in diese Sünde willigen und verloren gehen kann.
Du wirst
sagen: Du beweist aber auch nicht, dass Sünde anderswo in dieser Weise genommen
werde, nämlich dass sie nicht verdamme. Ich antworte: Dieses ist auch nicht
nötig, und ich habe es mir nicht vorgenommen. Damit habe ich hier allein zu
schaffen, dass Sünde an dieser Stelle dasselbe bedeute wie überall. Dass ich
aber sage, hier werde die Sünde anders behandelt, das geht die Bedeutung von
„Sünde“ nichts an, denn die Schrift nimmt Sünde überall auf dieselbe Weise,
aber nicht überall behandelt sie dieselbe in derselben Weise oder beschreibt
sie in derselben Weise, wie sie behandelt wird. Hier sagt sie, es geschehe
Sünde, anderswo, sie werde vergeben, anderswo, sie werde bestraft, anderswo,
[die Strafe der Sünde] werde aufgeschoben, anderswo, sie werde verschwiegen,
anderswo, sie werde bekannt, anderswo, sie werde geleugnet. Und wer könnte die
Handlungen, das Erleiden und das Zufällige der Sünde aufzählen? So wird an
dieser Stelle beschrieben, was die Sünde tut und leidet unter der Gnade. Es
wird nicht geleugnet, dass es Sünde sei, ja, diese Stelle legt zugrunde, dass
Sünde geschehen sei und da sei. Hier wird gesagt, dass sie, da sie besiegt ist,
sich auflehne gegen den Heiligen Geist, von der anderswo geschrieben wird, dass
sie als Siegerin herrsche. Es ist überall durchaus dieselbe Sünde, aber nicht
überall vermag, tut und leidet sie dasselbe. Dass aber die Schrift anderswo
Sünde in derselben Weise nehme, was die Bedeutung anbelangt, habe ich weiter
oben aus Paulus bewiesen, der sie Röm. 6 und 8 so nimmt; außerdem Röm. 7; Gal.
6; 1. Kor. 5; Eph. 4; 1. Kor. 7; Kol. 3; Hebr. 13, da er sie Unkeuschheit,
Wollust, Zorn usw. nennt, und 1. Joh. 1,8: So wir sagen, wir haben keine
Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Aber
die Widersacher können für ihre Bedeutung auch nicht einmal ein Pünktlein aufbringen.
Nun wollen
wir dem Paulus weiter folgen [Röm. 7,16]: So ich aber das tue, das ich nicht
will, so willige ich, dass das Gesetz gut ist. Eine wunderbare
Zusammenstellung; er stimmt dem guten Gesetz zu, aber nicht er ganz (totus), weil er nicht als ganzer [Mensch] tut, was er nicht
als ganzer [Mensch] will; hier ist auch nicht der ganze [Mensch], der zustimmt,
der tut, der nicht will; sondern derselbe, der dem guten Gesetz zustimmt, tut,
was er nicht will, das ist, dem guten Gesetz, welches er will, Zuwiderlaufendes;
[V. 17]: So tue ich nun dasselbe nicht. Wer ist der „ich“, der das jetzt
nicht tut, von dem bald gesagt wird, dass er es tue? Freilich, der „ich“, der
ich geistlich bin, der ich nach diesem „ich“ jetzt angesehen werde in der
Gnade, welcher nicht zulässt, dass ich abgeschätzt werde nach der Sünde, nach
welcher ich fleischlich bin. Alles ist abgewaschen und jetzt ist ein anderes
„ich“ da als vor der Gnade, wo ich nach der Sünde als ganz fleischlich geachtet
wurde. [V. 17]: Sondern die Sünde, die in mir wohnt. Du tust es nicht,
und doch das, was in dir ist, tut es? Deine Hand schlägt mich, und du schlägst
mich nicht? So ist’s wirklich, weil sie es gegen meinen Willen tut, und danach
werde ich geschätzt. Ich tue es aber doch wirklich, weil es ein Teil von mir
tut, aber ich werde nicht nach demselben beurteilt. Die Hand tut Böses, und mir
würde es zugerechnet werden, wenn nicht mein Gemüt unschuldig wäre. Aber darum
ist es doch Böses, was die Hand tut, nur dass es nicht zugerechnet wird. Es
wird aber nicht zugerechnet wegen des unschuldigen Gemüts. So ist die Sünde
wahrhaft Sünde, aber weil die Gabe und die Gnade in mir sind, wird sie nicht
zugerechnet, nicht wegen ihrer Unschuld, als ob sie nicht schadete, sondern
weil die Gabe und Gnade in mir herrschen.
[V. 18]: Denn
ich weiß, dass in mir, das ist, in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes. Weil
es mein Fleisch ist, nicht ein fremdes, darum wird gesagt, dass das, was in ihm
wohnt, in mir wohne. Wie bewegt sich Paulus aufs allerlieblichste zwischen dem
Fleisch und dem Geist, indem er zwischen beiden mit der anmutigsten Synekdoche
aufs gefälligste abwechselt! Denn wirklich wohnt die Sünde im Fleisch ist und
wahrhaft Sünde. Denn der Jebusiter wohnt in unseren
Grenzen und wird ein Splitter in unseren Augen und ein Anstoß an unserer Seite,
wenn wir nicht danach trachten, ihn auszurotten. Was ist der Splitter in den
Augen anderes als ein Holz vor dem Angesicht, an welchem du dich stoßen
könntest, wenn du unvorsichtig einhergehst? So hat die Sünde täglich vor uns
ihr Treiben und stellt sich uns auf dem Weg entgegen und reizt uns auch zur
Seite; wenn sie nicht männlich ausgefegt wird, stoßen wir uns und werden durch
sie in Ärgernis gebracht. Sie ist ein gar böser Gast, und doch wohnt sie im
Fleisch, in uns, in unserem Land, in unseren Grenzen. Darum ist nichts Gutes im
Fleisch, ich sage wahrlich, nichts Gutes, nicht allein Strafe, sondern Sünde.
[V. 18]: Wollen
habe ich wohl, aber Vollbringen das Gute finde ich nicht. Er erklärt sich
selbst deutlicher, wie der geistliche Mensch in der Sünde nicht Böses tut,
sondern das Gute will und doch vollbringt er dieses Wollen nicht wegen der im
Fleisch wohnenden Sünde. Aber dies Wollen ist nicht um deswillen nichts, weil
er es nicht vollbringt, wie dagegen die Sünde auch nicht für nichts Böses zu
achten ist, weil sie im Fleisch wohnt, wiewohl mein „ich“ es nicht tut, sondern
die Sünde selbst. Beides, sage ich, es geschieht ein Böses und es geschieht
doch nicht. Es geschieht, weil die Sünde es tut; es geschieht nicht, weil mein
Gemüt es nicht tut, es nicht will, freilich es auch nicht vollbringen würde,
weil dies die Sünde tut. Ich bitte dich, würde er einen so großen Kampf
zwischen der Strafe und dem Geist mit einer so großen Sorgfalt beschreiben?
Aber dies streitet wiederum gegen die Sophisten. Sie können sagen, wo in der
Schrift jemals Strafe (womit sie gedenken, sich auszudrehen, dass sie nicht
gezwungen werden möchten, es Sünde zu heißen) als ein solches gelehrt werde,
was man fliehen, dem man widerstehen, das man mit so großem Eifer verdammen
müsse? Es ist nicht die Strafe, von der die Schrift befiehlt, dass man sie
nicht tragen solle, und deshalb gilt diese ganze Ausflucht nichts. Sowohl ihre
Deutung als ihr Text, ihre Sachen und ihre Wörter sind alle gegen den Gebrauch
der ganzen Schrift, gegen die Meinung aller Gottseligen, so dass aus ihrer
Deutung eine nicht geringere Ungereimtheit folgt als die, der sie im Text zu
entfliehen versuchten. Denn es ist ungereimt zu behaupten, was du nirgends
finden oder beweisen kannst, sondern gezwungen wirst, alles Entgegenstehende
als ein Alleinstehender zu hören.
[V. 19]: Denn
das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht
will, das tue ich. So ich aber tue, das ich nicht will, so tue ich dasselbe
nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Siehe den treuen Herold des
Glaubens! Er wiederholt und schärft sorgfältig ein, indem er gleichsam mit dem
Finger auf jenes Wort zeigt: So ich aber tue, das ich nicht will, weil
es oben zu dunkel gesagt schien, wo er, da er ähnlich gesagt hatte: So ich
aber das tue, das ich nicht will, ehe er den Schluss zog: So tue ich nun
dasselbe nicht, dazwischen fügte: So willige ich, dass das Gesetz gut
ist. Hier aber schließt er bald: Wenn ich es tue, da ich es nicht will, so
beweist dieses Nichtwollen sicherlich, dass ich es doch nicht tue, und doch
geschieht es in mir, also tut es notwendigerweise die Sünde, die in mir wohnt,
so dass niemand diese Stelle anders als vom geistlichen Menschen verstehen
kann, noch auch von denen, welche böse Werke ausüben. Denn er sagt hier, dass
eins von dem anderen gehindert werde, aber doch so, dass der Geist vorherrsche
und ihm zugeschrieben werde, dass er das Böse nicht tue, nicht wolle. Denn er
kehrt den Satz nicht um, dass er sagen sollte: Denn nicht das Böse, das ich
will, das ich tue, sondern das Gute, das ich nicht will, das tue ich, wenn ich
aber das Gute tue, das ich nicht will, so tue ich es nun nicht, sondern die
Gnade, die in mir wohnt. Denn so müsste das Fleisch sagen, wenn es herrschte
über den Geist, der ihm widerstände. Jetzt aber, da der Geis klagt und das Fleisch
anklagt, so ist offenbar, dass nicht das Fleisch herrscht, sondern dass es dem
herrschenden Geist beschwerlich und widerspenstig ist. Denn nichts redet für
das Fleisch, sondern gegen das Fleisch; das tut aber ein fleischlicher Mensch
nicht, der außer der Gnade steht. Es lässt sich also die Gnade Gottes dieses
Werk der Sünde nicht zurechnen, weil er es wirklich nicht tut, und doch ist es
in ihm, und er selbst tut es auch wirklich, wie hinlänglich gesagt ist.
[V. 21]: So
finde ich in mir nun, der ich will das Gute tun, dass mir das Böse anhangt.
Denn es ist nicht ein anderer, der das Gute tun will, als der, dem das Böse
anhangt. Der geistliche Mensch will das Gute tun als ein ganzer Mensch (totus), aber der fleischliche Mensch hangt ich man als
nicht gar ein ganzer Mensch (minus totus). [V.
22.23]: Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen.
Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet
dem Gesetz in meinem Gemüt, und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz,
welches ist in meinen Gliedern. Hier erklärt er sich aufs deutlichste. Denn
Lust haben an Gottes Gesetz findet nur statt bei einem gottseligen und
gerechten Menschen; wer nicht gerecht ist, der widerstreitet nicht dem Gesetz
in seinen Gliedern, es liegt ihm auch nicht an zu widerstreiten. Das Gesetz
aber des Geistes nennt er nicht ein natürliches Gesetz, wie man sagt, sondern
er setzt es dem Gesetz in den Gliedern entgegen, vielmehr nennt er den Willen
des Geistes so, der am Gesetz Gottes Lust hat; dem setzt er das Gesetz in den
Gliedern entgegen, welches Lust hat am Gesetz der Sünde, so dass auch das
Gesetz in den Gliedern der Wille ist, der dem Willen des Geistes
entgegengesetzt ist. Er nennt ihn aber widerstreitend und zeigt damit gewiss
das Böse an, nicht der Strafe, sondern der Schuld; denn das Böse ist, dem
Gesetz Gottes widerstreiten. Er sagt nun nicht allein, nicht gehorchen, sondern
widerstreiten, was schwerer ist, damit du die Sünde, die nach der Taufe noch
übrig ist, nicht zu gering schätzen mögest. Sie ist groß und wird durch eine
große Gabe Gottes weggenommen und wird durch eine große Gnade verziehen um des
Geistes willen, der nicht widerstreitet, sondern Lust hat an dem Gesetz Gottes.
Und jenes
Letzte ist noch schrecklicher, dass sie gefangen nimmt. Siehe, ich bitte
dich, mit wie großen Zentnerlasten und Kraft der Worte er diese Sünde groß
macht, welche jene so abschwächen und aufheben. Sie ist nicht allein, lebt
nicht allein, will nicht allein, tut nicht allein, widerstrebt nicht allein,
sondern wütet sogar und nimmt gefangen. Ich bitte dich um Gottes willen, sind
das geringfügige Dinge? Und wer fühlt nicht, dass das so in ihm geschehe? Wer
hat nicht jemals die wütenden Gedanken und Regungen der Wollust und des Zorns
empfunden, wie ungern und unwillig auch immer? Ihre Wut ist ungezähmt, ja,
worüber man sich wundern wird, sie wütet nicht so in den Gottlosen, weil sie
ihrem Anlauf nicht Stand halten, sie weichen und gehorchen ihr und darum
erfahren sie nie, wie große Arbeit, wie große Beschwerde es sei, zu ringen
gegen die Sünde und über sie zu herrschen. Jener Angriff erfordert einen
strengen Kriegsdienst, daher wird Christus auch der HERR der Heerscharen
genannt und ein König, mächtig im Streit, weil er diese großen Anläufe durch
seine Gabe nicht allein aushält, sondern auch überwindet.
Siehe daher
die Große der Gabe und Gnade Gottes, dass ein so großes Übel den Gottseligen
nicht verdammlich ist; die bösen Gedanken der Gottseligen sind stärker als die
der Gottlosen, und doch beflecken sie nicht, verdammen sie nicht, jene [die
Gottlosen] aber beflecken und verdammen sie. Warum das? Ist nicht auf beiden
Seiten dieselbe Sünde? Wirklich dieselbe Sünde, aber die Gottseligen haben das
Gegenmittel, jene haben es nicht. Darum sündigen die Gottseligen nicht in ihrem
[der Sünde] stärkeren Angriff, während jene im geringeren sündigen, nicht, weil
auf beiden Seiten keine Sünde wäre, sondern dies ist der Ruhm der Gnade Gottes,
nicht ihrer bösen Natur. Wenn die Gnade aufhört, verdammt sie wirklich, jetzt
hindert die Gnade, dass sie die böse Natur nicht verdamme. [Ps. 115,1]: Nicht
uns, HERR, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre. Es ist nicht, wie die
Sophisten schwärmen, dass eine so wütende Widersacherin des Gesetzes Gottes
keine Sünde wäre, es ist nicht Strafe, es ist nicht Schwachheit, sondern eine
große Sünde, wie der 19. Psalm klagt, indem er sagt [V. 14]: Ich werde
unschuldig bleiben großer Missetat. Dieser Ruhm sei ferne von unserer Reinigkeit. Er sagt aber gefangen nehmen, nicht weil
der geistliche Mensch gefangen genommen wird, sondern weil von dem Teil,
welcher der Sünde angehört, nichts unterlassen wird, dass der geistliche Mensch
gefangen genommen werde, wie er selbst Gal. 1,13 sagt: Ich zerstöre die
Gemeinde Gottes, da es doch unmöglich ist, dass die Kirche zerstört werde.
Aber er unterließ nichts, so viel an ihm war, dass sie zerstört würde. Darum
sagt er hier nicht, sie widerstreitet und ich bin gefangen genommen worden; sie
nimmt gefangen, und ich werde nicht gefangen genommen. Denn wenn er dies auch
gesagt hätte, so würde der Sinn zwingen zu verstehen, nach dem Fleisch, wie er
gesagt hat, dass er verkauft sei und fleischlich, nach dem Fleisch; in solcher
Weise, sagt er, er sei gefangen nach dem Fleisch, und diese Bedeutung, als die
einfachere, gefällt mir besser.
[V. 24]: Ich
elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leib dieses Todes? Hier nennt
er die Sünde den Tod, das ist, die größte Beschwerde, bildlich, und redet wie
das 2. Buch Mose, Kap. 10,17, da Pharao bat, dass die Heuschrecken weggenommen
würden: Bittet den HERRN, euren Gott, dass er doch nur diesen Tod von mir
wegnehme. Denn er nennt die Sünde mit ihrem gehässigsten Namen, wie auch
jener die Heuschrecken, wegen ihrer dringenden, gottlosen, unaufhörlichen,
unbezähmbaren Wüterei, durch welche sie uns in diesem Leben keinen Frieden
haben lässt, sondern uns beständig zwingt, in der Schlachtreihe zu stehen. Denn
Paulus fürchtet an dieser Stelle nicht des Latomus
schlafende und ruhende Art des Verhaltens.[23]
Auch Augustinus hat das nicht gewollt, was Latomus
ihm auflegt. Es ist zwar wahr, dass wir nicht immer in Einer Leidenschaft
toben; nicht immer brennt der Zorn, nicht immer wütet die Wollust, nicht immer
quält der Neid, sondern eine folgt auf die andere. Und wenn alle schlafen, so
schlafen die Lauheit und Trägheit nicht. Wenn du auch angestrengt tätig bist,
so wacht der Stolz. Und wie ich aufs wahrste gesagt habe: Wie wir nicht ohne
das Fleisch sind, so wirken wir nicht ohne das Fleisch, so wind wir auch nicht
ohne die Fehler des Fleisches und wirken auch nicht ohne dieselben, wie Latomus gar albern aus dem Besonderen oder Einzelnen
folgert, da er schließt: Bisweilen ruht die Leidenschaft, so ist nicht in jedem
guten Werk Sünde, da er hätte sagen sollen: Bisweilen ruhen alle, und die ganze
Sünde schläft, was unmöglich ist. Denn das Fleisch ist eine lebendige Sache und
ist in ständiger Bewegung, die sich so ändert, wie die Gegenstände sich ändern.
Dass aber im
Schlaf nicht Sünde ist, ist auch Gottes Gnade zuzuschreiben, nicht der Natur.
Freilich verdammliche Sünde ist da nicht [dass aber Sünde da sei,] dem steht
auch nicht im Weg, dass der Gebrauch der Vernunft nicht da sein könne. Es ist
aber Sünde, dass wir nicht rein schlafen können. Warum sind wir nicht in
rechter Beschaffenheit geblieben, in der wir hätten rein schlafen und alles
rein tun können? Den Trunkenen entschuldigt seine Trunkenheit nicht, wenn er
durch dieselbe etwas sündigt; warum ist er nicht nüchtern geblieben? Deshalb
wird uns um unsertwillen nichts zugute gehalten,
nichts aus uns ist rein, sondern allein durch die Gnade und Gabe Gottes. Was
entschuldigt die Kinder, die nicht getauft sind, dass sie ewig verdammt werden?[24]
[V. 25]: Ich
danke Gott durch Jesus Christus, unseren HERRN. Paulus sagt Dank, nicht
seiner Gerechtigkeit, sondern dem barmherzigen Gott, und zwar durch Jesus
Christus, unserem HERRN. Denn diesen hält er Gott immer vor, unter dessen
Flügeln verbirgt er sich, in dessen Gnade freut er sich und rühmt sich der
Gnade und Gabe Gottes. Er wünscht aber von diesem Leib befreit zu werden. Denn
er sagt nicht, wer wird mich befreien von dem Tod dieses Leibes, sondern von
dem Leib dieses Todes. Weil er sieht, dass in diesem Leben die Reinheit der Löwener Heiligen nicht möglich ist, und er doch rein zu
sein wünscht, darum wünscht er zu sterben. Ein Gottloser sagt dieses Wort
nicht, oder wenn er es sagt, so sagt er es nicht aus dieser Ursache. Denn wegen
der Strafe würde er so nicht ausrufen, nicht so den Tod anrufen, sondern die
Sünde beschwert ihn allzu sehr. Du siehst also, dass diese Stelle auf die
Allerheiligsten passe, und dass sie die unbändige und wütende Sünde leiden,
damit wir lernen, Gottes Gnade nicht abzuschwächen durch Abschwächung unseres
Bösen, indem wir leugnen, dass dies Sünde sei, durch menschliche Deutungen;
sondern, indem wir sie groß machen und erheben, so viel wir können, dass an den
Tag kommen möge, solch Bekenntnis und Großmachen sei das Werk Gottes, der
wunderbar ist in seinen Heiligen und allen seinen Willen in ihnen tut, da wir
doch Sünden zu haben scheinen und wirklich Sünde haben. Denn sein Wille ist
nicht die Sünde, die in uns ist, sondern unsere Heiligung [1. Thess. 4,3] von
dieser Sünde.
Es fasst
also Paulus zusammen, wie das Leben eines gottseligen Menschen in dieser
Zeitlichkeit beschaffen sei, indem er spricht [V. 25]: So diene ich nun mit
dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde. Ich
ist ein und derselbe Mensch. Und daran hindert nicht der Einwurf des Latomus, welcher glaubt, dies könne so verstanden werden,
wie jenes oben: Es wohnt in mir, das ist, in meinem Fleisch, nichts Gutes.
Paulus selbst legt dies so aus, da er spricht: Ich diene mit dem Fleisch dem
Gesetz der Sünde; wenn du nicht als ein zierlicher Deutler noch hinzufügen
und sagen wolltest: Mein Fleisch dient mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.
Denn was sollte damit gesagt sein? Die Worte sind zu klar, als dass sie eine
sophistische Verdrehung leiden sollten. Ich selbst, sagt er, kein anderer.
Danach sagt er, ich diene; nicht bloß, ich habe Sünde, sondern ich diene ihr,
oder, was ebenso viel ist, mein Fleisch dient ihr. Was aber heißt, der Sünde
dienen? Ist es nicht ihren Willen tun? Ist es nicht gegen das Gesetz Gottes
tun? Aber dies tut das Fleisch, da es widerstreitet, da es gefangen nimmt, da
es wütet. Denn so dient es der Sünde, aber weil der Geist nicht gehorcht, noch
auch durch ihr Wüten besiegt wird, darum verdammt sie nicht. Der Dienst der
Sünde wird nichtig, alle ihre Anstrengungen werden vereitelt, aber darum ist es
nicht so, dass er nichts, oder dieser Dienst nicht böse wäre, oder das Fleisch
durch diesen bösen Dienst nicht sündigte, wiewohl es vergeblich dient und sein
Herr, die Sünde, nicht die Oberhand hat, vielmehr verdient es darum selbst
gekreuzigt und getötet zu werden, damit es aufhöre, so zu dienen. [Röm. 8,1]: So
ist nun nichts Verdammliches in denen, die in Christus Jesus sind, die nicht
nach dem Fleisch wandeln. Wahrlich, nichts Verdammliches, aber nicht:
Nichts Sündliches (peccati),
sondern etwas Sünde ist da, nicht von der, von der Latomus
allein sich einbildet, dass er sie kenne, durch welche der Geist der Sünde
dient, außer der Gnade, sondern der Sünde, welche eine solche sein würde, wenn
nicht die Gnade und die Gabe in der Gnade Eines Menschen die Oberhand hätten.
Die Natur der Sünde ist wirklich in ihnen, aber sie vermag nun nicht mehr, was
sie sonst vermocht hat.
Latomus muss also eine solche Stelle der Schrift
beibringen, dass dem Gesetz Gottes widerstreiten nicht Sünde sei, sondern eine
Strafe oder Schwachheit. Denn von dem, was er aus Augustinus sagt, dass der
Mensch darum nicht sündige, ist genug geredet, wie es genommen werden müsse,
nämlich er spricht von der Sünde außer der Gnade. Das führt der ungeschickte
Dialektiker gegen mich ein, der ich rede von der Sünde innerhalb der Gnade, wie
er überall und in allen Dingen tut und auf gewohnte Weise behauptet, was er
beweisen sollte, als ob er ersiegt hätte, eine Sünde in der Gnade gebe es bei
den Menschen nicht. Wenn er keine Schriftstelle beibringt, werden wir ihn
zwingen, mit der einfachen und eigentlichen Bedeutung der Worte sich zufrieden
zu geben, dass dem Gesetz Gottes widerstreiten wahrhaft sündig sei. So muss er
beweisen, dass gefangen nehmen unter das Gesetz der Sünde, und dem Gesetz
dienen soviel sei, wie schwach sein und nicht sündigen, sonst haben wir,
die Worte genommen, wie sie lauten, bewiesen, dass es dasselbe sei wie
sündigen, überall, bei einem jeden, von dem gesagt wird, er diene der Sünde
oder ihrem Gesetz. Wie Christus sagt Joh. 8,34: Wer Sünde tut, der ist der
Sünde Knecht, und 2. Petr. 2,19: Denn von welchem jemand überwunden ist,
des Knecht ist er, und Paulus selbst Röm. 6,17.18: Ihr wart Knecht der
Sünde; nun ihr frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knecht geworden der
Gerechtigkeit“. So ist hier Paulus selbst ein Knecht der Sünde, aber weil
er hinzufügt mit dem Fleisch, so unterscheidet er offenbar zwischen dem
einfachen der Sünde dienen (was Latomus allein
will und das er sich einbildet zu kennen) und zwischen mit dem Fleisch der
Sünde dienen.
Es ist nicht
wahr, was Latomus lehrt, dass bisweilen der Sünde
nicht gedient werde, und dies ist nicht wahr, weder einfach im Dienst der
Sünde, noch im Dienst der Sünde nach dem Fleisch. Denn alles, was der tut, der
ein Knecht der Sünde ist, ist Sünde. Sie ist der Herr seiner Person, und der
Dienst ist ein Name, nicht eines Werkes, sondern eines Standes, welcher alle
Bestrebungen des ganzen Lebens zusammenfasst, wie es dagegen etwas anderes ist,
einfach Gott dienen, als mit dem Fleisch. Die Gerechten dienen einfach Gott,
das geht nämlich die Person an, aber die Heuchler dienen ihm nur mit dem
Fleisch, weil sie dienen allein mit Werken, nicht mit dem Glauben des Herzens.
Und wie diese verdammliche Heuchler sind, so sind jene (dass ich so sage)
heilsame Heuchler, welche mit dem Fleisch der Sünde dienen, und sie sind böse,
dem Ansehen nach, aber gut in Wahrheit. Aber auch die äußerlichen Werke der
Heuchler sind nicht nichts, sondern wirklich nützlich und gut, weil sie der
Kreatur Gottes nützlich sind; so sind auch die Sünden der Gerechten wirklich
böse und schädlich, weil sie Werke der Sünde sind, und wie die guten Werke den
Heuchlern nichts nützen, so schaden den Gerechten ihre Sünden nichts. Weil ich
daher gesagt habe: Wie kann der ohne das Fleisch oder den Willen des Fleisches
wirken, der ohne dasselbe nicht sein kann? Hält denn nicht Latomus
gar ungereimt den Ausspruch des Paulus entgegen [2. Kor. 10,3]: Obgleich im
Fleisch, so wandeln wir doch nicht nach dem Fleisch?[25]
Als ob das wäre, nach dem Fleisch wandeln, da wir nicht ohne das Fleisch
wirken. Hierdurch meint er das Gleichnis zunichte gemacht zu haben, welches ich
von einem rostigen Werkzeug gegeben habe, so gar nichts sieht diese
sophistische Art. Paulus dient mit dem Fleisch der Sünde und doch wandelt er
nicht nach dem Fleisch. Doch dieser Wäger der Zeugnisse führt auch den Paulus
nicht richtig an, denn Paulus sagt 2. Kor. 10,3: Denn ob wir wohl im Fleisch
wandeln, so streiten wir doch nicht nach dem Fleisch [d.i. fleischlicher
Weise]. Der Sinn ist aber derselbe.
Doch was ist
es nötig, alle Sachen des Latomus einzeln
durchzugehen, da aus allen diesen Aussprüchen all das Seine reichlich widerlegt
ist und das Meinige bestätigt? Denn ich habe genügend gezeigt, dass Latomus ganz und gar sich stellt auf die Behauptung dessen,
das er beweisen sollte (petitio principii),
da er nicht will, dass Sünde von mir anders genommen werde, als wie er es
selbst nimmt. Mit vorsätzlicher Bosheit verdreht er sowohl meine Aussprüche als
auch die aller Väter, da er sie, wo sie einfach von der Sünde reden, dahin
zieht, dass es gegen die Sünde in der Gnade gesagt sei, oder er wendet das, was
von der Sünde des Ganzen gesagt ist (dass ich so sage), auf die Sünde des
Teiles an. Das tut er, weil er mit seinen Sophisten nie erkannt hat, was Gnade
und Sünde sei, was Gesetz und Evangelium, was Christus und ein Mensch.
Denn wer von
Sünde und Gnade, vom Gesetz und Evangelium, von Christus und den Menschen auf
christliche Weise handeln will, der darf fast nicht anders als von Gott und den
Menschen in Christus handeln. Da ist sehr vorsichtig in Acht zu nehmen, dass er
beide Naturen von der ganzen Person aussage, mit
allen ihren Eigenschaften, und doch sich hüte, dass er ihr nicht zuschreibe,
was einfach Gott oder einfach dem Menschen zukommt. Denn es ist etwas anderes,
von dem menschgewordenen Gott oder von dem zu Gott gemachten Menschen zu reden,
und etwas anderes, einfach von Gott und dem Menschen zu reden. So ist die Sünde
außer der Gnade etwas anderes als die in der Gnade, so dass du dir vorstellen
könntest, die Gnade oder die Gabe Gottes sei in die Sünde verhüllt und die
Sünde in die Gnade aufgenommen, so lange wir hier leben, dass die Sünde wegen
der Gabe und Gnade nun nicht mehr Sünde sein soll.
Aber dies
ist eine Betrachtung, welche mit mehr Muße behandelt werden muss. Deshalb will
ich es hier anstehen lassen, bis ich mehr Zeit habe und auch die anderen Sachen
widerlegen kann. Denn was er von der Buße und dem Ablass behauptet, ist nichts
wert, da er alles aus menschlichen Schriften beweist. Denn weder Gregor noch
irgendein Engel haben Macht gehabt, irgendetwas in der Kirche zu setzen oder zu
lehren, was aus der Schrift nicht bewiesen werden kann. Und zugleich glaube
ich, dass mit dem Angeführten hinlänglich bewiesen ist, die scholastische
Theologie sei nichts anderes als Unwissenheit der Wahrheit und ein Ärgernis,
welches neben die Schrift gesetzt ist. Es ist mir auch gleichgültig, dass Latomus mit der Undankbarkeit und der Beschimpfung gegen
den heiligen Thomas, Alexander und andere zeiht. Denn sie haben sich übel um
mich verdient gemacht. Ich glaube auch nicht, dass es mir an Verstand fehle,
selbst Latomus wird das zugestehen, und mein Fleiß
ist sicherlich nicht verborgen. Meinen Rat aber habe ich gesagt, dass ein
junger Mann die scholastische Philosophie und Theologie meide als den Tod
seiner Seele.
Die
Evangelien sind nicht so dunkel, dass sie den Kindern nicht verständlich sein
könnten. Wie sind denn die Christen unterrichtet worden zur Zeit der Märtyrer,
als es diese Philosophie und Theologie nicht gab? Wie hat Christus selbst
gelehrt? Die heilige Agnes war mit 13 Jahren eine Theologin, ebenso Lucia und
Anastasia, woraus haben sie gelernt? Denn die Studien der Universitäten haben
bis auf den heutigen Tag noch nicht irgendeinen Märtyrer oder Heiligen geliefert,
in so vielen Jahrhunderten, aus einer so großen Zahl, der da bewiese, dass ihre
Lehrweise Gott angenehm und recht sei, da jene aus Privatschulen Scharen von
Heiligen geliefert haben. Die philosophische und scholastische Theologie wird
an ihren Früchten erkannt. Denn in Bezug auf den Thomas von Aquino zweifle ich
sehr stark, ob er verdammt oder selig sei; eher würde ich glauben, dass
Bonaventura selig sei. Thomas hat viel Ketzerisches geschrieben, und er ist der
Urheber, dass Aristoteles herrscht als Verwüster der gottseligen Lehre. Was verschlägt
mir das, dass der Bullenbischof ihn unter die Heiligen erhoben hat?
Ich glaube
demnach, dass auch ich ein nicht ganz ungeschicktes Urteil in diesen Dingen
habe, weil ich darin erzogen bin, die Meinung der gelehrtesten Zeitgenossen
erkundet, die besten Schriften dieser Art durchdacht habe, in der Heiligen
Schrift wenigstens etwas gelehrt bin und einigermaßen geprüft durch die
Erfahrung in diesen geistlichen Dingen, welche, wie ich deutlich sehe, dem
Thomas abgegangen ist und allen, welche Ähnliches schreiben und lehren. Darum
sei jeder, der es annehmen will, durch meinen Rat gewarnt; ich tue, was ich tun
muss, und erinnere wiederum mit dem Apostel [Kol. 2,8]: Seht zu, dass euch
niemand beraube durch die Philosophie und lose Verführung (dies lege ich
getrost und zuversichtlich von der scholastischen Philosophie aus) nach der
Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen (dies sind die Rechte der Bullen
und was sonst in der Kirche ohne Schrift eingesetzt ist) und nicht nach
Christus. Hier ist klar, dass Paulus will, dass hier allein Christus
gelehrt und gehört werde. Wer aber sieht nicht, wie die hohen Schulen die Bibel
lesen? Vergleiche die, welche über die Meinungen der Lehrer (sententias) und über die Philosophie gelesen und
geschrieben haben, mit denen, welche über die Bibel geschrieben haben oder
dieselbe lehren (da sie das Hauptsächlichste von allen hätte blühen und
herrschen sollen), und du wirst sehen, wie die hohen Schulen das Wort Gottes
achten.
Aber ich
kehre zu dir zurück, mein lieber Jonas, und schicke diesen Latomus
von mir fort zu dir, damit er mir nicht mehr beschwerlich sei, da ich schon
angefangen habe, die Episteln und Evangelien deutlich auszulegen; das ist die
Ursache, dass es mir lästig gewesen ist, seinen Dreck zu lesen und zu
beantworten. Wenn es mir gut scheint, so werde ich zu anderer Zeit auf alles
antworten; nur habe ich als ein Verbannter Mangel an Büchern und trage das
Urteil der Ketzer-Magister[26],
dadurch sie die Juden auf die bloße Bibel zwingen wollten. Denn allein die
Bibel ist bei mir. Nicht, als ob bei mir viel davon abhinge, dass ich Bücher
habe, aber [dazu würden sie mir dienlich sein] weil ich sehen muss, ob die
Aussprüche der Väter von dem Gegner auch redlich angezogen werden. Denn den
Dionysius führt er dafür an, dass man Gott für die Abgeschiedenen „bitten“
soll, da jener doch vom Loben schreibt, wie ich mich sehr wohl erinnere. Und
warum antwortet nicht einer von euch auf das Übrige? Entweder du oder Andreas
Karlstadt? Warum kommt Amsdorf nicht hervor? Müsst ihr nicht alle ebenso wohl
die Ehre des Evangeliums verteidigen? Ich habe das Haupt der Schlange
zertreten, warum könnt ihr nicht den Leib zertreten?
Zum
Beispiel, da er das Wort Hiob 9,28: So fürchte ich alle meine Schmerzen
so auslegt: „ich fürchte“, das ist, ich beobachte; und das Wort Ps. 143,2: Gehe
nicht ins Gericht mit deinem Knecht usw., wo der Prophet bittet gegen das
Gericht Gottes, was er so auslegt: Das ganze Leben Gottes ist ohne Sünde, und
das ganze Leben keines Menschen ist ohne Sünde, darum will er nicht nach dem
Leben Gottes gerichtet werden. Daher macht er aus dem Gericht Gottes oder dem
Angesicht Gottes [vor welchem man erscheinen muss] das Leben Gottes. Wo aber
wird es in der Schrift so genommen? Also ist irgendein Teil unseres Lebens,
welcher sagen könnte: Gehe ins Gericht[27];
der müsste freilich zu einer anderen Zahl gehören als derer, welche alle
Lebendigen genannt werden. Aber führt er nicht die Väter ein? Sind aber die
Väter nicht auf Menschen gewesen? Könnte nicht irgendeiner von euch diese und
ähnliche Possen ganz leicht widerlegen? Das Gericht Gottes ist das Werk Gottes,
durch welches er nicht sein Leben mit uns vergleicht, sondern das unsrige
prüft. Was wäre es sonst für eine Ungereimtheit, dass das ewige Leben
verglichen werden sollte mit dem, welches nur einen Augenblick dauert? Vieles
und fast alles ist von dieser Art. Denn ich möchte gern, dass auch ihr etwas
für das Wort tätet, damit ich Muße bekäme und dem armen Volk endlich einmal
dienen könnte. Ihr Rekruten müsst auch geübt werden, und das geschähe am besten,
da ich noch lebe, wenn ich vielleicht noch etwas helfen kann. Aber, ich bitte
dich, da ist das Buch, nimm es. Wie freue ich mich, dass ich es nicht länger
bei mir behalten muss! Leb wohl. Aus meinem Patmos, den 22. Juni 1521.
[1] Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Johann Georg Walch. Bd. 18. Halle: Johann Justinus Gebauer. 1746. Sp. 1301 ff. [Jacobus Latomus, ca. 1475-1544, war Professor an der Universität in Löwen (Leuven) hatte Februar 1520 eine Verurteilung Luthers veröffentlicht. Anm. d. Hrsg.]
[2]
Orientiert an: Martin Brecht: Martin Luther.
Ordnung und Abgrenzung der Reformation. 1521-1532. Berlin: Evangelische
Verl.Anst. 1989. S. 16-18
[3]
2. Sam. 21,16: Jesbibenob war ein Nachkomme der
Riesen, wurde durch Abisai überwunden. Anm. d. Hrsg.
[4]
Von hier ab geht der Text nach der St. Louiser
Ausgabe.
[5]
So die Vulgata. In der deutschen Bibel: „Du bist,
der mich zu Ehren setzt.“
[6]
Dasjenige als Beweis gebrauchen, was erst
bewiesen werden muss.
[7]
Synekdoche: ein Teil für das Ganze, oder das
Ganze für einen Teil; Metalepsis ist ein Tropus, da das Folgende für das
Vorhergehende steht; Metapher ist ein Bild in einem einzigen Wort, während
Allegorie Bilder von Sachen enthält (vgl. Walch, St. Louiser Ausgabe, Bd. 22,
Tischreden, Kap. 52, § 3); Hyperbel ist Übertreibung.
[8]
Von der Dichtkunst, V. 47 f.
[9]
Von „austeilen“; von partior ist portio, pars
abgeleitet.
[10]
So in der deutschen Bibel.
[11]
Nämlich von פרע
[12]
Von Luther selbst deutsch gegeben
[13]
Die Philosophen unterscheiden verschiedene Arten
der Aussage, welche sie Kategorien nennen. Aristoteles hat deren zehn: Wesen,
Größe, Beschaffenheit, Beziehung, Ort, Zeit, Umstände, Fähigkeit, Tätigkeit,
Leiden.
[14]
Ante temeritatem d.h. ehe sie vermessen die
Bücher Luthers verbrannten.
[15]
Hiermit ist die 1519 herausgegebene Schrift des
Latomus gemeint: De trium linguarum, et studii theologici ratione dialogus.
[16]
D.h. dass er den Zorn der Anhänger der Bulle auf
sich laden werde.
[17]
Vielleicht sind hiermit die „Enkratiten“ gemeint,
die sich der Ehe, als eines Werkes des bösen Geistes, enthielten. Vgl.
Gueriches Kirchengeschichte, 7. Aufl., Bd. 1, 275.
[18]
D. i. Haufen von Zeugnissen
[19]
Si non proprio merito, tamen per proprium
meritum.
[20]
Reatus, eigentlich: Anklagezustand
[21]
„Neu“ bezieht sich auf novitates in der Vulgata.
[22]
Versehentlich von Luther geschrieben statt
hypostasis.
[23]
Habitus. Was darunter zu verstehen ist, ergibt sich aus dem
Folgenden zu Ende dieses Absatzes.
[24]
Walch: Das ist auch noch ein Irrtum der ersten
Zeiten aus dem Papsttum.
[25]
Nach der Vulgata nicht richtig von Latomus angeführt, wie Luther
gleich bemerkt.
[26]
Hierdurch kommt Luther auf das zurück, was er
gegen das Ende seiner Antwort auf die Vorrede des Latomus gesagt hat über das
Bücherverbrennen der Sophisten. Nach Luthers Absicht ist der obige Ausdruck
doppelsinnig, nämlich: Magister, welche andere als Ketzer verurteilen und doch
selbst die ärgsten Ketzer sind.
[27]
Nach den obigen Worten des Latomus ist zwar nicht
das ganze Leben, aber doch ein Teil desselben ohne Sünde.