Dem ehrwürdigen Herrn Erasmus
von Rotterdam Martinus Luther Gnade und
Friede in Christus. Dass ich recht spät,
ehrwürdiger Erasmus, auf Deine Untersuchung über den freien Willen antworte, geschieht
gegen alle Erwartung und auch gegen meine Gewohnheit, der ich bisher
derartige Gelegenheiten zum Schreiben nicht nur gern zu ergreifen sondern
darüber hinaus noch gesucht zu haben schien. Es wird sich vielleicht mancher
wundern über diese neue und ungewohnte - sei es Geduld sei es Angst -
Luthers, den auch so viele prahlerische Stimmen und Briefe der Gegner nicht
auf den Plan gerufen haben, welche Erasmus zu seinem Sieg beglückwünschen und
ein Triumphlied anstimmen: Sieh an! Hat dieser berüchtigte Makkabäus und
starrköpfige Behaupter seiner Ansichten endlich einen würdigen Gegner
gefunden, gegen den er nicht den Mund aufzutun wagt? Doch ich klage diese
nicht nur nicht an, sondern reiche Dir sogar selbst die Palme, die ich keinem
vorher gereicht habe - nicht nur weil Du an Beredsamkeit und Geist mich weit
überragst, was wir alle Dir mit Recht zugestehen (umsomehr als ich immer wie
ein Barbar in Barbarei" gelebt habe), sondern auch, weil Du meinen Geist
und meine Angriffskraft gehemmt und mich bereits vor Beginn des Kampfes müde
gemacht hast. Und das aus zwei Gründen:
Zunächst durch die Kunst, mit welcher bewundernswerten und anhaltenden
Mäßigung Du diese Sache behandelst, in welcher Du mir entgegengetreten bist,
auf dass ich ja nicht gegen Dich aufgebracht werden könnte. Sodann dadurch,
dass Du von Ungefähr oder aus Zufall oder Missgeschick in einer so wichtigen
Sache nichts sagst, was nicht schon früher gesagt ist. Und Du sagst soviel weniger
und gestehst dem freien Willen soviel mehr zu, als es bisher die
sophistischen mittelalterlichen Theologen taten (wovon ich ausführlicher
später reden werde),dass es sogar überflüssig scheint, diesen Deinen
Argumenten entgegenzutreten. Von mir sind sie früher schon oftmals widerlegt
worden, vollends zertreten und geradezu zerstampft sind sie durch das
unüberwindliche Buch Philipp Melanchthons, die Loci theologici, welche nach
meiner Meinung nicht allein der Unsterblichkeit, sondern auch kirchlichen
kanonischen Ansehens würdig ist. Wenn ich Deine Schrift damit verglich, wurde
sie mir so verächtlich und gering, dass ich Dich heftig bemitleidete, der Du
Deine treffliche und kunstvolle Schreibweise mit solchem Schmutz befleckst,
und mich über den ganz unwürdigen Gegenstand entrüstete, welcher mit so
kostbarem Schmuck der Beredsamkeit vorgeführt wurde, so als ob man Kehricht
oder Kot in goldenen oder silbernen Schüsseln auftrüge. Du scheinst das selbst auch
empfunden zu haben, der Du Dich so widerstrebend der Aufgabe dieser Schrift
unterzogen hast. Offenbar mahnte Dich Dein Gewissen, dass mir kein blauer
Dunst vorgemacht werden könnte, wenn Du auch mit noch so viel Kraft der
Beredsamkeit das Unternehmen versuchtest, so dass ich den eigentlichen Unrat
wahrnehmen würde, wenn ich die verführerischen Worte entfernte. Wenn ich auch
in der Redekunst unerfahren bin, so bin ich doch durch die Gnade Gottes in
der Erkenntnis der Dinge nicht unerfahren. So wage ich mit Paulus mir die
Erkenntnis zuzusprechen und sie Dir zuversichtlich abzusprechen, ungeachtet
dessen, dass ich die Beredsamkeit und die Begabung freiwillig und
pflichtschuldigst Dir zuspreche und mir abspreche. Deshalb habe ich
folgendermaßen überlegt: Wenn es Leute gibt, die unsere durch so viele
Schriften verteidigte Lehre nicht tiefer erfasst haben und nicht kräftiger festhalten,
als dass sie durch diese leichtwiegenden und nichts bedeutenden Argumente des
Erasmus bewegt werden, mögen diese auch kunstvoll verbrämt sein, so sind sie
es nicht wert, dass ich ihnen mit meiner Antwort zu Hilfe komme. Denn solchen
Menschen könnte nichts genügend gesagt oder geschrieben werden, wenn man
gleich viele tausend Bücher tausendmal wiederholte. Das wäre, als wenn man
das Meeresgestade pflügen oder der Wüste Samen anvertrauen oder ein
durchlöchertes Fass mit Wasser füllen wollte. Jenen nämlich, welche den Geist
aus unseren Schriften zum Lehrer genommen haben, ist reichlich von uns
gedient, und sie werden Deine Argumente leichtlich verachten. Die aber,
welche ohne den Geist Gottes lesen, bei denen muss man sich nicht wundern,
wenn sie durch jeden Wind, wie das Schilfrohr, bewegt werden. Ihnen würde
auch Gott nicht genug sagen, und wenn alle Kreaturen zu reden anfingen. Daher
hatte ich mich schon entschlossen, jene unbeachtet zu lassen, welche an
Deinem Buch Anstoß nehmen, zusammen mit denen, die prahlen und Dir den Sieg
zuerkennen. So hat weder die Menge der Geschäfte, noch die Schwierigkeit der
Sache, noch die Größe Deiner Beredsamkeit, noch die Furcht vor Dir, sondern
allein der Überdruss, der Unwille und die Geringschätzung, d. h. (damit ich
es ausspreche) eben mein Urteil über Deine Diatribe den Drang zu einer
Entgegnung gehemmt. Schweigen will ich
einstweilen davon, dass Du - Dir darin immer ähnlich - hartnäckig darauf
achtest, nur ja nirgendwo nicht aalglatt und zweideutig zu sein, und vorsichtiger
als Odysseus zwischen Scylla und Charybdis zu segeln scheinst. Während Du
nichts sicher behaupten willst, willst Du dennoch als jemand erscheinen, der
solche sicheren Behauptungen aufstellt. Was, frage ich, kann man mit einer
solchen Sorte Menschen vergleichen oder zusammenstellen außer dem, der
Proteus zu fangen fähig (also diesem überlegen) gewesen wäre? Was ich darin
vermag und was Deine Kunst Dir genützt hat, werde ich nachher mit Christi
Hilfe zeigen. Dass ich Dir jetzt antworte, ist durchaus nicht ohne Grund: die
gläubigen Brüder in Christus drängen und halten mir die Vermutung aller vor,
dass die Autorität des Erasmus nicht geringzuschätzen sei und dass die
Wahrheit der christlichen Lehre in den Herzen vieler in Gefahr sei. Auch ist
mir fürwahr endlich in den Sinn gekommen, dass mein Schweigen nicht recht
fromm gewesen und dass mir .von der Klugheit (oder Bosheit) meines Fleisches
übel mitgespielt worden sei, so dass ich meines Amtes nicht genügend
eingedenk gewesen sei, durch welches ich ein Schuldner bin der Weisen und der
Unweisen, zumal die Bitten so vieler Brüder mich zu dieser Aufgabe rufen.
Obgleich nämlich unsere Sache so beschaffen ist, dass der äußere Lehrer ihr
nicht genügt, sondern so, dass sie außer ihm, der äußerlich pflanzt und
begießt, auch des Geistes Gottes bedarf, welcher das Wachstum geben und
innerlich lebendig das Lebendige lehren muss (welcher Gedanke sich mir
auferlegte), so hätte dennoch, da dieser Geist frei ist und weht, nicht wo
wir wollen sondern wo er will, jene Regel des Paulus beachtet werden müssen:
"Sei beständig zur rechten Zeit und zur Unzeit", "denn wir
wissen nicht, zu welcher Stunde der Herr kommen wird". Es ist wohl
möglich, dass es solche gibt, welche den Geist als Lehrer bisher in meinen
Schriften noch nicht erkannt haben und durch die Diatribe des Erasmus zu
Boden gestreckt sind, vielleicht weil ihre Stunde noch nicht gekommen war.
Und wer weiß, bester Erasmus, ob Gott nicht auch Dich heimzusuchen sich
herablässt durch mich elendes und zerbrechliches Gefäß, so dass diese Schrift
zu einer glücklichen Stunde zu Dir komme (was ich von Herzen vom. Vater der
Barmherzigkeit durch Christus unseren Herrn erbitte), so dass ich den sehr
teuren Bruder reich mache. Denn wenn Du auch schlecht vom freien Willen denkst
und schreibst, so bin ich Dir doch nicht wenig Dank schuldig, dass Du mich in
meiner Ansicht so ' viel mehr bestärkt hast, sah ich doch die Sache des
freien Willens von einem solchen und so großen Geist mit Anspannung aller
Kräfte behandelt und so gar nicht vorwärtsgebracht, so dass es jetzt
schlechter mit ihr steht als vorher. Denn das ist offensichtlich ein Beweis
dafür, dass der freie Wille eine reine Lüge ist, dass es mit ihm geht wie mit
jenem Weibe im Evangelium: je mehr die Ärzte sich mit der Heilung befassen,
desto schlimmer steht es. Deshalb werde ich Dir in erhöhtem Maße dankbar
sein, wenn Du durch mich besser unterrichtet wirst, wie ich durch Dich
zuversichtlicher; aber beides ist Gabe des Geistes und nicht durch uns
bewirkt. Darum muss man Gott bitten, dass er mir den Mund, Dir aber und allen
das Herz auftue, und dass er selbst Lehrer sei mitten unter uns, der in uns
rede und höre. Von Dir aber, lieber Erasmus, lass mich dies erlangen, dass,
so wie ich Deine Unwissenheit in. diesen Dingen trage, Du umgekehrt meine
Unberedtheit trägst. Weder gibt Gott einem alles, noch können alle alles,
oder wie Paulus sagt, "die Gaben sind verteilt, aber es ist ein
Geist". Es bleibt also nur übrig, dass die Gaben einander Gegendienste
leisten, und dass einer mit seiner Gabe die Last und den Mangel des anderen
trage. So werden wir das Gesetz Christi erfüllen. Zunächst will ich einige
wesentliche Stücke Deiner Vorrede durchgehen, mit denen Du unsere Sache
ziemlich beschwerst und Deine herausstreichst: Zuerst dies, dass Du an mir
auch in anderen Büchern die Hartnäckigkeit tadelst, feste Behauptungen
aufzustellen, und in diesem Buche sagst. Du habest so wenig Freude an festen
Behauptungen, dass Du .Dich am liebsten der Meinung der Skeptiker anschließen
würdest, wo es nur ohne Verletzung der Autorität der göttlichen Schrift und
der Dekrete der Kirche möglich wäre, denen Du Deine Meinung gern unterwirfst,
sei es, dass Du begreifst, was sie vorschreibt, sei es, dass Du es nicht
begreifst. Diese Sinnesart gefällt Dir. Wie es billig ist, nehme ich
an, dass Du das wohlmeinenden Sinnes gesagt hast und als einer, der den
Frieden lieb hat. Wenn es aber ein anderer gesagt hatte, würde ich ihn, wie
ich es gewohnt bin, heftig angreifen. Aber ich darf auch nicht dulden, dass
Du - wenn auch in bester Meinung - dieser irrigen Ansicht huldigst. Denn das
ist nicht Christenart, sich nicht an festen Ansichten zu freuen, Man muss
vielmehr an festen Meinungen seine Freude haben oder man wird kein Christ
sein. Eine "feste Meinung" (assertio) aber nenne ich (damit wir
nicht mit Worten spielen): einer Lehre beständig anhängen, sie bekräftigen,
bekennen, verteidigen und unerschüttert bei ihr ausharren; nichts anderes,
glaube ich, bedeutet dieses Wort (asserere) im Lateinischen, sei es nach unserem
Brauch oder dem unseres Jahrhunderts. Weiter: ich spreche davon, dass man
eine feste Meinung haben muss in jenen Dingen, die uns durch Gott in den
heiligen Schriften überliefert sind. Im übrigen haben wir weder Erasmus noch
irgend einen anderen Lehrer nötig, der uns belehre, dass in zweifelhaften
oder unnützen und unnötigen Dingen feste Behauptungen, Kämpfe und
Streitigkeiten darum nicht nur töricht, sondern auch unfromm seien; Paulus
verurteilt sie an mehr als einer Stelle. Aber Du redest davon an dieser
Stelle auch nicht, glaube ich, es sei denn, dass Du nach der Sitte eines
lächerlichen Redners Dir das eine vornehmen und das andere behandeln
wolltest, oder dass Du im Wahnwitz eines gottlosen Schriftstellers behaupten
möchtest, dass der Artikel vom freien Willen zweifelhaft oder nicht notwendig
sei. Ferne seien von uns Christen
die Skeptiker, nahe aber seien uns die, welche mit äußerster Hartnäckigkeit
ihre festen Meinungen vertreten. Wie oft, frage ich, fordert der Apostel
Paulus jene Plerophorie, das heißt eine ganz sichere und feste Behauptung des
Gewissens? Röm. 10 nennt er sie ein Bekenntnis: "Mit dem Munde erfolgt
das Bekenntnis zur Seligkeit." Und Christus sagt: "Wer mich bekennt
vor den Menschen, den werde auch ich bekennen vor meinem Vater-" Petrus
befiehlt Rechenschaft abzulegen von der Hoffnung, die in uns ist. Was bedarf
es vieler Worte? Nichts ist bei den Christen bekannter und öfter gebraucht
als die feste Behauptung einer Meinung. Nimm die sicheren Gewissheiten weg,
und du hast das Christentum weggenommen. Ja, sogar der heilige Geist wird den
Christen vom Himmel gegeben, dass er Christus verherrliche und bekenne bis
zum Tode. Heißt das nicht eine feste Meinung vertreten, des Bekenntnisses und
der festen Meinung wegen sterben? Ja, so fest bejaht der heilige Geist, dass
er auch ungebeten kommt und die Welt der Sünde anklagt und gleichsam den
Kampf herausfordert. Und Paulus befiehlt dem Timotheus zu ermahnen und darin
anzuhalten auch zu Unzeiten. Das wäre mir aber ein heiterer Ermahner, der selbst
nicht fest glaubt noch beständig zu dem steht, wozu er selbst ermahnt! Aber ich bin mehr als
töricht, wenn ich mit einer Sache, die klarer ist als die Sonne, Worte und
Zeit verliere. Welcher Christ konnte den Satz ertragen, dass feste Meinungen
nicht zu ertragen seien? Das würde nichts anderes bedeuten, als ein für alle
Mal alle Religion und Frömmigkeit verleugnet, oder fest behauptet zu haben,
dass Religion oder Frömmigkeit oder irgendeine Lehre nichts sei. Was also
versicherst Du bestimmt: Du hättest keine Freude an festen Meinungen, und:
diese Sinnesart sei Dir lieber als die entgegengesetzte? Du wirst aber vom Bekenntnis
Christi und seiner Lehren hier nichts gesagt haben wollen, mit Recht werde
ich daran erinnert. Und Dir zuliebe weiche ich von meinem Recht und meiner
Gewohnheit und will über Dein Inneres nicht richten. Späterer Zeit oder
anderen behalte ich dies vor. Inzwischen mahne ich Dich, dass Du Zunge und
Feder besserst und Dich hinfort solcher Worte enthältst, denn wie auch immer
das Herz unbescholten und rein sei, so ist doch die Rede nicht so beschaffen,
die wie man sagt, das Herz erkennen läßt. Wenn Du nämlich meinst, dass die
Frage des freien Willens unnötig zu wissen sei und keine Beziehung auf
Christus habe, so redest Du zwar richtig, hast aber dennoch eine gottlose
Meinung. Wenn Du jedoch meinst, sie sei notwendig, so redest Du zwar gottlos,
aber Deine Meinung ist richtig. Und es wäre dann nicht der rechte Ort
gewesen, über unnötige feste Behauptungen und Streitigkeiten so viel zu
klagen und aufzuhäufen. Denn was trägt das zum Stand der Sache bei? Und was
wirst Du zu diesen Deinen Worten sagen, wo Du nicht in Bezug auf diese eine
Frage des freien Willens sondern über die Lehren der ganzen Religion im
allgemeinen sagst: dass Du Dich der Meinung der Skeptiker anschließen
würdest, wenn es die unverletzliche Autorität der göttlichen Schriften und
der Dekrete der Kirche gestatte, so wenig habest Du Gefallen an festen
Meinungen? Welch ein Proteus steckt in diesen Worten: "unverletzliche
Autorität" und "Dekrete der Kirche"? Es scheint nämlich, als
ob Du die Schrift und die Kirche sehr verehrtest, und dennoch läßt Du merken,
dass Du Dir die Freiheit wünschst, ein Skeptiker zu sein? Welcher Christ
würde so reden? Wenn Du dies von unnötigen und gleichgültigen Lehren sagst,
was bringst Du da Neues hervor? Wer wünschte hier nicht die Freiheit zur
skeptischen Äußerung? Ja, welcher Christ gebraucht nicht tatsächlich
freimütig diese Möglichkeit und verurteilt die, welche Verpflichtete und
Gefangene irgendeiner (nicht notwendigen) Meinung sind? Es sei denn, dass Du
sämtliche Christen für solche hältst (so klingen Deine Worte beinahe), deren
Lehren unnötig sind, um welche sie töricht zanken und mit scheinbar sicheren
Behauptungen streiten. Wenn Du aber wirklich von notwendigen Lehren sprichst,
was kann jemand Gottloseres geltend machen, als den Wunsch nach der Freiheit,
nichts Festes in diesen Dingen behaupten zu müssen? So wird vielmehr ein
Christ sprechen: Ich habe so wenig Gefallen an der Meinung der Skeptiker,
dass ich, wo es auch immer wegen der Schwäche des Fleisches nur möglich wäre,
nicht allein durch die heilige Schrift beständig überall in allen Stücken
fest gebunden und durch sie gewiss gemacht werden möchte, ja ich wünschte
auch, in den nicht notwendigen und außerhalb der Schrift gelegenen Dingen so
sicher wie irgend möglich zu sein. Denn was ist elender als die Ungewissheit
? Was sollen wir auch dazu
sagen, wo Du hinzufügst: denen ich überall meinen Verstand gern unterwerfe,
sei es, dass ich einsehe, was sie (Schrift und Kirche) vorschreiben, sei es,
dass ich es nicht einsehe. Was sagst Du da, Erasmus? Genügt es nicht, seinen
Verstand der Schrift zu unterwerfen? Unterwirfst Du ihn auch den
Dekreten der Kirche, Was kann jene entscheiden, was nicht in der Schrift
entschieden ist? Wo bleibt alsdann die Freiheit und die Vollmacht, jene
"Gesetzgeber" zu beurteilen, wie Paulus lehrt: "die andern
mögen es entscheiden"? Es gefällt Dir nicht, ein selbständiges Urteil
über die Entscheidungen der Kirche zu haben, das Paulus doch fordert? Was ist
das für eine neue Frömmigkeit und Demut, dass Du uns durch Dein Beispiel die
Freiheit nehmen willst, Menschenbeschlüsse zu beurteilen, und dass Du Dich
urteilslos den Menschen unterwirfst? Wo befiehlt uns das die Schrift Gottes ?
Welcher Christ mag ferner die Gebote der Schrift und der Kirche so in den
Wind schlagen, dass er sagen kann: ob ich es verstehe oder ob ich es nicht
verstehe? Du unterwirfst Dich und kümmerst Dich dennoch nicht darum, ob Du es
verstehst oder nicht? Der Christ sei wahrlich verflucht, der nicht gewiss ist
und begreift, was ihm vorgeschrieben wird. Denn auf welche Weise soll er
glauben, was er nicht versteht? Denn Du wirst hier das "begreifen"
(assequi) nennen, dass jemand etwas gewiss erfasst hat und nicht nach Sitte
der Skeptiker bezweifelt. Wenn "begreifen" vollkommenes Erkennen
und Sehen wäre, was könnte irgend ein Mensch überhaupt an einer Kreatur
begreifen? Dann wäre nämlich kein Platz dafür, dass jemand gleichzeitig etwas
begreifen und nicht begreifen kann. Sondern wenn er irgendeines begriffen
hätte, hätte er alles begriffen; zum Beispiel in Gott. Wer ihn nicht
begreift, begreift niemals auch nur einen Teil der Natur. In Summa, diese Deine Worte
klingen so, als ob Dir nichts daran liege, was von wem auch immer wo nur
immer geglaubt werde, wenn nur der Friede der Welt erhalten bleibe, und als
ob es erlaubt sei, um der Gefahr für Leben, Ruf, Besitz und Ansehen willen
jenen nachzuahmen, der da sagte: Sagt man ja, sage ich auch ja, sagt man
nein, sage ich auch nein. Das klingt so, als ob Du die christlichen Lehren
nicht für besser hältst als die Anschauungen der Philosophen und anderen
menschlichen Meinungen, um die es mehr als töricht ist sich zu streiten, zu
kämpfen, sie fest zu behaupten, weil von ihnen nichts als Streit und
Zerstörung des äußeren Friedens kommen: Was über uns ist, das geht uns nichts
an. Um unsere Streitigkeiten zu schlichten, verhältst Du Dich neutral, damit
Du beide Seiten im Gleichgewicht halten und überzeugen kannst, dass wir uns um
törichte und unnötige Dinge streiten. So, wiederhole ich, klingen
Deine Worte. Und was ich hierbei zu sagen unterdrückte, glaube ich, weißt Du
wohl, lieber Erasmus. Aber, wie ich schon sagte, die Worte mögen hingehen, Deine
eigentliche Meinung will ich einstweilen als entschuldigt ansehen, wenn Du
nur Dich nicht weiter herauslässt. Aber fürchte den Geist Gottes, der Herz
und Nieren erforscht und sich nicht mit wohlgesetzten Worten täuschen läßt.
Deshalb habe ich nämlich das gesagt, damit Du künftig aufhörst, uns der
Hartnäckigkeit und Starrköpfigkeit zu beschuldigen. Denn mit diesem Vornehmen
tust Du nichts anderes, als dass Du kundgibst, dass Du in Deinem Herzen eine
Gesinnung nährst, die selbst durchaus nicht glaubt, dass ein Gott sei, und
heimlich alle verlacht, die das glauben und bekennen. Lass uns Menschen sein,
die feste Meinungen haben, sich darum bemühen und an ihnen Freude haben. Du
magst es mit Deinen Skeptikern halten, bis Christus Dich auch wird berufen
haben. Der heilige Geist ist kein Skeptiker, er hat nichts Zweifelhaftes oder
unsichere Meinungen in unsere Herzen geschrieben, sondern feste Gewissheiten,
die gewisser und fester sind als das Leben selbst und alle Erfahrung. Damit
komme ich zum zweiten wesentlichen Stück, welches mit diesem zusammenhängt.
Wo Du die christlichen Lehren unterscheidest, gibst Du vor, einige seinen zu
wissen notwendig, einige nicht, und sagst, einige seien dunkel und verworren,
einige dagegen klar und verständlich. So tändelst Du, vielleicht durch die
Worte anderer getäuscht, oder übst Dich gleichsam in der rhetorischen Kunst.
Du führst aber für diese Ansicht jenes Wort des Paulus Röm. 11 an: "O
welche Tiefe des Reichtums der Weisheit und Erkenntnis Gottes!",
außerdem jenes Wort Jes. 40: "Wer hat dem Geist des Herrn geholfen oder
wer ist sein Ratgeber gewesen?" Das waren für Dich leichte Sprüche, weil
Du entweder wusstest, dass Du nicht für Luther sondern für das einfältige
Volk schriebst, oder weil Du nicht bedachtest, dass Du gegen Luther
schriebst. Denn ich hoffe, dass Du diesem doch einiges Studium und Urteil in
der heiligen Schrift zubilligst. Wenn nicht, auch gut, ich werde es Dir schon
abtrotzen. So sieht meine Unterscheidung
aus, damit ich auch ein wenig rhetorisch und dialektisch werden Zwei
verschiedene Dinge sind Gott und die Schrift Gottes, nicht weniger als der
Schöpfer und die Schöpfung Gottes zwei verschiedene Dinge sind. Dass in Gott
viel verborgen ist, was wir nicht wissen, daran zweifelt kein Mensch, so wie
er selbst vom jüngsten Tag sagt: "Von jenem Tag weiß niemand denn der
Vater". Und Apg. l: "Es gebührt euch nicht, zu wissen Zeit und
Augenblick". Und wiederum: "Ich weiß, welche ich auserwählt
habe". Und Paulus: "Es kennt der Herr die Seinen", und
dergleichen mehr. Aber dass in der Schrift etwas verworren sei und nicht
alles klar verständlich, das ist zwar durch die gottlosen Sophisten
verbreitet, mit deren Mund auch Du hier redest, Erasmus. Jedoch haben sie
niemals einen einzigen Artikel hervorgebracht noch hervorbringen können, mit
welchem sie diesen ihren Unsinn beweisen konnten. Durch solche
Schreckgespenster hat der Satan vom Lesen der heiligen Schrift abschrecken
wollen und die heilige Schrift verächtlich gemacht, damit er seine aus der
Philosophie hergenommene Pestilenz in der Kirche zur Herrschaft brächte. Das allerdings gebe ich zu,
dass viele Stellen in der Schrift dunkel und verworren sind, nicht um der
Hoheit der Dinge sondern um unserer Unkenntnis der Worte und der Grammatik
willen, die aber nicht die Erkenntnis aller Dinge in der Schrift hindern
können. Denn was kann in der Schrift noch Erhabeneres verborgen sein, nachdem
die Siegel aufgebrochen sind und der Stein von der Grabestür gewälzt ist,
jenes höchste Geheimnis verkündigt worden ist, dass Christus, der Sohn Gottes
Mensch geworden, dass Gott dreifältig und doch einer sei, dass Christus für
uns gelitten hat und ewiglich regieren werde. Ist das nicht in aller Welt
bekannt und verkündigt? Nimm Christus fort aus der Schrift, was wirst Du
weiter in ihr finden? Die Dinge, welche in der
Schrift verkündet sind, liegen also klar am Tage, mögen auch einige Stellen
bisher um unbekannter Worte willen dunkel sein. Töricht aber ist es wahrlich
und gottlos, zu wissen, dass der ganze Inhalt der Schrift im klarsten Licht
liegt, und wegen einiger dunkler Worte die Tatsachen für dunkel zu erklären.
Wenn an einer Stelle die Worte dunkel sind, so sind sie doch an einer anderen
klar verständlich. Dieselbe Sache aber, welche auf das offenkundigste aller
Welt vorgetragen ist, wird in der Schrift einmal mit klaren Worten
vorgetragen, ein anderes Mal liegt sie bisher wegen der unverständlichen
Worte verborgen. Es liegt wirklich nichts daran, wenn die Sache sich im
Lichte befindet, dass irgendeines ihrer Merkmale im Dunkeln liegt, während
jedoch viele andere ihrer Merkmale im Lichte stehen. Wer wird behaupten, ein
Öffentlicher Brunnen befinde sich nicht im Lichte, weil die in der
Seitenstraße stehen, ihn nicht sehen, während doch alle, die auf dem Markt
sind (wo er steht), ihn sehen können? Es ist also Unsinn, was Du
von der sog. koryzischen Grotte anführst ("die anfangs durch eine
gewisse angenehme Lieblichkeit anlockt und anzieht bis endlich das Entsetzen
und die Majestät der dort wohnenden Gottheit die immer tiefer Eingedrungenen
forttreibt"). So verhält sich die Sache in der Schrift nicht. Denn die
allererhabensten und dunkelsten Geheimnisse, um die es sich hier handelt,
sind nicht weit entfernt im Verstecke sondern öffentlich und vor aller Augen
vorgeführt und dargelegt. Christus hat uns das Verständnis eröffnet, dass wir
die Schrift verstehen, und "das Evangelium ist aller Kreatur
gepredigt", "sein Schall ist ausgegangen in alle Lande". Und:
"alles, was geschrieben steht, ist uns zur Lehre geschrieben".
Ferner: "alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zu unserer
Belehrung". Darum, Du und alle Sophisten: bringt irgendein einziges
Geheimnis heran, das bis jetzt in der Schrift noch dunkel ist. Dass aber
vielen vieles dunkel bleibt, das liegt nicht an der Dunkelheit der Schrift,
sondern an der Blindheit und Beschränktheit jener, die sich nicht bemühen,
die ganze klare Wahrheit der Schrift zu sehen, so wie Paulus von den Juden 2.
Kor. 5 sagt: "Die Decke bleibt über ihren Herzen" und wiederum 2.
Kor. 4: "Wenn unser Evangelium verhüllt ist, so ist es in denen
verhüllt, die verloren gehen, deren Herzen der Gott dieser Welt mit Blindheit
geschlagen hat". Mit demselben Frevelmut könnte jemand die Sonne und den
angeblich dunklen Tag beschuldigen, wenn er sich selbst die Augen verhüllte oder
aus dem Licht in die Finsternis ginge und sich selbst vor dem Licht verberge.
Es mögen also die elenden Menschen ablassen, an der Finsternis und der
Dunkelheit ihres Herzens mit gotteslästerlicher Verkehrtheit der völlig
klaren Schrift Gottes die Schuld zu geben Wenn Du also Paulus anführst,
der Röm. 11 sagt: "Unbegreiflich sind seine Urteile", so scheinst
Du das Pronomen "seine" auf die Schrift bezogen zu haben. Aber
Paulus sagt nicht: unbegreiflich sind die Urteile der Schrift, sondern: Gottes,
Ebenso sagt Jes. 40 nicht: "Wer hat erkannt den Sinn der Schrift,
sondern "den Sinn des Herrn". Wenn Paulus auch versichert, dass den
Christen der Sinn des Herrn bekannt sei, so doch aber in dem, was uns gegeben
ist, wie er ebenda sagt. Du siehst also, wie schläfrig Du diese Stellen der
Schrift angesehen und dass Du so geschickt zitiert hast, wie Du ebenso
passend fast überall angebliche Belegstellen für den freien Willen anführst.
So tragen auch Deine Beispiele, welche Du nicht ohne verdächtigen Umstand und
heimlichen Stachel anfügst, nichts zur Sache bei, wie die vom Unterschied der
Personen, von der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur, von der
unvergebbaren Sünde, deren dunkler Inhalt, wie Du behauptest, noch nicht
geklärt sei. Wenn Du dabei an die über diese Gegenstände angestellten
Untersuchungen der Sophisten denkst, was hat Dir die ganz unschuldige Schrift
getan, dass Du den Missbrauch der heillosen Menschen der Reinheit jener
vorwirfst? Die Schrift bekennt schlicht und einfach die Dreieinigkeit Gottes
wie die Menschheit Christi und die unvergebbare Sünde. Hier ist nichts dunkel
oder zweifelhaft, Auf welche Weise das aber zugeht, sagt die Schrift nicht,
obwohl Du es vorgibst, und ist auch zu wissen nicht notwendig. Die Sophisten
behandeln hier ihre Träume, diese klage an und verurteile sie, die Schrift
aber sprich frei davon. Wenn Du aber an das Wesen der Sache selbst denkst, so
klage wiederum nicht die Schrift sondern die Arianer an und diejenigen, denen
das Evangelium verborgen gewesen ist, dass sie die ganz klaren Zeugnisse von
der göttlichen Trinität und der Menschheit Christi infolge der Wirksamkeit
des Satans, ihres Gottes, nicht sehen. Und damit ich es kurz sage:
es gibt auch eine doppelte Klarheit der Schrift, so wie auch eine doppelte Dunkelheit,
eine äußere, durch die Hilfe des Wortes geschaffen, eine andere in der
Erkenntnis des Herzens gelegen. Wenn Du von der inneren Klarheit sprichst, so
wird kein Mensch eines einzigen Buchstabens in der Schrift gewahr, wenn er
nicht den Geist Gottes besitzt. Alle haben ein verfinstertes Herz, so dass
sie, wenn sie auch alles, was in der Schrift steht, zu sagen und vorzubringen
wissen, nichts davon wahrnehmen oder erkennen. Weder glauben sie an die
Existenz Gottes, noch dass sie seine Geschöpfe sind, noch irgend etwas
anderes, ganz entsprechend jenem Psalmwort: "der Unverständige sagt in
seinem Herzen, Gott gibt es nicht". Der Geist wird nämlich erfordert zum
Verständnis der ganzen Schrift oder irgend eines ihrer Teile. Wenn Du aber
von der äußeren Klarheit sprichst, so ist überhaupt nichts unklar oder
zweifelhaft gelassen, sondern alles, was auch immer in der Schrift enthalten
ist, ist durch das Wort in das gewisseste Licht gebracht und aller Welt
dargelegt. Aber noch weniger ist zu dulden, dass Du diese Frage des freien
Willens unter die zählst, die unnütz und nicht notwendig sind. Und an Stelle
dessen zählst Du uns auf, was Du für den christlichen Glauben für ausreichend
erachtest und zwar auf eine Weise, wie sie bestimmt jeder beliebige Jude oder
Heide, der von Christus gar nichts weiß mit Leichtigkeit beschreiben könnte.
Denn Du tust Christi nicht mit einem einzigen Jota Erwähnung, gleich als wenn
Du glaubtest, dass ein christlicher Glaube ohne Christus existieren könne,
wenn nur der von Natur grundgütige Gott mit allen Kräften verehrt würde. Was
soll ich dazu sagen, Erasmus? Wenn Du diese Sache als nicht notwendig für
Christen erachtest, so tritt bitte aus der Arena ab, wir haben nichts mit Dir
zu schaffen. Wir erachten sie für notwendig. Wenn es unfromm, wenn es
neugierig, wenn es überflüssig ist, wie Du sagst, zu wissen, ob Gott zufällig
etwas vorher weiß, ob unser Wille etwas tun kann in den Dingen, die zum
ewigen Heil gehören oder ob er sich nur passiv gegen die wirkende Gnade
verhält, ob wir, was wir Gutes oder Böses tun, aus reiner Notwendigkeit tun
oder besser gesagt geschehen lassen, was wird dann, frage ich, gottesfürchtig
sein? Was wichtig, was nützlich zu wissen? Das taugt ganz und gar
nichts, Erasmus, das ist zu viel. Es fällt schwer, dies Deiner Unwissenheit
zuzuschreiben, der Du doch schon ein alter Mann bist und unter Christen
gelebt und Dich mit der heiligen Schrift lange beschäftigt hast. Du läßt uns
nicht eine Möglichkeit, die uns Dich entschuldigen und gut von Dir denken
läßt. Und trotzdem verzeihen Dir die Katholiken diese Ungeheuerlichkeiten und
ertragen sie; deshalb weil Du gegen Luther schreibst. Andernfalls, wenn
Luther nicht lebte und Du derartiges schriebst, würden sie Dich mit den
Zähnen zerfleischen. "Plato ist Freund, Sokrates ist Freund" - aber
die Wahrheit muss vorgezogen werden. Denn magst Du auch zu wenig wissen von
der Schrift und vom christlichen Glauben, so müsste auch ein Freund der
Christen das wissen, was den Christen notwendig und nützlich ist, und was sie
nicht dafür erachten. Du aber, Theologe und Lehrer der Christen, der Du jenen
eine Gestalt des Christentums vorschreiben willst, bist nicht einmal auf
Deine skeptische Art unschlüssig darüber, was jenen notwendig und nützlich
sein könnte sondern schlägst Dich geradewegs auf die Gegenseite und urteilst
ganz gegen Deine Sinnesart mit unerhörter fester Behauptung, es seien diese
Artikel nicht nötig. Wenn diese Artikel nicht als notwendig und zuverlässig
erkannt sind, bleibt weder Gott noch Christus noch das Evangelium, noch der
Glaube noch irgend etwas anderes übrig, nicht einmal etwas vom Judentum, noch
viel weniger vom Christentum! Beim unsterblichen Gott, Erasmus, welch große
Öffnung, vielmehr welch weites Feld hast Du eröffnet, gegen Dich zu Werke zu
gehen und zu reden! Was könntest Du über den freien Willen Gutes und
Richtiges schreiben, der Du eine so große Unwissenheit in Bezug auf die
Schrift und den Glauben mit diesen Deinen Worten eingestehst? - Aber ich will
die Segel einziehen und nicht mit meinen Worten (was ich vielleicht nachher
tun werde) sondern mit Deinen eigenen Worten gegen Dich zu Werke gehen. Die von Dir beschriebene
Gestalt des Christentums schließt unter anderem dies in sich, dass wir mit
allen Kräften streben, dass wir an das Heilmittel der Buße uns wenden, dass
wir auf alle Weise die Barmherzigkeit des Herrn angehen sollen, ohne die
weder der menschliche Wille noch sein Streben wirksam ist. Ebenso, dass
niemand an der Gnade des von Natur grundgütigen Gottes verzweifeln solle.
Diese Deine Worte, ohne Christus, ohne Geist, kälter als das Eis selbst, so
dass sogar der Glanz Deiner Beredsamkeit den Fehler in ihnen hinnehmen muss,
welche Dir Ärmsten mit Mühe die Furcht etwa vor den Papisten und Tyrannen
herausgepresst hat, damit Du nicht völlig als Atheist erschienest, sie
versichern dennoch mit Nachdruck, dass Kräfte in uns existieren, dass man
alle Kräfte anspannen könne, dass es eine Barmherzigkeit Gottes gebe, dass
Gott von Natur gerecht, dass er von Natur grundgütig sei usw. Wenn jemand
also nicht weiß, was das für Kräfte sind, was sie vermögen, was sie zulassen,
welches ihr Ansatz ist, was ihre Wirksamkeit, was ihre Unwirksamkeit, was
soll der tun? Was willst Du ihn zu tun lehren? Es sei unfromm, hast Du
gesagt, neugierig und überflüssig, wissen zu wollen, ob unser Wille etwas tun
kann in den Dingen, die zur ewigen Seligkeit gehören, oder ob er sich nur
passiv gegen die wirkende Gnade verhält. Aber hier sagst Du das Gegenteil: es
gäbe eine christliche Frömmigkeit, man müsse alle Kräfte anspannen, und ohne
die Barmherzigkeit Gottes sei der Wille nicht wirksam. Hier versicherst Du
geradewegs, dass der Wille etwas vermöge in den Dingen, welche zur ewigen
Seligkeit gehören, da Du ihn als sich darum bemühend darstellst. Und
umgekehrt machst Du ihn zu einem passiven, da Du sagst, dass er ohne die
Barmherzigkeit unwirksam sei. Versteht sich, dass Du nicht definierst, wie
weit jenes aktive Tun und jenes passive Erdulden sich erstreckt, und Dir Mühe
gibst, Unwissenheit zu erzeugen, was die Barmherzigkeit Gottes vermöge und
was unser Wille, und zwar eben dort, wo Du lehrst, was unser Wille tue und
was die Barmherzigkeit Gottes. So dreht sich Deine Weisheit im Kreise herum,
mit welcher Du beschlössest, keiner der Parteien anzuhängen und zwischen
Scylla und Charybdis sicher hervorzugehen: dass Du mitten aus dem Meer mit
Fluten überschüttest und verwirrt alles fest bejahst, was Du verneinst und
verneinst, was Du fest bejahst. Es ist nicht unfromm,
neugierig oder überflüssig, sondern ganz besonders heilsam und notwendig für
den Christen zu wissen, ob der eigene Wille etwas oder nichts tun kann in den
Dingen, die zum Heil gehören. Ja das ist, damit Du im Bilde bist, sogar der
Angelpunkt unserer Disputation, hier liegt der Kern dieser Sache. Denn darauf
sind wir aus, dass wir untersuchen, was der freie Wille vermag, was er
zulässt, wie er sich zur Gnade Gottes verhält. Wenn wir das nicht wissen,
wissen wir rein gar nichts von den Angelegenheiten der Christen und werden
schlimmer sein als alle Heiden. Wer das nicht empfindet, gesteht damit ein,
dass er kein Christ sei, wer aber das tadelt und verachtet, möge wissen, dass
er der größte Feind der Christen ist. Denn, wenn ich nicht weiß, was, wieweit
und wieviel ich kann und zu tun vermag in Bezug auf Gott, so wird es mir ebenso
ungewiss und unbekannt sein, was, wieweit und wieviel Gott in Bezug auf mich
vermag, da Gott doch alles in allem wirkt. Wenn ich aber die Werke und die
Wirkungsmacht Gottes nicht kenne, so kenne ich Gott selbst nicht. Kenne ich
Gott nicht, so kann ich ihn auch nicht verehren, preisen, ihm Dank sagen und
ihm dienen, da ich ja nicht weiß, wieviel ich mir zuschreiben kann und
wieviel ich Gott schulde. Man muss also den genauesten
Unterschied machen zwischen der Kraft Gottes und unserer, zwischen dem Werk
Gottes und dem unseren, wenn wir fromm leben wollen. So siehst Du, dass diese
Aufgabe das eine Teil der ganzen Summe christlichen Wesens darstellt, von
welcher abhängt und wo auf dem Spiel steht die Kenntnis unserer selbst, die
Erkenntnis und die Ehre Gottes. Darum kann es bei Dir nicht gelitten werden,
lieber Erasmus, dass Du dieses Wissen unfromm, neugierig und nichtig nennst.
Viel sind wir Dir schuldig, aber dem Glauben sind wir alles schuldig. Ja, Du
selbst merkst, dass wir all unser Gutes Gott zuschreiben müssen und
versicherst das in Deiner Darstellung des Christentums. Wenn Du aber dies
behauptest, so versicherst Du bestimmt auch zugleich, dass die Barmherzigkeit
Gottes allein alles tue und dass unser Wille nichts tue, sondern vielmehr nur
passiv sei. Und dennoch bestreitest Du kurz danach, das zu versichern oder zu
wissen, sei gottesfürchtig, fromm und heilsam. So zu reden wird jedoch ein
Geist gezwungen, der in sich selbst nicht beständig und in den Sachen des
Glaubens unsicher und unerfahren ist. Der andere Teil der Summe des
Christentums ist es, zu wissen, ob Gott irgend etwas zufällig vorherweiss,
oder ob wir alles unter dem Zwang der Notwendigkeit tun. Und auch das nennst
Du unfromm, neugierig und nichtig, wie es alle Gottlosen tun und wie es auch
die Teufel und Verdammten hassenswert und verabscheuenswert machen. Du bist
auch nicht töricht, wenn Du Dich diesen Fragen entziehst (wofern es nur
möglich wäre) .Aber indessen wärest Du ein zu wenig guter Redner und
Theologe, wenn Du über den freien Willen ohne diese Stücke zu reden und zu
lehren wagtest. Ich will als Schleifstein dienen und, obwohl ich kein Rhetor
bin, den ausgezeichneten Rhetor an seine Aufgabe erinnern. Wenn Quintilian,
in der Absicht über die Redekunst zu schreiben, so redete: nach meiner
Ansicht sind jene törichten und überflüssigen Fragen der Auffindung des
Themas, der Disposition, des Ausdrucks, des Gedächtnisses, der Aussprache
wegzulassen, es genügt zu wissen, dass die Redekunst eine Kunst des
Wohlredens ist, würdest Du da nicht den Künstler auslachen ? Nicht anders
machst Du es auch, der Du über den freien Willen schreiben willst und als
erstes die ganze Substanz und alle Teile des Kunstwerkes abtrennst und
wegwirfst, über welches Du schreiben willst. Denn Du kannst unmöglich wissen,
was der freie Wille ist, wenn Du nicht weißt, was der menschliche Wille
vermag, was Gott tun kann, ob er es mit Notwendigkeit vorherweiss. Lehren
Dich Deine Rhetoren nicht, dass, wenn man über irgendeinen Gegenstand reden
will, sagen muss: zunächst, ob es ihn gibt, dann, was er sei, welches seine
Teile, was ihm entgegengesetzt, verwandt, ähnlich usw. ist? Du aber beraubst
den an sich schon elenden Gegenstand des freien Willens all dieser Dinge, und
grenzt keine ihn betreffende Frage ab, außer jener einzigen ersten, ob es ihn
gebe, und das mit solchen Argumenten wie wir sehen werden, so dass ich kein
schwächeres Buch (abgesehen von der Eleganz der Redeweise) über den freien
Willen bisher gesehen habe. Die Sophisten disputieren hier wenigstens
wirklich besser, wenn sie auch von der Rhetorik nichts verstehen, und
grenzen, wenn sie sich an den freien Willen machen, alle ihn betreffenden
Fragen ab: ob es ihn gebe, was er sei, was er wirke, wie es sich mit ihm
verhalte usw., mögen sie auch nicht bewerkstelligen, was sie versuchen. Ich
will deshalb mit diesem Buch Dir und allen Sophisten - hart zusetzen, bis ihr
mir die Kräfte und die Werke des freien Willens definiert. Und ich werde Dir
so zusetzen, wenn Christus mir gnädig ist, dass ich hoffe, Dich dahin zu bringen,
die Herausgabe Deiner Diatribe zu bereuen. Es ist also auch dies vor
allen Dingen notwendig und heilsam für den Christen, zu wissen, dass Gott
nichts zufällig vorherweiss, sondern dass er alles mit unwandelbarem, ewigem
und unfehlbarem Willen sowohl vorhersieht, sich vornimmt und ausführt. Durch
diesen Donnerschlag wird der freie Wille zu Boden gestreckt und ganz und gar
zermalmt. Deshalb müssen die, welche den freien Willen wollen behauptet
haben, diese schlagende Erkenntnis entweder verneinen oder verleugnen oder
auf irgendeine andere Weise von sich schaffen. Ehe ich aber das durch meine
Erörterung und durch die Autorität der Schrift bekräftige, will ich es zuvor
mit deinen Worten selbst behandeln. Bist Du es nicht, mein
Erasmus, der kurz vorher versichert hat, dass Gott von Natur gerecht, von
Natur grundgütig sei? Wenn dies wahr ist, folgt daraus nicht, dass er
unwandelbar gerecht und gnädig ist? Denn wie seine Natur sich in Ewigkeit
nicht wandelt, so auch nicht seine Gerechtigkeit und Huld. Was aber von
seiner Gerechtigkeit und Güte gilt, muss auch von seinem Wissen, seiner
Weisheit, Güte, seinem Willen und den anderen göttlichen Eigenschaften
gelten. Wenn also dies gottesfürchtig, fromm und heilsam von Gott bestimmt
ausgesagt werden kann, wie Du schreibst, was ist dann über Dich gekommen,
dass Du, im Widerspruch zu Dir selbst, jetzt behauptest, es sei unfromm,
neugierig und nichtig zu sagen, dass Gott alles mit Notwendigkeit
vorherwisse? Man höre nur: Du predigst dass man lernen müsse, Gottes Wille sei
unveränderlich, zu wissen, dass sein Vorherwissen unveränderlich sei,
verbietest Du aber. Oder glaubst Du, dass er etwas vorherweiss, ohne es zu
wollen, oder dass er etwas will, ohne es zu wissen? Wenn er es wollend
vorherweiss, so ist sein Wille (weil er zu seiner Natur gehört) ewig und
unveränderlich, wenn er etwas vorherwissend will, so ist sein Wissen (weil es
zu seiner Natur gehört) ewig und unveränderlich, Daraus folgt
unwiderstehlich: Alles, was wir tun, alles was geschieht, wenn es uns auch
veränderlich und zufällig zu geschehen scheint, geschieht dennoch tatsächlich
zwangsnotwendig und unwandelbar, wenn Du den Willen Gottes ansiehst. Denn der
Wille Gottes ist wirksam, er kann nicht gehindert werden, denn er ist Gottes
natürliche Wirkungsmacht. Er ist weiterhin weise, so dass er nicht getäuscht
werden kann. Wenn aber der Wille nicht gehindert werden kann, so das Werk
selbst auch nicht, dass es geschehe: an dem Ort, zu der Zeit, auf die Weise,
in dem Maße, wie er selbst vorhersieht und will. Die heidnischen Dichter und
das ungebildete Volk selbst führen das sprichwörtlich im Munde, Wie oft
erwähnt allein Vergil das Schicksal?: "Alles steht sicher durch
Gesetz". Ebenso: "Einem jeden ist seine Zeit bestimmt".
Ebenso: "Wenn Dich das Schicksal ruft". Ebenso: "Ob man das
harte Schicksal durchbrechen könne". Dieser Dichter tut nichts anderes,
als dass er an der Zerstörung Trojas und der Errichtung des römischen Reiches
aufzeigt, dass das Schicksal mehr vermag als die Anstrengungen aller Menschen
und so das Gesetz der Notwendigkeit den Dingen wie den Menschen auferlegt.
Schließlich unterwirft er auch seine unsterblichen Götter dem Schicksal, dem
sie notwendig weichen, auch Jupiter selbst und Juno. Von da her haben sie
ersonnen, jene drei Parzen, unwandelbar, unversöhnlich, unerbittlich. Jene weisen Männer haben
empfunden, was die Sache selbst durch die Erfahrung beweist, dass keinem
Menschen jemals seine Absichten geglückt sind, sondern dass allen anders, als
sie es dachten, ihr Vorhaben ausgegangen sei: ;-"Wenn Pergamon mit den
Fäusten hätte verteidigt werden können, wäre es mit den meinen verteidigt
worden", sagt Hektor bei Vergib Darum ist als Sprichwort in aller Munde:
"Was Gott will, das geschehe", ebenso: "so Gott will, wollen
wir es tun". Ebenso sagt Vergil: "So hat Gott es gewollt, so hat es
den Göttern gefallen, so habt ihr es gewollt". So sehen wir, dass im
einfachen Volk nicht minder das Wissen um die Vorherbestimmung und das
Vorherwissen Gottes geblieben ist, als die Gottesvorstellung selbst. Aber
die, die weise scheinen wollten, sind durch ihre Überlegungen davon
abgekommen, bis sie verblendeten Herzens Narren wurden und leugneten oder in
Abrede stellten das, was die Dichter und das einfache Volk und auch ihr
eigenes Gewissen für das Vertrauteste, Gewisseste und Wahrste halten. Darüber hinaus sage ich nicht
nur, dass dies wahr ist - wovon später ausführlicher an Hand der Schrift
gesprochen werden soll - sondern auch, dass es gottesfürchtig, fromm und
notwendig ist, das zu wissen. Wenn man davon nämlich nichts weiß, kann weder
der Glaube noch irgendein Gottesdienst bestehen. Denn das heißt wahrhaft von
Gott nichts wissen, bei welcher Unwissenheit das Seelenheil nicht bestehen
kann, wie bekannt ist. Wenn Du nämlich daran zweifelst oder es verachtest zu
wissen, dass Gott alles, nicht zufällig, sondern mit Notwendigkeit und
unwandelbar vorherweiss und will, wie wirst Du seinen Verheißungen glauben,
ihnen fest vertrauen und dich darauf stützen können? Denn wenn er etwas
zusagt, musst Du sicher sein, dass er zu erfüllen weiß, kann und will, was er
verspricht. Sonst wirst Du ihn nicht für wahrhaftig noch zuverlässig
erachten, welches ist Unglaube, höchste Gottlosigkeit und Verleugnung des
allerhöchsten Gottes. Wie kannst Du aber gewiss und
sicher sein, wenn Du nicht weißt, dass er gewiss und unfehlbar und
unwandelbar und zwangsläufig weiß und will und tun wird, was er verspricht?
Und nicht allein sicher müssen wir sein, dass Gott zwangsnotwendig und
unwandelbar das will und tun wird, sondern uns auch dessen rühmen, wie Paulus
Röm, 5: "Es bleibt aber dabei, dass Gott wahrhaftig ist und alle
Menschen Lügner". Und wiederum: "nicht, dass Gottes Wort fehlgehen
könne". Und an anderer Stelle: "Der Grund Gottes steht fest und hat
dies Siegel: Der Herr kennt die Seinen". Und Tit. l: "Welches Gott,
der nicht lügt, versprochen hat vor den Zeiten der Welt". Und Heb. 11:
"Wer zu Gott kommen will, muss glauben, dass Gott sei und denen, die auf
ihn hoffen, ein Vergelter sein werde". Daher wird da der christliche
Glaube geradezu ausgetilgt, die Verheißungen Gottes und das ganze Evangelium
stürzt gänzlich ein, wenn wir gelehrt werden und glauben, wir brauchten
nichts zu wissen von dem zwangsnotwendigen Vorherwissen Gottes und von der
Notwendigkeit dessen, was geschehen wird. Denn dies ist der Christen einziger
und höchster Trost in allen Widerwärtigkeiten, zu wissen, dass Gott nicht
lügt, sondern unwandelbar alles vollführt, und dass seinem Willen weder
Widerstand geleistet, noch dass er geändert oder gehemmt werden kann. Du siehst nun, Erasmus, wohin
uns diese Deine so überaus zurückhaltende, so überaus friedliebende Theologie
hinführt. Du wehrst uns und verbietest uns, darum uns zu bemühen, das
Vorherwissen Gottes und die Notwendigkeit an den Dingen und Menschen zu
lernen, sondern rätst uns, derartiges hinter uns zu lassen, zu vermeiden und
zu verachten. Mit Deinen unüberlegten Bemühungen lehrst Du uns zugleich,
danach zu streben, von Gott nichts zu wissen (was doch von allein kommt und
uns auch angeboren ist) den Glauben zu verachten, die Verheißungen Gottes zu
verlassen, alle Tröstungen des Geistes und Gewissheit des Gewissens für
nichts zu achten. Das würde selbst Epikur kaum vorschreiben. Darüber hinaus, damit noch
nicht zufrieden, nennst Du unfromm, neugierig und nichtig den, der sich
bemüht, solches zu lernen und vielmehr den gottesfürchtig, fromm und
vernünftig, der es verachtet. Was führst Du mit diesen Worten also anderes im
Schilde, als dass die Christen neugierig, nichtig und unfromm sind, als dass
das Christentum eine Sache ganz ohne jeden Wert ist, nichtig, töricht und
völlig unfromm? So geschieht es abermals, dass Du, Während Du von
Unbesonnenheit kräftig abschrecken willst, nach Art der Toren bis auf die
Gegenseite fortgerissen, nichts lehrst außer den höchsten Unbesonnenheiten,
Gottlosigkeiten und Schlechtigkeiten, Empfindest Du hieran nicht, dass Dein
Buch so unfromm, gotteslästerlich und verrucht ist, dass es nirgendwo
seinesgleichen hat? Ich sage das nicht von Deinem
Herzen, wie ich schon ausgeführt habe. Denn ich halte Dich nicht für so
schlecht, dass Du dies von Herzen lehren oder getan sehen willst, sondern
sage dies, um Dir zu zeigen, wie große Abscheulichkeiten unklug
herauszuschwatzen man gezwungen wird, wenn man eine schlechte Sache zu
vertreten unternimmt. Und dann, was es bedeutet, sich in Gottes
Angelegenheiten und Schrift zu drängen, wenn wir anderen zu Gefallen eine
Rolle übernehmen und gegen unser Gewissen einem fremden Schauspiel dienen. Es
ist kein Spiel und keine Kleinigkeit, die heilige Schrift und Frömmigkeit zu
lehren. Zu leicht stößt einem hier nämlich jener Fall zu, von dem Jakobus
sagt: "Wer in einem anstößt, der ist an allem schuldig". So
geschieht es nämlich, dass wir, während es scheint, dass wir nur mäßig
tändeln wollen und die heilige Schrift nicht genügend ehrfürchtig behandeln,
alsbald in Gottlosigkeiten uns verwickeln und in Gotteslästerungen
eintauchen. So ist es Dir hier gegangen, Erasmus. Der Herr verzeihe Dir und
erbarme sich Deiner. Im dritten Abschnitt (Deiner
Vorrede) gibst Du uns eine andere Art von Rat, der auch nicht gescheiter ist
als die vorher behandelten zwei: es sei offenbar, dass es gewisse Dinge von
solcher Beschaffenheit gäbe, dass es nicht zuträglich wäre - wenn sie auch
wahr seien und man sie wissen könne - sie vor aller Ohren vorzutragen. Auch
hier vermengst und vermischst Du wiederum alles nach deiner Gewohnheit, so
dass Du das Heilige dem Profanen gleichstellst, ohne jeden Unterschied.
Wieder bist Du in Verachtung und Unrecht der Schrift und Gott gegenüber
geraten. Ich habe oben schon gesagt, dass das, was in der Heiligen Schrift
überliefert oder bewiesen wird, nicht nur klar verständlich sondern auch zum
Heil gehörig ist, so dass es ohne Gefahr bekannt gemacht, gelernt und gewusst
werden kann, ja vielmehr muss. So ist es falsch, wenn Du sagst, dass es nicht
allen Ohren vorgetragen werden kann, d. h. wenn Du von dein sprichst, was in
der Schrift enthalten ist. Wenn Du aber von anderen Dingen sprichst, so geht
uns das nichts an und Du hast nichts zur Sache gesprochen, sondern mit Deinen
Worten Papier und Zeit verloren. Worauf bezieht es sich, wenn
Du meinst, dass bestimmte Dinge nicht allgemein behandelt werden dürfen?
Zählst Du etwa die Frage des freien Willens zu ihnen? Dann wird sich gegen
Dich wieder das alles wenden, was ich oben über die Notwendigkeit, den freien
Willen kennen zu lernen, gesagt habe. Weiter, warum folgst Du nicht Deiner
eigenen Forderung und unterlässt Deine Diatribe? Wenn Du aber gut daran tust,
den freien Willen zu behandeln, warum schiltst Du? Wenn es schlecht ist,
warum tust Du es? Wenn Du den freien Willen jedoch nicht zu diesen Stücken
zählst, so weichst Du indessen wiederum dem Stand der Frage aus und
behandelst als wortreicher Redner nicht zur Sache redend fremde Dinge. Hier ziehst Du einige Vergleiche
heran, welche Du reichlich zur Verfügung zu haben und geschickt zu verwenden
den Eindruck hervorrufen willst: es gäbe nämlich Krankheiten, wie den Aussatz
usw., bei welchen es das kleinere Übel wäre, sie zu ertragen, als sie zu
vertreiben. Ebenso fügst Du das Beispiel des Paulus hinzu, welcher
unterscheide zwischen dem, was erlaubt und dem, was nützlich sei. Es ist
erlaubt, sagst Du, die Wahrheit zu reden, aber sie ist nicht bei allen, noch
zu aller Zeit, noch auf alle Weise nützlich. Welch ein wortreicher Redner!
Trotzdem begreifst Du nichts von dem, was Du redest. In Summa, Du behandelst
diese Sache so, als ob es zwischen Dir und mir um das Risiko einer wieder zu
beschaffenden Geldsumme gehe, oder um irgendeine andere Sache von ganz
geringer Bedeutung, durch deren Verlust (da sie ja so viel weniger wert ist
als der äußere Friede) sich niemand so bewegen lassen dürfe, dass er nicht
nachgebe und handle, wie es die Umstände gestatten, und dass es nicht
notwendig sei, deswegen die Welt so in Unruhe zu versetzen. Ganz
offensichtlich gibst Du also zu verstehen, dass jener Friede und die Ruhe des
Reiches weit wichtiger scheint als der Glaube, als das Gewissen, als die
Seligkeit, als das Wort Gottes, als die Ehre Christi, als Gott selbst.
Deshalb sage ich Dir und bitte Dich, Dir das ganz fest ins Herz zu schreiben,
dass es mir in dieser Frage um. eine ernsthafte, notwendige und ewige Sache
gellt, so groß und so wichtig, dass sie auch unter Dahingabe des Lebens
behauptet und verteidigt werden muss, und wenn die ganze Welt darob nicht nur
in Unfriede und Aufruhr versetzt, sondern auch ganz in ein einziges Chaos
zusammengestürzt und vernichtet werden sollte. Und wenn Du das nicht
begreifst und wenn das auf Dich keinen Eindruck macht, so kümmere Dich um
Deine Sachen und lass jene es begreifen und anrühren, denen Gott es gegeben
hat. Denn ich bin auch nicht, Gott
sei Dank, so töricht und unvernünftig, dass ich um des Geldes willen, das ich
weder besitze noch wünsche, oder um der Ehre willen, die ich, wenn ich gleich
wollte, in dieser uns so feindseligen Welt nicht erlangen könnte, oder um des
leiblichen Lebens willen, dessen ich in keinem Augenblick gewiss sein kann,
diese Sache mit so großem Mut, mit so großer Ausdauer - welche Du
Hartnäckigkeit nennst - durch so viel Lebensgefahren, so viel Hass, so viel
Nachstellungen, kurz, durch die Wut der Menschen und Teufel hindurch so lange
führen und aufrechterhalten möchte. Oder meinst Du, dass Du allein ein Herz
habest, welches durch diesen Aufruhr schmerzlich bewegt wird? Wir sind auch
nicht aus Stein oder aus dem Marpesischen Felsen geboren. Aber, wenn es nun
einmal nicht anders sein kann, ziehen wir es vor, im Unfrieden dieser Zeit
zerstoßen zu werden, fröhlich in der Gnade Gottes, um. des Wortes Gottes
willen, das mit unüberwindlichem und nicht zu zerstörendem Male fest
behauptet werden muss, als dass wir in ewigem Unfrieden unter dem Zorn Gottes
durch unerträgliche Qualen zerrieben werden. Christus möge geben, wie ich
wünsche und hoffe, dass Dein Herz nicht so beschaffen sei; Deine Worte lauten
bestimmt so, als ob Du Gottes Wort und das zukünftige Leben für Fabeln
hältst. Denn durch Deinen Rat willst Du uns veranlassen, um der Päpste und
Fürsten oder dieses äußeren Friedens willen das ganz gewisse Wort Gottes je
nach Gelegenheit aufzugeben und ihnen nachzugeben. Wenn es aber aufgegeben
ist, so geben wir Gott, den Glauben, die Seligkeit und alles Christentum auf.
Um wie viel richtiger ermahnt uns Christus, lieber die ganze Welt zu
verachten ! Du kannst derartiges nur
sagen, weil Du nicht liest oder beobachtest, dass es das immerwährende Los
des Wortes Gottes ist, dass seinetwegen die Welt in Unruhe versetzt wird. Das
versichert auch öffentlich Christus: "Ich bin nicht gekommen", sagt
er, "Frieden zu senden, sondern das Schwert". Und bei Lukas:
"Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Förden", Und Paulus 2.
Kor. 6: "Unter Aufruhr" usw. Auch der Prophet bezeugt das
ausreichend im 2. Psalm, indem er versichert, dass die Heiden in Aufruhr
sind, dass die Völker murren, dass die Könige sich auflehnen, dass die Herren
miteinander ratschlagen gegen den Herrn und seinen Gesalbten, so als ob er
sagen will: die Menge, die Größe, der Reichtum, die Macht, die Weisheit, die
Gerechtigkeit und was in der Welt sonst erhaben ist, widersetzt sich dem Wort
Gottes. Sieh in der Apostelgeschichte, was alles in der Welt geschieht wegen
der Predigt des einen Paulus allein (um von den anderen Aposteln zu
schweigen). Wie bringt jener eine Mann sowohl die Juden wie die Heiden in
Erregung, so dass er - wie ebenda die bringt. Unter Elia wurde das Reich
Israel in Unruhe gebracht, wie König Ahab klagt. Wie groß war der Aufruhr zur
Zeit der anderen Propheten? Da sie alle gesteinigt und getötet werden, da
Israel gefangen nach Assyrien geführt wird, ebenso wie Juda nach Babylonien.
War das etwa Friede? Die Welt und ihr Gott können weder noch wollen sie das
Wort des wahren Gottes ertragen. Der wahre Gott aber kann weder noch will er
dazu schweigen. Was kann, wenn diese beiden Götter miteinander in Kampf
liegen, anderes als Aufruhr in der ganzen Welt sein? Diesen Aufruhr beschwichtigen
zu wollen, bedeutet also nichts anderes, als das Wort Gottes beseitigen und
verbieten. Denn das Wort Gottes kommt, um die Welt zu wandeln und zu erneuern,
so oft es kommt. Aber selbst die heidnischen Schriftsteller bezeugen, dass
Wandlungen der Dinge nicht ohne Bewegung und Aufruhr, ja sogar nicht ohne
Blutvergießen geschehen können. Der Christen Aufgabe ist es, dies
unerschrockenen Herzens zu erwarten und zu tragen, so wie Christus sagt:
"Wenn ihr hören werdet Krieg und Kriegsgeschrei, erschreckt nicht, das
muss zuerst geschehen, aber es ist noch nicht sogleich das Ende da". Und
wenn ich nicht diese Unruhen sähe, würde ich sagen, das Wort Gottes sei nicht
in der Welt. Jetzt, da ich es sehe, freue ich mich von Herzen und achte sie
gering, da ich ganz sicher bin, dass das Reich des Papstes mit dem, was ihm
anhängt, zusammenstürzen wird. Denn darauf hat das Wort Gottes, das jetzt
durch die Welt läuft, es ganz vornehmlich abgesehen. Ich sehe gar wohl,
lieber Erasmus, dass Du Dich in vielen Büchern über diese Unruhen, über den
Verlust des Friedens und der Eintracht beklagst. Weiterhin versuchst Du viele
Heilmittel, mit guter Absicht wie ich meinerseits glaube, aber diese
Krankheit lacht Deiner heilenden Hände. Denn mit dem, was Du sagst, schwimmst
Du hier wahrlich gegen den Strom, ja löschst ein Feuer mit Stroh. Höre auf zu
klagen, höre auf zu heilen, dieser Aufruhr ist aus Gott entstanden und
angerichtet, er wird nicht aufhören, als bis er alle Feinde des Wortes
"dem Kot der Straßen" gleichgemacht hat. Allerdings ist es
beklagenswert, dass es nötig ist, einen so großen Theologen wie Dich wie
einen Schüler an diese Dinge zu erinnern, der Du ein Lehrer der anderen sein
müsstest. Dahin also will Dein so
feiner Sinnspruch hinaus, dass gewiss Krankheiten besser ertragen als
beseitigt würden. Aber Du wendest ihn nicht richtig an. Du solltest sagen,
jene besser zu ertragenden Krankheiten seien jene Unruhen, Bewegungen,
Verwirrungen, Aufstände, Spaltungen, Zwistigkeiten, Kriege und dergleichen,
durch welche um des Wortes Gottes willen die ganze Welt erschüttert wird und
feindlich aneinander gerät. Das, meine ich, kann man besser vertragen, weil
es zeitliche Übel sind, als die alten und bösen Unsitten, durch welche mit
Notwendigkeit alle Seelen umkommen, wenn sie nicht durch das Wort Gottes
gewandelt werden. Wenn das aufgehoben wird, werden die ewigen Güter, Gott,
Christus, der Geist hinweggenommen. Um wieviel aber besser ist es, die Welt
dahinzugehen, als Gott, den Schöpfer der Welt, der unzählige Welten von neuem
schaffen kann und der besser ist als zahllose Welten? Denn wie ist ein
Vergleich zwischen Zeitlichem und Ewigem möglich? Dieser Aussatz der
zeitlichen Übel ist also besser zu ertragen, als dass alle Seelen vernichtet
und ewig verdammt würden und der Welt vor diesen Unruhen, diesem
Blutvergießen und Verderben Frieden geschafft würde und sie von ihnen
verschont bliebe, da eine einzige Seele um den Preis der ganzen Welt nicht
erkauft werden kann. Du hast schöne und hervorragende Gleichnisse und
Sinnsprüche. Aber wenn Du heilige Dinge behandelst, wendest Du sie kindisch,
ja vielmehr verkehrt an, denn du kriechst am Boden hin und denkst nicht über
die menschliche Fassungskraft hinaus. Denn weder ist kindisch noch bleibt in
der bürgerlichen oder menschlichen Sphäre, was Gott wirkt, sondern es ist
göttlich und übersteigt die menschliche Fassungskraft. So wie Du zum Beispiel
hier nicht siehst, dass diese Unruhen und Spaltungen auf Gottes Ratschluss
und sein Handeln hin hier in der Welt um sich greifen und fürchtest, dass der
Himmel einfallen könnte. Ich sehe das aber, Gott sei Dank, sehr wohl, weil
ich andere, größere in der zukünftigen Welt sehe, mit denen verglichen diese
wie ein sanftes Säuseln des Windes zu sein scheinen oder wie ein leichtes
Murmeln des Wassers. Auch dieser Teil Deines Rates
bzw. Abhilfevorschlages taugt nichts, da Du sagst: Es ist gestattet, die
Wahrheit zu sagen, aber sie nützt nicht bei jedermann, noch zu jederlei Zeit,
noch auf jederlei Weise. Und reichlich unpassend führst Du Paulus an, wo er
sagt: "Es ist mir alles erlaubt, aber es ist nicht alles nützlich".
Denn Paulus redet hier nicht von der Lehre oder von der Wahrheit, die gelehrt
werden muss, so wie Du seine Worte durcheinanderbringst und nach Deinem
Belieben deutest, da er vielmehr will, dass die Wahrheit überall, zu jeder
Zeit und auf jede Weise gesagt werde, so dass er sich sogar freut, dass
Christus als Vorwand und aus Neid gepredigt wird, und öffentlich durch sein
eigenes Wort bezeugt, dass er sich freue, auf welche Weise auch immer
Christus gepredigt werde. Paulus redet von der tätigen Ausübung der Lehre,
nämlich von denen, die sich der christlichen Freiheit rühmen, welche das ihre
suchen, aber das Ärgernis und den Anstoß der Schwachen nicht in Anschlag
bringen. Die Wahrheit und die Lehre muss immer Öffentlich, beständig
gepredigt werden, sie darf nicht gebeugt oder verheimlicht werden, weil in
ihr kein Ärgernis ist, denn sie ist ein "gerades Zepter". Wenn wir Dich schon bäten,
eine Entscheidung zu treffen, wann, wem und auf welche Weise die Wahrheit
gesagt werden kann, wann würdest Du das festsetzen? Eher wird diese Zeit
aufhören und die Welt ihr Ende finden, als dass du eine sichere Regel
aufgestellt hast. Wo bleibt inzwischen das Lehramt? Wo die Seelen, die
belehrt werden müssen? Und wie vermöchtest Du es, der Du keine begründete
Ansicht hast, weder in Bezug auf die Personen noch auf die Zeiten noch auf
die Art und Weise? Und wenn Du sie hervorragend besäßest, hättest Du dennoch
die Herzen der Menschen nicht erkannt. Es sei denn, dass dies für Dich die
Art und Weise, dies die Zeit, dies die Person sei, dass wir die Wahrheit so
lehrten, dass der Papst nicht unwillig werde, dass der Kaiser nicht zürne,
dass die Bischöfe und Fürsten nicht erregt würden, dass keine Unruhen und
Bewegungen in der Welt ausbrächen, dass nicht viele Anstoß nähmen und dadurch
schlimmer würden. Was das für ein Rat wäre, hast Du oben gesehen. Aber es
gefiel Dir nun einmal, mit unnützen Worten rhetorische Künste zu treiben,
damit Du ja etwas sagtest. Wie sehr also sollten wir
elenden Menschen Gott, der die Herzen aller Menschen kennt, diesen Ruhm
zuerkennen, dass er selbst die Weise, die Personen und die Zeiten vorschreibe,
die Wahrheit zu verkünden. Denn er weiß am besten, was, wann, auf welche
Weise und wem sie gesagt werden muss. Nun hat er es aber so angeordnet, dass
seinem Evangelium, das für alle heilsnotwendig ist, kein Ort und keine Zeit
vorgeschrieben würde, sondern dass es bei allen, zu jeder Zeit und an jedem
Ort gepredigt würde. Und oben habe ich bewiesen, dass alles, was in der
Schrift geschrieben steht, so beschaffen ist, dass es allen verständlich,
notwendig bekannt zu machen und heilsam ist. Denen, welche nicht wollen, dass
die Seelen erlöst werden, wie der Papst und die Seinen, sei es überlassen,
das Wort Gottes zu binden, und die Menschen vom Leben und vom Himmelreich
fernzuhalten, damit sie selbst nicht hineinkommen und auch andere nicht
eintreten lassen, Deren maßlosem Beginnen dienst Du, Erasmus, mit Deinem
Ratschlag auf gefährliche Weise. Um dieselbe Weisheit handelt es sich, wenn
Du sodann den Rat gibst, man dürfe es nicht öffentlich bekannt machen, wenn
auf den Konzilien etwas irrtümlich beschlossen worden sei, damit nicht
Veranlassung gegeben würde, das Ansehen der Väter herabzusetzen. Das gerade
hat der Papst durch Dich sagen lassen wollen und das hört er lieber als das
Evangelium. Es wäre sehr undankbar, wenn er Dich nicht seinerseits durch einen
Kardinalshut mit den entsprechenden Einkünften ehrte. Doch, Erasmus, was
sollen derweil die Gewissen tun, welche durch jenen unrechten Beschluss
gebunden und getötet sind? Interessiert Dich das nicht? Du bist zwar
fortwährend der Ansicht, oder gibst vor, es zu sein, dass menschliche
Satzungen ohne Gefahr neben dem lauteren Wort Gottes beobachtet werden
können. Wenn sie das könnten, würde ich mich leicht dieser Deiner Meinung
anschließen können. Wenn Du es also nicht weißt
(wie den durch den unrechten Beschluss in ihrem Gewissen gebundenen Menschen
geholfen werden soll) sage ich's noch einmal: menschliche Satzungen können
nicht zusammen mit dem Wort Gottes eingehalten werden Denn jene binden die
Gewissen, dieses macht sie frei, und sie kämpfen gegeneinander, wie Wasser
und Feuer falls die menschlichen Satzungen nicht freiwillig, das heißt als
nicht bindend eingehalten werden. Das ist es, was der Papst nicht will noch
wollen kann, wenn er nicht will dass seine Herrschaft verloren und zu Ende
sei, die nur durch die Bande und Fesseln um die Gewissen besteht, welche das
Evangelium für frei erklärt. Darum ist die Autorität der Väter für nichts zu
achten, und sind die irrtümlich beschlossenen Entscheidungen, wie es ja alle
ohne und außerhalb des Wortes Gottes gefällten sind, zu zerreißen und zu
verwerfen. Denn Christus gilt mehr als die Autorität der Vater. In Summa:
Wenn Du über das Wort Gottes so urteilst, so urteilst Du gottlos; wenn Du
aber über anderes ein Urteil abgibst, so geht uns die wortreiche Disputation Deines
Ratschlages nichts an. Wir reden vom Worte Gottes. Im letzten Teil der Vorrede
willst Du uns ernsthaft von dieser Art zu lehren abschrecken und meinst
beinahe, der Sieg sei für Dich errungen. Was (das sagst Du) gibt es
Unnützeres, als diesen Widersinn aller Welt vorzutragen, dass, was auch immer
von uns getan wird, nicht aus freiem Willen sondern auf Grund reiner
Notwendigkeit getan werde ebenso wie jenes Wort Augustins: Gott wirke das
Gute und das Böse in uns, er belohne seine eigenen guten Taten in uns und
bestrafe seine eigenen schlechten Taten in uns. Reich bist Du hier im
Rechenschaft geben oder besser gesagt Rechenschaft fordern. Wie weiten Raum
zur Gottlosigkeit (das sagst Du) würde dies Wort der großen Menge eröffnen,
wenn es sterblichen Menschen bekanntgemacht würde? Welcher Böse würde sein
Leben bessern: Wer würde sich von Gott geliebt glauben? Wer würde gegen sein
Fleisch ankämpfen? Ich wundere mich, dass Du in
so großer Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit nicht auch des
Streitgegenstandes gedenkst und sagst; Wo wird denn der freie Wille bleiben?
Lieber Erasmus, darauf antworte ich noch einmal: Wenn Du diese angeblichen
Widersinnigkeiten für von Menschen erfunden hältst, was strengst Du Dich an?
Was regst Du Dich auf? Gegen wen schreibst Du? Oder gibt es heutzutage irgend
jemand auf der Welt, der heftiger Menschenlehren verfolgt hat als Luther?
Darum geht mich Deine Ermahnung nichts an. Wenn Du aber glaubst, dass diese
scheinbaren Widersinnigkeiten Gottes Wort sind, wo ist da Deine ehrbare Miene?
Wo Dein Schamgefühl? Wo, ich sage zwar nicht jene bekannte Bescheidenheit des
Erasmus, sondern die Gott wahrhaft geschuldete Furcht und Ehrfurcht? Da Du
sagst, es könne nichts Unnützeres gesagt werden als dies Wort Gottes?
Versteht sich, Dein Schöpfer soll von Dir, seinem Geschöpf, lernen, was
nützlich und unnütz zu predigen sei, und jener törichte und unweise Gott soll
bisher nicht gewusst haben, was gelehrt werden soll, bis Du, sein Lehrer, ihm
das Maß der Einsicht und des Gebietens vorschriebest, so als ob er selbst
nicht gewusst hätte, wenn Du es ihn nicht gelehrt hättest, dass sich aus
jenem Widersinn das ergebe, was Du folgerst. Wenn also Gott gewollt hat,
dass diese Dinge Öffentlich gesagt und vorgetragen werden, und dass man auf
das, was sich daraus ergebe, nicht blicken solle, wer bist Du, dass Du es
verbieten willst? Der Apostel Paulus behandelt im Brief an die Römer dasselbe
nicht im Winkel, sondern öffentlich und vor aller Welt mit größtem Freimut
und noch härteren Worten ausführlich, wenn er sagt: "Welche er will, die
verstockt er", und wiederum: "Gott wollte seinen Zorn kund
tun" usw. Was gibt es Härteres (aber nur für das Fleisch) als jene Wort
Christi: "Viele sind berufen, wenige sind auserwählt"? Und wiederum:
"Ich weiß, welche ich erwählt habe". Es versteht sich, wenn man
Dich als Vorbild nimmt, dass all dies derartig beschaffen ist, dass nichts
Unnützeres gesagt werden kann, weil dadurch offenbar gottlose Menschen zur
Verzweiflung und zur Gotteslästerung hingeführt werden. Hier hältst Du es, wie ich
sehe, für richtig, dass die Wahrheit und die Nützlichkeit der Schrift soll
beurteilt und ermessen werden nach dem Gutdünken der Menschen, auch der ganz
gottlosen, so dass, was ihnen gefallen hat oder erträglich erschienen ist,
erst dann wahr, göttlich und heilsam ist, was aber nicht, sogleich unnütz,
falsch und gefährlich. Was bewerkstelligst Du mit diesem Ratschlag anderes,
als dass die Worte Gottes vom Ermessen und der maßgebenden Entscheidung der
Menschen abhängen, mit ihnen stehen und fallen? Während doch die Schrift das
Entgegengesetzte sagt, dass alles mit dem Willen und der Entscheidung Gottes
stellt und fällt und dass vor dem Angesicht Gottes die ganze Erde stille sein
soll. So wie Du müsste der sprechen, der sich einbildete, dass der lebendige
Gott nichts anderes sei als irgendein leichtfertiger und törichter Schwätzer,
der auf irgendeinem Rednerpodium einen Vortrag hält und dessen Worte man,
wenn man wollte, in beliebiger Hinsicht auslegen, annehmen und ablehnen
könnte, je nach dem Maße, in dem man sieht, dass jene gottlosen Menschen
davon bewegt oder beeindruckt werden. Hier gibst Du deutlich zu
erkennen, lieber Erasmus, aus welcher inneren Haltung heraus Du oben geraten
hast, dass man die Majestät der göttlichen Entscheidungen verehren müsse.
Denn als es sich dort um die Lehren der Schrift handelte und es keineswegs
nötig war, Verstecktes und Verborgenes zu verehren, weil es dort so etwas
nicht gibt, da bedrohtest Du uns in reichlich frommen Worten mit den
koryzischen Grotten, auf dass wir nicht neugierig in sie eindrängen, so dass
Du uns furchtsam beinahe vom Lesen der ganzen Schrift abschrecktest, die zu
lesen doch Christus und die Apostel so sehr drängen und zureden, und Du
selbst auch an anderer Stelle. Hier aber, wo man nicht zu
den Lehren der Schrift oder zur koryzischen Grotte allein, sondern wahrhaft
zu den verehrungswürdigen Geheimnissen der göttlichen Majestät gelangt ist,
nämlich zur Frage, warum Gott so handelt, wie es (von ihm in der Schrift)
gesagt ist, da durchbrichst Du alle Schranken und stürzt hinein, beinahe Gott
lästernd. Welchen Unwillen bezeugst Du nicht gegen Gott, weil er die Absicht
und den Grund für sein so beschaffenes Urteil nicht sehen läßt? Warum nimmst
Du nicht auch hier die Dunkelheiten und Rätsel zum Vorwand? Warum hältst Du
Dich nicht selbst davon zurück und schreckst nicht andere, Jenen Dingen
nachzugehen, die uns nach Gottes Willen verborgen sein sollten, und die er in
der Schrift nicht offenbart hat? Hier muss man den Finger vor den Mund
halten, die verborgenen Ratschlüsse der göttlichen Majestät anbeten und mit
Paulus ausrufen:- "lieber Mensch, wer bist Du. dass Du mit Gott rechten
willst" Wer, sagst Du, wird sich
ernstlich bemühen, sein Leben zu bessern? Darauf antworte ich: Kein einziger
Mensch. Und keiner wird auch dazu imstande sein denn Deine sogenannten
"Verbesserer", die ohne den Geist Gottes sind, interessieren Gott
gar nicht, weil sie Heuchler sind Die Auserwählten und die Frommen aber
werden durch den heiligen Geist gebessert werden, die übrigen werden
ungebessert zu Grunde gehen. Denn Augustin sagt nämlich auch nicht, dass
keines oder aller Menschen gute Werke belohnt werden, sondern:
"einiger", so dass es nicht gar keiner sein wird, der sein Leben
besserte. Wer wird glauben, sagst Du,
dass er von Gott geliebt werde? Darauf antworte ich: kein einziger Mensch
wird es glauben, und keiner wird auch (von sich aus) dazu imstande sein. Die
Auserwählten aber werden es glauben die übrigen werden ohne zu glauben
untergehen, zornig und Gott lästernd, so wie Du es hier tust. Deshalb wird es
nicht gar keiner sein, der es glaubte. Was aber nun das betrifft, dass durch
diese Lehren der Gottlosigkeit Raum eröffnet wird so sei es so. Jene mögen zu
dem Aussatz gehören. von dem oben gesagt wurde, dass er das zu ertragende
Übel sei. Nichtsdestoweniger wird
gleichzeitig durch dieselben Lehren für die Frommen und Auserwählten die
Pforte zur Gerechtigkeit und der Eingang zum Himmel und der Weg zu Gott
eröffnet. Wenn wir nach Deinem Rat uns jener Lehren enthielten und den
Menschen dieses Wort Gottes verborgen hielten, so dass ein jeder, durch
falsche Vorspiegelung vom Heil getäuscht, Gott nicht lernte zu fürchten und
sich zu demütigen, damit er durch die Furcht schließlich zur Gnade und Liebe
gelangte, so hätten wir zwar die von Dir beanstandete Öffnung schön
geschlossen, dafür an ihrer Stelle aber uns und allen Menschen Tore mit zwei
Flügeln, ja sogar Schlünde und Abgründe, nicht nur zur Gottlosigkeit, sondern
zu den Tiefen der Hölle eröffnet. Derart kämen wir selbst nicht in den Himmel
und hinderten außerdem andere, in ihn einzugehen. Welchen Nutzen aber bringt es
und welche Notwendigkeit besteht (sagst Du), derartiges allgemein zu
verbreiten, da so viele Übel daraus hervorzugehen scheinen? Darauf antworte
ich: es müsste eigentlich genügen zu sagen: Gott hat gewollt, dass es
allgemein verbreitet werde. Nach der Begründung für den göttlichen Willens
Entschluß dürfen wir nicht fragen, sondern müssen ihn schlicht anbeten und
Gott die Ehre geben, welcher, da er allein gerecht und weise ist, niemand
Unrecht tun und töricht und ohne Grund etwas ordnen kann, selbst wenn es uns
ganz anders scheinen möchte. Und mit dieser Antwort sind die Frommen
zufrieden. Dennoch, um im Überfluss Rechenschaft zu geben: zwei Ursachen
fordern die Predigt dieser Lehren. Die erste ist die Demütigung unseres
Hochmutes, und die Erkenntnis der Gnade Gottes, die andere der christliche
Glaube selbst. Erstens: Gott verheißt den
Demütigen, das heißt denen, die an sich verzweifelt sind und sich aufgegeben
haben, mit Bestimmtheit seine Gnade. Ganz und gar aber kann sich kein Mensch
eher demütigen, bis dass er weiß, dass seine Seligkeit vollständig außerhalb
seiner Kräfte, Absichten, Bemühungen, seines Willens und seiner Werke
gänzlich von dem Belieben, Beschluss, Willen und der Tat eines anderen,
nämlich Gottes allein, abhänge. Wenn er nämlich im Vertrauen auf sich selbst
bleibt - und das tut er so lange wie er sich einbildet, er vermöge auch noch
so wenig für seine Seligkeit zu tun - und nicht von Grund auf an sich
verzweifelt, so demütigt er sich deswegen nicht vor Gott, sondern vermutet
oder hofft oder wünscht wenigstens Gelegenheit, Zeit oder irgendein gutes
Werk, dadurch er dennoch zur Seligkeit gelange. Wer aber wirklich nicht daran
zweifelt, dass alles vom Willen Gottes abhänge, der verzweifelt völlig an
sich selbst, wählt nichts eigenes, sondern erwartet den alles wirkenden Gott.
Der ist am nächsten der Gnade und der Seligkeit. Deshalb werden um der
Auserwählten willen diese Lehren gepredigt, damit sie - auf diese Weise
gedemütigt und zunichte geworden - selig werden. Die übrigen widerstehen
dieser Demütigung, ja sie verurteilen sogar diese Verkündigung der
Verzweiflung an sich selbst, sie wollen, dass ihnen wenigstens ein ganz klein
wenig übrig gelassen werde, das sie selbst vollbringen können. Das ist, sage
ich, der eine Grund: dass die Frommen die Verheißung der Gnade in Demut
erkennen, anrufen und empfangen. Der andere Grund ist, dass
der Glaube es mit den unsichtbaren Dingen zu tun hat. Damit also dem Glauben
Raum gegeben werde, ist es notwendig, dass alles was geglaubt wird, sich
unsichtbar mache. Er kann sich aber nicht gründlicher unsichtbar machen als
unter dem Gegensatz zur Empfindung und Erfahrung, wie er hier vorliegt. So
zum Beispiel: wenn Gott lebendig macht, tut er das, indem er tötet, wenn er
gerecht macht, tut er das, indem er schuldig macht, wenn er in den Himmel
bringt, tut er das, indem er zur Hölle führt, so wie die Schrift sagt:
"Der Herr tötet und macht lebendig, führt in die Hölle und wieder
heraus". (Von diesen Dingen ausführlicher zu reden ist jetzt nicht der
Ort, die unsere Bücher gelesen haben, denen sind sie ganz vertraut). So
verbirgt er seine ewige Güte und Barmherzigkeit unter ewigem Zorn,
Gerechtigkeit unter Ungerechtigkeit. Hier liegt die höchste Stufe des
Glaubens vor: zu glauben, dass er gnädig ist, der so wenige rettet und so
viele verdammt, zu glauben, dass er gerecht ist, der durch seinen eigenen
Willen uns notwendig verdammenswert macht, so dass es scheint, wie Erasmus
sagt, dass er an den Qualen der Unglücklichen Gefallen habe und mehr Hass als
Liehe verdiene. Wenn ich also auf irgendeine Weise verstehen könnte, wie
dieser Gott barmherzig und gerecht sein kann, der so viel Zorn und
Ungerechtigkeit an den Tag legt, wäre der Glaube nicht nötig. Jetzt, da es
nicht begriffen werden kann, wird Raum, den Glauben zu entfalten, indem
solches gepredigt und allgemein bekannt gemacht wird, ganz wie, wenn Gott
tötet, der Glaube an das Leben, im Tode geübt wird. Davon sei jetzt in der Vorrede
genug gesagt. Die andere angebliche
Widersinnigkeit: Was von uns getan wird, geschieht nicht aus freiem Willen,
sondern aus reiner Notwendigkeit, wollen wir kurz betrachten, damit wir es
nicht hingehen lassen, dass sie als sehr gefährlich bezeichnet wird. Hier
sage ich so: Sobald das bewiesen ist, dass unsere Seligkeit außerhalb unserer
Kräfte und Beschlüsse vom Wirken des alleinigen Gottes abhängt, was ich unten
im Hauptteil der Untersuchung unumstößlich darzutun hoffe, folgt dann nicht
klar, dass alles böse ist, was wir tun, wenn Gott mit seinem Wirken in uns
nicht zugegen ist, und dass wir notwendig so zu handeln pflegen, dass es
nichts für die Seligkeit wert ist? Wenn nämlich nicht wir, sondern Gott die
Seligkeit in uns wirkt, so ist nichts heilsam, was wir vor seinem Wirken tun,
ob wir wollen oder nicht. Umgekehrt, wenn Gott in uns wirkt, will und handelt
andererseits der durch den Geist Gottes gewandelte und freundlich
eingeblasene Wille wiederum aus reiner Lust und Neigung, so dass er durch
nichts Entgegengesetztes in etwas anderes verwandelt werden, ja nicht einmal
durch die Pforten der Hölle besiegt oder gezwungen werden kann. Sondern er
fährt fort das Gute zu wollen, gern zu haben und zu lieben, so wie er vorher
das Böse wollte, gern hatte und liebte. Das beweist wiederum die Erfahrung,
Denn wie unüberwindlich und standhaft sind die heiligen Männer, während sie
mit Gewalt zu anderem gezwungen werden sollen. Ja, sie werden dadurch noch
mehr zum Wollen angespornt, so wie das Feuer vom Wind mehr angefacht als
ausgelöscht wird. So dass auch hier nicht irgendeine Freiheit oder ein freier
Wille, sich anders wohin zu wenden oder anders zu wollen existiert, solange
der Geist und die Gnade Gottes im Menschen andauert. In Summa, wenn wir unter dem
Gott dieser Welt sind, ohne die Einwirkung und den Geist des wahren Gottes,
worden wir gefangen gehalten nach seinem Willen, wie Paulus zu Timotheus
sagt, so dass wir nur wollen können, was er selbst will. Denn er ist der
starke Gewappnete, der sein Haus so bewahrt, dass sich ruhig halten alle, die
er besitzt, damit sie nicht irgendeine Erregung oder Empfindung gegen ihn
hervorrufen. Sonst bliebe das Reich des Satans, in sich zerteilt, nicht
bestehen, während doch Christus versichert, dass es bestehen bleibe. Und das
tun wir willig und gern, entsprechend der Natur des Willens, der kein Wille
mehr wäre, wenn er gezwungen würde. Denn Zwang ist vielmehr (um das so
auszudrücken) Nichtwille. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt, ihn besiegt
und uns als seine Beute raubt, so werden wir umgekehrt durch dessen Geist
Sklaven und Gefangene (was dennoch eine königliche Freiheit bedeutet), so
dass wir gern wollen und tun, was er selbst will. So ist der menschliche Wille
in die Mitte gestellt (zwischen Gott und Satan) wie ein Zugtier. Wenn Gott
sich darauf gesetzt hat, will er und geht, wohin Gott will, wie der Psalm
sagt: "Ich bin wie ein Tier geworden und ich bin immer bei dir".
Wenn Satan sich darauf gesetzt hat, will und geht er, wohin Satan will. Und
es steht ; nicht in seiner freien Entscheidung, zu einem von beiden Reitern
zu laufen oder ihn sich zu verschaffen zu suchen, sondern die Reiter selbst
kämpfen miteinander, ihn zu erlangen und zu besitzen. Was nun, wenn. ich aus Deinen
eigenen Worten, mit welchen Du den freien Willen behauptest, beweisen werde,
dass es keinen freien Willen gibt? So dass ich unwiderleglich dartun werde,
dass Du, ohne es zu wissen, verneinst, was Du mit so großer Klugheit
behaupten willst. Fürwahr, wenn ich das nicht tun werde, schwöre ich, dass alles
widerrufen sein soll, was ich gegen Dich in diesem Buch schreibe, und
bestätigt, was gegen mich Deine Diatribe sowohl behauptet wie zu erlangen
sucht. Du veranschlagst die Kraft des freien Willens sehr klein und so
beschaffen, dass sie ohne die Gnade Gottes geradezu unwirksam ist. Gibst Du
das nicht zu? Ich frage Dich nunmehr und bitte um Antwort: wenn die Gnade
Gottes fehlt oder von jener so kleinen Kraft getrennt wird, was kann sie (die
Kraft des freien Willens) selbst tun ? Unwirksam (sagst Du) ist sie und wirkt
nichts Gutes. Also wird der freie Wille nichts tun, was Gott oder seine Gnade
will, weil wir angenommen haben, dass die Gnade Gottes von ihm getrennt ist.
Was aber die Gnade Gottes nicht tut, ist nicht gut. Daraus folgt, dass der
freie Wille ohne die Gnade Gottes wahrlich nicht frei, sondern unwandelbar
ein Gefangener und Sklave des Bösen ist, dass er sich nicht von allein zum
Guten hinwenden kann. Wenn dies feststellt,
gestalte ich Dir, dass Du die Kraft des freien Willens nicht nur für sehr klein
hältst, mache sie meinetwegen engelgleich, mache sie, wenn Du kannst,
vollkommen göttlich, wenn Du nur diesen traurigen Anhang hinzufügst, dass Du
sie, ohne die Gnade Gottes, als unwirksam bezeichnest. Dann hast Du ihm
sogleich alle Kraft genommen. Denn was ist eine unwirksame Kraft, wenn nicht
überhaupt keine Kraft? Zu sagen, es gebe einen freien Willen und er besitze
eine bestimmte, aber unwirksame Kraft, bedeutet daher das, was die Sophisten
einen Widerspruch in sich selbst (oppositum in adiecto) nennen, gleich als
wenn Du sagtest: der freie Wille ist etwas, was nicht frei ist, ebenso wenn
Du das Feuer als kalt und die Erde als heiß bezeichnetest. Möge das Feuer
durchaus die Kraft der Hitze, selbst der höllischen Hitze besitzen, wenn es
nicht brennt und nicht versengt, sondern vielmehr kalt ist und kalt macht,
soll es für mich nicht ein mal Feuer und noch weniger heiß genannt werden, es
sei denn, dass man etwas Gemaltes oder Eingebildetes auch für Feuer halten
will. Jedoch wenn wir das als Kraft
des freien Willens bezeichnen sollen, wodurch der Mensch befähigt wird, vom
Geist Gottes ergriffen und mit seiner Gnade erfüllt zu werden, als der zum
ewigen Leben oder Tod erschaffen ist, so wäre das richtig gesagt. Diese Kraft
nämlich, das heißt Fähigkeit, bekennen auch wir. Dass sie nicht den Bäumen
und auch nicht den Tieren beigelegt ist, wer weiß das nicht? Denn Gott hat
nicht, wie man zu sagen pflegt, für die Gänse den Himmel geschaffen. Fest
steht also, auch durch Dein eigenes Zeugnis, dass wir alles aus Notwendigkeit
tun und nichts aus freiem Willen, da die Kraft des freien Willens nichts ist,
und nichts wirkt und nichts Gutes vermag, wenn die Gnade fehlt. Es sei denn,
dass Du "Wirksamkeit" mit neuer Bedeutung als "vollkommenes
Vollbringen" auffassen willst, gleichsam als ob der freie Wille etwas
anfangen und wollen, aber nur nicht vollbringen könne. Aber das glaube ich
nicht, und werde später ausführlicher über diesen Gegenstand reden. Daraus folgt nun, dass der
freie Wille ein völlig göttlicher Ehrenname ist und keinem anderen zustehen
kann, denn allein der göttlichen Majestät. Sie nämlich kann und tut alles,
was sie will, im Himmel und auf Erden. Wenn dieser Titel Menschen beigelegt
wird, so geschieht das mit nicht mehr Recht, als wenn ihnen auch die Gottheit
selbst zuerkannt würde. Größer als diese Gotteslästerung kann aber keine
sein. Deshalb hätten die Theologen sich dieses Wortes enthalten, wenn sie von
menschlichem Vermögen sprechen wollten, und es allein Gott überlassen sollen.
Weiter hätten sie es aus dem Mund und dem Sprachgebrauch der Menschen
entfernen und es gleichsam als einen heiligen und ehrwürdigen Titel für ihren
Gott in Anspruch nehmen sollen. Und wenn sie überhaupt irgendein Vermögen den
Menschen zuerkennen wollten, hätten sie lehren sollen, dass man es mit einem
anderen Wort als "freier Wille" benennen müsse, zumal es uns
bekannt ist und wir wahrnehmen, dass mit diesem Wort das Volk elend betrogen
und auf Abwege geführt wird, da es etwas ganz anderes in diesem Wort hört und
sich vorstellt, als die Theologen darunter verstehen und in ihren
Erörterungen gebrauchen. Denn das ist ein allzu
prächtiges, umfassendes und inhaltsreiches Wort: "freier Wille",
von welchem das Volk (so wie es auch die Bedeutung und die Natur des Wortes
fordert) glaubt, dass damit jene Kraft bezeichnet werde, welche sich frei
nach beiden Seilen wenden kann und weder irgend jemand weichen muss noch
unterworfen ist. Wenn es jedoch wüsste, dass sich das ganz anders verhält,
und dass es ein ganz winziges Etwas, kaum wie ein Fünklein bedeutet, und dass
auch das ganz unwirksam ist für sich allein, gefangen und dienstbar dem
Teufel, so wäre es verwunderlich, wenn sie uns nicht steinigten, als so große
Spötter und Betrüger, die wir anders reden und etwas ganz anderes damit bezeichnen,
während sogar nicht einmal feststeht oder Übereinkunft erreicht ist darüber,
was wir damit bezeichnen sollen. Wer nämlich sophistisch redet, sagt der
Weise, ist hassenswert, am meisten, wenn er das in Glaubensdingen tut, wo für
das ewige Heil Gefahr besteht. Da wir also die Bedeutung und die Sache eines
so ruhmreichen Wortes außer Acht gelassen, ja niemals besessen haben, warum
behalten wir ein leeres Wort so hartnäckig bei, zur Gefährdung und Täuschung
des gläubigen Volkes ? Das ist keine andere Weisheit
als die, mit der jetzt Könige und Fürsten die leeren Herrschaftstitel von
Königreichen und Gebieten beibehalten, für sich in Anspruch nehmen und sich
damit rühmen, während sie indessen beinahe Bettler sind und nichts weniger
als diese Reiche und Gebiete besitzen. Das ist freilich erträglich, da sie
niemand täuschen oder betrügen, sondern nur sich selbst mit Prahlereien
füttern, vollkommen ohne eigenen Gewinn. Jedoch hier handelt es sich um
Gefährdung des Heils und allerschädlichste Täuschung. Wer würde nicht jenen
unpassenden Worteveränderer verlachen oder vielmehr unausstehlich finden, der
wider den Sprachgebrauch aller eine derartige Redeweise einzuführen
versuchte, dass er den Bettler reich nannte, nicht weil er irgendwelches
Besitztum hätte, sondern weil vielleicht irgendein König ihm seine eigenen
schenken könnte. Ebenso, wenn er einen Todkranken als vollkommen gesund
bezeichnete, allerdings nur deshalb, weil ein anderer ihm seine Gesundheit
geben könnte. Also, wenn er einen ganz ungelehrten, einfältigen Menschen sehr
gelehrt nannte, weil irgend ein anderer ihm vielleicht Gelehrsamkeit geben
könnte. Ebenso klingt es auch hier: der Mensch hat einen freien Willen,
freilich unter der Bedingung, dass Gott ihm seinen geben würde. Bei diesem
Missbrauch der Sprache konnte jeder beliebige sich einer jeden beliebigen
Sache rühmen, wie z. B.: jener ist Herr des Himmels und der Erde. Aber das
schickt sich nicht für Theologen, sondern für ;Schauspieler und Betrüger.
Unsere Worte müssen zuverlässig, ohne Vorbehalt und besonnen sein, und, wie
Paulus sagt, gesund und untadelig. Wenn wir nun überhaupt dieses Wort nicht
aufgeben wollen, was am sichersten und frömmsten wäre, sollten wir lehren, es
doch bis dahin gewissenhaft zu gebrauchen: dass dem Menschen ein freier Wille
nicht im Bezug auf die Dinge eingeräumt sei, die höher sind als er, sondern
nur in Bezug auf das, was so viel niedriger ist als er, d. h. daß er weiß,
er, habe in Bezug auf seine zeitlichen Geldmittel und Besitztümer das Recht,
etwas zu gebrauchen, zu tun, zu lassen nach freiem Ermessen (obwohl auch dies
durch den freien Willen Gottes allein gelenkt wird, wohin immer es ihm
gefällt). Im übrigen hat er gegenüber Gott, oder in den Dingen, welche
Seligkeit oder Verdammnis angehen, keinen freien Willen, sondern ist
gefangen, unterworfen, verknechtet entweder dem Willen Gottes oder dem Willen
des Satans. Das habe ich von den Hauptabschnitten Deiner Vorrede gesagt, die
auch selbst fast den ganzen Streitgegenstand umfassen, beinahe mehr als der
folgende Hauptteil des Buches. Dennoch ist ihr eigentlicher Inhalt so
beschaffen gewesen, dass er mit diesem kurzen Doppelsatz hätte erledigt
werden können: Entweder sucht Deine Vorrede Worte Gottes zu ergründen oder
aber Menschenworte. Erforscht sie Menschenworte, so ist sie ganz umsonst
geschrieben und geht uns nichts an, wenn aber Worte Gottes, so ist sie ganz
gottlos. Daher wäre es nützlicher gewesen, wenn darüber gesprochen worden
wäre, ob es Worte Gottes oder der Menschen seien, über die wir Disputieren. Dieweil aber Paulus gebietet,
den unnützen Schwätzern das Maul zu stopfen, wollen wir die Streitfrage
selbst in Angriff nehmen, und in der Reihenfolge, welche die Diatribe
einhält, die Sache behandeln, so dass wir zunächst die Argumente widerlegen,
welche für den freien Willen beigebracht werden, alsdann verteidigen, was von
den unseren bestritten wird und schließlich gegen den freien Willen für die
Gnade Gottes kämpfen. Zuerst wollen wir, wie es
richtig ist, bei der Definition selbst beginnen, mit welcher Du den freien
Willen folgendermaßen definierst: "Weiter verstehen wir hier unter dem
freien Willen das Vermögen des menschlichen Willens, durch das der Mensch
sich dem anpassen oder von dem abwenden kann, was zum ewigen Heil
führt". Weise, wahrlich, wird von Dir die Definition ohne Zusatz
hingestellt und keiner ihrer Teile erklärt (wie es doch die Gepflogenheit
anderer ist), denn Du hast vielleicht nicht bloß einen Schiffbruch
gefürchtet. Dir scheint die Ansicht derer
hart zu sein, aber doch recht annehmbar, die da verneinen, dass der Mensch
ohne besondere Gnade das Gute wollen könne, die da verneinen, dass er
anfangen könne, verneinen, dass er fortschreiten, vollenden könne usw.; diese
Ansicht läßt Du deshalb gelten, weil sie dein Menschen das Bemühen und
Versuchen, aber nichts belässt, was er seinen eigenen Kräften zuschreiben
könnte. Härter ist Dir die Ansicht derer, die behaupten, der freie Wille sei
nur imstande zu sündigen, die Gnade allein wirke in uns das Gute usw. Am
härtesten jedoch scheint Dir die Ansicht jener, welche sagen, dass der freie
Wille eine leere Bezeichnung sei, sondern dass Gott vielmehr sowohl das Gute
wie das Böse in uns wirke, und dass alles, was geschehe aus reiner
Notwendigkeit vor sich gehe. Gegen diese Zuletztgenannten richtet sich Deine
Schrift, wie Du bekennst, Weißt Du auch, was Du redest, lieber Erasmus? Du
unterscheidest hier drei Meinungen, als ob sie zu drei Richtungen gehörten,
weil Du nicht merkst, dass es dieselbe Sache ist, die einmal mit diesen, das
andere Mal mit jenen Worten auf verschiedene Weise von uns erörtert wird, die
wir dieselben und einer Richtung Lehrer sind, Doch wir wollen Dich
unterweisen und Dir die Schläfrigkeit bzw. Stumpfheit Deines Urteils zeigen.
Ich frage Dich, wie passt die oben von Dir gegebene Definition des freien
Willens zu dieser ersten Dir recht annehmbar scheinenden Meinung? Du hast
nämlich gesagt, der freie Wille sei das Vermögen des menschlichen Willens,
durch das sich der Mensch zum Guten hinwenden kann. Hier aber behauptest Du
und billigst die Behauptung, dass der Mensch ohne die Gnade nicht das Gute
wollen kann. Die Definition bejaht, was ihre zweite Formulierung verneint,
und man findet in Deinem freien Willen zugleich Ja und Nein, so dass Du uns zugleich
sowohl zustimmst wie verdammst, wie Du auch Dich selbst verdammst und
billigst in ein und demselben Lehrsatz und Artikel. Oder meinst Du, es sei
nicht etwas Gutes, sich zu dem hinzuwenden, das zum ewigen Heil gehört, wie
es Deine Definition dem freien Willen zuerkennt? Denn die Gnade ist überhaupt
nicht nötig, wenn so viel Gutes im freien Willen wäre, dass er dadurch sich
selbst zum. Guten wenden könnte. Darum ist etwas anderes der freie Wille, den
Du definierst, und etwas anderes der freie Wille, den Du verteidigst. Und es
hat nun Erasmus zwei freie Willen, die vor den übrigen und einander selbst
geradezu entgegengesetzt sind. Doch wir wollen das fallen
lassen, was die Definition ersonnen hat, und das betrachten, was an
Gegenteiligem die Meinung selbst vorträgt. Du gibst zu, dass der Mensch ohne
besondere Gnade nicht das Gute wollen kann (denn wir erörtern jetzt nicht,
was die Gnade Gottes vermag, sondern was der Mensch ohne die Gnade vermag).
Du gibst also zu, dass der freie Wille nicht das Gute wollen kann; das
bedeutet nichts anderes, als dass er sich nicht zu dem hinwenden kann, was
zum ewigen Heil gehört, wie Deine Definition lautet. Kurz vorher sagst Du
sogar, der menschliche Wille sei nach dem Sündenfall so verderbt, dass er,
nachdem er die Freiheit verloren habe, gezwungen werde, der Sünde zu dienen,
und sich nicht zu einer Besserung seiner selbst zurückwenden könne. Ich
meine, hier stehe dem Proteus gar kein Ausweg mehr offen; mit klar zu Tage
liegenden Worten wird er gefangen gehalten, dass nämlich der Wille nach
Verlust seiner Freiheit gezwungen und gehalten werde in der Knechtschaft der
Sunde. O du ungewöhnlich freier Wille, den Erasmus selbst nach Verlust seiner
Freiheit als der Sünde verknechtet bezeichnet! Wenn Luther dies sagen würde, so
hatte man nichts Törichteres gehört, so könnte nichts Unnützeres als dieser
Widersinn verbreitet werden, so dass man sogar Diatriben gegen ihn schreiben
müsste. So ist die erste Meinung
beschaffen, wenn man sie mit sich selbst vergleicht: sie verneint, dass der
Mensch etwas Gutes wollen könne und wenn ihm auch ein Streben belassen werde,
sei es dennoch auch nicht sein eigen. Lasst uns nun diese Meinung mit den
übrigen zwei vergleichen! Die andere nämlich ist jene härtere, die da
urteilt, der freie Wille sei zu nichts fähig außer zum Sündigen, Dies aber
ist die Meinung Augustins, wie er sie an vielen anderen Stellen äußert,
insbesondere jedoch in, seiner Schrift "Über den Geist und den
Buchstaben", wenn ich nicht irre, im vierten oder fünften Kapitel, wo er
gerade jene Worte gebraucht. Jene dritte, härteste Meinung
ist diejenige Wiclifs und Luthers selbst, dass der freie Wille eine leere
Bezeichnung sei und dass alles, was geschehe, aus reiner Notwendigkeit
erfolge. Mit diesen beiden liegt die Diatribe im Kampf. Hier sage ich:
vielleicht können wir nicht genug Latein oder Deutsch, dass wir die Sache
selbst nicht haben vollständig vortragen können. Aber ich rufe Gott zum
Zeugen an, ich habe nichts anderes sagen, noch etwas anderes unter der
Formulierung der beiden zuletztgenannten Ansichten verstanden wissen wollen,
als das, was in der ersten Meinung gesagt ist. Ich glaube auch nicht, dass
Augustin etwas anderes gewollt hat, noch ersehe ich etwas anderes aus seinen
eigenen Worten, als was die erste Meinung aussagt, so dass die drei von der
Diatribe aufgezählten Meinungen bei mir nichts anderes ergeben, als eben jene
meine einzige Ansicht. Nachdem nämlich zugestanden und begriffen ist, dass
der freie Wille, nachdem er die Freiheit verloren hat, unter die Knechtschaft
der Sünde gezwungen worden ist und gar nichts Gutes wollen könne, so kann ich
aus diesen Worten nichts anderes entnehmen, als dass der freie Wille ein
leeres Wörtchen ist. Eine verlorene Freiheit nennt meine Sprachlehre keine
Freiheit; dem aber die Bezeichnung der Freiheit beilegen, das keine Freiheit
hat, bedeutet ein leeres Wort beilegen. Wenn ich hier irre, so widerlege
mich, wer es vermag. Wenn das dunkel und schwankend ist, so helle es auf und
halte es aufrecht, wer da kann; ich kann die verlorene Gesundheit nicht
Gesundheit nennen, und, falls ich sie einem Kranken zuerkannt habe, glaube
ich nicht, ihm etwas anderes zuerkannt zu haben, denn eine leere Bezeichnung. Aber die ungereimten Worte
mögen sich fortscheren, Wer kann diesen Missbrauch der Rede ertragen, dass
wir gleichzeitig sagen wollen, der Mensch habe einen freien Willen und
zugleich behaupten möchten, er sei, nachdem er die Freiheit verloren habe,
unter die Knechtschaft der Sünde gezwungen und könne nichts Gutes wollen? Das
widerstreitet dem allgemeinen Verständnis und hebt überhaupt den
Sprachgebrauch auf. Man sollte vielmehr die Diatribe anklagen, die wie im
Schlafe ihre Worte daherlallt und auf fremde nicht acht hat. Denn, sage ich,
sie überlegt nicht, was es bedeutet und welches Gewicht es hat zu sagen: der
Mensch hat die Freiheit verloren, wird gezwungen, der Sünde zu dienen und
kann überhaupt nichts Gutes wollen. Wenn sie nämlich wach wäre und acht
hätte, würde sie vollkommen eingehen, dass der Inhalt der drei Meinungen,
welche sie zu voneinander verschiedenen und einander widerstreitenden macht,
ein und derselbe ist. Denn wer die Freiheit verloren hat und gezwungen wird,
der Sünde zu dienen, und nichts Gutes wollen kann, was wird folgerichtiger
von ihm angenommen, als dass er mit Zwangsnotwendigkeit sündige oder das Böse
wolle? Wir kommen jetzt zum Neuen
Testament, wo wiederum eine Fülle von befehlenden Worten für jene elende
Knechtschaft des freien Willens in Schlachtordnung aufgestellt wird und die
Hilfstruppen der fleischlichen Vernunft herbeigerufen werden, nämlich die
Folgerungen und Gleichnisse, so als ob Du gemalt oder im Traume den König der
Fliegen umgeben von strohenen Lanzen und Schilden aus Heu gegen eine
wirkliche und richtige Schlachtreihe von Kriegsmännern antreten sähest. So
streiten die menschlichen Träume der Diatribe wider die Heerhaufen der
göttlichen Worte. Zweierlei ist hier zu sagen:
nämlich etwas über die Gebote des Neuen Testamentes, sodann etwas über das
Verdienst, Beides wollen wir kurz erledigen, da wir anderswo ausführlicher
darüber gesprochen haben. Das Neue Testament besteht recht eigentlich aus
Verheißungen und Ermahnungen, so wie das Alte Testament recht eigentlich aus
Gesetzen und Drohungen besteht. Denn im Neuen Testament wird das Evangelium
gepredigt, was nichts anderes ist als eine Anrede, in welcher der Geist und
die Gnade zur Vergebung der Sünden angeboten werden, die durch Christus den
Gekreuzigten für uns erlangt ist, und zwar ganz umsonst und allein auf Grund
der Barmherzigkeit Gottes des Vaters, welche sie uns schenkt, die wir
unwürdig sind und die Verdammnis eher verdienten als irgend etwas anderes.
Darauf folgen Ermahnungen, welche diejenigen, die bereits gerechtfertigt sind
und die Barmherzigkeit erlangt haben, aufrufen, dass sie tüchtig seien in den
Früchten der geschenkten Gerechtigkeit des Geistes, die Liehe üben in guten
Werken und standhaft das Kreuz und alle anderen. Drangsale der Welt ertragen.
Das ist die Summe des ganzen Neuen Testaments. Dass von diesen Dingen die
Diatribe nichts versteht, beweist sie ausreichend dadurch, dass sie nicht
zwischen dem Alten und dem Neuen Testament zu unterscheiden weiß; denn auf
jeder von beiden Seiten sieht sie fast nichts als Gesetze und Gebote, durch
die die Menschen zu einem guten Lebenswandel herangebildet werden sollen. Was
aber Wiedergeburt, Erneuerung, Neugeburt und die ganze Aufgabe des heiligen
Geistes in Wirklichkeit ist, sieht sie überhaupt nicht, so dass es hier
erstaunlich und verwunderlich ist, dass ein Mensch so gar nichts von der
heiligen Schrift weiß, der so viel Zeit und Mühe an sie gewandt hat. Es wäre nun aber wirklich
allzu verdrießlich, die einzelnen Gebotsworte zu wiederholen, welche die
Diatribe aus dem Neuen Testament aufzählt, daran fortwährend ihre Folgerungen
knüpfend und fälschlich behauptend, es sei irreführend, trivial, lächerlich
und nichtig, was dort gesagt werde, wenn nicht der menschliche Wille frei
sei. Bis zum völligen Erbrechen haben wir nämlich schon lange gesagt, wie so
gar nichts durch solche Worte erwiesen wird, und dass, wenn schon etwas
bewiesen wird, der ganze freie Wille bewiesen wird. Was nichts anderes
bedeutet, als dass ich die ganze Diatribe umgestürzt habe, die ja einen
solchen freien Willen zu beweisen unternehmen wollte, der nichts Gutes
vermöge und der Sünde diene und - unwissend und fortwährend sich selbst
vergessend - einen solchen beweist, der alles vermag. Und jenes Wort Johannes l:
"Er gab ihnen die Macht, Gottes Kinder zu werden", fasst die
Diatribe folgendermaßen auf: "Auf welche Weise kann ihnen die Macht
gegeben werden, Kinder Gottes zu werden, wenn unser Wille keine Freiheit
hat?" Auch dieses Wort ist ein Hammer wider den freien Willen, wie es
beinahe das ganze Evangelium des Johannes ist; dennoch wird es für den freien
Willen angeführt. Lasst uns es doch bitte einmal ansehen! Johannes spricht
nicht von irgendeinem Werk des Menschen, weder von einem großen noch von.
einem kleinen, sondern von der Erneuerung selbst und der Umwandlung des alten
Menschen, der ein Kind des Teufels ist, in einen neuen Menschen, der ein Kind
Gottes ist. Hier verhält sich der Mensch rein passiv (wie man es bezeichnet),
und tut auf keine Weise etwas, sondern "wird" völlig, d. h, läßt
ganz an sich geschehen. Vom "Werden" nämlich spricht Johannes; er
sagt, dass sie Kinder Gottes werden durch die uns geschenkte Kraft Gottes,
nicht durch das Vermögen des uns eingepflanzten freien Willens, Jedoch unsere
Diatribe erschließt hieraus, dass der freie Wille so viel vermöge, dass er zu
Kindern Gottes mache oder aber sie ist bereit zu erklären, dass das Wort des
Johannes lächerlich und unwirksam ist. Wer aber hat jemals den freien Willen
- zumal einen solchen, der das Gute nicht wollen kann, wie es die Diatribe
annimmt - so hoch erhoben, dass er ihm das Vermögen, zu Kindern Gottes zu
machen, zuerkannt hat? Doch dies mag mit den übrigen, so oft wiederholten
Folgerungen hingehen, durch welche nichts bewiesen wird, und wenn, nur das,
was die Diatribe verneint, nämlich, dass der freie Wille alles vermöge,
Johannes aber will dies sagen: Dadurch, dass Christus ' durch das Evangelium
in die Welt kommt, in welchem die Gnade angeboten, nicht aber ein Werk
gefordert wird, wird allen Menschen die Möglichkeit geboten - eine fürwahr
herrliche Möglichkeit - Gottes Söhne zu sein, wenn sie glauben wollen. So wie
der freie Wille übrigens dieses Wollen, dieses Glauben an ihn niemals gekannt
noch es vorher im Sinne gehabt hat, so vermag er es noch viel weniger aus
eigenen Kräften. Denn auf welche Weise könnte die Vernunft bedenken» dass der
Glaube an Jesus, den Gottes- und Menschensohn, notwendig sei, da sie es
niemals begreift oder glauben kann, und wenn auch die ganze Schöpfung laut
riefe, dass es eine Person gäbe, die zugleich Gott und Mensch sei? Sondern
sie nimmt vielmehr an solcher Rede Anstoß, wie Paulus 1. Kor. 1 sagt: So weit
ist sie davon entfernt, dass sie glauben will oder glauben kann. Darum verkündet Johannes den
durch das Evangelium der Welt dargebotenen Reichtum des Reiches Gottes, nicht
aber die Kräfte des freien Willens, zugleich darauf hindeutend, wie wenige es
sind, die es annehmen - weil nämlich der freie Wille ihm widerstrebt, dessen
Wesen kein anderes ist, als dass er, selbst vom Satan beherrscht, auch die
Gnade und den Geist, der das Gesetz erfüllt, zurückweist. So ausgezeichnet
ist sein Bemühen und Sein Eifer geeignet zur Erfüllung des Gesetzes. Wir
werden aber unten ausführlich davon sprechen, was für ein Donnerschlag diese
Stelle des Johannes wider den freien Willen ist. Es bewegt mich jedoch nicht
wenig, dass so klare Worte, die so wirksam gegen den freien Willen sprechen,
von der Diatribe für den freien Willen angeführt werden, von der Diatribe,
deren Gefühllosigkeit so groß ist, dass sie überhaupt nicht zwischen den
Worten der Verheißung und des Gesetzes unterscheiden kann, welche nicht bloß
auf Grund der Worte des Gesetzes auf das Ungereimteste den freien Willen
behauptet, sondern auch ihn völlig widersinnig durch die Worte der Verheißung
bestätigen möchte. Aber dieser Unsinn wird leicht erklärt, wenn man bedenkt,
wie innerlich unbeteiligt und geringschätzig die Diatribe die
Auseinandersetzung führt, welche es nicht interessiert, ob die Gnade stehe
oder falle, der freie Wille liege darnieder oder stehe fest, sondern nur,
dass mit selbstgefälligen Worten den Tyrannen gedient werde zum Nachteil der
in Frage stehenden Sache. Danach gelangt man auch zu Paulus, dem
beharrlichsten Gegner des freien Willens- Auch er wird gezwungen, Röm. 2, den
freien Willen zu behaupten: "Oder verachtest Du den Reichtum seiner
Güte, Geduld und Langmut? Weißt Du nicht, dass seine Güte Dich zur Buße
leitet?" Auf welche Weise (sagt die Diatribe) wird die Verachtung des
Gebotes in Anrechnung gebracht, wo kein freier Wille ist? Wie lädt Gott zur
Buße ein, welcher der Urheber der Unbußfertigkeit ist? Wie ist eine Verdammung
gerecht, wo der Richter zur Missetat zwingt? Da antworte ich: Wegen dieser
Fragen möge die Diatribe zusehen. Was gehen sie uns an? Denn sie selbst hat
auf Grund der (ihr) annehmbar (scheinenden) Meinung gesagt, der freie Wille
könne nicht das Gute wollen und werde notwendig unter die Knechtschaft der
Sünde gezwungen. Alles das fällt auf das Haupt der Diatribe zurück, oder wenn
es etwas beweist, so beweist es, wie ich ausgeführt habe, dass der freie
Wille alles kann, was jedoch von ihr selbst und von allen anderen geleugnet
wird. Jene Vernunftschlüsse plagen die Diatribe bei allen Sprüchen der
Schrift, weil es (ihr) lächerlich und kraftlos erscheint, etwas anzugehen und
mit so heftigen Worten zu fordern, wo keiner ist, der es zu leisten in der
Lage wäre. Der Apostel dagegen tut es, verstellt sich, um durch jene
Drohungen die Gottlosen und Hochmütigen zur Erkenntnis ihrer selbst und ihres
Unvermögens zu führen, auf dass er die durch die Erkenntnis der Sünde
Gedemütigten zur Gnade vorbereite. Und was ist es überhaupt
nötig, alles einzeln durchzuwehen, was aus Paulus angeführt wird? Sammelt die
Diatribe doch nur befehlende oder bedingende Worte, oder solche, in welchen
Paulus die Christen an die Früchte des Glaubens mahnt. Die Diatribe zwar
gewinnt mit Hilfe ihrer hinzugefügten Folgerungen ein derartiges und so
großes Vermögen des freien Willens, welcher ohne die Gnade alles kann, was
Paulus ermahnend vorschreibt. Die Christen aber werden nicht durch den freien
Willen, sondern durch den Geist Gottes getrieben, Röm- 8. "Getrieben
werden" ist aber nicht dasselbe wie treiben, sondern "ohne
Gegenwehr fortgeführt werden", wie die Säge oder die Axt vom Zimmermann
in Bewegung gesetzt wird. Und auf dass niemand hier zweifle, dass Luther so
törichte Dinge redet, führt die Diatribe seine Worte an, die ich wahrlich
anerkenne. Denn ich gestehe, dass jener Artikel Wiclifs (dass alles aus
Zwangsnotwendigkeit geschehe) fälschlich vom Winkelkonzil - oder besser
gesagt der Verschwörung und dem Aufruhr - zu Konstanz verdammt ist. Ja sogar
die Diatribe verteidigt mit mir zusammen diesen Artikel, wenn sie versichert,
der freie Wille könne aus eigenen Kräften nichts Gutes wollen und diene mit
Zwangsnotwendigkeit der Sünde, mag sie auch im Beweisgang allerdings das
Gegenteil davon erklären. Dies sei genug gegen den
ersten Teil der Diatribe' gesagt, in reichem, versucht wurde, den freien
Willen festzustellen. Lasst uns jetzt den folgenden Teil betrachten, « in
welchem, unsere Lehre widerlegt wird, das heißt, die Argumente, durch welche der
freie Wille aufgehoben wird. Hier wirst Du sehen, was menschlicher leerer
Wind wider die Blitze und Donnerschläge Gottes vermag, nicht wenigstens ein
bisschen von der Rhetorik verstände, bestände die Gefahr, dass er, gebrochen
durch die so große vorgetäuschte Geringschätzung, völlig an der Streitfrage
verzweifelte und die Siegespalme dem freien Willen noch vor Beginn der
Auseinandersetzung zuerkannte. Aber ich als geringer Ersatzmann will mit
jenen zwei Schriftstellen auch unsere Truppen aufzeigen, obwohl es da, wo ein
solches Kriegsschicksal herrscht, dass ein einziger Zehntausend in die Flucht
schlagen wird, keiner Truppen bedarf. Wenn nämlich ein einziger Spruch den
freien Willen überwältigt haben wird, werden ihm seine zahllosen Truppen
nichts genutzt haben. Hier hat nun die Diatribe
eine neue Kunst ausfindig gemacht, den offenkundigsten Sprüchen auszuweichen,
nämlich: sie will, dass eine bildliche Bedeutung (auch) den einfachsten und
klarsten Schriftworten innewohne. So, wie sie oben für den freien Willen
eintretend allen befehlenden und bedingenden Worten des Gesetzes durch
hinzugefügte Ableitungen und erdichtete Gleichnisse zu entgehen suchte, so
dreht sie jetzt, da sie sich mit uns auseinandersetzen will, alle Worte der
göttlichen Verheißung und Zusicherung durch die neu entdeckte bildliche
Redeform, wohin es ihr gut dünkt, so dass von beiden Seiten her dieser
Proteus unfassbar ist. Ja, gerade das, fordert sie mit großem Hochmut, solle
ihr von uns zugestanden werden. Du siehst also hier, dass man
nicht um den Text selbst und nicht mehr um die Ableitungen und Vergleichungen
kämpft, sondern um die bildliche Redeweise und die Auslegungen. Wann also
wird es dahin kommen, dass wir irgendeinen schlichten und reinen Text ohne
bildliche Ausdeutung und Ableitungen für den freien Willen und gegen den
freien Willen haben? Hat die Schrift nirgendwo solche Texte, und wird
fortwährend die Sache des freien Willens zweifelhaft sein? So dass er durch
keinen sicheren Text bekräftigt, sondern allein durch Ableitungen und
bildliche Redeweisen, durch gegenseitig miteinander uneinige Leute
eingeführt, hin und her bewegt wird wie das Rohr von den Winden. Wir möchten
vielmehr dafür uns aussprechen, dass weder eine Ableitung noch eine bildliche
Bedeutung bei irgendeiner Schriftstelle zugelassen werde, wenn nicht der
eindeutige Zusammenhang der Worte das erzwingt und der Widersinn der vor
Augen liegenden Sache, die gegen irgendeinen Artikel des Glaubens verstößt.
Sondern überall muss man sich der schlichten, reinen und natürlichen
Bedeutung der Worte anschließen, wie sie die Grammatik und der Sprachgebrauch
fordert, den Gott unter den Menschen geschaffen hat. Wenn nun es irgend einem
erlaubt sein soll, nach seiner Willkür Ableitungen und Bildworte in der
Schrift zu erdichten, was wird dann die ganze Schrift anderes sein, als ein
vom Winde hin und her bewegtes Rohr? Dann Wird - gleich in welchem
Glaubensartikel - fürwahr nichts Sicheres weder festgesetzt noch bewiesen
werden können, mit dem Du nicht durch irgendeine Bildrede Deinen Spott
treiben könntest. Man muss vielmehr jede Bildrede, welche die Schrift selber
nicht erzwingt, meiden wie das allerkräftigste Gift. Achte einmal darauf: Was ist
jenem Allegoriker Origenes bei seiner Auslegung der Schrift zugestoßen ? Wie
gute Angriffsmöglichkeiten bietet er dem Verleumder Porphyrius, so dass
selbst dem Hieronymus die zu wenig zu erreichen scheinen, welche den Origenes
verteidigen. Was ist den Arianern mit jener Bildrede begegnet, kraft welcher
sie Christus zu einem sogenannten Gott machten? Wie ist es in unserer Zeit
diesen neuen Propheten mit den Worten Christi ergangen: "Dies ist mein
Leib", wo der eine für das Fürwort "dies", der andere für das
Zeitwort "ist", der dritte für das Hauptwort "Leib" eine
bildliche Auslegung gegeben hat? Ich habe es beobachtet, dass alle Ketzereien
und Irrtümer in der Schrift nicht aus der einfachen der ganzen Welt immer
wieder erzählt wird, sondern aus Vernachlässigung des einfachen Wortsinns,
und aus Den aus dem eigenen Hirn künstlich erdichteten Bildreden und
Ableitungen, Die Diatribe aber kümmert sich wahrhaft nicht um diesen
einfachen Wortsinn, sondern bringt wirklich gewaltsam Bildreden und
Ableitungen dazu. Und diese» die kein Philologe dulden würde, darf man bei
den Theologen nicht gewaltsam und erkünstelt nennen, sondern sie gehören den
bewährtesten Lehrern zu, die von so vielen Jahrhunderten anerkannt sind. Aber es ist der Diatribe
leicht, an dieser Stelle die Bildreden zuzulassen und ihnen zu folgen, da es
ihr ja nichts bedeutet, ob gewiss oder ungewiss ist, was gesagt wird.
Betreibt sie es doch, dass alles ungewiss ist, die sie dazu rät, man solle
die Lehrpunkte den freien Willen betreffend eher beiseite lassen, als sie
erforschen. Deswegen war ihr dies ausreichend, um gleich auf welche Weise die
Sprüche beiseite zu schaffen, durch welche sie sich in die Enge getrieben
fühlt. Wir aber denen es um eine ernste Sache geht, und die wir die ganz
sichere Wahrheit suchen, um die Gewissen zu festigen, müssen ganz anders
vorgehen. Uns, sage ich, ist_ es nicht ausreichend, wenn Du sagst: hier kann
eine Bildrede vorliegen, sondern es wird gefragt, ob es sich hier um eine
Bildrede handeln muss und kann. Wenn Du das nicht bewiesen hast, dass
notwendig eine Bildrede darin enthalten ist, hast Du überhaupt nichts zu
Stande gebracht. Es steht hier das Wort
Gottes: "Ich will das Herz des Pharao verstocken". Wenn Du sagst,
das sei so aufzufassen oder könne so aufgefasst werden: "Ich will
zulassen, dass es verstockt wird", so höre ich zwar, dass es so
aufgefasst werden kann. Aber hier ist nicht Platz für eine solche Art von
Beweis. Was willst Du mit einem Gewissen machen, das folgendermaßen fragt:
Siehe, Gott, der Urheber, sagt: "Ich will das Herz des Pharao
verstocken". Eindeutig und allgemein bekannt ist die Bedeutung des
Wortes "versteckend Der Mensch aber, der Leser, sagt zu mir:
"verstocken" heißt an dieser Stelle: "die Gelegenheit zum
Verstocken geben", weil der Sünder nicht sogleich zurechtgewiesen wird.
Auf Grund welcher Autorität, auf Grund welcher Überlegung, auf Grund welcher
Notwendigkeit wird mir jene natürliche Bedeutung des Wortes so verdreht? Wie,
wenn der Leser und Ausleger sich irrt? Woher kann bewiesen werden, dass jene
Verdrehung des Wortes an dieser Stelle stattfinden muss? Es ist gefährlich,
ja gottlos, das Wort Gottes ohne Notwendigkeit und ohne eine dahinter
stehende wirkliche Autorität in seiner Bedeutung zu wandeln. Oder willst Du
dieses sich abmühende Seelchen dann so beraten: Origenes ist dieser Ansicht,
oder so: höre auf, derartiges zu erforschen, da es vorwitzig und überflüssig
ist? Denn jene Seele wird antworten: Dazu hättest Du Moses und Paulus
erwähnen sollen, bevor sie schrieben, und ebenso sehr Gott selbst; denn was
spielen sie uns mit vorwitzigen und überflüssigen Schriften so übel mit? Es hilft also der Diatribe
diese elende Ausflucht der Bildreden nicht, sondern hier müssen wir unseren
Proteus energisch festhalten, dass er uns ganz vollkommene Gewissheit über
die Bildrede dieses Wortes gebe, und zwar durch ganz klare Schriftgründe oder
eindeutige Wunderwerke. Ihr selbst, die sich das einbildet, glauben wir
nichts, und wenn auch alle Jahrhunderte ihr ausdrücklich zustimmten; sondern
wir fahren fort, sie zu bedrängen, dass es sich hier um keine Bildrede
handeln, könne, sondern dass die Rede Gottes ganz so unverändert verstanden
werden müsse, wie die Worte lauten. Denn es steht nicht in unserem Belieben
(wie die Diatribe sich einredet), das Wort Gottes nach unserer Willkür
zurechtzustutzen und umzugestalten. Was bleibt andernfalls von der ganzen
Schrift übrig, was nicht zur Philosophie des Anaxagoras zurückkehre, dass
alles beliebige aus allem beliebigen werden kann? Wenn die Diatribe nicht
beweisen kann, dass diesen unseren Sprüchen, die sie widerlegen will, eine
Bildrede innewohne, wird sie gezwungen, uns zuzugestehen, dass die Worte so,
wie sie lauten, hinzunehmen sind, auch wenn sie bewiese, dass anderswo eben
diese Bildrede in allen Schriftworten und im Gebrauch aller ganz üblich sei.
Und hiermit sind - an dem einen Beispiel ist es für alle geschehen - alle
unsere Feststellungen verteidigt, welche die Diatribe widerlegen wollte, und
es ist festgestellt, dass ihre Widerlegung überhaupt nichts ausrichtet,
nichts vermag und nichts bedeutet. Wenn sie also jenes Wort des
Moses: "Ich will das Herz des Pharao verstocken" folgendermaßen
auslegt: meine Milde, mit der ich den Sünder trage, führt zwar einige zur
Buße, den Pharao aber macht sie verstockter in der Schlechtigkeit, so ist das
zwar schön gesagt, aber es wird nicht bewiesen, dass man so sprechen muss
(worauf es ankommt). Wir aber fordern mit Recht, unzufrieden mit dem
Gesagten, den Beweis. Damit ich es mit einem Worte sage, hier fällt man
wieder jener Zügellosigkeit der Auslegung anheim, dass kraft einer neuen und
unerhörten Grammatik alles durcheinander gebracht wird, so dass, wenn Gott
sagt: "Ich werde das Herz des Pharao verstocken", man die Personen
ändert und das so auffasst: Pharao verhärtet sich durch meine Milde. Gott
verstockt unser Herz, d, h. wir selbst verstocken uns, weil Gott die Strafen
aufschiebt: "Du, Herr, hast uns in die Irre gehen lassen, weil Du uns
nicht züchtigst". Auf diese Weise bedeutet das Wort das Erbarmen Gottes
nicht mehr, dass er die Gnade schenkt oder Barmherzigkeit erweist, die Sünde
vergibt, rechtfertigt, oder vom Übel erlöst, sondern es bedeutet im
Gegenteil, dass er Böses zufügt und züchtigt. Aber obwohl wir mit Phantasten
und Mummenschanz kämpfen, wollen auch wir eine Maske anlegen und uns das
Unmögliche vorstellen, dass die Bildrede, von der die Diatribe träumt, an
dieser Stelle gelte, damit wir sehen, wie sie entschlüpft, um nicht zur
Bestätigung dessen gezwungen zu sein, dass alles allein durch den Willen
Gottes ; geschieht, während wir tatsächlich unter der Zwangsnotwendigkeit
stehen; und wir wollen sehen, auf welche Weise sie Gott entschuldigt, damit
er "nicht Urheber und Verschulden unserer Verstockung sei. Wenn es wahr
ist, dass Gott dann verstocken soll, wenn er durch seine Milde duldet und
nicht sofort straft, so bleibt immer noch beides bestehen: Zunächst einmal,
dass der Mensch der Sünde zwangsnotwendig dient. Denn, sobald zugegeben ist,
dass ! der freie Wille nichts Gutes wollen kann (wie es die : Diatribe
annahm), so wird er durch die Milde des duldenden Gottes um nichts besser,
sondern notwendig schlechter, wenn sich Gott nicht erbarmt und ihm. den Geist
zusätzlich verleiht. Daher geschieht bis dahin alles von uns aus gesellen
unter Zwangsnotwendigkeit. Zum ändern, dass Gott ebenso
grausam zu sein scheint, wenn er infolge seiner Milde duldet, wie man ihn auf
Grund unserer Verkündigung erachtet, dass er uns bewusst durch seinen
unerforschlichen Willen verstockt. Denn wenn er sieht, dass der freie Wille
nichts Gutes wollen kann, und dass er durch die duldende Milde schlimmer
wird, so ist Gott gerade infolge dieser Milde ganz grausam und scheint sich
an unserm Elend zu ergötzen, während er ihm doch abhelfen könnte, wenn er
wollte und es nicht zu dulden brauchte, wenn er wollte. Jedenfalls: wenn er
nicht wollte, könnte er nicht duldsam sein. Denn wer kann ihn wider seinen
Willen zwingen? Wenn also jener Wille fest besteht, ohne den nichts
geschieht, und wenn zugestanden. ist, dass der freie Wille nichts Gutes
wollen kann, so ist vergeblich gesagt, was geredet wird, Gott zu
entschuldigen und den freien Willen zu beschuldigen. Immer nämlich sagt der
freie Wille: Ich kann nicht, und Gott will nicht, was soll ich tun? Mag er
sich immerhin meiner erbarmen, indem er mich heimsucht, so komme ich dadurch
jedoch nicht vorwärts, sondern ich muss notwendig schlechter werden, wenn er
mir nicht den heiligen Geist schenkt, Aber den schenkt er nicht. Er würde ihn
aber schenken, wenn er wollte. Dass er ihn also nicht geben will, ist sicher. Aber die angeführten
Gleichnisse tragen nichts zur Sache bei, wenn es heißt: wie durch dieselbe
Sonne der Schlamm hart und das Wachs flüssig wird, und durch denselben Regen
das bebaute Land Früchte, das unbebaute Land Dornen hervorbringt, so werden
durch dieselbe Milde Gottes die einen verstockt, die anderen bekehrt. Denn
wir unterscheiden nicht zwei verschiedene Arten des freien Willens, von denen
die eine wie Schlamm, die andere wie Wachs sei, oder die eine wie bebautes
Land, die andere wie unbebautes, sondern wir reden von dem einen in allen
Menschen gleich ohnmächtigen Willen, der nichts als Schlamm, nichts als
unbebautes Land ist, da er ja nichts Gutes wollen kann. Darum, wie der
Schlamm immer harter und das unbebaute Land immer dorniger wird, so wird auch
der freie Wille immer schlechter" ob nun die Milde der Sonne härter, ob
nun das Unwetter des Regens flüssiger macht. Wenn also in allen Menschen ein
auf ein und dieselbe Weise zu umschreibender und gleichmäßig ohnmächtiger
freier Wille ist, so kann kein Grund angegeben werden, warum der eine zur
Gnade gelangt und der andere nicht, wenn nichts anderes verkündigt wird, als
die Milde des duldenden und die Strafe des sich erbarmenden Gottes. Denn alle
Menschen ist der gleich umschriebene freie Wille angenommen worden: dass er
nichts ."Gutes wollen könne Dann erwählt Gott weder irgendeinen, noch
bleibt irgendwie Raum für die Erwählung übrig, sondern es bleibt allein die
Freiheit des Willens, welcher die Milde und den Zorn annimmt oder
zurückweist. Wenn aber Gott des Vermögens und der Weisheit des Erwählens
beraubt wird, was wird er anderes sein als ein Götzenbild des Zufalls, durch
dessen Walten alles blindlings geschieht? Und schließlich wird man dahin
kommen, dass die Menschen selig und verdammt werden, ohne dass Gott es weiß,
da er ja nicht durch eine sichere Erwählung diejenigen geschieden hat, die
selig und verdammt werden sollen, sondern es den Menschen überlassen hat, ob
sie selig oder verdammt werden wollen, nachdem er allen die allgemeine
duldende und verstockende Milde wie die züchtigende und strafende
Barmherzigkeit angeboten hat. Er selbst ist inzwischen vielleicht zum
Gastmahl bei den Äthiopiern gereist, wie Homer sagt. Einen solchen Gott zeichnet
uns auch Aristoteles, der da schläft, und seine Güte und Strafe gebrauchen
und missbrauchen läßt, wer da will. Und die Vernunft kann auch nicht anders
über ihn urteilen, als hier die Diatribe tut. Denn wie sie selbst schnarcht
und die göttlichen Dinge verachtet, so urteilt sie auch von Gott, dass er
gleichsam schnarche, seine die Menschen erwählende, sondernde, den Geist
spendende Weisheit, seinen Willen und seine Gegenwart hintangesetzt und den
Menschen jene mühevolle und beschwerliche Aufgabe übertragen habe, seine
Milde und seinen Zorn anzunehmen und zurückzuweisen. Dahin l kommt es, wenn
wir mit menschlicher Vernunft Gott messen und rechtfertigen wollen, wenn wir
die Geheimnisse der Majestät nicht ehrfürchtig verehren, sondern in sie
forschend eindringen, dass wir, von Scheinruhm erdrückt statt einer
Entschuldigung tausend Gotteslästerungen von uns geben und unser selbst
derweilen nicht eingedenk sowohl gegen Gott wie gegen uns selbst wie unsinnig
schwätzen, während wir in großer Weisheit für Gott und uns sprechen wollen.
Das Gleichnis von der Sonne und dem Regen taugt also hier nichts. Richtiger
würde ein Christ das Gleichnis so gebrauchen, dass er Sonne und Regen das
Evangelium nennt, wie es Ps. 19 tut und der Brief an die Hebräer, das bebaute
Land aber die Auserwählten, das unbebaute die Verworfenen. Denn jene werden
durch das Wort erbaut und besser; diese werden dadurch zu Fall gebracht und
böser. Abgesehen davon ist der freie Wille an sich bei allen Menschen das
Reich des Satans. Lasst uns auch die
Beweggründe für die Erdichtung der Bildrede an dieser Stelle betrachten. Es
scheint unsinnig (sagt die Diatribe), dass Gott, der nicht allein gerecht,
sondern auch gut ist, das Herz des Menschen verstocken soll um an jener
Bosheit seine Macht ins Licht zu setzen. Darum nimmt sie auf Origenes Bezug,
der zugibt, dass die Gelegenheit zur Verstockung von Gott gegeben sei, die
Schuld jedoch Pharao beilegt. Überdies hat derselbe das angemerkt, dass der
Herr gesagt hat: Eben hierzu habe ich Dich erweckt und nicht: Eben hierzu
habe ich Dich gemacht. Sonst wäre Pharao nicht gottlos gewesen, wenn ihn Gott
so geschaffen hätte, der alle seine Werke sah und sie waren sehr gut, Soweit
jene. Die Ungereimtheit ist also
eine der Hauptursachen dafür, dass die Worte Moses und des Paulus nicht im
schlichten Wortsinn verstanden werden sollen. Aber gegen welchen
Glaubensartikel sündigt diese Ungereimtheit? Oder wer wird durch sie
aufgebracht? Die menschliche Vernunft wird aufgebracht, welche, obwohl sie in
allen Worten und Werken Gottes blind, taub, töricht, gottlos und
gotteslästerlich ist, an dieser Stelle als Richterin über die Worte und Werke
Gottes herangezogen wird. Mit derselben Begründung kannst Du alle
Glaubensartikel beseitigen, dass es nämlich durch und durch ungereimt sei,
und, wie Paulus sagt, "eine Torheit den Heiden und ein Ärgernis den
Juden", dass Gott Mensch sei, Sohn der Jungfrau, gekreuzigt, sitzend zur
Rechten des Vaters. Es ist ungereimt (sage ich), solches zu glauben. Lasst
uns darum zusammen mit den Arianern einige Bildreden erdichten, auf dass er
nicht wahrer Mensch sei, sondern eine Scheingestalt, welche durch die
Jungfrau, wie der Lichtstrahl durch das Glas, hindurchgegangen und gekreuzigt
ist. So werden wir die Schrift vortrefflich auslegen. Aber weder nützen doch die
Bild reden, noch entgeht man mit ihnen der Ungereimtheit. Denn es bleibt
ungereimt (wenn man die Vernunft zum Richter nimmt), dass jener gerechte und
gute Gott vom freien Willen Unmögliches fordert. Ebenso, dass er, obwohl der
freie Wille nicht das Gute wollen kann, und zwangsnotwendig der Sünde dient,
es ihm dennoch als Schuld zurechnet. Ebenso, dass er, wenn er einem nicht den
heiligen Geist verleiht, mit ihm um nichts milder oder gnädiger verfährt, als
wenn er verstockt oder die Verstockung zulässt. Dies, wird die Vernunft
diktieren, kann einem guten und gnädigen Gott nicht zu gehören. Diese Dinge
gehen zu sehr über ihre Fassungskraft hinaus, und sie kann sich auch nicht
selbst gefangen geben, dass sie glaube, Gott sei gut, der so handle und
urteile, sondern unter Ausschluss des Glaubens will sie fühlen, sehen und
begreifen, auf welche Weise Gott gut und nicht grausam sei. Sie würde es aber
dann begreifen, wenn man von Gott also reden könnte: Er verstockt niemand, er
verdammt niemand, sondern er erbarmt sich aller, er macht alle selig, so dass
unter Vernichtung der Hölle und Beseitigung der Todesfurcht keine zukünftige
Strafe befürchtet werden müsste. Darum brennt sie darauf und bemüht sich,
dass sie Gott entschuldige und rechtfertige, er sei gerecht und gut. Aber der
Glaube und der Geist urteilen anders, die glauben, dass Gott gut sei, und
wenn er auch alle Menschen verdürbe. Und was nützt es, wenn wir uns mit
diesen Überlegungen abmühen, um die Schuld an der Verstockung dem freien
Willen zuzuschreiben? Es mag der freie Wille in aller Welt und mit allen
Kräften tun, was er kann, er wird dennoch keinen Fall zustande bringen, in welchem
er entweder die Verstockung vermeiden kann, falls Gott nicht den heiligen
Geist gibt. oder in welchem er die Barmherzigkeit verdient, wenn er seinen
eigenen Kräften überlassen gewesen ist. Denn was verschlägt es, ob er
verstockt wird oder ob er verdient, dass er verstockt werde, da die
Verstockung zwangsnotwendig geschieht, so lange jenes Unvermögen vorliegt,
durch welches er das Gute nicht wollen kann, wie die Diatribe selbst bezeugt? Da also die Ungereimtheit
durch diese Bildreden nicht aufgehoben wird, oder sich, wenn sie aufgehoben
wird, noch größere Ungereimtheiten einstellen, und dem freien Willen alles
zugewiesen wird, so lasst die unnützen und verführerischen Redefiguren sich
fortscheren und lasst uns dem lauteren und schlichten Worte Gottes anhängen. Der andere Beweggrund (für
die Ansichten der Diatribe) ist der, dass das, was Gott geschaffen hat, sehr
gut ist und Gott nicht gesagt hat: Ich habe Dich eben dazu gemacht, sondern:
ich habe Dich eben dazu, erweckt. Als erstes sagen wir, dass
dies vor dem Fall des Menschen gesprochen ist, wo das, was Gott geschaffen
hatte sehr gut war. Aber bald folgt im dritten Kapitel des l. Buches Mose,
wie der Mensch böse geworden, von Gott verlassen und sich selbst überlassen
ist. Von diesem derart verderbten Menschen sind alle Gottlosen geboren, auch
Pharao, wie Paulus sagt: "Wir waren alle von Natur Kinder des Zorns,
gleich wie auch die anderen". Gott hat also den Pharao gottlos
erschaffen, das heißt, aus einem gottlosen und verderbten Samen, wie er in
den Sprüchen Salomos sagt: "Alles hat der Herr um seiner selbst willen
gemacht, auch den Gottlosen für den bösen Tag". Es folgt also nicht:
Gott hat den Gottlosen geschaffen, darum ist er nicht gottlos. Wie nämlich
kann er nicht gottlos sein, stammt er doch aus gottlosem Samen. So wie Psalm
51 sagt: "Siehe, in Sünden bin ich empfangen" und Hiob 14:
"Wer kann den, der aus unreinem Samen empfangen ist, rein machen"?
"Wenn es sich auch versteht, dass Gott keine Sünde tut, so hört er doch
nicht auf, die Natur, die durch die Sünde nach Entziehung des heiligen
Geistes verderbt ist, zu bilden und zu mehren, wie wenn ein Bildhauer aus
verdorbenem Holz Standbilder schafft. So wie die Natur ist, so werden die
Menschen, indem Gott sie aus solcher Natur schafft und bildet. Zweitens ist zu sagen: Wenn
Du es von den Werken Gottes nach dem Fall verstanden wissen willst, dass sie
sehr gut waren, wirst Du beachten, dass dies nicht von uns, sondern von Gott
gesagt wird. Denn es heißt nicht: Es sah der Mensch, was Gott gemacht hatte,
und es war sehr gut. Vieles scheint Gott sehr gut und ist es auch, was uns
sehr schlecht scheint und ist. So sind Trübsal, Übel, Irrtümer, Hölle, )a
alle sehr guten Werke Gottes vor der Welt sehr schlecht und verdammenswert.
Was ist besser als Christus und das Evangelium? Doch was ist abscheulicher
vor der Welt? Also, auf welche Weise vor Gott gut ist, was uns böse ist, weiß
Gott allein und diejenigen, welche mit den Augen Gottes sehen, das heißt, die
den heiligen Geist haben. Doch eine so spitzige Disputation ist noch nicht
nötig, es genügt einstweilen diese erste Antwort. Vielleicht fragt man, wie es
von Gott heißen kann, dass er Böses in uns wirkt, wie verstecken, den
Begierden ausliefern, verführen und ähnliches? Man sollte fürwahr mit den
Worten Gottes zufrieden sein und schlicht glauben, was sie sagen, da Gottes
Werke ganz unerforschlich sind. Jedoch um der Vernunft zu willfahren, d. h.
der menschlichen Torheit, mögen wir närrisch und töricht sein und stammelnd
versuchen, ob wir irgendwie auf sie Eindruck machen können. Als erstes: Auch die Vernunft
und die Diatribe gibt zu, dass Gott alles in allen wirke und dass ohne ihn
nichts geschehe oder wirksam sei. Denn er ist allmächtig und dies gehört zu
seiner Allmacht, wie Paulus im Brief an die Epheser l sagt. Nun können der
Satan und der Mensch, die gefallen und von Gott verlassen sind, nicht das
Gute wollen, d. h. das, was Gott gefällt, oder was Gott will. Sondern sie
sind fortwährend ihren eigenen Begierden zugewandt, so dass sie nur streben
können nach dem, was das Ihrige ist. Darum sind dieser ihr so von Gott
abgewandter Wille und Natur nicht etwa nichts. Denn weder sind der Satan und
der gottlose Mensch nichts, noch haben sie keine Natur oder keinen Willen,
mögen sie auch eine verderbte und verkehrte Natur haben. Jener Rest der
Natur, von dem wir beim Gottlosen und beim Satan sprechen, ist, da er
Schöpfung und Werk Gottes ist, nicht weniger der göttlichen Allmacht und
Wirkung unterworfen, als alle anderen Schöpfungen und Werke Gottes. Obwohl demnach Gott alles in
allen wirkt und schafft, wirkt und schafft er notwendig auch im Satan und im
Gottlosen. Er wirkt aber in ihnen so, wie sie sind und wie er sie findet, das
heißt, da sie verkehrt und böse sind und von jener Wirksamkeit der göttlichen
Allmacht fortgerissen werden" so tun sie nur Verkehrtes und Böses.
Gleichwie wenn ein Reiter ein Pferd mit drei oder zwei Füßen reitet, so
reitet er es doch so, wie das Pferd ist, das heißt, das Pferd hat einen
schlechten Gang. Aber was soll der Reiter tun? Er reitet ein solches Pferd
zugleich mit den gesunden Pferden, jenes schlecht, diese gut; er kann nicht
anders, es sei denn, dass das Pferd gesund werde. Hier siehst Du, dass, wenn
Gott in Bösen und durch Böse wirkt, zwar Böses geschieht, Gott kann jedoch
nicht böse handeln, mag er auch Böses durch Böse verrichten, weil er selbst
gut ist und nicht böse handeln kann. Er benutzt jedoch die Bösen als
Werkzeuge, die dem Zugriff und der bewegenden Kraft seiner Macht nicht
entgehen können. Die Schuld liegt also bei den Werkzeugen, denen Gott müßig
zu sein nicht erlaubt, so dass Böses geschieht. Gott selbst wirkt dabei als
bewegende Kraft nicht anders, als wenn ein Zimmermann mit einem schlechten
und schartigen Beil schlechte Hiebe tut. Daher kommt es, dass der Gottlose nicht
anders kann als immer irren und sündigen, weil ihm, fortgerissen von dem
Antrieb der göttlichen Allmacht, müßig zu sein nicht gestattet wird, sondern
er wollen, wünschen und handeln muss, ganz so wie er beschaffen ist. Das ist bestimmt und sicher,
wenn wir glauben, dass Gott allmächtig ist, ferner, dass der Gottlose ein
Geschöpf Gottes ist, das aber von ihm abgewandt und sich selbst überlassen
ohne den Geist Gottes nicht Gutes wollen oder tun kann. Die Allmacht Gottes
bewirkt, dass der Gottlose dem Antrieb und dem Handeln Gottes nicht entrinnen
kann, sondern ihm zwangsnotwendig unterworfen gehorcht. Die Verderbtheit aber
bzw. die Abkehr seiner selbst von Gott bewirkt, dass er nicht in Richtung auf
das Gute bewegt und fortgerissen werden kann. Gott kann seine Allmacht nicht
hintansetzen um der Abkehr jenes willen, der Gottlose aber kann seine Abkehr
nicht ändern. So geschieht es, dass er fortwährend und zwangsnotwendig
sündigen und irren muss, bis er durch den Geist Gottes auf den rechten Weg
geführt wird. Während dessen allen aber herrscht der Satan bis zur Stunde in
Frieden, und besitzt ungestört seinen Palast während dieses Wirkens der
göttlichen Allmacht. Danach aber folgt der Vorgang
der Verstockung, mit dem es sich so verhält: Der Gottlose (wie ich sagte)
ebenso wie auch sein Gebieter, der Satan, ist ganz auf sich und das Seine
gewandt, er fragt nicht nach Gott und ist nicht bedacht auf das, was Gottes
ist. Er erstrebt sein zeitliches Vermögen, seinen Ruhm, seine Werke, seine
Weisheit, sein Können und überhaupt sein Reich, und das will er in Frieden
genießen. Wenn ihm nun jemand darin widersteht, oder irgend etwas von diesen
Dingen schmälern will, so wird er durch dieselbe Abkehr, aus der heraus er
jene Dinge begeht, angetrieben, sich zu entrüsten und wider den Gegner zu
wüten. Und er kann ebenso sehr nichts anderes als wüten, wie er nichts
anderes als verlangen und begehren kann. Und er kann ebenso sehr nichts
anderes als begehren, wie er nichts anderes als existieren kann, da er, wenn
auch verderbt, ein Geschöpf Gottes ist. Von hier kommt jenes Wüten
der Welt gegen das Evangelium Gottes. Denn durch das Evangelium kommt jener
Stärkere, um den ruhigen Besitzer des Palastes zu besiegen und verdammt jene
Begierden nach Ruhm, zeitlichem Vermögen, eigener Weisheit und Gerechtigkeit,
und alles, worauf er vertraut. Gerade diese Erbitterung der Gottlosen, wenn
Gott ihnen ihrem Wollen Entgegengesetztes sagt oder tut, ist ihre Verstockung
und Verhärtung. Denn da sie sich aus sich selbst heraus durch die Verderbnis
der Natur von Gott abgewandt haben, so werden sie um so viel mehr von ihm
abgewandt und werden böser, sofern ihrer Abkehr widerstanden oder ihr Abbruch
getan wird. So, als Gott dem gottlosen Pharao seine Gewaltherrschaft
entreißen wollte, reizte er ihn und verstockte und verschlimmerte noch mehr
sein Herz, indem er ihn durch das Wort des Moses angriff, als ob dieser sein
Reich nehmen und das Volk seiner Gewaltherrschaft entziehen wollte. Er gab
ihm auch nicht inwendig den heiligen Geist, sondern ließ zu, dass seine
gottlose Verderbnis - worüber der Satan herrschte - entflammte, aufschwoll,
wütete und zunahm, mit rechter Selbstsicherheit und Gleichgültigkeit gegen
Gott. Deswegen soll nicht irgend
jemand denken, Gott, wenn es von ihm heißt, er verstocke oder wirke Böses in
uns (denn verstocken bedeutet Böses tun), handle so, als schaffe er von neuem
Böses in uns, ebenso wie wenn Du Dir einen bösartigen Schenkwirt vorstellst,
der selbst böse in ein nicht böses Fass Gift hineingießt oder mischt, wobei
das Fass nichts tut, als dass es die Bösartigkeit dessen hinnimmt oder
duldet, der es so zurichtet. Denn man scheint sich einzubilden, dass der an
sich gute oder wenigstens nicht böse Mensch von Gott die böse Handlung
duldet, wenn man hört, dass wir sagen, Gott wirke in uns Gutes und Böses und
wir seien in reiner passiver Notwendigkeit dem wirkenden Gott unterworfen.
Sie bedenken nicht genügend, wie unaufhörlich bewegend Gott in allen seinen
Geschöpfen wirkt und keines untätig sein läßt. Sondern so muss der es betrachten,
wer überhaupt irgendwie derartiges verstehen will, dass Gott in uns, das
heißt durch uns, das Böse wirkt nicht durch Verschulden Gottes, sondern
infolge unseres Mangels, die wir von Natur böse sind. Gott ist aber wahrlich
gut, der uns mit seinem Wirken entsprechend der Natur seiner Allmacht
fortreißt, und nicht anders handeln kann, als dass er, der selbst gut ist,
mit den schlechten Werkzeugen Böses tut, wenngleich er auch dies Böse seiner
Weisheit entsprechend zu seiner Ehre und unserem Heil wohl anwendet. So
findet er den Willen des Satans böse, den er aber nicht schafft, sondern der
als Gott ihn verließ und der Satan in Sünden fiel, böse wurde, packt ihn mit
seinem Wirken an und führt ihn, wohin er will, mit eben dieser göttlichen
Wirkung, wenn auch jener Wille nicht aufhört, böse zu sein. Es bleibt also
übrig, dass jemand fragt, warum Gott nicht von der allmächtigen Wirkung
ablässt durch welche der Wille, der Gottlosen bewegt wird, böse zu sein und
noch böser zu werden? Darauf ist zu antworten: das
heißt wünschen, dass Gott um der Gottlosen willen davon ablasse, Gott zu
sein. Denn wenn Du wünschst, dass seine Kraft und Wirkung aufhöre, so
bedeutet das, dass er aufhören soll, gut zu sein, damit jene nicht böser
werden. Doch warum, ändert er nicht auf einmal die bösen Willen, die er
bewegt? Das gehört zu den Geheimnissen der göttlichen Majestät, wo seine
Entscheidungen unbegreiflich sind, Und es ist nicht unsere Aufgabe, das
wissen zu wollen, sondern vielmehr, diese Geheimnisse anzubeten. Wenn Fleisch
und Blut hier Anstoß nimmt und murrt, so mag es ruhig murren; es wird jedoch
nichts ausrichten, Gott wird sich deswegen nicht wandeln. Und wenn auch noch
so viel Gottlose Ärgernis nehmen und sich abwenden, die Auserwählten werden
doch bleiben. Dasselbe wird jenen gesagt werden, die fragen: Warum hat er es
zugelassen, dass Adam fiel, und warum schafft er uns alle mit derselben Sünde
befleckt, während er doch jenen hätte bewahren und uns anderswoher oder
nachdem erst der Samen gereinigt war, hätte erschaffen können? Er ist Gott,
für dessen Willen es keine Ursache noch Grund gibt, die ihm als Richtschnur
und Maß vorgeschrieben werden könnten, da es nichts gibt, das ihm gleich oder
über ihm ist, sondern sein Wille ist Richtschnur für alle Dinge. Denn wenn es
für ihn irgendeine Richtschnur und Maß gäbe oder eine Ursache oder einen
Grund, so könnte er bereits nicht mehr Gottes Wille sein. Denn nicht
deswegen, weil es ihm ziemt oder ziemte so zu wollen, ist richtig, was er
will, sondern im Gegenteil: weil er selbst so will, deswegen muss recht sein,
was geschieht. Dem Willen des Geschöpfes wird Ursache und Grund
vorgeschrieben, aber nicht dem Willen des Schöpfers, es sei denn, Dass Du ihn
einem anderen Vorziehen willst. Damit, meine ich, ist die in
Bildern redende Diatribe mit ihrer Bildrede ausreichend widerlegt. Endlich
kommt die Diatribe zu den von Luther wider den freien Willen zitierten
Schriftstellen und will auch diese widerlegen, deren erste jene in l. Mose 6
ist: "Mein Geist wird nicht im Menschen bleiben, weil er Fleisch ist.
Die zweite Schriftstelle ist l. Mose 8: "Das Dichten und Denken des
menschlichen Herzens ist zum Bösen geneigt von Jugend auf" und l. Mose
6: "Alles Denken des menschlichen Herzens ist immerdar auf Böses
gerichtete Eine weitere Stelle steht Jeremia 10: "Ich weiß, Herr, dass
nicht in des Menschen Gewalt sein Weg steht, und steht in niemandes Macht,
wie er wandle und seinen Gang lenke". Aber die Diatribe kommt auf
ihr altes Lied zurück, dass im Buch der Sprüche viel für den freien Willen
gesagt wird, wie z. B. jenes Wort: "Enthülle dem Herrn Deine Werke.
Horst Du (sagt sie), "Deine Werke" ? Natürlich, weil es in diesem
Buch viel befehlende und bedingende Worte gibt, ebenso Fürwörter der zweiten
Person, so wird eben mit diesen Gründen die Freiheit des Menschen bewiesen,
wie z. B. so: "Enthülle", folglich kannst Du Deine Werke enthüllen,
also tust Du sie. So wirst Du jener Stelle: "Ich bin Dein Gott"
entnehmen: das bedeutet: "Du machst mich zu Deinem Gott". "Dein
Glaube hat Dir geholfen". Hörst Du, Dein Glaube? Lege das so aus: Du
machst den Glauben. Dann hast Du den freien Willen bewiesen. Ich spotte hier
nicht, sondern zeige, dass es der Diatribe nicht ernst ist in dieser Sache. Danach - nachdem die Diatribe
gesagt hat, dass viele Zeugnisse zusammengetragen werden könnten, wie sie
Luther aus diesem Buch der Sprüche sammelt, dass sie aber bei
zweckentsprechender Auslegung bald für, bald gegen den freien Willen
eintreten könnten - bringt sie endlich jenes Geschoss Luthers heran, das wie
das des Achill und unfehlbar ist, nämlich Joh. 15: "Ohne mich könnt ihr
nichts tun" usw. Auch ich lobe den trefflichen
Rhetor des freien Willens, der die Zeugnisse der Schrift durch entsprechende
Auslegungen, wie zu sehen gewesen ist, umzugestalten lehrt, so dass sie tatsächlich
für den freien Willen eintreten, das heißt, dass sie bewirken, nicht wozu sie
bestimmt sind, sondern was uns gefallen mag. Sodann gibt er vor, dieses eine
Achillesgeschoss so zu fürchten, auf dass der törichte Leser, wenn dieses
überwunden ist, das" Übrige über die Maßen gering schätze. Ich will aber
die großsprecherische und heldenhafte Diatribe näher betrachten, um zu sehen,
mit welchem Mittel sie meinen Achilles überwinden wird, die doch bisher
keinen einfachen Soldaten, nicht einmal einen Thersites getötet hat, sondern
mit ihren eigenen Geschossen sich auf das Elendeste zugerichtet hat. Sie
stürzt sich also auf das Wörtchen "nichts", bringt es mit vielen
Wörtern und vielen Beispielen um und zerrt es mit gewandter Auslegung dahin, dass
^nichts" dasselbe sein könne wie "nicht viel und unvollkommene das
heißt, sie setzt mit anderen Worten das auseinander, was" die Sophisten
bisher an dieser Stelle folgendermaßen lehrten: Ohne mich könnt ihr nichts -
das heißt nichts vollkommen - tun. Diese schon längst überholte und
abgedroschene Glosse gibt sie uns mit rhetorischer Kraft als neu zurück und
betreibt dies so emsig, als ob sie sie als erste hervorgebracht, und als ob
man nie zuvor von ihr gehört hätte, als sei sie im Begriff, sie uns wie ein
Wunder zu offenbaren. Derweilen aber fühlt sie sich völlig sicher und denkt
nicht an den Text selbst, an das Folgende und das Vorhergehende, von wo her
die Bedeutung herzuleiten ist. Ich schweige davon, dass sie mit soviel Worten
und Beispielen beweist, dass das Wörtchen "nichts" an dieser Stelle
als "nicht viel" und "unvollkommen" aufgefasst werden
könne, als ob wir über das Können disputierten, während doch das zu beweisen
gewesen wäre, ob es so aufgefasst werden müsse. So bewirkt diese ganze
prunkvolle Auslegung nichts anderes, wenn sie überhaupt etwas erreicht, als
dass diese Stelle des Johannesevangeliums ungewiss und vieldeutig wird. Das
ist auch nicht erstaunlich, da ja die Diatribe dies einzig und allein
betreibt, dass die Schrift Gottes überall vieldeutig sei, damit sie nicht
gezwungen wird, sie zu gebrauchen. Die Autoritäten der Kirchenväter aber
sollen zuverlässig sein, damit man jene missbrauchen kann. Wahrlich, eine
erstaunliche Religion, in welcher Gottes Worte unbrauchbar, der Menschen
Worte aber brauchbar sind. Hier möchte ich mich über die
Methode belehren lassen, mit welcher man in der Lage sein kann, den
Häretikern zu widerstehen, die überall in der Schrift diese Regel gebrauchen
wollen und "nichts" und "nicht" als "unvollkommen"
aufzufassen bestrebt sind, wie z. B.: "ohne ihn ist nichts
geschehen", das bedeutet: "nicht viel". "Es spricht der
Tor in seinem Herzen, es ist kein Gott", das bedeutet: "Gott ist
unvollkommen". "Er hat uns geschaffen, und nicht wir selbst"
das bedeutet: wir haben uns zu einem geringen Teil selbst geschaffen . Und
wer möchte bei der Schrift die Stellen zählen, in welchen "nichts"
und "nicht" gebraucht werden? Oder sollen wir hier sagen: "Wir
müssen uns nach einer zweckmäßigen Auslegung umsehen?" Keinem Häretiker
erscheint seine Auslegung nicht zweckmäßig. Heißt das die Schwierigkeiten
lösen, einer solchen Willkür Tür und Tor zu öffnen für die verderbten Sinne
und die trügerischen Geister? Dir, glaube ich, der Du Dir aus der Gewissheit
der heiligen Schrift nichts machst, würde diese Zügellosigkeit der Auslegung
zweckmäßig scheinen, aber uns, die wir den Gewissen einen festen Grund zu
geben uns mühen, kann nichts begegnen, das unzweckmäßiger, schädlicher,
verderblicher wäre als diese Bequemlichkeit. Höre also, Du großer Besieger
des Lutherischen Achilles: Wenn Du nicht bewiesen hast, dass
"nichts" an dieser Stelle nicht als "nicht viel" nur
verstanden werden könne sondern auch als "nicht viel" verstanden
werden müsse* wirst Du mit Deiner großen Fülle von Worten und Beispielen nichts
erreicht haben, außer dass Du mit trockenem Stroh gegen helles Feuer kämpfst.
Was geht uns Dein "Können" an, wenn von Dir verlangt wird, dass Du
das "Müssen beweist? Wenn Du das nicht zustande bringst so werden wir
bei der natürlichen und grammatikalischen Bedeutung des Wortes bleiben, und
ebenso Deine Wortfülle wie Deine scheinbaren Triumphe verlachen. Wo bleibt nun die
"wahrscheinliche" Meinung die feststellte, dass der freie Wille
nichts Gutes wollen könne? Aber vielleicht kommt hier schließlich die "zweckmäßige"
Auslegung, dass "nichts Gutes" "etwas .Gutes« bedeutet, eine
wahrlich unerhörte Grammatik und Dialektik, bei der "nichts das ist, das
sonst "etwas" bedeutet, was bei den rechten Dialektikern unmöglich
gewesen wäre, da es sich um einander ausschließende Gegensätze handelt. Wo bleibt auch dies, dass wir
glauben, der Satan sei der Fürst der Welt, der - wie Christus und Paulus
bezeugen - in den Willensentschließungen und Herzen der durch ihn gefangenen
und versklavten Menschen herrscht? Wird jener, nämlich der brüllende Löwe,
der unversöhnliche und rastlose Feind der Gnade Gottes und des menschlichen
Heils es geschehen lassen, dass der Mensch, Sklave und Teil seines Reiches,
zum Guten hin irgendeine Bewegung oder ein Mittel zur Bewegung versuche, wodurch
er seiner Gewaltherrschaft entgehen, kann? Wird er ihn nicht vielmehr
anstoßen und antreiben, dass er mit allen Kräften das Gegenteil der Gnade
will und tut? Er, dem die Gerechten und durch den Geist Gottes Geleiteten
kaum Widerstand leisten, dass sie das Gute wollen und tun, so wütet er gegen
sie. Du, der Du vorgibst, der
menschliche Wille sei ein in der freien Mitte gelegenes Ding und sich selbst
überlassen, gibst leicht gleichzeitig vor, es gebe ein Streben des Willens
nach beiden Seiten, weil Du meinst, sowohl Gott wie der Teufel seien weit
entfernt gleichsam lediglich als Zuschauer jenes wandelbaren unfreien und
freien Willens. Dass sie aber Antreiber und Anpeitscher jenes Willens sind,
sich gegenseitig heftig bekriegend, glaubst Du nicht. Sobald man aber nur
dies glaubt, steht unsere Ansicht fest genug, und der freie Wille liegt da zu
Boden gestreckt, wie wir bereits oben gelehrt haben. Entweder nämlich wird
die Herrschaft des Satans über die Menschen nichtig sein, und Christus wird
dadurch zum Lügner, oder aber, wenn die Herrschaft jenes so beschaffen ist,
wie Christus sie beschreibt, wird der freie Wille nur ein gefangen gehaltenes
Lasttier des Satans sein, das nicht befreit werden kann, wenn nicht zuvor
durch den Finger Gottes der Teufel fortgetrieben wird. Von hier aus, glaube ich,
begreifst Du ausreichend, liebe Diatribe, was es bedeutet und wie viel es
wert ist, wenn Dein Verfasser die Halsstarrigkeit der lutherischen Behauptung
verabscheuend zu sagen pflegt: Luther betreibe die Sache so sehr eifrig mit
der Schrift, die doch durch ein einziges Wörtchen aufgehoben werden könnte.
Denn wer weiß das nicht, dass ein einziges kleines Wort die ganze Schrift
aufheben kann? Wir wussten das ganz gut, auch bevor wir den Namen des Erasmus
hörten. Aber darum geht es, ob dies recht sei, mit einem Wörtlein die Schrift
aufzuheben? Ob sie rechtmäßig aufgehoben wird, und ob sie so aufgehoben
werden darf, darüber wird disputiert. Hierauf soll sie schauen und sie wird
sehen, wie leicht es ist, die Schrift aufzuheben und wie sehr die
Halsstarrigkeit Luthers zu verabscheuen ist. Sie wird hingegen sehen, dass
nicht allein die Wörtlein nichts ausrichten, sondern auch alle Tore der
Hölle. Wir nun aber wollen, was die
Diatribe für ihre bejahende These nicht kann - obgleich wir unsere
verneinende nicht zu beweisen brauchten -, das dennoch tun und wollen es ihr
durch die Gewalt der Argumente abpressen, dass "nichts" an dieser
Stelle nicht könne sondern müsse aufgefasst werden nicht als "ein
wenig"' sondern als das, was das Wörtchen seiner Natur nach bezeichnet.
Wir wollen dies aber über jenes unüberwundene Argument hinaus tun, durch das
wir bereits gesiegt haben, dass nämlich die Wörter in der natürlichen
Verwendung ihrer Bedeutung zu gebrauchen sind, wenn nicht das Gegenteil
bewiesen ist, was die Diatribe weder getan hat noch tun kann. Wir dringen ihr
aber dies erste ab gerade aus der Natur der Sache selbst, weil durch die
weder vieldeutige noch dunkle Schrift erwiesen ist, dass der Satan der bei
weitem mächtigste und verschlagenste Fürst der Welt sei (wie wir gesagt
haben). Wenn er die Herrschaft hat, ist der menschliche Wille bereits nicht
mehr frei und nicht sein eigener Herr, sondern ein Knecht der Sunde und des
Satans; er kann nur wollen» was jener sein Fürst will. Nichts Gutes aber wird
jener ihn wollen lassen wie sehr auch, selbst wenn der Satan ihm nicht geböte
die Sünde selbst, deren Knecht der Mensch ist, ihn genügend beschwerte, dass
er das Gute nicht wollen könnte. Sodann erzwingt eben dasselbe
die Redefolge selbst, welche die Diatribe kühnlich verachtet, obwohl ich es
in seinen "Assertiones" ausführlich genug angemerkt hatte. So fährt
Christus nämlich Joh, 15 fort: "Wer nicht in mir bleibt, der wird
weggeworfen wie eine Rebe und verdorret, und man sammelt sie und wirft sie
ins Feuer, und sie verbrennt". Daran, sage ich, ist die Diatribe aufs
Rhetorischste vorbeigegangen und hat gehofft, dieses Übergehen würde für die
so ungebildeten Lutheraner nicht fassbar sein. Du siehst aber, dass hier
Christus selbst als Ausleger seines Gleichnisses vom Weinstock und der Rebe
deutlich genug erklärt, was er unter dem Wörtchen , ^nichts" verstanden
wissen will, nämlich dass der Mensch, der außerhalb von Christus ist,
weggeworfen wird und verdorrt. Was kann aber "weggeworfen werden"
und »verdorren" anderes bedeuten, als unter die Gewalt des Teufels
ausgeliefert und unablässig schlechter werden? Schlechter werden ist aber
nicht, etwas können oder versuchen. Der verdorrende Weinstock wird mehr und
mehr für das Feuer geeignet, je mehr er verdorrt. Wenn nicht Christus selbst
dieses Gleichnis so weiter ausgesponnen und angewandt hätte, so hätte niemand
es gewagt, es so auszuführen und anzuwenden. Es steht also fest, dass
"nichts" an dieser Stelle im eigentlichen Sinn verstanden werden
muss, wie die Natur des Wortes es mit sich bringt. Danach zählt die Diatribe
Vergleiche auf, mit denen sie nichts ausrichtet, als dass sie nach ihrer
Weise den törichten Leser zu fremden Dingen hinzerrt, während sie derweilen
den in Frage stehenden Gegenstand völlig vergisst. Wie zum Beispiel: Wenn
Gott auch ein Schiff rettet, führt es der Schiffer aber doch in den Hafen;
deswegen tut der Schiffer etwas dazu. Ein in verschiedenen Richtungen
laufendes Werk teilt dies Gleichnis zu: Gott das Retten, dem Schiffer das
Führen. Fernerhin, wenn es etwas beweist, so beweist es dies, dass Gott das
ganze Werk des Rettens zugehört, dem Schiffer das ganze Werk des Führens. Und
dennoch soll das ein schönes und passendes Gleichnis sein. Ebenso (ein
weiterer Vergleich der Diatribe) fährt der Landmann die Ernte zusammen, Gott
aber hat sie gegeben. Wiederum handelt es sich um verschiedene Werke Gottes
und des Menschen, wenn man nicht den Landmann zugleich zum Schöpfer macht,
der die Ernte gegeben hat. Doch selbst wenn bis dahin dieselben Werke Gott
und dem Menschen gegeben werden, was bewirken dann diese Gleichnisse? Nur,
dass das Geschöpf mit dem wirkenden Gott zusammenarbeitet. Aber disputieren
wir jetzt etwa über das Zusammenwirken und nicht vielmehr über die eigene
Kraft und das eigene Wirken des freien Willens? Wohin flüchtet also dieser
Redner, der von der Palme sprechen wollte und nur vom Kürbis redet? Einen
Weinkrug fing er an zu machen, warum geht ein Wasserkrug daraus hervor? Auch wir wissen, dass Paulus
mit Gott zusammenwirkt m der Belehrung der Korinther, indem er auswendig
predigt und Gott inwendig lehrt, wobei es sich auch um ein voneinander
unterschiedenes Werk handelt. Ähnlich wirkt er auch mit Gott zusammen, wenn
er im Geiste Gottes redet, und zwar in demselben Werk. Denn dies behaupten
und versichern wir bestimmt dass Gott, wenn er ohne die Gnade des heiligen
Geistes wirkt, alles in allen, auch in den Gottlosen wirkt, indem er alles,
was er allein geschaffen hat und auch allein bewegt treibt und fortreißt
durch die Tätigkeit seiner Allmacht' Dieser kann es nicht entgehen und sie
nicht ändern, sondern es folgt und gehorcht zwangsnotwendig, ein jedes nach
dem Maß seines Vermögens, das ihm von Gott gegeben ist. So wirkt auch alles
Gottlose mit ihm zusammen Sodann, wo er durch den Geist der Gnade in jenen
wirkt die er gerechtfertigt hat, d. h. in seinem Reich, da leitet und bewegt
er sie ebenfalls, und jene, da sie denn ein neues Geschöpf sind, gehorchen
und wirken mit ihm zusammen, oder werden vielmehr, wie Paulus sagt, von ihm
getrieben. Aber von ihnen zu reden, ist
hier nicht der Ort. Wir disputieren nicht darüber, was wir durch den
wirkenden Gott, sondern was wir vermögen, nämlich ob wir, die wir bereits aus
dem Nichts geschaffen sind, etwas unter jenem allgemeinen Antrieb der
Allmacht tun oder versuchen können, uns auf das neue Geschöpf des Geistes zu
bereiten. Hierauf wäre zu antworten gewesen, nicht aber anderswohin
auszuweichen. Denn hier antworten wir folgendermaßen: Wie der Mensch, bevor
er zum Menschen geschaffen wird, nichts tut oder versuchte dadurch er ein
Geschöpf wird sodann, da er nun gemacht und geschaffen ist, nichts tut oder
versucht, dadurch er als Kreatur fortbesteht, sondern beides allein durch den
Willen der allmächtigen Kraft und Güte Gottes geschieht, der uns ohne uns
schafft und erhält aber nicht in uns ohne, uns wirkt, die er uns gerade dazu
geschaffen und erhalten hat, dass er in uns wirke, und wir mit ihm zusammen
wirken - sei es, dass dies geschehe außerhalb seines Reiches durch die
allgemeine Allmacht, sei es innerhalb seines Reiches durch die besondere
Kraft seines Geistes - also sagen wir des weiteren: Der Mensch, bevor er zu
einem neuen Geschöpf des Reiches des Geistes erneuert wird, tut nichts,
versucht nichts, dadurch er sich zu dieser Erneuerung und diesem. Reich
bereite. Wenn er dennoch geschaffen ist, tut er nichts, versucht er nichts,
dadurch er in diesem Reiche bleibe. Sondern beides tut allein der Geist in
uns, der uns ohne uns von neuem schafft und die Neugeschaffenen bewahrt, wie
auch Jakobus sagt: "freiwillig hat er uns durch das Wort seiner Kraft
gezeugt, dass wir wären der Erstling seiner Geschöpfe"; er redet von der
erneuerten Kreatur. Aber er wirkt nicht ohne uns, die er ja gerade dazu
neugeschaffen hat und erhält, dass er in uns wirke und wir mit ihm
zusammenwirken. So predigt er durch uns, erbarmt sich der Armen durch uns,
tröstet die Betrübten durch uns. Aber was wird von da aus dem freien Willen
zugeschrieben? Ja, was wird ihm übrig gelassen als nichts und abermals
nichts? Lies also hier die Diatribe fünf oder sechs Blätter lang, wo sie
derart mit Vergleichen und prächtigen aus dem Evangelium und Paulus
angeführten Sprüchen und Parabeln nichts anderes betreibt, als dass sie uns
lehrt, dass in der Schrift (wie sie sagt) unzählige Stellen zu finden sind,
die von der Mitwirkung und Hilfe Gottes berichten. Wenn ich nun daraus
folgenden Schluss ziehe: der Mensch kann nichts ohne die Hilfe der Gnade
Gottes, also sind keine Werke des Menschen gut, so schließt die Diatribe mit
rhetorischer Umkehrung entgegengesetzt folgendermaßen: Ja (sagt sie), der
Mensch kann nichts ohne die Hilfe der Gnade Gottes, darum können alle Werke
des Menschen gut sein. Wie viele Stellen es nun in der heiligen Schrift gibt,
welche dieser Hilfe gedenken, so viele gibt es, welche den freien Willen
feststellen. Aber diese sind zahllos, daher habe ich gesiegt, wenn die Sache
nach der Zahl der Zeugnisse veranschlagt wird. Soweit die Diatribe. Meinst
Du, dass die Diatribe ausreichend nüchtern oder bei gesundem Verstand gewesen
ist, als sie dies schrieb? Denn ich will es nicht ihrer Tücke und
Nichtswürdigkeit zuschreiben, wenn sie mich nicht etwa durch den
fortwährenden Überdruss hat langsam umbringen wollen, indem sie, überall sich
gleich, immer anderes behandelt, als sie sich vorgenommen hat. Aber wenn
jener es Genuss gewährt hat, in einer so wichtigen Sache Unsinn zu reden, so
soll es auch uns Genuss gewähren, ihre freiwilligen Unsinnigkeiten öffentlich
dem Spott preiszugeben. Erstlich disputieren wir
weder darüber, noch wissen wir nicht, dass alle Werke des Menschen gut sein
können, wenn sie mit der Hilfe der Gnade Gottes geschehen. Weiter, dass der
Mensch alles mit der Hilfe der Gnade Gottes kann. Ich kann mich wahrlich
nicht genug über Deine Unachtsamkeit wundern, der Du von dem Vermögen der
Gnade Gottes schreibst, obwohl Du Dir vorgesetzt hattest, von dem Vermögen
des freien Willens zu schreiben. Dazu, als ob alle Menschen Klötze und Steine
wären, wagst Du, öffentlich zu sagen, dass der freie Wille durch die Schriftstellen
bewiesen werde, welche die Hilfe der Gnade Gottes preisen, und wagst nicht
allein dies, sondern singst Dir auch ein Loblied als Sieger und überaus
glorreicher Triumphator. Jetzt weiß ich wirklich, aus diesem Deinem Reden
sowie aus Deinem Handeln, was der freie Wille ist und vermag: nämlich den
Verstand zu verlieren. Was kann es in Dir sein, frage ich Dich; was so redet,
wenn nicht der freie Wille selbst? Höre doch Deine Ableitungen!
Die Schrift preist die Gnade Gottes, also anerkennt sie den freien Willen.
Sie preist die Hilfe der Gnade Gottes, also bestätigt sie den freien Willen.
Aus welcher Dialektik hast Du diese Schlussfolgerungen gelernt? Warum
folgerst Du nicht umgekehrt: Die Gnade wird gepredigt, also wird der freie
Wille aufgehoben; die Hilfe der Gnade wird gepriesen, also wird der freie
Wille vernichtet? Denn wozu wird die Gnade verliehen? Etwa dazu, dass der
Hochmut des freien Willens, der an sich schon stark genug ist, mit der Gnade
wie mit einem überflüssigen Schmuck ausgestattet in den Fastnachtstagen
Fratzen schneide und Possen treibe? Darum will auch ich die
Schlussfolgerung umkehren, wenn auch nicht als Rhetor, so doch mit
konsequenterer Rhetorik als Du: So viele Stellen es in der heiligen Schrift
gibt, welche der Hilfe gedenken, so viele sind es auch, welche den freien
Willen aufheben. Aber diese sind zahllos, daher habe ich gesiegt, wenn die
Sache nach der Zahl der Zeugnisse veranschlagt werden soll. Denn deshalb ist
die Gnade notwendig, deshalb wird das Hilfsmittel der Gnade dem Menschen
beigelegt, weil der freie Wille aus sich heraus nichts kann, und, wie die
Diatribe selbst auf Grund jener wahrscheinlichen Meinung sagt, nicht das Gute
wollen kann. Wenn daher die Gnade gepriesen und die Hilfe der Gnade gepredigt
wird, so wird zugleich die Ohnmacht des freien Willens gepredigt. Das ist die
gesunde Schlussfolgerung und die feststehende Ableitung, welche auch die
Pforten der Hölle nicht umstoßen werden. Hier wollen wir dem ein Ende
setzen, was zur Verteidigung unserer von der Diatribe "widerlegten"
Schriftstellen zu sagen ist, damit das Buch nicht unmäßig anschwelle; das
Übrige, wenn etwas daraus dessen würdig ist, soll innerhalb unserer positiven
Darlegungen behandelt werden. Denn was Erasmus im Epilog wiederholt: wenn
unsere Ansicht sich behaupte, seien so viele Gebote, so viele Drohungen, so
viele Verheißungen zwecklos, und weder für Verdienste noch Unverdienste weder
für Belohnungen noch Strafen werde Raum gelassen; weiter sei es schwierig,
die Barmherzigkeit, ja die Gerechtigkeit Gottes zu verteidigen, wenn Gott die
zwangsnotwendig Sündigen verdammt; auch andere Unannehmlichkeiten würden
folgen, welche ganz bedeutende Männer so bewegt haben, dass sie sogar zu Fall
gekommen sind. Über dies alles haben wir weiter oben schon Rechenschaft
abgelegt. Wir dulden auch nicht und nehmen auch nicht an jene Mittelstraße,
welche die Diatribe uns mit guter Absicht, wie ich glaube, ans Herz legt,
dass wir nämlich dem freien Willen nur ein ganz klein bisschen zugestehen,
damit um so leichter die einander widerstreitenden Schriftaussagen und die
vorhin angeführten Beschwerlichkeiten behoben werden können, Denn mit dieser
Mittelstraße ist der Sache nicht geraten und kein Fortschritt erzielt. Wenn
Du nämlich nicht das Ganze und alles dem freien Willen zuerkennst, nach dem
Beispiel der Pelagianer, so bleibt nichtsdestoweniger der Widerstreit der
Schriftaussagen, wird Verdienst und Belohnung aufgehoben, wird die
Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes hinweggenommen und bleiben alle
Unannehmlichkeiten, die wir durch die ganz kleine und unwirksame Kraft des
freien Willens vermeiden wollten, wie wir oben zur Genüge gelehrt haben.
Darum muss man bis zum äußersten gehen, so dass der ganze freie Wille
bestritten, und alles auf Gott zurückgeführt wird. Dann werden die Schrift
aus sagen einander nicht widerstreiten, und die Unannehmlichkeiten, wenn sie
nicht aufgehoben werden, werden zu tragen sein. Wir kommen nun zum letzten
Teil dieses Buches, in welchem wir, wie versprochen, unsere Truppen wider den
freien Willen vorführen sollen. Aber wir wollen sie nicht alle vorbringen;
denn wer könnte das mit einem solchen kleinen Büchlein erreichen, da die
gesamte Schrift mit ihren einzelnen Tüttelchen und Buchstaben auf unserer
Seite steht? Es ist auch nicht notwendig, einmal, weil bereits durch einen
doppelten Sieg der freie Wille überwunden und niedergestreckt ist. Der eine,
wo wir beweisen, dass alles gegen ihn selbst steht, was er für sich zu tun
meinte. Der andere, wo wir auf weisen, dass noch unbesiegt besteht, was er widerlegen
wollte. Dann wäre, auch wenn er noch nicht besiegt wäre, schon genug
erreicht, wenn er durch das eine oder andere Geschoss zu Boden gestreckt
würde. Denn was ist es nötig, einen Feind, der schon durch irgendein einziges
Geschoss getötet ist, im Tode noch mit vielen anderen Geschossen zu
durchbohren? Daher wollen wir, wenn es die Sache duldet, nun kürzer vorgehen
und aus der so großen Zahl der Heere nur zwei Feldherren mit irgend einigen
ihrer Legionen vorführen, Paulus nämlich und Johannes den Evangelisten. Paulus beginnt im Römerbrief
die Disputation gegen den freien Willen für die Gnade folgendermaßen:
"Es wird", sagt er, "Gottes Zorn vom Himmel geoffenbart über
alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit
Gottes in Ungerechtigkeit aufhalten". Hörst Du hier das allgemeine
Urteil über alle Menschen, dass sie unter dem Zorne Gottes sind? Was ist das
anderes, als des Zornes und der Strafe wert sein? Als Quelle des Zornes
benennt er, dass sie nur tun, was des Zornes und der Strafe wert ist, nämlich
dass sie alle gottlos und ungerecht sind und die Wahrheit in Ungerechtigkeit
aufhalten. Wo ist nun die Kraft des freien Willens, die irgend etwas Gutes
anstreben könne? Paulus setzt voraus, dass es des Zornes Gottes wert sei und
erklärt es für gottlos und ungerecht. Was aber den Zorn verdient und gottlos
ist, das strebt und wirkt mit gegen die Gnade, nicht für die Gnade. Lass uns
aber sehen, wie Paulus seine Entscheidung aus der heiligen Schrift beweist,
ob die Worte bei Paulus mehr aussagen, als an ihrem eigentlichen Platze,
"Wie es geschrieben steht", sagt er: "da ist nicht, der
gerecht sei; da ist nicht, der verständig sei, da ist nicht, der nach Gott
frage. Sie sind alle abgewichen und alle untüchtig geworden; da ist nicht,
der Gutes tue, auch nicht einer" usw.. Hier gebe mir eine
"zweckmäßige" Auslegung, wer es kann; erdichte Bildreden, wende
vor, die Worte seien vieldeutig und dunkel, und verteidige den freien Willen
wider diese Verdammungsurteile, wer es wagt. Dann will auch ich freiwillig
weichen und widerrufen und will selbst auch ein Bekenner und Verteidiger des
freien Willens sein. Es ist sicher, dass dies von
allen Menschen ausgesagt wird. Denn der Prophet führt Gott ein, wie er über
alle Menschen hinschaut und über sie dieses Urteil fällt. Denn also sagt Ps.
14: "Der Herr schaute vom Himmel auf der Menschen Kinder, dass er sehe,
ob jemand klug sei oder nach Gott frage. Aber sie sind alle abgewichen"
usw. Und damit die Juden nicht meinten, dass auf sie sich das nicht beziehe,
kommt Paulus ihnen zuvor, indem er versichert, dass es auf sie sich in
besonderem Maße beziehe: "Wir wissen aber", sagt er, "dass,
was das Gesetz sagt, das sagt es denen, die unter dem Gesetz sind".
Dasselbe hat er gewollt, wo er sagte: "Den Juden vornehmlich und den
Griechen". Du hörst also, dass alle
Menschenkinder, alle, die unter dem Gesetz sind, das heißt sowohl Heiden wie
Juden, vor Gott als solche beurteilt werden, die ungerecht sind, Gott nicht
begreifen noch nach ihm fragen, auch nicht einer. Alle wahrlich sind
abgewichen und heillos. Ich meine aber, dass unter die Menschenkinder und
die, welche unter dem Gesetz sind, auch diejenigen gezählt werden, welche die
Besten und Ehrbarsten sind, die mit der Kraft des freien Willens nach der
Tugend und dem Guten streben, und von denen die Diatribe rühmt, sie hätten
das Bewusstsein und den Samen der Tugend eingepflanzt, falls sie nicht
vielleicht darauf aus ist, es handle sich um Söhne der Engel. Wie könnten also die nach dem
Guten streben, die alle insgesamt nichts von Gott wissen noch sich um ihn
kümmern oder nach ihm fragen? Wie können diejenigen eine dem Guten nützliche
Kraft haben, die alle vom Guten abweichen und völlig unnütz sind? Oder wissen
wir nicht, was es bedeutet, Gott nicht zu kennen, keine Einsicht zu haben,
Gott nicht zu suchen, Gott nicht zu fürchten, sich losgesagt zu haben und
unnütz zu sein? Sind nicht die Worte ganz klar und lehren sie nicht das, dass
alle Menschen Gott nicht kennen und Gott verachten, sodann zum Bösen neigen
und zum Guten unbrauchbar sind? Denn hier handelt es sich nicht um eine
Unkenntnis in der Beschaffung des Lebensbedarfes oder um die Verachtung des
Geldes, sondern um die Unkenntnis und Verachtung des Glaubens und der
Frömmigkeit. Doch diese Unkenntnis und Verachtung ist ganz ohne Zweifel nicht
im Fleisch und den niedrigeren, gröberen Neigungen, sondern in jenen höchsten
und edelsten Kräften der Menschen, in denen Gerechtigkeit, Frömmigkeit,
Kenntnis und Verehrung Gottes herrschen sollen, nämlich der Vernunft und dem Willen
und gerade in eben der Kraft des freien Willens, in der Quelle des
Ansehnlichsten und Hervorragendsten, was im Menschen ist. Wo bist Du jetzt, liebe
Diatribe, die Du weiter oben versprachst, gern beizupflichten, dass das Beste
im Menschen Fleisch sei, das heißt gottlos, wenn es aus der Schrift bewiesen
würde? Stimme nun also zu, wenn Du hörst, dass das Beste in allen Menschen
nicht nur gottlos ist, sondern Gott nicht kennt, Gott verachtet, dem Bösen
zugewandt und unbrauchbar zum Guten ist. Denn was heißt "ungerecht
sein" anderes, als dass der Wille (welcher das eine der hervorragendsten
Dinge im Menschen ist) ungerecht ist? Was bedeutet "Gott und das Gute
nicht erkennen" anderes, als dass die Vernunft (welche das andere der
hervorragendsten Dinge im Menschen ist) von Gott und dem Guten nicht weiß,
das heißt blind ist in der Erkenntnis der Frömmigkeit? Was bedeutet
"sich losgesagt haben und unbrauchbar sein" anderes, als dass die
Menschen mit keinem Teil ihrer selbst, ja am wenigsten mit ihren hervorragendsten
Teilen zum Guten irgend etwas vermögen, sondern nur zum Bösen? Was bedeutet
"Gott nicht fürchten" anderes, als dass die Menschen mit allen
ihren Teilen, am meisten mit ihren besseren, Verächter Gottes sind? Verächter
Gottes sein bedeutet zugleich Verächter aller Dinge Gottes sein, wie zum
Beispiel der Worte, Werke, Gesetze, Gebote und des Willens Gottes. Was kann
nun die Vernunft Richtiges sagen, welche blind und unwissend ist? Was kann
der Wille Gutes erwählen, der böse und unbrauchbar ist? Ja was kann der Wille
anstreben, dem die Vernunft nichts sagt, außer der Finsternis der Blindheit
und Unwissenheit? - Wenn also die Vernunft irrt und der Wille (vom Guten)
abgewandt ist, was vermag der Mensch Gutes zu tun oder zu erstreben? Aber es könnte vielleicht
jemand sophistisch zu sagen wagen: Zugegeben, dass der Wille abweicht, und
die Vernunft tatsächlich unwissend ist, so kann der Wille doch etwas
erstreben und die Vernunft etwas wissen aus eigenen Kräften, da wir vieles
können, was wir dennoch nicht tun, denn wir disputieren über die potentielle
Kraft, nicht über die Ausführung. Darauf antworte ich: Die Worte des
Propheten schließen sowohl Ausführung wie Fähigkeit ein. Es bedeutet
dasselbe, wenn man sagt: "Der Mensch fragt nicht nach Gott", wie
wenn man sagt: "Der Mensch kann nicht nach Gott fragen". Das
müsstest Du daraus erschließen, dass, wenn im Menschen die Fähigkeit oder die
Kraft wäre, Gutes zu wollen, dass diese Kraft sie irgend in einigen oder
wenigstens einem einzigen bewegt und in irgend welcher Anwendung kundgetan
würde, da durch den Antrieb der göttlichen Allmacht ihr nicht zu ruhen oder
müßig zu sein gestattet wird. Aber das geschieht nicht,
denn "Gott schaut vom Himmel herab, und sieht nicht einen einzigen, der
nach ihm frage oder strebe". Daraus folgt, dass es diese Kraft nirgends
gibt, die (nach ihm) strebt oder ihn suchen will; sondern alle weichen
vielmehr (von ihm) ab. Wenn Paulus nicht zugleich so verstanden würde, dass
er von der Ohnmacht (des Menschen) redet, würde seine Darlegung nichts
ausrichten. Denn daran ist Paulus ganz und gar geprägt, dass er allen
Menschen die Gnade notwendig erscheinen läßt. Wenn sie aber von sich aus
etwas anfangen könnten, wäre die Gnade nicht nötig. Nun aber, weil sie es
nicht können, ist ihnen die Gnade nötig. So siehst Du, dass jeder freie Wille
durch die Schriftstellen vollständig beseitigt wird und dass nichts Gutes
oder Ehrbares im Menschen übrig gelassen wird, da er als ungerecht, Gottes
unkundig, Verächter Gottes, abgefallen und untüchtig vor Gott festgestellt
wird, und das behauptet in diesem Streit der Prophet an der eigentlichen
Schriftstelle sowohl nachdrücklich genug wie bei Paulus, der sich auf ihn
beruft. Und es ist keine geringe
Sache, wenn es heißt, dass der Mensch Gott nicht kenne und ihn verachte. Denn
hier liegen die Quellen aller Verbrechen, der Bodensatz der Sünden, ja die
Hölle der Übeltaten. Was für Böses kann es dort nicht geben, wo die
Unkenntnis und Verachtung Gottes ist? Kurz, die Herrschaft des Satan in den
Menschen konnte nicht mit kürzeren oder inhaltsreicheren Worten beschrieben
werden, als dass er sie als Unkundige und Verächter Gottes bezeichnete. Denn
hier ist Ungläubigkeit, hier ist Ungehorsam, hier sind Frevel, hier ist
Lästerung gegen Gott, hier ist Grausamkeit und Unbarmherzigkeit gegen den
Nächsten, hier ist Selbstliebe in allen Dingen Gottes und der Menschen. So
hast Du die Herrlichkeit und die Macht des freien Willens vor Augen. Paulus fährt aber fort und
bezeugt, dass er von allen Menschen und insbesondere von den besten und
hervorragendsten rede, wenn er sagt: "Auf dass aller Mund verstopft
werde und alle Welt Gott schuldig sei, darum, dass kein Fleisch durch des
Gesetzes Werke vor ihm gerecht sein kann". Nun bitte ich Dich, auf
welche Weise wird der Mund aller verstopft, wenn immer noch eine Kraft übrig
ist, mit der wir etwas vermögen? Es wird dann nämlich möglich
sein, Gott zu sagen: Es ist nicht völlig nichts hier; es gibt hier etwas, das
Du nicht verdammen kannst. Denn Du hast ihm ja selbst gegeben, dass es etwas
vermag. Das wenigstens wird nicht schweigen noch wird es schuldig sein. Wenn
nämlich jene Kraft des freien Willens gesund ist und etwas vermag, so ist
falsch, dass die ganze Welt Gott schuldig oder vor ihm angeklagt ist. Denn
jene Kraft ist keine kleine Sache oder in einem kleinen Teil der Welt,
sondern in der ganzen Welt das Trefflichste und Verbreitetste, dem der Mund
nicht verstopft werden darf. Wenn ihm aber der Mund verstopft werden darf,
ist nötig, dass es mit der ganzen Welt Gott schuldig und angeklagt vor ihm
sei. Mit welchem Recht kann es aber schuldig genannt werden, wenn es nicht
ungerecht und gottlos wäre, das heißt der Strafe und Züchtigung wert? Ich möchte doch wohl sehen,
durch welche Interpretation jene Kraft des Menschen von der Schuld freigesprochen
werden kann, in welche die ganze Welt vor Gott verstrickt ist, oder mit
welcher Kunstfertigkeit sie davon ausgenommen werden kann, damit sie nicht in
diesen Begriff "ganze Welt" mit eingeschlossen werden könne.
Gewaltig sind die Donnerschläge und durchdringend die Blitze und wahrlich
jener "Hammer, der Felsen zerschmeißt": "Alle sind sie
abgewichen, die ganze Welt ist schuldig, da ist keiner gerecht". Damit
wird in den Staub getreten, was es auch immer gibt, nicht nur in einen Menschen
oder in einigen oder in irgendeinem Teil von ihnen, sondern auch in der
ganzen Welt, nichts irgendwie ausgenommen, so dass die ganze Welt bei diesen
Worten zittern, erbeben und fliehen sollte. Denn was hätte Größeres und
Stärkeres gesagt werden können als dies: Die ganze Welt ist schuldig, alle
Menschenkinder sind abgewichen und untüchtig, niemand fürchtet Gott, niemand
ist nicht ungerecht, niemand Ist verständig, niemand fragt nach Gott.
Nichtsdestoweniger war und ist die Härte und die unvernünftige
Widerspenstigkeit unseres Herzens so groß, dass wir diese Donnerschläge und
Blitze weder hörten noch empfinden, sondern den. freien Willen und seine
Kräfte derweilen zugleich gegen dies alles erhoben und aufrichteten, so dass
wir fürwahr jenes Wort Maleachi l erfüllten: "Sie bauen, aber ich will
abbrechen" In demselben großartigen Stil
wird auch jenes Wort gesprochen: "Aus den Werken des Gesetzes wird kein
Fleisch vor ihm gerechtfertigt". Es ist ein großes Wort: "aus den
Werken des Gesetzes", ebenso wie auch jenes: "die ganze Welt",
oder jenes: "alle Menschenkinder". Denn es ist zu beachten, dass
Paulus von den Personen absieht und des Strebens gedenkt, das heißt, dass er
alle Personen und was das Trefflichste in ihnen ist, einbezieht. Denn wenn er
gesagt hätte: Der Pöbel der Juden, oder die Pharisäer oder irgendwelche
Gottlose werden nicht gerechtfertigt, so hatte es scheinen können, dass er
einige übrig gelassen hätte, welche durch die Kraft des freien Willens und
die Unterstützung des Gesetzes nicht völlig unnütz wären. Aber da er gerade
die Werke des Gesetzes verdammt und für gottlos vor Gott erklärt, so wird
offenkundig, dass er alle verdammt, die etwas um ihres Eifers willen für das
Gesetz und die Werke galten, Es befleißigten sich aber des Gesetzes und der
Werke nur die Besten und Trefflichsten, und das nur mit ihrem besten und
trefflichsten Teil, der Vernunft und dem Willen. Wenn daher diejenigen, die
mit höchstem Eifer und Bestreben der Vernunft wie des Willens, das heißt mit
dem ganzen Vermögen des freien Willens, im Gesetz und Werken sich übten, als
dann durch das Gesetz selbst wie durch göttliche Hilfe unterstützt wurden,
durch welches sie unterrichtet und angetrieben wurden, wenn, sage ich, diese
der Gottlosigkeit schuldig gesprochen werden, dass sie nicht gerechtfertigt,
sondern vor Gott als Fleisch bezeichnet werden, was bleibt dann im ganzen
Menschengeschlecht übrig, das nicht Fleisch und gottlos sei? Denn alle werden
in gleichem Maße verdammt, die auf den Werken des Gesetzes fußen. Ob sie
nämlich mit größtem Eifer, mit mittelmäßigem oder mit gar keinem sich im
Gesetz geübt haben, macht nichts aus. Alle konnten nur die Werke des Gesetzes
auf sich nehmen, die Werke des Gesetzes aber rechtfertigen nicht. Wenn sie
nicht rechtfertigen, kennzeichnen sie und lassen zurück ihre Täter als
Gottlose. Die Gottlosen aber sind wahrlich schuldig und des Zornes Gottes
würdig. Das ist so klar, dass dawider keiner mucken kann. Wenn also der freie Wille,
vom Gesetz unterstützt und mit aller Kraft im Gesetz geübt, nichts nutzt und
nicht rechtfertigt, sondern in Gottlosigkeit und Fleisch bleibt, was kann
dann für ihn allein ohne das Gesetz veranschlagt werden? "Durch .das
Gesetz", sagt Paulus, "kommt Erkenntnis der Sünde". Er zeigt
hier, wie viel und wie weit das Gesetz nützt, nämlich dass der freie Wille an
sich allein so blind ist, dass er nicht einmal die Sünde kennt, sondern ihm
das Gesetz als Lehrer dazu nötig ist. Doch wer die Sünde nicht kennt, was mag
der unternehmen, um die Sünde zu beseitigen? Das natürlich: dass er, was
Sünde ist, nicht für Sünde, und was nicht Sünde ist, für Sünde halten wird.
Das, was die Erfahrung zur Genüge beweist: wie die Welt durch diejenigen, die
sie für die Besten und Eifrigsten in Bezug auf Gerechtigkeit und Frömmigkeit
hält, die durch das Evangelium gepredigte Gerechtigkeit Gottes hasst und
verfolgt, und als Ketzerei, Irrtum und mit anderen ganz schlimmen Namen
beschimpft, ihre eigenen Werke und Ratschlüsse aber, die wirklich Sünde und
Irrtum sind, als Gerechtigkeit und Weisheit rühmt und zur Schau trägt. Es
stopft also Paulus mit diesem Wort dem freien Willen den Mund, indem er
lehrt, dass durch das Gesetz ihm die Sünde gezeigt wird der ja seine Sünde
nicht kennt. So weit ist Paulus davon entfernt, dass er ihm irgendeine Kraft
des Strebens nach dem Guten zugesteht. Und hier wird jene so oft in
dem ganzen Buch wiederholte Frage der Diatribe gelöst: Wenn wir nichts
können, was sollen denn so viele Gesetze, so viele Gebote, so viele
Drohungen, so viele Verheißungen? Hier antwortet Paulus: "Durch das
Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde". Er antwortet bei weitem anders auf
diese Frage, als der Mensch oder der freie Wille denkt. Nicht, sagt er, wird
der freie Wille durch das Gesetz bewiesen. Er wirkt nicht mit zur
Gerechtigkeit; denn durch das Gesetz kommt nicht Gerechtigkeit, sondern
Erkenntnis der Sünde. Denn dies ist die Frucht, dies das Werk, dies das Amt
des Gesetzes, dass es den Unwissenden und Blinden ein Licht ist, aber ein
solches Licht, welches die Krankheit, die Sünde, das Böse, den Tod, die
Hölle, den Zorn Gottes zeigt. Aber es hilft nicht, noch befreit es von ihnen.
Es begnügt sich damit, darauf hingewiesen zu haben. Dann wird der Mensch nach
Erkenntnis der Krankheit der Sünde traurig, niedergeschlagen, ja er
verzweifelt. Das Gesetz hilft nicht, noch viel weniger kann er sich selbst
helfen. Ein anderes Licht ist wahrhaft nötig, welches das Heilmittel zeige.
Das ist die Stimme des Evangeliums, welche auf Christus als Befreier von
diesen allen hinweist. Auf diesen weist nicht die Vernunft oder der freie Wille
hin. Und wie könnte sie auch auf ihn hinweisen, da sie selbst eben Finsternis
ist, und des Lichtes des Gesetzes entbehrt, welches ihr die Krankheit zeigt,
die sie durch ihr eigenes Licht nicht sieht, sondern glaubt, sie wäre
Gesundheit? So behandelt er auch im Brief
an die Galater dieselbe Frage, indem er sagt: "Was soll also das
Gesetz?". Er antwortet aber nicht nach der Weise der Diatribe, auf dass
er den freien Willen beweise, sondern sagt also: "Es ist um der
Übertretungen willen gegeben, bis dass der Same komme, dem die Verheißung
geschehen ist". "Um der Übertretungen willen" (sagt er), nicht
um sie einzudämmen, wie Hieronymus träumt, da Paulus doch auseinandersetzt,
dass dies dem zukünftigen Samen verheißen ist, die Sünden aufzuheben und
einzudämmen, nachdem die Gerechtigkeit verliehen ist; sondern um die
Übertretungen zu mehren, wie er Röm. 5 sagt: "Das Gesetz ist nebenbei
hereingekommen, dass die Sünde überhand nehme". Nicht dass die Sünden
ohne das Gesetz nicht geschähen oder nicht überhand nähmen. Sondern sie
würden nicht als Übertretungen erkannt oder als so große Sünden, und die
meisten und größten würden für Gerechtigkeit erachtet werden. Wenn aber die
Sünden nicht erkannt sind, ist kein Raum noch Hoffnung auf ein Heilmittel,
deshalb weil sie nicht die Hand des Heilenden ertragen, da sie sich selbst
gesund und des Arztes nicht zu bedürfen Scheinen. Deshalb ist das Gesetz
notwendig, welches die Sünde kenntlich macht, damit der hochmütige und sich
für gesund haltende Mensch, nachdem er ihre Nichtswürdigkeit und Größe
erkannt hat, sich demütige und nach der Gnade seufze und lechze, in Christus
ihm vorgehalten. Siehe also, wie schlicht die
Redeweise ist: "Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünder, und
dennoch ist sie allein mächtig genug, den freien Willen außer Fassung zu
bringen und zu vernichten. Denn wenn dies wahr ist, dass er aus sich selbst
heraus nicht weiß, was die Sünde und das Böse ist - wie Paulus sowohl hier
wie Röm. 7 sagt: "Ich wusste nicht von der Lust, dass sie Sünde sei, wo
das Gesetz nicht hätte gesagt: Lass Dich nicht gelüsten" - wie sollte er
jemals wissen, was die Gerechtigkeit und das Gute sei ? Wenn er aber die
Gerechtigkeit nicht kennt, wie soll er nach ihr streben? Die Sünde, in der
wir geboren sind, in der wir leben, uns bewegen und sind, vielmehr die in uns
lebt, sich bewegt und herrscht, kennen wir nicht. Und wie sollten wir die
Gerechtigkeit, die außerhalb unser im Himmel herrscht, kennen? Zu nichts und
weniger als nichts machen diese Worte jenen elenden freien Willen. Da dies sich so verhält,
verkündigt Paulus voller Zuversicht und Autorität: "Nun aber wird ohne
das Gesetz die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbart, bezeugt durch
das Gesetz und die Propheten. Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor
Gott; die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus, zu allen und auf
alle, die an ihn glauben. Denn es ist hier kein Unterschied, sie sind alle
Sünder und mangeln des Ruhmes vor Gott; und werden ohne Verdienst gerecht aus
seiner Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist, welchen Gott hat
vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut" usw. Ich übergehe hier jene
stärksten Gründe von dem Vorsatz der Gnade, von der Verheißung, von der Kraft
des Gesetzes, von der Erbsünde, von der angenommenen Erwählung Gottes, deren
keiner ist, der nicht für sich allein von Grund aus den freien Willen
aufhebt. Denn wenn, die Gnade aus dem Vorsatz oder der Vorher; Bestimmung
kommt, so kommt sie zwangsnotwendig und nicht durch unser Streben und Eifer,
wie wir oben gelehrt haben. Gleichermaßen, wenn Gott die Gnade vor dem Gesetz
verheißen hat, wie hier und im Galaterbrief Paulus beweist, dann kommt sie
also nicht aus den Werken oder dem Gesetz, sonst wird die Verheißung nichts
sein. So wird auch der Glaube nichts sein (durch den doch Abraham. vor dem
Gesetz gerechtfertigt wird, Röm. 4; Gal. 5), wenn die Werke gelten.
Gleichermaßen, da das Gesetz die Kraft der Sünde ist, aber die Sünde nur
zeigt, nicht jedoch beseitigt, macht es das Gewissen schuldig vor Gott und
droht den Zorn an. Das ist es, was Paulus sagt: "Das Gesetz wirkt
Zorn". Auf welche Weise könnte es darum geschehen, dass durch das Gesetz
Gerechtigkeit erworben wird? Wenn uns aber durch das Gesetz nicht geholfen
wird, wie kann uns allein durch die Kraft des freien Willens geholfen werden?
Gleichermaßen, wenn wir durch des einen Adam einziges Vergehen alle unter der
Sünde und der Verdammnis sind, wie können wir da irgend etwas versuchen, was
nicht Sünde und verdammlich ist? Wenn Paulus nämlich sagt "alle",
nimmt er niemand aus, weder die Kraft des freien Willens noch irgend einen
Werkheiligen, er tue Werke oder nicht, er bemühe sich oder nicht; unter
"alle" wird er notwendig mit den übrigen umschlossen. Wir würden auch nicht
sündigen oder verdammt werden durch jene einzige Sünde Adams, wenn sie nicht
unsere Sünde wäre. Denn wer würde auf Grund einer fremden Sünde verdammt,
zumal vor Gott? Unser wird sie aber nicht durch Nachahmen oder Tun, weil das
nicht jene einzige Sünde Adams sein könnte, da sie ja nicht er, sondern wir
dann begangen hätten, sie wird vielmehr unser dadurch, dass wir geboren
werden. (Doch davon ist an anderer Stelle zu reden). Also gerade die Erbsünde
läßt den freien Willen überhaupt nichts können als sündigen und verdammt
werden, Diese Gründe übergehe ich, wie gesagt, weil sie ganz offenbar und
mächtig sind, und wir auch einiges weiter oben davon gesagt haben. Wenn wir
aber alles, was den freien Willen vernichtet, bei Paulus allein aufzählen
wollten, so würden wir nichts Besseres tun, als dass wir mit einem
fortlaufenden Kommentar den ganzen Paulus behandelten und bei fast allen
einzelnen Worten die Widerlegung der so sehr gerühmten Kraft des freien
Willens aufzeigten, wie ich es bereits mit diesem dritten und vierten Kapitel
getan habe. Ich sage von mir: überaus
wundere ich mich, dass, da Paulus so oft jene umfassenden Bezeichnungen
verwendet: alle, keiner, nicht, nirgends, ohne, wie zum Beispiel: "alle
sind sie abgewichen", "es ist keiner gerecht", "nicht ist
einer da, der Gutes tue, auch nicht einer", "alle sind sie durch
des einen Vergehen Sünder und verdammt", "durch den Glauben ohne
das Gesetz", "wir werden ohne Werke gerechtfertigt", so dass,
wenn irgendeiner es anders wollte, er dennoch nicht klarer und offen
verständlicher reden könnte, ich wundere mich sage ich, wie es möglich war,
dass trotz dieser umfassenden Worte und Sätze andere, ja völlig
entgegengesetzte das Übergewicht gewinnen konnten, wie: es gibt etliche, die
nicht abweichen, nicht ungerecht, nicht böse, nicht Sünder, nicht verdammt
sind; es gibt etwas im Menschen, das gut ist und nach dem Guten eifrig
strebt, gleich als ob jeder, welcher Mensch auch immer es sei, der nach dem
Guten strebt, nicht unter dieses Wort einbegriffen wäre: "alle, keiner,
nicht". Ich hätte nichts, wenn ich auch wollte, was ich Paulus
entgegensetzen oder erwidern könnte, sondern ich wäre gezwungen, die Kraft
meines freien Willens zusammen mit seinem Streben unter und "keine"
mit einbegriffen sein zu lassen, Paulus spricht, es sei denn, dass eine neue
und eine neue Redeweise eingeführt werden Und es wäre vielleicht
möglich, eine Bildrede zu vermuten und die hervorgehobenen Worte zu pressen,
wenn er einmal oder an einer Stelle eine solche Kennzeichnung gebrauchte.
Aber nun gebraucht er sie fortwährend, gleichzeitig sowohl in bejahender wie
in verneinender Hinsicht, und er behandelt den Satz durch Vergleichung und
Teilung der allgemeinen Teile überall derartig, dass nicht allein die Natur
der Worte und die Redeweise selbst, sondern auch das Folgende, das
Vorangehende, der Zusammenhang, die Absicht und die Gesamtheit der ganzen
Auseinandersetzung den allgemein herrschenden Gedanken einschließen, Paulus
wolle, dass außerhalb des Glaubens an Christus nichts außer Sünde und
Verdammnis sei. Auf diese Weise haben wir
versprochen, den freien Willen zu widerlegen, dass alle Widersacher nicht
widerstehen können. Das ist es, was ich meine, getan zu haben, auch wenn die
Besiegten unserer Ansicht nicht beistimmen oder schweigen. Denn dies ist
nicht in unserer Macht, das ist Gabe des heiligen Geistes. Lasst uns noch zu
Johannes kommen, der gleichfalls ein reich ausgestatteter und mächtiger
Zerstörer des freien Willens ist. Gleich am Anfang schreibt er dem freien
Willen eine solche Blindheit zu, dass er das Licht der Wahrheit nicht einmal
sieht, und weit davon entfernt ist, dass er nach ihm streben könnte. So
nämlich sagt er: "Das Licht scheint in der Finsternis, aber die
Finsternis begreift es nicht", und bald danach: "Es war in der
Welt, und die Welt kannte es nicht. "Er kam in sein Eigentum, und die
Seinen nahmen ihn nicht auf". Was, glaubst Du, versteht er unter
"Welt"? Willst Du etwa irgendeinen Menschen, außer dem durch den
Geist Wiedergeborenen, aus diesem Begriff absondern? Lasst uns auch ein
Beispiel des freien Willens hören. Nikodemus ist gewiss ein Mann, bei dem man
nichts von dem vermissen kann, was der freie Wille vermag. Denn was
unterlässt dieser Mann an Eifer oder Bemühen? Er bekennt, dass Christus die
Wahrheit verkündet, und von Gott gekommen sei, er rühmt seine Wundertaten, er
kommt nachts, um das Übrige zu hören und zu besprechen. Scheint er nicht
vermöge des freien Willens das gesucht zu haben, was zum Glauben und zum Heil
gehört? Aber siehe, wie er anstößt. Als er hört, wie von Christus der wahre
Weg zum Heil durch die Wiedergeburt gelehrt wird, erkennt er ihn etwa an oder
bekennt er, dass er ihn jemals gesucht habe? Er schreckt vielmehr so davor
zurück und wird so verwirrt, dass er sagt, er begreife ihn nicht nur nicht,
sondern sich abwendet, weil es unmöglich sei: "Wie", sagt er,
"kann das geschehen?". Das ist fürwahr nicht
verwunderlich. Denn wer hat es jemals gehört, dass aus Wasser und Geist ein
Mensch zum Heil wiedergeboren werden muss? Wer hat jemals gedacht, dass der
Sohn Gottes "erhöht werden müsse, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht
verloren werde, sondern das ewige Leben habe?". Oder haben dessen je die
scharfsinnigsten und besten Philosophen gedacht? Oder haben die Angesehensten
dieser Welt diese Weisheit je erkannt? Oder hat irgendeines freier Wille je
danach gestrebt? Bekennt nicht Paulus, dass diese Weisheit im Geheimnis
verborgen sei, durch die Propheten zwar vorhergesagt, aber durch das
Evangelium geoffenbart, so dass sie von Ewigkeit her verschwiegen und der
Welt unbekannt war? Was soll ich sagen? Lasst uns
die Erfahrung befragen! Die ganze Welt selbst, die menschliche Vernunft
selbst, ja sogar der freie Wille selbst ist gezwungen zu bekennen, dass er
Christus nicht gekannt und nicht von ihm gehört habe, bevor das Evangelium in
die Welt kam. Hat er ihn aber nicht gekannt, so hat er ihn noch viel weniger
gesucht, oder ihn suchen oder zu ihm hinstreben können. Doch Christus ist der
Weg, die Wahrheit, das Leben und das Heil. Er bekennt also, ob er will oder
nicht, dass er aus eigene n Kräften das weder hat kennen noch suchen können,
was zum Weg, zur Wahrheit und zum Heil gehört. Nichtsdestoweniger wüten wir
gerade gegen dies Bekenntnis und gegen die eigene Erfahrung und verfechten
mit leeren Worten, dass in uns eine solche Kraft übrig sei, die sowohl wisse
wie sich zu dem bereiten könne, was zum Heil gehört. Das heißt soviel
behaupten - da doch Christus der Sohn Gottes, für uns erhöht ist, obwohl
keiner es jemals hatte wissen oder daran denken können - dass diese
Unwissenheit nicht Unwissenheit ist, sondern Kenntnis Christi das heißt
dessen, was zum Heil gehört, Siehst und fühlst Du noch nicht, dass die
Verteidiger des freien Willens vollkommen unsinnig sind, wenn sie das
Kenntnis nennen, von dem sie selbst, bekennen, dass es Unwissenheit sei?
Bedeutet das nicht die Finsternis Licht nennen, wie Jes. 5? Denke nur, so
gewaltig verstopft Gott dem freien Willen den Mund durch sein eigen
Bekenntnis und Erfahrung, dennoch kann er auch so nicht schweigen und Gott
die Ehre geben. Wenn Christus weiter der Weg,
die Wahrheit und das Leben genannt wird, und dies auf dem Wege des
Vergleichs, so dass, was auch immer nicht Christus ist, nicht Weg, sondern
Irrtum, nicht Wahrheit, sondern Lüge, nicht Leben, sondern Tod ist, dann muss
das Wesen des freien Willens, da er weder Christus noch in Christus ist,
notwendig Irrtum, Lüge und Tod ausmachen. Wo also und woher will man jenes
Ding haben, das in der Mitte steht und keines von beiden ist, nämlich jene
Kraft des freien Willens, die, während sie weder Christus ist, dennoch nicht
Irrtum, nicht Lüge und nicht Tod sein soll? Denn wenn nicht alles
antithetisch gesagt würde, was von Christus und der Gnade gesagt wird, so
dass es dem Gegenteil gegenüber gestellt wird - das bedeutet, dass außerhalb
von Christus nichts außer dem Satan ist, außerhalb der Gnade nichts außer
Zorn, außerhalb des Lichtes nichts außer Finsternis, außerhalb des Weges
nichts außer Irrtum, außerhalb der Wahrheit nichts außer Lüge, außerhalb des
Lebens nichts außer Tod - was, frage ich, würden dann alle Reden der Apostel
und die ganze Schrift erreichen? Umsonst natürlich wurde alles gesagt werden,
da es nicht nötigte, Christus für notwendig zu halten (was es doch am meisten
beabsichtige) deswegen, weil ein Mittelding gefunden wird. das an sich selbst
weder böse noch gut, weder Christi noch des Satans wäre, weder wahr noch
falsch, weder lebendig noch tot vielleicht sogar weder etwas noch nichts
wäre, und wenn dies das Beste und Höchste im ganzen Menschengeschlecht
genannt werden könnte. Wähle also, was von beiden Du
willst! Wenn Du zugibst dass die Schrift antithetisch redet, wirst Du über
den freien Willen nichts sagen können, als was Christus entgegengesetzt ist,
nämlich dass Irrtum, Tod, der Satan und alle Übel in ihm herrschen. Wenn Du
nicht zugibst dass sie antithetisch redet, schwächst Du bereits die Schrift,
so dass sie nichts ausrichtet und Christus nicht als notwendig beweist. Und
während Du den freien Willen aufrichtest, entkräftest Du Christus und
richtest die Schrift zugrunde. Weiter, wenn Du auch mit Worten vorgibst
Christus zu bekennen, so verleugnest Du ihn doch durch. die Tat. Denn, wenn
die Kraft des freien Willens nicht ganz voll Irrtum noch verdammlich ist,
sondern das Ehr_ bare und Gute, das. was sich auf das Heil bezieht, sieht und
will so ist sie gesund, hat Christus als Arzt nicht nötig. Und Christus hat
diesen Teil. des Menschen auch nicht, erlöst, denn was bedarf man des Lichtes
und des Lebens, wo Licht und Leben ist? Doch wenn dieser Teil nicht
durch Christus erlöst ist, so ist das Beste im Menschen nicht erlöst, sondern
durch sich selbst gut und gesund. Dann ist Gott auch ungerecht, wenn er
irgend einen Menschen verdammt, weil er das, was im Menschen das Beste und
gesund, das heißt unschuldig ist, verdammt. Denn kein Mensch hat den freien
Willen nicht. Und mag auch ein böser Mensch ihn missbrauchen, so wird doch
gelehrt, dass die Kraft selbst nicht ausgelöscht wird, so dass sie nicht nach
dem Guten strebe und streben könne. Wenn sie aber derartig beschaffen ist, so
ist sie ganz ohne Zweifel gut, heilig und gerecht. Darum darf sie nicht
verdammt werden, sondern muss von dem. zu verdammenden Menschen abgetrennt
werden. Aber das kann nicht geschehen, und wenn es geschehen könnte, so wäre
der Mensch, der von nun an ohne den freien Willen ist, gar kein Mensch, würde
keine Verdienste, keine "Unverdienste" erwerben, nicht gerettet
werden; er wäre schlechterdings ein Tier, nicht mehr unsterblich. Es bleibt
also nur übrig, dass Gott ungerecht ist, der jene gute, gerechte, heilige Kraft,
die Christi nicht bedarf, in und mit dem bösen Menschen verdammt. Doch lasset
uns im Johannesevangelium fortfahren: "Wer an ihn glaubt", sagt er,
"der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon
gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes
Gottes". Antworte mir, ob der freie Wille zur Zahl der Glaubenden gehört
oder nicht. Wenn ja, hat er wiederum die Gnade nicht nötig, da er aus sich
selbst an Christus glaubt, den er aus sich selbst weder kennt noch an ihn
denkt. Wenn nein, ist er bereits gerichtet; was doch nichts anderes ist, als:
er ist vor Gott verdammt. Jedoch Gott verdammt nur das Gottlose; also ist er
gottlos. Was Frommes kann das Gottlose anstreben? Ich glaube auch nicht, dass
hier die Kraft des freien Willens ausgenommen werden kann da vom ganzen
Menschen gesprochen "wird, von dem er sagt, dass er verdammt wird. Dazu
ist die Ungläubigkeit nicht eine grobe Neigung, sondern die höchste, die da
sitzt und herrscht in der Burg des Willens und der Vernunft, wie ihr Gegensatz,
der Glaube. Ungläubig aber sein heißt, Gott verleugnen und zum Lügner machen,
l. Joh. 5: "So wir nicht glauben, machen wir Gott zum Lügner". Auf
welche Weise strebt nun jene Gott entgegengesetzte und ihn zum Lügner
machende Kraft nach dem Guten? Wenn jene Kraft nicht ungläubig und gottlos
wäre, hatte er nicht vom ganzen. Menschen sagen dürfen: Er ist schon
gerichtet, sondern so: der Mensch ist nach seinen groben Neigungen schon
gerichtet, aber nach seiner besten und hervorragendsten wird er .nicht gerichtet
weil sie nach dem Glauben strebt, oder sie ist vielmehr schon gläubig. Also, wo die Schrift so oft
sagt: "alle Menschen sind Lügner", werden wir auf Grund der
Autorität des freien Willens sagen: Im Gegenteil, die Schrift vielmehr lügt, denn
der Mensch ist nicht ein Lügner an seinem besten Teil, das heißt der Vernunft
und dem Willen, sondern nur am Fleisch, Blut und Mark, so dass also jenes
Ganze, das ihm den Namen Mensch verschafft, die Vernunft und der Wille,
gesund und heilig ist. So wird man ebenfalls auch den Spruch des Täufers
"Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohn nicht
glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über
ihm" so verstehen müssen: über ihm, das heißt über den großen Neigungen
des Menschen bleibt der Zorn Gottes, über jener Kraft aber des freien
Willens, des Willens nämlich und der Vernunft bleibt die Gnade und das ewige
Leben. Entsprechend diesem Beispiel, damit der freie Wille bestehen bleibe,
kann man alles, was in der Schrift gegen die gottlosen Menschen gesagt wird,
mit Hilfe einer das Ganze statt des Teiles setzenden Redefigur
(synekdochisch) auf den tierischen Teil des Menschen deuten, damit der
vernünftige und wahrhaft menschliche Teil gerettet werde. Dann werde ich den
Verfechtern des freien Willens danken, und mit Dreistigkeit sündigen, dessen
sicher, dass Vernunft und Wille bzw. der freie Wille nicht verdammt werden
können, deswegen, weil sie nie erlöschen, sondern fortwährend gesund, gerecht
und heilig bleiben. Doch wenn der Wille und die Vernunft selig sind, werde
ich mich freuen, dass das abscheuliche und tierische Fleisch abgetrennt und
verdammt wird; so viel fehlt daran, dass ich ihm Christus zum Erlöser
wünsche. Du siehst, wohin uns die Lehre vom freien Willen führt, dass sie
alles Gott liehe und Menschliche, Zeitliche und Ewige verleugnet mit so
vielen Ungeheuerlichkeiten sich selbst verspottet gleichermaßen sagt der
Täufer: "Der Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn vom Himmel
gegeben". Hier möge die Diatribe aufhören, ihren reichen Stoff zur Schau
zu tragen, wo sie alles aufzählt, was wir vom Himmel haben. Nicht über die
Natur, sondern über die Gnade disputieren wir, noch fragen wir, wie wir auf
der Erde sondern wie wir im Himmel vor Gott beschaffen sind. Wir wissen, dass
der Mensch zum Herrn über die Dinge unter ihm eingesetzt ist, über die er ein
Recht und einen freien Willen hat, auf dass jene gehorchen und tun, was er
will und denkt. Aber danach fragen wir, ob er Gott gegenüber den freien
Willen hat, dass dieser will und tut, was Gott will, und nichts kann, außer
was jener will und tut. Hier sagt der Täufer, dass er nichts nehmen kann,
wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben werde. Darum wird der freie Wille
nichts sein. Ich lasse unerwähnt jenen meinen wahrhaften Achill, an dem die
Diatribe tapfer vorübergegangen ist, ohne ihn zu berühren, nämlich was Paulus
Röm. 7 und Gal. 5 lehrt, dass in den Heiligen und Frommen ein so heftiger
Kampf zwischen Geist und Fleisch stattfinde, dass sie nicht tun können, was
sie wollen" Daraus habe ich gefolgert: Wenn die Natur des Menschen so
böse ist, dass sie in denen, die durch den Geist wiedergeboren sind, nicht
nur nicht nach dem Guten strebt, sondern auch gegen das Gute kämpft und
Widerstand leistet, auf welche Weise könnte sie in denen, die, noch nicht
wiedergeboren, im alten Menschen unter dem Satan Sklaven sind, nach dem Guten
streben? Denn Paulus redet dort nicht allein von den groben Neigungen, unter
Hinweis auf die wie durch eine allgemeingültige Fluchtgelegenheit die
Diatribe allen Sprüchen der Schrift zu entwischen pflegt, sondern er zählt
unter den Werken des Fleisches auf "Ketzerei, Abgötterei, Zwietracht,
Streitigkeiten, die unter allen Umständen herrschen in jenen höchsten
Kräften, nämlich der Vernunft und dem Willen. Wenn also da» Fleisch durch
diese Neigungen in den Heiligen gegen den heiligen Geist kämpft, wird es um
vieles mehr in den Gottlosen und im freien Willen gegen Gott kämpfen.
Deswegen nennt Paulus es auch Röm. 8 Feindschaft gegen Gott. Dieses Argument,
sage ich, möchte ich gern entkräftet und von ihm aus dem freien Willen
verteidigt sehen. Ich bekenne fürwahr in Bezug
auf mich: Wenn es irgendwie geschehen konnte, möchte ich nicht, dass mir ein
freier Wille gegeben werde, oder dass etwas in meiner Hand gelassen würde,
womit ich nach dem Heil streben könnte. Nicht allein deswegen, weil ich in so
vielen Widerwärtigkeiten und Gefahren, weiter bei so vielen widerstreitenden
Teufeln nicht Stand zu halten und es zu bewahren vermöchte, da ein Teufel mächtiger
ist als alle Menschen und (um ihretwillen) kein Mensch gerettet würde.
Sondern auch weil ich, auch wenn keine Gefahren, keine Widerwärtigkeiten,
keine Teufel existierten, dennoch Gezwungen wäre, fortwährend im Ungewissen
zu arbeiten und Lufthiebe zu machen. Denn mein Gewissen würde, wenn ich auch
ewig lebte und wirkte, niemals gewiss und sicher, wieviel es tun müsste,
damit es Gott genug tue. Denn welches Werk auch immer vollbracht wäre, immer
bliebe der beunruhigende Zweifel zurück, ob es Gott gefalle oder ob er irgend
etwas darüber hinaus fordere, wie es auch die Erfahrung aller Werkheiligen
beweist und wie ich es zu meinem großen Leidwesen so viele Jahre hindurch zur
Genüge gelernt habe. Aber jetzt, da Gott mein Heil
aus meinem Willen herausgenommen und in seinen Willen aufgenommen hat, und
nicht durch mein Werk oder Laufen, sondern durch seine Gnade und
Barmherzigkeit mich zu erhalten verheißen hat, bin ich sicher und gewiss,
dass er getreu ist und mir nicht lügen wird, auch mächtig und stark ist, dass
keine Teufel, keine Widrigkeiten ihn werden überwältigen oder mich ihm werden
entreißen können, "Niemand", spricht er, "wird sie aus meiner
Hand reißen; denn der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn
alles". So geschieht es, dass, wenn nicht alle, so doch etliche und
viele gerettet werden, während durch die Kraft des freien Willens überhaupt
keiner gerettet würde, sondern wir würden alle zusammen verloren gehen. So
sind wir auch gewiss und sicher, dass wir Gott gefallen, nicht durch das Verdienst
unseres Werkes, sondern durch die Huld seiner uns verheißenen Barmherzigkeit;
und dass er es uns nicht anrechnet, wenn wir weniger oder Böses tun, sondern
uns väterlich verzeiht und bessert. Das ist der Ruhm aller Heiligen in ihrem
Gott. Möglicherweise macht aber das irre, dass es schwierig ist, die Gnade
und Gerechtigkeit Gottes zu behaupten, der solche verdammt, die es nicht
verdient haben, das heißt solche Gottlose, die in Gottlosigkeit geboren, auf
keine Weise sich selbst helfen können, dass sie nicht gottlos seien, bleiben
und verdammt werden, und die gezwungen sind., aus der Notwendigkeit ihrer
Natur heraus zu sündigen und untergehen, wie Paulus sagt: "Wir waren
alle Kinder des Zorns, gleich wie auch die übrigen". Denn sie werden
derart von Gott selbst aus dem durch die Sünde des einen Adam verderbten
Samen geschaffen. Hier muss gottesfürchtig verehrt werden, der überaus gütig
denen ist, die er als ganz Unwürdige rechtfertigt und Selig macht. Und es
muss jedenfalls ganz seiner göttlichen Weisheit anheimgestellt werden, auf
dass er für gerecht gehalten wird, wo er uns ungerecht zu sein scheint. Denn
wenn seine Gerechtigkeit derart wäre, dass sie nach menschlichem
Fassungsvermögen als gerecht beurteilt werden überhaupt nicht göttlich und
würde sich in nichts von der menschlichen Gerechtigkeit unterscheiden. Aber
da Gott der Wahre, der Eine ist, dazu ganz unbegreiflich und unzugänglich für
die menschliche Vernunft, so ist es billig, sogar notwendig, dass auch seine
Gerechtigkeit unbegreiflich ist, wie es Paulus auch ausruft, wenn er sagt:
"O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis
Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine
Wege". Sie wären aber nicht
unbegreiflich, wenn wir in jeder Hinsicht begreifen konnten, warum sie
gerecht sind. Was ist der Mensch im Vergleich mit Gott? Wie gering ist das,
was unsere Macht kann im Vergleich mit seiner Macht? Was ist unsere Stärke im
Vergleich mit seinen Kräften? Was unser Wissen im Vergleich mit seiner
Weisheit? Was unser Wesen im Vergleich mit seinem Wesen? Summa, was ist all
das Unsrige im Vergleich mit all dem Seinigen? Wenn wir also eingestehen,
auch durch die Lehrmeisterin Natur, dass menschliche Macht, Kraft, Weisheit
Beschaffenheit und alles, was unser ist, völlig nichts ist, wenn es mit der
göttlichen Macht, Kraft, Weisheit, Erkenntnis und Beschaffenheit verglichen
wird, was ist das für eine Verkehrtheit von uns, dass wir die alleinige
Gerechtigkeit und das Gericht Gottes anfechten und unserem Urteil soviel
anmaßen möchten, dass wir das göttliche Urteil begreifen, beurteilen und
ermessen wollen. Warum sagen wir nicht ähnlich. auch hier: unser Urteil ist
nichts, wenn es mit dem göttlichen verglichen wird? Befrage die Vernunft
selbst, ob sie nicht bloßgestellt und gezwungen ist, sich_ als töricht und
vermessen zu bekennen, weil sie das Urteil Gottes nicht unbegreiflich sein
lassen will, da sie doch zugeben muss, dass alle anderen göttlichen Dinge
unbegreiflich sind. Aber freilich, in allem anderen gestehen wir Gott die
göttliche Majestät zu, allein bei seinem Gericht sind wir bereit, sie zu
leugnen und können bis jetzt nicht glauben, dass er gerecht ist, obwohl er
uns doch verheißen hat, dass wir, sobald er bewusst seine Herrlichkeit
offenbart haben wird, alle alsdann sehen und begreifen werden, dass er
gerecht gewesen sei und noch ist. Ich will ein Beispiel geben,
um diesen Glauben zu stärken und um das nichtsnutze Auge zu beschwichtigen,
das Gott der Ungerechtigkeit verdächtig hält. Siehe, Gott regiert diese körperliche
Welt in den äußeren Dingen so, dass Du, wenn Du auf das Urteil der
menschlichen Vernunft schaust und ihm folgst, gezwungen bist zu sagen,
entweder: es gibt keinen Gott oder: Gott ist ungerecht, wie jener sagt: Ich
werde oft aufgewiegelt anzunehmen, dass es keine Götter gibt. Denn siehe, wie
es den Bösen außerordentlich wohl ergeht, dagegen den Guten umgekehrt
besonders übel; das bezeugen die Sprichwörter und die Erfahrung, die Mutter
der Sprichwörter: "Je größer der Schalk, desto besser das Glück".
"Die Hütten der Gottlosen", sagt Hiob, "haben die Fülle".
Und Psalm 75 klagt, dass die Sünder in der Welt Reichtum im Überfluss haben.
Ich bitte Dich, ist es nicht nach dem Urteil aller ganz ungerecht, dass die
Bösen beglückt und die Guten heimgesucht werden? Doch so bringt es der
Weltlauf. Hier sind auch die bedeutendsten Geister darauf verfallen, dass sie
Gottes Dasein leugneten und sich einbildeten, dass das Glück alles blindlings
herumtreibe, wie z. B. die Epikureer und Plinius, Aristoteles weiterhin
meint, dass jenes sein "erstes Seiende" (primum ens), auf dass er
es von diesem Elend befreie, selbst von (diesen) Dingen nichts sehe, sondern
nur sich selbst; denn er hält es für außerordentlich schwer zu ertragen, dass
es so viele Übel und Ungerechtigkeiten sehen soll. Die Propheten sogar, die
glaubten, dass Gott existiere, sind durch die Ungerechtigkeit Gottes noch
mehr in Versuchung geführt worden, wie Jeremias, Hiob, David, Asaph und
andere. Was, meinst Du, haben Demosthenes und Cicero gedacht, als sie alles,
was sie vermochten, ausgerichtet hatten und eine solche Belohnung durch einen
elenden Tod empfingen? Und dennoch wird diese außerordentlich glaublich
scheinende und mit solchen Gründen, denen keine Vernunft oder kein Licht der
Natur widerstehen kann, vorgetragene Ungerechtigkeit Gottes überaus leicht
durch das Licht des Evangeliums und die Kenntnis der Gnade auf gehoben, durch
die wir belehrt werden, dass es den Gottlosen zwar äußerlich wohl gehe, dass
sie aber an der Seele zugrunde gehen. Und bliese kurze Lösung dieser
unlösbaren Frage besteht in einem einzigen Wörtchen, nämlich: es gibt ein
Leben nach diesem Leben, in dem alles, was hier nicht bestraft und belohnt
ist, dort wird bestraft und belohnt werden, da dies Leben nichts ist als ein
Vorläufer oder vielmehr Anfang des künftigen Lebens. Wenn also das Licht des
Evangeliums, welches allein im Wort und Glauben Geltung hat, so viel bewirkt,
dass diese durch alle Jahrhunderte behandelte und niemals gelöste Frage so
leicht gelöst und beseitigt wird, was meinst Du, wird geschehen, wenn das
Licht des Wortes und des Glaubens aufhören und die Sache selbst und die
göttliche Majestät durch sich selbst offenbart werden wird? Oder meinst Du
nicht, dass dann das Licht der Herrlichkeit eine Frage auf das Leichteste
lösen kann, die im Lichte des Wortes oder der Gnade unlösbar ist, da das
Licht der Gnade eine Frage so leicht gelöst hat, die im Licht der Natur
unlösbar war? Nimm mir dreierlei Licht an,
das Licht der Natur, das Licht der Gnade und das Licht der Herrlichkeit, wie
es eine verbreitete und gute Unterscheidung tut. Im Licht der Natur ist es
unlösbar, dass das gerecht ist, dass der Gute heimgesucht wird und dass es
dem Bösen wohl geht. Doch dies löst das Licht der Gnade, Im Licht der Gnade
ist es unlösbar, wie Gott den verdammen kann, der aus seinen eigenen Kräften
nichts anderes tun kann, als sündigen und schuldig werden. Hier sagen sowohl
das Licht der Natur, wie das Licht der Gnade, dass die Schuld nicht des armen
Menschen, sondern des ungerechten Gottes sei. Denn sie können nicht anders
über Gott urteilen, der den gottlosen Menschen umsonst ohne Verdienste krönt,
und einen anderen nicht krönt, sondern verdammt, der vielleicht weniger oder
wenigstens nicht mehr gottlos ist. Aber das Licht der Herrlichkeit redet
anders und wird alsdann zeigen, dass Gott, dessen Gericht bisher eine
unbegreifliche Gerechtigkeit innewohnt, die gerechteste und offenkundigste
Gerechtigkeit zugehört. Bis dahin sollen wir das glauben, ermahnt und
bestärkt durch das Beispiel des Lichtes der Gnade, welches ein ähnliches
Wunder beim natürlichen Licht vollbringt. Hier will ich ein Ende dieses
Buches machen, bereit, wenn es nötig ist, noch in mehr Büchern diese Sache zu
behandeln, obwohl ich glaube, dass hier dem Frommen und dem, der der Wahrheit
ohne Halsstarrigkeit sich unterordnen will, mehr als genug getan ist. Denn
wenn wir glauben, es sei wahr, dass Gott alles vorherweiss und vorherordnet,
dann kann er in seinem Vorherwissen und in seiner Vorherbestimmung weder
getäuscht noch gehindert werden, dann kann auch nichts geschehen, wenn er es
nicht selbst will. Das ist die Vernunft selbst gezwungen zuzugeben, die
zugleich selbst bezeugt, dass es einen freien Willen weder im Menschen noch
im Engel, noch in sonst einer Kreatur geben kann. Ebenso, wenn wir glauben,
dass der Satan der Fürst der Welt ist, der dem Reiche Christi mit allen
Kräften fortwährend nachstellt und es bekämpft, damit er die gefangenen
Menschen nicht freizulassen braucht, wenn er nicht durch die göttliche Kraft
des Geistes zum Weichen geh r ach t ist, so ist wiederum offenbar, dass es
keinen freien Willen geben kann. Ebenso, wenn wir glauben, dass die Erbsünde
uns also verderbt hat, dass sie auch diejenigen, die vom Geiste getrieben
werden, durch den Widerstand gegen das Gute außerordentlich böse zu schaffen
macht, so ist es klar, dass an dem Menschen, der den heiligen Geist nicht
hat, nichts übrig ist, was sich zum Guten wenden könne, sondern nur zum
Bösen. Gleichermaßen, wenn die Juden, die mit äußerster Kraftanstrengung der
Gerechtigkeit nachtrachteten, vielmehr in Ungerechtigkeit gefallen sind, und
die Heiden, die nach der Gottlosigkeit trachteten, ohne Verdienst und
unverhofft zur Gerechtigkeit gelangten, so ist es abermals durch das Ergebnis
selbst wie die Erfahrung offenbar, dass der Mensch ohne die Gnade nichts als
Böses wollen kann. Aber in Summa, wenn wir glauben, dass Christus die
Menschen durch sein Blut erlöst hat, sind wir gezwungen" zuzugeben, dass
der ganze Mensch verloren gewesen ist; wir werden sonst Christus entweder
überflüssig oder zum Erlöser des wertlosesten Teiles machen. Das wäre aber
gotteslästerlich und verrucht. Dich nun, lieber Erasmus,
bitte ich um Christi willen, dass Du endlich Dein Versprechen erfüllst. Du
hast aber versprochen, dem nachzugeben, der Dich eines Besseren belehre. Lass
die Rücksicht auf die Person beiseite! Ich gebe zu. Du bist bedeutend und mit
vielen und zwar den edelsten Gaben von Gott ausgezeichnet, mit Geist,
Gelehrsamkeit, einer geradezu wunderbaren Beredsamkeit, um von den anderen zu
schweigen. Ich aber habe und bin nichts, außer dass ich mich beinahe rühmen
darf, ein Christ zu sein. Weiter lobe und preise ich Dich auch deshalb
außerordentlich, dass Du als einziger von allen anderen die Sache selbst
angegangen bist, das heißt den eigentlichen Kern der Sache, und mir nicht
zugesetzt hast mit jenen nicht eigentlich zur Sache gehörenden Fragen über
das Papsttum, das Fegefeuer, den Ablass und ähnlichen Dingen, die mehr
Lappalien als wirkliche Probleme sind, mit denen bisher fast alle auf mich
vergeblich Jagd gemacht haben. Du einzig und allein hast den Angelpunkt der
Sache gesehen und die Hauptsache selbst angegriffen. Dafür danke ich Dir von
Herzen. Denn mit dieser Sache gebe ich mich lieber ab, soweit Zeit und Muße
es gestatten. Wenn das diejenigen getan hätten, die mich bisher angegriffen
haben, wenn das bis zur Stunde die täten, die sich bloß mit neuen Geistern
und neuen Offenbarungen brüsten, so hätten wir weniger Aufruhr und Spaltungen
und mehr Frieden und Eintracht. Aber Gott hat so durch den Satan unsere
Undankbarkeit gestraft. Indessen, wenn Du diese Streitfrage nicht anders
behandeln kannst, als Du sie in dieser Diatribe behandelt hast, so wünschte
ich von ganzer Seele, dass Du, zufrieden mit der Dir gewordenen Gabe, die Wissenschaften
und die Sprache, wie Du es bisher mit großem Erfolg und Ruhm getan hast,
pflegtest, befördertest und weiter führtest. Mit diesem Bemühen hast Du auch
mir viel zu Dienst getan, so dass ich bekenne, Dir viel zu verdanken. In
dieser Hinsicht verehre ich Dich und bewundere Dich aufrichtigen Herzens.
Dass Du aber dieser unserer Streitfrage gewachsen gewesen wärest, hat Gott
noch nicht gewollt und Dir noch nicht gegeben, was ich Dich bitte, nicht als
aus Anmaßung gesagt anzusehen. Ich bete vielmehr, dass der Herr Dich recht
bald mir in dieser Sache so überlegen mache, wie Du mir in allem anderen
überlegen bist. Ist es doch nichts Neues, dass Gott Moses durch Jethro
unterrichtet und Paulus durch Ananias belehrt. Wenn Du freilich sagst, die
Meinung gehe weit am. Ziel vorbei, dass Du von Christus nichts wissen
solltest, so erachte ich, dass Du selbst zugeben musst, wie es damit steht.
Denn es werden deswegen nicht alle irre gehen, wenn Du oder ich irren, Gott
ist es, der "wundersam in seinen Heiligen" verkündigt wird , so
dass wir die für heilig halten können, die sehr weit von der Heiligkeit
entfernt sind. Und es ist wohl möglich, dass Du, da Du ein Mensch bist, die
Schrift oder die Aussprüche der Väter, unter deren Führung Du glaubst, das
Ziel zu erreichen, entweder nicht recht verstehst oder nicht sorgfältig genug
beachtest. Darauf deutet zur Genüge jenes "Wort hin, dass Du schreibst,
nicht um feste Behauptungen aufzustellen, sondern um Ansichten ausgetauscht
zu haben. So schreibt niemand, der die Sache von Grund aus durchschaut und
recht versteht. Ich aber habe in diesem Buch nicht Ansichten ausgetauscht,
sondern ich habe feste Behauptungen aufgestellt und stelle feste Behauptungen
auf. Ich will auch keinem, das Urteil überlassen, sondern rate allen, dass
sie Gehorsam leisten. Der Herr aber, um dessen Sache es geht, erleuchte Dich
und mache Dich zu einem Gefäß zu Ehre und Herrlichkeit. Amen. |
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