Nach den Vorträgen des Prof. D. Plitt
Herausgegeben von
Otto Hardeland
Ergänzt aus: Andreas Rudelbach:
Biographien von Zeugen der christlichen Kirche
Zusammengestellt und neu
herausgegeben von
Roland Sckerl
Mit einem Anhang über das
Wirken
des Missionars Thomas von
Westen
unter den Samen
Hans Egede, der Grönlandmissionar
Die Vorbereitung des Missionsunternehmens
Der Anfang der Mission in Grönland
Vertiefung der Arbeit unter den Eskimos
Die Notzeit – Seuche und Eindringen der Herrnhuter
Die Mission nach Egedes Rückkehr in die Heimat
Thomas von Westen und die Mission unter den Samen
Literaturnachweis:
- Geschichte der lutherischen Mission. Nach den Vorträgen des Prof. D. Plitt, neu herausgegeben und bis auf die Gegenwart fortgeführt von Otto Hardeland. 1. Hälfte. Leipzig 1894.
- Biographien von Zeugen der
christlichen Kirche aus verschiedenen Jahrhunderten. Von Dr. A[ndreas] G.
Rudelbach. Leipzig 1850.
In
der mittelalterlichen Hierarchie gab es auch einen Bischof von Grönland, der in
Garde an der Ostküste seinen Sitz hatte und der Kirche vorstand, welche die aus
Norwegen eingewanderten Menschen umfasste. Aber diese Kolonie starb aus, indem
vom Mutterland her die Verbindung mit ihr aufgegeben wurde und nun die
Ureinwohner, die „Skrällinger“, welche schon länger die Eingewanderten
befehdeten, sie mit Übermacht unterdrücken konnten. Um die Mitte des 15.
Jahrhunderts schwanden alle Spuren von der Kolonie und mit ihr von der
christlichen Kirche in Grönland. Nur die Erinnerung an sie erhielt sich in
Europa. Aber diese hatte etwas Belebendes und trieb zu manchen Versuchen, das
Verlorene wieder zu finden. Begreiflicherweise gingen diese Versuche, die in
erster Linie Handelszwecke verfolgten, in erster Linie von Norwegen und
Dänemark aus; aber alle waren vergeblich, so dass man schon die Hoffnung, das
Ziel zu erreichen, aufgab. Grönland wurde erst wieder gefunden, als ein höherer
Beweggrund als Geldgewinn antrieb, es zu suchen, ein Grund, der dem Herzen,
welches er erfasst hatte, keine Ruhe ließ, bevor nicht das Ziel gewonnen war.
Hans
Egede wurde
am 31. Januar 1686 in Nordland in der Vogtei Senjen als Nachkomme einer
dänischen Familie aus Vester-Egede in Seeland geboren. Schon 1707, nach nur
zwei Jahren Studium, wurde er zum Prediger in Vogen auf einer der Lofoten
ernannt und heiratete Gertrude Rask, die ihm nicht nur Gattin, sondern in jeder
Hinsicht auch Gehilfin wurde. Er erinnerte sich, im zweiten Jahr seiner
dortigen Amtsführung einmal gelesen zu haben, dass es in Grönland einst eine
christliche Gemeinde gegeben habe. Was ist aus der geworden? Diese Frage
beschäftigte ihn fortwährend, und als er nun von Seefahrern wie seinem Schwager
Niels Rask in Bergen hörte, die Ostküste sei jetzt des Eises wegen ganz
unzugänglich und in den südlichen Teilen des Landes gebe es nur wilde Heiden,
da erwachte in ihm der Wunsch, zu diesen, die er mit seinen Zeitgenossen für
verwahrloste Nachkommen der alten norwegischen Einwanderer hielt, zu ziehen.
„Er würde es für seine größte Freude und Glückseligkeit ansehen, wenn er ihnen
Christus predigen dürfte.“ Dies wurde ihm umso wichtiger, da er meinte, dass
die nächste Verpflichtung, ihnen das Evangelium zu bringen, denen obliege, die
selbst Norweger von Geblüt seien. „Gottes Ehre und die Seligkeit der armen
Menschen, das war sein innertes Verlangen, denn Christus war seiner Seele Trost
und Licht. Anfangs fürchtete er, dass seines Herzens Gedanken ihn täuschen
möchten, deshalb „seufzte er unablässig zu Gott, dass er ihn aus dieser
Versuchung hinausführen möchte, damit er nicht durch irgendein vermessenes
Unternehmen sich un die Seinigen ins Unglück stürzen sollte““. Doch die nicht
geringen Schwierigkeiten, welche sich zeigten, als sein Gedanke laut wurde,
bestärkten ihn nur; immer mehr wuchs in ihm die Gewissheit, dass der
Missionsgedanke ihm von Gott gekommen war. Daher versuchte er auf alle Weise,
seine Verwirklichung herbeizuführen.
Im
Jahr 1710 setzte er, noch keineswegs der festen Überzeugung, dass er berufen
sei, das Werk anzufassen, einen „Vorschlag zur Bekehrung und Erleuchtung der
Grönländer“ auf und schickte ihn an die, wie er dachte, geeignetsten Instanzen,
an die Bischöfe von Bergen und Drontheim. Beide antworteten tröstlich,
ermunternd, zeigten aber zugleich auch die Schwierigkeiten auf, auf die ein
solches Unternehmen stoßen müsste. Von Bergen aus breitete sich die Nachricht
von dem Vorhaben Egedes immer weiter aus. Alle Freunde widerrieten ihm; die
bekümmerten Verwandten, besonders seine eigene Mutter und die seiner Frau,
klagten laut, so dass Egede für den Augenblick von den Bitten und Tränen seiner
Hausfrau, von den Vorstellungen der Freunde überwunden, der Ansicht sich
hingab, er müsse seinen ersten Vorsatz wie auch die getanen Schritte als eine
Torheit bereuen. Doch aus dieser Versuchung half der Herr ihm heraus, indem er
weder Tag noch Nacht das Wort ferne zu halten vermochte: „Wer Vater oder Mutter
mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr
liebt als mich, der ist meiner nicht wert.“ (Matth. 10,37) Seine Frau meinte zwar
zunächst, dass dies wohl eher eine Versuchung Satans sei. Aber dann begab es
sich, dass sie allerlei Not und Verdruss durch einen benachbarten Prediger
bekamen, der missgünstig war auf den Zulauf, den Egede zu seiner Kirche hatte,
so dass auch seine Frau bereit wurde, von der Pfarrei zu scheiden. Egede
erkannte nun schon fester den Willen der Vorsehung und fühlte den Zwang der
Gnade. Er stellte seiner Frau vor, ob nicht eben diese Not ihnen von Gott
zugeschickt sein könnte, weil sie unwillig waren, sich selbst zu verleugnen und
in der Tat Christi Joch auf sich zu nehmen; er bat sie, mit ihm die Sache in
einem gläubigen Gebet Gott zu übergeben. Sie folgte dem Rat und „trug oft unter
Tränen die Sache Gott vor, bis der Herr ihren Willen beugte, so dass sie zuletzt
ein ebenso brünstiges Verlangen trug wie ihr Mann, Grönland zu sehen und dass
das Reich Gottes dort gepflanzt würde. Jetzt hatte der Herr mit beiden
gewonnen; Egede freute sich „wie einer, der über viele Sümpfe und schlüpfrige
Stellen eine Höhe erreicht hat und nun innig erfreut und dankbar erkennt, wie
der Herr ihm über dieses alles hinausgeholfen hat.““
Wie
aber sollte die Sache nun angepackt werden? Egede hielt dies fest, dass Gott
ihm ja offenbar gezeigt, er wolle mit ihm sein; alles Übrige legte er in Gottes
Hand, der am besten seine Stunde kennt und die Bezeigung der Gnade nur
aufschiebt, um das gebrechliche Werkzeug mit desto größerer Kraft zu
überkleiden. Denn die große Regel in Gottes Haushaltung, für alle Einzelnen wie
für die ganze Kirche, ist die: dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist
(2. Kor. 12,9). Egede versäumte nichts von dem, wodurch er meinte, dass das
Werk gefördert werden könnte. Als die Nachricht von der Errichtung des
Missionskollegs in Kopenhagen kam, wandte er sich am 30. Januar 1715 an dies
mit einer „schriftlichen und vernunftgegründeten Erklärung über die Hindernisse
und Einwendungen gegen die Bekehrung der heidnischen Grönländer“. Aber die
Antwort war eine Vertröstung auf die Friedenszeit. Durch Thomas von Westen, der
eben damals in Lappmarken seine Arbeit begann und mit dem Egede fortan in
stetem Briefwechsel blieb, ging er im nächsten Jahr den König selbst an, doch
auch dies war zunächst noch ohne Erfolg. So entschloss er sich denn, um die
Sache ernstlicher und nachdrücklicher zu betreiben, seine bisherige Stelle
aufzugeben. „Das Ganze ruhen zu lassen, erlaubte ihm der große Trieb, den er
hatte, dieses heilige Werk möglichst bald gefördert zu sehen, keineswegs, aber
freilich seinen Beruf und seine Gemeinde zu verlassen, durchaus sein und der
Seinen Wohl hintansetzend, war leicht gesagt, aber schwer auszuführen.“ Und als
es dazu kam, würde er es kaum hinausgeführt haben, wenn nicht seine früher
zaghafte, nun aber heldenmütige Frau ihm vorgestellt hätte, dass „wo er das
Werk mit Gott angefangen, es mit Gott beraten und in der Versicherung des
Glaubens an Gottes Hilfe und Beistand dieses alles beschlossen habe, so dürfe
er ja jetzt, da es zum Äußersten gekommen, keineswegs zweifeln oder kleinmütig
werden.“ So stärkte ihn Gott, „dass er in Jesu Namen von seinen Zuhörern,
seiner Mutter und seinen Geschwistern und andern guten Freunden einen
liebevollen und schmerzlichen Abschied nehmen konnte“.
Er
zog im Spätjahr 1718 mit Frau und Kind nach Bergen, um hier zu versuchen, wie
sich wohl am ehesten eine regelmäßige Verbindung mit Grönland wieder herstellen
lasse. Die meisten sahen ihn für einen Träumer und Toren an, besonders da kein
irdischer Anknüpfungspunkt zu sehen war. Dies Land gehörte ja nicht mehr so als
Provinz oder Kolonie zum dänischen Reiche wie Lappmarken und Tranquebar, dass
man daraus für den König die Pflicht hätte ableiten können, für die Bekehrung
seiner Untertanen zu sorgen. Und doch war wohl ohne eine derartige Verbindung
schwerlich an Beginn einer Missionstätigkeit zu denken. Daher sehen wir Egede,
der wahrlich an nichts weniger als Gewinn dachte, sondern dem das Heil der
Heiden das Ziel aller seiner Bemühungen war, an jene früheren erfolglosen
Versuche, den Handel mit Grönland wieder zu beleben, anknüpfen. Er hielt es für
nötig, zuerst weltliche Teilnahme für dies Land zu erwecken, um dadurch sich
den Weg auch zur Missionspredigt zu bahnen. Und vielleicht war wirklich diese
Einleitung der Sache die damals notwendige, obgleich das Missionskolleg in
einem Bericht bemerkte: „Wir mögen ja nicht leugnen, dass wenn einer oder
mehrere sich von Gottes Geist getrieben und gestärkt fühlten, ohne so viele
Umstände den nächsten Weg einzuschlagen, sich auf einem Schiffe, das sonst nach
Grönland fährt, hinauf begäben und sich nach den Sitten des Landes bequemten,
so dass sie in Einfalt und Glauben von Gottes Hand erwarteten, was seine
Vorsehung zur Ausführung des Vorhabens bestimmen möchte, - dass dies unstreitig
die kürzeste Art und Weise wäre, den Heiden dort das Evangelium zu bringen.“
Jedenfalls hat diese Verbindung der Missionssache mit einem Handelsunternehmen
und das Stützen der Missionssache darauf den Beginn der Arbeit sehr verzögert
und auch weiterhin der Mission Gefahr und Schaden gebracht.
Auch
eine längere persönliche Anwesenheit Egedes in Kopenhagen im Frühjahr 1719
förderte die Sache nicht besonders, obwohl er den König geneigt fand. Dennoch
war der erste Schritt von Seiten des Königs – ein Befehl vom 17. November 1719
an den Stiftsamtmann und die Obrigkeit in Bergen, etliche der erfahrenen
Handelsleute und solche, die früher nach Grönland geschifft waren, auf dem
Rathaus in Bergen zu versammeln, um zu erforschen, ob sie möglicherweise
geneigt wären, mit königlicher Unterstützung den früheren Handel mit Grönland wieder
aufzunehmen – gar zu schwach, um eine echte Wirkung zu haben. In dieser Zeit
„presste Gott viele Seufzer aus seinem Herzen, aber er ließ nicht ab mit
unablässigem Gebet und Flehen, bis er wieder imGlauben gestärkt und in seinem
Herzen der Erhörung gewiss würde“. Er sah wohl ein, „dass es Gottes
Wohlgefallen sei, ihn in der Prüfung noch zu erhalten, um ihm beständig
völliger zu lehren, dass er sich nicht auf Menschen, sondern allein auf Gott
verlassen sollte. So hielt er sich an den Herrn, der alles vermag, und hoffte,
er werde wohl die Mittel zur Ausbreitung seiner Ehre erwecken, wenn seine Zeit
und Stunde gekommen sei“.
Der
Winter 1720 und auch der darauffolgende Sommer vergingen, ohne dass Egede in
seinem Werk vorwärts gekommen wäre. Im Gegenteil, er und seine Frau wurden
immer wieder mit Spott und Hohn überschüttet. Ja, man sagte seiner Frau, dass
es doch sehr töricht gewesen sei von ihrem Mann, Amt und Brot zu verlassen und
sich an einem so teuren Ort wie Bergen niederzulassen. Sie antwortete: „Sie
bilde sich nicht ein, ihres Mannes Beschlüsse bestimmen oder ihn hindern zu
können in den Dingen, die auf Gottes Ehre abzielen, so lange er nicht selbst
mit gutem Gewissen sich davon lossagen könne; was Gott wolle und was ihr
Eheherr wolle, damit sei sie wohl vergnügt.“ Und Gottes Stunde kam, wenn er
auch noch längere Zeit warten musste. Endlich nach zwei Jahren gelang es ihm in
Bergen, durch die Hilfe von Freunden des Reiches Christi, darunter dem Bischof
von Bergen und den dortigen Predigern, ein Kapital von 10.000 Reichstalern
zusammen zu bringen, mit welchem ein Schiff, „die Hoffnung“, gekauft wurde. Und
nun lief, am 15. März 1721, auch die Erlaubnis des Königs zum grönländischen
Unternehmen ein. Er ernannte Egede zum dortigen Missionar mit einem Jahresgehalt
von 300 Reichstalern.
Am
3. Mai 1721 lief „die Hoffnung“ mit insgesamt 46 Personen, einschließlich Egede
und seiner Familie, von zwei anderen Schiffen begleitet, von Bergen aus,
nachdem die Mannschaft in Pflicht genommen und Egede als dem Haupt des
Schiffsrates unterstellt war. Am 12. Juni erblickte man die Südspitze von
Grönland, aber nun kam neue Gefahr durch das Eis. Am 24. Juni waren sie
vollständig von Eisbergen eingeschlossen, schienen rettungslos verloren. Sie
konnten nicht mehr manövrieren, da der Wind plötzlich nach Süden umsprang. Aber
der Herr erhörte das Flehen seines Knechtes, „dass er seine Ehre retten und den
Glauben stärken wollte, damit auch andere daraus Veranlassung nehmen könnten,
seine wunderbare Vorsehung, Güte und Allmacht zu preisen“. Nach und nach
gewannen sie wieder Raum, das Eis wich gegen alles Vermuten, gegen Mitternacht
legte sich der Sturm und es klärte sich auf. Am 3. Juli gelang es, bei der
Insel Imeriksok einen passenden Hafen zu finden. „Hoffnungsinsel“ nannte Egede
den Platz der Landung, voller Freude darüber, dass er endlich das lang ersehnte
Land hatte sehen und betreten dürfen. Und es war gut, dass er Hoffnungen hegte,
die auf die Verheißungen Gottes begründet waren; denn was er zunächst erfuhr,
war nicht geeignet, viel Mut zu machen.
Zuerst,
am 8. Juli, fing man in des Herrn Jesu Namen an, ein Wintergebäude von Torf und
Stein zu errichten, inwendig mit Brettern bekleidet. Scharenweise kamen die
Grönländer hinzu und betrachteten den Bau. Zuerst meinten sie, es werde ein
Schiff gezimmert; als sie aber die Bestimmung merkten, gaben sie durch Zeichen
ihr Missfallen zu erkennen, deuteten an, sie sollten besser wieder wegziehen,
da sie sonst ein Opfer der Witterung und des Winters werden würden. Am 31.
August war das Gebäude fertig; Egede hielt an demselben Tag die erste Predigt
auf Grönland, über Psalm 117. Auch ging er daran, soweit es immer möglich war,
das Land mit seinen Flüssen und dem Meer näher in Augenschein zu nehmen. Wo immer
er dabei auf Grönländer traf, zogen sie sich scheu vor ihm zurück. Erst um die
Weihnachtszeit kam es zur Annäherung bei einigen, die in der Nähe der
Niederlassung ihre Winterhütten aufgeschlagen hatten und wegen der ungünstigen
Witterung nicht wegziehen konnten. Und nach und nach gewöhnten sich die Heiden
nicht nur an ihn, sondern gewannen ihn lieb und empfanden eine solche Ehrfurcht
vor ihm, dass er bald allein ohne Furcht unter ihnen weilen und in ihren Hütten
nächtigen konnte. Sein heiliger Wandel, seine allzeit hilfsbereite Liebe
nötigten ihnen diese Zuneigung und Achtung ab, während die meist des Handels
wegen mitgekommenen Schiffsgenossen sich auch hier den traurigen Ruf der
Europäer in den Kolonien erwarben, nämlich dass ihr Leben wo möglich noch schlimmer
sei als das der eingebornen Heiden. Es ist bezeichnend, dass ein
grönländlischer Lustigmacher den Vorschlag machen konnte, Angekutten, also
heidnische Priester und Zauberer, nach Europa zu schicken, um die Leute dort zu
guten Sitten zu bekehren, wie der dänische König Priester ausgesandt habe, um
die Grönländer zu bekehren. Ein anderer Heide erklärte allen Ernstes, das
Christentum nicht annehmen zu wollen, damit er nicht den schlechten Matrosen
ähnlich würde.
Aber
die werdende Zuneigung der Grönländer half Egede noch nicht viel, da die
Scheidewand der Sprache, welche zwischen ihm und ihnen bestand, eine fast
unübersteigbare zu sein schien. Die Sprache der Eskimos ist eine ungemein
schwierige. Sie hat einen große Wortreichtum für die Dinge des natürlichen
Lebens, während es ihr für das Geistige und Religiöse, wie dies bei so vielen
einfachen Völkern der Fall ist, fast ganz an Ausdrücken mangelt. Die
Hauptschwierigkeit für den Fremden aber besteht in der Eigentümlichkeit der
Sprache, endlose Zusammensetzungen zu bilden, wodurch ziemlich lange Sätze mit
wenigen Worten gegeben werden können. Und dazu fehlte es Egede an jeglichem
Bindeglied, wie solches doch zum Beispiel für die ostindischen Missionare
vorhanden war. Es gab keine grönländische Literatur, an der er Grammatik und
Wortschatz hätte lernen können; es gab keine Europäer, welche der Sprache
mächtig waren, um ihm irgendwie als Lehrer oder Dolmetscher zu dienen. So war
er ganz auf sich angewiesen. Aber er verzagte nicht. Einen leisen Anfang der Verständigung
machte er mit Bildern und Zeichen, und als er erst die Bedeutung des Wortes
„Kina“ = „Was heißt das?“ erfasst hatte, konnte er den Versuch machen, ein
grönländisches Vokabular anzulegen. „Diese Menschen“, sagt er, „sind allem
Gottesdienst fremd, und ich vermag nicht Worte in ihrer Sprache zu finden,
durch welche die wesentlichen Geheimnisse unseres Glaubens ihnen erklärt werden
können. So muss man fürs erste solche Wörter aus unserer Sprache dazu
entlehnen, welche durch Zeichen und Bilder weiter erklärt werden können, bis
sie den Sinn davon einigermaßen fassen.“ Sehr richtig sah er, dass das beste
Mittel, die Sprache zu erlernen, ein möglichst anhaltendes Zusammenleben und
engere Gemeinschaft mit den Bewohnern sei. Dies suchte er daher zu erreichen
und reiste häufig zu den Grönländern und übernachtete auch in ihren volkreichen
Hütten. Unterstützt wurde er durch seine Kinder, die schneller als der Vater
das Grönländische gewissermaßen als eine zweite Muttersprache lernten und nun
zwischen ihm und den Bewohnern den Verkehr vermittelten. Schon im Jahre 1723
war er weit genug in der Sprachkenntnis gekommen, um „einfältige
Christentumsfragen“, die Grundlinien eines Katechismus, für seine Schüler
aufzusetzen, und am 10. Januar 1724 durfte er es wagen, vor einer großen
Versammlung von Heiden die erste grönländische Predigt zu halten.
Ein
wichtiger Schritt zur Förderung der Mission im Jahr 1722-23 war der Entschluss
Egedes, einige Grönländer in sein Haus zu nehmen. Für’s erste waren es zwei
Knaben, die bereits gegen Ende 1722 so weit fortgeschritten waren, dass sie
alle Buchstaben kannten. Egede meinte nämlich, er müsse die Kinder, so viel
sich dazu bewegen ließen, aus dem Buch lehren, damit sie umso besser das
Vorgetragene behielten und darüber nachdächten. Anfangs ging der Wunsch aber
bei vielen nicht in Erfüllung, denn sie sahen nicht ein, wozu das nütze sein
sollte, den ganzen Tag mit einer Feder zu ritzen wie ein Kaufmann oder in ein
Buch zu gucken. Es sei doch weitaus ergötzlicher, sich auf der See zu tummeln,
wo sie ja ohnehin ihre Nahrung suchen mussten. Egede aber wurde nicht müde.
Während die ersten Kinder zu Hause das Lesen lernten, zog er gewöhnlich am
Montag zu den volkreichsten grönländischen Hütten und blieb dort bis zum
Freitag, weil dann die Vorbereitung für die den Kolonisten zu haltende Predigt
ihn nach Hause rief. Allmählich wurde auch sein ältester Sohn Paul ihm zu einem
tüchtigen Gehilfen; schon jetzt schaffte er großen Nutzen durch das Zeichnen
der biblischen Geschichte; hin und wieder langte er wohl auch in Gegenwart der
Grönländer seine Geige hervor, um auch durch die Töne, wie der Vater meinte,
bessere Gefühle zu wecken und zu nähren.
Doch
auch mit der Beseitigung dieser in der Sprache gelegenen Schranke waren nicht
alle Hindernisse hinweggeräumt. Es blieb noch immer ein sehr beschwerliches,
welches in der Lebensweise des Volkes lag. Nur während der Winterzeit konnten
die Grönländer in größeren Haufen zusammen wohnen; wenn der Frühling kam, mussten
sie sich, um den Lebensunterhalt zu beschaffen, zu Jagd und Fischfang weit
entfernen und zerstreuen. Dann vergaßen und verlernten sie schnell, was sie mit
Mühe während des Winters sich angeeignet hatten, und im Herbst musste er
Unterricht so gut wie ganz von vorne wieder angefangen werden. Dadurch wurden
die Fortschritte in sicherer Heilserkenntnis ungemein erschwert. Es fehlte alle
Stetigkeit des Unterrichtes und bei diesem selbst mangelte es den an sitzende
Lebensweise durchaus nicht gewöhnten Grönländern an Ausdauer.
Doch
scheint Egede allerdings diese auch ziemlich auf die Probe gestellt zu haben.
Es kam ihm auf eine möglichst gründliche Unterweisung an. Zu dem Zweck hatte er
sich einen eigenen Lehrplan entworfen und es hat den Anschein, dass er diesen
ziemlich genau einhielt. Wenigstens hören wir, dass er oft zu den Heiden von
dem allmächtigen Schöpfer und seinen Werken als etwas Grundlegendem redete, und
die Grönländer erzählten von ihm weit ins Land hinein, es sei ein Mann
gekommen, der vom Schöpfer Himmels und der Erde zu berichten wisse. Es ist
begreiflich, dass den Heiden dieser Lehrgang zu weitläufig war und dass sie
besonders die Geduld verloren, wenn er gar eine lange Predigt hielt.
Aufmerksamer waren sie, wenn er ihnen Bilder von den Heilungswundern des Herrn
zeigte und erklärte oder wenn er Kranken von Christus, dem Gottessohn, der die
Toten wieder erwecken werde, erzählte.
So
fehlte es wahrlich an Schwierigkeiten nicht. Aber Egede, ein Mann des Glaubens
und des eifrigen Gebets, hielt in treuer Arbeit aus und erwartete geduldig die
Zeit, in der Gott ihm die Frucht sehen lassen würde. Und sie kam. „Bis zu
dieser Stunde – schrieb er 1723 – habe ich keine sonderliche Andacht oder
Bewegung bei den Grönländern wahrgenommen; doch beginnt nach und nach der Geist
und das Licht der Gnade und Wahrheit in ihnen hervor zu schimmern, indem sie
bei unseren Gebeten und Gottesdiensten sowie bei der wiederholten
eindringlichen Ermahnung von uns mehr Aufmerksamkeit als früher zeigen und
unter Anrufung des Namens Jesu sowohl sich niederlegen als aufstehen.“ Und die
Eindrücke wurden tiefer und nachhaltiger. Sobald die Eingebornen hörten, „der
Priester“ sei gekommen, hatten sie alle Furcht abgelegt; selbst die Frauen
kamen herbei. „Wir waren“, erzählt Egede zum Mai 1723 „ins Land nordwärts
gereist; da trafen wir Leute, die uns, so wie wir ihnen, fremd waren. Doch
hatten sie von uns gehört, und besonders war ihnen das von andern Grönländern
berichtet, dass ich vom Schöpfer Himmels und der Erde ihnen zu erzählen wusste:
Ich möchte also davon mit ihnen reden. Ein jeder wollte mich in sein Zelt
haben, und wo ist eintrat, versammelten sich die Übrigen vor der Tür, um zu
hören, was ich ihnen von Gott und dem Himmelreich sagen konnte.“ Über hundert
Grönländer begleiteten ihn von einem Ort zum andern und „freuten sich, wenn sie
ihn von den göttlichen Dingen erzählen hörten; denn davon, sagten sie, hätten
sie bisher nichts gehört noch gewusst“. Nach einer Missionsreise, die er im
nächsten Jahr machte, fasste er das Ergebnis seiner Erfahrungen in die Worte:
„Ich kann in Wahrheit bezeugen, dass ich jetzt größeren Ernst und größere
Aufmerksamkeit sowohl bei Alten als Jungen verspüre, weit mehr als man in
solcher Unvollkommenheit von beiden Seiten erwarten konnte.“ Scharenweise kamen
die Grönländer aus ihren Hütten, ihn zu sehen und zu hören, und manches
rührende Bekenntnis aus ihrem Munde gab Zeugnis, dass die Predigt von Christus
sich auch an ihnen erwies als eine Kraft Gottes. An einem Ort antwortete ihm
ein bettlägriger Mann, als er die Predigt von Christus, Gottes Sohn, welcher
die Toten auferwecken werde, vernommen: Er werde nie das Wort vergessen und
danke ihm von Herzen, dass er zu ihnen gekommen sei. Bald darauf hatten die
Nachbarn sich im Hause versammelt. Eine alte Frau bat ihn, er möchte diese
trostreichen Worte ihrem Sohn sagen, damit dieser sie seinem kranken Vater
vorsagen könne, damit auch er in Gottes Reich käme. In diesem Jahre konnte er
die erste Taufe vollziehen, und zwar an einem Kind.
Mit
der Taufe hielt er ungemein zurück, in beständiger Furcht, das Sakrament zu
entwerten. Es genügte ihm nicht, dass die Grönländer ihren Glauben an das, was
er predigte, bekannten und die Taufe begehrten. Er erfüllte ihre Bitte nicht,
solange er überzeugt war, dass sie noch nicht zur ernsten und aufrichten Buße
gekommen seien, und auch dann war er noch bei solchen bedenklich, die im Sommer
durch die weite Entfernung sich seiner Aufsicht entzogen. Die Taufpraxis machte
ihm viele und schwere Gewissensbedenken, und man fühlt sich zu dem Urteil
versucht, dass er in manchen Fällen wohl zu sehr gezögert habe, dessen nicht
genug eingedenk, was der Geist Gottes selbst eben durch das Sakrament an und in
den Seelen der Getauften wirken will. Erst 1729 einigte er sich mit seinen
beiden nachgeschickten Kollegen über ein festes Verfahren. Er stellte ihnen
vor, wie „er unter Gebet und Beratung mit Gott kein besseres Mittel zur
Bekehrung der Heiden erkannt habe, als dass man sich besonders die Kleinen und
Unmündigen angelegen sein lasse, von welchen der Herr gesagt, dass solchen das
Reich Gottes gehöre. Nun habe er aber so viele Kinder, denen er so herzlich
gern das Seligkeitsmittel gegönnt, ohne Taufe und Christentum hinsterben sehen,
obwohl ihre Eltern sich ganz willig erklärt hatten, nicht nur ihre Kinder
taufen zu lassen, sondern selbst die Taufe zu empfangen. Er könne es jetzt
nicht länger über sein Herz bringen, ohne dass er doch durch irgendein
Gottesmittel sie aus ihrem Elend und Verderben herausgerissen sähe. Was die
Alten betreffe, so könne man sich wohl noch nicht erkühnen, ihnen das heilige
Seligkeitsmittel mitzuteilen; denn obwohl sie bekannten, dass sie glaubten und
Gott fürchteten und lieb hätten, so geschehe dies doch gar zu lau und
kaltsinnig, ohne eine rechte Erkenntnis ihres eigenen tiefen Verderbens und der
Herrlichkeit der Gnade Gottes in Christus. Seine Meinung gehe deshalb dahin,
dass hinsichtlich der Grönländer, welche auf der Kolonie wohnten und ihren
gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht zu verlassen pflegten, so dass man ihnen stets
mit Unterricht aus dem Worte Gottes zur Hand sein könne, man (vorausgesetzt,
dass sie zugleich lehrwillig und wohlgesittet sich zeigten) sich kein Gewissen
zu machen brauche, ihre neugebornen Kinder durch die heilige Taufe in das Reich
Gottes aufzunehmen, zumal wenn man daneben sich der Hoffnung hingeben dürfte,
dass hier im Land, wie in der gemeinen Christenheit überall, Nationalkatecheten
würden gebildet werden können, die sich unter Aufsicht und Anleitung der
Missionare dieser Kinder annähmen“. Mit den etwas älteren Kindern wollte man
ebenso verfahren, wenn sie die vornehmsten Hauptstücke des christlichen
Glaubens einfältig gefasst hätten, und endlich auch mit den Erwachsenen und
Alten, wenn diese nächst nötiger Erkenntnis und Verständnis der christlichen
Lehre Zeichen einer rechten Andacht und eines wahren Ernstes in der Sache der
Seligkeit gäben und ein Verlangen nach dem Sakrament äußerten. Nach diesem
Bericht handelte man dann, und so wurden 1731 schon an 150 getaufte Kinder
gezählt, während man mit der Taufe Erwachsener noch weiterhin ungemein
zurückhaltend verfuhr.
Einer
von den bleibenden Gründen für diese Zurückhaltung war, wie schon bemerkt, die
unstete Lebensweise der Grönländer. Eben diese rief nun schon früh in Egede den
Wunsch nach Hilfe wach. Er sah, wie notwendig es sei, dass man Lehrer und
Seelsorger habe, die den Grönländern in der Sommerzeit auf die Hauptplätze der
Jagd und Fischerei nachgehen und dort die Arbeit an ihnen fortsetzen könnten.
Und es schien, als werde man nach und nach seinen Wunsch erfüllen, indem in
Dänemark die Teilnahme für das grönländische Unternehmen wuchs und man geneigt
war, die dortige Missionsarbeit nicht nur zu erhalten, sondern auch
auszudehnen. Bereits 1723 erhielt Egede den ersten Gehilfen in Albert Top,
der für eine neue Kolonie, die man anlegen wollte, bestimmt war, und 1728 kamen
abermals zwei Gehilfen aus der Heimat. Dazu wurde Egede von seinen
heranwachsenden beiden Söhnen Paul und Nils, denen der Umgang mit den
Grönländern noch leichter fiel als dem Vater, kräftigst unterstützt. Aber diese
Hilfe, so dankenswert sie war, genügte nicht. Egede erkannte es als durchaus
notwendig, aus den Grönländern selbst Mitarbeiter zu erziehen. Auf eingeborene
Katecheten ging sein Streben, weshalb er den Vorschlag machte, im Land selbst
Seminare einzulegen, in denen solche Katecheten ausgebildet werden könnten.
Aber zu diesen kam es bei seinen Lebzeiten nicht. Man vermochte kaum die
einfachsten Schulen in Gang zu bringen; wie hätte man da die Gründung eines
Seminars wagen sollen?
Für
die Missionsarbeit besonders gesegnet war das Jahr 1725. Am Neujahrstag wurde
„der kleine wilde Junge, den Egede bei seinem Kollegen Top in Repisene
zurückgelassen, getauft“. Durch christlichen Unterricht und Umgang hatte dieser
Junge einen solchen Begriff von seiner Seligkeit erlangt, dass er die heilige
Taufe mit großer Andacht, ja mit tränenerfüllten Augen empfing. Er erhielt in
ihr den Namen Friedrich Christian und wurde später ein gesegnetes
Werkzeug, sein eigenes Volk zu unterrichten. In diesem Jahr sandte Egede auch
seinen ältesten Sohn Paul, der inzwischen 18 Jahre alt war, aus, selbständig
unter den Grönländern zu wirken.
Im
Jahr 1730 kam ein Mann zur Kolonie von den Koeks-Inseln, der kürzlich im Norden
gewesen war und den vorigen Winter sich in der Diskobucht aufgehalten hatte. Er
brachte von den dort wohnenden Grönländern eine Botschaft in folgenden Worten
mit: „Sage dem Redner, dass er nach Norden zu uns kommen und hier seine Wohnung
aufschlagen soll, denn hier ist das Land besser und es sind mehr Leute hier als
dort unten, wo er jetzt wohnt. Er soll bei uns alles empfangen, was die
Schiffsleute sonst zu erhalten pflegen; denn diese können uns nichts von
Bedeutung sagen und sprechen auch von nichts anderem als von Speck. Wir möchten
auch gern gründlichen Unterricht vom großen Schöpfer empfangen, von welchem
diejenigen mit uns gesprochen, die ihn gehört haben.“ „Wer wollte nicht“, brach
Egede hierbei aus, „von solcher denkwürdigen Rede und Botschaft sich bewegen
lassen, in einer fruchtbringenden Hoffnung Gott und den Schöpfer an jenen Orten
bekannt zu machen“, und freute sich herzlich, da er nicht selbst hinkommen
konnte, seinen Sohn Niels mit der Verkündigung des Heils und der Freude den
verlangenden Seelen entgegensenden zu können.
Man
darf aber nicht meinen, dass, auch als sich Früchte der Arbeit zeigten, diese
je aufgehört habe, eine sorgenvolle, ja schmerzensreiche zu sein, und zwar
wurden die meisten Sorgen und Schmerzen Egede von der Heimat aus und durch die
von dort Gekommenen verursacht. Wir bezeichneten es schon als einen sehr
misslichen Umstand, dass die grönländische Mission von Anfang an mit einem
Handelsunternehmen verknüpft war. Eine solche Zusammenkopplung ganz
verschiedener Interessen konnte nicht anders als schädlich wirken. Egedes
Hauptzweck war natürlich die Mission; ihrer Förderung wollte er alles dienstbar
machen. Die Handelsagenten dagegen wollten Geld verdienen und sahen scheel zu
allem, was getan wurde, ohne diesen Zweck zu fördern. Und in der Heimat hielt
der anfängliche Eifer nicht lange an. Als man zu erkennen glaubte, dass kein
Geschäft bei der Sache zu machen sei, löste sich die Gesellschaft wieder auf
und die Regierung, welche jener schon den Ertrag einer Landeskollekte über
50.000 Reichstaler als Unterstützung überwiesen hatte, musste 1728 die
grönländische Kolonie allein übernehmen und die Verbindung mit ihr unterhalten.
Dies geschah zuerst, da der König der Sache seine Teilnahme zugewandt hatte,
mit Nachdruck. Man wollte die Kolonie Godhaab (Gute Hoffnung) erweitern und
schickte zu dem Ziel in trauriger Verirrung eine Anzahl männlicher und
weiblicher Sträflinge dorthin, und um diese in Ordnung zu halten dann wieder
Soldaten und ernannte einen Gouverneur für Grönland. Aber mit dieser unklugen
Maßregel versetzte man der Mission einen Schlag, wie er schlimmer kaum möglich
war. Denn hatten vorher schon die mitgekommenen Europäer Egede viel Mühe
gemacht, so war dieser Auswurf der heimischen Bevölkerung gar nicht mehr zu
bändigen und drohte alle Früchte der bisherigen Arbeit zu zerstören. Egede
klagt: Während man unter den wilden Heiden Grönlands sich ruhig niederlegen
könnte, sei man unter den Eigenen, die sich Christen nennen, seines Lebens
nicht sicher. Die Kolonisten mussten Gewehre in ihren Zimmern haben, die Angstellten
jede Nacht abwechselnd Wache schieben. Es war ein Glück, dass der Tod unter den
neuen Kolonisten arg aufräumte und damit ähnliche Kolonisationsgedanken für die
Folgezeit beseitigte. Aber im Zusammenhang hiermit stand auch, dass 1731 nach
dem Tode des Königs Friedrich IV. der Befehl kam, die zu kostspielige Kolonie
ganz aufzugeben. Dadurch wäre auch die Mission so gut wie aufgehoben gewesen.
Denn wenn auch Egede, zu dem die Grönländer sagten, er könne ja stets bei ihnen
bleiben und wie sie von Rentieren, Vögeln und Fischen leben, willens war,
auszuharren, so musste er sich doch sagen, dass, wenn die Verbindung mit der
Heimat aufhörte, mit ihm die Mission starb. Und was sollte dann aus den 150
getauften Kindern werden? Jetzt legten sich ihm diese als eine schwere Last
aufs Herz, so schwer, dass er zwei Jahre lang wieder die Kindertaufe aussetzte.
Jene
Gefahr ging wieder vorüber. König Christian VI., wahrscheinlich vom Grafen Zinzendorf
dazu bewegt, beschloss, das Werk seines Vaters nicht aufzugeben, sondern mit
neuen Kräften weiterzuführen. Aber das hier so segensreiche Auftreten
Zinzendorfs wurde nach anderer Seite hin für Egede bald ein Quell mancher
Verdrießlichkeiten.
Dasselbe
Schiff, mit welchem die Nachricht von dem Entschluss des Königs nach Grönland
kam, barg den Keim neuen furchtbaren Verderbens. Es brachte einen
grönländischen Knaben, der nach Kopenhagen geschickt war, in die Heimat zurück
– und dieser war von den Blattern befallen. Man erkannte die Krankheit nicht
sogleich, sondern hielt sie für bloßen Ausschlag, so dass man ihn ungehindert
umherziehen ließ. So kam diese entsetzliche Krankheit nach Grönland und begann
ihren verheerenden Zug durch die Niederlassungen der armen Bewohner. Einer der
ersten, den Egede ins Grab legen musste, war Friedrich Christian, sein
Lieblingsschüler, ein Eingeborener, der das Evangelium wirklich mit dem Herzen
erfasst hatte, und dabei so bildungsfähig war, dass Egede ihn schon fast drei
Jahre hatte als Katecheten gebrauchen können. Er war auch der Sprachlehrer
Egedes und dessen ältesten Sohnes gewesen. Am 14. September 1733 gab er seinen
Geist in die Hände des Gottes, an dessen Gnade er sich tröstete, nachdem er
schon in der Krankheit die größte Geduld gezeigt hatte. „Wie wunderbar und
unbegreiflich“, schrieb Egede dazu, „ist doch des Höchsten Rat und Weg, indem
er uns ganz der Mittel beraubt, welche nach unserer menschlichen Einsicht am
meisten die Ausbreitung seiner Ehre fördern könnten! Lehre uns, o Gott, dass
wir uns darein ergeben und in einer lautern, einfältigen Hingabe uns deiner
wunderlichen, doch seligen, Führung und Leitung befehlen.“
Ihm folgten Hunderte seiner Volksgenossen ins Grab. Vom
September 1733 bis zum Juni 1734 wütete die Blatternkrankheit in Grönland. Im
Jahr 1734 waren von sämtlichen Grönländern auf der Kolonie nur noch ein kleiner
Knabe und ein kleines Mädchen übrig, und auch in den benachbarten
Niederlassungen wurden furchtbare Verwüstungen angerichtet. Die Schrecken der
Seuche wurden durch die Ratlosigkeit der Eskimos noch vergrößert. Obwohl Egede
sie dringend ermahnte, dass es nichts nütze, vor der Krankheit zu fliehen,
zogen sie doch von Ort zu Ort und breiteten dadurch die Epidemie immer weiter
aus. Bald lagen ganze Haufen unbeerdigter Leichen auf den Feldern umher. Das
war eine Zeit, in der Egede die ganze Größe seiner Seele, die Kraft seines
Christentums zeigen konnte. Diejenigen, die zu Egede kamen, nahm er auf, so
lange seine Wohnstube sie fassen konnte; er selbst, seine Frau und Kinder,
pflegten sie und ekelten sich nicht vor dem Gestank und Unflat, den selbst die
Matrosen flohen. Den ganzen Winter hindurch hatte er keine Ruhe Tag und Nacht;
manchmal, wenn einer der Kranken in der Nacht starb, musste er selbst aufstehen
und den Toten in die Vorstube tragen, bis er am Morgen von den Leuten
weggetragen und beerdigt werden konnte. Überall sahen die Grönländer zu Egede
als zu einem rettenden Engel, zu einem Vater auf, in dessen Schoß sie getrost
ihr Haupt niederlegen konnten. Von vier Kindern in einem der angesteckten
Häuser war ein Vater, nachdem er mit dem jüngsten Kind sich in eine Höhle
verkrochen, mit der Anweisung geschieden, der Prediger, der sie so lieb habe,
werde, ehe sie noch die zwei übrigen Seehunde verzehrt, kommen und sie zu sich
holen. Und so geschah es in der Tat. Ein Grönländer fand nämlich die vier
Kinder ganz verlassen und meldete es Egede, der ihnen sofort auf den
„Rabeninseln“ nachspüren ließ, wo sie nur mit Not gefunden wurden. In zwei von ihnen
erkannte er Taufkinder wieder. Sterbende Mütter empfahlen Egede ihre Kinder.
Kurz, er war allen alles, war ihr Tröster und Fürbitter aus dem Worte Gottes,
war leiblicher Helfer, wo Hilfe noch möglich war, und lenkte überall zum
Besten, damit nicht alles, was der Herr ihm gegeben, zugrunde gehen sollte. Und
die Liebe, welche er den Kranken und Sterbenden bewies, war auch bei diesen
Heiden ein so mächtiger Zeuge von der Wahrheit des Christentums wie in den
ersten Zeiten der Kirche. „Du hast“, sagte ein Grönländer, der bei gesunden
Tagen nur zu spotten pflegte, vor seinem Ende zu Egede, „Du hast an uns
bewiesen, was die Unsrigen nicht getan haben. Denn Du hast uns erhalten, da wir
nichts zu essen hatten; Du hast unsere Toten begraben, die sonst von den Hunden,
Füchsen und Raben verzehrt worden wären. Du hast uns auch über Gott unterwiesen
und uns von einem besseren Leben gesagt.“
Manches
von der verborgenen Wirkung des göttlichen Worts auf die Herzen kam in dieser
Notzeit durch die Gnade des Herrn an den Tag. Eine Frau, dem Tode nahe, fragte
Egedes Kinder, womit denn die Seele, wenn sie den Körper verlasse, sich
sättigen würde, und welcherlei denn eigentlich das Reich Gottes sei, von
welchem der Vater so viel mit ihr, der weniger Achtsamen, gesprochen. Und als
nun die Kinder ihr die Sättigung des ewigen Lebens als in einer innigen,
seligen Verbindung mit Gott bestehend erklärt hatten und hinwiesen auf das,
„was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört, auch in keines Menschen Herz
gekommen ist, was aber Gott bereitet hat denen, die ihn lieben“, da meinte sie,
sie fürchte nicht mehr den Tod, wenn sie nur in Gottes Reich kommen möge. Dann
bat sie Egede und seine Kinder, sie möchten doch alle fleißig für sie beten,
wenn die Stimme ihr ausgehen und sie nicht selbst beten könne, damit ihre Seele
zu Gott komme.
Ein
achtjähriger Knabe äußerte auf seinem Schmerzenslager, „er sei zwar von großem
Weh umfangen, aber er empfinde es nicht; denn er denke nur an Gottes Sohn und
an die Herrlichkeit und Freude, zu welcher er kommen sollte“; und ein junger
Mann: „Es sei weit besser, bei Gottes Sohn in seinem Reich zu sein als hier auf
dieser elenden Erde zu leben; er fürchte gar nicht den Tod, denn er wisse, er
werde in Gottes Reich kommen, weil er getauft und also ein Kind Gottes geworden
sei.“ Und ein Greis tröstete seine Kinder, „sie sollten sich nur zufrieden
geben; sie würden auch bald an den Ort hinkommen, wo sie alle nach dem
Unterricht des Predigers, mit einander versammelt werden sollten, in der Stadt
der Herrlichkeit“. In den Taten der barmherzigen Liebe war ein Same
ausgestreut, der, kräftiger als so manche Predigt, bald aufging und unerwartete
Früchte brachte. Sehr vereinsamt stand Egede nach diesem furchtbaren Sterben
da, aber die treue Arbeit, an welcher er es auch während der Herrschaft des
Würgeengels nicht hatte fehlen lassen und die so vergeblich erschien, war doch
eine sehr gesegnete gewesen. Manches Sterbebett hatte sich als ein Siegesbett
erwiesen.
Für
diese Zeit der Trübsal wäre es Egede nun wohl zu gönnen gewesen, dass er recht
teilnehmende und eifrige Gehilfen gefunden hätte. Aber gerade die, welche zu
seiner Unterstützung ausgesandt waren, stellten sich jetzt fremd zu ihm und
verursachten ihm manchen Kummer und gaben nach Rudelbachs Urteil „wahren
Gotteskindern ein Ärgernis, zeigten auch den Sektengeist in seiner ganzen
Herbheit“, während Egede sich gegen die Brüder stets so stellte, dass selbst
die erbittertsten Feinde nicht leugnen können, dass er ein aufrichter Knecht
Gottes und wahrer Nachfolger Christi war. Zinzendorf hatte dem erwachenden
Missionseifer der Brüdergemeine, der seitdem in allen Weltteilen so Großes
geleistet hat, die Richtung seit 1731 auch auf Grönland gegeben. Im Mai 1733
kamen drei der Brüder, Matthäus und Christian Stach und Christian
David, welche man in Dänemark anfänglich hatte nach der Diskobucht schicken
wollen, in Godhaab an. Sie wurden von Egede auf das zuvorkommendste aufgenommen
und in allem Nötigen, besonders in der Erlernung der Sprache, kräftig
unterstützt, trotz all der Schwierigkeiten, die sich dabei aufgrund der
Unbildung der herrnhutischen Missionare und ihrer Ungeduld ergaben. Aber dies
freundliche Entgegenkommen fand nicht die Erwiderung, die es verdiente. Es
zeigten sich nämlich bald Verschiedenheiten in der Lehre. Egede glaubte zu
bemerken, dass sie in der gesunden Heilslehre nicht fest und klar seien, und
eine genauere Prüfung der herrnhutischen Lehre, vorzüglich des Punktes von der
Rechtfertigung, bestätigte seinen Verdacht. Er entdeckte verschiedene
Abweichungen vom Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche, die doch von
jenen als die reinere Lehre verteidigt wurden, und erklärte daraufhin: „Wenn
sie die Lehre unserer Kirche unterschreiben und ihr wirklich Beifall geben
würden, sähre er ihr Bleiben gern; sonst aber würde keine Einigkeit zwischen
ihnen und keine gemeinsame Erbauung sein können.“ Es zeigte sich auch das
Grundgebrechen der Brüdergemeine, welches Bengel mit den Worten bezeichnete:
„dass sie den ganzen Stock der heilsamen Lehre abgeblattet, das Innerste entblößt,
und eben dieses noch dazu, wenn noch viel übrig gelassen ist, halbiert“.
Aufgrund eines Briefwechsels, der vom 14. August bis 12. November 1733 zwischen
Egede und Christian David stattfand, bemerkte Egede, dass die Herrnhuter
Rechtfertigung und Heiligung vermengten, besonders, da die Brüder behaupteten,
„die Rechtfertigung bestehe nicht in der zugerechneten, sondern in der
inwohnenden Gerechtigkeit Christi“ und „die Heiligung müsse nicht nur der
Rechtfertigung nachfolgen, sondern auch ihr vorangehen.“ Die unionistische
Haltung der Herrnhuter, die Gemeinschaft trotz Uneinigkeit in der Lehre übten,
konnte Egede nicht akzeptieren. Von der anderen Seite sprach man ihm nun die
Bekehrung ab; sein äußerer Wandel sei ehrbar, aber sein innerer Zustand vor Gott
nicht rechtschaffen; darum sei er auch nicht fähig, die Heiden zu bekehren. Es
war dasselbe unerlaubte und anmaßende, dem Sektengeist eignende Richten über
die Herzensstellung, dem auch bei anderen Pietisten zu begegnen war. Die Brüder
griffen sogar zu Verleumdungen und schämten sich nicht, Egede die Schuld an der
damaligen traurigen Lage der Grönländer beizumessen. So behaupteten sie zum
Beispiel, Egede habe eine in Bergen gesammelte Kollekte von 8.000 Reichstalern
sich angeeignet, und als ihnen das Schamlose dieser Lüge vorgehalten wurde,
erwiderte einer unter ihnen: „Wenn er auch die Summe nicht zu seinem Nutzen
verwendet habe, so liege doch am Tage, dass er nicht im Glauben vor Gott
wandele; in diesem ihrem Urteile könnten sie sich unmöglich irren, denn sie
hätten die Salbung des Geistes.“ Obwohl sie sämtlich Laien waren, feierten sie
unter sich das Sakrament des Abendmahls, da sie mit dem Prediger als einem
Unbekehrten in keiner Geistesgemeinschaft stünden.
Das
waren betrübliche Vorgänge, für die auch der herrnhutische Geschichtsschreiber
David Cranz keine Rechtfertigung beizubringen weiß. Er sucht sie durch
Schweigen der Vergessenheit zu übergeben, nur mit dem einen Satz das Gefühl der
Schuld verratend: „Allem Anscheine nach sollte es besser gewesen sein, wenn
sich die Brüder an einem ganz neuen Orte niedergelassen hätten.“ Egede bewährte
auch in dieser Lage die Wahrheit seines Christentums. Sein Amt hatte von ihm
verlangt, gegen die auftauchende Irrlehre Zeugnis abzulegen, und durch keine
Rücksichten ließ er sich davon abhalten, dies zu tun. Dann aber fuhr er fort,
gegen dieselben Personen, die er so hatte strafen müssen, Liebe zu üben; er und
seine Frau pflegten sie in ihrer Krankheit und taten ihnen alles Gute, „so
dass“, wie der Geschichtsschreiber der Brüdermission sagt, „sie sich oft
Bedenken machten, die Guttaten, womit sie gleichsam überschüttet wurden,
anzunehmen.“
Das
große Sterben hatte derartige Verwüstungen angerichtet, dass es mit der Mission
fast einen neuen Anfang zu machen galt. In der Kolonie selbst waren im April
1734 mit Ausnahme von zwei kleinen Kindern alle Grönländer gestorben; von mehr
als 200 Familien, die sich in der Umgegend aufhielten, waren drei übrig. „Es
schien, als ob das ganze Werk, das zu Gottes Ehre gemeint und begonnen war, nun
dahinfallen müsse.“ Unter solchen Verhältnissen die Arbeit von neuem zu
beginnen, fühlte sich Egede jetzt nicht mehr kräftig genug, seine frühere Kraft
war gebrochen. Immer wieder hatte er große Anfechtungen, so, als ob er die
Schuld an dieser Katastrophe trage, dass er 1731 nicht nach Dänemark
zurückgekehrt sei und man dann die grönländischen Kinder nach Kopenhagen
gebracht habe, von denen das eine die Krankheit mitgebracht. Die großen
Anstrengungen, die ihm durch seinen Beruf so lange zur Pflicht gemacht waren,
hatten seinen Körper sehr geschwächt, und es mag damit zusammen gehangen haben,
dass auch sein Mut und seine Tatkraft nachließen. Er wollte noch immer sein
Leben der grönländischen Mission widmen, aber in einer Stellung, in welcher er
ihr mit geringerer körperlicher Anstrenung dienen könnte. Nach dem, was er
gearbeitet und ertragen hatte, kann man hieraus keinen Vorwurf gegen ihn
ableiten, und er selbst war überzeugt, die Ruhe ohne Schaden für die Sache
aufsuchen zu dürfen, weil ihm in seinem tatkräftigen und sprachgewandten Sohn
Paul, der nach sechsjährigem Aufenthalt in Kopenhagen 1734 nach Grönland
zurückgekehrt war, ein tüchtiger Nachfolger erwachsen war. So bat er denn um
seinen Abschied, und als er ihn erhalten hatte, verließ er, nachdem er noch am
21. Dezember 1735 seine treue Lebensgefährtin verloren hatte, am 9. August 1736
Grönland, die Stätte einer 15-jährigen, aufopferungsvollen Missionsarbeit,
geleitet von den Gebeten der Grönländer, die das Gedächtnis ihres
„unvergesslichen Vaters“ in liebendem Herzen bewahrten. In seiner letzten
Predigt versicherte er: „Dem allwissenden Gott ist bekannt, dass nichts anderes
mein Augenmerk war, als durch die Trennung von der bisherigen Arbeit desto mehr
zum Aufbau und zur Förderung des Werkes beitragen zu können. Denn so wie ich
nicht um zeitlichen Vorteils oder Nutzens willen nach Grönland gezogen bin, so
habe ich es deshalb ebensowenig verlassen; sondern Gottes Ehre allein und die
Erleuchtung dieser armen, unwissenden Menschen war, ist und wird mein einziges
Augenmerk, ja, der unablässige Wunsch meines Herzens bis zu meinem Tode sein.“
Das
Missionsfeld glich, als Egede es verließ, einem Trümmerhaufen. Sein Wunsch war
nun, wenigstens aus der Ferne zu einem tüchtigen Umbau mitzuhelfen. Zu dem Ziel
wiederholte er seinen früheren Vorschlag, vor allem in Kopenhagen ein Seminar
anzulegen, in welchem Missionare und Katecheten für Grönland herangebildet
werden könnten, damit man genügend tüchtige Missionare für die Insel habe. Man
ging darauf ein. Er selbst wurde zum Vorsteher und Lehrer desselben, ja, 1740
zum Superintendenten des ganzen grönländischen Missionswesens ernannt. Er
sollte „sowohl bequeme und tüchtige Seminaristen auswählen und dem Kollegium vorstellen,
als, unter Approbation des Kollegiums, Instruktionen für dieselben abfassen und
in ihre Amtsführung Einsehen haben, und endlich nach Amtspflicht alles
anzeigen, was zur weiteren Bekehrung der Grönländer für notwendig und
ersprießlich erachtet werden möchte.“
Dieser
Aufgabe widmete er nun seine ganze Liebe, die ganze ihm noch verbliebene Kraft.
Er setzte eine Anweisung auf für die Grönlandmissionare. Er fängt dabei mit
einer, auf das Beispiel der Apostel und den Grund der evangelischen Lehre gestützten
Methodik an. „Die Missionare sollen sich bemühen, die Grönländer von Gottes
Dasein und Wesen, von der herrlichen Natur des Menschen und dem Vorzuge
derselben vor allen sichtbaren Dingen, aber auch von ihrem tiefen Verfall und
Verderben zu überzeugen. Besonders müssten sie die Methode Christi und der
Apostel vor Augen haben, und, wo es tunlich sei, aus den eignen Prinzipien der
Unwissenden Anlass nehmen. In dieser Hinsicht könne das 17. Kapitel der
Apostelgeschichte eine gute Anleitung geben und sei als ein kernhaftes
Kompendium für die Missionare anzusehen. Sei auch nicht so große Bildung bei
den Grönländern, wie bei vielen andern Heiden, so seien auf der andern Seite
auch nicht so starke und eingewurzelte, durch Gesetze, Einrichtungen,
Traditionen, abgöttische Tyrannei und Gewalt befestigte Vorurteile bei ihnen.
Die Missionare sollen mit Fleiß die Grönländer von ihrem Aberglauben überzeugen
und die Betrügereien der Angekutten [Zauberer] aufdecken. Welche Begriffe von
einem höhern Wesen, das sie verehrten und von dem sie Heil erwarteten, von der
Unsterblichkeit der Seele und einem zukünftigen bessern Leben sie bei den
Grönländern vorfänden, diese könnten sie als eine Handhabe benutzen, um ihnen
eine reinere und höhere Erkenntnis beizubringen. Dabei aber mussten sie
zusehen, dass sie keineswegs diese Vorstellungen neben der reinen Lehre sie
behalten ließen, damit nicht, wie beim Volke in Samaria ehemals (1. Könige 17),
ein unreines Gemisch daraus entstände. Es würde vielleicht den Grönländern wohl
anstehen, wenn sie ihnen den alten Aberglauben ließen; allein, ein solches
Verfahren mit den Heiden sei bloß eine eingebildete Klugheit und ein schlechter
Kunstgriff der römisch-katholischen Missionare, um ihre Kirche in China und
anderswo zu befestigen. Gewiss sei diese Methode die Ursache so vieler
abergläubischer Gedenken und Gewohnheiten auch bei uns, wo doch das Christentum
so lange geherrscht habe: Man habe sich bei der Einführung desselben an einem
bloß äußerlichen Bekenntnis ohne Erkenntnis und Überzeugung begnügen lassen.
Der Aberglaube müsse gleich, soweit möglich, gedämpft und ausgerotttet werden,
damit nicht später die Bekämpfung desselben desto schwieriger werde... Nachdem
sie von Gott und dem Verderben der Menschen gesprochen, könnten sie von Gottes
erbarmender Gnade reden, welcher sich selbst durch seinen eingebornen Sohn zu
dem Ende genuggetan, damit der Mensch vom Sündenfall aufgerichtet, gebessert
und ewig selig werden möchte – dann könnten sie Buße und Glauben vorhalten.
Allein beim Vortrag dieser Lehre (von der Buße und dem Glauben) müssten sie die
Beschaffenheit der einzelnen Individuen oder wenigstens Versammlungen, ihre
größere oder geringere natürliche Bequemheit und Begriff, so wie das Leben, das
sie führen, sich genau vor die Augen stellen. Persönliche Bekanntschaft mit
Zuhörern, Freundlichkeit, Geduld sei in aller und jeder Weise zu empfehlen. Sie
sollten zugleich mit Fragen verfahren und den Grönländern selbst Veranlassung
geben zu fragen; die natürliche Neugierde, den Mutterwitz derselben dürften sie
nicht unbenutzt lassen. Allmählich könnten sie, deutlich und einfältiglich, die
einzelnen Religionslehren vortragen... Durchaus müssten sie auf ihrem Posten
sein gegen „die Schminke der Natur“ bei den Grönländern, indem diese, vor
andern Heiden, manche menschliche Tugend, wie Verschämtheit, gegenseitige Liebe
und Uneigennützigkeit zur Schau trügen und deshalb leicht auf die Meinung
geraten könnten, als ob die Bekehrung, welche das Christentum fordere, nicht
notwendig sei. Die Missionare müssten deshalb vorzugsweise von den Sünden
ausgehen, durch deren Abtun dem Ganzen oder den Einzelnen irgendeine
ersprießliche Folge sich zeigte, und bei jeder Gelegenheit ihnen Zutrauen zu
den redlichen Absichten der Christen beibringen... Besonders sollten die Missionare
sich die Jugend angelegen sein lassen. Zuerst sollten die Glaubensartikel,
nachher die zehn Gebote, endlich die andern Teile des Katechismus erlernt und
verstanden werden. Die Missionare sollten weiter versuchen, Waisen unter den
Eingebornen an sich zu ziehen, um diese zu Katecheten vorzubilden. Diese
sollten mit der Landeskost, wie man sie von den Grönländern erhalten könne,
unterhalten werden; eine alte Frau auf der Kolonie sollte ihnen zur Hand sein,
um ihre Kleider zu nähen, und ein verheirateter junger Grönländer sie die Jagd
und Fischerei lehren, damit sie mit der Zeit ihren eigenen Unterhalt erwerben
könnten... Ordentliche Tabellen und Register sollten über alle Katechumenen
gehalten werden, über ihre natürlichen Anlagen, ihre Fortschritte usw. Ebenso
sollten die Missionare über alle ihre Amtsgeschäfte Tagebücher halten... Es sei
nicht genug, den Katechumenen historische Kenntnisse beizubringen; tiefe
Ehrfurcht vor dem Höchsten, wahren Glauben, Liebe, Vertrauen, innere
Gottesfurcht und die daraus entsprießenden Tugenden zu pflanzen, darauf solle
ihr Augenmerk gerichtet sein... Die Vorbereitung der Erwachsenen zur Taufe
solle mit vielem Fleiß und großer Behutsamkeit getrieben werden. Man dürfe
nicht danach fragen, wie viele getauft würden, sondern wie wohl vorbereitet die
Getauften wären. Sie sollten nicht vergessen, die eigenen Leute auf der Kolonie
zur Gottesfurcht anzuhalten, so dass sie die Zeit des Sonntages, welche von dem
öffentlichen Gottensdienst übrig sei, nicht zu weltlichen Vergnügungen, sondern
zum Lesen der Bibel und zu gottseligen Übungen anwendeten, damit die Heiden von
ihnen, indem sie dies sähen, erbaut werden möchten. Übrigens sollten sie sich
hüten, ihren eignen Leuten oder den einfältigen Grönländern den allergeringsten
Anstoß oder irgendein Ärgernis zu geben, und überall als Exempel in
rechtschaffenem Glauben und guten Werken vorleuchten. Dieses alles zu üben und
zu halten, sei das Gebet eines der kräftigsten Mittel. Sie sollten fleißig
beten, für sich selbst in der Stille, für die Zuhöhrer öffentlich in aller
Gegenwart, bei jedem Amtsgeschäft unter den Grönländern in der Nationalsprache,
damit Andacht und Preis der majestätischen Gegenwart Gottes erweckt, der Segen
herabgefleht werde und die Heiden daraus erfahren könnten, wie wohl man es mit
ihnen meinte.“
Aber
auch jetzt musste er es erleben, dass die Erfolge den Anstrengungen nicht
entsprachen. Zwischen ihm und dem ihm übergeordneten Missionskollegium, in
welchem pietistische und herrnhutische Anschauungen die Oberhand hatten,
bestand nicht das rechte, der Sache gedeihliche Einvernehmen. Was Egede
vorschrieb, wurde nicht selten durch das Missionskollegium wieder praktisch
zunichte gemacht. Das Seminar kam nicht zu wirklichem Leben; vielmehr
gestalteten sich die Verhältnisse so, dass stellensüchtige Kandidaten sich auf
sechs Jahre nach Grönland schicken ließen, um dadurch Anspruch auf eine bessere
Anstellung in der Heimat zu erwerben. Dies war ein bedenklicher Übelstand, der
die grönländische Mission schwer drückte und gegen den Egede, besonders in den
Jahren 1743-1745, wiederholt Klage beim Missionskollegium erhob. Neben manchen
anderen Unzuträglichkeiten veranlasste dies Egede, am 5. Januar 1747 von der
unmittelbaren Beteiligung an der Mission sich zurückzuziehen. Dem Missionskollegium
diesen Entschluss mitteilend, schreibt er: „Wäre ich sonst nur so glücklich
gewesen, die Frucht meiner Bemühungen zu ernten, die ich gewünscht und erhofft
hatte, so würde ich wohl alle sonstigen Verluste leicht verschmerzen – so aber
muss ich sehen und dulden, dass der Lehrgrund, den ich gelegt, welcher Christus
und sein Verdienst ist, wo nicht ganz umgestoßen, doch allerlei Holz und Stroh,
das leicht verbrennt, statt des reinen und beständigen Glaubensgoldes darauf
gebaut wird. Dieses schmerzt mich aufs höchste und macht mich des Lebens
überdrüssig, was doch, wie ich hoffe, nicht so lange dauert, da durch die
Seelenkränkung meine innere Schwäche von Tag zu Tag vermehrt wird.“ Ohnehin
stand sein ältester Sohn, Paul Egede, der größte grönländische Sprachmeister,
den es je gegeben hat, der das Neue Testament ins Grönländische übersetzt, ein
grönländisch-dänisch-lateinisches Lexikon und eine grönländische Grammatik
geschrieben hatte, ihm schon seit einigen Jahren zu Seite, so dass er die
Ausbildung der Missionare getrost in dessen Hände legen konnte. Den Abend
seines Lebens verbrachte er zu Stubbekjöping auf der Insel Falster, wo er am 5.
November 1758 verschied, nachdem er kurz zuvor, noch ganz gesund, den Seinen
versichert hatte: „Kinder, ihr werdet mich nicht lange behalten; es ist mir in
der Nacht vorgekommen, als ob einige selig Verstorbene mir gewinkt haben.“
Die
Mission in Grönland wurde weitergeführt, aber dieser Fortbestand war ein
Hinsiechen. Man fragt natürlich nach der Ursache dafür und muss da in erster
Linie die mangelnde Teilnahme in der Heimat, daneben die falsche Leitung und
ungeschickte Ausübung des Missionswerkes nennen. Die Missionsgemeinde in
Dänemark war sehr klein; das Werk in Ostindien hatte seinen hauptsächlichsten
Rückhalt in Deutschland. Hier aber fand sich wenig Teilnahme für die nordische
Mission, was wohl hauptsächlich damit zu erklären ist, dass keiner der im
Norden arbeitenden Missionare ein Deutscher, keiner ein Angehöriger der großen
pietistischen Schulen war. Doch ist allerdings in Rechnung zu stellen, dass von
Dänemark aus nach dem ersten Aufruf des Missionskollegs nur wenig geschehen zu
sein scheint, um Hilfe und Teilnahme der übrigen lutherischen Kirche eben für
das Werk zu gewinnen. Die Mission wurde hier zu sehr als Sache der dänischen
Staatskirche aufgefasst und behandelt, und das war ihr schlimmster Schade. Man
verordnete, dass im ganzen Reich eine Fürbitte für die Mission in das
öffentliche Kirchengebet aufgenommen würde, wie wir denn auch hören, dass bei
der Einweihung der neuen Kirche in Tranquebar 1719 der Mission in Finnmarken
fürbittend gedacht wurde; man setzte wohl eine allgemeine Kollekte für
Missionszwecke an; aber die Ausführung solcher Verordnungen war auch ziemlich
das Einzige, wodurch die große Gemeinde sich an der Mission beteiligte. Im
übrigen war und blieb diese in Leitung und Förderung Sache der
staatskirchlichen Bürokratie, und dadurch erlahmte sie. Wie vortreffliche
Männer auch die meisten Mitglieder des Missionskollegs waren, sie vermochten es
nicht, die Mission, soweit dieselbe von ihnen abhängig war, in rechten Schwung
zu bringen. Die äußeren Veranstaltungen wurden so leidlich fort erhalten, aber
es fehlte in der Missionsarbeit am Geist und am Leben. Dr. Kalkar urteilte: „An
zwei Schäden litt die grönländische Mission von ihrem Anfang an; man muss beide
ins Auge fassen, um ein gerechtes Urteil fällen zu können. Das eine Hemmnis lag
in der Schwierigkeit der grönländischen Sprache. Der andere Schaden war, dass
die Mission gleich eine staatskirchliche wurde und als eine solche fortgesetzt
wurde. Die Sache konnte sich nicht anders gestalten. Es gab damals keine freien
Vereine; die Regierung musste die Sache in die Hand nehmen und unterstützen.
Dadurch kam die Mission von Anfang an in eine schiefe Stellung; der
staatskirchliche Mechanismus ging übers Wasser mit nach der neu zu bildenden
Kirche.“
Als der König Friedrich IV. von Dänemark durch
Lütkens zum Missionseifer erweckt war, wandte er sich wegen der Ausführung auch
an die anderen Hofprediger und wurde nun durch seinen Beichtvater Jespersen auf
die Not im äußersten Norden seines Reiches aufmerksam gemacht. Er erhielt den
Rat, den dort angestellten Predigern tüchtige Gehilfen zuzuschicken, welche
sich ernstlich der im Christentum noch ganz rohen Samen (sie werden gewöhnlich
„Lappen“ genannt, nennen sich selbst aber „Samen“, welcher Name auch hier
verwendet werden soll) annehmen könnten. Und allerdings, hier gab es noch sehr
viel zu tun. Die meisten Samen waren wohl getauft, aber in Wirklichkeit und
nach ihrem eigenen Willen mussten sie fast als volle Heiden gelten. Pflegten
sie doch durch eigens dazu bestellte Frauen die Taufe den Kindern wieder
abzuwaschen und gaben denselben neue, vor den Norwegern sorgfältig
verheimlichte Namen. Wer aus Furcht vor den Herren des Landes zum Abendmahl
ging, beichtete zuvor diese „Sünde“ den heimischen Göttern, der Sarakka und dem
Saiwo, denen er ja von seinen Eltern wieder geweiht war, und bat sie um
Verzeihung. Trat er aus der Kirche, so sprach er: „Wer der mächtigere ist,
gewinne nun, es sei Sarakka und Saiwo oder Rist-Ibmel, der Christengott, denn
ich haben beider Willen getan.“ Die Hostie wurde gröblich entweiht und als
Zaubermittel gebraucht; man opferte den Göttern, besonders Hunde. Den größten
Einfluss auf das Volk übten die Zauberer, Noiden genannt, die durch
Beschwörungen auf Zorn und Gunst der Götter Einfluss zu haben vorgaben. „Ich
fand Lappmarken“, schreibt Thomas von Westen 1716, „voll von Abgötterei, Opfern
der Teufel, Noiden oder Zauberern, Ganfliegen, Erscheinungen des Satans,
Wiederbringer der Verlorenen. Das Reich des Drachen war mitten im Himmel. Die
Finnen waren alle getauft, gingen alle zu Gottes Tisch, aber ein großer Teil
derselben war umgetauft auf Noide Taufe, Noide Namen, schrecklich! Sie tranken
des Teufels Kelch zugleich mit Gottes Kelch, und das die meisten.“
Man
sieht, es galt unter diesem dem Namen nach christlichen Volke die ganze, volle
Missionsarbeit aufzunehmen. Und manches kam zusammen, um die Arbeit in hohem
Maße zu erschweren. Man berechnete im 19. Jahrhundert das ganze Volk der Samen
auf 26.000 Seelen, und man konnte annehmen, dass auch zu Beginn des 18.
Jahrhunderts die Gesamtmenge nicht viel größer war; sie errreichte an Größe kam
die Einwohnerzahl der kleinen ostindischen Kolonie Tranquebar. Dieses Volk
wohnte über etwa 6.000 Quadratmeilen (ca. 14.640 Quadratkilometer) hin
verstreut, nordwärts vom Polarkreis, in einem meist unwirtlichen und
unfruchtbaren Land, welches nur an wenig Stellen regelmäßige Bebauung zuließ,
sonst aber seine Bewohner zum stetigen Umherwandern nötigte. Solche
Verhältnisse hätten schon allein jede geistliche Pflege der Samen ungemein
schwierig gemacht. Aber dazu kam, dass diese von den sich Christen nennenden
Nachbarn gar nicht einmal ernstlich versucht wurde. Ob die Nachbarn Russen,
Schweden oder Norweger, griechische oder lutherische Christen waren, das trug
für die Christianisierung Samlands (Lapplands) wenig bei, denn alle lagen in
ziemlich gleicher Erstarrung. Das kirchliche Leben in Norwegen, welchem Lande
die Mehrzahl der Samen angehörte, befand sich in einem höchst traurigen
Zustand. Herrschsucht, Unwissenheit und geistlicher Stolz verunzierte den
Wandel vieler Pastoren. Die Hauptpastoren hatten das Berufungsrecht zu den
niederen Stellen und übten es meistens so, dass sie ganz unwissende, oft auch
unsittliche Menschen zu ihren Kaplänen beriefen, um nicht selbst etwas von
ihrem Ansehen einbüßen zu müssen. In Gemeinden von 5.000-6.000 Seelen wurden
oft kaum eine Bibel und zwei oder drei Gesangbücher gefunden; wer in einem Buch
lesen konnte, galt vielen für eine Art von Zauberer. Wie hätten wohl aus einer
derartig erstorbenen Kirche sich Ströme lebendigen Wassers über ein Nachbarvolk
ergießen sollen? Im Gegenteil, die Norweger gaben den Samen viel Ärgernis und
machten den Christennamen unter ihnen stinkend. Sie behandelten sie verächtlich
wie Hunde; gewissenlose Beamte bestärkten sie wohl im Götzendienst, um daraus
Vorteil ziehen zu können; und ganz besonders schadeten die Christen den Heiden
durch Förderung der Trunksucht, der Mutter vieler zerstörender Laster. Im
Nordland trieben selbst norwegische Prediger Handel mit Branntwein; die Krämer
schlugen ihre Buden, um ihn zu verkaufen, an den Kirchen auf. Mit den
schändlichsten Lockworten trieb man das arme Volk zum Trinken: „Kannst du nicht
tüchtig Branntwein trinken, so bist du nicht so gut wie ein Norweger, und
kannst du ihn nicht kaufen, so bist du ein Elender. Du Finne hast gewiss den
Götzen geopfert und von Branntwein gestunken, da es dir verboten ist zu
trinken; bist du ein guter Christ, so trink!“ Und die Verlockung wirkte nur zu
sehr. Kein Opfer konnte ohne Branntwein dargebracht werden, Ehegelöbnisse
wurden damit begossen und versiegelt; auf den Gräbern der Verstorbenen sprengte
man ihn als Weihwasser und als einen Geleitstrank in jene Welt; ja selbst beim
Abendmahl durfte er nach dem Wahn vieler Samen nicht fehlen.
An
Missionstätigkeit unter den Samen war erst zu denken, wenn in der norwegischen
Kirche das christliche Leben wieder erwacht sein würde, und das begann am
Anfang des 18. Jahrhunderts. Als erste Morgenröte eines neuen Tages haben wir
das Wirken eines einfachen Schulmeisters zu begrüßen. Isaak Olsen kam
1703 nach Ost-Finnmarken und wurde von dem Propst Paus, einem der
wenigen redlichen Pastoren, der seine Tüchtigkeit erkannte, als Schulmeister
der Finnen in Waranger angestellt. Hier wirkte er 14 Jahre lang mit treuem
Eifer unter vielen Entbehrungen und in manchen Gefahren, die selbst durch die
Nachstellungen der Einwohner ihm drohten. Und seine Treue wurde mit solchem
Erfolg gessegnet, dass schon 1705 ein Famulus des Bischofs von Drontheim
schreiben konnte: „Unter der Gnade des Herrn hat er so viel Frucht geschaffen,
dass bei der Visitation mehrere Finnen in christlicher Erkenntnis den Norwegern
nicht nur gleich kamen, sondern sie weit übertrafen, so dass zu unserer großen
Freude ein Finnenkind von acht Jahren sowohl fertig im Katechismus und dem
Psalter las, als auch über den Inhalt des Gelesenen sich recht verständig und
fromm ausdrückte.“ Aber die Wirksamkeit Olsens beschränkte sich doch nur auf
eine Gegend; im ganzen blieb Not und Bedürfnis wie vorher. Die Aufforderung,
die Jespersen 1705 an den König richtete, dieser seiner Untertanen sich
anzunehmen, war immer noch eine sehr begründete.
Der
König ließ infolge dieser Aufforderung durch einen eigenen Abgesandten, den
Kandidaten Paul Resen, 1707 den Zustand der Kirchen und Schulen in Nordland und
Finnmarken untersuchen und beauftragte, als ihm die traurigen Ergebnisse jener
Untersuchung bekannt wurden, den Stiftsamtmann und den Bischof von Drontheim,
ihm über die Belebung der Kirche unter den Samen ein Bedenken einzureichen.
Allein, diese Maßregel des Staatskirchentums hatte so gut wie gar keinen
Erfolg, zumal der nordische Krieg der Ausführung der Vorschläge hindernd in den
Weg trat. Noch auf Jahre hinaus geschah nichts. Erst nach Errichtung des
Missionskollegiums 1714 wurde die Sache wieder aufgenommen. Dies erhielt den
Auftrag, Rat und Mittel ausfindig zu machen, wodurch das, was der König in
Bezug auf seine Untertanen in Finnmarken, „die leider noch nach heidnischer
Weise in Blindheit leben“, vorlängst im Sinne gehabt, einen erwünschten
Fortgang nehmen möchte. In seinem Ausschreiben vom 19. Januar 1715 bat er daher
alle, die das Heil der Menschen lieben, ihm zur Erfüllung auch dieser Aufgabe
behilflich zu sein, und diese wurde dem Kolleg bald, am 19. April, noch genauer
vorgezeichnet durch eine besondere königliche Instruktion, wonach es für
tüchtige Katecheten sorgen sollte, die, unter den Finnen gleichsam
eingebürgert, künftig zu Predigern gesetzt werden könnten. Es sollte den
Zustand der bestehenden Kirchen und Schulen genau ermitteln und zur Errichtung
anderer dienliche Vorschläge machen, endlich auch über den Wandel der dort
Christi Namen Verkündigenden wachen. Doch auch diese wohlgemeinten Anordnungen
würden kaum eine rechte Frucht hervorgebracht haben, wenn nicht eben damals in der
norwegischen Christenheit doch wenigstens in einigen Herzen das Feuer der Liebe
zur Christus und seinem Reich wieder angefacht worden wäre und dadurch diese
auch dem Missionsrufe aus Dänemark zugänglich gemacht hätte.
Die
hier gemeinte Erweckung knüpft an den Namen des Thomas von Westen an,
und eben er erwarb sich dann auch um die Christianisierung der Samen die
größten Verdienste. Zu Drontheim 1682 geboren, verlebte er eine Jugend voller
Entbehrungen. Dem Vater musste er die Erlaubnis zum Studieren abringen und nur
mit Hilfe von Freunden gelang es ihm, die Unversität in Kopenhagen zu beziehen,
wo er sich dem Wunsche des Vaters gemäß der Heilkunde widmete. Gerade als er
die Studien beschließen wollte, starb der Vater und hinterließ ihm nichts, so
dass er nun auf die kümmerlichste Weise sein Leben fristen musste. Schon damals
lebte er im Worte Gottes und warf sich, um es auch im Urtext lesen zu können,
mit allem Eifer auf die orientalischen Sprachen. Überhaupt beschäftigte er sich
gerne mit Sprachstudien und brachte es hierin so weit, dass er von Peter dem
Großen einen Ruf als Professor der Sprachen und Beredsamkeit nach Moskau
erhielt. Aber diese Verpflanzung nach Russland unterblieb. Er fand vielmehr
eine freilich gehaltlose Anstellung als Bibliothekar in Kopenhagen und erhielt
1710 die ausgedehnte und einträgliche Pfarrei Wedöen im Stift Drontheim.
Hiermit begann seine belebende Einwirkung auf die norwegische Kirche, sein
Kampf gegen deren Verweltlichung und Erstarrung. Er stand dabei nicht ganz
allein, sondern fand bald einige gleichgesinnte Mitarbeiter. Gerade im Stift
Drontheim schlossen sich sechs andere tüchtige Pastoren an ihn an, und dies
„Siebengestirn“, wie man noch ein halbes Jahrhundert später den Bund der treuen
Zeugen Jesu nannte, arbeitete kräftig und unermüdlich gegen die das Volk
bedrückende Macht der Finsternis. Freilich rief diese Tätigkeit heftigen
Widerstand hervor; selbst der Bischof von Drontheim, ein Mann dem der wahre
Beruf zur Führung des Hirtenstabes fehlte, erhob sich als Gegner. Aber die
sieben Freunde, unter denen von Westen der tatkräftigste war, wichen nicht,
ließen sich auch nicht einschüchtern. Sie wussten, dass das Leben aus Gott in
dieser sündigen Welt sich nirgends zeigen kann, ohne alsbald Streit zu erregen.
Um auf weitere Kreise zu wirken, kauften und verteilten sie Schriften wie die
Bibel, das Gesangbuch, Arndts ‚Wahres Christentum’ und andere, und in der
Hoffnung, so eine nachhaltige Hilfe herbei zu führen, wandten sie sich am 17.
April 1714 mit einem Gesuch an den König selbst. Sie schilderten ihm mit
kurzen, aber scharfen Worten den elenden Zustand der norwegischen Kirche:
„Wenige Kinder Gottes ausgenommen, so scheidet nichts zwischen uns und unsern
heidnischen Vorfahren als nur der Name der Christen.“ Deshalb baten sie um die
Ernennung der drei Kopenhagener Professoren Stenbuch, Trellund und Lodberg zu
königlichen Kommissaren, welche ihre Beschwerden und Vorschläge zur
Wiederherstellung des gesunkenen Christentums anzuhören hätten. Der König ging
darauf ein, und die Kommissare erkannten die vor sie gebrachten Klagen als nur
zu begründet, die Vorschläge als zweckmäßig an. Es erfolgten wirklich einige
Verordnungen, welche Missbräuchen steuern und Zucht und Sitte heben sollten.
Aber wichtiger als dieses war, dass auf diese Weise das zu Ende 1714 errichtete
Missionskollegium, welches sich auch der Samen annehmen sollte, mit den
wirklich lebendigen Söhnen der norwegischen Kirche in Verbindung kam. Erst
hierdurch wurde ihm die Ausführung seiner Aufgabe möglich.
Die
Aufforderung des Kollegiums an alle Missionsfreunde, ihm mit Rat und Tat
behilflich zu sein, fand auch in Norwegen Beachtung. Es wurden ihm manche sehr
törichte Vorschläge gemacht, aber aus den Reihen der Erweckten kam nicht nur
aufmunternder Zuruf, sondern auch das Angebot tatkräftiger und sachverständiger
Hilfe und der Vorschlag, Samen zu Predigern ihres Volkes zu erziehen.
Vorzüglich Thomas von Westen empfand ein brennendes Verlangen, selbst in die
Arbeit einzutreten und sein ganzes Leben dieser großen Sache zu widmen, und das
Kollegium kam dem entgegen, indem es den zum Lektor in Drontheim Ernannten am
14. März 1716 zu seinem Vikar und Bevollmächtigten bestellte. Dem Entschluss
folgte schnelle Tat. Nachdem er gesehen hatte, dass für seine Gemeinde, die mit
kindlicher Liebe an ihm hing, durch einen tüchtigen Nachfolger gesorgt war,
machte er sich, von zwei Kaplanen begleitet, am 29. Mai auf die erste
Missionsreise, die ihn zu Schiff in die Warangerbucht an die russische Grenze
führte. Er betrat den Teil Ostfinnmarkens, in welchem Isaak Olsen schon seit 14
Jahren mit Erfolg gewirkt hatte, und in den beiden Pröpsten Paus in
Ostfinnmarken und Trude Nidter in Westfinnmarken fand er zwei Männer, die voll
Freude über seine Arbeit ihn möglichst unterstützten. Nun suchte er die weit
zerstreuten Samen in ihren Wohnungen auf und beschäftigte sich mit jedem
Einzelnen von ihnen so eingehend, wie die Kürze der Zeit es zuließ. Er bemühte
sich, sie zu wirklicher Erkenntnis ihrer Sünden und aufrichtiger Buße zu
führen; er wollte tief graben, um einen festen Grund zu legen und sicher zu
bauen. Für die Weiterführung des Werkes ließ er die beiden Kaplane Kield Stub
und Jens Bloch als Missionare je für Ost- und Westfinmarken zurück und wählte
auch die Geschicktesten der Samen aus, die Gottes Wort verstanden, dass sie
Wächter sein und mit dem Chrsitentum der anderen Finnen ein Einsehen haben
sollten. Unter denen, welche der dänischen Sprache mächtig waren, verteilte er
Bücher, die mit Freuden angenommen wurden. Weil er fand, dass die bisherigen
dem Kollegium gegebenen Nachrichten sehr vieles zu wünschen übrig ließen,
unterrichtete er sich auf das sorgfältigste über Land und Leute, erforschte den
Aberglauben, der das Volk gefangen hielt, suchte nach den tauglichsten Orten
für neue Kirchen und Schulen und trieb die Samen an, sogleich
Versammlungshäuser zu erbauen, damit der Gottesdienst ohne Verzug beginnen
könne. So konnte er, als er am Westende Finnmarkens stand und sich anschickte,
zu den letzten Samen in Alten zu reisen, dem Kollegium schreiben: „Der Herr hat
mitgearbeitet und meinen geringen Dienst dermaßen gesegnet, dass ich meine, der
Weg sei nun bereitet in Lappmarken vor dem Angesicht des Herrn, der alles
nachher vollführen wird durch die Missionare.“ Auf einem äußerst mühsamen und
nicht selten gefahrvollen Weg durch Nordland kehrte er, begleitet von Isaak
Olsen und zwei Samenkindern, nach Drontheim zurück, wo er am 5. November wieder
anlangte, um nun seine Erfahrungen erst recht für die Bekehrung des Samenvolkes
fruchtbar zu machen. Er unterhielt fortan in seinem Hause auf eigene Kosten
eine Schule von Samenkindern, die später als Katecheten treffliche Dienste
leisteten. Auf seinen Vorschlag wurde trotz der Gegenbemühungen des Bischofs
Krog das Seminar bei der drontheimischen Schule, welches Missionszwecken dienen
sollte, fest gegründet, und hier war Olsen nun die Gelegenheit geboten, die
samische Sprache zu lehren. Vom Könige wurde die Erbauung neuer Kirchen und
Kapellen in Finmarken geboten, für Anstellung und Besoldung von Katecheten und
Unterschulmeistern wurde gesorgt und jedem Katecheten frei gegeben, zwei
Samenkinder, die er für fähig erachte, zu künftigen Schulmeistern heran zu
ziehen. Auf die Gewinnung tüchtiger, dem Volk nahestehender Lehrer und
Seelsorger kam ja das meiste an; ohne sie waren alle anderen, noch so
wohlgemeinten, Ordnungen wertlos.
Noch
zweimal, 1718 und 1722, wiederholte von Westen seine Missionsreisen, auf denen
er nicht nur die führeren Stationen besuchte, sondern auch allen anderen Samen
nachging, die er das erste Mal nicht hatte erreichen können, und denen
teilweise schon seit langen Jahren kein christlicher Lehrer nahe gekommen war,
und setzte auch Prediger und Lehrer ein.. Er durfte jetzt auch in Nordland und
dem Teil des Drontheimstifts wirken, in welchen Samen wohnten; durch königliche
Verordnung war 1720 die Mission auch auf diese Gebiete ausgedehnt worden. Die
Samen wohnten einstmals überhaupt viel südlicher, und noch damals gab es
Gemeinden von ihnen zum Beispiel in Stördalen und Marger, nur zwei Meilen von
Drontheim entfernt. Ja selbst südlich von dieser Stadt zu Tönsät im
Christianiastift fand sich eine Kolonie von Samen, welche in christlicher
Hinsicht ebenso verkommen waren wie ihre anderen Volksgenossen. Natürlich
wollte von Westen sich auch ihrer annehmen, zumal er eine ausdrückliche
Einladung von ihnen erhielt. Aber der Präsident des Missionskollegs selbst
musste ihn anweisen, diese Reise zu unterlassen, weil jener Ort nicht mehr zu
dem in der königlichen Verordnung genannten Missionsgebiete gehörte und der
Bischof Deichmann von Christiania ein Gegner der Mission war. So mussten
mehrere hundert Samenseelen die jetzt auch von ihnen ersehnte Speise des
göttlichen Wortes entbehren; das Staatskirchentum verlangte es. Überhaupt
erwies sich dieses als ein Haupthindernis der samischen Mission (wie ja auch
heute die Verlandeskirchlichung der Missionswerke nach dem Zweiten Weltkrieg
ein mitentscheidender Grund für den Niedergang der meisten Missionswerke im
Bereich der Landeskirche ist). So lange von Westen lebte und selbst mit seinem
von Liebe brennenden Herzen für die Sache eintrat, ging es vorwärts. Aber er
rieb sich zu früh auf. Schon 1723 nach der dritten Reise merkte er das
Schwinden seiner Kräfte, und zur längeren Schwachheit kamen noch Kränkungen
aller Art, Anfeindungen durch die Bischöfe Deichmann und Krog, selbst äußere
Not, da er sein Vermögen im Dienst der Mission verzehrt hatte. Solchen
Angriffen erlag seine Gesundheit. Er verschied nach einigen leidensvollen
Jahren am 9. April 1727 in Drontheim, so arm, dass Freunde seine Beerdigung
bezahlen mussten. Von da an ging es mit der Mission wieder abwärts. Die
Anstalten bestanden fort, die Verordnungen blieben in Kraft, auch die Arbeit
wurde noch einige Zeit weitergeführt, aber es geschah jetzt ohne gedeihlichen
Erfolg. Denn es fehlte mehr und mehr an tauglichen Personen zur beschwerlichen
Predigt unter den Samen. Von den Vorstehern der Missionsschule in Drontheim
ließen mehrere den rechten Eifer vermissen und bei dem Kollegium in Kopenhagen
ging Eifer und Kenntnis der Sache aus. Man begnügte sich, wie das ja beim
Staatskirchentum so häufig geschieht, mit dem Scheine, als ob etwas geschehe,
weil die äußeren Ordnungen und Veranstaltungen noch vorhanden waren. Man
täuschte sich selbst und vernachlässigte die Seelen der armen Samen.