Ein Lebensbild
aus der schwedischen Kirche
Von
Assar Lindeblad
Übersetzt von
A. Michelsen
Nach der Ausgabe von 1843
neu herausgegeben von Roland
Sckerl
Mit einer Übersetzung der
Predigt: „Jesus allein“
1. Schartaus Erziehung und akademische Bildung
2. Schartaus geistige Verirrungen und Zurechtweisung
3. Schartaus Anstellung und Rechenschaft über seine erste Amtsverwaltung
4. Zustand der christlichen Gemeinde zum Beginn der Wirksamkeit Schartaus
7. Schartau als geistlicher Freund
8. Schartau in seinen übrigen öffentlichen Amtsverrichtungen
11. Früchte der Wirksamkeit Schartaus
Etwas Wunderbareres und Einflussreicheres als das Christentum
findet sich in Wahrheit auf Erden nicht. Auf der einen Seite steht es da als Gottes
schönste geistige Kunstschöpfung, „in welche auch die Engel gelüstet zu
schauen“; auf der anderen Seite offenbart es sich selbst als einen mächtigen
Künstler, welcher vom Himmel herniedergestiegen ist, um neue Menschen zu
bilden. Und wo es mit seinem bildenden Schwerte, dem Worte Gottes,
hervortritt, da wächst nicht bloßer Mundglaube, kein leeres Scheinwesen auf,
sondern da gestaltet sich ein Leben, voll von Geist und Kraft. Denn das
Christentum ist, dass ich so sage, plastisch, und muss überall, wo es sich
geltend macht, bestimmte Gestalt annehmen, gemäß dem bestimmten Gedanken
Gottes, der in ihm ausgesprochen ist. Das Christentum ist bei dem Menschen nur
vorhanden, soweit inneres und äußeres Leben, Glaube und Tat bei ihm so innig
verschmolzen sind, dass die Tat nichts anderes ist als der anschaulich
gewordene Glaube, gleichwie das schönste Kunstwerk die verleiblichte Idee ist.
Wo daher hohe Heldenseelen, die Gott erkoren und bevollmächtigt hatte, seine
Sache zu führen, unter dem Volke als Lehrer auftraten, da konnte freilich die
neue Welt, welche sie um sich hervorriefen, in gewissem Maße das Gepräge ihrer
Individualitäten an sich tragen, immer aber hat sich dieselbe nach einem
einzigen, ewigen, unveränderlichen Typus gestaltet. Es ist also das Christentum
allein im Stande, „Gleichheit“ unter den Menschen hervorzubringen, die Völker
zu verbrüdern und alle „zu Königen und Priestern vor Gott“ zu machen. So lange
aber dieser glückselige Zustand, welchen die heiligen Urkunden verheißen, auf
Erden nicht eingetreten ist, muss jederzeit der wesentliche Gegensatz zwischen
falschen und wahren Christen in der Hauptsache unter jedem Himmelstrich
derselbe sein. So unterscheiden sich ja die rechten Leser [Leser (Beter) heißen die
Mitglieder der engeren christlichen Gemeinschaft in verschiedenen Provinzen
Schwedens. Anm. d. Übers.] des Nordlandes ebenso von den Nicht-Lesern in ihrer Umgebung, wie die
apostolischen Gemeinden in Griechenland und Rom sich von ihren heidnischen
Landsleuten unterschieden. Demzufolge hat man alle rechtschaffene Fromme für sektiererisch
erklärt; und obgleich „diese Sekte“ sich glücklicherweise seit Abels Tagen
vorfand, als sie an den Pforten des Paradieses wohnte, wird sie immer noch, wo
sie auftauchen mag, als etwas ganz Neues und Wunderbares betrachtet. Künstler
wie Phidias und Raphael mögen ihre Ideen verwirklichen, das fordert man: Warum
denn dürfen ein Spener und Schartau die ihren nicht zur Anschauung bringen?
Warum darf nicht ein Christ in Bild und Gestalt, in lebendiger Handlung seine höchste,
schönste Idee vorstellen – seinen Glauben?
Ein mächtiger Genius war Schartau, ein kühner und
geistreicher Plastiker im Gebiete des Glaubens. Das Christentum hatte ihm der
Seele Innerstes so ganz und gar aufgetan, so durchdrungen und erfüllt, dass er
beständig getragen wurde von den himmlischen Schwingen des Evangeliums,
ohne durch irgendetwas sich „zu Boden werfen“ zu lassen. Rings um ihn erblühte
eine Pflanzung des Herrn, welche die Mächte der Finsternis nicht ausreißen
werden, denn sie schlägt ihre Wurzeln in den „Felsen Christus“. In meinen
ersten Jugendjahren lernte ich, den hohen Mann bewundern, und oft hat seitdem
sein Bild sich vor mir in seiner unwandelbaren Glorie erneuert. Einzelne Züge
dieses Bildes sind es, welche ich habe wiedergeben wollen – nicht, um für
Schartau eine abgöttische Ehre zu gewinnen; alle Ehre gehört dem Herrn, dessen
Beauftragter er war; - sondern um mich, jüngere Amtsbrüder und redlich gesinnte
Christen durch einen Blick auf den rastlos wirksamen, mit Weisheit eifernden
Mitarbeiter Gottes zu ermuntern. Anschauenswert erscheint mir das Leben eines
jeden wahren Christen, mit seinen Kämpfen, Entsagungen, Leiden und Siegen; aber
würdiger noch der unverwandten Liebe und Betrachtung ist das Bild eines
Seelsorgers, der treu und unverdrossen in seinem Amte einhergegangen und ein
ausgezeichnetes Werkzeug Gottes gewesen ist. Auch er besitzt das Recht zu
sagen: „Werdet meine Nachfolger, gleichwie ich Christi.“ Da Schartau immer in
der Geschichte unserer Kirche eine wichtige Stelle einnehmen wird, ist zu
wünschen, dass jemand mit größerer Einsicht und Kraft uns eine ausführliche
Zeichnung des Lebens und der Wirksamkeit dieses außerordentlichen Lehrers gebe.
Bisher sind nur zerstreute, kürzere Notizen über ihn in der schwedischen Tagesliteratur
vorgekommen; nur in einer dänischen Theologischen Monatsschrift werden
einige nähere, wirklich historische Nachrichten über diesen unsern letzten
schwedischen Kirchenvater mitgeteilt. Von diesen, freilich nun kärglichen aber
zuverlässigen Nachrichten habe ich das eine und andere hier aufgenommen. Und
dass ich, wo die Gelegenheit sich bot, Schartau selbst reden ließ, wird mir
gewiss nicht zum Vorwurf gereichen.
Möge Gottes Wort, für dessen fleißigen und würdigen Gebrauch
Schartau sein ganzes christliches Leben hindurch gekämpft hat, reichlich unter
uns wohnen! Und Zion vermisse niemals seine heiligen, „starken Helden, welche
des Herrn Befehl ausrichten, dass man höre die Stimme seines Wortes.“
Lindeblad
Heinrich Schartau ist in Malmö in Schonen den 27.
September 1757 geboren. Seine Vorfahren, unter welchen einer als mit Luther
wohlbekannt erwähnt wird, schrieben sich Scartow, veränderten aber
später ihren Namen, um sich von einer übelberüchtigten Person dieses Namens zu
unterscheiden. Der Vater unseres Schartau war Ratsherr und hinterließ bei
seinem frühen Tode seine Kinder – welche wenige Wochen vorher mutterlos
geworden waren – in der größten Armut. Der Bruder der Mutter, Heinrich
Falkmann, Bürgermeister derselben Stadt, zu welchem der Ratsherr Schartau,
trotz der nahen Verwandtschaft, in nicht ganz freundlichem Verhältnisse stand,
hauptsächlich wegen ungleicher politischer Denkart, nahm jetzt, nicht eins oder
zwei der verlassenen Kinder in sein Haus, sondern alle sieben (von welchen die
zwei jüngsten, Zwillinge, auch die Amme mit sich führten), und, von seiner
Gattin Luise, geborene Borgstrom, liebevoll unterstützt, erzog er sie alle mit
wirklich väterlicher Fürsorge. Falkmann war wegen seiner ausgezeichneten
Redlichkeit, Wohltätigkeit, amtlichen Tüchtigkeit und patriotischen Gesinnung
allgemein geachtet; und da noch hinzukam, dass er ein wahrer Christ war, lag es
ihm im höchsten Grade am Herzen, dass seine Schwesterkinder nicht allein wohl,
sondern christlich erzogen würden. Henric, der älteste unter den
Geschwistern, lernte nicht nur früh die lieben alten Kindergebete, samt Luthers
Katechismus, sondern empfing auch des Onkels mündlichen Unterricht und
lebendiges Wort vom Glauben an den Heiland, was alles sich unvertilgbar dem
kindlichen Herzen einprägte. Auch erinnerte sich Schartau stets, mit tiefer
Dankbarkeit gegen den Herrn, der in jenem Hause genossenen Wohltaten. Und
selbst dieser Erinnerungen und Bilder aus der Kindheit bediente sich späterhin
Gottes Geist, um seine Seele der himmlischen Wahrheit zu öffnen und ihn auf den
rechten Weg zurück zu führen, als auch er, gleich so vielen andern jungen
Menschen, in das Weltleben hineingezogen und von dem gütigen Worte Gottes
abgezogen war. In der gelehrten Stadtschule bereitete er sich auf die
Universität vor, welche er als Student der Theologie 1771 in Lund bezog.
Obgleich Schartau in seinem späteren Lebensalter geäußert hat, „es komme die
Zeit, wo die christliche Gemeinde mit etwas anderem als mit Gelehrsamkeit zu
beraten sei“, war er doch niemals der Mann, welcher der wissenschaftlichen
Bildung nicht den gebührenden Wert beilegte. Auch war er selbst von seinen
jüngeren Jahren her in verschiedenen Gebieten des menschlichen Wissens wohl
bewandert. Mit Fleiß befleißigte er sich der klassischen Sprachstudien, und
diese kamen ihm bei seiner gründlichen Schriftforschung des Alten und Neuen
Testamentes, welche ihn während seines ganzen Predigerlebens beschäftigte, wohl
zu statten. Mehrere der neueren Sprachen waren ihm bekannt, und einige von
ihnen sprach er mit Leichtigkeit. Von nicht wenigen Zweigen der Wissenschaft
wusste er Früchte zu pflücken, welche, bei dem Manne zur Reife gediehen, Samen
gaben zu Licht und Segen in seinem priesterlichen Berufe. Mit Ehren wurde er
1778 Magister der Philosophie. Bisher hatte der edle Onkel ihn unterhalten; und
da dieser besorgte, dass Schartaus Beförderung als Geistlicher sich lange
verzögern könnte, erbot er sich, ihn noch länger auf der Universität zu halten,
bis er sich den medizinischen Doktorgrad erworben hätte. Allein, Schartau
lehnte dieses edelmütige Anerbieten ab, auch deshalb, weil der Onkel, zwar
wohlhabend, aber nicht reich, nunmehr für die Erziehung von fünf eigenen Söhnen
zu sorgen hatte. So war Schartau während seiner Universitätsjahre im
allgemeinen der Sorge enthoben, welche nicht selten ein fressender Wurm an dem
Herzen des studierenden jungen Mannes wird. Doch hinderte dies nicht, dass die
Not nicht einige Male auch in seine Studierstube eindrang. So war er – nach
seiner eignen Erzählung – eines Tages so gänzlich von Geld und Lebensmitteln
entblößt, dass er sich keinen andern Rat wusste, als auszugehen und einen Teil
seiner Bücher zu veräußern. Doch hatte er eben keinen Überfluss an Büchern, und
es tat weh, sich von einem einzigen aus dieser täglichen, unentbehrlichen
Gesellschaft zu trennen. Da gedachte er des Gottes seiner Kindheit, zog den
Schlüssel aus der Tür und fiel auf die Knie unter heißem Gebete zu dem
himmlischen Vater. Kaum hatte er aufgehört zu beten, als es an der Tür klopfte:
Er öffnete, und von einem Wohltäter erhielt er alles, was er für längere Zeit
bedurfte. Obgleich, wie vielleicht kluge Leute bemerken werden, die Hilfe
diesmal ohne Zweifel seinem Gebete vorausgekommen war, so lehrte ihn doch diese
Erfahrung schon damals, nie zu verzagen, wie schwierig auch seine irdische
Stellung werden möge.
Wenn es schon überall lehrreich und erbaulich ist, die Umstände kennen zu lernen, unter welchen Gottes wunderbare Gnade einen Menschen sucht und findet, so ist doch ein vorzügliches Gewicht der Bekehrungsgeschichte eines Mannes beizulegen, welchen Gott nach seinem Wohlgefallen ausersehen hatte, ein Werkzeug zum Heile vieler Seelen zu werden. Wenige können von jedem einzelnen Umstande, der zu diesem wichtigsten Wendepunkte des Menschenlebens mitwirkte, Rechenschaft geben. Jedoch ist der Übergang aus der Herrschaft der Finsternis in das Reich des geliebten Sohnes Gottes etwas so Merkliches, in äußerer und innerer Hinsicht so Ergreifendes, dass jeder, der dazu gelangt ist, auch Zeugnis davon ablegen kann.
Schartau hielt sich im Jahre 1777 als Informator auf dem Lande
auf. Hier nahm er an den gewöhnlichen Zerstreuungen der Welt teil und wurde in
Bekanntschaften verwickelt, welche die Ausübung des rechtschaffenen
Christentums hinderten. Dabei erfuhr er dennoch kräftige Anregungen des Geistes
Gottes, und als er im folgenden Jahre in eine andere Gegend zog, wieder als
Lehrer in einer Familie, brachte der Herr sein Werk in ordentlicheren Gang.
Schartau selbst hat folgendes Bekenntnis abgelegt: „Ich hielt mich meist in
meiner Kammer auf, und es war Scrivers Seelenschatz, welcher mir
wohlgefiel, dass ich bei seiner Weitläufigkeit nicht ermüdete, auch keinen
Anstoß nahm an manchem Unpassenden, was aus der Vorstellungsweise der Zeit
hineingeflossen ist; denn Gottes übernatürliche Kraft war es, die leise in mein
Herz eindrang und sich seiner Neigungen bemächtigte, welche bis dahin in einer ehrbaren
Eitelkeit sich umgetrieben hatten. Die weise Hand, welche mich gefasst
hatte, führte mich ebenso unvermerkt in Gottes eigenes Wort, die heilige
Schrift, hinein. Ehe ich mir dessen bewusst ward, war ich schon von ihr so
eingenommen, dass ich alles vergaß, um die Bibel zu lesen. In diese Zeit fiel
ein allgemeiner Abendmahlsbesuch in der Gemeinde, wohin ich damals gekommen
war. Auf der früheren Stelle hatte ich solche Gelegenheit wegen einer Lustreise
versäumt. Jetzt stellte sich mir mit anderem auch dies vor die Augen, wie ich
aus jener göttlichen Stiftung eine Gewohnheit gemacht hatte, wie ich so kalt
und dumpf mit andern dorthin gegangen war, wie ich sie zu einer Decke für
geschminkte Sünden und das feinere Weltleben missbraucht hatte. Jetzt ging ich,
von einem dunklen Bedürfnis, einem geheimen Zuge und einem mir selbst
unbekannten Verlangen getrieben. Unsere Prediger waren schlecht, einer im Predigen,
der andere im Leben. Aber der Oberhirte hielt seine Verheißung, welche er für
solchen Fall seinen teuer erlösten Schafen (auch den irrenden) gegeben hat,
Hes. 34,16: Ich will ihrer pflegen, wie sie bedürfen. [Nach der schwedischen
Bibelübersetzung angeführt, wie auch sonst. Anm. d. Übers.] Unter einer schlechten und
nachlässigen Beichthandlung gab der Herr mir die Gnade, dass ich unser
Sündenbekenntnis las, mir eine lebendige Einsicht und Überzeugung besonders von
den Worten wurde: „ich weiß darum, dass ich der Hölle und ewigen Verdammnis
wert bin“, und es leuchtete mir ein, dass, ginge ich so aus der Welt, wie ich
jetzt war, ich verloren und so gewiss in der Verdammnis sein würde, wie ich
jetzt auf der Kirchenbank säße. Aber ich erhielt auch Gnade, die verkündigte
Vergebung anzunehmen als Jesu Wort, Jesu Verheißung, Jesu Versicherung,
gegründet auf seine eigene blutige Versöhnung und in seinem Abendmahl mit dem
Versöhnungsopfer selbst bekräftigt. Seitdem bin ich, obgleich unter manchen
Verirrungen und oft strauchelnd, durch Gottes Macht bewahrt worden zur
Seligkeit.“ [Schartaus
Briefe über geistliche Gegenstände, I., S. 16 f.]
Zu einer der schwersten Verirrungen, in welche Schartau einige
Jahre später geriet, rechnete er die Herrnhutische. Wie er in dieselbe
hineingeführt ward und welche innere Leiden er längere Zeit darum durchstand,
darüber hat er an mehreren Stellen seiner Briefe berichtet. Ohne eines Lehrers,
eines lebenden Menschen Hilfe war er auf den rechten Weg geleitet worden, und
allein blieb er auch nach seiner Bekehrung, „obgleich – sagte er – es mir zu
großem Vorteil gereicht hätte, wenn ich schon am Anfang meiner Wanderung
irgendeinen Freund gehabt hätte, auf dessen Hand ich mich stützen durfte. Und
da ich einen solchen traf, hatte derselbe, obgleich eine Scheu vor der
Herrnhutischen Lehre und Weise im allgemeinen, nicht Scharfsinn genug, um ihrer
auch inne zu werden, wo sie in Schriften, wie den „Stimmen aus Zion“,
versteckter enthalten war. Daher geschah es, dass, nachdem ich 1780 ins Amt
gekommen war, ich aus Neugier über „Forstmanns und seiner Frau Leben“
und dergleichen Bücher geriet. Wie einer, der im Leiblichen insgeheim
schwächliche Speisen und Leckereien genießt, ward ich in geistlicher Hinsicht
matt und kraftlos. Der Friede der Seele wankte und mir fehlte das Vermögen zu
siegen, obschon ich mich noch nicht aufgegeben oder die Waffen von mir geworfen
hatte. In dieser Stellung kam ich 1785 hierher (nach Lund) und fand bei einigen
ein Herrnhutisches Christentum vor, welches ich guthieß und unterstützte, da
ich kein besseres Urteil hatte, als dass alles so wäre, wie es zu sein schien.
In meiner Lehrweise war keine wesentliche Veränderung vorgegangen; und daher
ohne Zweifel geschah es, dass der Geist des treuen Gottes den kranken Lehrer
gebrauchte, um einigen Seelen zu helfen. Da ich im Sommer 1787 bei einem
älteren Zuhörer der erstgenannten Art solch einen schädlichen Lehrsatz
gewahrte, welcher von der rechten Lehre des Gotteswortes weiter abging, als ich
selbst davon abgekommen war, so griff ich denselben an, und der Teufel griff
mich wieder an. Der Kampf, unter welchem nur die Hoffnung der Erlösung übrig
blieb, nahm den Ausgang, dass ich zu dem Gebrauch der Heiligen Schrift
zurückkehrte, welche eine Zeitlang beiseite gelegt war, um die Reden und
geistlichen Nachrichten zu lesen, die unter den Anhängern und Freunden der
Brüdergemeine handschriftlich zirkulierten. Schon als ich mich soweit fesseln
ließ, hatte ich in eigentliche Gemeinschaft mit ihnen nicht eingehen wollen;
jetzt aber löste ich auch das oben erwähnte Band, und einige Zeit nachher
selbst allen geistlichen Umgang und Verkehr dieser Art.“ An anderer Stelle
äußert er: „Nachdem ich durch die (einseitige und gefühlige) Lehre der
Brüdergemeine geschwächt war, geriet ich in solche Befangenheit und gedrücktes
Wesen, dass ich nicht so viel Ruhe hatte, wie erforderlich war, meine Predigten
abzufassen, und mir nicht zu helfen wusste als so, dass ich immer wieder von
meinem Schreibtische aufstand und in der Stube auf und nieder schritt, die
Hände im Gebet zu Gott erhebend. Auf solche Art musste ich Tag für Tag unter
der grauenhaftesten Übermacht der Versuchungen mich fortquälen, so dass ich in
diesem Leben keine Ruhe mehr zu finden hoffte. Aber ich fand sie doch, da ich
dem Gebrauch der falschen Lehre und dem Umgang mit ihren Freunden entsagte und
zum Worte Gottes griff.“
Wenn Schartau später, aus dem Nebel der Verirrung durch seinen
göttlichen Erlöser herausgebracht, einen Blick in die Predigten warf, welche er
in seiner herrnhutischen Zeit verfasst hatte, so erschrak er „über die
geistliche Abmagerung, die durch jene Verirrung über die ganze Gestalt seines
Lebens gekommen war, und er begriff, dass er auf die Länge nicht in der Gnade
geblieben wäre, wenn in seiner Lehre und seinem Herzen die Stellung dieselbe
blieb.“ Ein Glaubensfunke lag gleichwohl bei diesen Verdüsterungen unter der
Asche, und der Herr gebrauchte auch damals den redlichen Mann, um einige seiner
Erlösten zur Buße und zum Glauben zu führen. Zu unaussprechlichem Troste fand
Schartau bei angestellten Nachforschungen, dass keine der Seelen, welche unter
seiner Amtsverwaltung rings um ihn erwacht waren, durch seinen eigenen Irrtum
angesteckt oder gestört waren. Aber von dieser Zeit trat er, mit starkem
Liebeseifer, gegen den Herrnhutismus auf, wo er ihn mehr oder weniger
durchblicken sah bei den um ihre Seligkeit bekümmerten Menschen, welche seine
geistliche Führung begehrten. Dies rührte aber nicht von einem starren,
übertriebenen Eifer für Rechtgläubigkeit her, sondern von der eigenen Erfahrung
des gefährlichen Einflusses, den jene Lehre und Weise ausüben kann. Er hatte
die Ansicht, dass die Schriften und Andachtsbücher der Herrnhuter so
wesentliche Mängel in der Lehre, welche den Grund der Seligkeit ausmache, so
unrichtige Meinungen in dem, was zur Ordnung der Seligkeit gehöre, und solche
gegen das geoffenbarte Wort streitende Gemeindeordnungen enthielten und
anpriesen, dass aus ihnen geistliches Leben, geistliche Lebensnahrung nicht zu
holen sei. Daher war es ihm auch in hohem Grade darum zu tun, vor der Anwendung
menschlicher Schriften, besonders herrnhutischer, zu warnen. Mehr als einmal
erhob er laut seine Stimme gegen die „Lieder Zions, welche mit aller
ihrer Weinerlichkeit, aller ihrer unbiblischen und mitunter widrigen Redeweise,
etwas Anlockendes haben, besonders für den jüngst erweckten Menschen“. In dem
Exemplar dieser Lieder, welches Schartau besaß, hat er auf dem Titelblatt
folgendes vermerkt: „Dieses Buch ist eine Sammlung von Wahrheit und Irrtum, so
dass es nur von dem gebraucht werden darf, der geübte Sinne hat, um die Lieder
gesunden Inhaltes, die sich hier finden, von den vielen zu unterscheiden, die
mit herrnhutischem Gifte angefüllt sind, wie filtriert dasselbe auch sein mag.“
Schartau fing an, einen Teil dieser Gesänge zu ändern und zu verbessern, strich
andere durch, schrieb neben mehrere ein Warnungswort; aber bald stand er von
diesem Vorhaben ab, denn er fand, er sei zu etwas anderem berufen als zum
Criticus.
Es war unserem Schartau schon in dem Alter von 21 Jahren
zugedacht, in das heilige Predigtamt einzutreten; aber er sah es als Gottes
Fügung an, dass dies nicht geschah: Denn deutlich erkannte er später, dass er
in jenem Alter zum Amte nicht tüchtig gewesen. Freilich war er schon, wie seine
eigenen Worte lauten, „aus dem Traume der Sicherheit erweckt und zurecht
geholfen“, aber er wollte, dass, wer es auf sich nähme, Gottes Botschafter an
die Menschen zu sein, sowohl geistliches Urteil als geistliche Festigkeit
besäße. Erst als er volle 23 Jahre alt war, im Jahr 1780, empfing Schartau in
Kalmar die Weihe und ward zuerst Hausprädikant bei einem Reichsrate und später
Adjunkt eines Pastors auf dem Lande. Ganz unerwartet und ohne sein Zutun
empfing er 1785 die Berufung als zweiter Diakonus in Lund, ein Amt, welches er
zunächst während des Gnadenjahres der Witwe verwaltete, darauf den 1. März 1786
antrat, und zwar mit einer Predigt über Apg. 24,16: „Derhalben befleißige
ich mich, zu haben ein unverletztes Gewissen allezeit, beides gegen Gott und
Menschen“; Worte, zu denen er in einer von seinen (mit Papier
durchschossenen) Bibeln angemerkt hat: „Der Herr gebe, dass ich nach dem
Inhalte dieses Textes tun möge bis ans Ende.“ Um dieselbe Zeit geschah es, dass
ihn Gottes Gnade von jenen beengenden Fesseln frei und froh machte. Und da er
nun von einem Oberhirten einen Platz für seine Wirksamkeit angewiesen sah,
heftete er sich an denselben mit dem ganzen Ernst seiner Seele, so dass er eine
größere Patronatspfarre, die um diese Zeit ihm angeboten wurde, nicht annehmen
zu dürfen glaubte. Wie er seinen großen Auftrag an dem genannten Platze
ausführte, wie der Herr dort seinen redlichen Eifer segnete, das leuchtet am
schönsten aus dem Bekenntnisse hervor, welches er vor der Lunder Gemeinde
ablegte, am dritten Sonntag des Advent im Frühgottesdienste 1793, als er, zum
ersten Diakonus in Lund befördert [Mit diesem Dienste ist die geistliche Pflege zweier
Landgemeinden, St. Raby und Bjellerup, verbunden. Anm. d. Übers.], zum Abschied aus dem
bisherigen Wirkungskreis predigte. Dieses Bekenntnis, in so mancher Hinsicht
lehrreich, lautet folgendermaßen:
„Und hiermit schließe ich die Verwaltung des Amtes, das ich
unter euch geführt habe, so weit es darin bestanden hat, in diesen
Morgenstunden vor euch des Herrn Wort zu predigen. Denn es ist euch bekannt,
dass ich durch die Berufung dieser Gemeinde bestellt worden bin, zu einer
andern Stunde der Sonn- und Feiertage des Herrn Wort zu führen. Ich brauche
somit nicht Abschied von euch zu nehmen, da ich vielmehr nach Verlauf weniger
Stunden wieder vor euch auftreten werde. Doch darf ich, zu unsrer gegenseitigen
Erbauung und Ermunterung, noch einiges in Rücksicht darauf sagen, dass es nach
menschlichem Aussehen das letzte Mal ist, da ich diese Frühpredigt halte.
Zuerst muss ich denn Gott preisen in dieser Gemeinde für alle die Wohltaten,
die er während der acht Jahre mir erwiesen hat, dass ich unter euch ein Diener
des Wortes war. Er hat mich väterlich versorgt und behütet. Demnächst will ich
vor dieser Gemeinde eine kurze Rechenschaft über mein bisher geführtes Amt
ablegen und darauf einiges erwähnen, was unter der Führung meines Amtes mir
unter euch widerfahren ist. Niemand fürchte, mit einer prahlenden Aufzählung
dessen, was ich getan, beschwert werden zu sollen. Hat es einem geschienen, als
trachtete ich meines Amtes recht zu warten, siehe, so war es eben nur, dass ich
danach trachtete, und dies war wieder nichts, als was ich zu tun
schuldig war, und auch das habe ich nicht alles getan. Erleuchtete Zuhörer
dürften Mängel bemerkt haben, und noch mehr vielleicht habe ich selbst bemerkt.
Doch kann ich soviel versichern, dass ich in allem gehandelt habe, wie ich
einsah, dass es dem Worte Gottes, der gültigen Ordnung und meinem Amtseide
gemäß wäre, ohne auf meinen persönlichen Vorteil oder Nachteil dabei zu sehen
oder nach Lob oder Tadel zu fragen. Es dürfte jemand zu erinnern gehabt haben,
dass ich das Gesetz predige. Ja, ich habe das Gesetz gepredigt, und ich werde
das Gesetz predigen, so lange Gott mir Kraft verleiht, meine Zunge zu rühren
und so lange Gott mich im Predigtamte stehen lässt. Denn mein Oberhirte hat
selbst das Gesetz gepredigt; so habe ich auch das Gesetz gepredigt, nicht, dass
jemand solle gerecht werden durch die Werke des Gesetzes, auch nicht so, dass
ich das zerknirschte Herz unter dem Drohen des Gesetzes suchte festzuhalten,
sondern ich habe das Gesetz gepredigt als einen Zuchtmeister auf Christus. Dies
war meines Herzens rechte Lust, wenn es mir gelungen war, zu Boden zu stürzen
Satans Reich. Ich habe gewünscht, also drohen zu können, dass es hineinschallte
in das Gewissen des sichern Sünders. Ich habe gesucht, ihm seine Krücken und
Stützen wegzureißen, dass er sich bloßgestellt und hilflos sähe. Denn erst so
kann er den Ruf des Evangeliums annehmen, so erst der Trost des heiligen
Geistes Raum gewinnen in seinem Herzen. Wird das Evangelium anders gepredigt,
so dass man es lehrt ohne das Gesetz, so wird damit Besseres nicht erreicht,
als wenn einer Steine mit Farbe anstreicht. Alles, was damit gewonnen wird, ist
ein heuchlerisches Aussehen, worunter ein ungeändertes, hochmütiges und
verkehrtes Herz sich verbirgt; denn ehe die Buße, die Umkehr zu Gott geschieht,
kommt es niemals zum glauben an unsern Herrn Jesus Christus. Vielleicht ist es
einem so vorgekommen, als wäre ich zu streng. Wenn ich das gewesen bin, so kann
ich in Wahrheit sagen, dass ich darnach gestrebt habe, mit Paulus sagen zu
können: „Sind wir allzu strenge, so sind wir es Gott.“ (2 Kor. 5,13).
Ich fürchte aber vielmehr, mein Herr im Himmel urteile im Gegenteil, dass ich
in den meisten Fällen zu gelinde gewesen sei; und da will ich denn wünschen,
dass ich auch sagen könnte: Sind wir allzu gelinde, so sind wir es dem Herrn.
Der Herr hat mir doch die Gnade geschenkt, immer darauf zu sehen, dass ich
nicht darum ein Prediger sei, um Einkünfte zu erheben zu meinem Unterhalte oder
meine Eigenliebe zu vergnügen, sondern um öffentlich und sonderlich recht zu
reden, auszuteilen das Wort Gottes und Treue zu beweisen im Amte des
Haushalters. Dass ich gekommen bin, gerade unter euch dieses zu führen, ist mir
besonders wichtig gewesen, denn eine Hochschule besteht in dieser Stadt. Auch
habe ich wahrgenommen, dass mehrere der Studierenden die Hindernisse
durchbrachen, welche die Bequemlichkeit hinsichtlich der Stunde dieses
Gottesdienstes in den Weg legen konnte, und kamen, das Wort zu hören. Ach, wenn
bei einem von denen, die von dieser akademischen Pflanzschule hinausziehen, um
Prediger, Richter, Ärzte zu werden, wenn bei einem ein Samenkorn von der Saat
des Wortes, das hier ausgesät wurde, Wurzel fasste und Frucht trüge! Welch ein
Segen! Welche Freude für mich, dies sehen zu sollen an dem Tage, der alles
offenbaren wird! Außerdem aber sah ich es als einen wichtigen Umstand in meinem
bisher geführten Amte an, dass ich gerade zu dieser Sonntagsstunde das Wort des
Herrn predigte: denn dann hält man das Mahl des Herrn. Die, welche zum Tisch
des Herrn gehen wollen, sind dann zugegen. So wusste ich denn, dass ich den
meisten Gliedern dieser Gemeinde doch einmal Gottes Wort gepredigt, und dass
ich binnen Jahr und Tag fast diese ganze Gemeinde zu Zuhörern gehabt hatte,
obgleich die Zahl meiner Zuhörer mitunter ganz klein war, besonders in dieser
dunklen und kalten Jahreszeit. Aber mitunter, und meistens, hatte ich die
Freude, vor einer zahlreichen Gemeinde zu reden. Wenn ich bei diesen
Gottesdiensten die Morgenröte aufgehen sah, welche einen neuen Tag der
Gnadenzeit ankündigte, so habe ich an Petri Worte gedacht: Wir haben ein
festes prophetisches Wort, und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet, als auf
ein Licht, das da scheinet an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der
Morgenstern aufgehe in eurem Herzen. (2 Petr. 1,19), und habe innig
gewünscht, dass sie an euren Herzen erfüllt würden, dass es da tagen möchte, wo
vorher die Nacht der Sünde war. Diesen Wunsch hat auch der Herr an einigen
erfüllt, und ich hatte die unbeschreibliche Erquickung, hier und da zu
bemerken, dass Gottes Wort nicht unfruchtbar gewesen war. Der Satan hat
gesucht, mir diese Aufmunterung dadurch zu entziehen, dass er manchem eine
eigentümliche Furcht einjagte, so dass ich mitunter die Not solcher Seelen, die
zu meinen Beichtkindern gehörten, erst dann erfahren habe, wenn sie aus der
Gemeinde scheiden sollten. Diese wunderliche Furcht habe ich besonders bei den
Kindern verspürt, welche ich vor ihrem ersten Abendmahle zu unterrichten hatte.
Aber ich darf von einem Teil derselben, wenigstens in Ansehung ihrer
christlichen Erkenntnis, der gewonnenen Überzeugung von der himmlischen
Wahrheit, der Liebe zu ihrem Lehrer, von einigen auch in Ansehung des
Gnadenwerkes, das bei ihnen angefangen hat, ja mit Zuversicht darf ich von
diesen euren Kindern sagen, dass sie eure Richter sein werden. Bei diesen sah
ich nur, wie das Wort mit der ersten Erkenntnis angepflanzt wurde; ich sah es
auch heranwachsen, da ich bemerkte, dass einige unaufgefordert, aus eigenem
Triebe, das „Verhör“ [Katechismuskunde, entweder in der Kirche oder abwechselnd in verschiedenen
Häusern der Gemeinde (Hausverhören) für jung und alt. Anm. d. Übers.] fleißig besuchten. Bei
einigen hat das Wort tiefere Wurzel gefasst und Frucht getragen. Ach, meine
lieben Kinder, welche Freude wird das, wenn ich solches bei mehreren sehen
soll! Aber ich darf auch dieses zum Preise des Herrn sagen, dass ich die Freude
gehabt habe zu sehen, wie unser guter Hirte auch einige solche zurecht geführt
hat, welche zu Jahren gekommen und daher auf dem Weg des Verderbens weiter
abgekommen waren. Aber wenn ich auch nicht einige solche kennengelernt hätte,
so könnte ich doch aus einem andern Umstande den Schluss ziehen, dass meine
Arbeit in dieser Gemeinde nicht vergebens gewesen sei. Sie ward von einigen
getadelt und geschmäht; nicht von den meisten, o nein: Recht viele haben das
gebilligt, was andre getadelt haben; ja, etliche haben mit Wohlgefallen den
erwachenden Ernst angesehen, welcher diesem und jenem übel gefiel. Ich sage
dies nicht, um einiger Bitterkeit Luft zu machen. Ich wünsche vielmehr, dass
Gott diese armen Menschen erleuchten möge: So werden sie einsehen, dass es
nicht der Prediger ist, gegen welchen sie geredet haben, sondern der Herr.
Indessen ist es doch entsetzlich, wenn Gottes Wort einigen ein Geruch des Todes
wird, obgleich ihr Zorn zum Beweise dient, dass Gottes Wort nicht fruchtlos
sei. Daher hoffe ich, dass Gottes Wort noch mehr ausgerichtet habe, als zu
meiner Kenntnis gekommen ist. Es dürfte geschehen, dass einer die Furcht und
Blödigkeit ablegt und mich mit dem Bekenntnis dessen erfreut, was der Herr mit
ihm getan hat.
Jetzt sei der Herr gepriesen für diese acht Jahre, in welchen
ich hier sein Wort geführt habe, auch, dass er meine Gesundheit und Kraft also
erhalten hat, dass ich unter dieser ganzen Zeit niemals bedeutend erkrankte. Er
hat mich in meiner Schwachheit gestärkt und mich oft an seiner Gnade meine Lust
sehen lassen. Er hat mich von mehreren Gefahren gerettet, darein meine und
anderer Seelen unversehens geraten konnten. Gott geschehe Lob für alles das
Gotteswort, welches in diesen Stunden gepredigt worden ist. Ja, sein sei die
Ehre; denn ist es manchmal mit Licht und Klarheit geschehen, so ist es von Gott
gekommen, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten, und hat
einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns die Erleuchtung
entstünde von der Erkenntnis der Klarheit Gottes in dem Angesichte Jesu
Christi. (2 Kor. 4,6) Ist es mit einigem Nachdrucke geschehen, so ist diese
große Kraft von Gott gewesen und nicht von uns selbst. Dem Erzhirten Jesus
Christus geschehe ewig Lob, welcher seine gewonnenen Siege ausgeführt hat an
mehreren Seelen, die er aus den Finsternissen des Wahnes und der Sünde
herausgeführt und zu seiner wahren Erkenntnis gebracht hat. Einige singen ihm
Preis vor seinem Thron, und die, welche noch hier sind, werden ihm auch einmal
ewig danken. Amen.“ [Schartau: Prediktniengar u.s.w. (Predigten, größtenteils in
ausführlichen Entwürfen). Zweiter Band S. 574 ff.]
Die neologische Zeit mit ihren riesengroßen – Irrlichtern
hatte, wie bekannt, nur zu verderblichen Einfluss auf Denkart und Sitten des
Volkes. In Frankreich hatte sich der Abfall gleichsam konzentriert, verbreitete
sich aber von hier aus wie eine Pest nach verschiedenen andren Ländern. Der
Wahnsinn der Gottlosigkeit ging unheimlich weit, soweit, wie die neue
Aufklärung sich erstreckte, und diese erstreckte sich über Höhen und Täler.
Freilich trug die gepriesene Aufklärung eine Narrenkappe, dergleichen
schwerlich auf Erden gesehen war; es lag soviel Dummheit in verschiedenen der
Lehren und Vorhaben dieser Zeit, welche die zum Gott erhobene Vernunft
zusammengesponnen hatte, dass man herzlich darüber lachen könnte, wenn nicht
die unerhörte Leichtfertigkeit und Verworfenheit, welche ihr zur Seite wandelt,
das Blut im Herzen erstarren machte. So fand sich zum Beispiel auch in Lund ein
Jakobinerklub zusammen, dessen erleuchtete Mitglieder, zum größten Teil
einfältige Bürgersleute, ein treues Echo der Brüder in Paris waren. Als der
Anführer der Sansculotten öffentlich hatte ausrufen lassen, dass es keinen
Gott gebe, und diese Worte in Frankreich, zum Troste des freiheitsliebenden
Volkes, widerhallten und zuletzt hierher gedrungen waren, da traten die Herrn
Brüder des Klubs in der Stadt Lund zusammen und verkündigten feierlich: Es
gibt keinen Gott. Und so leerten sie ihre Gläser, jubelten und gingen jeder
nach Hause, um zu schlafen. Und als kurz darauf Robespierre die Tribüne betrat
und dekretierte: Es gibt einen Gott, und diese außerordentliche
Nachricht nach Lund gelangt war, da trat der Klub daselbst wieder zusammen, und
der hocherleuchtete Bruder Wortführer redete und sprach: „Es gibt einen Gott“,
worauf man die Gläser füllte und ausrief: Es lebe der Ewige! und so ging
man wieder nach Hause, um zu schlafen. Was bedeutete Gott für solche Menschen?
Auch nachdem die ärgste Tollheit vorüber war, sah es in der Hauptsache nicht
besser aus. Die Prediger wurden von dem unglückseligen Zeitgeiste ergriffen,
und von den Kanzeln ertönte im allgemeinen eine leere Moral oder allerhand
zierliche Phrasen, aus Lehnberg [Magnus Lehnberg, geb. 1758, gest. als Bischof 1808,
nachdem er sich besonders als Redner ein ganz außerordentliches Ansehen und
viele Nachahmer erworben hatte. ‚L. huldigte vielleicht zuerst (unter den
Predigern) dem Modegeschmacke, der falschen rhetorischen Kunst, und das
Christentum ist bei ihm nichts als eine verwässerte Weisheits- und
Glückseligkeitslehre. Von der Kraft des Worts aber bei allen hohlklingenden
Phrasen kaum eine Spur.’ So urteilt ein Kenner der schwedischen Literatur. Anm.
d. Übers.] und
aus „den Morgenträumen“ gestohlen, nachdem man die Nacht vor dem Sonntag am
Spieltische durchwacht hatte. Wo noch etwas Christentum durchblickte, war es nicht
selten von der herrnhutischen Art oder wenigstens damit versetzt, und somit von
zu geringer Kraft, um mit Erfolg dem um sich greifenden Verderben
entgegenzutreten. Doch der Herr hatte gewiss auch in dieser bösen Zeit die
Seinen, und die Mächte der Finsternis – sie selbst nannten sich die des Lichts
– konnten nicht das Reich Gottes auf Erden zerstören. Schartau hat selbst diese
Zeit und die Hoffnungen, die seine Seele erhoben, geschildert. Wir ziehen daher
die Hand von dem Gemälde zurück und horchen lieber auf dessen Wort, welcher
nicht nur beständig zu der Propheten und Apostel Füßen saß, sondern auch mit
klarem Blicke acht gab auf die Zeit und ihre Zeichen. In dem Kirchenbuche der
Landgemeinde von Bjellerup finden sich folgende Worte von Schartaus eigner
Hand:
„Im Jahr nach der Geburt unsers Heilandes Jesus Christus 1797,
als dieses Kirchenbuch von Henric Schartau, damaligem Pastor („Kirchhirten“) an
dieser und der Groß-Raby-Gemeinde, angefangen wurde, war der Zustand der
christlichen Gemeinde im allgemeinen folgender:
Die Macht des römischen Papstes (Offenb. 13,1) war in
beständigem Abnehmen. Die Zeit nahte, oder es war schon so weit gekommen, dass
man von ihr sagen konnte, was Offenb. 17,8 steht: „Es (das Tier aus dem
Abgrund) ist gewesen und ist nicht; doch ist es.“ Die
römisch-katholische Gemeinde schien einer Reformation entgegen zu gehen, welche
jedoch schien eine solche werden zu wollen, die vielmehr aus zunehmender
Aufklärung der natürlichen Vernunft herkommt als aus einer größeren Verbreitung
der Klarheit göttlichen Wortes. Wovon man ausgegangen, war dies, dass man
Zauberei für Lüge erkannte; so kam man weiter dazu, die Besitzungen zu leugnen,
endlich die ganze Lehre von bösen Geistern für altmodisch zu erklären. So fuhr
man denn fort, die geoffenbarte Religion nach der natürlichen einzurichten,
auch unter unsern Glaubensverwandten. Denn zur Seite ging auch in unserer
schwedischen Gemeinde die Ansicht: Der Glaube sei gleichgültig, wenn nur das
Leben rechtschaffen sei. So kam die dieser Zeit hochgepriesene Toleranz auf,
nicht, um sich nur über die Irrenden zu erstrecken und ihnen die Hand zu
reichen zu jeder Hilfe und Aufmerksamkeit, sondern auch über die Irrtümer
selbst, dass man diese ohne Furcht und Abscheu ansehen lernte. Überhaupt war man
der Ansicht, die Wahrheiten würden nicht durch irrige Sätze verdunkelt, wenn
man sie mit solchen vermischte, sondern dass vielmehr die einen von den andern
Vorteil und Berichtigung erhielten. Denn man gebrauchte alle geistliche Bücher
durcheinander ohne Prüfung, während man sich auf Pauli Wort berief: Prüfet
alles, und behaltet das Gute. Der lästernde Unglaube erhob immer dreister
seine Stimme, während die übrigen Laster sich in den Schleier der Vernunft
einhüllten; schmückte sich damit, dass er von Zeit zu Zeit solche bürgerliche
Tugenden übte, welche sich mit den herrschenden Gelüsten vereinigen ließen; ja,
die Gottlosigkeit, mit blendender Schminke, die man der hochgetriebenen
schöngeistigen Bildung und Kunst abborgte, bezauberte wie eine Buhlerin das
Herz der Unbesonnenen und schlich sich wie ein Räuber bei denen ein, welche das
Laster hassten. Während man von gebildeten Leuten kein Wort hörte, das ihr
Glaubensbekenntnis verraten konnte, so hörte man dagegen unter dem geringen
Haufen, wohin Zweifel, Vorwitz und Dünkel noch nicht gedrungen waren, bald den
dummen und groben Missbrauch göttlicher Wahrheiten und Worte zu widerlicher
Heuchelei, bald die ebenso dumme und grobe Verspottung dessen, was das Ansehen
ernstlicher Frömmigkeit hatte. Wenn einige beim Publikum in den Ruf des
Christentums kamen, so waren es jene Leute, welche mit irrtümlicher Lehre einen
Schein der Gottseligkeit vereinigten. Da dieselben ohne Eifer gegen die
Gottlosigkeit waren, machten sie dem Reiche des Satans keine Beschwer. Und da dieses
Reich sich somit nicht von jenem Häuflein angegriffen sah, brauchte es sich
nicht gegen sie zu verschwören. Da ein früherer fleischlicher Eifer längst
eingeschlummert war und also der Irrtum jeder Anklage entging, so durfte auch
die rechte Lehre des Wortes Gottes unverketzert bleiben und konnte ungehindert
gepredigt werden. Während Freidenkerei, Vernunftreligion und Irrtümer sich
ausbreiteten, zeigte sich auch von mehreren Seiten, dass der Herr sich ein
Reich errichten wolle, welches am Ende alle andern ihm unterwerfen, sich ein
Volk bereiten, welches in die Hand des Antichrists zur Sichtung übergeben
werde, und sich ein Haus bauen, an welchem das Gericht anfangen soll: Denn eine
ungewöhnliche Begierde nach der heiligen Schrift äußerte sich im Volke und
wahrhaftige Bekümmernis um ihr Heil bei vielen Seelen. Solche erweckte Menschen
fanden sich nicht allein an den Orten, wo Prediger, begabt mit Licht und Eifer
des Geistes Gottes, das Wort führten; sondern, wo auf keinem der Leuchter sich
solches Licht vorfand, ergoss sich doch die Klarheit des Lichtes sogar in die
angrenzenden dunklen Orte. Besonders war es das weibliche Geschlecht, bei
welchem solches Nachdenken über die Ewigkeit sich verspüren ließ, vielleicht
deshalb, weil diese als Mütter das Geschlecht auferziehen werden, welches die
Läuterung bestehen soll in der großen antichristlichen Verfolgung.“
In einer solchen Zeit war es, da Schartau seine Arbeit auf
einem Felde anfing, wo erst auf wenigen Punkten ein Zeichen erschien, dass es
weiß würde zur Ernte, wo aber bald unter ernstlich fortgesetzter Arbeit in dem
Herrn eine und die andere Seele sich für Gottes Reich gewinnen ließ.
Ausgerüstet mit großen natürlichen Gaben, welche die Gnade geheiligt hatte,
gekleidet in des „Geistes Licht und Eifer“, schritt der ritterliche Streiter
Christi hinaus in seinen ausgebreiteteren Wirkungskreis, und im Gefühle der ihm
einwohnenden Gotteskraft gab er seinem Heilande das Gelübde, für seine Sache
und seine Ehre zu streiten, so lange Gott ihn werde aufrecht stehen lassen in
seiner geistlichen Waffenrüstung. Und erläge er aus menschlicher Ohnmacht, so
werde er, kühn oder demütig zugleich, auf seinen Knien mit Gott ringen im
Gebet, bis der Herr ihm neue Kraft schenkte, dass er könne auffahren mit
Flügeln wie Adler. Er wolle sich auch nicht zur Ruhe legen, ehe sein Herr ihn
Ruhe finden lasse im Grabe. Dass er sein Gelübde redlich gehalten hat, darüber
preisen wir den treuen Heiland, welcher seinen Diener stärkte und stützte und
sein Wirken in der christlichen Gemeinde mit einem Sieg nach dem andern
segnete. – Wir wollen jetzt Schartau in den hauptsächlichen Richtungen seiner
Amtswirksamkeit näher betrachten.
Unleugbar muss es als besondere Fügung Gottes angesehen werden,
dass Schartau an einen Platz gestellt wurde, wo sein Seelsorgerberuf sowohl
Stadt – und dazu eine Universitätsstadt – als Land umfasste, wo ihm besonders
oblag, die himmlischen Wahrheiten sowohl für sogenannte gebildete als
ungebildete Leute vorzutragen. Nicht, als predigte er ein Gotteswort in der
Domkirche zu Lund für Gelehrte und ein andres Gotteswort in den engen
Landkirchen für die armen Bauern. Gewiss nicht! Schartau war auf jeder Kanzel
derselbe. Überall hatte er Sünder, nur Sünder, vor sich, und diese wies er alle
zu einem und denselben Heilande hin, für diese alle bezeichnete er einen und
denselben Weg zu ewiger Rettung und Seligkeit. Aber das war gerade das Große
und Herrliche, worin sich Gottes Finger offenbarte, dass es Hohen und Niederen,
Gelehrten und Ungelehrten beschert wurde, von ihm ein reines und klares Wort
Gottes zu hören, so dass sie alle, mehr als die meisten andren, ohne
Entschuldigung sind, wenn sie verloren gehen. Ohne nach Menschengunst zu jagen,
ohne der Menschen Verfolgung zu fürchten, führte er Gottes Botschaft mit
derselben Zunge vor dem Weisen nach der Welt und vor dem Einfältigen, vor dem
Studenten und dem Taglöhner. Bis in seine letzten Tage predigte er immer
abwechselnd in Lund und in seinen Landgemeinden jeden Sonntag, so fern nicht
Krankheit oder andre öffentliche Amtspflichten ihn hinderten. Am Anfange waren
zwar die Nachmittagspredigten in Lund, wie in den meisten andren Städten,
ziemlich schwach besucht; doch in kurzem fingen immer mehr an, der Stimme des
Predigers zu horchen und Liebe zu Gottes Wort zu fassen; und wenigstens in den
letzten zwanzig Jahren der Wirksamkeit unsres Schartau erschien bei jedem
dieser Gottesdienste, den er leitete, eine höchst zahlreiche Versammlung.
Männer, die in der Woche auf akademischen Kathedern saßen, und junge Männer aus
den Lehrsälen der Universität fanden sich hier mit demütigem, Wahrheit
suchenden Sinne ein; und von entlegenen Orten gingen beständig Personen nach
Lund, welchen ihrer Seele Heil wichtig geworden war, um christliche Anweisung
von den Lippen des erfahrenen Seelsorgers zu hören. Predigte er auf dem Lande,
so gingen Scharen aus Lund dort hinaus, und darunter Personen des andren
Geschlechts, welche durch Jugend, Schönheit und Geburt die ersten in dem
Ballsaale sein konnten, aber lieber die Lust der Welt verleugneten und der Welt
Hohn auf sich luden, um aus ungeheuchelter Sorge für ihrer Seele Frieden Worte
des ewigen Lebens hören zu können. Doch nicht nur am Sonntag erquickte er an
heiliger Stätte die Gemeinde mit dem Licht und der Erfahrung, welche ihm
geworden war: Seit dem Jahre 1821, als Wochenpredigten in der Domkirche zu Lund
eingerichtet wurden, predigte er gewöhnlich jeden Donnerstag, und in der
Fastenzeit trat er wöchentlich in der Stadt oder auf dem Lande ein-, oft zweimal
auf und verkündigte den gekreuzigten Christus. Ein und das andere Mal, als er
an der Predigt verhindert war, diktierte er seinem adjungierten [als Hilfprediger
angestellten, Anm. d. Hrsg.] Sohne eine Predigt, welche dann vor der Gemeinde gehalten wurde. Und
diese emsige Arbeit im Dienst seines Herrn – nicht gerechnet die öffentlichen
Beichthandlungen, Leichenpredigten und anderes, welche später vorkommen werden
– setzte er ununterbrochen bis in die letzten Tage seines schönen apostolischen
Lebens fort.
Schartau bereitete sich immer mit Sorgfalt auf seine Predigten
vor. Die Zeit erlaubte ihm selten, vollständig eine Predigt auszuarbeiten; aber
er setzte seinen Entwurf deutlich und wohlgeordnet auf und schrieb dort die
Hauptlehren nieder, welche in reicher Fülle, wie Ströme aus einer Quelle, aus
seinem Hauptgedanken flossen. Diese Themen waren oft sehr überraschend, immer
aber in hohem Grade christlich-praktischer Natur, und enthielten manchmal in
zwei Reihen mehr Wahrheit und geistliche Erfahrung als ganze Predigten anderer.
So zum Beispiel am 13. Sonntag nach Trinitatis über Luk. 10,23-37: Was man
einem unbußfertigen Menschen predige, Gesetz oder Evangelium, er wendet es zu
seiner Seele Verderben an; und was man einem bußfertigen Menschen auch predige,
Gesetz oder Evangelium: es wird durch Gottes Geist zu seiner Seligkeit
angewandt. Oder am 4. Sonntag des Advents über Joh. 1,19-28: Das, wofür
ein Christ von den weltlich Gesinnten angesehen wird, das ist er nicht; aber
wofür ein Christ von den weltlich Gesinnten nicht angesehen wird, das ist er
eben. Oder am 12. Sonntag nach Trinitatis über 2. Kor. 3,4-11: Des Herrn
anhaltende Güte, womit er sein Wort verherrlicht, trotz der Sünder anhaltender
Bosheit, welche es verachten. Doch war es gerade die Entwicklung der
niedergeschriebenen Hauptpunkte, woraus Schartaus tiefe geistliche Erfahrung
hervorleuchtete. Er blickte dabei gleichsam in jeden Winkel, jede Falte des
Herzens bei Menschen von höchst ungleichem Seelenzustande. Die Träume und
Einbildung der Sicheren stellte er ebenso dem Auge bloß wie er Bekümmernisse
erwachter Seelen und die Seligkeit gläubiger, wie er zugleich ihre Furcht und
Anfechtung vor seinen Zuhörern ans Licht zog. Der Fortgang der Gnadenwirkungen
des Geistes Gottes war ihm, durch genaues Aufmerken auf sich selbst und viele
andere Seelen, bekannter geworden als den meisten, sonst in Gottes Wege
Eingeweihten. Im Lichte des Glaubens durchschaute er die Geheimnisse des
geistlichen Lebens, und mit weiser Vorsicht teilte er aus seinem reichen Vorrate
nach eines jeden innerem Bedürfnis aus. Seine Rede hatte daher eine
eigentümliche, wunderbare Kraft, so dass auch solche, die ihn zum ersten Male
hörten, ohne irgend geistliches Urteil zu besitzen, nicht selten vor sich
selbst gestehen mussten: Es sei Wahrheit, was da gepredigt werde. Dabei war
sein Organ, sein Vortrag keineswegs gefällig, und in den letzten Jahren seine
Stimme zuweilen schwer verständlich für den, der nicht gewohnt war, ihn zu
hören. Hier aber redete die lebhafte Gebärde, welche auch bei dem höchsten
Schwunge des Gefühls nicht zu theatralischer Spiegelfechterei ausartete; hier
predigte das klare Auge, welches oft von dem Lichte des Gedankens und einem
höheren himmlischen strahlte; und wenn dann zuweilen der Greis die Augen
schloss, während tiefsinnige Lehren von seinen Lippen strömten, so stand er da
wie ein Seher der Vorzeit, welcher umso tiefer mit den Augen des Geistes in
Gottes verborgnen Rat hineindrang. Man sah, wie er in seinem Gegenstande lebte,
wie er für die Sache glühte, welche er führte. Niemals war es Schartaus
Absicht, bei den Zuhörern durch weinerliche Worte ein leichterregtes Gefühl zu
erschüttern. Den Tränen, welche so manche Prediger durch eine missverstandene
„Kanzelberedsamkeit“ recht geflissentlich hervorlocken, zum armseligen Triumphe
ihrer Eigenliebe, traute er so wenig, dass er einmal geäußert hat: „Der Arge
erwecke zuweilen unter der Predigt des Wortes ein lautes ungestümes Weinen, was
wohl umso weniger von Gottes Geiste sein könne, weil es bei den Schluchzenden selbst
und anderen das Zuhören unmöglich mache.“ So, wie er bei jedem, der ein Christ
heißen wollte, alles erkünstelte Wesen verabscheute, so liebte er auch bei dem
Prediger nicht die gemachte, gefühlvolle Art, das forcierte Pathos. Seine
Überzeugung war, dass „der heilige Geist mit demjenigen nicht wirke, was nicht
schon unter seinem Einflusse abgefasst sei. Wie man denn auch beim Vortrage
weine und tobe, wie lebhafte Worte man anwende, um gleichsam Zucker auf seine
Rede zu streuen: Dies alles erwecke bei den Verständigen nur Ekel.“ Auch war es
eine bekannte Sache, dass die, welche Deklamation, Schönrednerei,
Sentimentalität über alles stellten, bei unserm Schartau nicht aushielten; er
war ihnen zu trocken, zu spitzfindig, zu herbe; und falls sie aus Neugier zu
ihm in die Kirche gekommen waren, pflegten sie bald „hinter sich zu gehen“,
besonders da seine Worte ihnen „eine dunkle Rede“ waren. Die aber „geistliche
Dinge geistlich zu richten“ verstanden und liebten die gesunde, kräftige
Sprache der Wahrheit, denen daran lag, von des inneren Lebens Geburt und
fröhlichem Wachstum gewisse Erkenntnis zu erlangen, nicht nach dem toten
Systeme der Lehrbücher, sondern nach lebendiger Erfahrung in der Schule des
Geistes Gottes – für solche war in Schartaus Rede Licht, Reichtum,
Seelennahrung, und sie ermüdeten nicht, die ganze Stunde ihm zuzuhören. Der
Bauernknecht sowohl als der Professor zeichneten sich etwas auf und verließen
das Gotteshaus, „froh der heiligen Gaben Gottes“. Was wissen die meisten beim
Schlusse einer Predigt mehr, als dass „es eine schöne Predigt war“? Und was
sollen sie andres wissen, wenn nur eine Aufeinanderfolge von Worten, schimmernd
und weich wie Pfauenfedern, ihrem Ohre schmeichelt, wenn ihnen ein Gebräu von
„Unschuld der konfirmierten Jugend“, „der Tochter rein wie Edens Morgenluft“,
von dem „zärtlichen Abschiede der Vergänglichkeit auf der Leichenbahre“ und was
dergleichen Wasserpoesie mehr ist, aufgetragen wird. Mit Recht meint mancher,
dass sich solches im Schauspielhause besser ausnehme. Ins Gefühl setzte
Schartau nicht viel Vertrauen; den Verstand wollte er erreichen. Nicht,
als wollte er das Gefühl aus dem Christentume bannen; so lange aber der
Verstand wüste und leer ist, ist Finsternis über der Tiefe im Gefühl.
Allerdings schwebt Gottes Geist im Anfange über dem Gefühle, setzt es in
Bewegung, breitet über dasselbe seine erwärmenden Fittiche; doch daraus wird
kein „Tag“ in des Menschen Innern. Durch das Wort, Gottes Wort, muss „Licht
werden“ in dem Verstande, und damit erst beginnen die Schöpfungstage, die Tage
der neuen geistlichen Schöpfung, welche, gleich den Mosaischen, lange Zeit dem
Kopfe der Weltweisen zu schaffen machten, da sie sich nicht wollen nach dem
gewöhnlichen Gang der Sonne berechnen lassen. Darum predigte Schartau Gottes
Wort, unverfälscht und klar, und überließ es dem Geiste Gottes, damit
auszurichten, was ihm wohlgefalle. Er selbst war auf der Kanzel zu Zeiten sehr
bewegt, bis zu Tränen; es war die Bewegung des christlichen Mitgefühls, der
echten Begeisterung; und dann hatten seine Augen einen ungewöhnlichen Glanz,
welcher sich über das ganze Gesicht zu verbreiten schien; das waren freilich
Stunden, wo wenigen seiner Zuhörer das Auge trocken blieb. In der „Anwendung“,
den Schlussworten der Predigt, wo er unter den Zuhörern hinsichtlich ihres
Seelenzustandes strenge zu scheiden pflegte, ließ er gewöhnlich sein ganzes
Herz hervortreten, aus welchem scharfe Worte wie Blitze den Unbußfertigen
trafen, aber auch die mildesten, trostreichsten, wie Friedensstimmen vom
Himmel, dem Reuerfüllten und Gläubigen entgegen kamen. Er legte es zwar nicht
darauf an, die Phantasie mit unbiblischen Schreckbildern zu erfüllen; aber er
trug auch nicht Bedenken, mit dem eigentlichen Namen zu nennen, was Gottes Wort
zur Warnung und Erweckung genannt hat. Mit Bibelsprüchen Staat zu machen, war
seine Art nicht; wenn er aber solche anführte, standen sie gewiss an der
rechten Stelle. Aus seinem reichen Geiste schöpfte er häufig sinnreiche Bilder
und Gleichnisse zur Beleuchtung seines Gegenstandes; sie waren einfach, ohne
ins Platte zu fallen, klar ohne bunten Schimmer. Während er in keiner Weise der
Swedenborgischen Auslegungsweise günstig war, welche Gottes Wort seines
eigentlichen Sinnes entkleidet, es willkürlicher behandelt als ein
orientalischer Despot seine nackten Sklaven, sah er doch in dem Buchstaben der
Bibel eine unermessliche Tiefe des Inhalts, und was in der Sache selbst
allegorisch ist, war es auch für ihn. Allem Sektenwesen, aller Anhänglichkeit
an die Person entschieden abgeneigt, erhob er nachdrücklich seine warnende
Stimme, wenn er bemerkte, wie bei dem einen oder anderen seiner Gemeinde eine
einseitige Vorliebe für ihn den Besuch jedes anderen Predigers verwarf.
„Versäumet die Kirche nicht, - hat er irgendwo geäußert – wenn dort auch ein Geistlicher
von geringeren Gaben predigt; denn es geht in der Kirche, außer der Predigt,
noch anderes vor, was deiner Seele zum Segen werden kann; und gesetzt auch,
dass du zu Hause etwas Besseres lesen könntest als du in der Kirche zu hören
bekommst, so magst du es lesen und doch in die Kirche gehen.“
Am Altare, als Beichtvater, stand er seinen Zuhörern
näher, stürmte aber auch dann nicht auf das Gefühl ein, obgleich es fast noch
fühlbarer wurde, wie seine Worte aus der Tiefe der Seele strömten. Auch an dieser
Stelle war er in ausgezeichnetem Grade lehrhaft und strebte danach, bei den
Abendmahlsgästen Liebe zur Wahrheit in ihrer heiligen Schönheit zu wecken. Was
die evangelische Anwendung des Bindeschlüssels in der Beichte betrifft, müssen
Schartaus eigne Worte angeführt werden:
„Als zum Gesetze Gottes gehörend, muss der Bindeschlüssel,
gemäß der Gnadenordnung, in der Beichthandlung besonders und zuerst angewandt
werden, nämlich gegen alle Unbekehrten in der Gemeinde, als feierlicher Protest
und göttliche Drohung im Zusammenhange mit deutlicher Beschreibung davon, wer
ein Unbekehrter sei. Der Löseschlüssel wiederum muss wie herkömmlich alsbald
nach dem Sündenbekenntnis gebraucht werden, nämlich ganz so, wie derselbe in
der Absolutionsformel unsres Kirchen-Handbuchs ausgedrückt ist. Eine Vorsicht,
welche ihn beobachte, seitdem ich einmal von einem übelgesinnten Menschen über
die von mir gebrauchten Worte angegriffen und lügenhafter Weise beschuldigt
worden bin. Jenen Gebrauch des Bindeschlüssels lernte ich von einem jüngeren
Geistlichen, welcher mich auf diesen Ausweg verwies, da ich ihm meine
Bekümmernis äußerte, am Krankenbette meines Herren Gaben denen hingeben zu
sollen, welche sie unter ihre Füße treten, und meines Herrn Abendmahl an den
Ersten, Besten auszuteilen, dessen Wandel zu Hause beweise, was sein Gang zum
Tisch des Herrn bedeutet habe.“ –
Öfter sprach Schartau auf der Kanzel ein freies Gebet,
meistens, nachdem er sein Predigtthema aufgestellt hatte. Ja, das hieß beten!
Wie warm, wie innig, wie nahe redete er zu seinem Gott! Welche
Glaubenskühnheit, welche Kindlichkeit, welches Vertrauen! Man hörte ihm an,
dass er im Stillen sich auch darin geübt hatte, ernstlich zu beten. Man bekommt
sonst in der Kirche nur selten ein wirkliches Gebet zu hören, und das Gebet von
des Priesters Lippen tut doch dem Herzen wohl. „Die Kunst, Gebete abzufassen,
wenn es anders eine Kunst ist, scheint in unsren Tagen nicht minder verloren zu
sein wie die Kunst, Kirchenfenster zu malen und die Kunst, Choräle zu komponieren.“
Die wenigen Gebete Schartaus, welche gedruckt vorkommen, sind auch ein Zeugnis
von dem Geiste Gottes, welcher in ihm wohnte. Seine altertümliche, einfache,
apostolische Sprache eignete sich auch wohl für den Erguss des ernsten und
sehnlichen Verlangens einer Seele. Da ein Gebet, welches er in das Kirchenbuch
von Bjellerup bald nach der schon angeführten Schilderung des Zustandes jener
Zeit, niedergeschrieben hat, ihn auch als Prediger charakterisiert, möge es
hier eine Stelle finden. Es lautet also:
„Dich, Herr Himmels und der Erde, preiset einer von deinen
geringsten und untüchtigsten Dienern, dass du nicht allein die Türe mir
geöffnet zu diesem Schafstalle, sondern hast auch hier in dieser Gemeinde
einigen das Herz aufgetan, also dass du nach deiner Milde und Treue mich
ließest hier die Erstlinge sehen meiner Arbeit an der Herde, welche du mir zu
eigen gegeben hast. Damit hast du, o Herr mich erquickt, als ich war müde
geworden. O Herr! der du der Engel Lob und die Preisgesänge der Seligen vor deinem
Throne hörst und merkest auch auf das Seufzen der Armen aus der Tiefe der
Erdennot! Gewähre deinem Diener, hier vor deinem allsehenden Auge ein Gebet
niederlegen zu dürfen und höre mich, darum dass Jesus Christus, dein Sohn und
mein Erlöser, dazu mein Herr und Meister, zugleich vor dir redet auf deinem
Throne. Bewahre, o Herr, deinen Diener, dass er nicht von dir weiche, um deiner
Treue willen gegen mich, um deiner Liebe willen gegen deine Gemeinde, welche du
dir erworben hast durch das Blut deines Sohnes, dass nicht, wenn der Hirte
geschlagen wird, die Schafe der Herde sich zerstreuen. Bewahre auch, lieber
Vater! durch deinen heiligen Geist alle die vor dem Argen, welche du deinem
Sohne zum Erbe gegeben hast, dass sie nicht zur Zeit der Läuterung im Ofen der
Trübsal wieder verleugnen den Herrn, der sie erkaufet hat. Und wenn diese Hand
nicht mehr über diese Blätter hingeht, so sende du, o Herr der Saaten, einen
treuen Arbeiter in diese deine Saat, welcher mit unverfälschtem Gottesworte
begieße, was gepflanzet ist, dass es nicht vertrocknen möge. Segne kräftig sein
Herz mit der Gnade deines heiligen Geistes, auf dass sich miteinander freuen,
der da säet und der da schneidet, und in der Herrlichkeit vor deinem Thron in
die Lobgesänge einstimmen, womit du in Ewigkeit gepriesen wirst von allen
denen, welche durch jemandes Dienst, es sei, wer es wolle, bekehrt worden sind
von den Abgöttern zu dem lebendigen Gotte. Amen.“
Als Katechet war Schartau vielleicht am größten. Da er deutlich
erkannte, welches Gewicht der Unterricht der Jugend habe, war er beständig
darauf bedacht, die Methode desselben zu berichtigen, wovon drei von ihm
diktierte Versuche der Art Zeugnis geben – einer nämlich vom Jahr 1797, ein
andrer von 1804 und ein späterer ohne Datum. Sein Bemühen war, mit Weglassung
aller aus menschlichen Wissenschaften geschöpften Terminologie deutliche
Begriffe in der Kinder Seele zu pflanzen; und oft lernte er aus den Antworten,
die von den Kindern gegeben wurden, wie er selbst sich ausdrücken solle.
Gewöhnlich fing er mit sogenannten alternativen Fragen an, so dass das
Rechte entweder seinem Gegensatze oder einem unbestimmten Gedanken an die Seite
gesetzt war: „Wirkt Gottes Geist den Glauben durch Träume und Gesichte oder
durch Gottes Wort?“ – „Flößt der Heilige Geist dem Herzen des Menschen ein,
wenn er bisweilen, ab und zu, Gottes Wort hört und liest, oder kommt es darauf
an, dass der Mensch Gottes Wort fleißig höre und lese, wenn Gottes Geist den
Glauben in ihm bewirken soll?“ – Auf diese Weise wurde das Denkvermögen des
Kindes geübt, das Richtige vom Unrichtigen zu unterscheiden, und der Unterricht
gewann bedeutend an Interessse. Für die mehr Geförderten wurden im allgemeinen
mehr bestimmte Fragen angewandt, sofern die katechetische Erörterung
nicht allzusehr in die Tiefe ging [Probe von alternativen Fragen tieferen Inhaltes:
„Sind die Lehren des alten Testaments von der Furcht des Herrn, vom ernsten
und strengen Gehorsam als etwas anzusehen, was weniger vollkommen sei und
einem Gläubigen des neuen Testamentes ferne bleiben dürfe; oder kann ein
solcher daraus Gewinn ziehen zum Wachstum der Gnadengaben des neuen Bundes?“ Antwort:
„Da ein Christ, während er die scharfen und harten Ausdrücke des alten
Testaments gebraucht, die Versöhnung und Gerechtigkeit seines Heilands im Licht
des neuen Testaments vor Augen hat – gleichwie die Israeliten im alten
Testament eine dunkle Aussicht auf den verheißenen Versöhner hatten: - so soll
ein Christ die heilige Scheu, die Sorgfältigkeit und den Ernst des alten
Testaments vereinigen mit der Freimütigkeit, Freiheit und Freude des neuen,
wovon die Frucht sein wird die feste, ungezwungene und heitere
Gemütsverfassung, welche den Gliedern des neuen Bundes ansteht, ohne dass die
Freimütigkeit in Unehrerbietigkeit, die Scheu und Vorsicht in knechtische
Furcht übergeht, ohne dass die Freiheit in Ausgelassenheit, die Sorgfältigkeit
in Zwang ausartet, ohne dass die Freude mit Leichtsinn oder Ernst mit einem
gebundenen, ängstlichen Wesen verwechselt wird.“ Dass eine solche Antwort erst
das Ergebnis längerer Unterhaltung war, auch eben nicht wörtlich und in einem
Stücke ausfiel, wie sie hier steht, bedarf kaum der Erinnerung. – (Übrigens hat
ein Mann, der Schartau näher stand, geäußert, dass in der vorstehenden Antwort
sich einige Hauptzüge aus Schartaus Porträt vorfänden.)], oder etwa die Antwort
ganz ausblieb oder weniger richtig ausfiel; denn Schartau verstand meisterhaft
die Kunst, sich den Weg zu dem Fassungsvermögen jedes Einzelnen zu suchen; und
er ließ seinen Mann nicht los, ehe der Gegenstand der Frage vollständig
entwickelt war. Schartau behauptete nicht, dass seine katechetische Methode die
beste wäre, obgleich er sie (für seinen Teil unter mehrjähriger Wirksamkeit als
die angemessenste, seiner Eigentümlichkeit
entsprechendste befunden hatte, und gleichwie er selbst keines Menschen
Knecht war, wollte er auch nicht, dass jemand seinen Worten und seiner
Lehrweise sich sklavisch fügen sollte. „Wer in dem Grade sich an die Sache des
Herrn hingibt, dass er berechtigt ist, alles als sein eigen zu ergreifen, was
jenen großen Zweck befördern kann, ein solcher braucht eben nicht zu borgen,
was er bedarf; in seines Herrn Schatzkammer findet er einen reichen Vorrat,
dass dort immer etwas gerade für ihn Brauchbares ist, was sein eigen werden
kann, ohne dass er dem Scheine der Originalität nachjagen wird, was ein Diener
des Herrn niemals tut.“ – Vor allem kam den Kindern, welche auf das erste
Abendmahl vorbereitet wurden, Schartaus katechetischer Unterricht zu gute. Man
wird gerne glauben, dass er es hier nicht beim Auswendiglernen bewenden ließ.
Desgleichen liebte er niemals. Er wollte, dass das Christentum als ein
lebendigen, frisches, selbständiges Ganzes aufgefasst und von den jungen
Menschen angeeignet wurde. Freilich konnte Schartau nicht, und kann kein Lehrer
allein durch sein Zutun ein einziges Abendmahlskind, geschweige denn alle,
bekehren. Die Bekehrung ist Gottes und nicht der Menschen Werk. Aber, wo eine
wahre und lebendige Erkenntnis des Christentums, unter fleißigem Gebet und
Arbeit, in das junge Herz gepflanzt wird, da hat Gottes Geist immer Raum zu
wirken, da beweist sich auch die Kraft der Gnade zu Buße und Glauben. Glücklich
die Konfirmanden, denen es gegeben ist, ein rechtes Gotteswort zu vernehmen,
vor denen die Geheimnisse des Reiches Gottes im Lichte des Geistes Gottes
entwickelt werden.! Wenn auch manche von denen, welche zu ihrer ersten
Abendmahlsfeier von Schartau das „Wort des Heils zu ihrer Sünden Vergebung“
empfingen, sich nachher vom Weltwesen wieder fangen ließen und bald den Lehrer
und seine Lehren vergaßen, so konnte doch der heilige Geist sich der in ihrem
Gedächtnis bewahrten Erkenntnis bedienen, um sie aus der Eitelkeit zur
Gemeinschaft Christi zu führen. –
Einen ausgedehnteren, mehr für ältere Personen berechneten
Unterricht umfassten die (Katechismus-)Verhöre, welche, nach altem
Brauche, in der Domkirche zu Lund jeden Freitag um 8 Uhr morgens stattfanden,
auf dem Lande aber nach dem Sonntagsgottesdienste, so oft das heilige Abendmahl,
nämlich jedene siebente Woche, gefeiert wurde. [Solche Katechismusexamina (Förhör) sollen nach
der noch gültigen Kirchenordnung in Schweden allgemein sein, scheinen aber (wie
die ‚Hausverhöre’, ‚Kommunikantenverhöre’) in den Städten keine große
Bedeutung mehr zu haben. – Vgl. die anziehende, sehr beachtenswerte Schrift Dr.
Rudelbachs: Amtliches Gutachten über die Wiedereinführung der
Katechismusexamina usw. Leipzig 1841, wo auch unsers Schartau ehrenvoll gedacht
wird. Anm. d. Übers.] Die Freitagsverhöre waren bei Schartaus Amtsantritt in Lund fast
außer Brauch gekommen, aus Mangel an Zuhörern. Aber Schartau hielt sie
regelmäßig, obgleich längere Zeit nur der eine oder andere sie besuchte. Der
Herr segnete diese seine Glaubensfestigkeit, so dass nach einigen Jahren der
weite Altarraum (der Chor), wo das Examen abgehalten wurde, mit Zuhörern von
Stadt und Land angefüllt war. Ein Schriftsteller hat irgendwo geäußert:
„Niemals vergesse ich den Augenblick, da ich Schartau zum erstenmal sah. Es war
ein Gemälde aus Judäa zur Zeit der Apostel. In dem oberen geräumigen Chore der
Lunder Domkirche saß der silberlockige Hirte, von Doktoren aus den vier
Himmelsrichtungen der Wissenschaft umgeben, unter welche aufblühende Kinder
gemischt waren und zum Grabe wankende Greise. Alle Alter und Stände wurden hier
aufmerksame Kinder; und Männer, deren Namen Europa kennt und ehrt, merkten sich
Worte des Weisen mit derselben Treue an, wie die jungen Studenten oder
Schulknaben. Es war ein Katechismusexamen. Bald fing er zu fragen an, und ich
wünschte aufrichtig, dass alle Lehrer und Prediger antworten könnten wie manche
seiner zehnjährigen Zuhörer. „Wie sollen wir beten um das leibliche Gut?“
fragte der Lehrer. Mit sicherer Stimme, doch mit ungekünsteltem, eignem
Ausdrucke, die Augen niedergeschlagen, antwortete ein kleines Mädchen: „Dass
wir’s empfangen mögen, aber nur so viel, dass es nicht schade dem geistlichen
Gut, darum wir zuerst bitten müssen.““ – Meistens waren jedoch diese „Verhöre“
von der Art, dass ein größeres Maß geistlicher Erfahrung und Glaubenseinsicht
erfordert wurde, um antworten zu können. Nicht ein einziges Mal ging Schartau,
wenn ihm nur einige Muße blieb, zu einem katechetischen Vortrage, ohne vorher
die Hauptpunkte desselben durchdacht und aufgezeichnet zu haben, obgleich man
eben keine Verlegenheit um Stoff befürchten musste, bei einem so reich begabten
Geiste und solcher Vertrautheit mit der Bibel – um von der Licht spendenden
Gegenwart des Geistes Gottes zu schweigen. Sein lebendiges Bewusstsein davon, er
stehe als Prediger überall an Christi Statt, nährte in ihm die größte
Gewissenhaftigkeit und Sorge, es überall und in allen Dingen „ordentlich
zugehen zu lassen“. Und doch waren es keineswegs Fragen über diese und jene
Einfälle und Kathederwinkelzüge: Hier galt es nur, auf eine
mild-überzeugende Art zur Erkenntnis Jesu Christi hinzuleiten. Und mancher,
vor dessen Ohren seine Predigten vorüberglitten, entweder als etwas, das keinen
Sinn oder nur das Verdienst logischer Genauigkeit und psychologischer Schärfe
habe, horchte doch aufmerksam seiner Kinderlehre zu, welche den Verstand durch
ihre Tiefe, das Herz durch ihre Einfachheit fesselte. – So war da ein Mann, der
eifrig die Wahrheit in der Sphäre seiner Vernunft suchte, aber es zu keiner
Wahrheit brachte, welche seine Seele befriedigen konnte. Da redete seine
Ehefrau („Haustreue“, Hustru, wie der Schwede sagt) ihm zu, Schartau zu hören.
Aber den „Stadtscomminister“, den meist von gelehrten verachteten und von alten
Frauen und Kindern verehrten Schartau wollte er nicht hören. Die Not der Seele
stieg höher. Er besuchte endlich eine Nachmittagspredigt und hörte Schartau. Er
staunte: Das war Feuer und Sturm; aber – keinen Gott konnte er darin finden. Er
blieb aus der Kirche fort. Gott aber sah des Mannes Ernst und wollte seine
Seele erlösen. Während schon die vorbereitende Gnade in ihm arbeitete, riet ihm
seine Frau einmal, in Schartaus Kinderlehre zu gehen. Ein Examen, wo der
Katechismus durchgenommen wird, schien dem gebildeten Mann unseres Jahrhunderts
so einladend eben nicht, indes, der ging hin – aus Neugier vielleicht, und
kehrte zurück – mit einem gedemütigten und erweichten Herzen, mit lebendiger
Freude am Worte Gottes; denn ein „sanftes Säuseln“ war vor ihm hergegangen, und
darin hatte Gott sich seinem Inneren offenbart. Von dem Tage an war er
Schartaus Jünger, um seines Heilands Jünger zu werden.
Man durfte sich nicht darüber wundern, dass mehrere ältere
Personen, welche einst viele Jahre lang sich um Schartau in dem alten
ehrwürdigen Chore zu versammeln pflegten, mit Tränen in den Augen dastanden,
als sie bei dem letzten Umbaue der Lunder Domkirche diesen Chor zerstören
sahen. Dieser Ort war eine der schönsten Erinnerungen an den heimgegangenen
geliebten Lehrer; dort hatte er so manches herrliche Wort gesprochen, so
manchmal, unter der väterlichsten Ansprache am Schlusse der Katechismuslehre,
Tränen vergossen und Tränen hervorgelockt in tausend Blicken, durch die
außerordentliche Wirkung des Wortes Gottes. Die Katechisation ward als ein
vertrauliches Gespräch zwischen Meister und Jüngern, zwischen Vater und Kindern
betrachtet, und daher war dieser Ort den Teilnehmern auch so traulich geworden.
Schartau hielt dort sein letztes Examen am 21. Januar 1825.
Gewissensangelegenheiten sind von allen Angelegenheiten auf
Erden die zartesten. Um in ihnen raten zu können, muss ein Seelsorger seine
Hand in Gottes Hand gelegt haben und schon eine weitere Strecke auf dem Wege
der Seligkeit ihr gefolgt sein. Denn Gelehrsamkeit, Genialität, Gutmütigkeit,
Rechtgläubigkeit reichen da wahrlich nicht aus. Oft kommen kasuistische [das sind: besondere
Einzelfragen Anm. d. Hrsg.] Fragen vor, von denen keiner träumt, zu deren Lösung kein System,
kein Lehrbuch auch nur von ferne eine Anleitung gibt. Und die Gewissenssache
eines Menschen obenhin und gleichgültig zu behandeln oder die Bedenklichkeiten
und Fragen eines um sein Heil bekümmerten Sünders als unnötige Grübeleien
abzufertigen, ist himmelschreiende Leichtfertigkeit. Wie grenzenlos viel Unheil
kann ein Geistlicher anstiften durch Gleichgültigkeit oder verkehrten Rat!
Indessen wird ein unbekehrter, in geistlichen Dingen fahrlässiger Prediger
selten von erweckten Menschen in Gewissenssachen befragt werden. Gottes guter
Geist gibt bessere Anleitung; und hat der Herr irgendwo ein brennendes und
scheinendes Licht hingestellt, so verbreiten seine Strahlen sich über
angrenzende Orte, die noch in Finsternis und Schatten des Todes liegen. Das
Licht sucht gerne einen jeden, der sich selbst geistlich blind weiß und nach
Erleuchtung seufzt, jeden, der wachsen möchte im Glauben des Sohnes Gottes und
in der Liebe des Sohnes Gottes.
Ein solches Licht war Schartau. Von den verschiedensten Seiten
wanderten sie in ihren Heilsangelegenheiten zur Stadt, wo er fast beständig im
Beichtstuhle saß mit seinem hohen Ernst und seiner freundlichen Milde. Mit
denen, welche ihn nicht persönlich besuchen konnten, stand er in Briefwechsel,
und dies machte oft seine Sonntagserholung aus, nach beendigtem Gottesdienste
an solche zu schreiben, welche in geistlichen Angelegenheiten ihn um Rat
gefragt hatten. Er prüfte und untersuchte genau, ehe er sich mit größerer
Bestimmtheit äußerte; denn er wusste wohl, dass gerade in die Bekümmernisse und
Fragen um der Seelen Seligkeit der Arge sein Werk einmengt, und dass es sich
nicht immer im ersten Augenblicke sagen lässt, was von Gott und was von dem
Widersacher Gottes ist. Außerdem war Vorsicht desto notwendiger, da Schartau
stets davor besorgt war, einer feinen Heuchelei auch nur die mindeste Nahrung
zu geben. Und auch in anderer Hinsicht bedurfte es der Behutsamkeit.
„Ängstliche Menschen sind mitunter von Wölfen umgeben“, sagt man; und durch den
Besuch solcher Leute beim Prediger wird erwünschte Gelegenheit geboten, das treue
Rüstzeug Gottes zu schmähen und verfolgen zu können. Ein Bekenntnis vor dem
Beichtvater darf andern nicht mitgeteilt werden; und doch ist es geschehen,
dass die weltliche Macht jedes Wort aus dem geheimen Gespräche zwischen dem
Geistlichen und dem beichtenden Menschen herausbringen wollte. Soll der
Geistliche zeugen, so zeuge er „nur von den allgemeinen Wahrheiten, welche in
dem vertrauten Gespräche vorgekommen sind“. Schartau erwähnt folgendes
Ereignis: „Ein von Herzensangst geplagter Mensch nahm sich selbst das Leben
(wenn ich mich recht erinnere noch am selben Tage) nachdem er sich mit mir
unterhalten hatte. Der Fiskal suchte die Sache so zu wenden, dass dies der
Entleibung vorhergegangene Gespräch mit mir ein besonderes Gewicht gelegt
würde; aber er erreichte seine Absicht nicht und hätte auch damit nichts
ausgerichtet; denn ich hätte niemals etwas andres bezeugen können, als dass der
arme Mensch lediglich von seiner Angst geredet hatte und ich nur von
allgemeinen Glaubenswahrheiten.“ –
Wo immer Schartau bemerkte, dass der Lehre oder dem Leben Makel
anhafteten – und seinem Scharfblick und seiner Erfahrung entgingen nicht leicht
auch die kleinsten – da sagte er seine Meinung gerade heraus, und seine Worte
trugen dann das Gewand ernsten Tadels, während in ihnen der Geist der Liebe
glühte. Ob sich jemand der harten Rede wegen von ihm abwandte – immerhin. Die
Wahrheit musste doch offen und ehrlich gesagt werden, als vor Gottes Angesicht.
Aber wenn er auch selbst einmal geirrt hatte: Dies machte ihn freilich desto
vorsichtiger, seiner selbst wegen, aber auch umso nachsichtiger gegen andre,
die im Irrtum standen. Fand er nur aufrichtigen Ernst, so streckte er seine
treue Hand aus zur Stütze und Führung, so lange er vermochte. Aus Furcht, zu
frühe eine Gewissenswunde zu heilen und „seinem Herrn zuvor zu eilen“, zögerte
er, Trost zu spenden, bis er sah, dass das Werk der Erweckung durch den Geist
Gottes zur Reife gekommen war; alsdann aber tröstete er auch im reichsten Maße
und goss in das zerknirschte Herz den Balsam des göttlichen Wortes. Wo das Herz
bebte von gesetzlicher Furcht, da ermunterte er; und wo Friede und Zuversicht
die Seelen erfreuten, da redete er warnende Worte. „Ein Mensch soll nicht
furchtsam sein, wenn er von Gott empfangen soll, sondern dann soll er kühn
sein, dass er nehme, was ihm geboten wird; aber wenn ein Mensch von Gott
empfangen hat, dann sei er nicht kühn, sondern furchtsam, dass er nicht
verlieren, was er empfangen hat.“ –
In Schartaus Seele lag das ihm Anvertraute heilig versiegelt.
Auch in zeitlichen Dingen, soweit sie mit dem christlichen Interesse
zusammenhingen, ward er daher nicht selten von frommgesinnten Menschen um Rat
gefragt; und mancher, der aus mehr oder minder unedlen Beweggründen des Weisen
Wort nicht geachtet hatte, musste nach teuer erkaufter Erfahrung ausrufen:
„Warum folgte ich nicht dem Rate meines redlichen Predigers!“ Obgleich Schartau
auf den ersten Anblick streng und kalt erschien, so ist doch gewiss, dass,
sobald es ernstlich das Eine, was not ist, galt, im vertrauten Gespräche sein
Gefühl äußerst leicht erregt, sein Wesen offen und wohlwollend, seine Worte
herzlich und warm waren. Daher zog er wahrhaft heilsuchende Seelen mächtig an
sich, und das Bestimmte, Männliche, Ernsthafte in seinen Belehrungen und seinem
Rate gab seinen Worten einen Nachdruck, welcher Vertrauen erweckte. Geistliche
Versammlungen (Konventikel) hielt er nicht, weil sowohl Nachdenken als
Erfahrung ihn überzeugt hatten, dass dergleichen für das wahre Christentum
nicht förderlich sein könne, zumal bei den Teilnehmenden nur zu leicht der
Wahn, etwas Besonderes zu sein, aufsteige. „Wenn auch diese Versammlungen“,
sagt Schartau, „von einem Geistlichen geleitet werden, so kann doch nicht
gehindert werden, dass nun auch andre, welche nicht Geistliche sind, aufgrund
seines Beispiels, sich einfallen lassen, solche zu halten. Sei es, dass das
Wort dabei von einem Prediger oder sonst jemandem geführt werde, so ist für
einen solchen nicht die Zeit da, seine Rede also einzurichten, dass Gottes Wort
mit Deutlichkeit und Ordnung so zusammenhängend dargestellt werde, wie die
Ehrfurcht vor Gottes Wort und die Achtung vor den Versammelten fordert, welche
allezeit ihre Würde als Erlöste mit sich führen – eine Würde, auf welche
gebührlich Rücksicht zu nehmen hat, wer in irgendeinem Maße sich mit den
Heilsangelegenheiten andrer befassen will.“ Gewährte doch gerade Schartau
völligen Ersatz für dergleichen, und weit mehr als das, öffentlich und
persönlich. An Krankenbetten, wohin er gerufen war, ließ er wohl die Gegenwart
mehrerer Personen zu, sofern der Kranke ihn nicht allein sprechen wollte; und
es war nichts Seltenes, ganze Gruppen gottliebender Zuhörer selbst auf der
Straße vor dem Zimmer zu sehen, in welchem er redete. Da es ihm zu großer
Freude gereichte, mit solchen, die ihr Kreuz auf sich nahmen und dem Heilande
nachfolgten, zusammen zu treffen, um ihnen „etwas geistlicher Gabe mitzuteilen“
und „sie zu trösten mit dem Troste, womit Gott ihn zuvor getröstet hatte“, so
besuchte er zum öfteren das Armenhaus der Stadt, wo unter andren Kindern
menschlicher Not, einige hochbejahrte Personen unter dem stockenden Strome der
Jahre krank darniederlagen, und es durch Gottes Gnade mit ihnen dazu gekommen
war, dass ihr „innerer Mensch immer mehr zunahm und erneuert wurde, je mehr ihr
äußerer verging“. An diese Leute teilte er gern das heilige Abendmahl selbst
aus, mitunter alle vierzehn Tage; denn er wünschte, dass Jesu Abendmahl oft
begangen würde von Jesu Jüngern, zu Jesu Gedächtnis. Sonst gingen die
Gesunden, welche man zu „Schartaus Partei“ in Lund rechnete, gewöhnlich einmal
des Monats zum Tische des Herrn.
Schartaus Briefe über geistliche Gegenstände sind die
schönsten Zeugnisse seines brennenden Eifers um das Heil der Seelen.
Verschiedenes, was man seine besonderen Ansichten nennen kann, ist in diesen
Briefen getadelt worden. Wir glauben keineswegs an eine Unfehlbarkeit bei dem
ausgezeichneten Manne; aber dies dürfen wir glauben, dass er niemals mit bloßen
Einfällen zum Vorschein gekommen ist, dass er niemals ohne die reifste
Überlegung einem Seligkeit suchenden Menschen Rat erteilt hat; und auch eine
besondere, ungewöhnliche Ansicht musste viel für sich haben, wenn sie von einem
so erfahrenen und erprobten Diener Gottes ausgeprochen wurde. Um ein richtiges
Urteil über jede einzelne seiner Äußerungen fällen zu können, müsste man genau
die Stimmungen und Verhältnisse der Personen kennen, welchen er sich mitteilte.
In Betreff des Lesens der heiligen Schrift drang er im
allgemeinen auf „Ordnung und Zusammenhang, so dass man jedesmal anfange, wo man
zuletzt aufgehört habe“. Der eigentliche Grund zu dieser Forderung ist in
Schartaus großer Ehrfurcht vor dem Worte Gottes zu suchen, welche nichts
gestattete, was den Anstrich des Umherflattern und Blätterns in der Bibel
hatte.
Was Zerstreuungen, wie Kartenspiel, Tanz, Possen und
dergleichen angeht, so sah er sie als etwas an, worin „wohl eben nichts Böses,
aber auch nichts Gutes sei“, und er warnte davor aus dem Grunde, „weil sie zu
dem führen, was böse ist; und außerdem streite dieses eitle und hohle Treiben
der Welt so durchaus mit dem Werk der Gnade in Menschenherzen, dass beide nicht
zugleich nebeneinander bestehen können, sondern eins weichen müsse, die stillen
Regungen der Gnade oder die Eitelkeit“. Es konnte Schartau nicht unbekannt
sein, dass Luther Schach gespielt, auf Hochzeiten, wo es züchtig und
ehrbar zuging, „getanzt, derbe Scherze gemacht und dergleichen mehr“, aber
teils, meinte er, sei nicht jedem Anfänger im Christentume erlaubt, was ein
Luther ohne Sünde tun durfte, teils schienen ihm auch die Zeiten in dem Maße
anders geworden, dass die eigentlich weltlichen Vergnügungen der Fürst dieser
Welt sich jetzt zugeeignet und in die Grenzen seines Reichs hineingezogen habe;
was man daraus merken könne, dass unbekehrte Menschen jene Dinge verfechten,
nicht anders, als gälte es ihren Augenstern und Glaubensartikel. Jedenfalls
werde die Teilnahme an den Lustbarkeiten und Vorhaben der Weltlichgesinnten nicht
von der Liebe gefordert; und sich unnötigerweise in sogenannten
„unschuldigen Zeitvertreib“ mit einzulassen, führe immer einen größeren oder
geringeren geistlichen Schaden mit sich. Auf hohen, heiligen Ernst kam es ihm
an, ohne deshalb die christliche Freiheit beschränken zu wollen.
In der Auswahl der Erbauungsschriften war Schartau
besonders strenge. Es war nicht allein die Furcht vor dem Einschlürfen eines
feineren Giftes, sondern auch die Überzeugung, dass „keine Seele mit
dergleichen das geistliche Leben auf die Länge aufrecht erhalten könne“, was Schartau
bestimmte, vor dem Gebrauche gewisser religiöser Schriften zu warnen, in
welchen sich zwar eine biblische Einsicht verrät, welche aber doch mehr das
Gefühl in Anspruch zu nehmen als zum Wachstum im echten Glaubenslichte
anzuleiten pflegen. Schartau wies beständig auf Gottes reines Wort in der Bibel
hin, als ausreichend und zuverlässig für die nach Erkenntnis und Wahrheit
dürstende Seele. Übrigens hielt er viel auf Luthers, Arndts, Bengels, des
deutschen Roos und Rohrborgs [Anders Rohrborg (geb. 1725, gest. 1767)
Postille: Des gefallenen Menschen Seligkeitsordnung, Stockholm 1771, kernhaft
und lehrreich, ist in Schweden so verbreitet, dass sie des Volkes Bibel heißt.
So auch Ernst Tollstadius (starb 1728, nach schweren Verfolgungen)
Predigten. Anm. d. Übers.] Schriften, welche er auch zu lesen empfahl. Er war indes der Ansicht,
dass Personen, die sich nicht eigentlich zum Studieren eigneten, von den
Geschäften ihres Berufs wenig mehr Zeit übrig behielten als erforderlich sei,
die unvergänglichen Wahrheiten in dem Buche aller Bücher zu finden und zu
begründen; und es ist gewiss, dass mehrere von Schartaus Zuhörern, welche
ausschließlich die Bibel und Luther lasen, aber sie gründlich, in demütiger,
betender Stimmung lasen, etwas Leeres und Dürftiges in jenen Schriften spürten,
welche übrigens als erbaulich und christlich belehrend gelten. Dass er aber
nicht die Lektüre eines Geistlichen auf die Schrift beschränken wollte, hat er
ausdrücklich erklärt: „Geistliche Bücher, die mit der heiligen Schrift übereinstimmen,
verhüten, dass die heilige Schrift dem Prediger nicht alltäglich werde, dass er
nicht an den reichen Blumenknospen derselben vorüberfahre; denn die Schriften
erleuchteter Männer entwickeln solche für ihn, ohne deren Blätter zu zerreißen.
Die eigentümliche Geistesgabe, welche Gott zu der Abfassung solcher Schriften
mitgeteilt hat, begleitet auch den Lesenden und geht in diejenigen über, deren
Herz für die Wahrheit offen steht, wo sie sich findet.“
Mancherlei wäre nun noch über diesen Gegenstand zu sagen; aber
wir verweisen auf Schartaus Briefe, fest überzeugt, dass jeder um seine
Seligkeit bemühte Mensch sie zu seinem Segen lesen, und dass namentlich jeder
Geistliche, welcher die Seelen „zur Gerechtigkeit weisen“ möchte, aus dem
Studium derselben Licht und Anleitung für seine Seelsorge schöpfen wird.
Im Jahre 1800 ward Schartau zum Propst über seine bisherigen
Gemeinden und 1813 zum Propst über den Distrikt Torna ernannt. Sein ausgezeichneter
Sinn für Ordnung, Fleiß, Kenntnisse und Redlichkeit gewannen ihm auch die
Achtung derer, die ihn als Christen nicht zu würdigen verstanden, und man fand
bald, dass der Mann, der allen in dem größten Ernste der Gottesfurcht
vorleuchtete, auch eine musterhafte Tüchtigkeit in der Besorgung der
äußerlichen Geschäfte bewies, welche ihm von Amtswegen oblagen. Als Propst
hielt er häufige und genaue Kirchen- und Schulvisitationen.
Hierdurch wurde in einer Anzahl von Kirchen umher manches Wort der Wahrheit
ausgestreut, welches später aufgegangen und eine schöne Pflanzung Gottes
geworden sein mag. Hier und da trat auch im großen Haufen eine feindselige
Gesinnung ziemlich offen sowohl gegen ihn selbst hervor als gegen „die
Heiligen, welche aus Lund hinter ihm herliefen“. Aber wenn auch die Frechheit
der Gottlosen ihm auf die Füße zu treten wagte, so erdreistete sich doch
keiner, ihm ins scharfe Auge zu blicken, und die lügenhaften Geschichten, die
vor seinem Erscheinen ausposaunt wurden, verstummten, sobald er sich zeigte.
Ein Christ ist auf seiner Stirne mit dem Siegel des lebendigen Gottes
gezeichnet, einem Stempel, von welchem die Gottlosigkeit, sie sei übrigens so
dummdreist und großsprecherisch, wie sie wolle, in gewisser Entfernung bleiben
muss.
Zum Reichstagsmann von seiner Geistlichkeit erwählt,
besuchte er den wichtigen, außerordentlich einberufenen Reichtstag in Örebo
1810. Mit unbestechlichem Ernste, und ausschließlich die Sache im Auge,
erklärte er sich über die wichtigsten Fragen und folgte aufmerksam jeder
Verhandlung. Es war Schartaus Grundsatz, dass „ein Mann in seinem Amte nur von
dem Gesetze abhängig sei und keiner Nachsicht von Menschen bedürfe“; und diesem
Grundsatz treu, suchte er weder die Gunst der öffentlichen Meinung, noch ließ er
sich im Lager der Mächtigen besolden. Äußere Auszeichnungen hatten keinen Wert
in seinen Augen; daher strebte er weder nach dem Grade eines Doktors der
Theologie, noch wollte er ihn je annehmen. Ebenso wenig zog der Glanz des
Nordstern-Ordens (den die Regierung ausgezeichneten Geistlichen in Schweden
erteilt) ihn jemals an. Er war eine zu hohe Persönlichkeit, um diese moderne
Theologie von – Seide und die Ehre von – Glas zu lieben. Auf seiner Rückreise
vom Reichstage nach Schonen predigte er in Göteborg, wo er schon einige Freunde
hatte und noch mehrere gewann. Schartau wünschte überall zu nützen, wo er einen
Wink von seinem Herrn empfing.
Durch seine eheliche Verbindung 1786 mit der Witwe seines Vorgängers, des Diakonus Barfot, wurde Schartau Vater mehrerer eigener und Stiefkinder. Es gehörte zu Schartaus Grundsätzen hinsichtlich der Erziehung, den Kindern einen väterlichen Ernst in Zucht und Vermahnung zu beweisen, dazu auch den Gebrauch des Wortes Gottes ihnen früh zur Gewohnheit zu machen. „Was aber heranwachsende Kiner betrifft, so ist es ebenso gefährlich, durch zu weit getriebene religiöse Anordnungen Widerwillen dagegen oder Heuchelei zu veranlassen als es auf der anderen Seite gefährlich ist, auf’s Geradewohl, ohne Erinnerungen, sie sich selbst zu überlassen.“
Am geselligen Leben nahm Schartau wenig teil. Die Zeit war ihm
zu kostbar, um sie beim Kartentisch und in Teekränzchen zu verbringen. Aber
recht gerne brachte er einige Stunden mit gelehrten und gebildeten Männern zu,
mit welchen er immer ein interessantes Gespräch zu unterhalten verstand; denn
es fehlte ihm durchaus nicht an ausgebreiteten Kenntnissen. Dann war er, wie
gewöhnlich, sinnreich, zuvorkommend, ruhig heiter. Es war eine Gleichmäßigkeit,
ein Maß und eine Würde in seinem Wesen, seiner Rede, welche weder irgendeinen
zurückstieß noch allzu nahe kommen ließ. Man sah an ihm eine hohe Ruhe, die
reine Harmonie, welche die antike Kunst in ihren Gestalten auszudrücken suchte.
In größerer, gemischter Gesellschaft war er nicht beredt. Jemand fragte ihn
einmal, warum eine gewisse Person (es war ein Christ) jetzt im Umgange
mit anderen so schweigsam sei: Seine Kameraden seien doch alle munter,
gesellschaftlich und äußerst gesprächig. Schartau antwortete nur: „Leere Tonnen
machen den meisten Lärm.“
Zu Hause, so bald es anging, nahm er sein Buch in die Hand;
denn unbeschäftigt zu sein, war ihm eine Qual. „Wenn ich dem Rate nachkommen
soll, welchen Paulus seinem Timotheus gibt: Halt an mit Lesen! So habe ich Mühe
genug, um unter den vielerlei Anfragen der Besucher einige Muße erhaschen zu
können, dass ich für mich selbst Gottes Wort lese, zur Nahrung für meine Seele,
oder um durch die Schriften älterer gottesfürchtiger Männer die Gabe zu
erwecken, welche in mir ist, und um allezeit frisch und gerüstet zu sein, dass
ich mit unsträflicher und heilsamer Lehre vor der Gemeinde auftreten könne.“
War er von Arbeit müde, so geschah es nicht selten, dass er seine Violine nahm
und einige Augenblicke spielte, wobei er im erfrischenden Klang der Töne
Sinnesruhe und Erquickung schöpfte. Denn Musik liebte Schartau in hohem
Grade; daher besuchte er manchmal öffentliche Konzerte und hatte auch wohl, in
seinen mittleren Jahren, eine kleine musikalische Gesellschaft bei sich. In
seiner täglichen Umgebung war er reich an Einfällen und Anekdoten, sogar
Predigeranekdoten. Was aber oft seine Heiterkeit trübte, waren äußere
Verhältnisse, welche ihn nötigten, in gewissen Teilen seiner Haushaltung
unwirksam zu sein, obgleich diese Nachgiebigkeit unaufhörlich seine Umstände
verwirrte. Die Lage war von der eigentümlichen Art, dass, wenn er in diesem
Stücke die Verhaltungsregeln ausgeübt hätte, welche sein auch in weltlichen
Dingen treffender Blick und Urteil ihm anempfahl, und welche den bedeutenderen
Folgen der Unbedachtsamkeit anderer vorgebeugt hätten, er dafür weniger wirksam
in der Sache des Herrn gewesen wäre; und es ward ihm immer klarer, dass es
Gottes Wille sei, er solle das Irdische – fahren lassen [Die sichtbare Zurückhaltung,
mit welcher hier der Verfasser so zarte Verhältnisse berührt (und zwar mit
fremden Worten, aus einer in der dänischen Theologischen Monatsschrift
enthaltenen Mitteilung über Schartau), ist zu ehren, und auch nicht nötig, den
Schleier zu lüften. Anm. d. Übers.]. Natürlich griffen die Leute im allgemeinen nach
jeder Erfindung, die auf den herrlichen Mann einen Schatten werfen konnte. Aber
alles dies ließ er seinen Gang gehen, als wüsste er’s gar nicht; und mit
bewundernswerter Feinheit wusste er jedem Fremden das wahre Verhältnis zu
verbergen. Erst als er sah, dass seine Tage sich ihrem Ziele näherten, wurde er
durch den Wunsch, größere Leiden für den Dritten vorzubeugen, genötigt, die
Lage der Dinge einigen vertrauten Freunden zu offenbaren, welche den Nachlass
ordnen sollten. Aber sogar nach seinem Tode gingen die Lügen fort und wurden in
öffentlichen Zeitungen verbreitet. So ist es und muss es sein. Die Welt bleibt
bei ihrer Meinung, dass Frömmigkeit eine Torheit sei, und die, welche
aufrichtig den Herrn suchen, dumme und einfältige Leute; obgleich, was
Schartau, betrifft, selbst seine Vorgesetzten ihm das Zeugnis ausgezeichneten
Geschickes auch in solchen weltlichen Geschäften erteilten, welche das Amt oder
das Interesse von Amtsbrüdern mit sich führte. Auch dieses schwere Kreuz trug
Schartau mit großer Geduld, und unter allem Leiden war er so zufrieden, als
ginge alles nach menschlichen Wünschen. Gottes Friede, welcher über alle
Vernunft geht, war die Quelle dieser Freude, Zufriedenheit und Gelassenheit,
und niemand rings um ihn wurde im mindesten durch das belästigt, was für ihn
selbst so drückend war.
Von Natur hatte Schartau ein heftiges, schnell aufbrausendes
Temperament, welches in Verbindung mit seiner ungewöhnlichen geistigen Energie,
wie er selbst über sich geäußert hat, „zur Übertreibung und Eigenmächtigkeit,
zu scharfem und ungestümem Wesen geneigt“ machte. Dieses war Ursache, dass er
desto mehr auch als Prediger auf sich selbst acht hatte. Aber mit seinem
vorherrschenden christlichen Sinne drängte er bald jede auftauchende
menschliche Schwachheit so in den Hintergrund seiner großen Persönlichkeit,
dass alles bei ihm wie das aus einem Gusse hervorgegangene Bild des frischen,
kunstvollen, selbständigen Christentums erschien. Er war ein „Donnersohn“, aber
dennoch in Liebe mild geworden wie ein Johannes. Allezeit erwies er seinen
Vorgesetzten die gebührende Achtung und wollte, dass aller Obrigkeit pünktlich
in jedem Gebote gehorcht werde, welches nicht Gottes Gebot einschränke oder
ungehörig erweitere.
Mit wenigen Geistlichen stand Schartau in näherer
freundschaftlicher Verbindung. Er fürchtete sich gleich sehr vor der
„geistlichen Welt“, wie vor der Welt, in welcher kein Geist ist als der der
offenbaren Gottlosigkeit. Daher trat er niemals in „geistliche Vereine oder
Gesellschaften“ ein und schien wenig von dem Modechristentum eingenommen,
welches den Mantel eines nichtigen Eifers dem eigenen Heidenherzen umhängt. Und
doch wünschte gewiss niemand ernstlicher als er, die „Verbreitung der Bibel“
und die „Erleuchtung und Bekehrung des menschlichen Geschlechts“. Ein
Geistlicher, welchen Schartau sehr hochhielt, und mit welchen er oft als mit
einem Freunde und Bruder umging, war Propst S. Holm in Swaluf. Holm
hatte sich in seinen ersten Amtsjahren zu tief in das weltliche Wesen
hineinziehen lassen, zumal er als kluger Mann und interessanter Gesellschafter
fleißig von solchen aufgesucht wurde, die „sich dieser Welt gleichstellten“.
Doch erlöste ihn der Herr in wahrhaftiger Bekehrung und führte ihn zu einem
rechtschaffenen Wesen in Christus. Weniger gelehrt als Schartau, hatte er doch
große Gaben der Natur und Gnade und verbreitete vielen Segen um sich her in dem
Weinberge seines Herrn. Er starb 1808. Schartau hat ihn in einem Brief
meisterhaft gezeichnet, und da zwischen diesen beiden Seelen viel
Verwandtschaft stattfand, glauben wir, dass die erwähnte Zeichnung hier einen
angemessenen Platz finde. Schartau schildert den Propst Holm auf folgende
Weise:
„Der Reichtum der Erkenntnis Gottes, welche sich bei ihm fand,
und welchen er mit besonderer Anmut im Ausdrucke auch den Einfältigen
mitzuteilen wusste, setzte auch sie in Stand, auf gleiche Weise, ohne Verlegenheit
um Worte, sich leicht und anmutig auszudrücken. Das hängt mit der
vortrefflichen christlichen Verstandeserkenntnis zusammen, welche sich überall
da in seiner Gemeinde findet, wo man seinen Unterricht auf eine lebendige Weise
sich angeeignet hat. Sein Scharfsinn, von einer tiefen geistlichen
Menschenkenntnis unterstützt, machte ihn ebenso fähig, den Unredlichen zu
enthüllen, auch wenn er mit der schönsten Larve bedeckt war, wie auch das Echte
selbst dort aufzususchen, wo es unter der größten Gebrechlichkeit versteckt
lag. Dies machte, dass er unparteiisch war und es sein konnte. Fand er
irgendeine evangelische Schrift, war sie auch von einem Freunde der
Brüdergemeine verfasst, so erkannte er ihren Wert an, und traf er auf Fehler in
der Lehre seiner Bekannten, so übersah er sie nicht. Selber kräftig an Leib und
Seele, war er doch mitfühlend und milde gegen Schwache in der einen oder
anderen Art. Niemals achtete er eine ihm unbekannte Leibesschwäche bei anderen
gering, als bloße Einbildung, weil er sie nicht bei sich selber fand; niemals
sprach er den Glauben jemandem ab, weil dieser nicht dasselbe Maß des Glaubens
wie er erreicht hatte. Selten ward er betroffen, denn er war scharfblickend;
und wenn es geschah, rührte es daher, dass die Liebe ihn bewog, Gutes zu
denken. Zumal, wenn jemand voreilig die Redlichkeit eines andern in Frage
stellte, hatte dies bei ihm die entgegengesetzte Wirkung. Er war freilich ernst
im Strafen, aber äußerst Zart beim Verbinden eines wunden Gewissens. Auch das
strengste Verhalten gegen einen, der die Sache des Christentums nur obenhin
oder unter allerlei unlauteren Vorbehalten trieb, hatte jedesmal eine heilsame
Wirkung; denn scheint er auch allzu strenge zu sein, so „war er es dem Herrn“.
Jede Heuchelei verabscheuend, fasste er alsbald Misstrauen, wo die Frömmigkeit
unter seltsamen, auffallenden Gebärden auftrat. Die fromme Geschäftigkeit und
Zudringlichkeit konnte er durchaus nicht leiden; denn so wie er wollte gefragt
sein, wenn er antworten sollte, so verdross es ihn, eine nicht geforderte, zur
Unzeit geäußerte Christlichkeit anhören zu sollen, worin eine Antwort enthalten
war ohne Frage. Schwerlich besaß einer das Maß christlichen Salzes, welches ihm
zu Gebote stand. Tat ein Narr in seiner Gegenwart den Mund zu einer
Unschicklichkeit auf, so kam er niemals ungestraft davon. Im hohen Grade besaß
er die Gabe, mit den Kindern der Welt umzugehen, ohne von ihnen verunreinigt zu
werden oder sich mit ihnen ohne Not zu stoßen. Auch vertrugen ihn viele
derselben gern. Wagte sich aber jemand aus dem eignen Kreise und wollte sich in
den seinigen eindrängen, so wandte sich bald das Blatt; denn wenn die Mücke
gegen das Licht flattert, so verbrennt sie die Flügel und fällt entweder zu
Boden oder macht sich eilig davon. Dagegen für jeden Nathanael, den er traf,
stand sein Herz bald offen. Sein Aussehen hatte freilich etwas fast
Zurückschreckendes; aber er besaß eben so sehr die Gabe, alle Zurückhaltung,
die von Furcht herrührte, zu beseitigen, wie er es verstand, ohne alle
sichtbare Anstrengung diejenigen fern zu halten, mit welchen er fremd bleiben
wollte; ja, ohne dabei die mindeste Verstimmung oder Verlegenheit zu äußern,
lehnte er dreiste Fragen, die in sein Inneres dringen wollten, sehr bestimmt
ab, und bald genug sah sich der Zudringlichste genötigt, auf seine eigne Verantwortung
bedacht zu sein. Wenige trafen so glücklich den Mittelweg zwischen Munterkeit
und Mutwillen; er entging aber letzterem dadurch, dass er der ersteren sich nur
bei solchen überließ, welche selbst nicht zur Ausgelassenheit geneigt waren.
Eine glückliche Gabe besaß er, Leibliches und Geistliches nebeneinander zu
besorgen und jedem sein Recht zu lassen; denn wie er große Naturgaben für das
eine hatte, so besaß er große Gnadengaben für das andre. Sein Studium trat
daher nie den zeitlichen Obliegenheiten in den Weg, und er richtete irdische
Geschäfte für sich und andre mit gleicher, wo nicht größerer Aufmerksamkeit und
Emsigkeit aus, wie einer, der das Irdische zu seiner Hauptsache gemacht hat.
Ausgezeichnet redlich war er und ein echter, treuer Mann. Was man ihm
vertraute, lag sicherer als der Schatz unter der Erde. Gelehrt war er nicht,
hatte aber große Naturanlagen fast zu allem. Er führte daher eine
wohlgeschnittene Feder, und zumal seine Briefe waren bald mit Witz und Geist,
bald mit reifem Urteile reich ausgestattet. Das letztere, wenn es geistliche
Dinge betraf, war wohl eher der Anmut und Kraft des Petrus als der siegenden
Klarheit des Paulus zu vergleichen. – Nicht leicht ließ er jemanden über sich
verfügen. Unermüdlich war seine Arbeitsamkeit. Obgleich er niemals einen
Gehilfen und selten fremde Hilfe hatte, hielt er bis ins späte Alter aus, wie
er in raschen Jahren angefangen hatte. Da er selten länger als drei Stunden
schlief, so brachte er den übrigen Teil der Nacht damit zu, den Kleinen Katechismus
oder Dr. Luthrs Vorrede zum Briefe an die Römer oder Petri erste Epistel, ohne
Johannes erste Epistel, welche er alle auswendig wusste, wie ein Schulknabe
seine Aufgaben herzusagen oder war im Gebete oder sang einen Psalm.“
Das Leiden war unserm Schartau keineswegs fremder als jedem
andern Christen, und in demselben Maße, wie sein Glaube groß war, war auch
seine Prüfung größer als gewöhnlich. Lange hatte er schon an Steinschmerzen
gelitten, aber am härtesten ward er in seinen letzten Lebensjahren befallen.
Doch wird außer seinem Arzte kaum jemand gewusst haben, dass er litt, sofern
nicht die Schmerzen sich selbst im Gesichte und durch andere unfreiwillige
Symptome äußerten. Wenn irgendeine Linderung eintrat, saß er sogleich wieder an
seinem Schreibtische und besorgte seine gewöhnlichen Amtsgeschäfte. Bis er
auf’s Krankenlager gelegt ward, war er in seinem priesterlichen Berufe
unermüdlich. Seine außerordentliche Geduld und Ergebung in den qualvollen
Stunden waren ein Gegenstand der Bewunderung für den Arzt, und die ihn
besuchten, fanden ihn, wie in den früheren Tagen, fröhlich in dem Herrn. So kam
denn die Stunde, da der Herr der Herrlichkeit den treuen Diener von Arbeit und
Leiden und Schmach und Drangsal erlösen wollte. Schartau entschlief in seinem
Heilande am 2. Februar 1825, im 68. Lebensjahre. Viele Augen schwammen in
Tränen bei der Nachricht von der Hingabe des Mannes Gottes, aber man lobte auch
Gott für alles, was er durch ihn auf Erden ausgerichtet hatte. Die Begräbnisfeier
fand in der Domkirche zu Lund statt, welche bei dieser Gelegenheit von einer
zahllosen teilnehmenden Menge angefüllt war. Vor der Leichenprozession gingen
alle Kinder aus der Armenschule der Stadt, mit ihrem Lehrer an der Spitze, und
manches Kind schluchzte. Ein ergreifender Anblick! Es war ein Zeugnis vor der
Welt, dass Schartau ein Vater der Waisen, ein Freund der Armen und Notleidenden
gewesen war. Keine Leichenrede vernahm man zum Gedächtnis des Heimgegangenen;
aber lautes Weinen aus jedem Winkel des Gotteshauses redete doch von Liebe und
Verehrung, von Schmerz und Dankbarkeit – eine beredte Sprache. Schartaus Staub
ruht auf dem neuen Kirchhofe Lunds, und auf dem Steine, der das Grab
bezeichnet, liest man die Worte welche seine priesterliche Losung ausmachten: Aber
ich bin darum nicht von dir geflohen, mein Hirte; so habe ich Menschenlob nicht
begehret, das weißt du; was ich gepredigt habe, das ist recht vor dir. Jer.
17,16.
Der junge liebenswürdige Künstler Joh. Holmbergson, auch
ein Schüler Schartaus und schon ihm nachgefolgt in seines Herrn Freude, hat uns
ein Porträt des unvergesslichen Lehrers geschenkt, welches erst nach seinem
Tode ausgeführt, aber vorzüglich wohl getroffen ist. So war Schartau, ergraut
im Dienste Gottes.
Jetzt ist er dort, wo alle Tränen getrocknet sind und keine
Klage mehr gehört wird. Redlich kämpfte er, und darum hat er die Krone des
Lebens empfangen. Viele hat er zur Gerechtigkeit gewiesen: Denen wird er
leuchten wie ein Stern immer und ewiglich. Gesegnet sei sein Andenken unter
uns!
Kein Sterblicher ist wohl im Stande, alle Früchte der treuen Wirksamkeit eines Dieners Gottes zu sehen und zu schätzen. „Was Großes geschieht, das geschieht stille“, und der Geist, welchen ein schlichter Prediger um sich her weckt, geht oft unbemerkt durch die Zeit; aber allmählig wächst eine Schöpfung empor, welche die Gegenwart des Geistes andeutet und auch den Blicken der Menschen zeigt, dass eine Arbeit in dem Herrn nicht vergebens ist. Die verborgene Quellader läuft unermüdlich unter der Erdrinde fort und springt nur hier und da ans Tageslicht hervor; wir wissen nicht einmal ihren Gang, aber wir sehen, dass Gras und Blumen aufsprießen und gedeihen auf den Weisen, genährt durch einen unsichtbaren Saft. Dies lasst uns innewerden, dass die Quellader da ist, gegenwärtig, auch so wie nicht erscheint. So verhält es sich mit den Erfolgen der Arbeit eines rechtschaffenen Predigers; nicht immer treten sie eben im Großen hervor oder durch die ganze Zeit gehen sie hindurch, und für den geistlich geöffneten Sinn sind sie durchaus nicht in dem Grade verborgen, dass nicht der Finger Gottes in ihnen gespürt werde.
Dass Schartau viel wirkte während seines Lebens und vielleicht
nach seinem Tode durch seine Schriften, welche durch das ganze Land
verbreitet und das teure Hausbuch vieler geworden sind, noch mehr gewirkt
hat, das liegt allen offen vor. Es war schon etwas Herrliches, dass durch
seinen Eifer so viele zum Nachdenken über ihr ewiges Wohl erweckt, durch seine
Erkenntnis so viele zu dem „Leben, welches das Licht der Menschen ist“,
hingeleitet wurden. Worauf wir aber hier die Aufmerksamkeit ganz besonders
hinrichten wollen, ist der wichtige Umstand, dass mehrere der Studierenden, welche,
trotz allem Hohne, seinem Unterricht zu ihrer eignen geistlichen Erleuchtung
benutzten, seither in den geistlichen und Lehrerstand eingetreten und hier und
da unter das Volk gestellt worden sind. Welch ein Segen ist von ihrer eifrigen
Arbeit zu erwarten! Und mehrere, besonders jüngere Geistliche, haben seit ihrer
Bekanntschaft mit Schartaus Schriften, aus ihren Predigten alle die wässrige
Moral, davon kein Mensch moralisch wird, und alle Lafontainschen
Häuslichkeitsszenen verbannt und dafür die Stimmen der Buße und des Glaubens
vernehmen lassen, unter der Erfahrung, dass das Volk doch noch in vielen
Gegenden das Wort Gottes gerne hört. Auch durch weniger glänzende Werkzeuge
kann der Herr große Dinge ausrichten. – Nicht zu übersehen ist, dass sich um Schartau
ein Kreis, eine Gemeinde von Personen bildete, welche sich von anderen durch
größere Lauterkeit in Sitte und christlicher Erkenntnis unterschieden. Diese
schlossen sich in brüderlicher Liebe an einander, und Stunden, die sonst in
weltlichen Zerstreuungen verloren gehen, wurden von ihnen „ohne alles Gepränge“
zu häuslichen Übungen der Frömmigkeit, wie Bibellesen und erbaulichen
Gesprächen, angewandt. Dass sie von irdisch Gesinnten verspottet und geschimpft
wurden, kümmerte sie nicht. Viele von Schartaus Zuhörern gehörten zur dienenden
Klasse. Diese waren wegen ihrer seltenen Treue, Redlichkeit, Verschwiegenheit
und Fleißes von Hausvätern und Hausmüttern, auch wenn sie keine eigentlichen
Freunde des Christentums waren, geschätzt und gesucht, und als Dienstboten
machten sie von Anfang nur die unerlässliche Bedingung, Gottes Haus bei
Predigten und Katechismusverhören besuchen zu dürfen. Ein Mann, der die
Verhältnisse genau kannte, macht folgende Mitteilung: „Wenn ein Dienstmädchen
alt oder kränklich wird und gewöhnliche Arbeit nicht mehr übernehmen kann, so
geschieht es oft, dass sie als Arme um Unterstützung nachsuchen muss. Dem Lose
entgingen die, welche das Glück hatten, auf Gottes Wegen zu wandeln. Diejenigen
nämlich, welche nicht mehr dienen konnten, aber doch einige Fähigkeit zu
arbeiten hatten, arbeiteten in einer Interessenschaft, welche durch die
Einigkeit und Weisheit, die bei ihnen herrschten – indem jede auf sich nahm,
was sie eben konnte und verstand – vom Herrn gesegnet wurde, so dass sie ihr dürftiges
Auskommen fanden, ohne betteln zu müssen, ja, sie konnten dazu Schwächere und
Bettlägrige unterstützen. Einige von ihnen, welche die Gabe empfangen hatten,
Kinder zu unterrichten und zu erziehen, richteten kleine Schulen ein, wo die
Kinder neben gewissen für sie passenden Handarbeiten, welche sie lernten, auch
die ersten Begriffe der Heilslehre erhielten; und es war eine Freude,
zuzuhören, welchen Verstand in geistlichen Dingen diese Kleinen zeigten, und
mit welcher Lust sie den einfachen Unterricht annahmen. Diese kleinen Schulen
waren denn auch in der Welt gar übel angeschrieben. Ungereimte Lügen wurden
verbreitet, welche mitunter auf die Eltern Eindruck machten, so dass diese ihre
Kinder aus der Schule zurücknahmen; wovon jedoch mehrere abstanden, da sie den
Kummer sahen, welchen der Abschied ihren Kindern verursachte. Andre traten aber
wieder in die Stelle der abgehenden ein, da das, was das Kind lernte,
wenigstens eine Bürgschaft von der Tüchtigkeit des Unterrichts war. Jedoch
begnügte man sich nicht, die Einrichtung und die Vorsteherinnen zu schmähen;
Die Schmähungen erstreckten sich auch auf den Prediger Schartau, und man
beschuldigte ihn, auf Kosten seiner Familie alle diese Kinder zu unterstützen,
um aus ihnen eine Sekte zu bilden. Durchaus grundlos war das Vorgeben, er
unterhalte sie; dazu hatte er das Vermögen nicht; auch bedurfte es des nicht,
denn die Eltern bezahlten selbst für die Kinder; und wenn einige ganz und gar
verwahrloste Kinder aufgenommen wurden, um vom Betteln zurückgehalten zu
werden, so geschah es nicht auf Schartaus, sondern auf Kosten jener
Frauenzimmer und ihrer Freunde. Die Kinder, die Schartau aufnahm, hatte er in
seinem eigenen Hause. Sektiererisch ist ein Schimpfname, dem kaum ein
Geistlicher entgehen kann, dessen Worte dem Reiche des Teufels Abbruch tun.
Zuweilen ward Schartau mit Namen derjenigen Sekten beehrt, welche er am
eifrigsten bekämpfte. – Lasst uns hoffen, dass viele dieser Kinder, wenn sie
auch in späteren Jahren sich von Gottes Wegen abziehen ließen und von ihrer
Taufgnade abfielen, doch von der Erkenntnis ihrer Kindheit so viel bewahrt
haben, dass Gottes Geist in ihre Herzen wirken kann; und die wirksame Gnade des
Geistes Gottes gewinnt doch immer den einen und den anderen für den Heiland.
„Also wird eines jeglichen Werk offenbar.“ Vor dem Throne des
ewigen Erbarmers stehen schon viele in weißen Kleidern und singen Preis dem
Lamme, viele von denen, welche durch Schartau bekehrt worden sind von dem
Irrtum ihrer Wege; und ihnen nach werden wohl noch manche zu der Ruhe des
Volkes Gottes eingehen, deren Lehrer und Führer Schartau gewesen ist. Welches
reiche Erbe wird dem guten und treuen Diener Gottes zufallen am Tage der
Offenbarung Jesu Christi!
„Weil ich von meinem Oberhirten nicht gesetzt worden bin, unter
den Wächtern auf der Mauer zu sein, welche Wache halten sollen gegen die
Feinde, die draußen sind, dass diese nicht eindringen in Gottes Stadt, sie zu
verderben, sondern ich mich nur unter die Wächter rechne, welche rings in der
Stadt umhergehen, denen es obliegt, die Schlafenden zu wecken, wo Feuer
ausbricht: Darum bin ich nicht willens, in den Streit, der von den
Druckerpressen ausgeführt wird, mich einzulassen oder auch nur zu antworten auf
andre Briefe als solche, die da Hoffnung geben auf Annahme oder Wiederannahme
der Wahrheit.” Hiermit hat Schartau den Hauptgrund angedeutet, weshalb er die
Presse bei seinen Lebzeiten zur Erwerbung eines Autornamens nicht benutzt hat.
Auch die Berühmtheit verschmähte er. Nach seinem Tode sind verschiedene seiner
Arbeiten und Entwürfe mit der höchsten Sorgfalt herausgegeben worden; und jetzt
sind seine Schriften in vielen tausend Händen. Wer den ersten flüchtigen Blick
in dieselben wirft, wird vielleicht über die altertümliche Sprache und
Einkleidung und ihm hier und da begegnende „Dunkelheiten“ stutzen; für jeden
aber, der nicht an der Oberfläche bleibt, wird sie eine Tiefe, mit köstlichen
Perlen besät, auftun. Schartau opferte der Deutlichkeit oft den Wohllaut auf,
um auch von den Einfältigen und Ungelehrten verstanden zu werden; weichlich und
süß in die Ohren klingen wollte er nicht; daher schmolzen seine reichen
Gedanken in eine gediegene, kräftige, ungeschminkte Sprache ein. Und Klarheit
ist wohl bei ihm vorhanden, aber nicht solche Klarheit, wie sie in dem
Wasserspiegel schimmert, dessen lose Bilder dem Beschauer entgegen gaukeln;
sondern solche Klarheit, wie sie auf der Himmelsfeste ruht, deren Fixsterne für
den flüchtigen Betrachter durch einen dünnen Wolkenschleier verdeckt werden.
Die Gegenstände, die Schartau behandelt, müssen freilich ein Dunkel, tiefes
Dunkel für alle die mit sich führen, von deren Geistesaugen noch nicht die
Schuppen gefallen sind durch die Berührung des Geistes Gottes; alles Heilige
ist ein Mysterium für die Unheiligen. Aber für den, der in irgendeinem Maße
„gelehrt ist zum Himmelreiche“, ist die Finsternis nicht finster, die Nacht
leuchtet wie der Tag.
Da bei Schartaus Lebzeiten eine und die andre Stimme zu
verstehen gab, mit seiner „Rechtgläubigkeit und reinen Lehre“ sei es nicht so
ganz richtig bestellt, so dürfte es ohne Zweifel jetzt, da alle seine Lehren im
hellsten Tageslichte vor uns liegen, der Müh wert sein zu untersuchen, welchen
Irrlehren er denn gehuldigt habe. Doch auch das schärfste Auge wird schwerlich
die leiseste Abweichung von dem Lehrbegriffe unserer Kirche entdecken können.
Hat er bei der Erklärung eines und des andern Bibelspruches eine Ansicht
geäußert, welche nicht durchweg mit Luthers, Arndts u.a. Ansichten
übereinstimmte, so ist hierin wenigstens keine Ketzerei zu suchen, zumal die
Schartausche Erklärung oft einen tieferen Blick in das Menschenherz, in das
Werk des Geistes Gottes gewährt als die gewohnten Erklärungen. Luther war ein
Mensch, und dies war Schartau auch. „Nichts Vollkommnes“, hat Letzterer
geäußert, „kann von Menschen vorgebracht werden, und so gibt es durchaus keine
menschlichen Schriften, die von Fehl und Irrtum frei wären; aber diese Irrtümer
werden nicht verderblich, wenn sie die Hauptsache im Bau des Heils nicht berühren.“
Niemand kann wohl in der Sache selbst eifriger als eben Schartau für die
Reinbewahrung der von der lutherischen Kirche angenommenen Grundlehren sein, da
er sie in Gottes offenbartem Worte gegründet fand. Niemand kann wohl größere
Furcht vor dem Einschleichen des geringsten Irrtums in Lehre und Leben
beweisen. „Die einige rechte Lehre sehe ich als ein Juwel in der Krone der
Gerechtigkeit an. Gehe ich mit diesem Kleinod unvorsichtig um, dass am Juwel
nur eine der Kanten abgestoßen wird, so dass es weniger leuchtet, so könnte die
ganze Krone für mich verloren gehen.“ Vor diesem Bekenntnis Schartaus muss, in
Betreff der Frage nach seiner Orthodoxie, „der Zwerge Geschrei verstummen“.
Man hat behauptet, dass Schartau nicht frei von Haarspaltereien
gewesen sei, dass er abgeteilt und wieder abgeteilt habe, bis der Geist
verschwunden und nur das Skelett übrig geblieben sei. Wenn aber der Anatom
seine Schüler die feinsten innern Bestandteile des menschlichen Körpers kennen
lehren will, da zeigt er nicht auf die glatte Haut allein hin, sondern zeigt,
was darunter liegt, Arterien, Nerven auf Nerven. Oder wenn der Botaniker den
Jüngling in den Hieroglyphen der Blumenwelt unterrichten will, so sagt er
nicht: Siehe die Wiesen in Blüte; sondern er bricht eine Blume ab und
untersucht Stengel, Staubfäden usw. So ging Schartau zu Werke, um seine Zuhörer
mit dem innern geistlichen Leben in allen seinen Abwechslungen bekannt zu
machen, und für dieses Leben – eine schöne blühende Gotteswelt in
Menschenherzen – kann gewiss auch ein System, ein Nachbild seiner Ordnungen und
Gestaltungen entworfen werden, völlig so tiefsinnig und seiner Wirksamkeit so
entsprechend, wie das Linnésche für die Kinder der Flora. Hauptsächlich ist
Schartau auf die Gnadenwirkungen eingegangen, auf deren größeren oder
geringeren Fortgang beim Menschen er immer wieder zurückkommt, welchen
Gegenstand er auch behandelt. Die Erlösung aus dem tiefen Sündenverderben durch
Buße und Glauben an Jesus ist das allein Notwendige für ihn. Die Ordnung, den
Gang des Heils zeichnet er scharf und bestimmt; aber nicht so, als müsse der
eine notwendig und schnurgerade ganz dasselbe fühlen und bis ins Einzelne
durchmachen wie der andere; nur die Hauptsache muss von allen durchlebt werden,
welche in Gottes Reich eingehen wollen. So viele Abwege eines Sünders es gibt,
sowohl vor der Bekehrung als im Zustande seiner Erweckung, eben so viel sind
der Wege Gottes, um ihn zurecht zu führen; und früher oder später, unter
gewaltsameren oder gelinderen Versuchungen, wird Gottes Werk in dem Menschen
ausgeführt, sofern er ernstlich Gottes Wort gebraucht. In der Entwicklung
dieser Wahrheiten hat Schartau „die genialsten Materialien zu einer
theologischen Psychologie“ geliefert.
Eine Beschuldigung anderer Art ist die, dass Schartau alle
seine geistliche Einsicht und sogar seine Gleichnisse aus den alten Mystikern
geschöpft habe. Dass alles wahre Christentum, es heiße Mystizismus oder wie
sonst, dieselben wesentlichen Phänomene enthalte und dieselben ewigen Ideen zu
allen Zeiten und bei den verschiedensten Persönlichkeiten abspiegle, das ist
unbestreitbar. Auch muss zu allem Glücke zugegeben werden, dass das Christentum
kein neugebornes Kind ist, welches erst von Schartau aufgezogen wäre. Der
Grundton zu jeder von ihm dargestellten Wahrheit findet sich nicht nur in
einigen „mystischen“ Büchern voriger Jahrhunderte, sondern in einem Buche,
welches sogar tausende von Jahren zählt, und das am meisten „mystische“ von
allen ist – der Bibel [Der Verfasser hofft, nicht missverstanden zu werden. S. Mark. 4,11.12;
1 Kor. 2,14; 2 Kor. 4,3.4; Eph. 1,9; Kol. 1,26.27.] Der ist aber mit
geistlichen Dingen wenig gekannt, der in Schartau nicht eine selbständige
Entwicklung des alten, reinen Kernchristentums erkennen will; so dürftig ist
Gottes Geist nicht, dass er von andren borgen müsste, um den auszurüsten,
welcher sich ihm mit einem offnen, empfänglichen Herzen überlässt. Man braucht
übrigens nur zu kennen, was Schartau über Böhme, Swedenborg und Jung Stilling
gesagt hat, um einzusehen, wie wenig er sich zu irgendeinem Mystizismus im
gewöhnlichen Sinne neigte. Er war in der Tat ein zu klarer und besonnener
Geist, um sich in den Zauberkreis eines solchen Dunkels hineinziehen zu lassen.
Luther hat geäußert, dass der wahre Theologe in der Schule des Kreuzes
durch Gebet, Anfechtung und fromme Betrachtung gebildet werde. War danach
Schartau nicht ein Theologe? Eine echte christliche Dogmatik ist wohl
auch Theologie; und in welcher von Schartaus Schriften werden nicht Dogmen
berührt oder entwickelt, auf eine geniale Weise, der innersten Lehre der Bibel
gemäß? Schwerlich kann ein Geistlicher wie Schartau anders als theologisch
gebildet sein; aber diese Bildung braucht nicht immer und ihrem ganzen Inhalte
nach von außen her geholt zu werden. Die hauptsächliche Bildungsquelle liegt in
den Menschen selbst, sofern anders bei ihm Empfänglichkeit ist für die
göttlichen Wirkungen der Gnade. Vortrefflich äußert Rudelbach: „Was
Schartau als Geistlichen auszeichnet, ist seine theologische Erkenntnis, und
was ihn als Theologen charakterisiert, ist seine vollendete priesterliche
Bildung.“
Wir führen jetzt Schartaus bisher [1843, Anm. d.Hrsg.]
erschienene Schriften in der Ordnung an, in welcher sie dem Publikum übergeben
sind, und deuten nur den hauptsächlichen Inhalt derselben an:
1. Versuch, der heiligen
Schrift gemäß in Fragen und Antworten die Lehre der evangelisch-lutherischen
Kirche von der Gnadenwahl darzustellen. Lund 1825. 125 S.
Diese Schrift beabsichtigte Schartau mehrere Jahre vor seinem
Tode selbst herauszugeben; aber stets aufmerksam auf den leisesten Wink des
göttlichen Oberhirten, nahm er aus gewissen eingetretenen Umständen an, dass
die rechte Zeit für die Herausgabe des Buches nicht da sei; und nachher wurde
es ihm klar, dass nichts von dem, was er schriftlich verfasst hatte, vor seinem
Tode gedruckt werden dürfe. Von mehreren Aussprüchen der heiligen Schrift,
welche hier untersucht und erklärt werden, kommt der Verfasser durchweg zu
demselben Resultate: dass nämlich jeder Mensch, der durch Gottes Geist sich zum
Glauben an den Heiland führen und sich bis an den Tod im Glauben erhalten und
bewahren lässt, ein Auserwählter sei; dass keiner deshalb zum Glauben komme,
weil er auserwählt sei, sondern dass Gott von Ewigkeit her als der Allwissende
vorausgesehen, von welchen Menschen der Glaube werde angenommen und bewahrt
werden, und daher über die beschlossen habe, dass sie selig werden
sollten. Schartau hat über diese wichtige Lehre viel Licht verbreitet und schön
hat er geäußert: „Wenn ich so glücklich wäre, bei irgendeinem Unkundigeren die
Aussicht auf ein bessres Leben zu erweitern, oder bei einer schlummernden Seele
das Verlangen danach zu erwecken, oder in einem bebenden Herzen die Gewissheit
wegen des himmlischen Loses zu befestigen, siehe, das ist alles, was ich
wünsche und auch zu hoffen wage.“ [Schartau hat leider in dieser Auffassung der Lehre
von der Gnadenwahl geirrt, die ja, so betrachtet, dann auch gar keine
Gnadenwahl mehr wäre, sondern vielmehr eine menschliche Voraussetzung, den
Glauben und das Beharren im Glauben, hätte. Daraus würde folgen, dass dann der
Glaube und das Beharren im Glauben eine menschliche Leistung wären, aufgrund
deren der Mensch erwählt worden sei. Schartau hat hier leider den falschen
Ansatz ausgezogen, der sich bei einigen Theologen der Orthodoxie im 17.
Jahrhundert gebildet hatte. Tatsächlich aber ist es nach den Lehrstellen Röm.
8,29.30; Eph. 1,4.5; 2 Tim. 1,9 so, dass Gott uns nach seinem Vorsatz und
Gnade, die uns gegeben sind in Christus vor der Zeit der Welt, und nicht nach
unseren Werken berufen und selig gemacht hat. Die Erwählung ist also vor der
Zeit der Welt Erwählung in Jesus Christus zum Glauben an ihn als dem alleinigen
Heiland. Und diese ewige Erwählung, die führt der dreieinige Gott in dieser
Zeit nun durch sein Evangelium an uns aus, dass er uns also zum Glauben bringt
und darinnen erhält. Der Glaube, unsere Seligkeit, ist also tatsächlich eine
Wirkung eben dieser ewigen Gnadenwahl. Dadurch kann – und das ist ihre
eigentliche Aufgabe – die Lehre von der Gnadenwahl ein rechter Grund unserer
Heilsgewissheit sein. Anm. d. Hrsg.]
2. Entwürfe zu
Betrachtungen über gewisse Stücke des Katechismus. Erstes Heft, nach den
Abendmahlsprüfungen der letzteren Jahre in der Domkirche zu Lund, nebst einem
Anhange schriftlicher Aufzeichnungen von einfältigen Zuhörern. Lund 1836.
232 S.
Es ist der dritte Artikel, welcher hier, in der systematischen
Weise Schartaus, gründlich behandelt wird; und da er sich gerade hier auf
seinem eigentlichen Gebiete befindet, darf man mit Recht Treffliches erwarten. Mit
solchem Scharfsinne hat niemand in neuerer Zeit die Gnadenwirkungen bis in ihre
feinsten Nuancen entwickelt. Der Verfasser fängt damit an, zwischen Bekehrung,
lediglich als Werk des göttlichen Geistes betrachtet, und Buße, als
Annahme und Benutzung dieses Werkes von Seiten des Menschen, zu unterscheiden.
Ferner werden die Stufen der Erleuchtung im Verhältnis zu den
Gnadenwirkungen durchgegangen: der Glaube, als der Grundcharakter des
Wiedergeborenen, wobei die Vorbilder des Glaubens im alten Tetament mit viel
Ausführlichkeit und meisterhafter Klarheit betrachtet werden, wie auch die
Merkmale, die den schwachen Glauben doch als echten Glauben erkennen lassen;
endlich die Rechtfertigung, ihre Beschaffenheit und Vorzüge.
3. Fragen, zum ersten
Unterrichte in der Heilslehre gehörend, nebst einer Anleitung für die, welche
unterrichten sollen. Lund 1827, 76 S.
Der oben im sechsten Abschnitte erwähnte dritte Versuch, den
ersten katechetischen Unterricht darzustellen. Die Vorrede des Verfassers ist
vom Jahre 1816 datiert und enthält eine Rechtfertigung seiner Methode.
Alternative Fragen wechseln mit bestimmten ab.
4. Entwürfe zu Predigten.
Erstes Heft. Stockholm 1827. Zweites Heft. Stockholm 1828. (Zusammen
527 S.)
Mehr oder minder ausführlich, teils über die evangelischen,
teils die apostolischen Perikopen, wie zum Schlusse über die Leidensgeschichte
Christi; alle aber Zeugnisse eines mit ungewöhnlichen Gaben christlicher
Erkenntnis und Erfahrung ausgestatteten Mannes. Einige Entwürfe behandeln die
schwierigsten und verwickeltsten Fragen des christlichen Lebens. Ein Rezensent
dieser Arbeit äußert: „Für die Gegenwart wissen wir keine bessre Predigtweise
jungen Geistlichen, soweit es sich tun lässt, zur Beherzigung und freien
Nachfolge zu empfehlen als die Schartauische; wobei wir dennoch nicht umhin
können, unsre Überzeugung auszusprechen, dass dieselbe Lehre von solchen, die
der Bildung einer jüngeren Zeit teilhaftig geworden sind, wohl in einer noch
bessren und gleichwohl populären Sprache vorgetragen werden könne.“
5. Briefe über geistliche
Gegenstände. Erstes Heft. Stockholm 1828. 220 S. – Zweites Heft.
Stockholm 1830. 189 S.
An mancherlei Personen verschiedenen Standes, Alters und Geschlechts,
alle aber darin übereinstimmend, dass sie um ihre ewige Seligkeit bekümmert
waren und sich mit ihren Bekenntnissen und ihrem Vertrauen an Schartau gewandt
hatten. Einige waren auf dem Wege der Bekehrung schon weiter fortgeschritten,
bei andren fand sich nur eine Dämmerung des geistlichen Lebens. Der Charakter
und die individuellen Meinungen des Verfassers treten natürlich in diesen
Briefen mehr hervor als in seinen übrigen Schriften. „Man lernt hier eine
Persönlichkeit kennen, welche von lebendiger Frömmigkeit und gewissenhafter
Sorge für andre Seelen so ganz durchdrungen ist, dass nichts für sie da zu sein
scheint als nur so weit es mit diesen zwei Hauptangelegenheiten zusammenhängt.“
Hier kommt auch eine Schrift an das Königliche Gesangbuchkomitee
vor, Bemerkungen enhaltend „gegen den Entwurf der Verbesserung der
Kirchenlieder von 1815“. Dieselbe große Sorge um Reinheit der Lehre, welche
ein auszeichnender Zug bei Schartau ist, beweist sich auch hier. Im
Zusammenhang hiermit dürfte auch zu erwähnen sein, wie Schartau die in unser
neues Gesangbuch vom Jahre 1819 aufgenommenen Gesänge einteilte. Wir geben nur
die Klassen an, ohne die Nummern; beide finden sich in Wieselgrens schöner
Literatur der schwedischen Kirche, S. 404 ff. – I. „Alte Lieder, die
beibehalten sind und 1) in irgendeiner Art verbessert“; (deren sind sehr
viele); 2) an Reichhaltigkeit und geistlichem Gehalte verringert; davon zählt
Schartau 29 auf; 3) mit fehlerhaften Ausdrücken – an der Zahl 7. – II. Alte
Lieder, die übergangen sind, aber aufgenommen zu werden verdienten – ihrer 12,
samt einigen einzelnen Versen hier und da. – III. Neue Lieder 1) ersten
Ranges (d.h. von biblischer Einsicht und „geistlicher Berufung“ zeugend) werden
23 gezählt; 2) des zweiten Ranges („mit Zügen geistlicher Berufung“) 77; 3) des
dritten Ranges (mit biblischem Inhalte und fehlerfrei) 45; 4) des vierten
Ranges (mit fehlerhaften Ausdrücken) 13. – Die ganze Zahl der Nummern dieses vorzüglichen
Gesangbuches beträgt 500. –
6. Gedanken über
verschiedene Stellen der heiligen Schrift, nebst Anweisungen zum richtigen
Gebrauche der heiligen Schrift. Lund 1829. 224 S.
Über wichtigere Sprüche sowohl des Alten als des Neuen
Testaments werden hier geistreiche, praktische Erklärungen geboten. Fast mit
Vorliebe verweilt der Verfasser dabei, Verschiedenes in der Offenbarung
Johannis und das ganze Hohe Lied zu deuten, welches letztere auch, nebst andern
Schriftstellen, vom Verfasser besonders übersetzt ist. Die Vorrede zur Bibel
ist sachreich und schön. Einige von diesen Anmerkungen kommen auch in
Schartaus Briefen vor. –
Hier verdient auch Erwähnung, dass das Neue Testament von
Schartau mit einer Menge Parallelstellen versehen worden ist, eine Arbeit,
welche von seltener Vertrautheit mit der Bibel und von der ernstlichen Sorge
zeugt, in allen Richtungen mit dem anvertrauten Pfunde zu wuchern. Eine Ausgabe
dieses Neuen Testaments ist vor mehreren Jahren herausgekommen und ist für alle
von großem Werte, welche „forschen in der Schrift“. Der Titel ist:
7. Neues Testament. Nach
der großen Kirchenbibel mit Parallelsprüchen, einer Vorrede von weil. Propst
Heinrich Schartau, samt einer Erklärung aller im Neuen Testament vorkommenden
veralteten oder ungewöhnlichen Wörtern und Redensarten. Stockholm 1830.
8. Predigten,
größtenteils in ausführlicheren Entwürfen. 1. Band. Stockholm 1830. 669 S.
– 2. Band.ebendas. 1834. 698 S.
[Seitdem
ist, und zwar in Lund 1839, ein dritter Band, 713 S., herausgekommen. Im
Vorworte heißt es: „Seit Erscheinung des zweiten Bandes ist die dem Herausgeber
zur Verfügung überlassene Sammlung von Handschriften mit vielen vollständigen
Predigten vermehrt worden, welche der Verf. In den letzten Lebensjahren seinem
Sohne diktierte, um von demselben, als bestelltem Amtsgehilfen, abgelesen zu
werden. Solche vollständige Predigten, auch durch ihre Einfachheit
ausgezeichnet, enthält schon der dritte Band etliche. Durch diese Vermehrung
ist der Herausgeber in den Stand gesetzt, noch einen vierten Band
zu versprechen.“ Anm. d. Übers.]
[Die folgende Predigt von
Henric Schartau spielt eine bedeutende Rolle in dem klassischen lutherischen Roman
„Und etliches fiel auf den Fels“ von Bo Giertz. Der nachfolgende Text ist eine
Übersetzung des Herausgebers auf der Grundlage der englischen Übersetzung, die
erschienen ist in: S.G. Hagglund: Henric Schartau and the Order of Grace. Rock Island, IL, Augustana Book Concern. 1928.]
Siebenter
Sonntag nach Trinitatis
Einleitung
Da sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus
allein. Auf diese Weise schließt Matthäus seinen Bericht des einzigartigen
Ereignisses, das er im 17. Kapitel beschreibt.
Als Jesus einst mit etlichen seiner Jünger abseits ging auf
einen Berg, geschah es, dass die „Gestalt eines Knechtes“, die er angenommen
hatte, in die königliche Herrlichkeit verwandelt wurde, die ihm von jeher gehörte,
seit er geboren war, um ein König zu sein. Die Jünger, die es gewohnt waren,
Jesus in der Gesellschaft mit Sündern zu sehen, fanden ihn nun im Gespräch mit
zweien der „Geister des Neuen Jerusalem“. Sie fanden sich selbst in eine Wolke
eingehüllt und von großer Freude ergriffen, aber als sie wieder zu sich kamen
und „ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein“.
Wenn ein Sünder erstmals die Augen seines Verständnisses
öffnet, so werden sie hinabgewendet auf seine unerlöste Seele und seinen verlorenen
Zustand. Scham und Furcht sind verbunden mit niedergeschlagenen Augen. Esra
beschreibt die Betrübnis einer erwachten Seele auf solche Weise: Mein Gott,
ich schäme mich und scheue mich, meine Augen aufzuheben zu dir, mein Gott; denn
unsere Missetat ist über unser Haupt gewachsen, und unsere Schuld ist groß bis
in den Himmel.“ Das Gesetz bringt die Menschen dazu, besonders sich selbst
zu betrachten. Es treibt sie dazu, ihre Verdorbenheit mit Gottes Heiligkeit,
ihre Schuld mit seiner Gerechtigkeit zu vergleichen. Der Heilige Geist jedoch
hebt dann die Augen ihres Verständnisses empor zu Jesus allein. Die
Herrlichkeit Christi, die aus den Worten des Evangeliums hervorquillt,
erleuchtet ihr Herz und zieht ihre Gedanken zu Jesus, während die Liebe Gottes,
die in seinen Verheißungen sich offenbart, ihre geängsteten Herzen tröstet und
ihnen Mut gibt, sich zu Jesus zu wenden.
Es ist ein Segen, wenn eine gläubige Seele in der Schrift Jesus
allein sucht. Er ist der Kern und wesentliche Teil des Wortes, und die Schrift
zeugt von ihm. Wenn die Seele gelernt hat, alles im Wort Gottes zu betrachten
als etwas, das zu Jesus führt oder von ihm herkommt, dann hat ihr Suchen den
wahren Schatz und die köstliche Perle entdeckt.
Es ist ein Segen, wenn die gläubige Seele im Gebet ihre Augen
zu Jesus allein emporhebt, sich nicht umsieht nach ihren zerstreuten Gedanken,
nicht zurück zu Satan, der mit der Behauptung droht, dass die Gebete keinen
Zweck hätten, nicht in sich hinein auf die eigene Trägheit und laue Frömmigkeit,
sondern hinauf zu Jesus, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.
So,wie Jesus allein das Hauptthema der Predigten des Paulus
war, so dass er nicht dafür hielt, dass er etwas wüsste als allein
dasjenige, das verbunden ist mit dem Heiland, der einst gekreuzigt ward, so
soll auch mein Hauptthema sein: Jesus allein. Möge er allein uns Erleuchtung in
seinem Wort, Stärke und Rettung durch sein Wort schenken, und möge Gott uns
hören, wenn wir darum um Jesu willen bitten. „Vater unser ...“
Gliederung
JESUS ALLEIN
I. In der Erweckung als ihr
Ziel
II. In der Rechtfertigung
und neuen Geburt als ihre Grundlage
III. In der Heiligung als
ihre Kraft
Erster Teil
Es ist Jesus allein, der dafür gesorgt hat, dass der Heilige
Geist an einem sicheren Herzen zu dessen Erwachen arbeitet. Paulus sagt, dass
das Erwachen stattfindet in der Beziehung auf Jesus, in Verbindung mit ihm und
als ein Ergebnis seiner Erlösung, die vollendet wurde, als Gott Jesus von den
Toten auferweckte. Das Blut Jesu wurde selbst für diejenigen vergossen, die es
für eine unheilige Sache hielten, und erfleht auch für sie Gnade. Gott eifert
für die Ehre seines Sohnes; er will zeigen, dass die Sühnung gültig ist und
kraftvoll, und er erlaubt daher dem Heiligen Geist die schlafenden Gewissen zu
wecken. Jesus gab sein Leben für die verirrten Schafe, und er sucht, was
verloren ist. Es ist das Leiden Jesu, das um Erbarmen schreit. Es ist sein
Gebet, das die Gnadenregungen in toten Herzen weckt, und es ist um seiner
Verdienste willen, dass Gaben selbst für diejenigen bereitet sind, die
abgefallen sind.
Jesus allein ist die Grundlage für das Erwachen eines Sünders,
aber er ist auch dessen Gegenstand, denn es ist die Aufgabe des Gesetzes,
Sünder dahin zu treiben, die im Evangelium angebotene Gnade anzunehmen. Paulus
lehrt, dass Christus und die Rechtfertigung durch den Glauben an Christus die
Ziele des Gesetzes sind; Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt,
der ist gerecht. Dann beschreibt er wieder das Ziel des Erwachens wie folgt:
Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus, dass wir durch
den Glauben gerecht würden. So höre nun, o Mensch, dass das Gesetz
Schmerzen verursacht, damit du begierig den Trost ergreifst, der im Evangelium
verkündigt wird: dass Jesus für alle deine Sünden bezahlt hat. Das Gesetz
erschreckt dich, bedroht dich mit ewiger Qual, damit du die Zuflucht, die dir
in Jesus angeboten wird, annimmst. Wenn Gott in seinem Gesetz die
Vollkommenheit in allen Dingen fordert, so ist sein wahres Ziel, dass du ein
Teilhaber der Gerechtigkeit deines Erlösers wirst, der für dich das Gesetz
erfüllt hat.
Zweiter Teil
Ein Mensch wird gerechtfertigt allein durch den Glauben, aber
Jesus allein ist die Grundlage des Glaubens. Er hat dafür gesorgt, dass ein erwachter
Sünder zum Glauben kommen kann. Darum sagt ein Apostel, dass Jesus der
Anfänger und Vollender unseres Glaubens ist. Jesus hat nicht nur für die
Sünden gesühnt und Gerechtigkeit erworben, sondern er hat auch dafür gesorgt,
dass ein Sünder ein Teilhaber dieser Gnade wird. Und da dies durch den Glauben
geschieht, so hat Jesus auch dafür gesorgt, dass der Heilige Geist mit diesem
Ziel wirkt und einen wahren Glauben schenkt, damit die Gnadenwerke vollendet
werden mögen und jener Mensch die Früchte der Erlösung haben und genießen kann.
Jesus ist die Grundlage des Glaubens, denn er ist es, von dem
das Evangelium sagt, dass er all das Gute erworben hat, welches das Evangelium
jenen anbietet, die recht erwacht sind. Nur durch das Evangelium kann ein Mensch
zum Glauben kommen, denn das Evangelium spricht von Jesus, ja, über Jesus
allein. Jegliche Lehre, die nicht von Jesus spricht, welche Erfahrung und
Herrlichkeit sie auch immer verkünden mag, ist nicht das Evangelium. So ist
Jesus im Wort. Sein Leiden, sein Blut, sein Gehorsam und Tod werden im Wort
verkündigt, und das ist das einzige Mittel, um zum rechten Glauben zu kommen.
Es ist Jesus allein, den der Glaube umfasst und auf den er sich
bezieht. Wenn eine Person, nachdem sie die schrecklichen Untiefen ihres eigenen
Elendes gesehen hat, einmal einen rechten Eindruck von Jesus bekommen hat, so
kann sie ihre Gedanken nicht mehr von ihm wenden. Jesus wird alles für so
jemanden, und alles andere wird für Schaden und Dreck geachtet. Er sucht
nach Jesus, kommt zu ihm, sehnt sich nach seiner Gerechtigkeit, betet in seinem
Namen und hofft auf ihn allein. Er drängt danach, Christus noch fester zu
ergreifen und dass er ihm mit mehr Gewissheit und größerer Kühnheit trauen
kann.
Jesus allein ist die Grundlage und Hauptsache der
Rechtfertigung. Jesus allein wird von Gott betrachtet, wenn er eine Person
rechtfertigt. Gott sieht nur, dass der Sünder Christus angenommen hat und dass
er in Christus ist, in Gemeinschaft mit ihm. Gott zählt nicht zornig die Sünden
einer solchen Person, denn sie sind bedeckt mit dem Blut Jesu. Der Heiland ist
sündlos, und ein gerechtfertigter Mensch wird ebenso frei von Schuld angesehen
wie Jesus war, als er die ganze Strafe für die Sünden bezahlt hatte, und als so
rein, frei vom Sündenverderben, wie es Jesus immer war. Ebensowenig sieht Gott
gnädig auf die guten Taten einer Person; nein, er sieht nur auf seinen
geliebten Sohn. Wenn er auf unsere guten Werke sehen müsste, so würde er auch
die Sünden sehen, mit denen diese guten Werke befleckt sind, und er müsste um
seiner Gerechtigkeit willen strafen. Gott sieht nur auf seinen geliebten Sohn,
damit er etwas Vollkommenes finden möge, auf dem seine Augen ruhen können. Die
Sühnung und Gerechtigkeit Jesu allein werden dann von Gott dem gerechtfertigten
Sünder zugerechnet. Nichts anderes wird einer erwachten Seele helfen und sie
befriedigen. Nichts anderes genügt für unsere Errettung vom ewigen Feuer; keine
andere Gerechtigkeit ist vor Gott gültig und wohlgefällig, als diejenige seines
geliebten Sohnes, an dem er Wohlgefallen hat. Das ist der einzige Grund, warum
Gott Sünden vergibt und uns in seine Kindschaft aufnimmt. Die Sünden sind
vergeben, weil Jesus hat ausgetilget die Handschrift, welche gegen uns war
mit seiner durchbohrten, blutenden Hand; und um seines [Jesu] kindlichen
Gehorsames willen wird jeder, der an ihn glaubt, ein Kind Gottes. Um Jesu
willen wird jedes Kind Gott wie Jesus selbst angesehen, und ein ebensolches
Urteil wird im Himmel bei jedem Akt der Rechtfertigung gesprochen, wie es im
Hinblick auf Jesus verkündigt wurde bei seiner Verklärung: Dies ist mein
lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.
Jesus allein ist die Grundlage der neuen Geburt, denn allein der
Glaube an ihn bringt die Erneuerung des Herzens. Paulus drückt dies in Epheser
2,6 aus und sagt: Gott hat uns samt ihm in das himmlische Wesen gesetzt in
Christus Jesus. Wenn ein Mensch auf Jesus allein achtet und auf die
Heiligkeit, die er erworben und vollendet hat als er seine Freude hatte am
Gesetz des Herrn, empfängt er den Geist, der ihm die volle Erleuchtung im
Wort Gottes schenkt. Der Gläubige wird dann Jesus gleich, wie er verklärt in
sein Bild. Das Licht der Herrlichkeit Jesu erleuchtet die Seele, damit sie
das himmlische Licht im Wort Gottes recht sieht und klar versteht, wenn die
Sonne der Gerechtigkeit aufgeht und Gott Wohnung in der Seele macht. Gott
schenkt dem Gläubigen dann auch einen neuen Sinn, den Sinn, der auch in
Christus Jesus war. Sein Wille wird unser Wille, und wir wollen daher immer
demütig sein wie Jesus, sanftmütig wie Jesus, gehorsam wie Jesus, ein reines
Herz haben wie Jesus, und gelegentlich sind wir auch in der Lage, so zu sein,
denn in der neuen Geburt haben wir ein reines Herz und einen gewissen Geist
empfangen und einen Sinn wie den, der auch in Christus Jesus war.
Dritter Teil
In der Heiligung zeigt sich die Kraft unseres Herrn Jesus
Christus am besten, denn es ist Jesus, der für die Kraft sorgt, den alten Menschen
abzulegen und den neuen anzuziehen. Wenn du frei werden willst von deinen üblen
Gedanken, wenn du deine böse Lust stillen willst, wenn du erfolgreich deine
alten sündigen Gewohnheiten überwinden willst, wahrlich, dann gibt es dafür im
Himmel und auf Erden keine andere Hilfe als diejenige, für die Jesus allein
gesorgt hat. Er hat die Sünde überwunden, und in dem allem überwinden wir
weit um deswillen, der uns geliebet hat, denn er ist der Herr, der uns
heiligt. Die Heiligung des Geistes ist ein gewisses Ergebnis seines
Erlösungswerkes. Wenn du unfähig wärest,der Sünde zu widerstehen, wenn du dazu
gezwungen wärest, wieder in sie zu fallen, dann wäre die Vergebung nutzlos und
die Sühnung vergeblich. Aber sein Verdienst ist abgeschlossen und vollkommen;
und er hat es so eingerichtet, dass das Verdienst, das dir sofort und
unmittelbar in der Rechtfertigung zugerechnet wird, Stück für Stück in dir auch
die Heiligung bewirkt. Jesus stand nicht nur an deiner Stelle als ein gerechter
Mann, der sein Wohlgefallen hatte an Gottes Geboten und dessen Gerechtigkeit
dir zugerechnet wird, so, als ob du immer gerecht gewesen wärest, sondern er
hat es auch bewerkstelligt, dass du tatsächlich gerecht wirst und mehr und mehr
Wohlgefallen an Gottes Gesetz bekommst nach deinem inneren Menschen.
Je mehr eine Person im Glauben an den Herrn Jesus wächst, desto
mehr wird sie auch wachsen in guten Werken. Du empfängst nicht, wie du
vielleicht annimmst, mehr Glauben und Gnade von Gott aufgrund deiner Wachsamkeit,
Sanftmut, Geduld und Frömmigkeit, sondern es ist tatsächlich umgekehrt. In dem
Maße, in dem Jesus dir groß und herrlich wird, in dem Maße, in dem er dir
unersetzlich wird, wirst du in all den Tugenden wachsen, die ihre Kraft von ihm
haben. Je mehr der Glaube, der die Ursache der Liebe ist, wächst, umso mehr
wird auch die Liebe, die die Frucht des Glaubens ist, wachsen.
Liebe zu Jesus ist die Haupttriebfeder zur Heiligung in einer
bekehrten Seele. Es ist die Liebe zu Jesus, die die Gläubigen demütig ihm
gehorsam sein lässt in Trübsal und Leid, die sie befähigt, sein Kreuz zu
tragen, wenn der Herr es für ihre Heiligung nötig erachtet. Paulus bezeichnet
das Erkennen der Liebe Christi als den unmittelbarsten Grund dazu, erfüllt
zu werden mit aller Gottesfülle. Gleicherweise ist es die Liebe zu Jesus,
die auch die Sünden, die einem am meisten gefallen, abscheulich macht und die
schwersten Pflichten leicht. Es ist die Liebe zu Jesus, die uns befähigt, alle
Menschen zu lieben, denn er hat sie alle gewürdigt, Gegenstand seiner Liebe zu
sein. Es ist die Liebe zu Jesus, die unser Herz öffnet, dass wir Vertrauen zu
denen haben, die auch dafür bekannt sind, Teilhaber der gleichen Liebe Christi
zu sein. Es ist die Liebe zu Jesus, die unseren Ärger stillt, wenn wir
angegriffen werden, die den Hass tötet und den Gläubigen befähigt, seine Feinde
zu lieben, weil Jesus sie auch geliebt hat, genau so, wie Jesus uns geliebt
hat, als wir noch seine Feinde waren.
Jesus ist das ausgezeichnetste und einzig vollkommene Vorbild,
dem wir in der Heiligung folgen sollen. Bitte nicht darum, wie dieser oder
jener zu werden, sondern bitte darum, dass du wie Jesus wirst. Versuche nicht,
die Eigenschaften anderer nachzuahmen, ebensowenig ihr Maß an Gnade, sondern
gehe in den Fußstapfen deines Heilandes. Auf diesem Weg wirst du mehr und mehr
das erreichen, wozu du bei deiner Erwählung berufen warst, nämlich dass du gleich
wirst dem Ebenbilde seines Sohnes.
Anwendung
Weißt du, o
selbstsicherer Sünder, gegen wen du kämpfst, wen du verachtest? Das ist nicht
der Diener, der die Botschaft verkündigt, der du widersprichst, nicht Menschen,
über die du spottest wegen ihrer geistlichen Interessen, sondern Jesus allein,
Jesus, dessen Worte zu dir gesagt werden und dessen Glieder diejenigen sind,
die du schmähst. Sei versichert, dass Jesus allein in der Lage ist, deine
Bosheit zu überwinden und dich zu richten und zu strafen. Wie schrecklich wird
es für dich sein, wenn du auf deinem Sterbebett liegst am Ende des Weges und
erkennen musst, dass der Zorn des Sohnes auf dir liegt! Wie furchtbar dann die
bloße Erscheinung Jesu, wenn, in der Auferstehung, du dein Haupt aus dem Grab
erhebst!
Beachtet, was ihr gehört habt, o traurige Seelen, erinnert
euch, dass Jesus allein das Ziel eures Erwachens ist. Trachtet daher nicht nach
mehr Mitleid noch nach einer sofortigen Besserung auf eurem Lebensweg, sondern
trachtet nach Jesus allein. Denn wo könntest du nach Erlösung suchen als allein
bei deinem Heiland? Wo kannst du Rettung finden als allein bei ihm? Nirgendwo anders
kann sie gefunden werden. Wenn du ihn und in ihm Gerechtigkeit und Stärke
gefunden hast, wenn seine Gerechtigkeit deine Hilfe ist in Anfechtungen, wenn
seine Macht deine Stärke ist, ja, dann hast du Genüge in ihm, denn dann hast du
alles in ihm. Wenn es dann je geschehen sollte, dass du, wie die ersten Jünger,
etwas von seiner Herrlichkeit sehen solltest und schmecken von der Kraft des
zukünftigen Zeitalters, und wenn diese Herrlichkeit danach verschwinden
sollte, dann halte nicht nach Mose oder Elia Ausschau, sondern sei zufrieden
mit der Gnade, die jenen frühen Jüngern geschenkt wurde, von denen wir lesen: Da
sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein.
Wenn der Friede Christi dir wieder Stärkung gebracht hat und
seine Verheißungen dir Gewissheit der Gnade gegeben haben, dann wird es auch
verordnet sein, wenn der Tod kommt, wenn deine Auge nicht länger die Dinge
dieser Welt sehen können, dass dann der Blick deiner Seele geöffnet wird und
erfüllt mit himmlischem Licht, um die große Herrlichkeit zu sehen, von
Angesicht zu Angesicht, die nie aufhören wird – Jesus allein! Amen.