Erklärung des Augsburgischen Bekenntnisses


Erklärung des Augsburgischen Bekenntnisses

Von C.A.T. Selle

Original:

Die Lehrartikel der Augsburgischen Konfession.

Vorgetragen im Schullehrerseminar zu Addison

von C.A.T. Selle.

St. Louis, Mo. Concordia Publishing House.

1902.   

Inhaltsverzeichnis

Die Lehrartikel der Augsburgischen Konfession

Einleitung

Die Vorrede zur Augsburgischen Konfession

Artikel 1.

Von Gott

Artikel 2.

Von der Erbsünde

Artikel 3.

Vom Sohne Gottes

Artikel 4.

Von der Rechtfertigung

Artikel 5.

Vom Predigtamt oder

Von der Erlangung des Glaubens durch die Gnadenmittel

Artikel 6.

Vom neuen Gehorsam

Artikel 7.

Von der Kirche

Artikel 8.

Was die Kirche sei.

Artikel 9.

Von der Taufe

Artikel 10.

Vom heiligen Abendmahl

Artikel 11.

Von der Beichte

Artikel 12.

Von der Buße

Artikel 13.

Vom Gebrauch der Sakramente

Artikel 14.

Vom Kirchenregiment oder Vom Pfarramt

Artikel 15.

Von Kirchenordnungen

Artikel 16.

Von der Polizei und weltlichem Regiment oder

Von bürgerlichen Sachen

Artikel 17.

Von Christi Wiederkunft und Gericht

Artikel 18.

Vom freien Willen

Artikel 19.

Von Ursach der Sünde

Artikel 20.

Vom Glauben und guten Werken

Artikel 21.

Vom Dienst der Heiligen.

Schluß der Lehrartikel Augsburgischer Konfession

ZWEITER TEIL:

ARTIKEL, VON WELCHEN ZWIESPALT IST, DA ERZÄHLT WERDEN DIE MISSBRÄUCHE, SO GEÄNDERT SIND

Der 22. Artikel.

Von beider Gestalt des Sakraments

Artikel 23.

Von dem Ehestand der Priester

Artikel 24.

Von der Messe

Artikel 25.

Von der Beichte

Artikel 26.

Vom Unterschied der Speisen

Artikel 27.

Von den Klostergelübden

Artikel 28.

Von der Bischöfe Gewalt oder

Von der Unterscheidung geistlicher und weltlicher Gewalt

Schluß

Die Lehrartikel der Augsburgischen Konfession

Einleitung

    Das Konkordien- (Eintrachts-) Buch von 1580 enthält die "Symbole" oder die "symbolischen Bücher" oder die "Bekenntnisschriften" der evangelisch-lutherischen Kirche. Diese sind: die drei ökumenischen, das heißt, allgemeinen, Bekenntnisse, nämlich: das apostolische, das nicänische und das athanasianische Symbolum, ferner: die ungeänderte Augsburgische Konfession, deren Apologie, die Schmalkaldischen Artikel, der Kleine und der Große Katechismus Dr. Martin Luthers, die Konkordienformel, zerfallend in den summarischen Begriff und die Wiederholung und Erklärung, und endlich die sächsischen Visitationsartikel [letztere sind nicht direkt Teil der Bekenntnisschriften, sind aber früher mit faßt ähnlichem Ansehen belegt und oft im Konkordienbuch mitgedruckt worden, Anm. d. Hrsg.; ebenso hat seit 1932 im bibel- und bekenntnisgebundenen Luthertum die 'Kurze Darlegung der Lehrstellung', von der alten Missouri-Synode erarbeitet, Bekenntnischarakter bekommen].

    Was den Namen dieser Schriften betrifft, so heißt Symbol so viel wie Zeichen oder Kennzeichen. Dieser Name findet sich in diesem Sinne sehr frühzeitig in der Kirche. Die Symbole der Kirche oder deren Bekenntnisse sollen Kennzeichen sein, an denen die Christen erkannt und von den Feinden der Kirche unterschieden werden können.

    Die Entstehung der Symbole fällt zusammen mit der Entstehung der Kirche. Christus spricht: "Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater", Matth. 10,32, und Ps. 116,10 heißt es: "Ich glaube, darum rede ich." So haben von Anfang an die Christen ihren Glauben bekannt und bezeugt, wie sie das Wort Gott verstanden und die auftauchenden Irrtümer abwiesen. Von Zeit zu Zeit stellte die Kirche neue Symbole auf, nicht um neue Lehren zu machen, sondern um die alte, von den Vätern überkommene Wahrheit von neuem zu bekennen und gegen neue Irrlehren zu begründen. Das erste Bekenntnis der christlichen Kirche war das apostolische. Dies erweiterte sich zum nicänischen und dieses wiederum zu athanasianischen. Alle haben denselben Glaubensinhalt, nur den verschiedenen Zeitbedürfnissen gemäß die späteren ausführlicher und schärfer abgegrenzt, dargelegt. So gehen auch die lutherischen Symbole auf die ersten zurück und gründen sich auf dieselben, indem sie zugleich die neuen Irrlehren und Menschensatzungen abweisen.

    Den Zweck der Symbole belangend, heißt es 1 Petr. 3,15: "Seid aber allezeit bereit zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in euch ist." Dieselbe Verpflichtung, die so jeder einzelne Christ hat, hat selbstverständlich auch die Gesamtheit der Gläubigen, das heißt, die Kirche. Diese Pflicht erstreckt sich nach außen und innen. Die ungläubige Welt soll gestraft, die Glieder der Kirche sollen in ihrem Glauben gestärkt und gefördert werden. So ist also der nächste Zweck der Symbole, "Zeugnisse und Erklärungen des Glaubens" zu sein. Aber sie sollen und wollen auch dienen zur Bewahrung des Glaubens, damit er rein und unverfälscht auf die Nachkommen übergehe. Die Reinheit des Glaubens kann aber nicht bestehen ohne reine Lehre; darum muß die Kirche ihre Lehrer auf die Symbole verpflichten. Das gebietet die Selbsterhaltung und die Rücksicht auf das Seelenheil ihrer Angehörigen. Weil die Kirche überzeugt ist, daß ihre Symbole die lautere Wahrheit enthalten, darf sie nicht dulden, daß in ihrer Mitte etwas gelehrt werde, was diesen widerspricht.

    Die Notwendigkeit symbolischer Bücher liegt nicht im Wesen der Kirche, da zu ihrem Ent- und Bestehen schlechthin und absolut nur das geoffenbarte Wort Gottes nötig ist; es liegt diese Notwendigkeit vielmehr in dem Stande der Kirche in dieser Zeit. Die Kirche bleibt im Besitz der göttlichen Wahrheit nie unangefochten. Die Irrlehrer berufen sich nun aber auch auf die heilige Schrift und wollen ihre Meinungen aus derselben rechtfertigen; deshalb ist es notwendig, daß die Kirche die reine Lehre aus der Schrift zusammenstelle und den rechten Verstand derselben aller Irrlehre gegenüber zeige. Diese Notwendigkeit ist also eine bedingte, während das Wort Gottes die "einige Regel und Richtschnur, nach welcher zugleich alle Lehre und Lehrer gerichtet und geurteilt werden sollen", bleibt. Andere gute Schriften dürfen nur als Zeugen angenommen werden und sind alle der heiligen Schrift unterworfen und nie ihr gleich zu halten. - Für Lehrer der Kirche, die zarten Gewissens und demütigen Sinnes sind, haben die Symbole auch noch eine besondere Notwendigkeit, indem sie ihnen als Norm der Kirche (norma docendorum) neben der Richtschnur des göttlichen Wortes (norma credendorum) zeigt, was und wie in Übereinstimmung mit der Kirche zu lehren ist.

    Das Ansehen der Symbole ist durchaus nur ein bedingtes und abgeleitetes; es beruht auf dem Ansehen des Wortes Gottes und auf der Übereinstimmung mit demselben. Von ihren Angehörigen, zumal aber von ihren Lehrern, verlangt die Kirche, daß sie die gänzliche Übereinstimmung der Symbole mit der heiligen Schrift anerkennen. Damit tritt sie der Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht entgegen, denn sie zwingt keinen ihrer Lehrer oder Glieder, in ihr zu verbleiben. Wir legen den Symbolen nicht göttliche, sondern allein kirchliche Autorität bei.

    In den symbolischen Büchern ist zu unterscheiden zwischen dem Wesentlichen und Minderwesentlichen des Inhalts, da die Verpflichtung sich nur auf das Wesentliche zu erstrecken braucht. Wesentlich sind: 1. alle Glaubensartikel, die als solche bezeichnet werden und zu denen besonders auch der Gesamtinhalt der drei ökumenischen Symbole gehört; 2. alle Lehrsätze, durch welche der Glaube ausgedrückt wird; 3. nicht nur die Thesis, sondern auch die Antithesis (Verwerfung der Gegenlehre); denn die Thesis schließt die Antithesis ein und fordert sie. - Minderwesentlich sind: 1. die Art und Weise der Beweisführung und wie die Einwendungen der Gegner beantwortet werden. Was die Form anbelangt, so ist wohl eine vollkommenere Darstellung denkbar; 2. die historischen Behauptungen oder literarischen Anführungen, die Unrichtigkeiten enthalten mögen; 3. die Probleme, das heißt, fragliche Lehrsätze, die nicht unwidersprechlich aus Gottes Wort bewiesen werden können, wie z.B. die Lehre von der immerwährenden Jungfrauschaft Marias. - Wer nun aber dieses oder jenes Problem nicht mit den Verfassern der Symbole glauben kann, muß, ehe er sich auf die Symbole verpflichtet, genau solches auszunehmende Problem bezeichnen, damit nicht die Kirche betrogen und später eine deutliche Lehre göttlichen Wortes für ein bloßes Problem ausgegeben werde.

    Durch die in den Symbolen enthaltenen Verdammungsurteile sind nicht betroffen die aus Schwachheit Irrenden, viel weniger ganze Gemeinschaften nach allen ihren Gliedern, sondern allein die falschen Lehren und deren mutwillige und halsstarrige Anhänger und Verbreiter. Diese sind längst zuvor in Gottes Wort verdammt. (Siehe die Vorrede zum Konkordienbuch, Müller, S. 11.)

    Unter den symbolischen Büchern ist nun die Augsburgische Konfession von den lieben Vätern der Augapfel der Kirche genannt worden. Beinahe dreizehn Jahre waren seit Beginn der Reformation verflossen, ehe die gereinigte Kirche als Korporation [Körperschaft, Anm. d. Hrsg.] ein eigenes Bekenntnis ablegte. Dies geschah zu Augsburg, im Jahre 1530, auf dem Reichstage. In dem Ausschreiben dieses Reichstags hatte Kaiser Karl V. bestimmt, daß auf demselben besonders auch in Sachen der Religion gehandelt werden solle. Der Kurfürst von Sachsen, Johann der Beständige, hielt es demnach für nötig, die Artikel, welche die Grundlehren des evangelischen Glaubens ausmachten, kurz und klar zusammenstellen zu lassen, um zu sehen, wie weit man sich mit gutem Gewissen auf einen Vergleich einlassen könne. Er trug diese Arbeit am 15. März 1530 Luther, Jonas, Bugenhagen und Melanchthon auf, daß sie dieselbe bis zum 21. März anfertigen möchten. Diese Theologen überreichten zur bestimmten Zeit dem Kurfürsten im Wesentlichen dieselben 17 Artikel, welche schon in Schwabach vorgelegt waren (von Luther gestellt), nur etwas erweitert, und jetzt unter dem Namen der "Torgauer Artikel". Nach Anordnung eines allgemeinen Kirchengebets für den gesegneten Ausgang des Reichstages brach der Kurfürst am 3. April von Torgau auf. Von Theologen waren bei ihm Jonas, Spalatin und Melanchthon. Luther blieb in Coburg. Melanchthon benutzte die Zeit bis zur Eröffnung des Reichstages, vom 2. Mai bis zum 20. Juni, um aufgrund der Schwabach-Torgauischen Artikel die Augsburgische Konfession (damals noch Apologie genannt) zu entwerfen. Die evangelischen Grundsätze und Lehren waren darin so bündig und die Unterscheidungspunkte so schonend, gerecht und bestimmt ausgedrückt, daß alle gegenwärtigen Theologen ihre volle Zustimmung erklärten. Luther sandte die Arbeit dem Kurfürsten mit der Antwort zurück: "Ich habe Mag. Philipps Apologie überlesen, die gefällt mir fast" (sehr) "wohl, und weiß nichts daran zu bessern und zu ändern; würde sich auch nicht schicken, denn ich so sanft und leise nicht treten kann. Christus, unser HErr, helfe, daß sie viele und große Frucht schaffen, wie wir hoffen und bitten." So wurde nun die Augsburgische Konfession in dieser Form dem Reichstage übergeben, nachdem sie zuvor von Justus Jonas ins Deutsche übersetzt worden war, am 25. Juni 1530, am Sonnabend Nachmittag um drei Uhr. Sie wurde zuerst deutsch vorgelesen und dann im lateinischen Exemplar dem Kaiser übergeben.

Die Vorrede zur Augsburgischen Konfession

    Diese Vorrede enthält drei Teile: 1. die Veranlassung zur Abfassung der Konfession. Der Reichstag war berufen wegen des Türkenkriegs und der Religionsstreitigkeiten. Das Ausschreiben dieses Reichstages war die hier angegebene Veranlassung zur Abfassung der Konfession; 2. die Absicht, welche die Väter bei dem Bekenntnis hatten. Diese war: "zu überreichen und übergeben" ihres "Glaubens Bekenntnis, was und welchergestalt sie aus Grunde göttlicher heiliger Schrift ... predigen, lehren, halten und Unterricht tun". Zugleich sind unsere Väter erbötig, sich mit den Widersachern "gern von bequemen, gleichmäßigen Wegen unterreden und derselbigen, so viel der Gleichheit nach immer möglich, vereinigen" zu "wollen". Es war ihnen also nicht um Streiten und Zanken zu tun; doch machen sie hinsichtlich der begehrten Einigung die Einschränkung, daß sie allein "nach göttlicher Wahrheit" geschehen möge; 3. berufen sich unsere Väter hier noch auf ein allgemeines, freies, christliches Konzil. Auf dem Reichstage zu Speyer hatte der Kaiser versprochen, daß er bei dem Papst um ein allgemeines, freies, christliches Konzil anhalten wolle, wo jeder seines Herzens Meinung frei heraussagen könnte, ohne fürchten zu müssen, gleich Hus verbrannt zu werden. Der Papst hatte auch versprochen, daß er auf deutschem Grund und Boden ein freies, christliches Konzil halten wolle. Er schob es aber immer wieder auf, so daß es gar nicht dazu kam. Endlich berief er zwar ein Konzil nach Mantua, das darauf nach Trient verlegt wurde; allein wie es anfangs nicht auf deutschem Grund und Boden war, so war es auch durchaus kein freies, christliches, indem von vornherein erklärt wurde, wer sich den Beschlüssen des Konzils nicht unterwerfe, sei verdammt.                 

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    Die Augsburgische Konfession besteht aus 28 Artikeln, welche in zwei Hauptteile zerfallen: 1. Artikel des Glaubens und der Lehre. In diesen ist der Gesamtbegriff der christlichen Lehre gegeben, aber nicht in einem vollständigen System und in erschöpfender Darstellung, sondern in einfacher Entwicklung und apologetischer Rechtfertigung. Diese 21 Artikel des Glaubens und der Lehre lassen sich wieder in vier Gruppen teilen: a. die Grundlagen des Glaubens, Artikel 1 bis 4; b. die Lehre von der Kirche und den Sakramenten, Artikel 5 bis 13; c. Grundsätze über Kirchenordnungen und über das Verhältnis von Kirche und Staat zu einander, Artikel 14-16; d. eine nähere Erörterung einzelner mit den früheren in Verbindung stehender Punkte, Artikel 17-21. - 2. Artikel, von welchen Zwiespalt ist, da erzählet werden die Mißbräuche, so geändert sind, Artikel 22 bis 28.

    Wir bezeichnen nun unsere Augsburgische Konfession als die ungeänderte. Melanchthon, der sie nach Luthers Vorarbeiten abgefaßt hatte, erlaubte sich nämlich 1540, sie zu verändern und sonderlich den 10. Artikel, gerade als ob er die Konfession als sein eigenes schriftstellerisches Produkt betrachten und behandeln dürfe, während sie doch längst Eigentum der ganzen Kirche geworden war. Streng genommen veränderte er nicht gerade den Sinn derselben; geradezu Falsches enthielten seine Änderungen nicht; aber hinter ihnen konnte sich doch der Irrtum der Reformierten verstecken. Melanchthon bereute und widerrief später.

Artikel 1.

Von Gott

    Erstlich wird einträchtiglich gelehrt und gehalten, laut des Beschlusses des Konzils von Nicäa, daß ein einig göttlich Wesen sei, welches genannt wird und wahrhaftiglich ist Gott, und sind doch drei Personen in demselbigen einigen göttlichen Wesen, gleich gewaltig, gleich ewig, Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist, alle drei Ein göttlich Wesen, ewig, ohne Stück, ohne End, unermeßlicher Macht, Weisheit und Güte, ein Schöpfer und Erhalter aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Und wird durch das Wort Persona verstanden nicht ein Stück, nicht eine Eigenschaft in einem andern, sondern das selbst bestehet; wie denn die Väter in dieser Sache dies Wort gebraucht haben.

    Derhalben werden verworfen alle Ketzereien, so diesem Artikel zuwider sind, als Manichäi, die zwei Götter gesetzt haben, einen bösen und einen guten. Ebenso Valentiniani, Ariani, Eunomiani, Mahometisten und alle dergleichen; auch Samosateni, alte und neue, so nur Eine Person setzen und von diesen zweien, Wort und Heiligem Geist, Sophisterei machen und sagen, daß es nicht müssen unterschiedene Personen sein, sondern Wort bedeute leiblich Wort oder Stimme und der Heilige Geist sei erschaffene Regung in Kreaturen.

(Vgl. Concordia S. 20 f. 56. 223; Müller, S. 30 f. 77. 299)

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    Einen eigentlichen, strenggeführten Beweis, daß es einen Gott gibt, enthält die heilige Schrift nicht. Er ist überflüssig, da diese Wahrheit jedem Menschen ins Herz geschrieben ist. Überhaupt trägt die Schrift ja nicht den Charakter logischer Beweisführung, sondern ist unseres großen Gottes Offenbarung.

    Nach diesem Artikel ist die kurzgefaßte Lehre von Gott, daß ein einig göttlich Wesen sei und in demselben drei Personen sind. Vor der unerleuchteten Vernunft mag diese Lehre Torheit scheinen, wie wir Christen denn ja auch wegen derselben fort und fort verspottet werden. Aber gewiß ist das die größte Torheit, wenn der Mensch sich vermißt, aus sich selbst, aus seiner eigenen Vernunft, den großen, ewigen, majestätischen Gott recht erkennen zu können, während man ja nicht einmal das Wesen der Kreatur vollkommen ergründen kann. Die heilige Schrift stellt ein solches Gebaren an den Pranger, wenn sie 1 Kor. 2,11 sagt: "Welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, ohne der Geist des Menschen, der in ihm ist? Also auch weiß niemand, was in Gott ist, ohne der Geist Gottes." Wir können viel weniger in das innere Wesen Gottes dringen als in das eines Menschen, wenn er sich uns nicht offenbart. Die einzige Quelle, aus der wir Gott nach seinem Wesen und Willen erkennen lernen können, ist Gottes Wort. - Daß Gott nun einig sei, sagt unter anderem der Spruch 5 Mose 6,4: "Höre, Israel, der HErr, unser Gott, ist ein einiger HErr" (Mark. 12,29). Seine Dreieinigkeit bezeugt z. B. Ps. 33,6: "Der Himmel ist durchs Wort des HErrn gemacht, und all sein Heer durch den Geist seines Mundes", oder 1 Joh. 5,7: "Drei sind, die da zeugen im Himmel: der Vater, das Wort und der Heilige Geist; und diese drei sind Eins."

    Unter den drei Personen ist nun kein Wesensunterschied: sie sind Eines Wesens von Ewigkeit her, wie der Artikel sagt, es seien "alle drei Ein göttlich Wesen". Doch erkennen wir unter den drei Personen einen persönlichen Unterschied, und zwar nach innen und nach außen. Der Unterschied nach innen wird uns in dem athanasianischen Glaubensbekenntnis angegeben mit den Worten: "Der Vater ist von niemand, weder gemacht, noch geschaffen, noch geboren. Der Sohn ist allein vom Vater, nicht gemacht, noch geschaffen, sondern geboren. Der Heilige Geist ist vom Vater und vom Sohn, nicht gemacht, nicht geschaffen, nicht  geboren, sondern ausgehend." Der Unterschied nach außen besteht darin, daß jeder der drei Personen ein Werk besonders zugeschrieben wird: Gott dem Vater die Schöpfung, Gott dem Sohn die Erlösung, Gott dem Heiligen Geist die Heiligung, jedoch also, daß keiner Person das betreffende Werk mit Ausschluß der anderen Personen zugeschrieben werden darf. - Die Apologie sagt mit Recht (Conc. S. 56; Müller, S. 77): "Wir halten und sind gewiß, daß derselbe" (der Artikel von Gott) "so starken, guten, gewissen Grund in der heiligen Schrift hat, daß es niemand möglich, den zu tadeln oder umzustoßen."

    Wie überhaupt Artikel 1 bis 4 die Grundlagen des christlichen Glaubens enthalten, so bildet Artikel 1 mit seiner Lehre von Gott recht eigentlich den tiefuntersten Grund desselben. Wer diese Lehre nicht rein hat, kann keine einzige rein haben; wer hier falsch glaubt, kann nicht selig werden (Conc. S. 20 f; Müller, S. 30 f), "der wird ohne Zweifel ewiglich verloren sein". So bezeichnet auch die Apologie (Conc. S. 56; Müller, S. 77) alle diejenigen als "abgöttisch, Gotteslästerer und außerhalb der Kirche Christi", die anders halten oder lehren.

    Nicht allein deswegen haben unsere Väter diesen Artikel obenan gestellt, weil er der Grundartikel ist, sondern auch, weil ihnen von den Papisten vorgeworfen worden war, sie seien Atheisten. Diesem Vorwurf wollen sie von vornherein entgegentreten.

    Weiter wurde ihnen vorgeworfen, daß sie Schismatiker seien, das heißt, solche Leute, die sich um Nebendinge willen von der allgemeinen Kirche absondern. Diesem Vorwurf begegneten unsere Väter, indem sie sich auf das nicänische Konzil berufen. Sie sagen jedoch nicht, daß sie so lehren, weil das Konzil zu Nicäa (325 nach Christo) also beschlossen habe, sondern laut des Beschlusses zu Nicäa gefaßt, das ist, eben dasselbe, wie es da beschlossen worden ist; denn auf diesem Konzil wurde den Arianern gegenüber das öffentliche Bekenntnis getan, "daß wir einen einigen Gott in drei Personen und drei Personen in einiger Gottheit ehren", wie die Worte im athanasianischen Bekenntnis lauten. (Conc. S. 20; Müller, S. 30)

    Diese Lehre "wird einträchtiglich gelehret und gehalten", das ist, unter den Gläubigen ist keine Abweichung von dieser Lehre. Nach der lateinischen Ausgabe heißt es: "Die Kirche lehrt bei uns mit großer Übereinstimmung" usw. (Müller, S. 38)

    Die Worte: "welches genannt wird und wahrhaftig ist Gottes" sind im Gegensatz zu den Göttern der Heiden und aller Abgöttischen gesetzt. Diese haben viele Dinge, die sie Gott nennen; aber keines derselben ist Gott. Unser Gott, der alleinige lebendige Gott, unterscheidet sich von allen Götzen besonders eben dadurch, daß in seinem einigen göttlichen Wesen drei Personen sind. Sein Name ist: "Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist." "Gleich gewaltig, gleich ewig" usw. bezeichnet diejenigen seiner Eigenschaften, die ihm zukommen nach seinem äußerlichen Werk als der Schöpfer und Erhalter aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge". Das Werk der Schöpfung, das im ersten Artikel des Apostolischen Symbolums sonderlich Gott dem Vater zugeschrieben wird, steht hier als Werk des dreieinigen Gottes.

    Einer besonderen Erklärung bedarf noch das Wort "Person"; denn da dies Wort in Beziehung auf die Dreieinigkeit nicht in heiliger Schrift vorkommt, so könnte es ohne Erklärug leicht mißverstanden werden, wie dies auch geschehen ist, indem die alte morgenländische Kirche die abendländische in Verdacht hatte, sie verbinde damit den Begriff, daß Gott stücklich sei in seinem Wesen, oder daß mit den Namen der verschiedenen Personen nur besondere Äußerungen oder Eigenschaften Gottes bezeichnet werden sollten. Deshalb haben die Väter es hier so erklärt: "Und wird durch das Wort Persona verstanden nicht ein Stück, nicht eine Eigenschaft in einem anderen, sondern das selbst bestehet." An einem anderen Orte gibt Melanchthon folgende Erklärung: "Person ist ein lebendiges, ungeteiltes, vernünftiges Etwas, das sich nicht mitteilt, noch getragen wird von etwas anderem", während er hinzusetzt: "Wesen aber wird genannt, was in Wahrheit ist und steht, ob es gleich mitgeteilt ist." Der Person nach teilt sich der Vater nicht dem Sohn, dieser nicht dem Vater usw. mit, wohl aber hat der Vater dem Sohn und der Vater und Sohn dem Heiligen Geiste das Wesen mitgeteilt.

    Bei der Verwerfung der Widersacher haben wir hier zwei Klassen von Irrlehrern zu unterscheiden. Zu der ersten Klasse gehören diejenigen, welche wider die Einigkeit Gottes zwei Götter setzen: "einen bösen und einen guten", wie die Manichäer taten. Die andere Klasse lehrt falsch in Betreff der Dreieinigkeit, indem ihre Zugehörigen "nur Eine Person nennen" und von den andern beiden, "Wort und Heiligem Geist, Sophisterei" (Spitzfindigkeit) "machen und sagen, daß es nicht müssen verschiedene Personen sein, sondern Wort bedeute leiblich Wort oder Stimme, und der Heilige Geist sei erschaffene Regung in Kreaturen". Solcher Art waren die Valentinianer (im 2. Jahrhundert), die Arianer und Eunomianer (im 4. Jahrhundert), die Mahometisten (vom 7. Jahrhundert an), die alten Samosatenser (im 3. Jahrhundert) und die neuen Samosatenser. Zu diesen rechneten die Väter wahrscheinlich besonders den Ketzer Michael Servetus in der Zeit der Reformation, der, was sicher nicht zu rechtfertigen ist, im Jahre 1553 auf Anstiften Calvins zu Genf verbrannt wurde. Ferner gehören zu ihnen die Schwenkfeldianer, Socinianer, Swedenborgianer, Rationalisten und Unitarier, sowie selbstverständlich die Heiden und die heutigen Juden.

Artikel 2.

Von der Erbsünde

    Weiter wird bei uns gelehrt, daß nach Adams Fall alle Menschen, so natürlich geboren werden, in Sünden empfangen und geboren werden, das ist, daß sie alle von Mutterleibe an voller böser Lust und Neigung sind und keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur haben können; daß auch dieselbige angeborne Seuche und Erbsünde wahrhaftiglich Sünde sei und verdamme alle die untern ewigen Gottes Zorn, so nicht durch die Taufe und Heiligen Geist wiederum neu geboren werden. 

    Hierneben werden verworfen die Pelagianer und andere, so die Erbsünde nicht für Sünde haben, damit die Natur fromm machen durch natürliche Kräfte, zu Schmach dem Leiden und Verdienst Christi.

(Vgl. Conc. S. 56 ff. 230 f. 356 ff. 392 ff. - Müller, S. 77 ff. 310 f. 519 ff. 573 ff.)

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    Dieser Artikel ist der zweite grundlegende Artikel des christlichen Glaubens. Sowenig der ein Christ sein kann, der nicht an den dreieinigen Gott glaubt, so wenig kann der ein Christ sein, der keine rechte Erkenntnis von der Sünde hat. Die Erbsünde aber ist die Mutter aller Sünden: aus ihr fließen alle anderen. Sie heißt Erbsünde, weil wir sie von Adam und Eva geerbt haben. Conrad Dietrich erklärt in seinem Katechismus die Erbsünde so: "Die Erbsünde ist das alllertiefste Verderben der ganzen menschlichen Natur, vermöge dessen sie der anerschaffenen Gerechtigkeit und Vollkommenheit beraubt und zu allem Bösen geneigt ist." (Fr. 131)

    Unser Artikel zerfällt nach seinem Lehrgehalt in drei Unterabteilungen:

    1. wird die Allgemeinheit und der Ursprung der Erbsünde gelehrt;

    2. wird eine Beschreibung der Erbsünde gegeben;

    3. wird ihre Sündlichkeit und Verdammlichkeit gelehrt.

    Zu 1. Die Allgemeinheit der Erbsünde wird im Artikel mit folgenden Worten gelehrt: "Weiter wird bei uns gelehrt, daß nach Adams Fall alle Menschen, so natürlich geboren werden, in Sünden empfangen und geboren werden." Anstatt der Worte: "so natürlich geboren werden" heißt es nach der lateinischen Ausgabe: "so natürlich gezeugt werden". (Müller, S. 38) Christus ist natürlich, doch ohne Sünde, geboren, nicht aber natürlich gezeugt worden. Was von Vater und Mutter natürlich gezeugt ist, ist mit der Erbsünde behaftet. Die Papisten nehmen auch die Jungfrau Maria von den mit Erbsünde behafteten Menschen aus. Hierauf nehmen aber unsere Symbole keinen direkten Bezug, weil zur Zeit ihrer Abfassung die "unbefleckte Empfängnis Marias" von der Papstkirche noch nicht "zum kirchlichen Dogma erhoben" worden war, wie dies erst durch Pius IX. geschehen ist.

    Der Ursprung der Erbsünde ist nach den schon oben angeführten Worten unseres Artikels ein zweifacher: 1. Adams Fall, 2. die natürliche Geburt (Zeugung). Daß Adams Fall der Ursprung der Erbsünde ist, bezeugt Röm. 5,12: "Wie durch Einen Menschen die Sünde ist kommen in die Welt" usw. Die natürliche Geburt als Ursprung der Sünde bezeugt Ps. 51,7: "Wehe, ich bin aus sündlichem Samen gezeuget, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen", und Joh. 3,6: "Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch."

    Zu 2. Die Beschreibung der Erbsünde in diesem Artikel führt die dazugehörenden einzelnen Stücke auf. Die Erbsünde ist das allertiefste Verderben der menschlichen Natur. Hier wird nun angezeigt, was nach demselben a. der Mensch von Natur Böses hat; b. was ihm von Natur Gutes mangelt.

    a. Alle Menschen sind von Mutterleibe an "voll böser Lust und Neigung", nach Leib und Seele. Dies bekennen unsere lieben Väter im Gegensatz zu den Papisten, welche die Erbsünde nur für ein "geringes Gebrechen am Leibe" und dergleichen halten. (Conc. S. 57; Müller, S. 79) - Alle Kräfte Leibes und der Seele sind aber voll böser Lust und Neigung, voll Mißglauben und Unglauben gegen Gott, voll Verachtung Gottes, voll Unkeuschheit, Geiz usw. "Lust und Neigung" sollen hier nicht sowohl die innerlichen üblen Regungen bezeichnen, welche schon zur wirklichen Sünde gehören, als vielmehr den ganzen Zustand des Menschen, die Richtung aller seiner Kräfte auf das Böse. Alles Vermögen des Menschen ist von Natur auf das Böse gerichtet, wie wir ja auch schon aus den Bewegungen und Handlungen der kleinsten Kinder erkennen können.

    b. Weiter besagt unser Artikel, daß wir "keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur haben können", so daß uns also die Erbgerechtigkeit, die wir doch haben sollten, fehlt. Hier wird ganz offenbar wieder nicht gesehen auf die Tätigkeit des Menschen, sondern darauf, daß ihm das Vermögen abgeht, Gott recht zu fürchten und an ihn zu glauben. Wir können dies gar nicht von Natur. Die Apologie weist dabei hin auf den Spruch: "Da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht Einer", Ps. 14,3. Daß uns alles Vermögen zum Guten von Natur fehlt, sagt uns aber noch klarer Röm. 7,18: "Ich weiß, daß in mir, das ist, in meinem Fleische, wohnet nichts Gutes", und nach Eph. 2,1 waren wir "tot durch Übertretungen und Sünden". -

    Eine "Seuche" nennt unser Artikel die Erbsünde. Die Konkordienformel erklärt dies dahin, daß "nichts Gesundes und Unverdorbenes an Leib und Seele" sei (Conc. S. 357; Müller S. 520), und die Apologie sagt, es sei dies hier gebraucht, um anzuzeigen, "daß nicht ein Stück, sondern der ganze Mensch mit seiner ganzen Natur mit einer Erbseuche von Art in Sünden geboren wird". (Conc. S. 57; Müller S. 79) Dasselbe bekennt unsere Kirche auch in dem Liede: "Durch Adams Fall ist ganz verderbt menschlich Natur und Wesen." Die Erkenntnis dieses allertiefsten Verderbens ist deshalb so wichtig, weil ohne sie der Reichtum der Gnade Gottes in Christo JEsu auch nicht recht erkannt werden kann. 

     Zu 3. Die Sündlichkeit und Verdammlichkeit der Erbsünde wird uns im Artikel mit folgenden Worten vorgeführt: "Daß auch dieselbe angeborne Seuche und Erbsünde wahrhaftiglich Sünde sei und verdamme alle die untern ewigen Gottes Zorn, so nicht durch die Taufe und Heiligen Geist wiederum von neuem geboren werden." 3 Mose 19,2 spricht der HErr: "Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HErr, euer Gott", und 1 Joh. 3,4: "Die Sünde ist das Unrecht." Sünde überhaupt ist ja alles, was wider Gottes Willen ist. Die Erbsünde macht uns unheilig; sie ist ein schreckliches Unrecht; sie ist gegen Gottes Willen: also ist sie Sünde. Weil nun die Erbsünde wahrhaftig Sünde ist, so gehört auf dieselbe auch Tod und Verdammnis. Da möchte der in Sünden blinde Mensch aber wohl sagen: Was kann ich dafür, daß ich in Sünden empfangen und geboren bin? Das müßte doch ein ungerechter Gott sein, der eine Sünde an mir strafen wollte, die ich nicht getan habe, sondern die durch fremde Schuld auf mich gekommen ist. Antwort: Wir waren ja alle dem Samen nach in Adam beschlossen, als er die erste Sünde tat, haben also alle mit ihm gesaündigt. - Um der Erbsünde willen werden nun auch alle Menschen verdammt, "so nicht durch die Taufe und Heiligen Geist wiederum neu geboren werden". Wer also nicht um der Erbsünde willen verdammt werden will, muß neu geboren sein oder werden. Die neue Geburt kann aber nur der Heilige Geist in uns wirken. Die Taufe ist das ordentliche Mittel, durch welches der Heilige Geist dies tut, sie ist das Bad der Wiedergeburt. Die Wiedergeburt ist absolut nötig zur Seligkeit, die Taufe aber nicht. Wohl hat Gott uns, nicht aber sich selbst an diese Mittel gebunden, daß er nicht auch ohne dasselbe wiedergebären könnte. "Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden"; aber nur "wer nicht glaubet, der wird verdammt werden", Mark. 16,16. Deshalb sollen wir alle solche Fragen wie: "Wie steht es mit den Heiden und den ungetauften Heidenkindern? werden diese alle verdammt?" so beantworten: Das sagen wir nicht; denn Gott hat uns nichts darüber geoffenbart. Das ist uns aber offenbart, daß, wer nicht neu geboren wird, wer nicht glaubt an den HErrn Christus, verdammt ist.

    Die Papisten lehren falsch von der Taufe, sie nehme die Erbsünde ganz hinweg, während durch dieselbe nach Gottes Wort nur die Schuld und Strafe der Erbsünde gleich aller anderen Sünde abgewaschen wird, wie denn ja allerdings der Heilige Geist in der Taufe auch anfängt, inwendig die übrigen bösen Lüste täglich in uns zu töten. Auch hieraus sollen wir die Erbsünde als schrecklich großen Schaden erkennen, daß sie, wie sie allein durch Christi Verdienst vergeben werden kann, allein durch Wirkung des allmächtigen Gottes des Heiligen Geistes geheilt werden mag, "welches doch in diesem Leben nur angefangen, aber allererst in jenem Leben vollkommen sein wird". (Conc. S. 394; Müller, S. 577)

    Die Verwerfung der Widersacher. Als Widersacher der reinen Lehre von der Erbsünde werden hier ausdrücklich genannt die Pelagianer, das ist, die Anhänger des schottischen Mönches Pelagius, der ums Jahr 400 lebte, seine Lehre in den verschiedenen Teilen der alten Welt verbreitete und seinen Hauptbekämpfer in dem Kirchenvater Augustinus fand. Augustins Streitschriften waren größtenteils gegen diesen Ketzer gerichtet, der das gänzliche Verderben der menschlichen Natur leugnete. Zu den "anderen", die hier aufgeworfen sind, gehören die "Scholastiker" oder Schulgelehrten des 12.-16. Jahrhunderts, während manche der älteren Scholastiker von der Erbsünde recht gelehrt haben. Ferner sind hier auch die Papisten insgemein gemeint, die teils Pelagianer mehr im vollen Sinne des Wortes sind, indem sie das Vorhandensein der Erbsünde bei den Getauften gänzlich leugnen; teils Semipelagianer (Halbpelagianer), da sie die Erbsünde überhaupt nur für ein geringes Gebrechen am Leibe oder für ein äußerliches Hindernis der guten Kräfte halten. Auch Zwingli wird hier verworfen, sofern er den Mangel alles Guten an der menschlichen Natur leugnet. Eben den Reformierten zu Gefallen hatte Melanchthon in seiner Variata die Worte "und andere" ausgelassen. - Selbstverständlich sind hier zugleich noch alle beim ersten Artikel genannten Ketzer verworfen, da ja alle, die den Artikel von der Dreieinigkeit nicht halten, auch keine rechte Lehre von der Erbsünde haben. Alle uns umgebenden Sekten haben, minder oder mehr, eine laxe Lehre von der Erbsünde. Wir haben es als eine unaussprechliche Gnade Gottes zu erachten, daß wir einer Kirchengemeinschaft angehören, in der das Wort Gottes auch in dieser Beziehung ganz rein gelehrt wird, so daß wir das scheußliche Verderben unserer Natur je länger desto mehr recht erkennen und dagegen dann auch die Größe der Gnade Gottes in Christus umso mehr würdigen und preisen können.

    In der Konkordienformel wird auch dem Irrtum begegnet, daß die Erbsünde die Natur des Menschen selbst sei oder doch zu ihr gehöre. Es ist die Erbsünde etwas zur Natur Hinzugekommenes, ein Akzidens, ein Zufälliges. Gott hat die Natur des Menschen geschaffen. Daraus folgt, daß die Erbsünde nicht zur Natur gehört: denn Gott kann nichts Böses schaffen. Es kommt die Erbsünde ursprünglich vom Teufel her. Der Teufel aber kann keine Substanz schaffen, sondern nur das Vorhandene verderben. Der ewige Sohn Gottes hat die menschliche Natur angenommen; die Erbsünde hat er aber nicht angenommen: folglich gehört die Erbsünde nicht zur menschlichen Natur. Christus hat die Menschen erlöst; gehörte die Erbsünde mit zur Natur des Menschen, so mußte er diese auch erlöst haben, was gewiß nicht der Fall ist: folglich gehört die Erbsünde nicht mit zur Natur des Menschen. Der Heilige Geist heiligt unsere Natur; nicht aber heiligt er die Erbsünde: also gehört diese nicht zur Natur. Gott wird am jüngsten Tag den Menschen auferwecken; die Erbsünde wird er nicht auferwecken: also gehört die Erbsünde nicht mit zur Natur des Menschen. (Conc. S. 346 f. 396 ff; Müller S. 519 f. 580 ff)

    Wir halten also fest, daß die Erbsünde das zur menschlichen Natur hinzugekommene allertiefste Verderben sei, gleichwie die Fäulnis eines Apfels, obschon sie ihn ganz durchdringt und verdirbt, nicht der Apfel selbst ist oder zu dessen Natur gehört, sondern etwas Hinzugekommenes ist. So wird ja denn auch in unserem Artikel unterschieden zwischen dem Menschen und der Erbsünde, was nicht hätte geschehen dürfen, wenn die Sünde die Natur des Menschen selbst wäre.

Artikel 3.

Vom Sohne Gottes

    Item, es [Ebenso] wird gelehrt, daß Gott der Sohn sei Mensch [ge]worden, geboren aus der reinen Jungfrau Maria, und daß die zwei Naturen, göttliche und menschliche, in Einer Person, (al)so unzertrennlich vereinigt, Ein Christus sind, welcher wahrer Gott und Mensch ist, wahrhaftig geboren, gelitten, gekreuzigt, gestorben und begraben, daß er ein Opfer wäre nicht allein für die Erbsünde, sondern auch für alle anderen Sünden, und Gottes Zorn versöhnete.

    Item [Ebenso], daß derselbige Christus sei hinabgestiegen zur Hölle, wahrhaftig am dritten Tage von den Toten auferstanden, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes, daß er ewig herrsche über alle Kreaturen und regiere, daß er alle, die an ihn glauben, durch den Heiligen Geist heilige, reinige, stärke und tröste, ihnen auch Leben und allerlei Gaben und Güter austeile und wider den Teufel und wider die Sünde schütze und beschirme.

    Item [Ebenso], daß derselbige HErr Christus endlich wird öffentlich kommen, zu richten die Lebendigen und die Toten usw., laut des Apostolischen Glaubensbekenntnisses.

(Vgl. Conc. S. 20 f. 64. 223 f. 315 ff. 458 ff. 499 ff. 521. - Müller S. 31 f. 86. 299 f. 452 ff. 544 ff. 674 ff. 848. 850.)

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    Dies ist abermals ein grundlegender Artikel. Niemand kann ein Christ sein, der ihn nicht hält. Christus wird "Sohn" genannt in seinem Verhältnis zu Gott dem Vater. In seinem Verhältnis zu uns ist er, gleich Gott dem Vater, unser Vater, Gott und HErr. Jes. 9,6 wird er ausdrücklich "Ewigvater" genannt. Auch im Vater-Unser nennen wir ihn Vater; denn wir beten so nicht zur ersten Person allein, sondern zur ganzen Dreieinigkeit. - Daß Gott der Vater einen Sohn hat, sagt uns unter anderem Joh. 3,16: "Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab" usw., ferner Röm. 8,32: "Gott hat seines eigenen Sohns nicht verschonet" usw, oder Ps. 2,7: "Du bist mein Sohn, heute hab ich dich gezeuget." - In Betreff des Sohnes Gottes haben wir nach unserem Artikel zwei Punkte ins Auge zu fassen:

    1. die Person Christi und die Verbindung seiner beiden Naturen;

    2. die Verrichtungen seines Mittleramtes in seinen zwei Ständen.

    1. Die christlichen Fragestücke unseres Katechismus antworten auf die Frage: "Wer ist Christus?" (al)so: "Gottes Sohn, wahrer Gott und wahrer Mensch." Nach dieser Antwort, sowie nach unserem Artikel sind in Christus zwei Naturen, die göttliche und die menschliche. Den Beweis dafür, daß Christus wahrer Gott ist, liefert unter vielen anderen Schriftstellen folgende: 1 Joh. 5,20: "Dieser (JEsus Christus) ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben." Seine wahrhaft menschliche Natur bezeugt unter anderem 1 Tim. 2,5: "Es ist Ein Gott und Ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus JEsus." - Die göttliche Natur hat die menschliche Natur an sich genommen. "Gott der Sohn ist Mensch worden", nicht umgekehrt. Nach seiner menschlichen Natur besteht Christus, gleichwie wir, aus Leib und Seele und nicht, wie Irrgläube es schon aufgefaßt haben, aus dem Leibe allein, so daß bei ihm die Gottheit die Stelle unserer Seele verträte. Matth. 26,38: "Meine Seele ist betrübt bis an den Tod." Aus der ewigen Geburt von Gott dem Vater hat Christus die göttliche Natur; aus der zeitlichen Geburt von der Jungfrau Maria hat er die menschliche Natur. - Maria wird in unserem Artikel als reine Jungfrau bezeichnet, nicht im Sinne der Papisten, als ob sie ohne Erbsünde gewesen sei, wie Papst Pius IX. diese falsche Lehre zum Dogma seiner Hurenkirche erhoben hat, sondern wegen ihrer Keuschheit, und besonders weil Gott der Heilige Geist sie bei der Empfängnis Christi und zu derselben geheiligt hat. - Die Vereinigung der beiden Naturen in Christus ist bei der Empfängnis geschehen. Joh. 1,14: "Das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns." Die beiden Naturen sind "in Einer Person", die "Ein Christus" ist, vereinigt. Christus hat nie angefangen, eine Person zu sein; nach seiner göttlichen Natur ist er von Ewigkeit her eine Person. Nach seiner menschlichen Natur ist er keine Person "worden"; seine menschliche Natur ist aufgenommen worden in die Person, die zuvor schon da war, und zwar (al)so, daß nun außerhalb der Menschheit seine Gottheit nirgends ist, und überall, wo die ja allgegenwärtige Gottheit ist, ist auch die Menschheit mit ihr verbunden zu Einer Person. Kol. 2,9: "In ihm wohnet die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig." Die Vereinigung der beiden Naturen ist auf ewig geschehen. Das sagt uns der Artikel mit dem Worte "unzertrennlich".

    In Betreff der Lehre von der Person Christi und der Vereinigung seiner beiden Naturen hat man sich sonderlich vor zwei Abwegen zu hüten: A. daß man die Naturen nicht auseinanderreiße; B. daß man sie nicht ineinander vermenge. Unter den alten Ketzern machten sich die Nestorianer des ersteren dieser beiden Abwege schuldig. Ihnen ist hierin Calvin mit den Reformierten gefolgt. Er stellte sich die Vereinigung der beiden Naturen etwa in der Weise vor, wie eine solche stattfindet bei zwei Brettern, die aneinander geleimt sind, so daß also keinerlei Durchdringung dabei statthabe, während die alte rechtgläubige Kirche die Vereinigung der Naturen wohl unter dem Bilde der Vereinigung von Leib und Seele im Menschen oder unter dem Bilde eines glühenden Eisens vorstellte. Wie Leib und Seele Ein Mensch ist, so ist göttliche und menschliche Natur in dieser Person Ein Christus, und wie im glühenden Eisen die allerinnigste Vereinigung von Eisen und Feuer stattfindet, so durchdringen sich in Christus beide Naturen. - Des anderen Abweges: die Naturen ineinander zu mengen, machten sich die Eutychianer schuldig. Er besteht darin, daß man die wesentlichen Eigenschaften der einen Natur zu wesentlichen Eigenschaften der anderen Natur macht, während doch jede Natur ihre Eigenschaften, das ist, das, was ihr eigen ist, behält, so daß diese nie wesentliche Eigenschaften der anderen Natur werden.

    Eine notwendige Folge der Vereinigung beider Naturen in Christus ist die Mitteilung der Eigenschaften. Wir unterscheiden zwei Arten von Mitteilungen in Betreff der Person Christi: 1. die Mitteilung der Naturen, 2. die Mitteilung der Eigenschaften. Die Mitteilung der Naturen ist, nach Dietrichs Katechismus, die allerinnigste, und zwar gegenseitige Durchdringung und unaussprechliche Gemeinschaft der Naturen selbst, um welcher willen Gott vom Menschen und Mensch von Gott wahrhaftig und wirklich ausgesagt wird. Es ist kein Unterschied zwischen der Mitteilung der Naturen und der persönlichen Vereinigung; denn in der Mitteilung der Naturen besteht ja eben das Wesen der persönlichen Vereinigung. Calvin redet nur von einer Gemeinschaft der Namen. Dagegen wird unter anderem 2 Sam. 7,10 Gott vom Menschen und Mensch von Gott wahrhaftig und wirklich ausgesagt, wenn es da heißt: "Das ist die Weise eines Menschen, der Gott der HErr ist." - Die Mitteilung der Eigenschaften aber, die, wie gesagt, eine Folge der persönlichen Vereinigung oder der Mitteilung der Naturen ist, ist nun, nach Dietrich, die aus der persönlichen Vereinigung entstandene Teilname an dem, was der göttlichen und menschlichen Natur eigen ist, und die da geschehen ist in Christus, dem Gottmenschen, der bald von der einen oder anderen, bald von beiden zugleich benannt wird. Wir bezeichnen diese Teilnahme auch als eine persönliche, weil sie in der Einen Person stattfindet. Es sind drei Arten oder Grade derselben zu unterscheiden: a. die Mitteilung der Eigenschaften im engeren Sinne, nach der das, was einer Natur eigen ist, der ganzen Person beigelegt wird. So ist es ja der menschlichen Natur eigen, Blut zu haben; wenn es nun aber 1 Joh. 1,7 heißt: "Das Blut JEsu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde", so wird dies der ganzen Person zugeschrieben; b. die Mitteilung der Majestät, da Christus nach der menschlichen Natur göttliche Majestät, Ehre und Gewalt durch und wegen der persönlichen Vereinigung zugeschrieben wird. So sagt Christus Matth. 28,18: "Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden." Gegeben ist ihm diese Gewalt nur nach der menschlichen Natur; nach der göttlichen hat er sie ja schon von Ewigkeit her. Überhaupt ist hier der Grundsatz festzuhalten: "Wovon die heilige Schrift sagt, daß es Christus in der Zeit gegeben worden sei, das ist ihm nach der angenommenen Menschheit gegeben"; c. die Mitteilung der Amtswerke, die darin besteht, daß Christus die Verrichtungen seines Amtes nicht nach Einer Natur allein, sondern nach beiden Naturen zugeschrieben werden. Wie z.B. Gal. 4,4.5: "Gott sandte seinen Sohn, geboren von einem Weibe und unter das Gesetz getan, auf daß er die, so unter dem Gesetz waren, errettete, daß wir die Kindschaft empfingen." Als Gottes Sohn ist Christus wahrhaftiger Gott; als des Weibes Sohn ist er wahrhaftiger Mensch: als Gott und Mensch hat er uns erlöst. Vergleiche auch 1 Mose 3,14 usw. Fragt jemand: Wer hat gelitten? Christus als Mensch oder Christus als Gott? so antworten wir: Christus, der ganze Christus. So ist auch der ganze Christus geboren, gen Himmel gefahren, sitzend zur Rechten Gottes usw., freilich zunächst nach seiner menschlichen Natur, wie er denn dagegen z.B. seine Wunderwerke zunächst nach der göttlichen Natur verrichtet; doch jedes (al)so, daß immer die eine Natur in Gemeinschaft mit der anderen wirkt; denn jede Natur wirkt, was ihr eigen ist, doch nie getrennt von der anderen, sondern immer in Gemeinschaft mit derselben. Wäre dies nicht der Fall, so hätte uns Christus nimmer erlösen können. Wäre doch sonst, da es nur der menschlichen Natur eigen ist, leiden und sterben zu können, ein purlauterer Mensch für uns gestorben, und unser höchster Trost wäre dahin; denn: "Kann doch ein Bruder niemand erlösen, noch Gotte jemand versöhnen; denn es kostet zu viel, ihre Seele zu erlösen, daß er's muß lassen anstehen ewiglich." Nur dadurch, daß es die ganze Person Christi ist, die gelitten hat und am Kreuz gestorben ist, ist unsere Erlösung möglich geworden und geschehen. Darum singen wir auch, was freilich kein wirklich Reformierter uns nachsingen kann, in dem schönen Passionsliede: "O große Not! Gott selbst ist tot, am Kreuz ist er gestorben."

    2. Es werden dem HErrn Christus zwei Stände zugeschrieben: der Stand der Erniedrigung und der Stand der Erhöhung, Phil. 2,8.9. Der Stand der Erniedrigung Christi ist derjenige Stand, in dem er sich meistenteils des Gebrauchs der seiner menschlichen Natur mitgeteilten göttlichen Eigenschaften enthalten hat. Im Besitz der göttlichen Eigenschaften war er fortwährend, gebrauchte (sich) auch derselben zu Zeiten, z.B. bei seinen Wunderwerken und seiner Verklärung; meistenteils hat er sich des Gebrauchs derselben aber enthalten, da er uns sonst nicht hätte erlösen, nicht für uns leiden und sterben können. Zu diesem Stande Christi rechnet man fünf sogenannte Stufen: seine Geburt, sein Leiden, seine Kreuzigung, seinen Tod und sein Begräbnis. In unserem Artikel ist den fünf Stufen die Benennung "wahrhaftig" vorangestellt. Das ist dem Ketzer Marcion (145 nach Christus) gegenüber geschehen, der behauptete, Christus habe nur einen Scheinleib, keinen wirklichen Leib gehabt. Hätte er recht, so wäre Christus nicht wahrhaftig geboren, hätte nicht wahrhaftig gelitten, hätte uns also auch nicht wahrhaftig erlöst, sondern es wäre dieses alles nur Schein, und wir müßten ohne Rettung im tiefsten Sündenelende bleiben. Gott sei ewig gelobt, daß dem nicht so ist! - Den Zweck der Erniedrigung Christi bezeichnet unser Artikel mit den Worten: "daß er ein Opfer wäre, nicht allein für die Erbsünde, sondern auch für alle andere Sünde, und Gottes Zorn versöhnete". Hebr. 10,10: "Mit Einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiliget werden." Nur so hat er sein hohepriesterliches Amt ausrichten können. Daß Christus nicht allein für die Erbsünde, sondern auch für alle andere Sünde ein Opfer geworden ist, wird hier den Papisten gegenüber hervorgehoben, weil sie höchstens zugeben, Christus habe allein für die Erbsünde hinreichend, für die wirklichen Sünden dagegen nur zum Teil genuggetan, so daß der Mensch das, was hieran fehle, selbst durch gute Werke usw. ersetzen müsse. Daß beides grundfalsch ist, beweist die ganze heilige Schrift.

    Der Stand der Erhöhung Christi ist derjenige Stand, in dem er die seiner menschlichen Natur mitgeteilten göttlichen Eingeschaften vollkommen und fortwährend gebraucht. Man unterscheidet auch hier fünf sogenannte Stufen: die Höllenfahrt, die Auferstehung, die Himmelfahrt, das Sitzen zur Rechten Gottes und die Wiederkunft zum Gericht. Die Reformierten rechnen die Höllenfahrt Christi noch zum Stande der Erniedrigung und legen sie dahin aus, daß Christus durch sein Leiden am Kreuzesstamm und zuvor alle Qualen der Hölle für uns erduldet habe. (s. Heidelberger Katechismus.) So aufgefaßt käme dann also die Stufe des Leidens Christi im zweiten Artikel des christlichen Glaubens zweimal vor: vor und nach seinem Sterben und Begräbnis, während doch der Artikel einfach bei der 1 Petr. 3,18-22 klar gegebenen Ordnung bleibt. Wir rechnen Christi Höllenfahrt zum Stande der Erhöhung; denn nachdem der HErr am Ostermorgen wieder lebendig geworden war, Leib und Seele sich wieder vereinigt hatten, ist die ganze Person, wahrer Gott und wahrer Mensch, vor Offenbarung seiner Auferstehung auf Erden zur Hölle hinabgestiegen, um ihr eine "Pestilenz" zu werden, wie er dem Tode ein Gift geworden war, Hos. 13,14. Er hat sich Teufel und Hölle als Sieger und Überwinder gezeigt, so daß wir nun an dem Teufel einen solchen Gegener haben, der da weiß, daß er schon überwunden ist. - Bei der Wiederkunft zum Gericht ist das Wort "öffentlich" hervorzuheben zum Unterschied von Christi Kommen ins Herz durch Wort und Sakrament oder in allerlei Strafen oder Gnadenerweisungen, wie es in dieser Zeitlichkeit, nur den Gläubigen vernehmbar, statthat. Am jüngsten Tage wird aber auch der ganzen großen Menge der Widersacher und Feinde sein Kommen offenbar sein. - Im Stande seiner Erhöhung richtet nun Christus vornehmlich sein köngliches Amt aus, "daß er ewig herrsche über alle Kreaturen und regiere". Auch dieses sein Amt kommt den Gläubigen zugute. Sie genießen des zunächst innerlich, "daß er alle, so an ihn glauben, durch den Heiligen Geist heilige, reinige, stärke und tröste"; dann aber auch äußerlich, daß er "ihnen auch Leben und allerlei Gaben und Güter austeile und wider den Teufel und wider die Sünde schütze und beschirme". Am jüngsten Tage wird Christus sich in Ausübung seines könglichen Amtes gar herrlich offenbaren. Hierbei wird auf das Apostolische Symbolum verwiesen, wo dieses Stück, wie jedes einzelne Stück der zwei Stände Christi, eingehender bezeugt und erklärt wird.

    Dieser Artikel vom Sohne Gottes hält uns vor das Größte, was Gott für uns getan: daß er uns seinen lieben Sohn zu unserem Heilande und Erlöser gegeben hat, damit wir möchten selig werden können. Hierin hat er sich ganz und gar ausgeschüttet und nichts behalten, das er nicht uns gegeben habe". (Conc. S. 315; Müller S. 453) Es handelt dieser Artikel von dem höchsten Geheimnis nach der heiligen Dreifaltigkeit, "in welchem unser einiger Trost, Leben und Seligkeit stehet". (Conc. S. 375; Müller S. 547)

Artikel 4.

Von der Rechtfertigung

    Weiter wird gelehrt, daß wir Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit vor Gott nicht erlangen mögen durch unser Verdienst, Werk und Genugtun, sondern daß wir Vergebung der Sünden bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden um Christus willen durch den Glauben, so wir glauben, daß Christus für uns gelitten hat, und daß uns um seinetwillen die Sünden vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird. Denn diesen Glauben will Gott für Gerechtigkeit vor ihm halten und zurechnen, wie St. Paulus sagt zu den Römern im 3. und 4. Kapitel.

    (Vgl. Conc. S. 64 ff. 239. 361 ff. 416ff; Müller S. 86 ff. 324 f. 527 ff. 610 ff.)

    Auch dieser Artikel ist ein grundlegender. Wer ihn nicht hält, ist kein Christ. Ja, wir bezeichnen, mit der Apologie, den Artikel von der Rechtfertigung in seinem Verhältnis zu allen anderen Lehren als den "höchsten und vornehmsten Artikel". Die Rechtfertigungslehre ist die eigentliche Zentralsonne aller anderen Lehren: alle anderen stehen zu ihr in so naher Beziehung, daß, wenn sie falsch geführt oder irgendwie von ihr abgewichen wird, jede andere Lehre dadurch alsbald getrübt ist. Ohne rechtes Verständnis der Rechtfertigungslehre ist es unmöglich, die heilige Schrift zu verstehen; "sie tut in die ganze Bibel allein die Tür auf". (Apologie) Was demjenigen, der diese Lehre recht gefaßt hat, deutlich und sonnenklar in heiliger Schrift vorliegt, das bleibt dem hier Irrgläubigen dunkel und verborgen, so daß er manche Lehre der heiligen Schrift in ihr gar nicht zu finden vermag. Durch rechte Erkenntnis der Rechtfertigungslehre und deren Anwendung wird Gott die höchste Ehre gegeben, denn da heißt's recht: "Nicht uns, HErr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre, um deine Gnade und Wahrheit", Ps. 115,1. Ohne rechte Lehre von der Rechtfertigung ist es auch unmöglich, arme betrübte Gewissen rechtschaffen zu trösten.

    Unser vierter Artikel gibt uns nun vornehmlich die Ursachen der Rechtfertigung an, und zwar indem er uns sagt,

    1. was nicht Ursache der Rechtfertigung ist;

    2. welches die Ursachen der Rechtfertigung sind.

    Zu 1. "Daß wir Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit vor Gott nicht erlangen mögen durch unser Verdienst, Werk und Genugtun." Bei den Papisten, sowie mehr oder weniger bei allen Sekten, ist die Rechtfertigungslehre verdunkelt, indem sie eigenem Verdienst, eigenen Werken, eigenem Genugtun die Rechtfertigung ganz und gar oder doch teilweise zuschreiben. Wenn wir dem göttlichen Gesetz recht unter Augen sehen und nur einigermaßen recht erkennen, was es von uns fordert, so scheint es uns fast unmöglich, daß jemand so blind sein könne, sich einzubilden, der in Sünden empfangene und geborene Mensch könne durch eigenes Werk und Verdienst irgendwie Vergebung der Sünden und ewige Seligkeit sich erwerben. Aber es haben eben diese armen Leute die Lehre von der Erbsünde nicht recht erkannt, und dazu kommt, wie die Apologie sagt: "Die Widersacher sehen allein an die Gebote der anderen Tafel" usw., wobei sie dann auch nur die äußerlichen Werke ins Auge fassen und keine Ahnung davon zu haben scheinen, daß alle Werke aus vollkommener Furcht vor und Liebe zu Gott fließen sollen. Die erste und vornehmste Tafel der göttlichen Gebote übersehen sie ganz und gar. Wenn wir durch das Gesetz gerecht werden könnten, wozu sollte uns dann noch Christus dienen? Die durch das Gesetz gerecht werden wollen, machen Christus zu einem Gesetzgeber, ja, sie machen keinen Unterschied zwischen Christi und der alten Philosophen Lehre, da diese ja auch lehrten, durch welche Werke man sich die Götter geneigt machen solle.

    Daß wir nicht durch Werke gerecht werden können, sagen uns unter anderen folgende Sprüche: Röm. 3,24: "Und werden ohne Verdienst gerecht." Röm. 3,28: "So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke." Gal. 3,11: "Daß aber durchs Gesetz niemand gerecht wird vor Gott, ist offenbar." Gal. 2,16: "Durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch gerecht." Wer durch Werke gerecht werden will, weiß nicht, was seine Sünde für eine Last und was es für eine große Qual sei, Gottes Zorn zu fühlen, und - Verdienst oder Werk setzen gegen Gottes Zorn, ist gleich wie ein Federlein gegen den Sturmwind. (Apologie)

    Nun regt sich aber leider auch noch in den Herzen der rechtschaffenen Christen die vefluchte Selbstgerechtigkeit - bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger, je nach der Stärke des alten Menschen. Dagegen haben wir fort und fort zu kämpfen, ja, dies ist eigentlich unser innerer Hauptkampf.

    Ehe unsere eigene Gerechtigkeit vor Gott gelten könnte, müßten wir nicht allein eitel vollkommene Werke tun, sondern auch alle früheren Sünden, ja, auch unsere sündliche Geburt als solche ungeschehen machen, was beides unmöglich ist.

     2. Die wirklichen Ursachen unserer Rechtfertigung gibt uns unser Artikel an mit den Worten: "daß wir Vergebung der Sünden bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden um Christus' willen durch den Glauben". Diese drei hier genannten Ursachen der Rechtfertigung bezeichnet uns Röm. 3,24.25, nachdem ebenfalls erst abgewiesen ist, was unser Artikel abgewiesen hat: "Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch Christum JEsum geschehen ist; welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl, durch den Glauben in seinem Blut."

    Man rechnet sonst vier Ursachen der Rechtfertigung nämlich: 1. Gottes Gnade und Barmherzigkeit, als die bewirkende Ursache, 2. das Verdienst Christi: die verdienstliche Ursache, 3. die Gnadenmittel, als Mittelursache von Seiten Gottes, oder dessen Gebehand, 4. der Glaube, als Mittelursache von Seiten des Menschen, oder dessen Nehmehand. Die in unserem Artikel nicht aufgeführte Ursache wird eigens in den folgenden Artikeln behandelt.

    Die alleinige bewirkende Ursache unserer Rechtfertigung ist die Gnade und Barmherzigkeit unseres Gottes: "aus Gnaden". Wenn Gott nicht aus Gnaden den Ratschluß gefaßt hätte, uns erlösen zu lassen, uns zum Glauben zu bringen und selig zu machen; wenn er nicht aus Gnaden diesen Ratschluß ausgeführt hätte, so hätte uns nimmermehr geholfen werden können. - die Apologie erklärt das Wort "Gnade" mit "Gunst". Gott ist uns freundlich und günstig gesinnt, darum rechtfertigt er uns. Papisten und Schwärmer sagen wohl auch: "Aus Gnaden werden wir selig"; sie verstehen aber unter Gnade nicht die Gunst, die ewig erbarmende Liebe Gottes, sondern fassen dieses Wort als Gabe zu lieben und allerlei gute Werke zu tun. Indem sie hier das Wort Gnade (al)so auffassen, vermengen und verwechseln sie die Rechtfertigung und die Heiligung und wollen nun eigentlich durch letztere selig werden. Freilich ist es wahr, daß das Wort "Gnade" in der heiligen Schrift auch oft für "Gabe" steht, wie ja nun alle Gaben Gottes uns aus verdienter Gunst oder Gnade zufließen; aber in diesem Handel von der Rechtfertigung heißt Gnade nie Gabe, am allerwenigsten die Gabe, zu lieben und gute Werke zu tun, sondern immer die Gunst, das freundliche Herz unseres Gottes gegen uns. Das erhellt z.B. bei Röm. 3,24 schon aus dem Gegensatz von Verdienst und Gnade. Im lateinischen Text unseres Artikels steht statt: "aus Gnaden" das Wort "gratis", das heißt, umsonst. Wenn wir also sagen: Wir werden aus Gnaden gerecht und selig, so soll das heißen: umsonst, mit Ausschluß aller unserer Werke, allein aus Gottes Gunst werden wir gerecht und selig. Gott sei ewig gelobt, daß dem so ist! Wenn im Handel der Rechtfertigung unsere Werke irgendwie mitwirken sollten, wer sollte die Grenze bestimmen, wann wir deren genug getan, um unserer Gerechtigkeit und Seligkeit gewiß sein zu können?! Bei ihrer Lehre von der Rechtfertigung kann es uns gar nicht wundern, daß die Papisten ausdrücklich lehren, es könne kein Mensch auf Erden gewiß werden, ob er Vergebung aller seiner Sünden habe und bei Gott in Gnaden sei; jeder müsse daran zweifeln. Haben sie doch auf dem Tridentiner Konzil den gar schrecklichen Beschluß gefaßt, daß jeder verflucht sei, der lehre, man könne seines Gnadenstandes gewiß sein. Gott sei Lob und Dank dafür, daß wir gewiß wissen, wir werden aus Gnaden gerecht und selig! Diese Erkenntnis ist der Schatz, für den Luther vornehmlich gestritten hat, und für den jeder freudig auch sein Leben lassen sollte.

    Die verdienstliche Ursache unserer Rechtfertigung ist das Verdienst Christi: "um Christi willen" werden wir gerecht. So heißt es ja z.B. 1 Joh. 1,7: "Das Blut JEsu Christi, des Sohnes Gottes,  macht uns rein von aller Sünde." Demgemäß singen wir auch: "Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd eingehn." - Die Konkordienformel schlichtet einen Streit betreffs der verdienstlichen Ursache unserer Rechtfertigung, der unter den Theologen der Augsburgischen Konfession entstanden war, ob nämlich Christus unsere Gerechtigkeit nach seiner menschlichen oder nach seiner göttlichen Natur sei. Keine der zwei Parteien hatte recht; denn Christus ist unsere Gerechtigkeit weder nach der einen Natur allein noch nach der anderen allein, sondern er ist unsere Gerechtigkeit nach beiden Naturen. Deshalb heißt es auch in unserem Artikel einfach: "um Christi willen", womit die Person nach beiden Naturen bezeichnet ist. Wenn wir sagen: Christus ist unsere Gerechtigkeit nach beiden Naturen, so ist das (al)so zu verstehen: Christus ist unsere Gerechtigkeit nach dem Gehorsam der ganzen Person, die zwei Naturen hat. Diejenigen, welche lehrten, Christus sei unsere Gerechtigkeit nach der göttlichen Natur, wollten damit sagen: weil Christus in den Gläubigen wohne, so sei seine wesentliche Gerechtigkeit ihnen jetzt eingegossen, und die ihnen eingegossene wesentliche Gerechtigkeit Christi, mit allen daraus fließenden guten Werken der Heiligung, sei nun ihre Gerechtigkeit vor Gott. Hiermit machten also auch sie die Heiligung zu einer Ursache der Rechtfertigung. Nun stellen wir freilich nicht in Abrede, daß derjenige, welcher gerechtfertigt ist, auch geheiligt sei; allein niemand wird gerechtfertigt, weil er geheiligt ist, sondern es ist stets umgekehrt. Auch wird Christi wesentliche Gerechtigkeit nie die unsrige, sondern allein diejenige, welche er uns durch sein Leben, Leiden und Sterben erworben hat.              

    Der Glaube ist die Mittelursache von Seiten des Menschen bei unserer Rechtfertigung, wie obenangeführte Sprüche und eine sehr große Anzahl anderer dies bezeugen. Wenn die Papisten sagen: "Wir werden gerecht durch den Glauben", da sie seit der Reformation neben den Werken dem Glauben doch auch etwas hier einräumen wollen, so verstehen sie unter dem Wort "Glauben" bloß einen historischen Glauben, ein bloßes Fürwahrhalten der Historie. Einen solchen Glauben haben auch die Teufel und zittern! Jak. 2,19. Die Papisten wissen nicht, was der rechtfertigende Glaube ist und wollen es auch nicht wissen. Wir verstehen darunter die feste Zuversicht, das ungezweifelte Vertrauen, "daß Christus für uns gelitten hat und daß uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Seligkeit und ewiges Leben geschenkt wird" und ist. Jeder muß sagen bei sich: Ich glaube, ich setze mein volles Vertrauen und die höchste Zuversicht meines Herzens darauf, daß Christus für mich gelitten hat, für mich gestorben ist und daß er mir um deswillen Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt hat. Es ist also der Glaube auch nicht bloß eine Hoffnung der Vergebung der Sünden, sondern eine Gewißheit von derselben. 2 Kor. 5,1: "Wir wissen aber, so unser irdisches Haus dieser Hütte zerbrochen wird, daß wir einen Bau haben von Gott erbauet, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel." - Nun heißt es aber in unserem Artikel nicht: um des Glaubens willen, denn dadurch würde der Glaube als Werk, ja, als verdienstlich bezeichnet, mit Verleugnung des alleinigen  Verdienstes Christi. Allerdings ist der Glaube im ersten Gebot geboten; aber nicht insofern er ein Werk des ersten Gebotes ist, macht er gerecht, sondern insofern er das Mittel gleichsam die Hand ist, wodurch wir das Verdienst Christi ergreifen. Wir dürfen uns also nicht des Glaubens als eines Verdienstes rühmen, sowenig ein Bettler sich des rühmen darf, daß er eine gereichte Gabe nimmt, zumal der Heilige Geist es ist, der den Glauben in uns wirkt.

    Das Wort "Rechtfertigung" ist gleichbedeutend mit Vergebung der Sünden, der Lossprechung von Sünden oder Absolution oder Gerechterklärung. Die Rechtfertigung ist ein Werk Gottes, und zwar ein solcher Akt, in welchem er, trotzdem wir in uns selbst Sünder sind, ein Urteil über uns spricht, durch welches er uns als gerecht und los oder frei von Sünden errklärt. Sie ist also eine Handlung, die durchaus nicht in uns, sondern außer und über uns geschieht.

    Bei der Rechtfertigung geschieht zweierlei: 1. die Abrechnung der Sünden, nach Röm. 4,8: "Selig ist der Mann, welchem Gott keine Sünde zurechnet"; 2. die Zurechnung des Verdienstes Christi, nach Röm. 4,5: "Dem aber, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit." Hier bedeutet "Glaube" einen zusammengesetzten Begriff und heißt so viel wie: durch den Glauben ergriffene Verdienst Christi.

Artikel 5.

Vom Predigtamt oder

Von der Erlangung des Glaubens durch die Gnadenmittel

    Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakramente gegeben, dadurch er, als durch Mittel, den Heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirkt, welches da lehret, daß wir durch Christus' Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, so wir solches glauben.

    Und werden verdammt die Wiedertäufer und andere, so lehren, daß wir ohne das leibliche Wort des Evangeliums den Heiligen Geist durch eigene Bereitung, Gedanken und Werke erlangen.

    (Vgl. Conc. S. 74 f. 236. 286 ff. 335 ff;  Müller, S. 98 f. 319. 400 ff. 488 f)

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    Die Verbindung, in welcher dieser Artikel mit dem vorigen steht, zeigen die Anfangsworte hier: "Solchen Glauben zu erlangen." Nachdem im vierten Artikel gelehrt worden ist, daß wir durch den Glauben gerecht werden, so wird nun im fünften gelehrt, wie wir zu solchem Glauben kommen. Deshalb könnte die Überschrift auch lauten: "Von der Erlangung des Glaubens." - Gott hat zu dem Ende, daß wir den Glauben erlangen, "das Predigtamt eingesetzt". Das Wort "Predigtamt" hier wird selbst von vielen Lutheranern falsch aufgefaßt, indem man es nur auf die öffentlich berufenen Diener am Wort, die Prediger, und ihr besonderes Amt, also ausschließlich auf das Pfarramt, bezieht. Von diesem besonders wird aber im vierzehnten Artikel gehandelt. Hier im fünften Artikel wird vom Predigtamt gehandelt, ganz abgesehen von den Personen, die es ausrichten. Die Erklärung für das Wort "Predigtamt", wie es hier gebraucht wird, ist gleich gegeben in den unmittelbar folgenden Worten: "Evangelium und Sakramente". Durch das Predigtamt, das heißt, durch Wort und Sakrament, wird der Glaube erlangt. Freilich müssen zu diesem Ende Evangelium und Sakrament im Schwange gehen, und das geschieht durch Personen; aber diese geben demselben durchaus keine Kraft, sondern Evangelium und Sakrament haben ihre Kraft in sich selbst. Durch Evangelium und Sakrament, "als durch Mittel", gibt Gott den heiligen Geist. Da uns Gott durch diese Mittel seine Gnade mitteilt, so werden sie auch kurzweg Gnadenmittel genannt. Also ist hier in diesem Artikel die Rede von der Erlangung des Glaubens durch die Gnadenmittel, und zwar ist hier zu handeln

    1. von der Kraft der Gnadenmittel, den Glauben zu wirken, und der Ordnung, in der sie ihn wirken;

    2. von der Verdammung derer, die falsch lehren in dieser Sache.

    Zu 1. a. Von der Kraft der Gnadenmittel. Von dem Heiligen Geist, welchen Gott durch die Gnadenmittel gibt, heißt es: "welcher den Glauben wirket". Wort und Sakrament haben also die Kraft, den Glauben zu wirken, an dem unsere Seligkeit liegt. Das bezeugt der Spruch Röm. 1,16: "Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig machet alle, die daran glauben. Hier wird das Evangelium ausdrücklich eine Kraft Gottes genannt, die da selig macht. Da aber niemand selig werden kann ohne Glauben, so muß das Wort es sein, das den Glauben wirkt, wie uns auch Röm. 10,17 direkt sagt: "So kommt nun der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes." 

    Zu 1. b. Was die Ordnung der Wirkung der Gnadenmittel betrifft, so heißt es hier: "dadurch er, als durch Mittel, den Heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirkt". Gott muß also den Anfang machen, "den ersten Stein legen", wenn wir selig werden sollen. Er muß vor allem uns das Evangelium geben, das Wort, "welches da lehret, daß wir durch Christus' Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben". Ohne Wort Gottes kein Glaube und keine Seligkeit. Deshalb ist es die allergrößte Gnade Gottes, daß er uns sein Wort des Evangeliums gegeben hat, wie es dagegen für die schwerste Strafe Gottes zu erkennen ist, wenn er einem Orte sein reines Wort vorenthält oder wieder nimmt. Das ist ein unendlich größeres Unglück als Hungersnot, Pestilenz oder Krieg, bei denen doch noch Glaube und Seligkeit sein kann, wenn nur das Wort da ist. "An welchem Ort ich meines Namens Gedächtnis stiften werde, da will ich zu dir kommen und dich segnen", sagt Gott der HErr 2 Mose 20,24. Wo Gottes Wort ist, da, und zwar nur da, ist rechter, wahrhafter Segen zu haben.

    Die nun aber Gottes Wort (al)so haben mögen, die müssen es auch hören. Das ist denn das zweite Stück in der Ordnung, in welcher die Gnadenmittel wirken. Wer zum Glauben kommen soll, der darf nicht vom Worte fernbleiben, noch seine Ohren dagegen verstopfen. Wenn Röm. 10,17 gesagt wird: "So kommt der Glaube aus der Predigt", so schließt das ein, daß das Wort gehört werde, weshalb auch Luther diesen Spruch oft zitiert: "Der Glaube kommt aus dem Gehör", und Röm. 10,14 heißt es: "Wie sollen sie aber glauben, von dem sie nichts gehöret haben?" Wer seinen Gott und himmlischen Vater, der ihm Leben und Seligkeit anbietet, nicht hören will, ist ein schändlicher und verfluchter Mensch. Ist doch schon der ein schändlicher Mensch, der seinem irdischen Vater den Rücken kehrt, wenn dieser mit ihm reden will.

    Das nächste in der Ordnung der Wirkung der Gnadenmittel ist, daß durch das (al)so gehörte Wort der Heilige Geist gegeben wird, welcher den Glauben wirkt, und zwar "wo und wann er will". Dies schließt all unser Mitwirken aus, wie denn auch bloß zu diesem Zweck die Väter diese Worte hinzugefügt haben. Daß Gott den Glauben wirkt, wo und wann er will, lehrt Christus Joh. 3,8: "Der Wind gläset, wo er will ... Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren wird", wie es ja denn auch die Erfahrung zeigt. Es mag ein Mensch wohl Jahre lang bei einem reichbegabten Pastor das Wort Gottes hören, ohne zum seligmachenden Glauben zu kommen, während er darauf etwa durch die Predigt eines minder begabten Pastors zur rechten seligmachenden Erkenntnis gelangt. Wir sollen eben merken, daß es allein Gott ist, der uns helfen kann und will, damit wir auch allzeit von Herzen sprechen: "Nicht uns, HErr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre, um deine Gnade und Wahrheit", Ps. 115,1. Keineswegs aber soll hier die falsche Lehre der Calvinisten bestätigt werden, daß Gott gar nicht alle Menschen selig haben wolle, sondern den größten Teil derselben zur Verdammnis bestimmt habe. Gegen diese greuliche Lehre zeugt z.B. Hes. 33,11: "So wahr als ich lebe, spricht der HErr HErr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe." Es heißt in unserem Artikel aber nicht: wenn er will, sondern: "wo und wann er will". Ort und Zeit seiner Gnadenheimsuchung will Gott durchaus bei jedem einzelnen Menschen frei haben. Darin liegt nun aber für den Menschen die gewaltigste Aufforderung, doch ja keine Predigt des göttlichen Wortes ohne dringende Not und damit etwa zugleich den höchsten göttlichen Segen zu versäumen. - Unter dem Glauben ist auch hier nicht der bloß historische Glaube zu verstehen. Es gilt, "solches glauben", nämlich "daß wir durch Christus' Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben". Das muß jeder für seine Person glauben. Wer dies nicht tut, der ist verdammt. Mark 16,16: "Wer nicht glaubet, der wird verdammt werden."

    Zu 2. Die Verwerfung der Widersacher. Als solche werden im Allgemeinen bezeichnet alle, "so da lehren, daß wir ohne das leibliche Wort des Evangeliums den Heiligen Geist durch eigene Bereitung, Gedanken und Werke erlangen". Ausdrücklich genannt sind hier die Wiedertäufer. "Und andere" geht auf die Papisten, Reformierten, Karlstadt, die Schwenkfeldianer, Quäker, Methodisten, Vereinigten Brüder und alle anderen Sekten. Die Papisten sagen unter anderem, man bekomme den Heiligen Geist durch ein Verdienst "de congruo", das heißt, durch eine solche verdienstliche Bereitung, die es billig mache, daß Gott seinen heiligen Geist gebe. Die Reformierten wollen auch Geist und Glaube nicht durch das Wort, sondern höchstens bei Gelegenheit der Anhörung desselben empfangen. Die Schwärmer halten unserer Lehre vom Wort häufig entgegen den Spruch 2 Kor. 3,6: "Der Buchstabe tötet; aber der Geist macht lebendig." Dieser Spruch ist ja aber gerade ein Beweis für uns; denn unter "Buchstabe" ist hier, wie der Zusammenhang deutlich zeigt, das Gesetz, und unter "Geist" das Evangelium zu verstehen. Weit entfernt, daß das Wort Gottes ein bloßer Buchstabe wäre, ist schon das Gesetz so lebendig und kräftig, daß es tötet, während hier vom Evangelium klar bezeugt wird, daß es lebendig mache. So spricht auch Christus Joh. 6,63: "Die Worte, die ich rede, die sind Geist und sind Leben." Wer den Heiligen Geist und das Leben haben soll, muß beides durch Christi Wort, das ist, durch das teure Evangelium, empfangen.

    Als Kirchengemeinschaft lehrt auch in Betreff dieses Artikels allein die lutherische Kirche recht, daß das Wort Gottes die Kraft habe, den Glauben zu wirken. Die hiesige sich fälschlich lutherisch nennende Generalsynode [Vorläufer der Evangelical Lutheran Church of America, ELCA, vergleichbar den Landeskirchen in Deutschland; Anm. d. Hrsg.] ist eben, wie bekannt, nicht lutherisch und lehrt auch in diesem Stück, wie sonst, gut methodistisch, und die Iowaer und Ohioer mit ihren Gesinnungsgenossen [etwas konservativere Vorläufer der ELCA; Anm. d. Hrsg.], welche lehren, daß die letzte Entscheidung bei der Bekehrung auf Seiten des Menschen sei, sind eben in diesem Stück, wie auch noch manchen andern, keine treuen Lutheraner. Letzteres gilt auch von Grabau [Hochkirchler im 19. Jahrhundert, Buffalo-Synode, jetzt auch mit in der ELCA; Anm. d. Hrsg.] und seinen Gesinnungsgenossen in Amerika und sonst. Sie wollen die Wirkung der Gnadenmittel abhängig machen von der Ordination. Ähnlich den Papisten träumen sie von einem Priesterstande, wie die Priester und Leviten in der altestamentlichen Zeit einen besonderen Stand bildeten. Die ordinierten Prediger sollen gleichsam eine Art Mittler zwischen Gott und den Menschen sein. Wer zu Gott kommen soll, kann dies nach ihrer Meinung nur durch einen ordinierten Prediger. Insbesondere erhalten nach ihrer Lehre die heiligen Sakramente erst dann ihr Wesen und ihre Kraft, wenn sie von ordinierten Predigern verwaltet werden, obgleich sie im Widerspruch mit dieser Lehre doch zulassen, daß im Notfall die Kinder auch von Laien getauft werden. Ihrer falschen Lehre gegenüber, die beim 14. Artikel noch näher ins Auge zu fassen ist, sagen die Schmalkaldischen Artikel, daß das Evangelium Rat und Hilfe gibt wider die Sünde auch per mutuum colloquium et consolationem fratrum, das heißt, durch gegenseitige Unterredung und Tröstung der Brüder, und berufen sich dabei auf Matth. 18,20: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen", Worte, die der HErr nicht bloß von den öffentlichen Dienern am Wort, sondern von allen Christen insgemein verstanden wissen will. Dies sollte uns ermuntern, oft über Gottes Wort miteinander zu reden. So gewiß wir dies gläubigen Herzens tun, so gewiß ist dabei jedesmal der HErr Christus mit seinen Wirkungen gegenwärtig.

Artikel 6.

Vom neuen Gehorsam

    Auch wird gelehrt, daß solcher Glaube gute Früchte und gute Werke bringen soll, und daß man müsse gute Werke tun, allerlei, so Gott geboten hat, um Gottes willen, doch nicht auf solche Werke zu vertrauen, dadurch Gnade vor Gott zu verdienen; denn wir empfangen Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit durch den Glauben an Christus, wie Christus selbst spricht, Luk. 17: "So ihr dies alles getan habt, sollt ihr sprechen: wir sind untüchtige Knechte." (Al)so lehren auch die Väter. Denn Ambrosius spricht: "Also ist's beschlossen bei Gott, daß, wer an Christus glaubt, selig sei, und nicht durch Werke, sondern allein durch den Glauben ohne Verdienst Vergebung der Sünden habe."

    (Vgl. Conc.S. 83 ff. 239. 364 f. 426 ff. 436 ff; Müller S. 109 ff. 324. 530 ff. 624 ff. 639 ff)

    Der neue Gehorsam, von welchem, nach der Überschrift, in diesem Artikel gehandelt wird, ist der Gehorsam, den der wiedergeborene Mensch Gott leistet. Nach dem Sündenfalle kann nur bei einem Wiedergeborenen von wirklichem Gehorsam gegen Gott die Rede sein. Gleich zu Anfang des Artikels wird dieser Gehorsam als "gute Früchte" bezeichnet, womit uns zugleich der Zusammenhang des Artikels mit dem vierten gezeigt wird. Ferner wird der neue Gehorsam erklärt mit "guten Werken". Gute Werke sind aber nur solche Werke, die ein Wiedergeborener oder Gläubiger tut nach Gottes Gebot, zur Ehre Gottes und zum Dienst des Nächsten. Damit ist denn auch zugleich gesagt, daß nicht alles, was ein Wiedergeborener tut, gut ist. Er hat ja leider auch noch den alten Menschen an sich, der nur sündigen kann. Nach dem neuen, aus dem Heiligen Geist geborenen Menschen aber tut der Christ eitel gute Werke, die als Früchte dem Glauben folgen, gleichwie ein guter Baum nur gute Früchte bringen kann. "Die Frucht aber des Geistes ist: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit", Gal. 5,19. "Allerlei" gute Werke sollen wir tun; denn nicht bloß Werke der zweiten Tafel, wie die Papisten meinen, sind unter den guten Werken zu verstehen, sondern vor allen auch die hohen Werke der ersten Tafel, wie die Apologie sagt: "das gute Herz inwendig und die guten Werke auswendig".

    Es enthält der sechste Artikel zwei Hauptteile:

    1. die Lehre von der Notwendigkeit der guten Werke,

       A. in wiefern gute Werke nötig sind; nämlich:

          a. als Frucht des Glaubens,

          b. um des göttlichen Gebotes willen;

       B. wozu sie nicht nötig sind, nämlich nicht, um dadurch Gnade zu verdienen;

    2. ein doppeltes Zeugnis dafür, daß Werke nicht Gnade verdienen.

    Zu 1. A. a. Die Notwendigkeit guter Werke im Allgemeinen lehrt der Artikel in den Worten: "daß solcher Glaube gute Früchte und gute Werke bringen soll, und daß man müsse gute Werke tun". Es steht also nicht in unserer Willkür, ob wir gute Werke tun wollen oder nicht. Ebensowenig aber soll mit dem "soll" und "muß" hier ein Zwang bezeichnet werden. Christen sollen gute Werke tun und tun sie doch "aus freiwillige Geiste". So spricht die Schrift Ps. 110,3: "Nach deinem Sieg wird dir dein Volk williglich opfern in heiligem Schmuck." Es geht bei den Gläubigen nach ihrem neuen Menschen mit ihren Werken nicht mürrisch und verdrossen, sondern lustig und fröhlich zu, und gerne tun sie den Willen ihres himmlischen Vaters. Es ist mit ihnen ähnlich wie mit einem Baume, der gute Früchte bringt, eben weil er ein guter Baum ist. Infolge der von diesem Gott verliehenen Güte kann er nicht anders, er muß gute Früchte bringen und bringt sie doch ohne allen Zwang. Ebenso ist's bei einem guten Acker unter guter Bearbeitung, günstigem Wetter und Gottes Segen. So muß auch ein Brunnen unter dieser und jener Voraussetzung gutes Wsser geben und gibt's doch ungezwungen. Luther sagt mit Recht: "Es ist unmöglich, Werk vom Glauben zu scheiden, ja, so unmöglich, wie Brennen und Leuchten vom Feuer mag geschieden werden." So ist nun zu schließen: "Der Glaube ist nicht recht, der ohne Werke ist." (Apologie) Item [Ebenso]: "Unmöglich ist's, daß rechter Glaube ohne die Liebe Gottes sei", und "der Glaube kann  nicht sein in fleischlichen, sicheren Leuten", denn "fleischlich gesinnet sein ist eine Feindschaft wider Gott", Röm. 8,7. Wenn wir daher einen Menschen in fleischlichem, sicherem Sinne dahinleben sehen, so können wir gewiß schließen, daß er den rechten Glauben nicht habe, sondern ein ungläubiger, unbekehrter Mensch sei. So ist auch mein Glaube nicht der rechte seligmachende Glaube, wenn und solange ich noch irgendwelche Sünde lieb habe. Denn aus dem Glauben folgt die rechte Liebe zu Gott, und wer Gott liebt, haßt und meidet die Sünde, weil durch sie der Heilige Geist Gottes betrübt wird. Sowenig nun aber die Früchte einen Baum gut machen, so wenig machen gute Werke zum Christen. Es ist stets umgekehrt. Erkennen jedoch kann man wohl den Baum an den Früchten und den Christen an den Werken, wie Christus in Betreff der letzteren spricht, Matth. 7,16: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen." - Nur dem alten Menschen ist der Zwang des Gesetzes nötig, um ihn in Schranken zu halten.

    Zu 1. A. b. Wir sollen gute Werke tun allerlei, "so Gott geboten hat, um Gottes willen", sagt unser Artikel. In seinem heiligen Gesetz hat uns Gott geboten, daß und welche Werke wir tun sollen. Der uns im Gesetze Gottes geoffenbarte göttliche Wille ist aber ewig und unveränderlich gültig, wie Gott selbst ewig und unveränderlich ist. Die Summa [Zusammenfassung, Anm. d. Hrsg.] des Gesetzes ist ja die Liebe Gottes und des Nächsten, Matth. 22,37-40. Die kann und soll ja selbst nicht mit dem zeitlichen Leben enden. Christus sagt Luk 16.17: "Es ist leichter, daß Himmel und Erde vergehen, denn daß ein Tüttel vom Gesetz falle"; ferner Matth. 5,17.18: "Ihr sollt nicht wähnen, daß ich kommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht kommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn ich sage euch: Wahrlich, bis daß Himmel und Erde vergehe, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetz, bis daß es alles geschehe." Wollte nun aber jemand sagen: Christus hat das Gesetz für uns erfüllt, deshalb ist es nicht nötig, daß wir es halten - so antwortet St. Paulus Röm. 3,31: "Wie? heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! sondern wir richten das Gesetz auf." Allein die gläubigen Kinder Gottes sind es, die das Gesetz nach seinem geistlichen Verstande erkennen und die, in Kraft des Glaubens, es dem Anfang nach auch erfüllen. Christus hat das Gesetz an unserer Statt erfüllt, also daß es uns nun nicht mehr verdammt, sondern wir demselben gegenüber von Schuld und Strafe frei sind, nicht aber der Meinung, als brauchten wir nicht dem Gesetze vollkommen gleichförmig zu werden - was freilich erst im Himmel ganz erreicht sein wird, da hier unser alter Adam noch täglich das in uns Christen angefangene und fortgehende Werk der Heiligung, welches der Heilige Geist in uns treibt, hindert. Wer aber Gottes ewigem, unveränderlichem Willen mutwillig widerstrebt, der ist kein Christ.

    Die Apologie sagt (Conc. S. 92; Müller S. 120): "Darum sollen gute Werke dem Glauben folgen (1.) als Danksagungen gegen Gott. Item [Ebenso] (2.), daß der Glaube dadurch geübet werde, wachse und zunehme, und (3.), daß durch unser Bekenntnis und guten Wandel andere auch erinnert werden."        

    1. Aus Dankbarkeit gegen Gott sollen wir also gute Werke tun. Joh. 3,29 und an vielen anderen Orten der heiligen Schrift wird das Verhältnis der Gläubigen zu Christus dargestellt als das der Braut zum Bräutigam. Denken wir uns nun einmal, daß ein reicher Fürst oder König, dem die edelsten und kostbarsten Schätze zu Gebote stehen, der in großer Pracht und Herrlichkeit lebt und dem Millionen von Untertanen die größte Ehre schulden und erweisen, ein armes, in elende Lumpen gekleidetes Bettelmädchen, das bisher in Schmutz und allem erdenklichen Unrat gelebt hat, zu seiner Braut erwählte, sie reinigte, aufs kostbarste kleidete, mit Perlen und Edelsteinen und eitel königlichem Schmuck zierte und sie als Königin in alle seine Ehren setzte. Wenn nun aber die also erwählte Braut fortfahren wollte, sich wie bisher in allem Schmutz zu wälzen, ein liederliches, gemeines Leben zu führen, und sie also ihrem königlichen Bräutigam bald dieses, bald jenes zum Trotz täte und ihn, der sie so sehr geliebt und der ihr so viel Gutes erwiesen hat, ohne Unterlaß betrübte - wäre das nicht ein schnöder Undank, über den sich billig alle Welt entsetzte? Christus ist der hohe, majestätische Himmelfürst, der ewige König der Ehren. Und er hat uns, die wir ganz und gar im scheußlichsten Schmutz und Unrat der Sünde steckten, zu seiner Braut erwählt! Er hat uns mit seinem heiligen, teuren Blut gereinigt von allem Sündenschmutz, hat uns bekleidet mit der reinen weißen Seide seiner Unschuld und Gerechtigkeit, hat uns gemacht zu Kindern im Hause des himmlischen Vaters, hat uns alle himmlischen und irdischen Güter geschenkt und in seiner unaussprechlichen Liebe und Barmherzigkeit nichts behalten, das er uns nicht gegeben hätte. Wäre es da nicht eine verruchte, zum Himmel schreiende Undankbarkeit, wenn wir uns nicht in brünstigster Liebe und nach bestem Vermögen halten wollten nach seinem heiligen Wohlgefallen? Den, der Christi Werk und Gnade erkannt und im Glauben begriffen hat, dringt dieser Glaube, durch einen Wandel nach seinem Wohlgefallen ihm stetig zu danken.

    2. Durch die guten Werke soll unser Glaube geübt werden, wachsen und zunehmen. Wenn wir, nachdem der Heilige Geist den Glauben in uns gewirkt hat, Gott, unserem Heilande, zu Liebe und Dank, mit Ernst uns bestreben, reich zu werden an guten Werken und nach dem Willen unseres gnädigen HErrn zu leben, so laden wir dadurch die Feindschaft des Teufels und der Welt auf uns; denn diese wollen nicht die Ausbreitung des Reiches Christi, hassen die Werke des Lichts und werden uns deshalb je und je hindern wollen an allen guten Werken. So geraten wir in Kampf und Streit mit Teufel und Welt und dadurch in mancherlei Trübsal. In solchem Kampf wächst unsere Kraft zu guten Werken, das ist, der Glaube. Wir wissen, daß wir nicht in eigener Kraft bestehen können gegen die Feinde unserer Seelen, sondern allein in der Kraft des Heiligen Geistes. An sein Wort und damit an unseren HErrn JEsus Christus klammern wir uns so immer fester an. So wächst also unser Glaube, wie wir in ihm denn auch einen Sieg nach dem andern erlangen.

    3. Durch unser Bekenntnis und unseren guten Wandel sollen andere auch erinnert werden. Matth. 5,16 sagt Christus: "Lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen." Das Licht hier ist der Glauben; das Leuchten, der Glanz oder Schein dieses Lichtes sind die guten Werke, nach beiden Tafels des göttlichen Gesetzes. Wenn Unbekehrte sehen, wie wir in guten Werken und gottseligem Leben wandeln und bereit sind, uns auch aufzuopfern im Dienste Christi und des Nächsten, so müssen sie denken: Das muß doch ein trefflicher Glaube sein, den diese Leute haben! So wird mancher bisher Ungläubige, wenn er seinen gottlosen Wandel vergleicht mit dem Leben eines rechtschaffenen Christen, beschämt, so daß er in sich geht, rechtschaffene Buße tut und dem Heiligen Geiste nicht mehr widerstrebt, sondern sich willig zum Glauben führen läßt. - Ferner werden auch andere Kinder Gottes durch unseren Ernst im gottseligen Wandel zu Nacheiferung mächtig gereizt. - Dagegen ist das Ärgernis schrecklich, welches ein Christ durch unvorsichtigen Wandel, ja, durch Einen Sündenfall der Welt und seinen Mitchristen geben kann und gibt.

    Zu 1. B. Gute Werke sind notwendig; "doch nicht, auf solche Werke zu vertrauen, dadurch Gnade für [vor] Gott zu verdienen". Im 4. Artikel haben wir gesehen, daß Christus uns vollkommene Gnade bei Gott verdient hat, daß also auch, abgesehen davon, daß niemand dies kann, wir uns nicht erst noch Gnade zu verdienen brauchen. Dies wird immer wiederholt, weil in unserem verderbten Herzen immer noch etwas von der grundfalschen Meinung steckt und sich bald mehr, bald weniger geltend machen will, daß man doch selbst auch etwas tun müsse, um Gnade zu verdienen. Diesem schändlichen Hochmut des alten Menschen tritt nun auch der sechste Artikel entschieden entgegen und wiederholt, daß "wir empfangen Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit durch den Glauben an Christus". Freilich, die Weltweisen machen hieraus den Schluß: Wenn gute Werke nicht nötig sind zu Seligkeit, so brauchen wir gar keine von Gott gebotenen Werke zu tun. Diese Narren dichten uns nach diesem ihrem Trugschluß an, wir lehrten, man brauche keine guten Werke zu tun.

    Auch unter den Theologen der Augsburgischen Konfession hatte sich ein Zwiespalt gezeigt in der Frage, ob gute Werke zu Seligkeit nötig seien oder nicht. Einige behaupteten, gute Werken seien nötig zur Seligkeit, während die Rechtgläubigen dies bestritten. Hierbei ließ sich ein nahmhafter Theologe in der Hitze des Streites leider zu der Behauptung hinreißen, gute Werke seien der Seligkeit schädlich, was er jedoch später selbst widerrufen hat. Nur insofern kann man sagen, daß gute Werke der Seligkeit schädlich seien, wenn jemand sein Vertrauen auf dieselben setzt und Gnade durch sie verdienen will, wobei jedoch festzuhalten ist, daß, eigentlich zu reden, die Werke dann gar nicht mehr "gute Werke" sind; denn "was nicht aus Glauben gehet, das ist Sünde". Obschon wir uns mit der Sünde die Hölle verdienen, so können wir doch nimmermehr mit guten Werken den Himmel verdienen. Allein aus Gnaden ist der Himmel unser. Wenn nun aber ein seither gläubiger Christ die Liebe zu seinem Heiland verliert und mutwillig sündigt, so fällt er dadurch aus dem Glauben. Doch auch nicht dazu,  daß man im Glaube bleibe, sind gute Werke zu tun. Nicht durch Werke, sondern durch Gottes Gnade werden wir bewahrt zur Seligkeit. 1 Petr. 1,5: "Ihr werdet aus Gottes Macht durch den Glauben bewahret zur Seligkeit." Es ist ein fortwährendes Wunder der göttlichen Gnade und Macht, daß wir bei allen Anfechtungen des Teufels, der Welt und unseres Fleisches im rechten Glauben erhalten bleiben. Gottes Macht und Gnade allein sind es, die uns bewahren vor Abfall, uns immer wieder den Glauben geben und ihn in uns stärken, daß wir also stets die himmlischen Gnadengüter in Christus JEsus ergreifen. Der Irrtum, daß der Mensch durch gute Werke im Glauben erhalten bleibe, raubt Gott die Ehre, die auch hier allein ihm gebührt, und entspringt dem Hochmut und der Selbstgerechtigkeit, wie er denn diese auch wiederum fortwährend stärkt.

    Zu 2. Es wird im 6. Artikel ein doppeltes Zeugnis angeführt, daß wir durch gute Werke nicht Gnade verdienen. Voran steht das Zeugnis des HErrn JEsu selbst, Luk. 17,10: "Wenn ihr getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren." Selbst durch eine vollkommene Gesetzeserfüllung, von der doch auch der beste Christ so weit entfernt ist, daß er vielmehr täglich in seinen eigenen Augen wegen seiner stets wachsenden Sündenerkenntnis ein größerer Sünder wird, würden wir doch nur tun, was wir Gott zuvor schon schulden. Wer sich nun dessen, was er so nach Gottes Willen getan hat, rühmen und dadurch Gnade erlangen wollte, handelt ebenso unsinnig wie derjenige, welcher einem Kaufmann eine gewisse Summe schuldet, sie ganz oder teilweise ihm zahlt und dabei nun zu ihm spricht: Ich habe dir bezahlt, was ich dir schuldig war; was gibst du mir dafür? So spricht aber eben der Selbstgerechte in schrecklicher Selbstverblendung zum HErrn: Lieber Gott, weil ich dir meine Schuld bezahlt habe, mußt du mir als Lohn dafür den Himmmmel geben. - Das zweite Zeugnis ist das eines Kirchenvaters. Er schreibt: "Also ist's beschlossen bei Gott, daß, wer an Christum glaubet, selig sei, und nicht durch Werke, sondern allein durch den Glauben, ohne Verdienst, Vergebung der Sünde habe. Es ist bei Gott also beschlossen, das ist, nach Gottes ewigem, unabänderlichem Willen ist es so. Dieser ewig unabänderliche Beschluß Gottes bleibt, wie die Apologie sagt, fest stehen, wie eine Mauer, ja, wie ein Fels.

Artikel 7.

Von der Kirche

    Es wird auch gelehrt, daß allezeit müsse Eine heilige christliche Kirche sein und bleiben, welche ist die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangeliums gereicht werden.

    Denn dieses ist genug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirche, daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und ist nicht not zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirche, daß allenthalben gleichförmige Zeremonien, von den Kirchen eingesetzt, gehalten werden; wie Paulus spricht Eph. 4,5.6: "Ein Leib, ein Geist, wie ihr berufen seid zu einerlei Hoffnung eures Berufs, Ein HErr, Ein Glaube, Eine Taufe."

    (Vgl. Conc. S. 111 ff. 239. 317 f. 377 ff; Müller, S. 152 ff. 324. 456 f. 551 ff. 697 ff)

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    Der Artikel von der Kirche ist auch einer derjenigen, über die je und je Streit unter denen gewesen ist, die überhaupt noch ein Volk Gottes sein wollen. Dieser Streit tritt uns schon entgegen bei den beiden ersten Söhnen der ersten Eltern. Beide wollten Diener Gottes sein: sie wollten Gott dienen mit ihrem Opfer. Abel brachte ein Opfer von den Erstlingen seiner Herde als Vorbild auf den zukünftig zu erscheinenden Heiland, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, Joh. 1,29. An diesen Heiland und Erlöser der Welt glaubte Abel. Er wußte von keiner anderen Kindschaft Gottes als von der, zu welcher er durch den Glauben an den Messias gelangt war. Kain brachte ebenfalls ein Opfer, aber von den Früchten des Feldes: er sah dabei nicht auf den zukünftigen Messias der Welt, sondern meinte, das äußerliche Werk des Opferns, also sein Tun, mache ihn Gott wohlgefällig, und in dieser Meinung ist er so eifrig und ernst, daß er seinen gläubigen Bruder darüber erschlägt. - Durch alle Zeiträume der Geschichte des Reiches Gottes hindurch sehen wir diesen Kampf fortgesetzt: während von der einen Seite erkannt wird, daß das, was zu Kindern Gottes und zu Gliedern seines Reiches macht, nichts anderes ist als der Glaube, wird von der anderen Seite die Kindschaft und Gliedschaft von Werken, Zeremonien usw. abhängig gemacht. Unter der Herrschaft des Papstes war zur Zeit des Anfangs der Reformation die reine Lehre von der Kirche im Großen und Ganzen ganz und gar abhanden gekommen. Nachdem aber durch Luther nach langer Zeit der Finsternis das alles erleuchtende Licht des Wortes Gottes wieder auf den Plan gekommen war, konnte dieser teure Mann Gottes auch in Betreff unseres Artikels bald fröhlich zeugen, daß nun ja, Gott Lob! ein Kind von sieben Jahren wisse, was die Kirche sei. In der späteren Zeit des Pietismus und gar des ihm folgenden Rationalismus und Indifferentismus [Gleichgültigkeit, Unionismus, Anm. d. Hrsg.] war zuerst das Auge wieder getrübt für die reine Lehre von der Kirche, bis endlich gar nichts Rechtes mehr von ihr gelehrt wurde. Wir haben Gott von Herzen zu danken, daß er nach seiner großen Barmherzigkeit uns zurückgeführt hat zu dem teuren Bekenntnis unserer Väter und uns würdigt, Werkzeuge und Diener seiner Kirche zu sein, durch welche auch die reine Lehre von ihr selbst je mehr und mehr verbreitet und auch so das Reich Gottes mächtig gefördert wird. Wenn es aber auch jetzt noch unter denen, die rechte Lutheraner sein wollen, gar manche gibt, die im Artikel von der Kirche falsch und teils eitel Unsinn lehren oder ihn gar als "offene Frage" bezeichnen, so liegt das gewiß großenteils an der Hoffart und dem Stolz ihrer Herzen, indem sie sich nicht beugen unter das hellscheinende Licht des göttlichen Wortes und unter das auch im 7. Artikel der Augsburgischen Konfession so klar vorliegende Bekenntnis.

    Der 7. Artikel lehrt uns in Betreff der Kirche vier Stücke; denn er handelt

    1. von der Dauer der Kirche;

    2. von ihrem Wesen;

    3. von ihren Kennzeichen;

    4. von ihrer Einigkeit, und zwar

       A. was hierzu nötig,

       B. was dazu nicht nötig ist.

    1. Von der Dauer der Kirche lehrt der Artikel in den Worten: "daß allezeit müsse eine heilige christliche Kirche sein und bleiben". Die Kirche wird "allezeit" sein und bleiben, bis an den jüngsten Tag, ja, als triumphierende Kirche - von der hier übrigens nicht gehandelt wird - in alle Ewigkeit. Der HErr JEsus selbst sagt Matth. 16,18: "Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen." Die größte Gott feindliche Macht ist der Teufel mit seinen Legionen böser Geister. Sie sind "die Pforten der Hölle". Ob nun auch dieses ganze greuliche Heer sich mit aller Macht und List wider die Kirche legt, so soll dennoch die Stadt Gottes fein lustig bleiben, Ps. 46,5. Das ist ein großer Trost für redliche Christenseelen, besonders im Kampf mit den feindlichen Mächten, in dem es oft scheint, als solle die Kirche untergehen, die Zahl der gläubigen Bekenner klein ist und so die Kinder Gottes in Angst und Schrecken stehen. Wenn die Kirche untergehen könnte und unterginge, wenn demnach auch Wort und Sakrament uns genommen würden, wie stände es dann um unsere und unserer Nachkommen Seligkeit?! Gott sei Dank, daß wir wissen, "daß allezeit müsse eine heilige christliche Kirche sein und bleiben."

    Gar manche der Partikularkirchen wollen den Ruhm beanspruchen, daß gerade die ihrige, und zwar ausschließlich, die Kirche sei, von welcher der HErr Christus sagt, daß sie allezeit sein und bleiben müsse, oder mit anderen Worten, daß gerade die Partikularkirche, zu der die betreffenden Leute sich halten, die "heilige christliche Kirche" sei, die wir im dritten Artikel des apostolischen Symbolums bekennen. Außer ihrer Sonderkirche soll kein Heil zu finden sein. So meinen z.B. die Papisten, die römisch-katholische Kirche sei die alleinseligmachende Kirche. Allein schon durch die Worte unseres Artikels, daß die Kirche allezeit sein und bleiben müsse, welche sich gründen auf die Verheißungen des HErrn JEsu, zeugen wir hier wider die Papisten. Schon aus der stetigen Dauer der Kirche von Christi Zeit an wird erhellt, daß ihre erwähnte Meinung falsch sei; denn die päpstische Kirche entstand erst sechshundert Jahre, nachdem der HErr Christus seine Verheißung gegeben hatte, sie war also nicht von da an allezeit. Auch die Methodisten, wenn sie sagen, daß es außer ihnen keine bekehrten Menschen gebe, daß also niemand weiter selig werde, erklären hiermit ausschließlich sich für die Kirche, außer der es kein Heil gibt. Wo waren aber die Methodisten vor dem Jahr 1734, in welchem sie erst ihren Anfang nahmen? So wollen auch manche sich Lutheraner nennende Leute unsere evangelisch-lutherische Kirche zu derjenigen machen, außer welcher kein Heil ist. Unsere evangelisch-lutherische Kirche ist ebenfalls eine historische Erscheinung auf dem Gebiet der Kirche. Sie entstand ja als Partikularkirche erst in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Lange ehe sie also entstand, hat die Christenheit in voller Wahrheit bekannt: "Ich glaube eine heilige christliche Kirche." So gibt es also keine Partikularkirche, die als solche mit Recht behaupten könnte, sie und sie allein sei die Kirche des HErrn.

    2. Von dem Wesen der Kirche handelt unser Artikel in den Worten: "welche ist die Versammlung aller Gläubigen". Ein Gläubiger ist derjenige, welcher sein Vertrauen, seines Herzens Zuversicht allein auf die Gnade Gottes in Christus setzt, was die Seligkeit betrifft, und der also fest glaubt, daß er durch Christus einen gnädigen Gott habe. Daß die Kirche aus den Gläubigen bestehe, beweisen ebenfalls die schon angeführten Worte des Herrn Matth. 16,18. Der Fels, von dem hier Christus redet, ist er selbst und sein Wort, wie er denn ja auch z.B. 1 Kor. 10,4 ausdrücklich der Fels genannt wird. Auf diesem Fels stand Petrus mit seinem Bekenntnis, als ein rechter Felsenmann. (Petrus, Kephas = Felsenmann.) Auf sich selbst erbaut der HErr seine Kirche, der er die Verheißung gegeben hat, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen sollen. Auf Christus erbaut sein kann man aber allein durch den Glauben. "Christus will seine Gemeine bauen auf sich selbst" heißt also: Er will die Auserwählten zum Glauben führen und darin erhalten. Eph. 2,20 sagt St. Paulus von der Kirche, sie sei "erbauet auf den Grund der Apostel und Propheten, da JEsus Christus der Eckstein ist". Wie sonstige Gebäude, ist auch die Kirche Christi auf einen Grund erbaut: auf das von den Aposteln und Propheten verkündete Wort Gottes, dessen tiefunterster Grund Christus allein ist. Christus hat also auch nach diesem Spruch die Kirche auf sich selbst gebaut: alle, die den HErrn Christus im Glauben ergriffen haben, sind die Kirche. Hebr. 3,6 heißt es: "Welches Haus (Christi) sind wir, so wir anders das Vertrauen und den Ruhm der Hoffnung bis an das Ende fest behalten." (In gewissem Sinne bilden nämlich nur diejenigen die Kirche, die im Glauben beständig bleiben bis ans Ende: die Auserwählten.) "Einen andern Grund kann ... niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist JEsus Christ", 1 Kor. 3,11. "Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verläßt und hält Fleisch für seinen Arm und mit seinem Herzen vom HErrn weicht. Gesegnet aber ist der Mann, der sich auf den HErrn verläßt, und der HErr seine Zuversicht ist", Jer. 17,5.7.

    Das Wort "Kirche" heißt Versammlung. Wir verstehen unter Kirche "die Versammlung der Gläubigen". Hier möchte nun die Frage aufgeworfen werden: Wo ist denn diese Versammlung aller Gläubigen? Sieht man sie doch nirgends! Antwort: Es ist nicht eine leibliche, sondern eine geistliche Versammlung, oder eine Versammlung im Geist, wie es denn 1 Petr. 2,5 heißt: "Und auch ihr, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Hause" usw. und Eph. 2,22: "Auf welchem auch ihr mit erbauet werdet, zu einer Behausung Gottes im Geist." Der Mittelpunkt, die Zentralsonne, um welche sich die Gemeinde der HErrn versammelt hat, ist Christus. Um ihn versammelt sie der Heilige Geist, der den Glauben an ihn in ihnen wirkt, wie er sie denn auch (al)so unter sich und mit einander verbindet. Hiernach ist nun leicht zu entscheiden, ob die Kirche sichtbar oder unsichtbar ist. Sie ist vor Menschenaugen unsichtbar; denn da sie aus der Zahl der Gläubigen besteht, der Glaube aber seinen Sitz im Herzen hat, so kann man es niemandem ansehen, daß er ein Glied der Kirche sei, obgleich wir manchem an seinem offenbar gottlosen Leben, mit dem sich kein rechtschaffener Glaube reimen läßt, ansehen, daß er kein Glied der Kirche ist. Wer dagegen bekennt, an Christus zu glauben, sich zu Wort und Sakrament hält und ein unanstößiges leben führt, mag bei diesem allen doch ein Heuchler sein. Luk. 17,20.21 sagt der HErr: "Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden. Mann wird auch nicht sagen: Siehe, hie oder da ist es. Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch." Deswegen sagen wir auch in unserem christlichen Glauben nicht: Ich sehe eine Kirche, sondern: Ich glaube eine Kirche. Nun möchte aber jemand fragen: War die Kirche nicht sichtbar, als Christus, das Haupt der Kirche, mit seinen gläubigen Jüngern im Schiff war und sie also von vielen gesehen wurden? Wir antworten: Nein, auch da war die Kirche nicht sichtbar! Konnte man doch dem HErrn nicht ansehen, daß er das Haupt, noch seinen Jüngern, daß sie Gläubige und also Glieder der Kirche seien, obgleich ihre Personen ja gewiß sichtbar waren. Oder man fragt: Ist denn nicht ein Kind, das eben erst getauft worden und also doch unzweifelhaft ein Glied am Leibe des HErrn ist, ein sichtbares Glied der Kirche? Gewißlich nicht, denn seinen Glauben, durch den es doch allein zur Kirche gehört, sehen wir nicht. Man bringe z.B. einem ganz Fremden ein getauftes und ein ungetauftes kleines Kind, so wird er es wohl lassen, das Getaufte als solches mit Gewißheit zu bezeichnen. Eben nur durch den Glauben des göttlichen Wortes weiß ich, daß das getaufte Kind glaubt und also ein Glied der Kirche Christi ist. - Jedoch ist die Kirche nicht absolut unsichtbar; obschon sie es vor Menschen ist, so ist sie doch Gott sichtbar, denn "der HErr kennet die Seinen", 2 Tim. 2,19.

    Es werden nun der Kirche in unserem Artikel, wie auch im dritten Artikel des Apostolischen Symbolums, drei nähere Bezeichnungen gegeben. Sie ist: a. Eine, b. heilig, c. christlich.

    a. Die erste Eigenschaft, die der Kirche hier zugeschrieben wird, bezeichnet sie als Eine. Eine ist sie erstlich ihrer Zahl nach, daß es nämlich nicht zwei, drei, vier oder noch mehrere gibt. Es ist nur Eine Kirche, und wer zur Kirche gehören will, muß zu dieser - zur Gemeinde der Gläubigen - gehören. zum andern ist die Kirche Eine, weil sie nur Einen Glauben hat. Denn es geht nicht nach der Welt Schriftfälschung, da sie schreit: "Jeder wird seines Glaubens leben", sondern es heißt: "Der Gerechte wird seines Glaubens leben", Hab. 2,4; Röm. 1,17; Gal. 3,11; Hebr. 10,38 - und die Gerechten haben nur Einen Glauben. Drittens ist die Kirche Eine wegen ihres einigen Hauptes: JEsu Christi, Hos. 1,11; Eph. 1,22. Die Kirche ist des HErrn mystischer Leib; nun ist sie aber nicht ein solches Monstrum, bei dem an Einem Haupte eine Menge von Leibern hängen; sondern gleichwie nur Ein Haupt ist, so ist auch nur Ein Leib, Eine Kirche, Eph. 4,4.

    b. Zum andern ist die Kirche heilig. Einmal ist sie heilig, weil sie mit heiligen Dingen umgeht: mit Wort und Sakrament. Zum zweiten und hauptsächlich heißt sie heilig, weil sie die vollkommene Heiligkeit und Gerechtigkeit unseres HErrn JEsu Christi (durch Zurechnung) hat. Nach dieser Heiligkeit sind die Christen die schön geschmückte Braut Christi, an der kein Flecken, keine Runzel ist. Zum dritten ist die Kirche heilig, wegen der bei den Christen angefangenen Lebensheiligkeit, da sie die Sünde hassen und fliehen und aller Gerechtigkeit nachjagen. Diese Heiligkeit wächst bei den Christen bis zu ihrem Tode.

    c. Christlich heißt die Kirche, weil sie gegründet ist auf unseren HErrn JEsus Christus und in ihm allein ihren Bestand hat. Diese Bezeichnung soll uns eine stete Mahnung sein. Wie "Christus" ein Gesalbter heißt, so sollen wir, als nach ihm genannt, uns nun auch allezeit erfinden lassen als solche Leute, die mit dem Heiligen Geiste gesalbt sind.

    Sonst nennt man die Kirche auch oft noch katholisch, das ist, allgemein. Die Kirche unseres Gottes hat sich diese Bezeichnung in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung beigelegt im Gegensatz zu den Ketzern und Schismatikern. Sie wollte sich durch das Wörtlien "katholisch" als die rechtgläubige Kirche bezeichnen. Die sich jetzt katholisch nennende Gemeinschaft, sofern sie aus dem Papst, als Haupt, und seinem Anhang, als Gliedern, besteht, ist des Teufels Braut. Sie hat am allerwenigsten ein Recht, sich katholisch zu nennen, und wird deshalb von Luther nur die päpstische Kirche genannt, während die römische Kirche, das ist, die wahren Gläubigen, die unter dem Papsttum seufzen, heilig ist, gleich der ganzen allgemeinen, wahrhaft katholischen Kirche.

    3. Die Kennzeichen der Kirche werden in unserem Artikel durch die Worte angegeben: "bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangeliums gereicht werden." Nach diesen Worten sind die Kennzeichen der Kirche das reine Wort Gottes und die heiligen Sakramente, nach Christi Einsetzung verwaltet. Die Kirche ist, wie gesagt, unsichtbar; doch ist sie erkennbar, das heißt, man kann erkennen, wo sie ist. Ihr Vorhandensein an einem Orte wird daran erkannt, daß Wort und Sakrament dort im Schwange gehen; denn wo diese sind, da sind wir gewiß, daß da auch wahre Gläubige seien. Diese Gewißheit gründet sich auf die göttliche Verheißung Jes. 55,10.11: "Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt, und nicht wieder dahin kommt; sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und wachsend, daß sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen: also soll das Wort, so aus meinem Munde gehet, auch sein. Es soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern tun, das mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich's sende." Hier haben wir ein klares, deutliches Wort, daß Gottes Wort ausrichte, wozu es gesandt ist, nämlich die Menschen zum Glauben zu bringen und selig zu machen. Wo deshalb Wort und Sakrament sind, da finden sich, so gewiß Gottes Verheißungen nicht lügen können, immer Gläubige, und sollten es auch nur zwei oder drei sein - da ist also die Kirche.

    Von manchen werden die Worte: "bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut des Evangeliums gereicht werden" irrtümlich noch als mit zur Beschreibung des Wesens der Kirche gehörig gerechnet. Ihre Definition des Begriffs der Kirche ist also, daß die Kirche die Versammlung aller derjenigen Gläubigen sei, bei denen das Evangelium ganz rein gepredigt und die Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden. Da dies nun offenbar bei der lutherischen Kirche der Fall sei, so sei auch diese, und zwar ausschließlich, die Kirche; außerhalb der lutherischen Kirche gebe es keine Kirche. Wer nun unseren Artikel nur oberflächlich ansieht, könnte allerdings leicht auf den Gedanken kommen, unsere Väter hätten so gelehrt. Wenn Melanchthon aber so gelehrt hätte, so wäre es eben falsch, weil gegen Gottes Wort. Melanchthon aber war weit hiervon entfernt, wie uns die Apologie, die authentische Erklärung der Augsburgischen Konfession, zeigt. Nachdem hier nämlich (Conc. S. 111; Müller S. 152) zuerst gesagt ist, was die Kirche sei, so fährt Melanchthon fort: "Und dieselbige Kirche hat doch auch äußerliche Zeichen, dabei man sie kennet, nämlich wo Gottes Wort rein gehet, wo die Sakramente demselben gemäß gereicht werden, da ist gewiß die Kirche, da sind Christen." Hiernach ist es offenbar, daß Melanchthon und mit ihm die treu bekennende lutherische Kirche hier reines Wort und Sakrament nicht an sich als zum Wesen der Kirche gehörig, sondern als Kennzeichen des Vorhandenseins derselben hinstellen. - Nun können aber die Kennzeichen irgendeiner Sache bald in höherem, bald in geringerem Maße vorhanden sein. Ein Kennzeichen irdischen Lebens ist der Atem. Ein schlafender Mensch sieht wohl aus wie ein toter; an seinem Atem aber erkennt man, daß er lebt. Ja, man hält einem Sterbenden wohl einen Spiegel vor den Mund, und wenn sich an demselben noch ein schwacher Hauch des sonst nicht mehr wahrzunehmenden Odems ansetzt, so weiß man, daß der Mensch noch lebe. Oder, wie das Sprichwort sagt: Wo Rauch ist, muß auch Feuer sein. Sehe ich nun irgendwo Rauch, wenn auch noch so wenig, sobald ich gewiß bin, es sei Rauch, so bin ich auch gewiß, da ist Feuer. So sind nun Wort und Sakrament, ob auch verhältnismäßig noch so schwach an einem Orte vorhanden, immer Kennzeichen, daß die Kirche, daß wahre Gläubige daselbst vorhanden seien. überall, wo noch Stücke der seligmachenden Wahrheit gepredigt werden, ja, wo das Wort Gottes nur wesentlich noch vorhanden ist, ist noch Kirche. Nicht die Sekten als solche sind Kirche; aber mitten unter ihrem Haufen, ja, mitten unter dem Haufen der Papstler verborgen, gibt es noch Christen, Glieder der Kirche, und das so gewiß, als noch Stücke der seligmachenden Wahrheit dort zu finden sind, denen eben, als Gottes Wort, die Verheißung gilt, daß das Wort nicht leer zurückkommen soll. So herrscht Christus auch mitten unter seinen Feinden, Ps. 110,2. Wenn wir nun sehen, daß es auch in unserer rechtgläubigen evangelisch-lutherischen Kirche so gar vielen nicht Ernst ist um Gottes Ehre und ihrer Seelen Seligkeit, ja, daß so manche offenbar abfallen von Christus, so ist es ein großer Trost für uns, also zu wissen, daß der HErr doch nicht allein unter den Lutheranern seine gläubigen Kinder habe. - Indem wir nun aber dies nach Gottes Wort bezeugen, so sagen wohl leichtfertige Leute, es sei ja dann ganz gleich, zu welcher Partikularkirche man gehöre, da man doch bei jeder selig werden könne. Dieser Schluß ist ein falscher. Alle falschgläubigen Gemeinschaften soll man meiden und fliehen, 1. weil Gott dies geboten hat, z.B. Röm. 16,17: "Ich ermahne aber auch, liebe Brüder, daß ihr aufsehet auf die, die da Zertrennung und Ärgernis anrichten neben der Lehre, die ihr gelernet habt, und weichet von denselbigen." Ein Christ kann als Christ nichts tun, wovon er weiß, daß es gegen Gottes Gebot ist. Sobald er dies in irgendeiner Sache weiß und doch vorsätzlich dagegen tut, so hört er auf, ein Christ zu sein. Dazu kommt dann noch, 2. daß die falsche Lehre immer gefährlich bleibt, so daß auch Gläubige durch sie leicht zum Abfall gebracht werden können. Auch darum also fliehen Christi Schäflein des Fremden Stimme, Joh. 10,5. Und warum sollten denn solche, die bisher in falschgläubigen Gemeinschaften gewesen sind und deren falsche Lehre nun erkennen, nicht zu der Gemeinschaft übergehen, in welcher das Wort Gottes in allen Stücken rein gelehrt wird?! Wird wohl ein Mensch, dem, da er am Verdrusten ist, durch trübes Wasser das Leben gerettet worden ist nun etwa um deswillen sein Lebtage trübes Wasser trinken, während er genug völlig klares haben könnte? Oder was würde man sagen von einem Gefangenen, der die ihm angebotene Freiheit ausschlüge und im Gefängnis bleiben wollte, weil er allerdings erfahren hat, daß man auch im Gefängnis bei Wasser und trockenem Brot und in ungesunder Luft leben könne, während er doch in der Freiheit reine Luft und gute Nahrung reichlich haben könnte? - Wir sind nun göttlich gewiß, daß unsere evangelisch-lutherische Kirche die wahre sichtbare Kirche, die Kirche der ganzen und vollen Wahrheit sei. Könnte man uns das Gegenteil beweisen, so wollten wir keinen Augenblick länger in ihrer Gemeinschaft bleiben. Aber obwohl man seit reichlich drei Jahrhunderten dies versucht hat, so hat man doch unseren Bekenntnisschriften auch keinen einzigen Irrtum in Glaubenslehren mit Gottes Wort nachweisen können und wird es gewiß auch fernerhin nicht tun können.

    4. Die wahre Einigkeit der Kirche.

    A. Was hierzu nötig ist. Unser Artikel gibt uns dies mit den Worten an: "Denn dieses ist genug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirche, daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Worte gemäß gereicht werden." Reines Wort und Sakramente sind also genug zur wahren Einigkeit der Kirche. Damit ist aber auch zugleich gesagt, daß allerdings diese dazu nötig sind. Von einer Einigkeit mit einer Gemeinschaft, die nicht mit uns das Wort und Sakrament in allen Stücken rein hat, dürfen und wollen wir nichts wissen, wie uns denn desfalls unser Artikel hinweist auf Eph. 4,4.5: "Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs. Ein HErr, Ein Glaube, Eine Taufe." Obwohl Kinder Gottes in solchen Gemeinschaften sind, können wir doch mit letzteren keine Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft haben, weil wir uns durch diese zugleich zu der betreffenden Sekte und ihrer falschen Lehre bekennen würden. Durch solche Verweigerung der Abendmahlsgemeinschaft verdammen wir in keinerlei Weise die betreffenden Kinder Gottes, sondern suspendieren sie nur von unserem Abendmahl, weil sie noch nicht die volle Wahrheit mit uns bekennen.

    B. "Und ist nicht not zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirche, daß allenthalben gleichförmige Zeremonien, von Menschen eingesetzt, gehalten werden." Bei seiner Ermahnung zu christlicher Einigkeit schweigt St. Paulus Eph. 4 ganz von solchen Zeremonien. Von der Gleichheit derselben kann also die Einigkeit der Kirche nicht irgendwie bedingt sein. Wenn einige Gemeinden einen vollen liturgischen Gottesdienst haben wollen, andere dagegen nicht, und es in Betreff von Glockenläuten, Orgelspielen, Lichterbrennen, Chorröcken, Altären, Kruzifixen usw. noch so verschieden gehalten wird, so erkennen wir die einen wie anderen Gemeinden als rechtgläubig und in völliger Einigkeit mit uns stehend an, solange nur Wort und Sakrament rein bei ihnen sind. Christus hat seiner Kirche eben auch die Freiheit geschenkt, sich selbst die ihr erbaulichen Zeremonien zu wählen. (Siehe Art. XV) Allerdings hat diese Freiheit da ihre Grenze, wo man uns eine Zeremonie als nötig zur Seligkeit oder als verdienstlich hinstellen wollte - da dann der Artikel von der Rechtfertigung allein durch den Glauben dadurch umgestoßen würde - oder wo es gilt, dadurch irgendeine falsche Lehre zu stützen. So ist es eine an sich freie Zeremonie, ob man beim heiligen Abendmahl das Brot bricht oder nicht. Dennoch verwerfen wir das Brotbrechen, weil die Reformierten usw. uns sagen: Ihr müßt das Brot brechen, um so das Brechen des Leibes Christi abzubilden - also um die falsche Lehre zu stützen, daß durch Brot und Wein Leib und Blut Christi abgebildet und nicht mit den Elementen wahrhaft und wesentlich dargereicht und genossen werde. Überhaupt ist in Betreff der Zeremonien, von Menschen eingesetzt, nur fleißig darauf zu achten, wie die Konkordienformel sagt (Conc. S. 477; Müller S. 703), daß "Gott nicht erzürnet, die Liebe nicht verletzet, die Feinde Gottes Worts nicht gestärkt, noch die Schwachgläubigen verärgert werden". Wird diese Regel nur beachtet, so mag man wohl Gleichförmigkeit der Zeremonien anstreben, da sie doch auch ihr Löbliches und Liebliches hat.

Artikel 8.

Was die Kirche sei.

    Item [Ebenso], wiewohl die christliche Kirche eigentlich nichts anderes ist denn [als] die Versammlung aller Gläubigen und Heiligen, jedoch dieweil in diesem Leben viel falscher Christen und Heuchler sind, auch öffentliche Sünder unter den Frommen bleiben, so sind die Sakramente gleichwohl kräftig, obschon die Priester, dadurch sie gereicht werden, nicht fromm sind; wie denn Christus selbst anzeigt Matth. 23,2: "Auf dem Stuhl Moses sitzen die Pharisäer" usw.

    Derhalben werden die Donatisten und alle anderen verdammt, so anders halten.

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    Wenn es hier im Eingange heißt, daß "die christliche Kirche eigentlich nichts anderes ist denn [als] die Versammlung aller Gläubigen und Heiligen", oder, nach dem Wortlaut der lateinischen Ausgabe (Müller, S. 40), "die Versammlung der Heiligen und wahrhaft Gläubigen", so wird damit angezeigt, daß das Wort "Kirche" in zweierlei Verstand, in einem eigentlichen und in einem uneigentlichen, genommen werden könne. Während die Kirche im eigentlichen Sinne nur aus Gläubigen besteht, so versteht man unter dem Wort "Kirche" im uneigentlichen Sinne vornehmlich die Gesamtheit aller äußerlich Berufenen, aller derer, die sich um Wort und Sakrament äußerlich versammeln. In diesem Sinne schließt sie also auch die Heuchler usw. ein und ist sichtbar. Diesem ganzen Haufen widerfährt aber die Ehre, Kirche genannt zu werden, um der in ihm verborgenen Kirche im eigentlichen Sinne oder der wahrhaft Gläubigen willen.

    Nach unserem Artikel sind nun vornehmlich vier Stücke ins Auge zu fassen:

    1. Die christliche Kirche eigentlich ist nichts anderes als die Versammlung aller Gläubigen und Heiligen;

    2. eigentlich zu reden gehören keine falschen Christen, Heuchler und öffentliche Sünder zur Kirche;

    3. die Sakramente sind an sich kräftig;

    4. die Verwerfung der Widersacher.

    Zu 1. Daß die christliche Kirche eigentlich nichts anderes sei als die Versammlung aller Gläubigen und Heiligen, ist schon im 7. Artikel behandelt worden. Allein den wahrhaft Gläubigen gehören alle die herrlichen Bezeichnungen, die das Wort Gottes der Kirche und ihren Gliedern gibt, wie z.B. 1 Petr. 2,9: "Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums." Nur die aus ihnen bestehende Kirche ist die Braut, die Hausehre Gottes, unseres Christi, die den Raub austeilt, Ps. 68,13, und die deshalb auch die Schlüssel an ihrer Seite trägt. Sie allein ist die eigentliche Inhaberin aller Rechte und Güter des Hauses Gottes.  

    Zu 2. Falsche Christen und Heuchler, auch öffentliche Sünder sind zwar in der Kirche, sie sind aber nicht von der Kirche, wie es 1 Joh. 2,19 heißt: "Sie sind von uns ausgegangen; aber wie waren nicht von uns." Sie gehören so wenig zur Kirche wie das Unkraut unter dem Weizen zum Weizen, oder wie Schleim und allerlei anderer Unrat am und im Menschen zum Menschen gehört. Nur in Gemeinschaft der Namen, Ämter und äußerlichen Zeichen, wie die Apologie sagt, stehen die Gottlosen mit der Kirche, sofern sie ja auch Christen heißen, Pastoren, Schullehrer, Küster, Vorsteher in ihr sind, die heilige Taufe empfangen haben, zum heiligen Abendmahl gehen usw. Aber zur christlichen Kirche, die da "stehet vornehmlich in Gemeinschaft inwendig der ewigen Güter im Herzen, wie des Heiligen Geistes, des Glaubens, der Frucht und Liebe Gottes" (Apol. Conc. S. 111; Müller S. 152), gehören sie trotzdem nicht. Wenn die Gegner dieser Lehre sich auf die Gleichnisse vom Unkraut unter dem Weizen und von dem Netz, in welchem gute und faule Fische gefangen werden, berufen, so ist ihnen mit der Philologie zu erwidern, daß in jenem Gleichnis der Acker nicht die Kirche, sondern die Welt ist, und daß in diesem die Kirche dargestellt wird, nicht wie sie in Wahrheit ist, sondern wie sie vor Menschen scheint. - Die Verdammnis derjenigen Gottlosen, welche in der Kirche sind, wird aber eben um deswillen, daß sie darin sind, so viel größer sein, als z. B. die der Heiden, da Gott ihnen mit seiner Gnade so nahe getreten ist und sie dieselbe so schändlich verachtet haben.

    Zu 3. Die Sakramente sind "gleichwohl kräftig, obschon die Priester, dadurch sie gereicht werden, nicht fromm sind". Dies zu bezeugen, ist der eigentliche Zweck unseres Artikels. Wenn nämlich hin und wieder offenbar gottlose Leute im Kirchenamte sind, so schließen manche Falschgläubige alsbald, daß da gar keine rechte Kirche, keine kräftigen Sakramente und keine wahren Christen sein könnten. Nach der Meinung der Schwärmer erhalten also die Sakramente ihre Kraft erst durch die Würdigkeit dessen, der sie reicht oder verlieren sie durch seine Unwürdigkeit. Aber so steht die Sache, Gott sei Dank! nicht. Wer könnte sonst auch gewiß sein, daß er recht getauft sei und je das rechte Abendmahl empfange? Können wir doch bei keinem Spender der Sakramente vollkommen und untrüglich gewiß sein, ob er ein wahrer Christ ist, wogegen vielmehr wohl mancher Christ weiß, daß er von einem gottlosen Pastor getauft worden ist. Da ist es nun eben unser Trost, daß die Sakramente an sich kräftig sind, in Kraft der göttlichen Ordnung und Verheißung, ganz abgesehen davon, welcher Art die Personen sind, durch welche sie gespendet werden. Einerlei, wer uns getauft hat: "Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden", Mark. 16,16, und: "Wie viel euer getauft sind, die haben Christum angezogen", Gal. 3,27; einerlei, wer der ist, der uns das heilige Abendmahl reicht: wird es nach Christi Einsetzung verwaltet, so haben wir darin nach 1 Kor. 11,24.25 Christi Leib und Blut zur Vergebung der Sünden. Es ist mit den Sakramenten wie mit dem Worte: Menschen können ihnen nichts nehmen und nichts geben. Wenn ein ganz gottloser Pfaffe, ja, der Teufel selbst spräche: "Christus ist Gottes Sohn, wahrhaftiger Gott mit dem Vater und Heiligen Geiste, und hat die ganze Welt erlöst", so ist und bleibt dies ebensowohl das ewige, seligmachende Wort Gottes, wie es dies ist, wenn ein liebes, gläubiges Kind Gottes es sagt. - Der Artikel beruft sich auf Matth. 23,2. Die Schriftgelehrten und Pharisäer waren ja meist Erzheuchler; dennoch sagt Christus im folgenden Vers: "Alles nun, was sie euch sagen, daß ihr halten sollet" - selbstverständlich sofern sie auf Moses Stuhl sitzen und also Gottes Wort bringen -, "das haltet und tut's." Als weiterer Beweisspruch gilt hier besonders Röm. 3,3.4: "Daß aber etliche nicht glauben an dasselbige, was liegt daran? Sollte ihr Unglaube Gottes Glauben aufheben? Das sei ferne!" usw.

    Zu 4. Die hier namentlich aufgeführten Donatisten sprachen der orthodoxen Kirche ab, eine Kirche zu sein, weil in derselben auch offenbar Ungläubige, und zwar gar im Amte, seien. Außerdem sind als Widersacher unserer reinen Lehre von der Kraft der Sakramente besonders zu nennen die Wiclifiten, Waldenser, Böhmischen Brüder und Methodisten. Überhaupt sehen alle diese Sekten mehr auf die Personen der Prediger als auf das Wort. [Ähnlich Rom, das die Kraft und Gültigkeit der Sakramente abhängig macht von dem 'unverlierbaren Charakter', der in der Ordination dem Priester gegeben werde. Anm. d. Hrsg.]

Artikel 9.

Von der Taufe

    Von der Taufe wird gelehrt, daß sie nötig sei, und daß dadurch Gnade angeboten werde, daß man auch die Kinder taufen soll, welche durch solche Taufe Gott überantwortet und gefällig werden.

    Derhalben werden die Wiedertäufer verworfen, welche lehren, daß die Kindertaufe nicht recht sei.

    (Vgl. Conc. S. 119. 236. 333 ff. 491. 5520 f; Müller S. 163. 320. 448 ff. 727. 848 f)

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    Nach Luthers Kleinem Katechismus ist die Taufe "nicht allein schlicht Wasser, sondern sie ist das Wasser in Gottes Gebot gefasset und mit Gottes Wort verbunden". Demgemäß sagen auch die Schmalkaldischen Artikel, die Taufe sei "Gottes Wort im Wasser, durch seine Einsetzung befohlen", mit besonderer Beziehung auf Eph. 5,26, wo die Taufe ausdrücklich genannt wird "das Wasserbad im Wort".

    Im 9. Artikel der Augsburgischen Konfession werden vier Stücke behandelt:

    1. die Notwendigkeit der Taufe,

    2. ihr Nutzen,

    3. daß auch die Kinder getauft werden sollen,

    4. die Verwerfung der Widersacher.

    Zu 1. Die Notwendigkeit der Taufe gibt der Artikel mit den Worten an: "Von der Taufe wird bei uns gelehrt, daß sie nötig sei." Nötig ist sie in zweierlei Beziehung:

    A. Vor allem, weil Gott sie geboten hat, z.B. Matth. 28,19: "Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohns und des Heiligen Geistes", oder Apost. 2,38: "Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen JEsu Christi" usw. Abgesehen davon, daß Gott nie etwas Unnötiges gebietet, soll dem Christen in Betreff seines Tuns und Lassens seines Gottes Wille und Gebot über alles gehen. Die Taufe ist dem äußeren Ansehen nach ein geringes Ding, wie wir auch singen: "Das Aug allein das Wasser sieht, wie Menschen Wasser gießen." (Lied: Du Volk, das du getaufet bist, V. 7) Aber schon das Gebot Gottes soll uns dies Wasser wichtig machen. Luther sagt im Großen Katechismus (Conc. S. 334; Müller S. 486): "Was (aber) Gott einsetzet und gebietet, muß nicht vergeblich, sondern eitel köstlich Ding sein, wenn es auch dem Ansehen nach geringer als ein Strohhalm wäre", und (Conc. S. 335; Müller S. 488): "Also reden wir auch vom Vater- und Mutterstand und weltlicher Obrigkeit. Wenn man die will ansehen, wie sie Nasen, Augen, Haut und Haar, Fleisch und Bein haben, so sehen sie Türken und Heiden gleich und möchte auch jemand zufahren und sprechen: Warum sollte ich mehr von diesen halten als von anderen? Weil aber das Gebot dazu kommt: 'Du sollst Vater und Mutter ehren', so sehe ich einen anderen Mann, geschmückt und angezogen mit der Majestät und Herrlichkeit Gottes. Das Wort (sag ich) ist die güldene Kette, so er am Hals trägt, ja, die Krone auf seinem Haupt, die mir anzeigt, wie und warum man dies Fleisch und Blut ehren soll. Also viel und mehr sollst du die Taufe ehren und herrlich halten, um des Worts willen."

    B. Die Taufe ist nötig, weil wir das, was die Taufe uns gibt, höchst nötig brauchen. Sie gibt nämlich Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, wie wir hören werden. Diese brauchen wir ja höchst nötig, weil wir nach unserer natürlichen Geburt in Sünden und unter dem Fluch darniederliegen.

    Die Taufe ist nötig zur Seligkeit. Doch muß man wohl im Auge behalten, daß diese Notwendigkeit der Taufe zur Seligkeit eine bedingte ist. Wohl hat Gott uns an die Taufe gebunden, nicht aber sich selbst. Wenn wir also sagen, die Taufe sei nötig zur Seligkeit, so wollen wir damit nicht sagen, daß Gott niemand selig machen könne, der nicht getauft sei. Gott kann auch wohl ohne dieses ordentliche Mittel selig machen und tut es gewißlich hier und da. Darum tut auch der Kirchenvater Augustinus den Ausspruch: "Nicht der Mangel, sondern die Verachtung der Taufe verdammt", und zwar gegründet auf Mark. 16,16: "Wer da glaubet" usw. In der zweiten Hälfte des Spruches wird nur der Unglaube als Grund der Verdammnis hingestellt. Also kann nur der Glaube unbedingt nötig zur Seligkeit sein. Gott macht keine Menschen selig, die nicht glauben, wohl aber solche, die da glauben, ohne getauft zu sein. Der Glaube ist unbedingt nötig zur Seligkeit, weil allein er Christus ergreift, von dem es ja heißt: "Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden", Apost. 4,12. Obwohl nun aber die Taufe nicht unbedingt nötig ist zur Seligkeit, so sagt doch der Große Katechismus (Conc. S. 336; Müller S. 490) mit Recht: "Wer die Taufe verwirft, der verwirft Gottes Wort, den Glauben und Christus, der uns dahin weiset und an die Taufe bindet", und er wird gewiß nicht selig.

    Zu 2. Der Nutzen der Taufe ist in dem Artikel mit den Worten angegeben: "daß dadurch Gnade angeboten werde". Es wird also hiernach durch die Taufe Gnade angeboten. Hier sind nun die Worte "Gnade" und "angeboten" zu erklären.

    A. Gnade. Schon im 4. Artikel haben wir gesehen, was unter Gnade zu verstehen sei, sobald irgendwie von unserer Rechtfertigung vor Gott gehandelt wird, nämlich Gottes Gunst oder Vergebung der Sünden. Ist nicht von der Rechtfertigung die Rede, so wird freilich das Wort "Gnade" auch in anderem Sinne gebraucht. So sagen wir ja z.B., es sei eine Gnade Gottes, daß wir gesund sind, das tägliche Brot haben usw., wo wir dann darunter verstehen, daß wir diese Gaben Gottes unverdienter Weise erhalten. Sobald wir aber davon reden, wie wir selig werden, so hat das Wort "Gnade" immer die bestimmte Bedeutung von "Vergebung der Sünden". Die Methodisten und andere Sekten verstehen hier fälschlicherweise die Kraft und den Beistand des Heiligen Geistes, gute Werke zu tun und heilig zu leben und dadurch selig zu werden [so auch die römisch-katholische Kirche, Anm. d. Hrsg.] Daß uns in der Taufe Vergebung der Sünden angeboten wird, glaubt kein echter Methodist oder anderer Schwärmer. Sie verwechseln auch hier eben das Wort "Gnade" mit dem Wort "Gabe".

    B. Angeboten. Dies Wort heißt hier so viel wie dargereicht, geschenkt, gegeben. Was Gott tut, das tut er im Ernst. Er macht es nicht so, daß er etwa einem Durstigen eine süße Frucht anbietet und dann doch nicht gibt; sondern wann und wo er etwas anbietet, soll es Eigentum dessen sein, dem er es anbietet. So haben auch hier unsere Väter das Wort "angeboten" verstanden, also daß jeder, der getauft ist, sprechen soll: "Gott sei Dank! mir gehört die Vergebung der Sünden; denn Christus hat sie mir in der Taufe geschenkt." Daß wir in der Taufe wahrhaftig Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit und nicht bloß, wie die Reformierten usw. sagen, ein Bild derselben empfangen, beweist unter anderem Apost. 2,38: "Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen JEsu Christi zur Vergebung der Sünden", oder Gal. 3,26.27: "Ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christus JEsus. Denn wie viel euer getauft sind, die haben Christus angezogen", oder Tit. 3,5: "Gott macht uns selig durch das Bad der Wiedergeburt" usw., oder Apost. 22,16: "Laß dich taufen und abwaschen deine Sünden." Demgemäß gibt denn auch der Kleine Katechismus Luthers auf die Frage: "Was gibt oder nützet die Taufe?" seine Antwort.

    Zu 3. und 4. Unser Artikel sagt ferner: "daß man auch die Kinder taufen soll, welche durch solche Taufe Gott überantwortet und gefällig werden". Und da wir aus Gottes Wort wissen, daß unsere Kindlein in Sünde empfangen und geboren und mithin Kinder des Zorns sind, sowie daß ihnen die Taufe Vergebung der Sünden bringt, so sollen billig alle Eltern ihre Kindlein so bald als möglich taufen lassen. Nun treten uns aber hierin die Wiedertäufer [Baptisten, Mennoniten u.a.; Anm. d. Hrsg.] entgegen und sagen, die Taufe der Kirche sei nicht recht. Diesen Irrtum verwerfen wir nun hier und wir wissen, daß wir dazu besten Schriftgrund haben. So spricht Christus Mark. 10,14: "Laßt die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes", und Joh. 3,5: "Es sei denn, daß jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen." Sollen demnach die Kindlein zum Reiche Gottes gehören und kann doch niemand in das Reich Gottes kommen, ohne wiedergeboren zu werden durch Wasser und Geist, so muß dies mit den Kindern geschehen, das heißt, sie müssen getauft werden. - Wann und wie bald die Kinder getauft werden sollen, gibt uns Gottes Wort nicht an; aber zu früh kann dies nicht geschehen. Je früher es geschieht, desto eher empfangen sie ja den Gnadenschatz, den die Taufe bringt. Wer dies von Herzen glaubt und seine Kindlein liebt, wird mit ihnen zur Taufe eilen, damit sie desto eher Gott überantwortet und ihm völlig [zu eigen] werden.

    Die falsche Lehre und Praxis der Wiedertäufer in Betreff der Kindertaufe ist eine natürliche Folge ihrer Lehre von der Taufe überhaupt, indem sie mit allen anderen von den Reformierten herstammenden Sekten gleich diesen leugnen, daß wir in der Taufe Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit empfangen. Wenn sie recht hätten, so wäre überhaupt wenig an der Taufe gelegen. Wie immer, sehen sie auch hier, echt schwärmerisch, mehr auf ihr eigenes menschliches Tun als auf Gottes Werk. Sie wollen zwar die Verwerfung der Kindertaufe auf die Einsetzungsworte der Taufe gründen. Weil diese in der Übersetzung lauten: "Gehet hin" usw. "und lehret alle Völker und taufet sie" usw., so meinen sie, der Taufe müsse in jedem Falle der Unterricht, der ja aber den kleinen Kindern nicht erteilt werden könne, vorausgehen. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß unser Text nach der Ursprache heißt: "Gehet hin ... und machet zu Jüngern alle Völker, sie taufend", oder: "indem ihr sie taufet, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe" - womit jedoch nicht gesagt sein soll, daß bei Erwachsenen nicht der Unterricht der Taufe vorausgehen soll. Gerade die Einsetzungsworte sind nun aber ein Beweis gegen die Wiedertäufer, da es hier heißt, alle Völker sollen getauft werden, zu den Völkern aber die Kinder ebensowohl gehören wie die Erwachsenen. - Luther macht als einen Hauptbeweis für die Kindertaufe geletend, daß in der Kirche viele große Männer, die unbestreitbar den Heiligen Geist gehabt haben, in ihrer Kindheit getauft worden sind. Gottes Wohlgefallen müsse also jedenfalls auf ihrer Taufe geruht haben, da er ihnen sonst nicht seinen Geist gegeben und so große Dinge durch sie in der Kirche ausgerichtet hätte. Die Wiedertäufer geben wohl sogleich zu, daß da, wo keine Taufe ist, auch keine Kirche sei. Nun gibt es aber viele Länder, wo seit Jahrhunderten nur die Kindertaufe stattgefunden hat. Nach dem Urteil der Wiedertäufer wären in diesen Ländern nur Ungetaufte, und es wäre also gar keine Kirche da; und doch blüht dort oft die Kirche unleugbar und herrlich. Manche Kirchenväter, wie ja denn auch unser Luther und viele andere treue Knechte des HErrn sind in ihrer Kindheit getauft worden. Hätte Gott an ihrer Taufe keinen Gefallen gehabt und wären sie ihm in derselben nicht gefällig geworden, so hätte er sie gewiß nicht zu so auserwählten Rüstzeugen in seinem Reich gemacht.

    Als Autorität für sich führen die Wiedertäufer den Kirchenvater Tertullian (um 250 nach Christus) an. Nun ist es zwar wahr, daß dieser, wie er denn allerlei schwärmerische Ansichten hatte und später ganz abtrat von der rechtgläubigen Kirche, ein Gegner der Kindertaufe war; allein er hat keinen Beweis gegen dieselbe vorgebracht, sondern sagte nur, er sehe nicht ein, wozu sie nütze - woran für uns wenig liegen kann. Da er nun aber zugleich bezeugt, daß die Kindertaufe seit der Apostel Zeit geübt worden sei, so ist dies gerade für uns von hoher Wichtigkeit.

Artikel 10.

Vom heiligen Abendmahl

    Vom Abendmahl des HErrn wird (al)so gelehrt, daß wahrer Leib und Blut Christi wahrhaftiglich unter der Gestalt des Brots und Weins im Abendmahl gegenwärtig sei und da ausgeteilt und genommen wird. Derhalben wird auch die Gegenlehre verworfen.

    (Vgl. Conc. S. 34. 36 ff. 120. 173 ff. 186 ff. 236. 341 ff. 369 ff. 440 ff. 520 f; Müller S. 48 f. 51 ff. 164. 232 ff. 248 ff. 320. 499 ff. 538 ff. 644 ff. 847)

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    In diesem Artikel ist zu handeln

    1. von der wahrhaftigen Gegenwart des wahren Leibes und Blutes Christi im Abendmahl,

    2. von dem Austeilen und Nehmen desselben,

    3. daß dieses unter der Gestalt des Brotes und Weines geschehe,

    4. von der Verwerfung der Widersacher.

    Zu 1. Die wahrhaftige Gegenwart des wahren Leibes und Blutes Christi im heiligen Abendmahl wird im Artikel bekannt in den Worten: "Vom heiligen Abendmahl des HErrn wird also gelehrt, daß wahrer Leib und Blut Christi wahrhaftiglich ... im Abendmahl gegenwärtig sei." Wie jeder wahre Glaube, so gründet sich auch dieser dieser unser Glaube auf Gottes Wort. Hier handelt es sich zunächst um die Einsetzungsworte. Diese werden uns von den drei Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas und sodann noch von St. Paulus überliefert. Alle Texte bezeichnen das Wesen des heiligen Abendmahls in vollster Übereinstimmung mit den Worten Christi: "Das ist mein Leib" usw., "das ist mein Blut" oder: "das ist das neue Testament in meinem Blut". Besonders hervorzuheben ist, daß so auch St. Paulus die Worte hat, obwohl er nicht bei der Einsetzung des heiligen Abendmahls war und sie auch nicht von einem der dabei Gegenwärtigen gelernt hat, sondern durch unmittelbare Offenbarung des HErrn Christi empfangen hat, wie er 1 Kor. 11,23 sagt: "Ich habe es von dem HErrn empfangen" usw. - Christus selbst bezeichnet das heilige Abendmahl als sein Testament. Jeder Mensch, der ein Testament macht, befleißigt sich, in demselben in so deutlichen, klaren Worten zu reden, daß aller Mißverstand und daraus folgender Streit vermieden werden möge. Christus aber, der ja die Liebe und Barmherzigkeit selbst ist, hat gewiß in seinem Testament unmißverständlich reden wollen; daß er, als der Allweise und der Schöpfer aller Sprache und Rede, dies auch getan hat, kann kein Christ bezweifeln. Darum steht uns das Wort "ist" ganz zweifellos fest. - Ein weiterer Beweis dafür, daß der wahre Leib und das wahre Blut Christi wahrhaftig im heiligen Abendmahl gegenwärtig sind, ist 1 Kor. 10,16: "Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?" Soll Gemeinschaft zwischen Leib und Brot, zwischen Wein und Blut Christi stattfinden, so müssen beide da sein; denn nur zwischen einem mindestens Zweifachen, wirklich Vorhandenen, kann eine Gemeinschaft stattfinden. - Wenn wir nun aber im Kleinen Katechismus Luthers auf die Frage: "Was ist das Sakrament des Altars?" antworten: "Es ist der wahre Leib" usw., so sprechen dem die Schwärmer, um derenwillen eben dieses Wort "wahre" hier betont worden ist, die Berechtigung ab, weil die Einsetzungsworte usw. dasselbe nicht enthalten. Es wird aber mit demselben nicht mehr gesagt, als was der HErr selbst gesagt hat; denn ist das Sakrament sein Leib usw., so ist es auch sein wahrer Leib usw, und wäre es nicht sein wahrer Leib usw., so wäre es auch nicht sein Leib usw. - Nun wird aber eingewendet, das Wort "ist" solle hier so viel heißen wie "bedeutet". Man beruft sich hierbei auf Christi Worte: "Ich bin der Weinstock" oder "Ich bin die Tür" usw. Aber man versuche es nur, für "bin" hier "bedeute" zu setzen. Dann würde der HErr hier sagen, er sei nur das Bild eines Weinstocks oder einer Tür, also viel weniger als diese! Nein! "ist" heißt in der heiligen Schrift nie "bedeutet", sondern zeigt immer das Wesen an. "Aber", spricht man endlich noch, "sollen die betreffenden Worte denn nicht etwa so viel heißen wie: 'Das ist ein Zeichen meines Leibes'?" usw. Auch dies muß entschieden verneint werden. Der Zusatz: "der für euch gegeben, das für euch vergossen wird", gestattet es nicht. Nicht ein Zeichen des Leibes und Blutes ist für uns gegeben und vergossen worden - wären wir doch sonst nimmermehr erlöst -, sondern der wahre, wirkliche Leib, das wahre Blut Christi. Also sind auch diese es, die im heiligen Abendmahl wahrhaftig gegenwärtig sind [und gereicht und mündlich genossen werden, Anm. d. Hrsg.]

    Zu 2. Vom Austeilen und Nehmen desselben. Davon redet der Artikel mit den Worten: "und da ausgeteilt und genommen wird". Wo das heilige Abendmahl der Einsetzung gemäß verwaltet wird, da wird Christi Leib usw. a. wahrhaftig ausgeteilt. Zur einsetzungsmäßigen Verwaltung des Sakraments gehört aber, daß man dabei alles dasjenige tue, was Christus dabei selbst getan und uns befohlen hat. Demnach muß bei demselben 1. Brot und Wein gebraucht werden, 2. diese Elemente müssen konsekriert, 3. sie müssen ausgeteilt und genommen werden, und 4. es muß das Bekenntnis abgelegt werden, daß Christi Leib und Blut da seien und so gegeben werden. So hat es Christus selbst gehalten und uns befohlen: "Solches tut zu meinem Gedächtnis." Nun könnte man uns aber den Vorwurf machen: "Ihr selbst haltet nicht Christi Einsetzung; denn ihr brecht beim Abendmahl nicht das Brot, während der HErr Christus es doch gebrochen hat." Antwort: Wir brechen das Brot nicht, um nicht eure falsche Lehre zu stützen, es müsse gebrochen werden, um Christi gebrochenen Leib abzubilden, während es doch den Leib Christi nicht abbilden, sondern ihn uns vermitteln soll. Daß Christus das Brot brach, ist rein zufällig, indem es von solcher Beschaffenheit war, daß es sich nicht schneiden ließ. Woll ihr das Wort "brechen" pressen und konsequent sein, so müßt ihr es auch für Sünde halten, dem Armen ein Stück Brot zuzuschneiden; denn Gottes Wort befiehlt Jes. 58,7: "Brich dem Hungrigen dein Brot." Brechen heißt hier eben nichts weiter als austeilen. - b. Wie im heiligen Abendmahl Christi Leib und Blut ausgeteilt werden, so werden sie auch genommen, und zwar von allen Kommunikanten, den ungläubigen sowohl als den gläubigen, jedoch, was die Wirkung betrifft, mit dem Unterschiede, daß die gläubigen es sich zum Segen, die ungläubigen aber zu ihrem Gericht empfangen. Das beweist 1 Kor. 11,29: "Welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber das Gericht, damit, daß er nicht unterscheidet den Leib des HErrn." Soll man den Leib des HErrn unterscheiden, so muß er doch da sein; essen sich die Ungläubigen das Gericht daran, so muß abermals der Leib des HErrn da sein; denn an etwas, das nicht da ist, kann man sich doch nicht das Gericht essen. Als biblisches Beispiel eines Ungläubigen, der Christi Leib und Blut sich zum Gericht empfangen hat, steht Judas da, zu dem der HErr so es wie zu den anderen Aposteln sagte: "Nimm hin und iß, das ist mein Leib" usw.

    Zu 3. Das Austeilen und Nehmen geschieht "unter der Gestalt des Brots und Weins". Hier ist besonders das Wort "Gestalt" ins Auge zu fassen und zu erklären, damit man uns nicht der falschen papistischen Wandlungs- oder Transsubstantiationslehre beschuldige. Es lehren die Papisten nämlich, durch das Konsekrieren des Priesters verwandle sich das Brot in den Leib Christi und der Wein in sein Blut, so daß vom Wesen des Brotes und Weines nichts übrig bleibe, sondern nur deren Gestalt, Geschmack und Geruch. Melanchthon gebraucht das Wort "Gestalt" hier nur, weil es damals allgemein in dieser Sache gebräuchlich war. Es soll nur die Sichtbarkeit der Elemente bezeichnen und wird in der Apologie erklärt mit "sichtbare Dinge, sichtbare Zeichen", während "Brot und Wein" das Wesen der Elemente selbst bezeichnet. - Wenn statt Brot und Wein andere Elemente genommen werden, so ist kein Sakrament da. Freilich will man uns nun auch vorwerfen, wir gebrauchten ja selbst kein Brot, sondern nur Hostien beim heiligen Abendmahl; allein, was sind denn Hostien anders als Brot, das ist aus einem Teige aus Mehl und Wasser am Feuer Gebackenes? Diese Form des Brotes gebrauchen wir aber hauptsächlich, um es bei der Austeilung nicht brechen zu müssen, wodurch wir nur der falschen reformierten Abendmahlslehre Vorschub leisten würden.

    Zu 4. Die Verwerfung der Widersacher. Die betreffende Worte des Artikels lauten: "Derhalben wird auch die Gegenlehre verworfen." Diese Gegenlehre ist eine zweifache, und zwar der Art, daß beide Gegenlehren einen schroffen Gegensatz zu einander bilden. Es sind dies die falsche Abendmahlslehre der Papisten einerseits und die der Reformierten andererseits.

    Die falsche Abendmahlslehre der Papisten besteht, wie schon gesagt, darin, daß nach ihr Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt werden und nun im Sakrament gar nicht mehr vorhanden sind. Auch diese Irrlehre wird widerlegt durch 1 Kor. 10,16 und durch die Einsetzungsworte. In ersterer Stelle sagt der Apostel unter anderem: "Das Brot, das wir brechen" usw. Er nennt also das Brot noch Brot, nachdem es bereits gesegnet ist. Ähnlich mit dem Wein. In den Einsetzungsworten heißt es: "Er nahm das Brot, dankete, brach es und gab es ihnen." Das "es" steht hier unleugbar für "Brot" und nennt es also Christus noch so, nachdem er darüber gedankt oder es konsekriert hat.

    Die Irrlehre der Papisten vom Abendmahl scheint auf den ersten Anblick nicht sehr gefährlich zu sein, indem sie hier doch die Hauptsache feststehen lassen, daß wir nämlich Christi Leib und Blut empfangen; allein abgesehen von der großen Sünde, Gottes Wort zu verkehren, zeigt es sich auch hier wieder, wie Ein Irrtum immer zu anderen Irrtümern führt. Denn aus dieser Einen falschen Lehre der Papisten sind drei andere antichristliche Greuel gefolgt, nämlich das päpstische Meßopfer, der Kelchraub und die Anbetung der Hostie.

    Bezüglich des Meßopfers sagen die Papisten mämlich, wenn der Priester die geweihte Hostie breche, so breche er den Leib Christi zum unblutigen Opfer für Lebendige und Tote, und zwar für die letzteren, damit sie desto eher aus dem Fegfeuer kämen. Was ihre Lehre vom oftmaligen unblutigen Opfer Christi betrifft, so zeugt gegen sie Hebr. 10,14: "Denn mit Einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiliget werden", und Hebr. 9,22: "Ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung." - Die Papisten halten so hart über ihrem Meßopfer, weil es ihnen so viel Geld bringt.

    Betreffs des Kelchraubs verabreichen die Papisten beim heiligen Abendmahl den sogenannten Laien nur das gesegnete Brot, während der Priester den Kelch allein leert, und zwar mit den Worten: "Das tue ich für euch alle." Als Grund für die Entziehung des Kelches geben sie an, daß bei Darreichung desselben an alle Kommunikanten es leicht geschehen könne, daß etwas von seinem Inhalte verschüttet werde; das sei nun ja aber Christi Blut und ewig schade darum, wenn es so verloren gehe. Dem entsprechend sind früher von Papisten ganze Bücher in Beantwortung der Frage geschrieben worden, was man mit einer Maus tun solle, die eine zufällig verloren gegangene konsekrierte Hostie gefressen habe, welche jetzt ja eitel Leib Christi sei! "Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren worden", Röm. 1,22. Sagt doch Christus nicht von Brot und Wein vor deren Genuß im Sakrament, noch von dem, was nach der Austeilung übrig bleibt, sondern allein von dem, was wirklich ausgeteilt und genommen wird: "Das ist mein Leib, das ist mein Blut." [Wobei wir nicht den Zeitpunkt benennen können, von dem an wirklich Christi Leib und Blut gegenwärtig ist in, mit und unter Brot und Wein, ob also nach der Konsekration zur sofortigen Austeilung und Genuß oder erst bei der Austeilung zum sofortigen Genuß. Wessen wir aber ganz gewiß sein können, ist dies: was wir empfangen und mit dem Munde genießen ist wahrhaftig Christi Leib und Blut in, mit und unter Brot und Wein. Anm. d. Hrsg.] - Wenn man den Papisten entgegenhält, daß sie das heilige Abendmahl durch ihren Kelchraub verstümmeln und, wie unsere Väter sagen, bloß das halbe Sakrament reichen, so antworten sie: "Die Kommunikanten bei uns empfangen das ganze Abendmahl; denn da kein Leib ohne Blut ist, so erhalten diejenigen, denen wir Christi Leib reichen, ja auch schon zugleich sein Blut." Es sind eben diese armen Leute gescheiter als die ewige Weisheit. Christus selbst, der HErr, der nach seiner Allwissenheit wohl wußte, wie der Antichrist sein Abendmahl verstümmeln würde, sagt gerade beim Darreichen des Kelches ausdrücklich: "Trinket alle daraus." - Der Kelchraub fröhnt der Ehrsucht der Priester, als die in der Papstkirche allein gewürdigt sind, das ganze Abendmahl zu genießen.

    Bei den Papisten wird die Hostie angebetet, ganz konsequent ihrer Verwandlungslehre; denn wenn die Hostie nach deren Konsekration eitel Leib Christi ist, so gebührt ihr freilich Anbetung. Hebt der Priester die Monstranz, die die Hostie enthält, empor, so fällt alles Volk vor derselben nieder. Das ist eine verfluchte Abgötterei, da die Hostie außer der Handlung des heiligen Abendmahls nur Brot ist.

    Der papistischen direkt entgegenstehend ist die reformierte Abendmahlslehre. Sowohl die Zwinglianer als auch die Calvinisten leugnen die wahrhafte Gegenwart des wahren Leibes und Blutes Christi im heiligen Abendmahl und behaupten, der Kommunikant genieße mit dem Munde nie etwas anderes im heiligen Abendmahl als bloß Brot und Wein. Erstere lehren ein bloßes Bedeuten des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl. Die Calvinisten dagegen reden wohl von einer Nießung des wahren Leibes und Blutes Christi; aber sie wollen dies bloß verstanden wissen als ein geistliches Essen und Trinken und keineswegs von einem mündlichen oder eigentlich sakramentlichen. Sie heben besonders hervor, daß nur die Gläubigen Christi Leib und Blut genießen könnten. Sowohl die Zwinglianer als auch die Calvinisten berufen sich hierbei darauf, daß Christus seit seiner Himmelfahrt nach seiner Menschheit ja nicht mehr auf Erden sei, sondern im Himmel, gleich als eingeschlossen an einem Orte, sitze. Die Heilige Schrift straft sie aber hierin an vielen Stellen Lügen, besonders Eph. 4,10: "Der hinuntergefahren ist, das ist derselbige, der aufgefahren ist über alle Himmel, auf daß er alles erfüllete." Unter "alle Himmel" versteht der Apostel in dieser Stelle offenbar die erschaffenen Himmel: die obere Luft - Sonne, Mond und Sterne - den Himmel der Seligen. Christus nun ist über alle diese Himmel gefahren in den unerschaffenen Himmel der Herrlichkeit und Majestät Gottes. Dieser Himmel ist überall da, wo Gott ist. So erfüllt Christus nun auch alles. Demgemäß sagt er nach seiner Auferstehung, Luk. 24,26: "Mußte nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?" Die heilige Schrift redet eben von einer dreifachen Gegenwart Christi: 1. von der räumlichen Gegenwart, wie er z.B. zu Kapernaum wohnte; 2. von der himmlischen, göttlichen, die er mit dem Vater und dem Heiligen Geiste gemein hat; 3. von der sakramentlichen, wie er im Brot und Wein im heiligen Abendmahl ist. - Wenn die Calvinisten von einem geistlichen Essen und Trinken reden, so berufen sie sich auf Joh. 6. Dieses Kapitel handelt aber gar nicht vom heiligen Abendmahl, kann also gar nicht zur Erklärung der Einsetzungsworte dienen; denn nur in dem Falle kann eine Stelle der heiligen Schrift als Parallelstelle zur Erklärung einer anderen dienen, wenn beide offenbar von derselben Sache handeln.. Nach der Schrift gibt es zweierlei Essen und Trinken des Leibes und Blutes Christi: 1. das sakramentliche oder mündliche, von dem die Einsetzungsworte handeln; 2. das geistliche, das gleichbedeutend mit "Glauben" ist, und nur von diesem handelt Joh. 6. Nach calvinischer Lehre empfangen nur die gläubigen Kommunikanten etwas außer Brot und Wein, und auch sie erhalten so nichts, was sie nicht auch jederzeit ohne Abendmahl haben können. Wenn sie sagen, der Gläubige empfange im heiligen Abendmahl Christi wahren Leib und sein wahres Blut, so legen sie dies dahin aus, daß, während der Mund nichts empfange als Brot und Wein, ihr Geist sich emporschwinge in den Himmel und sich das Verdienst Christi aneigne. Dies tut ja aber der Glaube fortwährend. Es ist daher die Redeweise der Calvinisten von einer Nießung des wahren Leibes und Blutes Christi im Abendmahl ein unehrliches Versteckspielen, womit sie die Leute fangen und glauben machen wollen, sie hätten die reine Lehre vom Sakrament. - Auf die Frage, was die Reformierten selbst bei ihrem sogenannten Abendmahl empfangen, antwortet Luther, daß sie dabei allerdings nichts als Brot und Wein empfangen, weil sie das Abendmahl nicht nach Christi Einsetzung verwalten. Also nicht wegen ihres Unglaubens in diesem Stück wird ihnen das Sakrament abgesprochen - denn sowenig der Glaube das Sakrament machen kann, so wenig hebt der Unglaube es auf -, sondern, wie gesagt, weil sie nicht alles tun, was Christus in Betreff der Verwaltung des Abendmahls  zu tun befohlen hat. Abgesehen davon, daß manche Reformierte die Elemente nicht konsekrieren, fehlt bei allen das von Christus befohlene Bekenntnis, daß hier Christi Leib und Blut ausgeteilt und genommen werde. Wenngleich bei der Austeilung viele von ihnen sich der Worte bedienen: "Christus spricht: Das ist mein Leib" usw., so ist dies doch kein Bekennen, sondern ein Verleugnen, indem sie vorher längst erklärt haben, sie wollten dies nur so verstanden wissen, daß Brot und Wein Leib und Blut Christi nur bedeuten oder ein Bild derselben seien.

    Der Schaden, den die reformierte Abendmahlslehre anrichtet, ist unaussprechlich groß. Christi Leib und Blut wird uns gegeben zur Versicherung und Versiegelung der Vergebung der Sünden. Wer dagegen im Abendmahl nichts weiter sieht als ein Bedeuten, ein Bild vom Leibe und Blut Christi, der kann den beabsichtigten Nutzen nimmermehr haben. Wenn Angefochtene in ihrer Sündenangst den Trost des Evangeliums nicht recht fassen können, so kommt ihnen ihr lieber Heiland zu Hilfe mit dem Sakrament, diesem sichtbaren Wort, wie es Augustin nennt, und legt ihnen seinen Leib und Blut, für sie gegeben und vergossen, in den Mund, damit sie ja nicht mehr daran zweifeln, daß sie auch Teil haben an dem Versöhnungsopfer des Erlösers. Sowenig dem leiblich Armen das Zeichen eines Dollars den Nutzen eines wirklichen Dollars bringt, so wenig und viel weniger kann dem geistlich Armen, dem Gnadenhungrigen, ein Zeichen des Leibes und Blutes Christi das gewähren, was diese Güter selbst und die Gewißheit, sie zu empfangen, ihm geben. Mit Recht sagt Luther von den Reformierten, sie hätten die Brücke abgebrochen, die zu Christus führt. Obwohl sie, wenn freilich auch nicht ganz rein, die Lehre von der Erbsünde und der Erlösung durch Christus haben, so leugnen sie doch die Mittelursache der Rechtfertigung von Seiten Gottes: daß die durch Christus uns erworbene Vergebung der Sünden uns dargereicht und gegeben wird durch Wort und Sakrament. Denn gleichwie sie die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl zur Vergebung der Sünden leugnen, so machen sie auch die heilige Taufe zu einem leeren Zeichen und leugnen die Kraft des Wortes, selig zu machen, wie ihnen ja denn die Lehre von der Absolution ein Greuel ist. Nach ihrer Lehre gibt es gar kein Gnadenmittel im eigentlichen Sinn des Wortes, das heißt, kein Mittel, durch welches uns Gott seine Gnade mitteilt. Durch die Unterscheidungslehren der Reformierten hat noch kein Angefochtener auch nur ein Tröpflein Trostes erlangt, während die entgegenstehende reine Lehre eitel himmlischer, göttlicher Trost ist. - Natürlich gilt das, was hier von den Reformierten gesagt ist, in gleicher Weise von den anderen uns umgebenden, meistens aus der reformierten Kirche hervorgegangenen Sekten. Die Unierten sind insofern noch schlimmer als die anderen, daß sei grundsätzlich das ganze Wort Gottes ungewiß machen, weil sie ausdrücklich lehren, in diesen und jenen Stücken komme es gar nicht darauf an, was man glaube, da man so recht gewiß immer gar nicht der Schrift rechte Meinung wissen könne. - Ein treuer Lutheraner kann bei keiner falschgläubigen Gemeinschaft zum Abendmahl gehen, weil er dadurch die Wahrheit verleugnen und sich zu allen falschen Lehren derselben bekennen würde, da nach Gottes Wort das Empfangen des Sakraments in irgendeiner Gemeinschaft ein Bekenntnis ist, daß man mit derselben Ein geistlicher Leib sei. 1 Kor. 10,17: "Denn Ein Brot ist's; so sind wir viele Ein Leib, dieweil wir alle Eines Brotes teilhaftig sind."

    Leider hat sich Melanchthon in übergroßer, also in falscher Friedensliebe bewegen lassen, im Jahr 1540 die Augsburgische Konfession zu verändern, wie früher schon erwähnt. In der also veränderten Konfession, Variata genannt, ist besonders der 10. Artikel in veränderter Gestalt gegeben.

    Er lautet in derselben: "Vom Abendmahl des HErrn wird also gelehrt, daß der Leib und Blut Christi den Kommunikanten wahrhaftig dargereicht werden im heiligen Abendmahl." Ausgelassen sind also die Worte: "wahrer" -  "unter der Gestalt des Brotes und Weines gegenwärtig sei" - "und da ausgeteilt und genommen wird". - Die Variata gibt hier freilich nichts offenbar Falsches; allein sie ist berechnet auf das Versteckspielen der Reformierten, wie diese sie denn auch in ausgedehntem Maße dazu gebraucht haben. Melanchthon hat es bald bitter bereut, daß er das freilich von ihm verfaßte, aber nun der ganzen Kirche gehörende Bekenntnis eigenmächtig verändert hat, und hat einen öffentlichen Widerruf ergehen lassen. [C.A.T. Selle läßt hier Melanchthon insofern zuviel des Guten zukommen, als Letzterer sich keineswegs von seinem Irrweg wirklich abgewandt hat, sondern später, insbesondere nach Luthers Tod, ihn konsequent weitergegangen ist und der evangelisch-lutherischen Kirche dadurch vielfach großen Schaden zugefügt hat. Anm. d. Hrsg.] Besonders viel Elend hat die veränderte Konfession ihrer Zeit angerichtet, nachdem sie einem 1560 veröffentlichten Werke, betitelt "Corpus Doctrinae", einverleibt war.

    Unsere Väter bedienen sich in Betreff des Empfanges von Christi Leib und Blut im heiligen Abendmahl vielfach der drei Ausdrücke: "in", "mit" und "unter" Brot und Wein. "In" ist gesetzt im Gegensatz zu den Calvinisten, die ja behaupten, es werde von den Gläubigen Christi Leib und Blut nur außerhalb des Brotes und Weines genossen beim Abendmahl. "Mit" wird gebraucht zum Zeugnis gegen das "ohne" der Papisten. Durch das Wort "unter" wollten die lieben Väter die Beschuldigung der Reformierten abweisen, sie lehrten die Konsubstantiation. Unter Konsubstantiation, oder Mitsubstanz, versteht man die falsche Lehre, nach welcher aus Brot und Leib Christi und ebenso aus Wein und Blut Christi in ihrer Vereinigung ein ganz Neues werden soll, etwa so, wie aus Mehl und Wasser in deren Vereinigung gleichsam ein Neues: der Teig, entsteht. Von einer Sekte oder Kirchenpartei, die diese falsche Lehre in ausgeprägter Form sich angeeignet hätte, ist keine Rede, sondern wir Lutheraner sind, wie gesagt, von den Reformierten fälschlich beschuldigt worden, sie zu haben. Weder in unseren Bekenntnisschriften noch bei unseren Dogmatikern kommt auch nur ein Wort vor, worauf diese Beschuldigung mit einigem Schein fußen könnte; dennoch fahren unsere Widersacher noch immer fort, uns zur Last zu legen, wir lehrten ein kapernaitisches Essen des Leibes und Trinken des Blutes Christi, das heißt, ein solches Essen usw., da jener mit den Zähnen zerrissen und beide im Magen verdaut würden, und schelten uns Menschenfresser und dergleichen. - Fragt man uns nun: "Wie denkt ihr euch denn aber die Art und Weise der Vereinigung des himmlischen Gutes mit dem Elemente im Abendmahl?" so antworten wir: Dafür, wie sie geschieht, lassen wir Gott sorgen. Es ist freilich eine uns unbegreifliche Weise; da aber Christus uns verheißen hat, uns seinen Leib und sein Blut mit Brot und Wein zu geben, und seine Hand nicht verkürzt ist, so hält er gewiß, was er uns zugesagt hat. Ob wir das Wie begreifen oder nicht, daran ist nichts gelegen. Wir fallen ihm demütig-gläubig zu Füßen und danken ihm für seine unaussprechliche Gnade, "daß er uns so wohl wollt speisen" und uns so unseres Gnadenstandes so gewiß macht.

Artikel 11.

Von der Beichte

    Von der Beichte wird (al)so gelehrt, daß man in der Kirche privatam absolutionem [Privatabsolution oder -lossprechung, Anm. d. Hrsg.] erhalten und nicht fallen lassen soll; wiewohl in der Beichte nicht not ist, alle Missetat und Sünden zu erzählen, dieweil doch solches nicht möglich ist, Ps. 19,13: "Wer kennet die Missetat?"

    (Vgl. Conc. S. 38 f. 120 ff. 124 f. 137 ff. 237 f; Müller S. 53 f. 164 ff. 168. 185 ff. 321 ff)

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    Das Wort "Beichte" wird in einem zweifachen Sinne genommen: in einem engeren und in einem weiteren. Im engeren Sinne heißt beichten so viel wie bekennen, das Bekennen der Sünden nämlich. Im weiteren Sinne wird das Wort gebraucht im Kleinen Katechismus, wenn derselbe fragt: "Was ist die Beichte?" Die Antwort auf diese Frage lautet dann: "Die Beichte begreift zwei Stücke in sich: eines, daß man die Sünde bekenne; das andere, daß man die Absolution oder Vergebung vom Beichtiger empfange, als von Gott selbst, und ja nicht daran zweifle, sondern fest glaube, die Sünden seien dadurch vergeben vor Gott im Himmel." Was zunächst das Beichten im eigentlichen oder engeren Sinne, das Bekennen der Sünden, betrifft, so gibt es nach Gottes Wort betreffs desjenigen, dem gebeichtet wird, drei verschiedene Arten desselben: 1. das Beichten unmittelbar gegen Gott, das die Christen täglich üben bis an ihren Tod. So beichtet David Ps. 32,5: "Darum bekenne ich dir meine Sünde und verhehle meine Missetat nicht"; 2. die Beichte gegen den beleidigten Nächsten nach Jak. 5,16: "Bekenne einer dem andern seine Sünden"; 3. die Beichte gegen den Beichtiger, sei derselbe nun ein Pastor oder ein sogenannter Laie, wie z. B. die Juden Johannes dem Täufer beichteten nach Matth. 3,5.6. Im Vater-Unser, und zwar in der fünften Bitte, finden die zwei ersten Weisen ihre Berücksichtigung. Hier aber im 11. Artikel der Augsburgischen Konfession ist ausschließlich die Rede von der Beichte gegen den Beichtiger. Diese ist zwar auch eine Beichte gegen Gott; denn man beichtet ja nicht einem Menschen, um ihm zu beichten; aber sie ist eine mittelbare Beichte gegen Gott und geschieht allein zu dem Ende, daß man den Trost der Absolution empfange. Weil nun aber dem Beichtiger nicht für seine Person die Sünde bekannt wird, sondern vielmehr dem lieben Gott, so hat der Beichtiger auch kein Recht, irgendwelche ihm so bekannte Sünde zu offenbaren. Mit vollkommenstem Rechte wurden früher Pastoren, die das Beichtsiegel brachen, ihres Amtes entsetzt und daneben noch mit anderen schweren Strafen belegt.

    Der Anfang unseres Artikels lautet: "Von der Beichte wird (al)so gelehrt, daß man in der Kirche privatam absolutionem erhalten und nicht gehen lassen soll." Es ist auffallend, daß hier der Nachdruck auf die Absolution gelegt wird, während der Artikel doch von der Beichte handeln soll. Dies geschieht deshalb, weil bei der Beichte im weiteren Sinne die Absolution die Hauptsache ist, um derenwillen ja auch das Bekennen der Sünde nun geschieht; denn nicht darum geht man christlicher Weise zur Beichte, um nur zu beichten oder sich gar damit etwas zu verdienen, sondern allein, damit man die Absolution empfange. Darüber spricht sich Luther im Großen Katechismus so aus: "Wir sollen unser Werk" (das ist hier: unser Beichten) "gering, Gottes Wort" (hier das Wort der Absolution) "hoch und groß achten."

    Das Wort Absolution heißt zu deutsch: Lossprechung, Vergebung. Privat heißt: besonders, geheim. Von Privatabsolution ist hier allein die Rede, da nämlich der Beichtiger um Christi willen den Einzelnen die Sünden vergibt. Privatabsolution setzt aber Privatbeichte voraus. Die Privatbeichte ist je und je der lutherischen Kirche eigen gewesen. Sie unterscheidet sich von anderen Arten der Beichte vor dem Beichtiger dadurch, daß der Einzelne allein zum Beichtiger geht, ihm nicht alle seine Sünden namhaft zu machen braucht, solche Sünden aber namentlich bekennen kann, "die er weiß und die ihn" (besonders) "drücken im Herzen". (Kleiner Katechismus) Die Reformierten dagegen haben die allgemeine Beichte eingeführt, in der alle Beichtenden gemeinsam ein Bekenntnis, und also immer nur ein allgemein gehaltenes, ablegen, ohne jede Nennung einzelner spezieller Sünden, und zwar so, daß sie auf ihnen vorgelegte Fragen gemeinsam mit "Ja" antworten. Leider hat die reformierte Form der Beichte zur Zeit des allgemeinen Rationalismus die Privatbeichte aus den meisten lutherischen Kirchen verdrängt. Bei den Papisten endlich ist die Ohrenbeichte im Schwange, in der alle Sünden namentlich bekannt werden sollen und bei welcher keine Absolution als nur die für die also bekannten Sünden gesprochen wird.

    Unser Artikel enthält nun zwei Stücke:

    1. daß man die Privatabsolution erhalten und nicht fallen lassen soll;

    2. daß nicht not sei, alle Sünden namentlich zu bekennen.

    Zu 1. Es ist zwar keine der drei Arten der Beichte vor dem Beichtiger in Gottes Wort besonders befohlen; dennoch hatten unsere Väter guten Grund, darauf zu dringen, daß man "privatam absolutionem" (und also auch die Privatbeichte) "erhalten und nicht fallen lassen" solle. Der Regel nach wird es dem armen angefochtenen Sünder leichter, sich den Trost der Absolution in der Privatbeichte anzueignen als in der allgemeinen Beichte, in der die Absolution über den ganzen Haufen gesprochen wird. So hat auch die Privatbeichte das Vorbild der heiligen Schrift für sich (David vor Nathan, Maria Magdalena, die Zöllner). Wo nun aber aus unseren Kirchen die Privatbeichte einmal durch die allgemeine Beichte verdrängt worden ist, darf sie wenigstens niemandem, der sie verlangt, verweigert werden.

    Karlstadt war der erste öffentliche Gegner der Privatbeichte. Luther bezeichnet ihn und seinen Anhang als Enthusiasten oder Schwärmer, das heißt, als solche Leute, die vom Wort abgehen und sagen, daß man Geist und Gnade ohne das leibliche Wort empfange. Es ist fast allen Gegnern der Privatbeichte unleidlich, daß ein Mensch soll Sünde vergeben können. Wie einst die Schriftgelehrten dem HErrn Christus gegenüber, so sprechen nun heute diese Leute zu uns: "Wie redet dieser solche Gotteslästerung? Wer kann Sünde vergeben, denn allein Gott?" Mark. 2,7. Gott aber vergibt die Sünde eben nie anders als durch Menschen. Wollte man hieran einwenden, daß doch auch wohl hie und da Leute zum Glauben und zur Gewißheit der Vergebung ihrer Sünden kommen durch bloßes Lesen der Heiligen Schrift, so ist zu bedenken, daß auch dann die Vergebung der Sünden durch Menschen vermittelt worden ist, indem Gott sein Wort durch Menschen hat aufzeichnen lassen. Unsinnig ist es, wenn auf Vorhalt von Joh. 20,23: "Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten", zwar manche Reformierte usw. zugestehen, die Apostel hätten wohl können Sünden vergeben, aber dann weiter behaupten, andere könnten es nicht, weil sie ja den Leuten nicht ins Herz sehen könnten, ob sie aufrichtige Christen seien. Waren denn etwa die Apostel allwissend, daß sie dies konnten? - Auf die Frage nun, wer Sünde vergeben könne, antworten die Papisten: "Allein der Papst und diejenigen, welchen er die Macht dazu verleiht: seine Bischöfe und Priester." Sie wollen sich hierbei gründen auf den Spruch Matth. 16,19, wo Christus zu Petrus spricht: "Ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben. Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein; und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein." Diese Worte, sprechen sie, sind allein Petrus gesagt: nur ihm sind die Schlüssel des Himmels gegeben; Petrus aber war der erste Bischof zu Rom, und er hat die Schlüssel den Päpsten als seinen Nachfolgern im Bischofsamt hinterlassen. Von anderem abgesehen, mögen wir dagegen wohl geltend machen, daß Christus Matth. 16,19 in der Form einer Verheißung zu Petrus redet. Wo finden wir nun die Erfüllung dieser Verheißung? Antwort: in der oben angeführten Stelle Joh. 20,23, da Christus allen seinen Jüngern gleicherweise eben die Macht gibt, die er Matth. 16,19 Petrus allein verheißen hatte. Indem der Papst die Schlüssel des Himmelreichs allein an sich hat reißen wollen, ist er zum greulichen Kirchenräuber geworden und hat sich auch dadurch als der rechte Antichrist offenbart. Dazu kommt nun noch, daß die Papisten die Vergebung der Sünden so mitteilen wollen, daß Schuld und ewige Strafe der Sünde wohl dabei weggenommen werde, daß aber der Christ die zeitlichen Strafen der Sünde selbst abbüßen müsse, sofern ihm nicht aus dem Schatz der Kirche Ablaß erteilt werde. Zu den zeitlichen Strafen rechnen sie auch ihr erdichtetes Fegfeuer, insofern dieses nicht ewig, sondern zeitweilig plage. Aus dem Fegfeuer erlösen dann wieder, wie sie sagen, Messen. Welch schändliche Lehre! - Wir antworten auf die Frage, wer Sünden vergeben könne: "jeder Jünger Christi, jeder wahre Christ, jedes Glied der Kirche, und damit auch jeder, der im Auftrag der Kirche das Amt am Worte hat." Man sehe jene Worte Joh. 20,23 nur im Zusammenhange an, so findet man unmittelbar vor denselben die Worte: "Nehmet hin den Heiligen Geist." Allen also, denen Christus seinen Heiligen Geist gegeben hat, hat er auch die Macht verliehen, Sünden zu vergeben; mit andern Worten: seiner ganzen Kirche und allen einzelnen Gliedern derselben. Dabei bleibt es doch stets wahr: Nur Gott vergibt ursprünglich Sünden; aber er tut es mittelbar, durch Menschen, wie es wahr bleibt, daß Gott allein Wunder tut, Ps. 72,18, obwohl er viele Wunder durch Menschen, durch seine heiligen Propheten und durch die Apostel, hat verrichten lassen, oder wie es wahr bleibt, daß Gott allein es ist, der Gras und Blumen wachsen macht, während wir doch der Wahrheit gemäß sagen können, daß Regen und Sonnenschein Gras und Blumen wachsen machen, da Gott sie eben als Mittel dazu gebraucht. Menschen können Sünden vergeben, weil Gott ihnen Macht und Auftrag dazu gegeben hat. Als eine große Gnade Gottes haben wir es zu preisen, daß er uns so durch Menschen die Sünde vergibt, da wir armen Sünder es nicht ertragen könnten, wenn Gott in seiner Herrlichkeit ummittelbar zu uns reden würde; als eine große Gnade, daß er ein eigenes Amt eingesetzt hat, dessen eigentliche und letzte Aufgabe es ist, Absolution zu sprechen, also Sünde zu vergeben, wie ja denn die ganze Predigt des Evangeliums eitel Absolution ist. Wenn der Mensch die Absolution spricht, so wiederholt er ja nur die von Gott bereits über die ganze Welt durch die Auferweckung seines lieben Sohnes tatsächlich ausgesprochene Absolution. Wer glaubt, der hat sie und genießt ihrer in Ewigkeit. - Die Schmalkaldischen Artikel nennen die Absolution "die Kraft der Schlüssel", das heißt, in ihr beweist sich die heilsame Kraft der Schlüssel besonders an den zerschlagenen Herzen.

    Die Frage, wie oft man beichten solle, beantworten die Papisten dahin, daß dies einmal im Jahr, und zwar um die Osterzeit, geschehen müsse. Ein Christ wird aber wohl von selbst oft zur Beichte kommen. Auf gewisse Tage oder Zeit im Jahr wird jedoch niemand bei uns zum Sakrament (oder zur Beichte) gedrungen, denn 1. "es ist nicht möglich, daß die Leute alle gleich auf eine Zeit geschickt sein"; 2. "sie können so nicht so fleißig verhört und unterrichtet werden"; und 3. "die alten Canones und Väter setzen keine gewisse Zeit". (Apologie)

    Zu 2. Es ist nicht not, alle Sünden namentlich zu bekennen. Die Ohrenbeichte ist nach Gottes Wort durchaus verwerflich, weil bei derselben eine Bedingung gesetzt wird, der niemand nachkommen kann, wie es Ps. 19,13 heißt: "Wer kann merken, wie oft er fehlet?" Bei dieser Art der Beichte kann eben niemand der Vergebung aller seiner Sünden gewiß werden, was doch gerade der Zweck der Beichte ist. Die armen Papisten haben nun einmal die scheußliche Teufelslehre, daß kein Mensch auf Erden seines Gnadenstandes gewiß sein könne oder solle. Gott behüte uns in Gnaden vor solcher Lehre und vor allem, was sie stützen will! Verlangen, daß alle Sünden namentlich bekannt werden, heißt, wie Luther sagt, "eitel Angst und Höllenmarter aus der Beichte gemacht". Nötig ist aber zur Vergebung der Sünden das Namhaftmachen aller derselben deshalb nicht, weil sich Gottes Huld über die ganze Person des Gläubigen erstreckt. "So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christus Jesus sind", Röm. 8,1. Wie vor Gott kein Ansehen der Person gilt um der Werke willen, so hat Gott auch kein Mißfallen an der Person des Gläubigen um seiner Mangelhaftigkeit willen. Es ist der Glaube allein, der den Menschen in Gottes Augen wohlgefällig macht, und zwar dieses darum, weil er das Verdienst Christi, das allein vor Gott gilt, ergreift. Gott sei hoch gelobt, daß wir also gewiß wissen, seine Vergebung ist keine stückliche, sondern eine vollkommene! Wer nun verdammt wird, wird es durch eigene, durch seines Unglaubens Schuld, und er wird es in der Hölle zu seinem ewigen Schrecken erfahren, daß ihm hier wahrhaftig der Sünden Vergebung geschenkt war, er sie aber mutwillig von sich gewiesen hat.

Artikel 12.

Von der Buße

    Von der Buße wird gelehrt, daß diejenigen, so nach der Taufe gesündigt haben, zu aller Zeit, so sie zur Buße kommen, mögen Vergebung der Sünden erlangen, und ihnen die Absolution von der Kirche nicht soll verweigert werden; und ist wahre rechte Buße eigentlich Reu und Leid oder Schrecken haben über die Sünde, und doch daneben glauben an das Evangelium und Absolution, daß die Sünden vergeben und durch Christus Gnade erworben sei; welcher Glaube wiederum das Herz tröstet und zufrieden macht. Darnach soll auch Besserung folgen, und daß man die Sünden lasse; denn dies sollen die Früchte der Buße sein, wie Johannes spricht Matth. 3,8: "Wirket rechtschaffene Früchte der Buße."

    Hier werden verworfen die, so lehren, daß diejenigen, so einmal sind fromm gewesen, nicht wieder fallen mögen.

    Dagegen werden auch verdammt die Novatianer, welcher die Absolution denen, so nach der Taufe gesündigt hatten, verweigerten.

    Auch werden die verworfen, so nicht lehren, daß man durch Glauben Vergebung der Sünden erlange, sondern durch unser Genugtun.

    (Vgl. Conc. S. 123 ff. 138 ff. 231 ff; Müller S. 167 ff. 187 ff. 312 ff.)

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    Dieser Artikel enthält vier Stücke:

    1. bezeugt er, daß diejenigen wieder Vergebung der Sünden erlangen können, die nach der Taufe gesündigt haben, so sie zur Buße kommen mögen;

    2. führt er die zwei Stücke auf, die zu wahrer Buße gehören;

    3. weist er auf die rechte Frucht der Buße;

    4. verwirft er die Widersacher der betreffenden Lehre.

    Zu 1. Vom ersten Stück handeln folgende Worte des Artikels: "Von der Buße wird gelehrt, daß diejenigen, so nach der Taufe gesündigt haben, zu aller Zeit, so sie zur Buße kommen, mögen Vergebung der Sünden erlangen, und ihnen die Absolution von der Kirche nicht soll verweigert werden." Der Taufe wird hier Erwähnung getan, weil uns durch dieselbe die Vergebung zuerst versichert worden ist. Durch mutwillige Sünden fällt nun aber der Mensch aus dem Taufbund und aus der Gnade. Da ist denn die einzige Ordnung, in der man wieder zur Gnade kommen mag, die der Buße. "Zu aller Zeit", so oft auch ein Mensch gefallen sein mag, kommt er nur wieder zur Buße, so hat er immer wieder aufs neue Vergebung der Sünde, und es soll ihm alsdann die Kirche die Absolution nicht verweigern. "Ein Gerechter fällt siebenmal, und stehet wieder auf", Spr. 24,16. O große Gnade Gottes! - Diese Lehre scheint manchen Leuten, die keinen christlichen Verstand haben, gefährlich zu sein, indem sie meinen, sie mache sichere Leute, und es ist allerdings nicht zu leugnen, daß gar manche frech und lustig darauf los sündigen, weil, wie sie sagen, sie ja später nur Buße zu tun brauchten, so sei es alles vergeben. Ja, man trifft wohl Leute, die, wenn man ihre Sünden straft, gerade heraus sagen: Erst will ich dies und jenes noch einmal tun, dann wird es ja wieder vergeben; wenn ich darauf Buße tue, dann ist ja alles wieder recht. Gegen solchen schrecklich frechen Mißbrauch der reinen Lehre warnt uns aber Gottes Wort aufs nachdrücklichste. Gottes Gnade auf Mutwillen ziehen, Judas 4, ist scheußlich und hat stets nur den größten Schaden gebracht. Auch steht in unserem Artikel wahrlich nicht vergebens: "so sie zur Buße kommen mögen", sollen die Sünder wieder Gnade und Absolution erlangen. Wem ist es denn verbürgt, daß er, wenn er mutwillig sündigt, wieder zur Buße kommen mag oder kann? Gar mancher wird wohl mitten aus seiner Sündenlaufbahn plötzlich durch den Tod zur Hölle dahingerafft. Nach Gottes schrecklicher Gerechtigkeit mag auch ein solcher auf Gnade sündigender Mensch endlich in das Gericht der Verstockung fallen, wo es dann um sein ewiges Heil für immer geschehen ist. Es gibt ja eine Sünde, bei welcher der Mensch unmöglich wieder zur Buße kommen kann: die Sünde wider den Heiligen Geist. Von ihr handelt insbesondere die Stelle Hebr. 6,4-6: "Es ist unmöglich, daß die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe und teilhaftig worden sind des Heiligen Geistes und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, wo sie abfallen und wiederum sich selbst den Sohn Gottes kreuzigen und für Spott halten, daß sie sollten wiederum erneuert werden zur Buße." Hiernach besteht also die Sünde wider den Heiligen Geist darin, "daß man die erkannte und im Herzen erfahrene, geschmeckte seligmachende himmlische Wahrheit von der gnadenreichen Vergebung der Sünden durch Christus mutwillig verleugnet und lästert". Nur ein solcher Mensch kann diese schreckliche Sünde begehen, [der also zu dieser Erkenntnis gebracht wurde, er sei dadurch dann auch bekehrt worden oder habe schon seiner Bekehrung widerstrebt, wie die Pharisäer, Matth. 12. Überarb. durch den Hrsg.] Er begeht sie durch mutwillige Verleugnung und Lästerung der seligmachenden Wahrheit. Nicht jede Verleugnung, wie z.B. die aus Menschenfurcht und in Schwachheit geschehene des Petrus, ist hier gemeint, sondern allein die mutwillige, und zu dieser muß dann noch die mutwillige Lästerung hinzukommen, ehe die Sünde wider den Heiligen Geist begangen ist. Gott will ja freilich, daß alle Menschen zur Buße kommen sollen: "Nun aber gebeut er allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun", Apost. 17,30. Auch läßt Gott es ja nicht an den Mitteln fehlen, durch welche der Heilige Geist die Buße wirkt. Allein, wie können diese dem Menschen noch helfen, der die Sünde wider den Heiligen Geist begangen hat? Das Gesetz verachtet er; das Evangelium stößt er fortwährend von sich. Das, was ihn hierin reizen und locken sollte, hat für ihn bereits allen Reiz verloren. So ist es nicht möglich, daß er noch zur Buße komme. Von einem zur Zeit lebenden Menschen kann man nie mit voller Gewißheit sagen, er habe die Sünde wider den Heiligen Geist begangen, schon darum nicht, weil man nie mit vollkommener Gewißheit sagen kann, er habe schon je die Kräfte der zukünftigen Welt in Wahrheit geschmeckt, [er sei schon zur Bekehrung und zum Glauben geführt gewesen; überarb. durch den Hrsg.], weshalb der, den wir darauf ansähen, doch noch wohl zur Buße kommen möchte. Jedoch gehört das Beharren in dieser Sünde nicht als ein Stück zu derselben, sondern ist allein deren schreckliche Folge. - Wenn jemand darüber angefochten ist, ob er nicht etwa die Sünde wider den Heiligen Geist begangen habe, so ist er dahin zu bescheiden, daß dies nicht möglich sei, da er sonst unmöglich über seine Sünde trauern und nach Gnade verlangen könnte.

    Zu 2. Die beiden Stücke, die zu wahrer Buße gehören, führt unser Artikel mit den Worten auf: "Und ist wahre rechte Buße eigentlich Reu und Leid oder Schrecken haben über die Sünde und doch daneben glauben an das Evangelium und Absolution, daß die Sünde vergeben und durch Christus Gnade erworben sei, welcher Glaube wiederum das Herz tröstet und zufrieden macht." Kurz gesagt gehört also zur Buße:

    A. Reue und Leid oder Schrecken haben über die Sünde;

    B. der Glaube an das Evangelium.

    Zunächst muß festgehalten werden, daß das Wort "Buße" in der heiligen Schrift bald in weiterer, bald in engerer Bedeutung gebraucht wird. Im engeren Sinne versteht man unter Buße allein Erkenntnis der Sünde, Leid, Reue oder Schrecken haben über dieselbe. Im weiteren Sinne dagegen versteht man unter Buße: Reue und Glauben, und ist hier der Glaube eben das rechte eigentliche Hauptstück der Buße. In ganz gleicher Weise, wie das Wort "Buße", wird auch das Wort "Reue" bald in engerer, bald in weiterer Bedeutung genommen, indem es in dieser den Glauben als Hauptstück einschließt.

    Buße oder Reue im engeren Sinne ist also Leid und Schrecken über die Sünde haben. Die Apologie sagt, in den Schrecken und Ängsten der Reue "merkt erst das Gewissen, was die Sünde für ein großer Ungehorsam gegen Gott ist, da drückt erst recht das Gewissen der schreckliche Zorn Gottes, und es ist unmöglich der menschlichen Natur, denselbigen zu tragen, wenn sie nicht durch Gottes Wort (Evangelium) würde aufgerichtet". (Conc. S. 126; Müller S. 171) Ehe der Mensch zur Reue kommt, achtet er die Sünde für eine Kleinigkeit und säuft sie wohl in sich wie Wasser; sobald aber sein Gewissen aufwacht, wird auch die kleinste Sünde ihm schrecklich groß. Da wird das arme Herz vom Zorn Gottes wohl so schwer gedrückt, daß es denselben unmöglich tragen kann, wenn Gott nicht durch das Evangelium zu Hilfe kommt. Wo nichts weiter ist als diese Reue, da ist keine Vergebung, sondern eitel Tod und Verdammnis. 2 Kor. 7,10: "Die Traurigkeit der Welt aber wirket den Tod."

    Gott sei Dank, daß es auch eine Reue zur Seligkeit gibt, wie denn derselbe Spruch sagt: "Die göttliche Traurigkeit wirket zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereuet." Dies ist die Reue oder Buße im weiteren Sinn, die den Glauben einschließt, wie der Artikel mit den Worten bezeugt: "und doch daneben glauben an das Evangelium und Absolution". Nur da, wo sich dieses zweite Stück der Buße im weiteren Sinn auch findet, ist wahrhaft christliche Buße. So heißt es in der Apologie (Conc. S. 127; Müller S. 172): "Darum ist Judas' und Sauls Reue nichts nütze gewesen, denn da ist nicht Glaube gewesen, der sich gehalten hätte an die Verheißung Gottes durch Christus. Dagegen sind Davids und St. Petrus' Reue rechtschaffen gewesen: denn da ist der Glaube gewesen, welcher gefaßt hat die Zusage Gottes, welche anbietet Vergebung der Sünde durch Christus."

    Den Beweis, daß zur Buße im weiteren Sinne die beiden angeführten Stücke und keine weiteren gehören, liefert die Apologie unter anderem (Conc. S. 162 ff; Müller S. 173 ff) aus folgenden Sprüchen: "Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken." Die Last und Bürde hier ist Angst und Schrecken der Sünde; das Kommen zu Christus ist der Glaube. Mark. 1,15: "Tut Buße und glaubet an das Evangelium." Weil hier der Glaube besonders aufgeführt wird, so ist das Wort "Buße" in diesem Spruche im engeren Sinne, als Leid und Schrecken über die Sünde, zu nehmen. 1 Sam. 2,6: "Der HErr tötet und machet lebendig, führet in die Hölle und wieder heraus." "Da werden auch die zwei Stücke gerühret, Reue und Glauben." Ebenda heißt es auch: "Darum führet auch die ganze Schrift zweierlei Lehre. Eine ist das Gesetz, welches uns zeigt unsern Jammer, straft die Sünde. Die andere Lehre ist das Evangelium." Wenn es noch weitere Stücke der Buße gäbe als die genannten zwei, so müßte es auch mehrerlei Lehre der Schrift geben.

    Zu 3. Die rechte Frucht der Buße. Darauf weisen in unserem Artikel die Worte: "Darnach soll auch Besserung folgen, und daß man von Sünden lasse; denn dies sollen die Früchte der Buße sein, wie Johannes spricht Matth. 3,8: 'Wirket rechtschaffene Früchte der Buße.'" Wir fassen demnach die Besserung nicht als ein Stück, sondern als eine Folge der Buße. Als Beweisstelle, daß die Besserung des Lebens die Frucht der Buße ist, mögen wir außer der angeführten Stelle - die manche Theologen hier nicht als solche gelten lassen wollen - Gal. 5,22 aufführen: "Die Frucht aber des Geistes ist: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit." Wo solche Früchte der Buße nicht folgen, ist gewißlich die Buße selbst nicht rechter Art. Im 6. Artikel ist hiervon bereits eingehend gehandelt worden.

    Zu 4. Die Verwerfung der Widersacher. Deren werden drei Arten im Artikel verworfen.

    A. Die erste Art wird uns mit den Worten vorgeführt: "Hier werden verworfen die, so lehren, daß diejenigen, so einst sind fromm geworden, nicht wieder fallen mögen." Diese Verwerfung ist gegen die Calvinisten gerichtet, die, in Verbindung mit ihrer Prädestinationslehre, behaupten, daß derjenige, welcher einmal fromm geworden, nicht mehr vom Glauben fallen könne. Man sollte wirklich meinen, diese Leute wären stockblind. Führt uns doch die heilige Schrift Beispiele genug auf, nach denen selbst die frömmsten Leute schrecklich gefallen sind. David, von dem der HErr selbst bezeugte: "Ich habe funden David, den Sohn Jesse, einen Mann nach meinem Herzen", Apost. 13,22, sündigte gröblich wider das fünfte und sechste Gebot; Salomo, der weiseste Mensch auf Erden, fiel in schändliche Abgötterei; Saul war auch "einst fromm" und hatte den Heiligen Geist, aber durch groben Ungehorsam gegen Gott fiel er aus seinem Gnadenstande und, weil er keine Buße tat, ging er gar ganz verloren. Dazu zeugen noch gegen den angegebenen Irrtum der Calvinisten die vielen Warnungen und Ermahnungen, die gegen den nur zu leicht möglichen Abfall der Gläubigen gerichtet ist, z.B. Matth. 26,41: "Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet", oder 1 Petr. 5,8: "Seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, gehet umher wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge", oder 1 Kor. 10,12: "Wer sich lässet dünken, er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle." Auch sagt der HErr ja ausdrücklich: "Wenn der unsaubere Geist von dem Menschen ausgefahren ist, so durchwandelt er dürre Stätten, suchet Ruhe und findet sie nicht. Da spricht er denn: Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin. Und wenn er kommt, so findet er's müßig, gekehret und geschmückt. So gehet er hin und nimmt zu sich sieben andere Geister, die ärger sind denn er selbst; und wenn sie hinein kommen, wohnen sie allda; und wird mit demselben Menschen hernach ärger denn es vorhin war," Matth. 12,43-45. Offenbar sind diejenigen, von welchen der Teufel ausgefahren, "einst fromm geworden"; trotzdem geschieht es solchen Menschen nach diesem Wort des HErrn, daß es wieder ärger mit ihnen wird als es je zuvor mit ihnen war. Gewiß hätte der Teufel es gar gerne, wenn wir alle obige calvinistische falsche Lehre annähmen und so recht sicher, ohne rechtschaffenes Wachen und Beten, um so leichter von ihm gefällt würden.

    B. Die zweite Art der Widersacher führt uns der Artikel mit den Worten vor: "Dagegen werden auch verdammt die Novatianer, welche die Absolution denen, so nach der Taufe gesündigt hatten, verweigerten." Die Novatianer waren eine Sekte, die um 250 nach Christus entstand. Novatianus, ein römischer Presbyter, wollte diejenigen, welche zur Zeit der blutigen Verfolgungen den HErrn verleugnet hatten, auch wenn sie Buße taten und nun bereit waren, selbst ihr Leben für ihren Glauben zu lassen, nicht mehr annehmen, sondern verweigerte ihnen die Absolution, wobei er denn auch den falschen Grundsatz aussprach, diejenigen Sünden, welche nach der Taufe begangen würden, könnten nicht vergeben werden. Er bekam bald so großen Anhang, daß es vielfach Brauch wurde, die Taufe bis kurz vor dem Tode aufzuschieben, wie dies ja auch Konstantin der Große (getauft 337) tat. Dagegen lehren wir aufgrund göttlichen Wortes, daß wir in der Taufe Christus angezogen und so Vergebung aller Sünden haben, auch derjenigen, die wir nach der Taufe begangen haben, so wir nur in der Buße stehen. Wäre dem nicht so, so könnten wir uns alle freilich jetzt unserer Taufe gar nicht trösten.

    C. Die dritte Art der Widersacher verwirft unser Artikel mit den folgenden Worten: "Auch werden die verworfen, so nicht lehren, daß man durch Glauben Vergebung der Sünden erlange, sondern durch unser Genugtun." Hier sind vornehmlich die Papisten gemeint. Dieselben setzen drei Stücke als zur Buße gehörig: Reue, Beichte und Genugtun. Der Glaube, das rechte Hauptstück der Buße im weiteren Sinn, findet hier bei ihnen gar keinen Platz. Nur das Werk der Reue, das Werk der Beichte, das Werk des Genugtuns, daß sie nämlich diejenigen Strafen tragen, die ihnen die Priester auflegen, sind es, die ihnen zur Vergebung der Sünden helfen sollen. Zur Reue, meinen sie, sei es schon genug, wenn man gerne wolle, daß einem die Sünden leid seien. Wie es in Betreff der Beichte bei ihnen steht, haben wir schon bei dem 11. Artikel gesehen. Zum Genugtun rechnen sie Fasten, Beten, Almosengeben, Wallfahrten, Kasteien, Klosterleben usw. Mit solchen ihren Werken wollen sie sich also Vergebung der Sünden verdienen. Weil nun aber die letztangeführten Werke in Gottes Wort nicht geboten sind, so wähnen sie, mit denselben nun noch mehr gute Werke zu tun als Gott fordere. Deshalb kann nach ihrer Meinung einer ihrer großen Heiligen von seinen "überflüssigen guten Werken" anderen, die nicht hinreichend gute Werke getan haben, davon abgeben, indem diesen dieselben zurechnet würden. Das sind eitel Lästerungen des teuren, allein gültigen Verdienstes Christi; denn nur durch dieses, nicht aber durch irgendeines Menschen Werk und Verdienst erlangen wir Vergebung, Leben und Seligkeit. Mit Paulus haben wir deshalb von Herzen zu sprechen: "So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben", Röm. 3,28.

Artikel 13.

Vom Gebrauch der Sakramente

    Vom Gebrauch der Sakramente wird gelehrt, daß die Sakramente eingesetzt sind nicht allein darum, daß sie Zeichen seien, dabei man äußerlich die Christen erkennen möge, sondern daß es Zeichen und Zeugnisse sind göttliches Willens gegen uns, unsern Glauben dadurch zu erwecken und zu stärken; derhalben sie auch Glauben fordern und dann recht gebraucht werden, so man's im Glauben empfänget und den Glauben dadurch stärket.

    (Vgl. Conc. S. 149 ff. 196 ff; Müller S. 202 ff. 263 ff)

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    Das Wort "Sakrament" heißt zu deutsch "Heiligtum". In der heiligen Schrift selbst kommt es in dem in der Kirche fixierten Verstande gar nicht vor. Die Beantwortung der Frage, wie viele Sakramente es gebe, muß demnach davon abhängen, wie man den Begriff des Wortes "Sakrament" faßt. So nehmen die Papisten sieben Sakramente an, nämlich: Taufe, Abendmahl, Firmung, Buße, Ehe, Priesterweihe und letzte Ölung - unter denen wohl die Priesterweihe am allerwenigsten ein Heiligtum genannt werden darf, da sie, zur Schmach des alleinigen Opfers Christi, befähigen soll zum Opfern für die Sünden der Lebendigen und der Toten. Melanchthon zählt in der Apologie (Conc. S 150; Müller S. 202) in einem weiteren Sinne des Wortes neben Taufe und Abendmahl auch die Absolution zu den Sakramenten, indem er hier das Vorhandensein eines äußerlichen sichtbaren Zeichens - des Elements - nicht mit in den Begriff eines Sakraments aufnimmt, während sonst derselbe in der lutherischen Kirche (al)so fixiert ist: "Ein Sakrament ist eine kirchliche Handlung, von Christus selbst eingesetzt, darin unter äußeren sichtbaren Zeichen ewige himmlische Güter ausgeteilt werden", oder nach Dietrich: "Ein Sakrament ist eine heilige Handlung, von Gott geordnet, worinnen durch gewisse äußere Mittel himmlische Dinge ausgespendet werden, dadurch Gott die Gnadenverheißungen des Evangeliums den Menschen anbietet, zueignet und versiegelt." In diesem Verstande gibt es, entsprechend den zwei Sakramenten des alten Testaments (Beschneidung und Passahmahl), nur zwei Sakramente: Taufe und Abendmahl. Diesen gestehen selbst die Papisten zu, daß sie vornehmlich verdienen, Heiligtümer genannt zu werden.

    Artikel 13 sagt uns nun in Betreff des Gebrauchs dieser Sakramente,

      1. wozu sie gebraucht werden sollen, nämlich:

         a. zu äußerlichen Kennzeichen der Christen;

         b. zu Zeichen und Zeugnissen göttlichen Willens gegen uns, unsern Glauben dadurch zu erwecken und zu stärken;

      2. wie sie recht gebraucht werden, nämlich:

         a. so man sie im Glauben empfängt,

         b. so man den Glauben dadurch stärkt.

    Zu 1. Hier wird uns also zunächst der Zweck der Sakramente angegeben. Dieser ist ein zweifacher. Von dem einen Zweck heißt es: "daß die Sakramente eingesetzt sind, nicht allein darum, daß sie Zeichen seien, dabei man äußerlich die Christen kennen möge". Hier sind die Sakramente bezeichnet als äußerliche Kennzeichen der Christen. Wie nämlich z.B. eine Armee ihre äußeren Zeichen: Fahnen, Uniform usw. hat, so haben auch die Christen äußere Zeichen - eben die Sakramente -, an denen sie zu erkennen sein sollen. Wie da, wo Beschneidung und Passahmahl beobachtet wurden, gewißlich Juden waren, so darf man gewißlich schließen, daß da Christen seien, wo Taufe und Abendmahl verwaltet werden. Dieser Zweck der Sakramente, als äußerliche Kennzeichen der Christen zu dienen, wird uns aber durch die Worte "nicht allein" als Nebenzweck bezeichnet. Der rechte eigentliche oder Hauptzweck der Sakramente dagegen wird uns mit den Worten angegeben: "daß es Zeichen und Zeugnisse sind göttlichen Willens gegen uns, unsern Glauben dadurch zu erwecken und zu stärken". Sie sind also Zeichen göttlichen Willens, und zwar des Gnadenwillens Gottes gegen uns. Auch die Reformierten fassen die Sakramente als Zeichen göttlichen Gnadenwillens, aber freilich als leere Zeichen, die nichts geben, sondern allein auf eine zukünftige [oder schon geschehene, Anm. d. Hrsg.] Vergebung hinweisen. Damit wir nun nicht in ihrem Sinne verstanden werden, bezeichnen wir ferner die Sakramente als Zeugnisse. Jedes wahre Zeugnis bescheinigt etwas wirklich Vorhandenes, Gegenwärtiges. So bekennen wir also auch hier, daß die Sakramente uns wahrhaftig geben die Gnade Gottes, Vergebung, Leben und Seligkeit. Weiter wird dieser Hauptzweck der Sakramente ausgeführt, indem uns gesagt wird, was solche Zeichen und Zeugnisse in uns wirken sollen, nämlich: "unsern Glauben dadurch zu erwecken und zu stärken". Zwischen dem, was durch die Predigt des göttlichen Wortes, und dem, was durch den Gebrauch der heiligen Sakramente in uns gewirkt wird, ist kein Unterschied: durch beide soll der Glaube gewirkt, erweckt und gestärkt werden. Die verschiedenen Mittel kommen nur auf verschiedene Weise an uns: was das Wort uns durch unsere Ohren vermittelt, stellen die Sakramente uns zugleich auch durch äußerliche Zeichen vor Augen. So sagt die Apologie (Conc. S. 150; Müller S. 202 f): "Wie aber das Wort in die Ohren gehet, also ist das äußerliche Zeichen vor die Augen gestellt, als inwendig das Herz zu reizen und zu bewegen zum Glauben; denn das Wort und äußerliche Zeichen wirken einerlei im Herzen, wie Augustinus ein fein Wort geredet hat. Das Sakrament, sagt er, ist ein sichtlich Wort." - Der Artikel sagt aber von den Sakramenten ausdrücklich: daß "sie Glauben fordern", das heißt, zum gesegneten Gebrauch setzen sie ihn voraus. Wie aber dann in Betreff der Taufe kleiner Kinder? Haben diese etwa den Glauben schon von Natur? Angesichts der Lehre der heiligen Schrift vom natürlichen Verderben aller Menschen müssen wir hierauf mit einem entschiedenen "Nein" antworten. Wir allzumal sind "Kinder des Zorns von Natur", Eph. 2,3. Sollen die Kinder glauben, so muß der Glaube erst in ihnen gewirkt werden. Dies geschieht durch das Wort in und bei der Taufe, wie denn der Apostel 1 Petr. 1,23 das Wort nennt den "unvergänglichen Samen" der Wiedergeburt, eben wie die Taufe heißt "das Bad der Wiedergeburt", Tit. 3,5. "Ja", spricht der Unglaube, "wie können denn kleine Kinder das Wort hören?" Darauf antwortet Luther fein: "Haben sie das Wort nicht gehöret, dadurch der Glaube kommt, wie es die Alten hören, so hören sie es aber wie die jungen Kindlein. Die Alten fassen es mit Ohren und Vernunft, oft ohne Glauben; sie aber hören es mit Ohren, ohne Vernunft und mit Glauben: und der Glaube ist so viel näher, so viel weniger die Vernunft ist, und stärker der ist, der sie herzudränget (Christus), als der Wille ist der Alten, die von sich selbst kommen." (Kirchen-Post., 3. Sonn. n. Epiph.) Bei uns Alten gilt es fort und fort, die Vernunft gefangen zu nehmen unter den Gehorsam Christi, 2 Kor. 10,5. Die Vernunft, wie sie nun einmal durch die Sünde verdorben ist, fördert uns nicht im Glauben, sondern hindert uns vielmehr an demselben, ein Hindernis, das die Kinder nicht (al)so erfahren. Bei dem 9. Artikel haben wir erwiesen, wie es Christi Wille sei, daß die Kinder getauft werden sollen. Wenn aber der HErr Mark. 16,16 spricht: "Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden", so fordert er hier von allen, die getauft werden, daß sie glauben sollen. Da nun Christus will, die Kinder sollen getauft werden, nicht aber, daß sie ohne Glauben getauft werden, während sie doch von Natur den Glauben nicht haben, so folgt mit Notwendigkeit, daß er, der es allein vermag, ihnen den Glauben geben muß. Wenn wir ihn anrufen, solches zu tun, so bitten wir also nach seinem Willen und sind deshalb der Erhörung gewiß; denn "das ist die Freudigkeit, die wir haben zu ihm, daß, so wir etwas bitten nach seinem Willen, so höret er uns", 1 Joh. 5,14. Tatsächlich fallen bei den Kindern das Empfangen des Glaubens und das der Taufe zusammen: eben durch das Wort Gottes, das sie bei der Taufe hören, wird der Glaube in ihnen gewirkt; begrifflich aber geht der Glaube der Taufe voraus.

    Zu 2. Der Artikel antwortet auf die Frage, wie ein Sakrament recht gebraucht werde: "so man's im Glauben empfängt und den Glauben dadurch stärket". Hier werden also zwei Stücke im Betreff des rechten Gebrauchs der Sakramente angegeben, nämlich:

    a. "so man sie im Glauben empfängt". Die Sakramente werden also unrechtmäßig und zum Schaden gebraucht, wenn man sie ohne Glauben empfängt. Luthers Kleiner Katechismus spricht sich (al)so über den rechten Gebrauch des heiligen Abendmahls aus: "Der ist recht würdig und wohl geschickt, wer den Glauben hat" usw. Der Gegensatz wird uns hier mit den Worten gegeben: "Wer aber diesen Worten nicht glaubet oder zweifelt, der ist unwürdig und ungeschickt." Unglaube ist also das einzige, was unwürdig und ungeschickt zum Sakrament macht. Zwar geht dem wahren Glauben allezeit Erkenntnis der Sünde, Reue und Leid über dieselbe voraus, wie ihm ja denn auch stets Besserung des Lebens folgt; allein falsch wäre es, die Würdigkeit zum Sakrament von dem Maß der Reue, von der Besserung oder auch nur von dem Grad des Glaubens abhängig zu machen. Wer glaubt, ist würdig. Je schwächer das Maß des Glaubens ist, desto nötiger bedarf man des Sakraments, um den schwachen Glauben zu stärken. - Dagegen nun lehren die Papisten gut antichristlich, daß der bloße Gebrauch des Sakraments aus diesem Werke des Gebrauchs und um des Werkes willen Gnade erlange, wobei sie ausdrücklich hinzusetzen: "wenn schon das Herz alsdann keinen guten Gedanken hat, so man nur der Gnade nicht widerstrebt". Sie meinen also, die Sakramente wirken ähnlich wie eine Arznei, die man mit günstigem Erfolg auch wohl einem Patienten einflößt, wenn er schläft oder sonst im bewußtlosen Zustande ist. Diese Lehre ist aber ein Greuel, und so kann das Sakrament nur zum Gericht empfangen werden. Melanchthon nennt diese papistische Lehre (Conc. S. 151; Müller S. 204) "stracks einen jüdischen Irrtum". So sagt Augustinus gar trefflich, "daß der Glaube im Gebrauch des Sakraments, nicht das Sakrament, vor Gott uns fromm mache". (Conc. S. 152 f; Müller S. 205) - Recht gebraucht man das Sakrament,

    b. "so man den Glauben dadurch stärket". Wenn man eine Sache so gebraucht, daß ihr Zweck erreicht wird, so gebraucht man sie recht. Das ist ja aber, wie gesagt, der rechte eigentliche Zweck des Sakraments, den Glauben zu stärken, gleichwie der HErr Christus auch durch sein Wort bei seinen Gläubigen fort und fort auf die Stärkung ihres Glaubens sein Absehen hat; denn am Glauben ist alles, ist unser ganzes Heil gelegen. Zur Stärkung unseres Glaubens sollten wir darum täglich unserer Taufe uns getrösten, zur Stärkung unseres Glaubens oft gläubigen Herzens des HErrn Abendmahl empfangen. Gott helfe!

Artikel 14.

Vom Kirchenregiment oder Vom Pfarramt

    Vom Kirchenregiment wird gelehrt, daß niemand in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder Sakramente reichen soll ohne ordentlichen Beruf.

    (Vgl. Conc. S. 44 ff. 152. 233. 244 f. 249 ff; Müller S. 62 ff. 205 f. 323. 332 f. 340 ff)

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    Bei dem 5. Artikel, welcher vom Predigtamt handelt, haben wir gesehen, daß das Wort "Predigtamt" in einem engeren und in einem weiteren Sinne genommen werde. Der fünfte Artikel faßt das Wort im weiteren Sinne und, wie er selbst sagt, als "Evangelium und Sakrament". Er sieht ab von den Personen, durch welche diese im Schwange gehen. Im 14. Artikel hingegen ist vom Predigtamte insofern die Rede, wie es öffentlich und von Gemeinschaft wegen von besonders bestellten Personen, das ist, von Predigern, Pfarrherren oder Pastoren, geführt wird. Wollten wir also diesen 14. Artikel nach seinem Inhalt recht deutlich bezeichnen, so könnte dies geschehen durch die Überschrift: "Vom Pfarramte". Es sind hier besonders drei Punkte ins Auge zu fassen:

    1. wer als rechtmäßiger Träger des Pfarramtes anzusehen ist; 

    2. welches die Hauptverrichtungen des Pfarramtes sind;

    3. weshalb ein ordentlicher Beruf zum Pfarramte nötig sei.

    Zu 1. Dadurch, daß jemand ein Christ und also ein geistlicher Priester ist, ist er noch keineswegs ein rechtmäßiger Träger des Pfarramtes. Wenn St. Paulus 1 Kor. 12,29 fragt: "Sind sie alle Lehrer?" so will er offenbar seine Frage mit "Nein" beantwortet haben. Jak. 3,1 warnt in dieser Beziehung die Christen geradezu, wenn es hier heißt: "Liebe Brüder, unterwinde sich nicht jedermann, Lehrer zu sein; und wisset, daß wir desto mehr Urteil empfangen werden." So sagt St. Paulus Röm. 10,15: "Wie sollen sie predigen, so sie nicht gesandt werden?" und Hebr. 5,4 heißt es: "Niemand nimmt sich selbst die Ehre; sondern der auch berufen ist von Gott, gleichwie der Aaron." Aus allen diesen Sprüchen ist zu ersehen, daß nur diejenigen rechtmäßige Träger des Pfarramtes sind, die auch öffentlich berufen wurden, und "daß niemand in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder Sakramente reichen soll ohne ordentlichen Beruf".

    Wir unterscheiden einen zweifachen Beruf zum öffentlichen Amt der Kirche: den unmittelbaren und den mittelbaren. Die Propheten und Apostel waren unmittelbar von Gott berufen. Heutzutage beanspruchen die Methodisten und andere Schwärmer, unmittelbar berufen zu sein; denn wenn sie dies auch nicht in jedem einzelnen Falle tun, sondern auch gerne den mittelbaren Beruf von Gemeinden annehmen, so pochen sie doch auf die unmittelbare Berufung durch den Heiligen Geist, wenn sie nun über die Grenzen ihrer Gemeinden hinausgehen und in den Häusern anderer Gemeinden herumschleichen. Es wäre ja nun nicht geradezu eine absolute Unmöglichkeit, daß jetzt noch jemand unmittelbar berufen würde; aber um solchen angeblich unmittelbaren Beruf anzuerkennen, müßten wir doch zweierlei bei den betreffenden Personen finden: 1. durchaus reine Lehre und 2. Bezeugung der göttlichen Sendung durch wahrhaftige Zeichen und Wunder. Könnte man betreffs letzteren Punktes etwa darauf verweisen, daß Johannes der Täufer doch gewiß unmittelbar berufen gewesen sei, aber keinerlei Wunderzeichen verrichtet habe, so ist zu bedenken, daß Johannes solcher Bestätigung seiner göttlichen Sendung nicht bedurfte, indem er längst zuvor klar und deutlich durch die Weissagung als göttlicher Gesandter bezeichnet war, und daß der HErr Christus ihn als solchen bestätigt hat, Mal. 3,1; 4,5.6; Matth. 11,10.14; 17,12; Mark. 1,2; Luk. 1,17. Wir haben keine fernere unmittelbare Berufung zum Kirchenamte zu erwarten, da Gott keine dahingehende Verheißung gegeben hat. Auch ist der ganze Rat Gottes zur Seligkeit uns bereits offenbart, wie ja denn St. Paulus Apost. 20,27 z.B. sagt: "Ich habe euch nichts verhalten, daß ich nicht verkündiget hätte alle den Rat Gottes." Darum sind fernere unmittelbare Berufungen durchaus unnötig; Gott aber tut nichts Unnötiges. Jetzt beruft also Gott mittelbar. Zu einem mittelbaren ordentlichen Berufe rechnen wir vier Stücke, von denen die ersten beiden durchaus notwendig zur Gültigkeit des Berufes sind, nämlich:

    A. die Wahl der betreffenden Gemeinde, die einstimmig sein muß;

    B. die Vokation oder Anzeige der so geschehenen Erwählung. Ob diese schriftlich oder mündlich geschieht, ist unwesentlich, wenngleich die schriftliche Vokation stets zu empfehlen ist;

    C. die vorhergehende Prüfung des zu Berufenden:

       a. nach seiner Lehre, 1 Tim. 3,

       b. nach seiner Tüchtigkeit, 2 Tim. 2,15,

       c. nach seinem Wandel, Tit. 1

          Obwohl diese Prüfung nicht unumgänglich nötig ist zur Gültigkeit des Berufs, so kann sie doch nie ohne schwere Versündigung unterlassen werden, da Gott sie ausdrücklich fordert 1 Tim. 3,10, wenn es hier heißt: "Dieselben lasse man zuvor versuchen; danach lasse man sie dienen, wenn sie unsträflich sind";

    D. die Ordination.

    Letztere ist in Gottes Wort nicht geboten, sondern nur eine löbliche kirchliche Ordnung, von der Apostel Zeit her bestehend, zur kirchlichen Bestätigung des Berufs. Durch die Ordination erklärt nämlich die Kirche in weiteren Kreisen, z.B. eine Landeskirche oder eine Synode, daß es bei der betreffenden Berufung recht und in göttlicher und kirchlicher Ordnung hergegangen sei. Abgesehen davon, daß bei der Ordination über den Berufenen gebetet wird, dient ihm solche kirchliche Bestätigung zu reichem Trost, wenn er später allerlei Anfechtung über die Göttlichkeit seines Berufes erfährt. - Grabau und die romanisierenden sogenannten Lutheraner machen fälschlicherweise die Ordination zu einer göttlichen Ordnung und dazu noch gar das Wesen und die Wirkung der Gnadenmittel von derselben abhängig. So meinen sie z.B., daß kein nicht-ordinierter Prediger Leib und Blut Christi im heiligen Abendmahle austeilen könne. Sie treten dabei nur in die Fußstapfen der Papisten und Episkopalen und setzen mit ihnen einen eigentlichen Priesterstand dem allgemeinen Priestertum aller Christen gegenüber. Nach päpstlicher und episkopaler Lehre wird solcher Stand in ununterbrochener Reihenfolge (Sukzession) von den Aposteln her durch die Weihe oder Ordination fortgepflanzt und so zugleich den Gliedern dieses Standes gleichsam ein geistliches Fluidum und damit ein unauslöschlicher Charakter mitgeteilt, wodurch sie hoch über gemeine Christen erhoben werden. Im alten Testament war es ja so, daß das Geschlecht Aaron einen eigenen Priesterstand bildete; aber in der neutestamentlichen Haushaltung des Reiches Gottes sind alle gläubigen Christen Priester. 1 Petr. 2,9: "Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das köngliche Priestertum" usw. Zur Schmach des einigen Mittlers Christi macht man aber sündlicher Weise die Ordinierten oder Beschmierten zu Mittlern zwischen Gott und den Menschen. Es ist leicht einzusehen, wie diese Papstlehre des Schriftgrundes entbehrt und wie sie gegen die Lehre von der Rechtfertigung, von der Kirche und von der Kraft der Gnadenmittel gröblichst verstößt. 

    Zu 2. Die Hauptverrichtungen des Pfarramtes bezeichnet unser Artikel als "öffentlich lehren, predigen und Sakramente reichen". Es ist eine unausprechliche Gnade unseres Gottes, daß er ein eigenes öffentliches Amt in der Kirche eingesetzt und es mit besonderen Personen bestellt hat, die "öffentlich lehren, predigen und Sakramente reichen". Wenn es nicht wegen dieses öffentlichen Amtes wäre, so würde auch das Predigtamt im weiteren Sinne bald ganz untergehen und des Wortes Gottes gar geschwiegen werden. Merkwürdig ist Dr. Luthers Urteil über sich selbst in dieser Beziehung, wenn er sagt, daß, falls er nur ein Jahr ohne öffentliche Predigt des Wortes Gottes leben sollte, er wohl ärger sein würde als ein Heide sei. Wie schrecklich ist es da, daß es eine Unzahl römischer sogenannter Bischöfe gegeben hat, die der Hauptverrichtung des Pfarramtes nicht oblagen! - Wenn wir nun so die Hauptverrichtungen des Pfarramtes bezeichnen, so zeigen wir damit zugleich an, daß es auch seine Nebenverrichtungen habe. Als eine solche Nebenverrichtung des Pfarramtes bezeichnen die Symbole vor allen anderen die Jurisdiktion oder Gerichtssorge, wie die Kirche diese ja besonders beim Banne übt, und zwar nach Gottes Willen nach der in Matth. 18,15-17 festgesetzten Ordnung, wodurch die ganze Gemeinde betreffenden Falls den Bann zu verhängen, der Pfarrer aber ihn öffentlich zu exekutieren hat, wovon freilich romanisierende Lutheraner so wenig wie der Papst etwas wissen wollen, indem sie die Berechtigung und Verpflichtung zur Verhängung des Bannes möglichst den "Geistlichen" allein zuschieben möchten. Fernere Nebenverrichtungen des Pfarramtes sind: das Wachen des Pfarrers darüber, daß nichts in der Gemeinde gegen Gottes Wort und daß alles in derselben in christlicher Ordnung geschehe, die Schulaufsicht, das Kopulieren, das Führen der Kirchenbücher usw. Die Pfarrherren haben aber keinerlei willkürliche Gewalt, wie die Papisten lehren, sondern dürfen nur insoweit Gehorsam fordern, wie sie Gottes Wort bringen. Ein Prediger hat als solcher nichts zu gebieten, was Gottes Wort nicht gebietet. Grabau lehrt, wenn der Prediger etwas gebiete, das nicht direkt gegen Gottes Wort sei, z.B. den Bau eines Schulhauses, so sei die Gemeinde ihm unbedingten Gehorsam schuldig, gleichviel, ob ihr derselbe schwer falle oder gar ganz unmöglich sei. Wie elendiglich werden da die Gewissen verwirrt und tyrannisiert! Sich hier auf Hebr. 13,17 ("Gehorchet euren Lehrern und folget ihnen") berufen, ist ein schändlicher Mißbrauch der Schrift; denn diese Stelle gibt ja selbst an, wie weit der Gehorsam gegen die Lehrer gehen soll, nämlich soweit "sie wachen über eure Seelen". Auch sollen wir uns wohl merken, daß Gott seiner Kirche, und folglich auch den Dienern derselben als solchen, keinerlei andere Macht gegeben hat, sich Gehorsam zu verschaffen, als allein die des Wortes.

    Zu 3. fragen wir: Weshalb ist ein ordentlicher Beruf zum Pfarramte nötig? oder, mit anderen Worten: Warum kann und darf nach Gottes Willen nicht ohne Weiteres jeder gläubige Christ, da er doch als solcher ein geistlicher Priester ist, auch das öffentliche Pfarramt verwalten? Die Antwort lautet: Einfach darum, weil ohne besonderen Beruf dazu der also Amtierende in die Rechte anderer eingreift; denn die Schlüsselgewalt ist nicht etwa einzelnen allein, sondern der ganzen Kirche in allen ihren Gliedern gegeben. Hierüber sprechen sich die Schmalkaldischen Artikel (Conc. S. 244; Müller S. 333) gar trefflich folgendermaßen aus: "Über das muß man je bekennen, daß die Schlüssel nicht einem Menschen allein, sondern der ganzen Kirche gehören und gegeben sind, wie denn ein solches mit hellen und gewissen Ursachen genugsam kann erwiesen werden. Denn gleichwie die Verheißung des Evangeliums gewiß und ohne Mittel der ganzen Kirche zugehört, (al)so gehören die Schlüssel ohne Mittel der ganzen Kirche, dieweil die Schlüssel nichts anderes sind als das Amt, dadurch solche Verheißung jedermann, wer es begehret, wird mitgeteilet, wie es denn im Werk und vor Augen ist, daß die Kirche Macht hat, Kirchendiener zu ordinieren. Und Christus spricht bei diesen Worten: 'Was ihr binden werdet' usw., und deutet, wem er die Schlüssel gegeben, nämlich der Kirchen: 'Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen' usw. Ebenso, Christus gibt das höchste und letzte Gericht der Kirche, da er spricht: 'Sag's der Kirche'" Hierbei ist wohl zu merken, daß Christus nicht spricht: Wo zwei oder drei Ordinierte oder Geweihte versammelt sind, sondern ohne Einschränkung: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen" (das ist, im Glauben an mich und um mein Wort zu handeln), "da bin ich mitten unter ihnen." Wo aber Christus ist, da sind ganz gewiß auch alle Güter, Schätze und Rechte der Kirche. Da also auch das Predigtamt (im weiteren Sinn) allen Christen gegeben ist, so darf sich der Einzelne das Pfarramt für seine Person nicht allein anmaßen. Er darf dies so wenig, wie ein einzelner unter etwa vier Brüdern, denen der Vater ein Haus als Erbteil zum gemeinsamen Eigentum hinterlassen hat, dies nach seinem Gutdünken und ohne Zustimmung seiner Brüder verkaufen oder sonst damit schalten und walten dürfte.

    Das Pfarramt, das ist, die öffentliche Ausübung des Predigtamtes von Gemeinschaft wegen, wird an einem Orte aufgerichtet, wenn die christliche Gemeinde des Ortes es durch den Beruf einer einzelnen Person überträgt. Obgleich dies nun ein Amt durch Menschen ist, so ist es gleichwohl ein Amt von Gott. Den Galaterbrief beginnt der Apostel mit den Worten: Paulus, ein Apostel (nicht von Menschen, auch nicht durch Menschen, sondern durch JEsum Christ und Gott den Vater, der ihn auferwecket hat von den Toten)", Gal. 1,1. Indem St. Paulus hier die Unmittelbarkeit seines eigenen Berufes bezeugt, zeigt er zugleich an, daß auch ein Beruf durch Menschen, also ein mittelbarer Beruf, von Gott ist. Andere Stellen, die dasselbe bezeugen, sind z.B. Matth. 28,19.20: "Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende." Weitere Worte zeigen, daß auch die nachapostolischen, also mittelbar berufenen Prediger wesentlich dasselbe göttliche Predigtamt haben, wie das der Apostel war. Ferner: "Er hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche zu Propheten, etliche zu Hirten und Lehrern", Eph. 4,1; 1 Kor. 12,28. So sagt auch 2 Tim. 2,2 der Apostel zu seinem Schüler: "Was du von mir gehöret hast durch viel Zeugen, das befiehl treuen Menschen an, die da tüchtig sind, auch andere zu lehren." Auch dies hat ja St. Paulus geschrieben, getrieben vom Heiligen Geiste, und Gott hat also durch ihn seinen Willen offenbart, daß Prediger durch Menschen gesetzt werden sollen; folglich ist ihr Amt und Beruf von Gott.

    Weil nun der HErr, unser Gott, es ist, der zum Amte beruft, so darf auch kein Mensch den Beruf eigenwillig aufheben; nur Gott kann dies tun. Wenn die Methodisten alle Jahre oder alle zwei Jahre ihre Prediger die Stellen wechseln lassen, oder wenn wenigstens früher "Lutheraner" hier in Amerika Prediger auf ein Jahr lizensierten und Gemeinden Prediger auf ein Jahr oder auf irgend eine bestimmte Zeit "mieteten", so geschieht und geschah dies in grober Mißachtung der Lehre der heiligen Schrift von dem Beruf zum heiligen Predigtamte. Gott nimmt aber das Amt einem bestimmten Träger desselben für einen bestimmten Ort ab durch den Tod oder durch anhaltende Unfähigkeit zur Verwaltung desselben oder durch Übertragung eines wichtigeren Berufs oder endlich durch rechtmäßige Absetzung wegen falscher Lehre oder wegen gottlosen Lebenswandels oder wegen mutwilliger Untreue im Amte. Eine Gemeinde, die ihrer Diener am Worte um anderer Ursache willen absetzt, handelt gottlos; wer dagegen aus unberechtigten Gründen sein Amt aufgibt, etwa aus Kreuzesscheu oder um sich ein angenehmeres Leben zu verschaffen oder um Geld zu gewinnen usw., dem gilt das schreckliche Wort des HErrn Luk 9,62: "Wer seine Hand den Pflug legt und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes."

    Ein Gemeindeschullehrer verwaltet einen Teil des Pfarramtes, und zwar einen sehr wichtigen, weil auch er von Gemeinschaft wegen das Wort Gottes lehrt. Deshalb geht auch ihn die Bestimmung des 14. Artikels an, daß niemand ohne ordentlichen Beruf öffentlich lehren und predigen soll, sowie auch sein Beruf nur in göttlicher Ordnung erlöschen darf. Nach kirchlichem Brauch erhält zwar ein Schullehrer die an und für sich unwesentliche Ordination nicht; aber die zum Beruf nötigen Stücke, nämlich Wahl und Vokation, sind bei ihm ebenso unerläßlich wie beim Pastor, wie denn auch bei ihm die vorhergehende Prüfung nicht, ohne schwer dadurch zu sündigen, unterbleiben kann. Über das Verhältnis des Lehrers zum Pastor sehe man das Referat: "Das Amt des Pastors als Schulaufseher."

    Wie steht es aber endlich um Missionare in Betreff des Berufes? Missionare haben von vornherein keinen ordentlichen Beruf zum Predigtamt von der Kirche und fallen als solche nicht unter den 14. Artikel. Es handelt sich bei ihnen ja, wenn sie unter die Heiden gehen, nicht um ein öffentliches Lehren usw. "in der Kirche". Heiden als solche können keinen Beruf zum christlichen Pfarramte geben. Ebensowenig können Landeskirchen, Synoden usw. für andere berufen, und wenn sie gleichwohl die von der Heimat scheidenden Missionare hie und da bei deren Abgang ordinieren, so ist dies, mindestens gesagt, durchaus sinnlos. Zunächst hat der Missionar keinen anderen Beruf als den der Liebe, nach Matth. 7,12: "Alles nun, was ihr wollet, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen." Einen eigentlichen Amtsberuf kann ein Missionar erst erhalten, wenn etliche aus den Heiden, denen er predigt, gläubig geworden sind und ihn nun zu ihrem Seelsorger erwählen.

Artikel 15.

Von Kirchenordnungen

    Von Kirchenordnungen, von Menschen gemacht, lehrt man diejenigen halten, so ohne Sünde mögen gehalten werden und zu Frieden, zu guter Ordnung in der Kirche dienen, wie gewisse Feiern, Feste und dergleichen. Doch geschieht Unterricht dabei, daß man die Gewissen nicht damit beschweren soll, als sei solch Ding nötig zur Seligkeit. Darüber wird gelehrt, daß alle Satzungen und Traditionen, von Menschen dazu gemacht, daß man dadurch Gott versöhne und Gnade verdiene, dem Evangelium und der Lehre vom Glauben an Christus entgegen seien; derhalben seien Klostergelübde und andere Traditionen von Unterschied der Speise, Tage usw., dadurch man vermeint, Gnade zu verdienen und für Sünden genug zu tun, untüchtig und wider das Evangelium.

    (Vgl. Conc. S. 39 ff. 41 ff. 46 ff. 152 ff. 239 ff. 377 ff. 473 ff; Müller S. 55 ff. 58 ff. 65 ff. 206 ff. 325. 551 ff. 697 ff)

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    Das Wort "Kirchenordnungen" bezeichnet hier Anordnungen, Kirchengebräuche oder kirchliche Zeremonien. Von diesen wird hier gehandelt mit einer Einschränkung, da, wie die Anfangsworte des Artikels ergeben, nur die Rede ist von solchen Zeremonien, die von Menschen gemacht sind, nicht aber von solchen, die der HErr selbst geordnet hat. Im alten Testament hatte Gott alle einzelnen Zeremonien vorgeschrieben; im neuen Testament ist dies nur bei sehr wenigen in Betreff der Verwaltung der heiligen Sakramente der Fall. Als Zeremonien von Menschen gemacht, führt unser Artikel auf: "gewisse Feiern, Feste und dergleichen". "Dergleichen" sind aber unter anderem: Stehen, Knieen oder Händefalten beim Gebet, Kreuzschlagen, Singen am Altar, Orgelspielen, Glockenläuten usw. Im 7. Artikel ist auch schon von solchen Zeremonien, von Menschen gemacht, die Rede gewesen, und zwar dort als nicht nötig zur wahren Einigkeit der Kirche, da zu dieser allein nötig ist, "daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden". Wenn aber gleich nicht nötig zur wahren Einigkeit der Kirche, ist Gleichförmigkeit der Zeremonien in allen rechtgläubigen Gemeinden doch wünschenswert und anzustreben, damit so auch der böse Schein der Uneinigkeit vermieden werde, wie uns hier ermahnt 1 Thess. 5,22: "Meidet allen bösen Schein." Ganz ohne Zeremonien von Menschen gemacht kann es auch nicht beim Gottesdienste abgehen, und wenn manche Schwärmer von ihren Gottesdiensten behaupten, in denselben würden keine derartigen Zeremonien beobachtet, so täuschen sie sich selbst, da ja z.B. das Nichtfalten der Hände, die man etwa aufstützt, eine Zeremonie ist.

    In Betreff der Kirchengebräuche von Menschen gemacht wird nun in unserem Artikel

    1. gelehrt, welche derartige Kirchengebräuche zu halten sind, nämlich

       a. unsündliche,

       b. die zu Frieden und guter Ordnung dienen;

    2. eine zweifache Einschränkung gemacht, nämlich

       a. die so zu haltenden Bräuche sind nicht nötig zur Seligkeit,

       b. sie sind nicht verdienstlich.

    Zu 1. a. Die erste Anforderung, die wir an Zeremonien machen, welche zu halten sind, ist, daß sie "ohne Sünde mögen gehalten werden". Ein Christ entsetzt sich vor jeder Sünde. Lieber, als mit einer einzigen vorbedachten Sünde Gott zu beleidigen, will er den Augenblick sterben. Sobald es bei jemandem anders steht, ist er kein Christ; denn durch jede mutwillige, vorsätzliche Sünde fällt der seitherige Christ aus seinem Glauben und Gnadenstande. Allermeist sind einem Christen aber billig solche Sünden ein Greuel, bei denen es auf Erbauung im Glauben abgesehen sein soll. In erster Linie sind nun aber solche Zeremonien sündlich, die stracks wider Gottes Wort sind, z.B. die Enthaltung von gewissen Speisen oder Getränken usw. als Gottesdienst, denn betreffs derselben sagt Gottes Wort, Kol. 2,16: "So lasset nun niemand euch Gewissen machen über Speise oder über Trank"; ferner die Anbetung der Heiligen, da Gott sagt Matth. 4,10: "Du sollst anbeten Gott, deinen HErrn, und ihm allein dienen"; oder die Entziehung des Kelches beim heiligen Abendmahl, da der HErr Christus ausdrücklich befohlen hat betreffs desselben: "Trinket alle daraus", Matth. 26,27. - Sündlich sind aber zum andern auch solche Zeremonien, die, obwohl an sich frei, zur Stützung falscher Lehre dienen sollen, wie z.B. die Reformierten von uns begehren, daß wir das Brot beim heiligen Abendmahl brechen sollen, damit so ihrer falschen Lehre Vorschub geleistet werde, das Brot sei bloßes Bild des Leibes Christi und dieser selbst gar nicht gegenwärtig.

    b. Die zweite Anforderung an Zeremonien von Menschen gemacht, die wir stellen, ist, "daß sie zu Frieden, zu guter Ordnung in den Kirchen dienen". Dies fordern Stellen wir Röm. 14,19: "Lasset uns dem nachstreben, was zum Frieden dienet und was zur Besserung untereinander dienet", oder Hebr. 12,14: "Jaget nach dem Frieden gegen jedermann", und 1 Kor. 14,40: "Lasset alles ehrlich und ordentlich zugehen." Welches derartige Zeremonien für eine betreffende Gemeinde seien, hat diese nach ihrer besten Erkenntnis in ihrer christlichen Freiheit, und zwar durch die Majorität ihrer Glieder, selbst zu bestimmen. Durch Majorität müssen die der christlichen Freiheit überlassenen Zeremonien bestimmt werden, weil die Vernunft dies fordert, da ja in keinem Gemeinwesen mit gleichen Rechten aller Friede und gute Ordnung bestehen können, wo in solchen Sachen, die Gott weder geboten noch verboten hat, die Majorität nicht gelten soll. Doch soll in einer christlichen Gemeinde die Majorität vorsichtig sein, daß durch ihren Beschluß keine Schwachen geärgert werden, eingedenk des apostolischen Wortes 1 Kor. 6,12: "Ich habe es alles Macht,; es frommet aber nicht alles", 1 Thess 5,14: "Traget die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann", oder Röm. 14: "Den Schwachen im Glauben nehmet auf und verwirret die Geister nicht". Den Schwachen soll man eine Zeitlang nachgeben, bis sie genugsam belehrt und nun auch so stark geworden sind, daß sie keinen Anstoß mehr nehmen. Halsstarrigen aber, die nur ihren eigenen Willen durchsetzen wollen, soll man nicht weichen. Sie sind von den Schwachen meist leicht zu unterscheiden, besonders daran kenntlich, daß sie alle Belehrung in der Sache von sich weisen, während diese sich gern belehren lassen.

    Zu 2. Im zweiten Teil unseres Artikels wird eine zweifache Einschränkung gemacht:

       a. Die so zu haltenden Bräuche sind nicht nötig zur Seligkeit. Der Artikel sagt dies mit den Worten: "Doch geschieht Unterricht dabei, daß man die Gewissen nicht damit beschweren soll, als sei solch Ding nötig zur Seligkeit." In Betreff der Erlangung der Seligkeit also sind solche Kirchengebräuche nicht nötig und das Gewissen bindend; damit ist aber nicht gesagt, daß die von einer Gemeinde einmal eingeführten Zeremonien keinerlei Verbindlichkeit hätten. Die Feier des Sonntags z.B. ist ein unsündlicher Brauch, der keineswegs nötig zur Seligkeit ist. Wenn nun aber etwa einige aus der Gemeinde nicht den Sonntag, sondern irgendeinen anderen beliebigen Tag anstatt desselben Sonntag wollten, so richteten sie damit Unordnung in der Kirche an, während doch, wie gehört, der Heilige Geist 1 Kor. 14,40 spricht: "Lasset alles ehrbarlich und ordentlich zugehen." Um der Ordnung und Liebe willen muß sich der einzelne Christ dem Beschluß der Gemeinde fügen, vorausgesetzt, daß die betreffende Ordnung ohne Sünde mag gehalten werden. Es haben also die Gebräuche allerdings Verbindlichkeit für das Gewissen; nötig aber zur Seligkeit sind sie nimmermehr.

        b. Die zweite Einschränkung, die wir hier, wie der Artikel sagt, "darüber", das ist, außerdem, noch machen, ist die, daß die so zu haltenden Gebräuche nicht verdienstlich sind. Der Artikel besagt dies mit folgenden Worten: "Darüber wird gelehrt, daß alle Satzungen und Traditionen, von Menschen dazu gemacht, daß man dadurch Gott versöhne und Gnade verdiene, dem Evangelium und der Lehre vom Glauben an Christus entgegen sind." Vor Gott gilt kein Verdienst als allein das unseres teuren Heilandes JEsus Christus, so daß selbst etwas, was uns zur Seligkeit nötig ist, doch keineswegs deshalb auch verdienstlich wäre, z.B. das Anhören des Wortes Gottes, der Glaube, die Taufe usw. - Besonders ist es nun die Papstkirche, die da lehrt, man könne durch Beobachtung von Kirchengebräuchen durch Menschen gemacht, ein Verdienst bei Gott erwerben, z.B. durch Wallfahrten, Kasteien, Klostergelübde, Enthaltung von gewissen Speisen zu gesetzten Zeiten und dergleichen. Obwohl diese eitel Heiligkeit sein sollen, so sind sie doch in Wahrheit Greuel über alle Greuel allein schon dadurch, daß sie verdienstlich vor Gott sein sollen. Dies ist eine schändliche Verleugnung Christi und seines ganzen Erlösungswerkes. - Die Schwärmer halten großenteils die strenge Feier des Sonntags für verdienstlich. Wenn Christus aber sagt, Matth. 15,9: "Vergeblich dienen sie mir, dieweil sie lehren solche Lehren, die nichts denn Menschengebot sind", so ist es offenbar, daß man mit Befolgung derartiger Gebote nicht einmal Gott dienen kann, zu geschweigen, daß man sich damit etwas vor Gott verdienen sollte, während man allerdings durch Befolgung von Menschengeboten, die doch nicht bloß Menschengebote sind, sondern etwas Göttliches an sich haben, wie, um des vierten Gebotes willen, die Gebote der Eltern und Obrigkeiten, wohl Gott dient, jedoch ohne alles Verdienst vor Gott. Die bloße Feier des Sonntags ist aber von vornherein nichts als Menschengebot, menschliche Ordnung, also im eigentlichen Sinne des Wortes gar kein Gebot, und wird mit deren Innehaltung nicht einmal ein Gottesdienst geleistet. Verdienstlich waren auch die von Gott selbst durch Mose eingesetzten Kirchenbräuche oder der Gehorsam gegen irgend andere Gesetze nimmermehr, wie dies auch die Apologie (Conc. S. 156; Müller, S. 211) bezeugt: "So das Evangelium und Paulus klar melden, daß auch die Zeremonien und Werke des Gesetzes Mosis vor Gott nicht helfen, so werden's viel weniger menschliche Satzungen tun." Kirchengebräuche usw. als verdienstlich hinstellen, nennt die Apologie hin und her mit Recht "Teufelslehre", "Gotteslästerung", "antichristliche Lehre" usw; denn es ist diese Lehre "wider das Evangelium". Mit ihr setzen die Papisten und Schwärmer, soviel an ihnen ist, den HErrn Christus ab, treten sein Blut mit Füßen und machen sich selbst mit ihrem eigenen Tun zu ihrem Mittler und Heiland.

    Unter Tradition versteht man die sogenannte mündliche Überlieferung der Papisten. Diese geben nämlich vor, daß ihre Traditionen dasjenige enthielten, was der HErr Christus und die Apostel gelehrt haben sollen, ohne daß es in der Bibel verzeichnet worden sei. Es habe dasselbe, sagen sie, durch mündliche Überlieferung sich fortgepflanzt, indem einer es dem andern gesagt, die Alten den Jungen, bis um das Jahr 500 nach Christus, da dann solche Traditionen aufgezeichnet worden seien. Die papistische Traditionslehre ist eine gar törichte und schädliche. Wie entstellt werden doch gar bald solche Berichte, die sich nur von Mund zu Mund fortpflanzen! Freilich behaupten die Papisten, der Heilige Geist habe jegliche Verfälschung der Tradition verhindert; womit können sie dies aber beweisen, da Gott keinerlei diesbezügliche Verheißung gegeben hat? Offenbar hat aber der Heilige Geist mit der päpstischen Tradition ganz und gar nichts zu tun, da diese der unzweifelhaft vom Heiligen Geist  eingegebenen Schrift vielfach schnurstracks widerspricht, der Heilige Geist aber sich selbst nimmermehr widersprechen kann. Das ist eben der Greuel der Tradition, daß sie, wie die ganze Papstlehre, der heiligen Schrift entgegen, die Seligkeit des Menschen auf seine erträumten verdienstlichen Werke stellt. Ein eitles Vorgeben ist es, wenn die Papisten sagen, sie stellten Bibel und Tradition einander als Offenbarungsquellen gleich; denn sie legen die Bibel nach ihrer Tradition aus, so daß jene dieser weichen muß, so oft sich beide einander widersprechen. In der Tat stellen sie also die Tradition weit über die heilige Schrift.

    Wenn in einer Gemeinde, wie das ja selbst in einer sich lutherisch nennenden vorkommen kann, irgendwelcher Kirchenbrauch von Menschen eingesetzt entweder als nötig zur Seligkeit oder als verdienstlich aufgedrungen werden soll, so ist es die Aufgabe jedes einzelnen Gemeindegliedes, die Gemeinde, soweit es in seinem Vermögen steht, zu überzeugen, daß dies ein Greuel vor Gott sei. Das fordert die Liebe, da sonst durch seine Schuld die Leute in ihrem Irrtum stecken bleiben und um ihre Seligkeit kommen. Läßt sich die Gemeinde aber nicht überzeugen, sondern bleibt verschlossen gegen alle Belehrung, so muß Austritt erfolgen um Gottes, der eigenen Seligkeit und der Schwachen willen. Ein weiteres Verbleiben in einer solchen Gemeinde wäre eine Verleugnung der Rechtfertigungslehre.

Artikel 16.

Von der Polizei und weltlichem Regiment oder

Von bürgerlichen Sachen

    Von Polizei und weltlichem Regiment wird gelehrt, daß alle Obrigkeit in der Welt und geordnete Regimente und Gesetze gute Ordnung, von Gott geschaffen und eingesetzt sind; und daß Christen mögen in Obrigkeit, Fürsten- und Richteramt ohne Sünde sein, nach kaiserlichen und andern üblichen Rechten Urteil und Recht sprechen, Übeltäter mit dem Schwert strafen, [ge]rechte Kriege führen, streiten, kaufen und verkaufen, aufgelegte Eide tun, Eigenes haben, ehelich sein usw.

    Hier werden verdammt die Wiedertäufer, so lehren, daß des Obenangezeigten keines christlich sei.

    Auch werden diejenigen verdammt, so lehren, daß christliche Vollkommenheit sei, Haus und Hof, Frau und Kind leiblich verlassen und sich der vorberührten Stücke entäußern; so doch dies allein rechte Vollkommenheit ist: rechte Furcht Gottes und rechter Glaube an Gott; denn das Evangelium lehrt nicht ein äußerlich, zeitlich, sondern innerlich, ewig Wesen und Gerechtigkeit des Herzens und stößt nicht um weltlich Regiment, Polizei und Ehestand, sondern will, daß man solches alles halte als wahrhaftige Ordnung und in solchen Ständen christliche Liebe und rechte gute Werke, ein jeder nach seinem Beruf, beweise. Derhalben sind die Christen schuldig, der Obrigkeit untertan und ihren Geboten gehorsam zu sein in allem, so ohne Sünde geschehen mag; denn so der Obrigkeit Gebot ohne Sünde nicht geschehen mag, soll man Gott mehr gehorsam sein als den Menschen. Apost. 5,29.

    (Vgl. Conc. S. 160 ff. 292 ff. 382; Müller S. 215 ff. 412 ff. 595 f)

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    Nach dem lateinischen Texte der Augsburgischen Konfession lautet die Überschrift dieses Artikels in der Übersetzung: "Von bürgerlichen Sachen." Er zerfällt in drei Hauptteile; denn

    1. lehrt er die Rechtmäßigkeit dessen, was zu bürgerlichen Sachen gehört:

       a. alle Obrigkeit usw. ist von Gott;

       b. Christen dürfen sich mit bürgerlichen Sachen befassen;

    2. verwirft er die Widersacher dieser Lehre, und zwar

       a. diejenigen die bürgerliche Sachen als unrechtmäßig verwerfen,

       b. diejenigen, die sich ihnen aus eingebildeter Heiligkeit entziehen;

    3. zeigt er an, inwieweit der Obrigkeit Gehorsam zu leisten sei.

    Zu 1. a. Zuerst haben wir also die Rechtmäßigkeit dessen, was zu bürgerlichen Sachen gehört, zu betrachten. Der Artikel lehrt davon zunächst in den Worten: "Von Polizei und weltlichem Regiment wird gelehrt, daß alle Obrigkeit in der Welt und geordnete Regimente und Gesetze gute Ordnung, von Gott geschaffen und eingesetzt, sind." Diejenigen Personen, welche die oberste Leitung eines Landes und Volkes haben, werden im Allgemeinen "Obrigkeit" genannt. Sie ist, laut unseres Artikels, eine gute Ordnung, die wir dem lieben Gott zu verdanken haben, indem er sie geschaffen und eingesetzt hat. Der Sitz der Lehre von der Obrigkeit ist Röm. 13. Da wird uns nun auch gesagt, wem wir in zweifelhaften Fällen zu gehorchen haben, nämlich derjenigen Obrigkeit, "die Gewalt über uns hat". Auch wenn diese Obrigkeit aus den gottlosesten Leuten bestände und ob sie nun die Herrschaft über uns mit Recht oder mit Unrecht erlangt hat - wir haben ihr gerne zu gehorchen, da die Obrigkeit nach Gottes Ordnung und da auch selbst unter der schlechtesten Obrigkeit noch mehr Ordnung und Schutz im Lande ist, als wo sich keine Obrigkeit befindet, wo also Anarchie herrscht. Eben zu Pauli Zeiten und als er die Epistel an die Römer schrieb, regierte der schändliche, blutdürstige Tyrann Nero über das römische Reich; dennoch heißt Paulus die Christen auch ihm untertan sein. Wenn ein solches Scheusal auf dem Thron sitzt, so ist auch dies Gottes Wille, ohne den ja nicht einmal ein Haar von unserem Haupte fällt.

    Der obrigkeitliche Stand wurzelt im Elternstande. "Aus der Eltern Obrigkeit fließt und breitet sich aus alle andere." (Conc. S. 292; Müller S. 412) Adam war, wie der erste Vater und Priester, so auch der erste Regent auf Erden. - Durch die ganze patriarchalische Zeit war der Stammvater jeden Geschlechtes auch zugleich der oberste Regent desselben. Später, als sich das Menschengeschlecht sehr gemehrt hatte, wurde sowohl das obrigkeitliche als auch das priesterliche Amt abgezweigt. Wir unterscheiden deshalb nun dreierlei Arten von Vätern: leibliche, geistliche und Landesväter. Allen dreien gebührt nach dem vierten Gebote Ehre und Gehorsam - letzerer jedem der besagten Väter nach seiner Art.

    Zu 1. b. "Christen dürfen sich mit bürgerlichen Sachen befassen." Zunächst können sie, laut unseres Artikels, in "Obrigkeits-, Fürsten- und Richteramt ohne Sünde sein". Sind sie in einem derartigen Amte, so sollen sie "nach kaiserlichen und" (oder) "andern üblichen Rechten Urteil und Recht sprechen". In Ausübung eines weltlichen Amtes ist also nicht zunächst nach Gottes Gebot, sondern nach dem bürgerlichen Gesetz zu urteilen. Die Apologie (Conc. S. 160; Müller S. 215) sagt: "Carolstadius war in diesem Fall gar toll und töricht, daß er lehrete, man sollte nach dem Gesetz Mosis die Stadt- und Landregimente bestellen." Man muß hier den Grundsatz merken: "Die Obrigkeit muß manches für bürgerlich straflos erklären, was sie damit doch noch keineswegs als vor Gott sündlos erklärt." Sie muß dies tun, um größeres Übel im Staate zu verhüten. So hat ja z.B. selbst Mose nach seinem obrigkeitlichen Amte den Juden erlaubt, sich "um irgendeiner Ursache willen" von ihren Frauen zu scheiden, während Gottes Wort doch die Ehescheidung nur gestattet aufgrund von Ehebruch und böswilligem Verlassen. So gaben auch Luther und Melanchthon, als sie von etlichen Fürsten um Rat gefragt wurden, ob man nicht, um dem greulichen Wucher, der die Länder ganz auszusaugen drohe, in etwas zu wehren, lieber einen geringeren Wucher nach einem festen Zinsfuß zulassen solle, den Bescheid: dies möge geschehen; doch sollten dann gleich die Theologen anfangen, den Leuten die Hölle heiß zu machen auf den Fall hin, daß sie den von der Obrigkeit erlaubten Zins fordern würden. Auch hierzulande gibt es ja noch mancherlei andere Gesetze, z.B. Ehescheidungen betreffend, deren Benutzung ein Christ nach Gottes Wort verabscheuen muß. Dennoch soll ein solcher Christ, der im Richteramte steht, betreffenden Falls nach solchen Gesetzen und nicht nach Gottes Wort entscheiden, obschon er als Christ den Leuten privatim nach Gottes Wort ihre Versündigung ernstlich vorhalten wird, soweit er dazu Gelegenheit findet. Um der Herzenshärtigkeit willen, sagt Christus, habe Mose, wie oben gehört, handeln müssen. Es soll sich nun aber jedermann wohl hüten vor dem Gedanken, daß, was die Obrigkeit erlaubt, auch um deswillen schon vor Gott recht sei. - Ferner ist es recht, wenn die Obrigkeit Übeltäter mit dem Schwert tötet (denn sie trägt ja dieses nicht umsonst) und (ge)rechte Kriege führt, das ist, solche, die zum Schutz der Untertanen dienen; denn ihnen diesen zu gewähren, ist der Obrigkeit Amt. Ein Greuel dagegen sind Eroberungskriege und überhaupt solche, zu denen Hab- oder Ehrsucht die Triebfeder ist. - Ferner dürfen Christen streiten, das ist, Prozesse führen; denn ob es wohl löblicher ist, wenn Christen sich untereinander verständigen, als wenn sie vor der weltlichen Obrigkeit, zumal vor einer ungläubigen, mit einander hadern, so kann man es doch niemand zur Sünde machen, daß er sich in Streitsachen an die Obrigkeit wende [soweit es sich um Sachen mit Nichtchristen handelt und ein Weichen nicht angeraten oder möglich ist; Anm. d. Hrsg.]. Auch dürfen Christen kaufen und verkaufen und aufgelegte Eide schwören. Letzteres billigt Gottes Wort, indem es sagt: "Der Eid macht ein Ende alles Haders." Endlich darf ein Christ Eigenes haben - nach dem siebenten Gebote - und ehelich sein - nach dem sechsten Gebote - usw.

    Zu 2. Die Verwerfung der Widersacher, und zwar

    a. "derjenigen, welche bürgerliche Sachen als unrechtmäßig verwerfen". Zunächst werden hier die Wiedertäufer genannt. Unter den heutigen Wiedertäufern sind wohl nur die Mennoniten und Dunker in etlichen Stücken hierher zu rechnen, keineswegs aber die hiesigen Baptisten. Sodann sind hier die Quäker zu erwähnen, die da halten, daß Eide und Kriege unrecht seien; desgleichen die sogenannten Philanthropen, welche die Sklaverei an sich für sündlich erklären und teilweise auch Frauen- und Kinderemanzipation begehren, und endlich die Kommunisten, die alles Eigentumsrecht verwerfen. Letztere wollen indes der Regel nach gar keine Christen sein, sondern sind der christlichen Kirche mindestens ebenso bitter feind wie der bürgerlichen Ordnung;

    b. "derjenigen, die sich den bürgerlichen Sachen aus eingebildeter Heiligkeit entziehen". Dieselben erklären freilich diese Sachen nicht für jedermann sündlich; aber sie vermeinen, sie seien heiliger und vollkommener als andere Leute, weil sie sich dieser oder jener bürgerlichen Sachen enthalten. Solchen Leuten gibt unser Artikel ihr Urteil in den Worten: "Auch werden diejenigen verdammt, so lehren, daß christliche Vollkommenheit sei, Haus und Hof, Frau und Kind leiblich verlassen und sich der vorberührten Stücke entäußern." Der Art sind die papistischen Priester, Mönche und Nonnen, die sich sämtlich des Ehestandes und teilweise, wie die Bettelmönche, des Eigentums enthalten, in der Meinung, um deswillen heiliger zu sein als andere, "so doch dies allein rechte Vollkommenheit ist: rechte Furcht Gottes und rechter Glaube an Gott". Vor Gott sind wir allein durch den Glauben vollkommen gerecht und heilig, indem wir uns durch denselben Christi Verdienst zueignen. Aus dieser absoluten Vollkommenheit vor Gott wächst dann auch die Vollkommenheit des gottgewollten Wandels, so daß man Gott immer mehr kindlich fürchtet und sein Leben bessert. Diese letztere Vollkommenheit der Christen wird aber erst mit deren Tode vollendet.

    Nach diesem Artikel sind nun geistliches und weltliches Reich aufs schärfste von einander zu unterscheiden. Im weltlichen Reich regiert das Schwert, im geistlichen allein das Wort Gottes. Das weltliche Regiment hat es mit "äußerlich, zeitlich" Wesen zu tun, das geistliche hingegen mit "innerlich, ewig Wesen". Das geistliche Reich besteht in "Gerechtigkeit des Herzens". Sein Verhältnis zum weltlichen Reiche betreffend, heißt es: Es "stößt nicht um weltlich Regiment usw., sondern will, daß man solches alles halte als wahrhaftige Ordnung, und in solchen Ständen christliche Liebe und rechte gute Werke, ein jeder nach seinem Beruf, beweise". Dr. Luther sucht dieses Verhältnis des geistlichen Regimentes zum weltlichen klar zu machen, indem er unter anderem sagt, daß, gleichwie Christus bei seiner Auferstehung durch den Stein gedrungen und darauf den Jüngern bei verschlossenen Türen erschienen sei, ohne Stein und Tür zu zertrümmern, so auch das Evangelium das weltliche Reich nicht umstoße, sondern es durchdringe und heilige. Demgemäß ermahnt nun auch St. Paulus die Christen, der Obrigkeit untertan zu sein "um des HErrn willen". Wenn es im bürgerlichen Regiment und Wesen auch gar oft nicht so ist, wie es die Christen wünschen möchten, so gilt es diesen zu bedenken, daß sie auf Erden nur Fremdlinge und Pilgrime sind. Einem Pilgrim ist ja in den meisten Herbergen wohl dieses und jenes nicht ganz recht und nach Wunsch; deshalb kehrt er aber längst nicht das Unterste im Hause zu oberst, sondern er trägt, was zu tragen ist, und wandert darauf unverdrossen seinem Ziele zu. So müssen auch die Christen viel Unannehmlichkeiten auf Erden geduldig tragen und nur unermüdlich trachten, heimzukommen zum himmlischen Vaterlande.

    Zu 3. Inwieweit ist der Obrigkeit Gehorsam zu leisten? Hierauf gibt unser Artikel den Bescheid: "Derhalben sind die Christen schuldig, der Obrigkeit untertan und ihren Geboten gehorsam zu sein in allem, so ohne Sünde geschehen mag. Denn so der Obrigkeit Gebot ohne Sünde nicht geschehen mag, so soll man Gott mehr gehorsam sein als den Menschen. Apost. 5,29." Während also in unsündlichen Sachen der Obrigkeit unbedingter Gehorsam zu leisten und ihr zu dienen ist mit Gut, Leib und Leben, so soll ein Christ jederzeit auch lieber sogleich sein Leben lassen, als daß er der Obrigkeit Gehorsam leisten sollte in irgendeiner Sache, die wider sein Gewissen ist. Tatsächlicher Widerstand gegen die Obrigkeit ist zwar nie erlaubt, wohl aber betreffenden Falls passiver: man leide und lasse alles über sich ergehen, ehe man sündige. Revolution, Empörung wider die Obrigkeit ist immer sündlich und meist von den entsetzlichsten Folgen. - Zur Beleuchtung des Obigen mögen wir die Frage aufwerfen: Wie soll es ein Christen halten, wenn er von seiner Obrigkeit aufgefordert wird, in den Krieg zu ziehen, während er diesen Krieg für einen ungerechten hält? Antwort: Ist er seiner Meinung gewiß, daß der Krieg nach Gottes Wort ein ungerechter sei, so darf er sich an demselben nicht beteiligen, was auch immer die Folgen seiner  Weigerung sein mögen; hat er aber bloß diese und jene Bedenken wegen der Gerechtigkeit des Krieges, so lasse er sich den gewissen Befehl Gottes, der Obrigkeit zu gehorchen, gelten und ziehe getrost in den Krieg.          

Artikel 17.

Von Christi Wiederkunft und Gericht

    Auch wird gelehrt, daß unser HErr JEsus Christus am jüngsten Tage kommen wird, zu richten und alle Toten auferwecken, den Gläubigen und Auserwählten ewiges Leben und ewige Freude geben, die gottlosen Menschen aber und Teufel in die Hölle und ewige Strafe verdammen.

    Derhalben werden die Wiedertäufer verworfen, so lehren, daß die Teufel und verdammten Menschen nicht ewige Pein und Qual haben werden.

    Item [Ebenso], hier werden verworfen etliche jüdische Lehren, so sich auch jetzt ereignen, daß vor der Auferstehung der Toten eitel Heilige, Fromme ein weltlich Reich haben und alle Gottlosen vertilgen werden.

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    Der erste Teil dieses Artikels lehrt uns, was mit Christi Wiederkunft und Gericht verbunden sein wird;

    der zweite Teil enthält die Verwerfung der betreffenden Widersacher, und zwar:

       a. derjenigen, welche die ewigen Höllenstrafen leugnen,

       b. der Chiliasten.

    Zu 1. Das Wiederkommen Christi, von dem hier die Rede ist, wird am jüngsten Tage stattfinden. Der jüngste Tag ist der letzte Tag der Welt. Die genaue Zeit, wann dieser kommen wird, ist uns verborgen. (Apost. 1,7: "Es gebühret euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat." Matth. 24,36: "Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel, sondern allein mein Vater.") Die Zeit des jüngsten Tages und somit auch die des Wiederkommens Christi ist uns deshalb verborgen, damit wir nicht sicher werden, sondern allezeit wachen mögen. Luk. 21,36: "So seid nun wacker allezeit und betet, daß ihr würdig werden möget, zu entfliehen diesem allen, das geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn." Schon der heutige Tag kann der jüngste Tag sein; wir sollen deshalb stets wachen, daß unsere Glaubenslampen allezeit brennend erfunden werden. Zu der Apostel Zeit konnte der jüngste Tag laut St. Pauli Zeugnis 2 Thess. 2,3.4 noch nicht kommen, wie es hier heißt: "Er kommt nicht, es sei denn, daß zuvor der Abfall komme und offenbaret werde der Mensch der Sünde und das Kind des Verderbens, der da ist ein Widerwärtiger und sich überhebet über alles, das Gott oder Gottesdienst heißet, also, daß er sich setzt in den Tempel Gottes, als ein Gott, und gibt sich vor, er sei Gott." Dieser Antichrist oder Widerchrist, von dem auch 1 Joh. 4,3; 2,22.18; 2 Joh. 7 und Offenb. 13 ff geredet wird, ist aber jetzt geoffenbart; deshalb, und weil alle anderen Zeichen auf denselben schon erfüllt sind, kann nun auch jederzeit der jüngste Tag kommen. Wir erkennen den Antichrist im Papsttum, das Gott durch Dr. Luther als solchen geoffenbart hat. In der Apologie (Conc. S. 154; Müller S. 209) heißt es: "Also wird das Papsttum auch ein Stück vom Reiche des Antichrist, so es lehret, durch Menschengebote Vergebung der Sünden und Gott zu versöhnen", und in den Schmalkaldischen Artikeln (Conc. S. 229; Müller S. 308): daß der Papst seinen Kopf über alle erhebt, "zeiget gewaltliglich, daß er der rechte Endechrist oder Widerchrist sei, der sich über und wider Christus gesetzt und erhöht hat, weil er will die Christen nicht lassen selig sein ohne seine Gewalt, welche doch nichts ist, von Gott nicht geordnet noch geboten. Das heißt eigentlich über Gott und wider Gott sich setzen, wie St. Paulus sagt 2 Thess. 2,4." Das Papsttum ist gewißlich der Antichrist, weil an ihm sich alle in der Schrift angegebenen Kennzeichen des Antichrists finden. Diese alle hier anzuführen, würde zu weit führen. Genug: der Papst sitzt im Tempel Gottes, das ist, er regiert mitten in der Kirche Gottes; alle päpstliche Lehren sind der Lehre Christi und seiner Apostel geradezu entgegen; der Papst gibt vor, er sei Gott, indem er sich Christi Stellvertreter auf Erden, Weg, Wahrheit und Leben nennt und sich Unfehlbarkeit zuschreibt. Leider gibt es auch unter denen, die lutherisch, ja, streng lutherisch sein wollen, solche Leute, welche die Wahrheit, daß der Papst der Antichrist ist, nicht anerkennen wollen, womit sie im Grunde das ganze Reformationswerk, das Gott nach seiner überreichen Gnade durch sein teures Werkzeug Dr. Luther ausgeführt hat, verleugnen; denn darin besteht recht eigentlich das Werk Luthers, daß er den Menschen der Sünde, das Kind des Verderbens, geoffenbart und die Gewissen von seiner Tyrannei frei gemacht und zu Christus geführt hat. Man wendet freilich ein, die heilige Schrift bezeichne ja den Antichrist als Einzelperson, und deshalb könnten die Päpste, deren eine lange Reihe seien, nicht der Antichrist sein. Da ist denn zu wissen, daß die heilige Schrift auch sonst in gleicher Weise redet; so wenn z.B. Christus spricht: "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist", so meint er hier unter dem Kaiser doch nicht bloß die Einzelperson, die damals den römischen Kaiserthron innehatte, sondern bezeichnet da alle Obrigkeit, die hier als Kollektivperson gefaßt wird. Gleicherweise muß auch der Antichrist als Kollektivperson gefaßt werden; denn einesteils wäre es rein unmöglich, daß eine Einzelperson hätte alle die Greuel verüben können, die die Schrift dem Antichrist zuschreibt, und doch dabei hätte einen so großen Anhang in der äußeren Christenheit erlangen mögen, wie abermals die Schrift sie diesem voraussagt; andernteils sagt St. Johannes 1 Joh. 4,3 von seiner Zeit, der Widerchrist sei "schon in der Welt", womit er vielleicht sein Absehen auf Diotrephes gehabt hat, von dem er 3 Joh. 9 schreibt: "Aber Diotrephes, der unter ihnen will hoch gehalten sein, nimmt uns nicht an", wogegen erst mit dem Tage seiner Zukunft, das ist, am jüngsten Tage, Christus des Antichrists ein Ende machen wird, 2 Thess. 2,8. Da nun nach Johannes' Zeugnis schon zu seiner Zeit der Antichrist da war, so muß dieser jetzt fast 1900 Jahre alt sein. Man zeige uns doch eine so alte Einzelperson! Wenn die Herren von der Iowa-Synode sagen, sie stimmen vollkommen mit dem, was die lutherischen Symbole von dem Papst als Antichrist sagen, aber das Antichristentum müsse sich doch noch gipfeln in einer besonderen Person, so ist darauf zu antworten, daß weder Schrift noch Symbole etwas wissen von einer solchen Gipfelung. Die erträumte Einzelperson könnte auch gar nicht größere oder mehr Greuel verbringen, als uns die Päpste schon gebracht haben. Wir sollen und wollen Gott in Ewigkeit dafür loben und preisen, daß er uns durch Luther den Antichrist im Papst geoffenbart hat, also daß wir nun von ihm befreit sind, nachdem er fast die ganze Christenheit unter sich gebracht hatte. -

    Die heilige Schrift redet auch von einem Kommen des HErrn Christus in seinem Evangelium und von seinem Kommen in allerlei Gnadenverweisungen und in allerlei Strafgerichten. Sein Kommen am jüngsten Tage wird sich aber von solchem Kommen dadurch unterscheiden, daß es ein sichtbares sein wird, wie es Apost. 1,11 heißt: "Dieser JEsus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren", also sichtbar.

    Was mit dieser Wiederkunft Christi am jüngsten Tage verbunden sein wird, lehrt uns der Artikel mit den Worten: "zu richten und alle Toten auferwecken, den Gläubigen und Auserwählten ewiges Leben und ewige Freude geben, die gottlosen Menschen aber und die Teufel in die Hölle und ewige Strafe verdammen". Der Zweck seines Kommens ist also zunächst der, "zu richten". Ehe er aber das Gericht hält, wird er alle Toten auferwecken, was z.B. Joh. 5,28.29 bezeugt: "Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden seine Stimme hören und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben zur Auferstehung des Lebens, die aber Übels getan haben zur Auferstehung des Gerichts." Wenn Christus dann das Gericht gehalten hat, wird er den Gerechten, das ist, denen, die bis ans Ende im Glauben beharrt haben, das ewige Leben geben, die Gottlosen dagegen, das ist, die Ungläubigen, samt den Teufeln, der ewigen Verdammnis übergeben. Daß Pein wie Leben ewig sein werden, bezeugt Christus Matth. 24,46: "Und sie werden in die ewige Pein gehen; aber die Gerechten in das ewige Leben."

    Zu 2. Die Verwerfung der Widersacher:

    a. derjenigen, welche die ewigen Höllenstrafen leugnen. Als solche führt uns der Artikel die Wiedertäufer auf, nämlich die der damaligen Zeit, während die jetzigen gewiß längst nicht alle hierher zu rechnen sind. Dagegen leugnen jetzt, abgesehen von den Unitariern, die ja kaum Christen genannt werden können, die Universalisten überhaupt alle Höllenstrafen. Sofern sie nicht auch im Unitarismus versunken sind, ist ihre Lehre, daß, da Christus, wahrer Gott und Mensch, die ganze Welt erlöst habe, nun auch alle Menschen selig würden. Die ganze Schrift ist ein Zeugnis gegen diesen falschen Schluß der Universalisten - besonders auch die letzterwähnte Stelle. Es meinen diese Leute, jeder Mensch habe seine Hölle schon hier auf dieser Erde; jeder müsse hier selbst - was eine scheußliche Verleugnung des Werkes Christi ist - seine Sünde abbüßen, so daß derjenige, welcher viel gesündigt, hier viel, wer dagegen weniger gesündigt, hier weniger zu leiden habe. Was letzteres betrifft, so wird es schon durch die Erfahrung fortwährend widerlegt; denn gar oft schweben in dieser Welt die Gottlosen oben auf, während die wahrhaft Frommen im Trübsalsofen schwitzen. - In neuester Zeit greift unter den hiesigen Sekten, wie in England, wo er zuerst aufgetaucht ist, der Irrtum schrecklich um sich, daß die Gottlosen, die allerdings zur Hölle müßten, nachdem sie dort gebührend gepeinigt worden seien, von Gott gänzlich vernichtet würden [z.B. Zeugen Jehovas, Anm. d. Hrsg.]. Diese falsche Lehre will man damit stützen, daß man sagt, es sei Gottes unwürdig, mit ewiger Pein zu strafen. Die Leute erkennen eben noch gar nicht den Greuel der Sünde, und was es heißt, mit ihr den ewigen Gott zu beleidigen, und Matth. 25,46 und ähnliche Sprüche gelten ihnen längst nicht das, was ihnen der Wahn ihres eigenen Hirns gilt. - Andere Schwärmer - auch solche, die sich Lutheraner nennen, besonders in Württemberg - lehren eine "Wiederbringung aller Dinge", nach welcher die freilich zuerst verdammten Gottlosen, ja, selbst die Teufel schließlich selig werden sollen [Allversöhner, Anm. d. Hrsg.]. Elende Träume, stracks wider Gottes Wort! - Daß die Rationalisten - gleich den früheren Sozinianern -, die ja die Gottheit Christi und die Existenz des Heiligen Geistes gleichwie die eines persönlichen Teufels leugnen, keine ewigen Höllenstrafen zugeben wollen, versteht sich von selbst;

    b. der Chiliasten. Das Wort Chiliasten kommt von dem Worte "Chiliade", welches irgendeine Anzahl von Tausend bezeichnet. Chiliasten nun nennt man die Anhänger der Lehre von einem tausendjährigen weltlichen Reiche Christi auf Erden vor dem jüngsten Tage. Der Artikel spricht dieser gefährlichen Irrlehre das Urteil in den Worten: "Item [Ebenso], hier werden verworfen etliche jüdische Lehren, die sich auch jetzt ereignen, daß vor der Auferstehung der Toten eitel Heilige, Fromme ein weltlich Reich haben und alle Gottlosen vertilgen werden." Es ist grundfalsch, von irgendeinem Reiche Christi auf Erden zu reden, das von wesentlich anderer Beschaffenheit wäre als sein jetziges Reich unter uns. Die Chiliasten vermischen mit ihrer Lehre weltliches und geistliches Reich gar greulich und scheinen gar nicht zu wissen, daß Christus gesagt hat: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt", Joh. 18,36. Sie haben eine "jüdische Lehre", sofern die Juden ja auch glaubten und noch glauben, es werde ein Christus kommen, der ein weltliches Reich anrichten und sie zu großen Herren darin machen werde.

    Die Chiliasten berufen sich für ihre Lehre hauptsächlich auf Offenb. 20. Hier wird wiederholt von tausend Jahren geredet, welche die Chiliasten als tausend gewöhnliche Sonnenjahre fassen. Sie meinen, daß unmittelbar vor Eintritt dieser tausend Jahre Christus - wie manche dafür halten, sichtbar - vom Himmel kommen, und daß dann eine Auferstehung der heiligen Märtyrer stattfinden werde, welch letztere darauf mit und unter Christus und mit denjenigen Frommen, die zu der Zeit auf Erden leben, tausend Jahre hienieden regieren, während welcher Zeit der Teufel keinerlei Macht auf Erden haben solle. So weit gehen die Chiliasten in ihrer Lehre meist miteinander [das sind die Prämillenialisten; die Postmillenialisten behaupten ein irdisches tausendjähriges Reich der Frommen ohne vorherige sichtbare Wiederkunft Christi; ein Großteil der Fundamentalisten und Evangelikalen sowie die Pietisten und Darbisten sind unter die Chiliasten oder Millenialisten zu rechnen; Anm. d. Hrsg.] Sonst sind sie aber so verschieden, daß man kaum zwei findet, die das Gleiche glauben. Man unterscheidet zwischen feinen und groben Chiliasten. Diese denken sich im tausendjährigen Reiche einen Zustand voll sinnlicher Genüsse. Das sind ja grobe Säue! Die sogenannten feinen Chiliasten denken sich dagegen im tausendjährigen Reiche einen Zustand, in welchem die Kirche Christi in besonderer Blüte stehen solle und ihre Glieder vollkommene Ruhe vor dem Teufel und vor der Verfolgung der Gottlosen haben werden. Spener und seine Anhänger werden dann auch wohl noch als subtilste Chiliasten bezeichnet, sind aber im Grunde keine [direkten; aber sie haben auch nichts gegen die direkten unternommen, sondern sie faktisch gefördert; ihre Nachfolger sind allesamt Millenialisten oder Chiliasten; Anm. d. Hrsg.], insofern sie bei ihrer "Hoffnung besserer Zeiten" weder tausend Sonnenjahre setzen noch sonst der heilsamen Lehre zuwider lehren. Doch hat auch ihre "Hoffnung" keinerlei Grund in der Schrift. [Und es beruht ihre Hoffnung auf ihrer völlig falschen Auffassung von der Kirche und den Gnadenmitteln und dem Wirken Gottes; Anm. d. Hrsg.]

    Zunächst ist nun den Chiliasten entgegenzuhalten, daß man auf die in Bildern enthaltenen Weissagungen der Offenbarung Johannis keine Glaubenslehre gründen könne. Diese Bilder erhalten ihre Erklärung erst durch die Erfüllung der Prophezeiung. Bibelstellen, die wir als Sitz einer Lehre anerkennen, müssen aber unzweifelhaft klar und deutlich von der betreffenden Sache reden, entweder so, daß sie die Lehre mit ausdrücklichen Worten bezeugen, oder so, daß sich die Lehre aus ihnen durch einen notwendigen zwingenden Schluß ergibt.

    Die chiliastische Auslegung der Offenb. 20 fällt alsbald hin, wenn wir die drei Grundsätze gesunder Schriftauslegung als Maßstab daran legen. Diese Grundsätze sind:

    1. Es darf keine Stelle heiliger Schrift aus ihrem Zusammenhange gerissen werden;

    2. die uns dunkleren, unverständlicheren oder zweifelhaften Stellen heiliger Schrift müssen durch deutliche Schriftstellen, die offenbar von gleicher Sache handeln, erklärt werden;

    3. alle Weissagung, das heißt, Auslegung, muß dem Glauben ähnlich sein.

    Sollte der erste dieser Grundsätze nicht gelten, so ließe sich freilich alles Mögliche aus der Schrift beweisen, wie dies ja auch die Schwärmer auf ihre Weise tun. Stehen doch selbst in der Schrift, Ps. 14,1, die Worte: "Es ist kein Gott." Erst im Zusammenhange ergibt sich des Heiligen Geistes Sinn; denn da heißt es: "Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott." Darum eben ist, wie Dr. Luther sagt, die Bibel aller Ketzer und Buben Buch, weil sie die erste Auslegungsregel nicht beachten. - Der zweite Grundsatz ist so selbstverständlich, daß schon die natürliche Billigkeit fordert, ihn auch jedem menschlichen Autor gegenüber anzuwenden. - Der dritte Grundsatz wird uns vom Heiligen Geiste Röm. 12,7 mit ausdrücklichen Worten gegeben: "Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich." Unter "Glauben" ist hier das zu Glaubende, also der objektive, nicht der subjektive Glaube zu verstehen. Keine Auslegung darf gegen einen Glaubensartikel irgendwie verstoßen.

    In Offenb. 20 sind es nun besonders drei Ausdrücke, die in unserem Streite mit den Chiliasten der Erklärung bedürfen. Es sind dies die Ausdrücke: "tausend" - "Kette" - "erste Auferstehung".

    1. Nehmen wir zuerst die "erste Auferstehung" vor uns. Wendet man hier den ersten Grundsatz der Schriftauslegung an, so findet man alsbald, daß keineswegs, wie die Chiliasten träumen, von einer leiblichen Auferstehung hier die Rede ist; denn sehen wir auf den Zusammenhang, so finden wir V. 4, daß "die Seelen der Enthaupteten um des Zeugnisses JEsu und um des Worts Gottes willen ... lebten und regierten mit Christus tausend Jahr". Es heißt also nicht: "Ihre Leiber" oder schlichtweg: "sie" werden regieren, sondern: "ihre Seelen". Die "erste Auferstehung" ist hier also unzweifelhaft als geistliche Auferstehung zu fassen. Das erhellt auch aus V. 6: "Selig ist der und heilig, der Teil hat an der ersten Auferstehung; über solche hat der andere Tod keine Macht; sondern wie werden Priester Gottes und Christi sein." Sehen wir ganz von den Chiliasten ab und fragen wir einfach: Wer ist selig und heilig? Über wen hat der andere Tod keine Macht? Wer ist ein Priester Gottes und Christi? so antwortet uns die ganze Schrift, daß dies alles nur gilt dem Gläubigen, der mit Christus, eben durch den Glauben, geistlich auferstanden ist. Vgl. auch Röm. 6,3 ff.

    2. Nehmen wir zum andern das Wort "tausend" vor uns und verfahren dabei nach unserer zweiten Auslegungsregel, so finden wir den Ausdruck "tausend Jahr" unter anderem Ps. 90,4: "Tausend Jahr sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache." Hier ist offenbar nicht gerade nur von der runden Summe von tausend Sonnenjahren die Rede, sondern der Ausdruck bezeichnet irgendwelchen längeren Zeitraum. Das zeigt uns aber, wie derselbe Ausdruck Offenb. 20 etwa beabsichtigt sein könnte. Ja, der Zusammenhang zwingt uns gar, diesen letzteren Verstand anzuerkennen als den allein richtigen; denn wenn wir hier bei dem nächsten Wortverstande bleiben wollten, so müßten wir dies doch auch tun mit dem Worte "Kette", wodurch wir aber gröblich gegen den dritten Grundsatz verstoßen würden. Sagt man sonst, jemand sei mit Ketten gebunden worden, so versteht dies jedermann von ehernen Ketten. Solcher nächste Wortverstand kann hier aber nicht gelten, weil der Teufel ein rein geistiges Wesen ist und mit leiblichen ehernen Ketten nicht gebunden werden kann. Soll er gebunden werden, so ist dann eine geistige, ja, geistliche Kette erforderlich. Diese aber ist das Evangelium.  Nur denen, die das Evangelium im Glauben annehmen, ist der Teufel in Wahrheit gebunden, also daß er, wenn sie ihm nur nicht zu nahe kommen, ihnen nicht schaden, sondern allein sie noch schrecken kann, wie ein grimmiger Hund an der Kette uns wohl auch schreckt, obgleich er uns nicht faßt.

    3. Der dritte Grundsatz der Schriftauslegung muß aber hier wie überall besonders scharf ins Auge gefaßt werden: "Alle Auslegung muß dem Glauben ähnlich sein." Das ist aber die chiliastische Auslegung von Offenb. 20, abgesehen von dem schon Erwähnten, längst nicht; denn sie widerstreitet klärlich

    aa. der Lehre vom Reiche Christi auf Erden als einem Kreuzreiche;

    bb. der Lehre von der Auferstehung aller Toten am jüngsten Tage;

    cc. der Lehre vom plötzlichen Eintritt des jüngsten Tages.

    Der Chiliasmus muß gewißlich falsch sein, da der Heilige Geist, der ja unzweifelhaft diese Lehren geoffenbart hat, sich selbst nicht widersprechen, Offenb. 20 nichts dem anderswo in seinem Wort Gelehrten Widersprechendes lehren kann. Die Chiliasten wollen in ihrem tausendjährigen Reiche einen Pfand der Ruhe vor dem Teufel und vor der Verfolgung der Gottlosen; Christus aber spricht Matth. 16,24: "Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir" (vgl. Luk. 14,27) und St. Paulus 2 Tim. 3,12: "Alle, die gottselig leben wollen in Christo JEsu, müssen Verfolgung leiden." - Die Chiliasten sagen, mehr als tausend Jahre vor dem jüngsten Tage würde die ganze Schar der Märtyrer leiblich auferstehen; der HErr Christus aber sagt mit Absehen auf den Jüngsten Tag Joh. 5,28.29: "Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden seine Stimme hören, und werden hervorgehen" usw., wie denn ja auch Martha sagt in Bezug auf ihren verstorbenen Bruder Lazarus, Joh. 11,24: "Ich weiß wohl, daß er auferstehen wird in der Auferstehung am jüngsten Tage." Sie bekennt hier die allgemeine Auferstehung am jüngsten Tage, wie die ganze alttestamentliche Kirche sie geglaubt hat und wie wir sie im dritten Artikel des Katechismus, laut dessen Erklärung, bekennen. Die einzelnen Auferweckungen zur Zeit Christi sind geschehen, um unseren Glauben an die allgemeine Auferstehung am jüngsten Tage zu stärken. Von ferneren derartigen Auferweckungen Einzelner haben wir keine Verheißung, und eine Massenauferstehung wird vor dem jüngsten Tage gewiß nicht stattfinden. - Die Chiliasten meinen, der jüngste Tag könne nicht kommen, ehe noch reichlich tausend Jahre verflossen seien, und sein Eintreffen lasse sich, wenn Anfang und Ende des tausendjährigen Reiches bekannt sei, auch wohl genau zuvor berechnen; Christus aber spricht Luk. 21,35: "Wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen" und St. Petrus 2 Petr. 3,10: "Es wird aber des HErrn Tag kommen wie ein Dieb in der nacht." Gottes Wort ist wahrhaftig und - alle Menshcen sind Lügner.

    Wie alle falsche Lehre, so kommt auch der Chiliasmus aus dem Fleisch. Sehnsucht nach fleischlichem Wohlleben liegt ihm zugrunde. Hierdurch wird der Blick für das Wort Gottes so getrübt, daß man auch die klarsten Ausdrücke desselben nicht beachtet. Je mehr nun aber jemand seine Hoffnung auf das Irdische setzt, desto mehr wird das Trachten nach dem zukünftigen Leben verhindert. Wir Christen aber sind als solche mit unseren Hoffnungen nicht auf das zeitliche, sondern auf das ewige Leben gewiesen. Kol. 3,2: "Trachtet nach dem, das droben ist, und nicht nach dem, das auf Erden ist." Ganz schrecklich ist es deshalb, daß fast alle uns umgebenden Kirchenparteien tief im Chiliasmus versunken sind, ja, selbst Namenslutheraner, sogar auch solche, die den Ruhm der Orthodoxie besonders beanspruchen. Manche der letzteren meinen freilich wohl, öffentlich predigen dürfe man allerdings den Chiliasmus nicht, da dies den Leuten schaden, sie sicher machen könne! Aber dies richtet sie und ihren Chiliasmus schon, da St. Paulus 2 Tim. 3,16 sagt: "Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit", und Apost. 20,27: "Ich habe euch nichts verhalten, daß ich nicht verkündiget hätte alle den Rat Gottes."

    Was nun die rechte Auslegung von Offenb. 20, speziell der tausend Jahre, betrifft, so setzen einige rechtgläubige Theologen den Anfang der letzteren mit dem Anfange der Reformation, andere hingegen, und an ihrer Spitze Luther, mit dem ersten christlichen Pfingstfest. Letztere Annahme hat wohl am meisten für sich, da zu keiner Zeit der Teufel mehr gebunden worden ist, als da die Apostel in aller Welt das Evangelium predigten. So ist er gebunden geblieben, bis Muhammed und der Papst kräftig wurden und den Lauf des Evangeliums so schrecklich  hinderten. Auch kommen so die tausend Jahre annährend als tausend Sonnenjahre heraus [worauf es aber gar nicht ankommt, da es eine bildliche Zahl ist, auch die Annahme, daß sich die tausend  Jahre mit Muhammed und dem Papsttum zu Ende geneigt hätten, ist reine Spekulation; Anm. d. Hrsg.]; denn während allerdings schon um das Jahr 600 Papsttum und Islam deutlich in Erscheinung traten, breitete sich dieser doch erst nach und nach aus, und jenes war auch zuerst noch nicht gar so antichristlich, wie es sich später gestaltete.

Artikel 18.

Vom freien Willen

    Vom freien Willen wird gelehrt, daß der Mensch etlichermaßen einen freien Willen hat, äußerlich ehrbar zu leben und zu wählen unter den Dingen, so die Vernunft begreift; aber ohne Gnade, Hilfe und Wirkung des Heiligen Geistes vermag der Mensch nicht, Gott gefällig zu werden, Gott herzlich zu fürchten oder zu glauben oder die angeborne böse Lust aus dem Herzen zu werfen; sondern solches geschieht durch den Heiligen Geist, welcher durch Gottes Wort gegeben wird; denn Paulus spricht 1 Kor. 2,14: "Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes."

    Und damit man erkennen möge, daß hierin keine Neuigkeit gelehrt werde, so sind das die klaren Worte Augustini vom freien Willen, wie jetzt und hierbei geschrieben aus dem 3. Buch Hypognosticon: "Wir bekennen, daß alle Menschen einen freien Willen haben; denn sie haben je alle natürlichen, angebornen Verstand und Vernunft, nicht, daß sie etwas vermögen mit Gott zu handeln, wie, Gott von Herzen zu lieben, zu fürchten; sondern allein in äußerlichen Werken dieses Lebens haben sie Freiheit, Gutes oder Böses zu wählen; Gutes mein ich, das die Natur vermag, wie, auf dem Acker zu arbeiten oder nicht, zu essen, zu trinken, zu einem Freunde zu gehen oder nicht, ein Kleid an- oder auszutun, zu bauen, eine Frau zu nehmen, ein Handwerk zu treiben und dergleichen etwas Nützliches und Gutes zu tun; welches alles doch ohne Gott nicht ist noch bestehet, sondern alles aus ihm und durch ihn ist. Dagegen kann der Mensch auch Böses aus eigener Wahl vornehmen, wie, vor einem Abgott niederzuknieen, einen Totschlag zu tun" usw.

    (Vgl. Conc. S. 162 ff. 359 ff. 401 ff; Müller S. 217 ff. 523 ff. 587 ff)

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    Der freie Wille ist das Vermögen, das Gute frei zu wählen und das Böse frei zu verwerfen. Fragt es sich nun, ob der Mensch einen freien Willen habe, so ist vor allem ins Auge zu fassen, daß der Wille des Menschen nach "vier ungleichen Ständen" betrachtet werden kann: 1. vor dem Fall, 2. nach dem Fall, 3. nach der Wiedergeburt, 4. nach der Auferstehung des Fleisches. (Conc. S. 359; Müller S. 523) Im 18. Artikel nun ist die Rede vom Willen des Menschen nach dem Falle und vor der Wiedergeburt. Es wird hier

    a. gezeigt, inwiefern der Mensch nach dem Falle einen freien Willen habe;

    b. gezeigt, inwiefern der Mensch nach dem Falle keinen freien Willen habe;

    c. ein Zeugnis Augustins für beides angeführt.

    Inwiefern der Mensch nach dem Falle einen freien Willen habe, zeigt der Artikel in den Worten: "Vom freien Willen wird gelehrt, daß der Mensch etlichermaßen einen freien Willen hat, äußerlich ehrbar zu leben und zu wählen unter den Dingen, so die Vernunft begreift." Auch der natürliche Mensch kann wohl ein äußerlich ehrbares Leben führen, wie wir ja denn sehen, daß selbst manche Heiden ihre Berufsobliegenheiten erfüllen, daß auch sonstige Unwiedergeborene dienstfertig gegen andere sind, ihnen helfen in der Not, sich vor groben äußeren Sünden hüten usw. Überhaupt kann der natürliche Mensch solche Dinge wählen und tun, "so die Vernunft begreift", wie Augustin (zu c.) solche Dinge anführt, wie: "auf dem Acker zu arbeiten oder nicht, zu essen, zu trinken, zu einem Freunde zu gehen oder nicht, ein Kleid an- oder auszutun, zu bauen, eine Frau zu nehmen, ein Handwerk zu treiben" usw. Aber selbst in solchen Dingen ist die Freiheit des Menschen nicht unbeschränkt, wie der Artikel dies hier mit dem Wort "etlichermaßen" anzeigt. Abgesehen von anderem, erweist sich die Beschränktheit der Freiheit des menschlichen Willens in äußerlichen Dingen teils darin, daß der größte Teil der Menschen in greulichen öffentlichen Sünden dahingeht, teils darin, daß auch solche Leute, die sonst wohl ein ehrbares Leben führen, oft gröblich in diese oder jene Sünde stürzen, während doch die Vernunft gar wohl begreift, daß solche Sünden nur Verderben bringen können. Überhaupt ist die Gerechtigkeit, die der unbekehrte Mensch etwa in äußeren Dingen hat, im Grunde gar nicht frei, sondern erzwungen. "Das nennt die heilige Schrift die Gerechtigkeit des Gesetzes oder Fleisches, welche die Vernunft etlichermaßen vermag ohne den Heiligen Geist." (Conc. S. 162; Müller S. 218) Eine "Gerechtigkeit des Gesetzes" ist es, weil der natürliche Mensch eigentlich nicht aus und nach eigenem Willen ehrbar lebt, sondern das Gesetz mit seinen Strafen usw. ihn dazu treibt. Was der Mensch aber so tut, ist ebensowenig Tat eines freien Willens, wie der ein Mörder vor weltlicher Obrigkeit ist, dessen Hand ein anderer ergreift, der nun mit derselben jemand erschlägt. Eine "Gerechtigkeit des Fleisches" aber ist die des natürlichen Menschen, weil Ehrsucht oder anderweites Suchen des Eigenen dabei die bewegende Ursache ist. Soweit die Rede sein kann von einer Freiheit des Willens bei dem natürlichen Menschen in äußerlichen Dingen und ehrbarem Leben, ist dieselbe also, wie gesagt, beschränkt, und zwar weil "die angeborne böse Lust so gewaltig ist, daß die Menschen öfter derselben folgen als der Vernunft; und der Teufel, welcher, wie Paulus sagt, kräftiglich wirket in den Gottlosen, reizt ohne Unterlaß die arme schwache Natur zu allen Sünden". (Conc. S. 162 f; Müller S. 218) - Wenn Augustinus (zu c.) sagt: "Allein in äußerlichen Dingen dieses Lebens haben sie Freiheit, Gutes oder Böses zu wählen", so setzt er hinzu: "Gutes, mein ich, das die Natur vermag." Es ist ja auch alle Kraft, die der Mensch noch von Natur hat, von Gott, und sie kann auch bei dem Unbekehrten wohl dem Nächsten zu Nutz gereichen. Wenn z.B. ein Christ von irgendeinem Ungläubigen eine Handreichung empfängt, so kommt diese dem Christen zugut und ist in so fern "gut"; aber das Werk, als von dem Ungläubigen getan, ist diesem vor Gott nicht gut, gilt nichts vor ihm. "Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung", Röm. 13,10. Zu allem Guten soll die Liebe treiben: die Liebe zu Gott und zum Guten. Gott sieht nicht zunächst auf das äußere Werk, sondern fordert vorallem die Liebe. Man frage einen wollüstigen Menschen: Weshalb lebst du nach den Lüsten deines Fleisches? willst du dadurch Ehre bei Gott oder Menschen, Freiheit von Verdammnis oder die Seligkeit oder Reichtum erlangen? so muß er wohl antworten: Nichts von dem allen, sondern ich tue es einzig und allein, weil es mir so wohlgefällt. So nun sollte es auch bei uns stehen in Betreff des Guten. Wir sollen es nicht tun, um etwa den Himmel zu verdienen oder um eines zeitlichen Vorteils willen, sondern weil uns das Gute herzlich wohlgefällt. So steht es aber bei keinem Menschen nach dem Falle. Nur Christus hat also aus reiner Liebe zu Gott, zu uns und zum Guten das Gesetz erfüllt. Darum nun aber auch, Gott sei Dank: "Wer erkennt, daß er (selbst) keine Gerechtigkeit hat, daß aber Christus für ihn alle Gerechtigkeit erfüllt hat, der ist gerecht", und: "Wer erkennt, daß er kein Gebot Gottes vollkommen gehalten, glaubt aber an JEsus Christus, der hat alle Gebote gehalten." Um Christi willen gefallen Gott nun auch die guten Werke der Wiedergeborenen, während alles, "was nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde", Röm. 14,23.

    Die Hauptfrage in Betreff des freien Willens ist hier nun aber: "was des unwidergeborenen Menschen Verstand und Wille in seiner Bekehrung und Wiedergeburt aus eigenen und nach dem Falle übriggebliebenen Kräften vermöge, wenn das Wort Gottes gepredigt und uns die Gnade Gottes angeboten wird; ob er sich zu solcher Gnade bereiten, dieselbe annehmen und das Jawort dazu sagen könnte?" (Conc. S. 401; Müller S. 588) Die Pelagianer und Rationalisten beantworten diese Frage ohne Weiteres mit einem Ja. Auch die semipelagianischen Papisten, die Ohioer [Ver. Ev.-Luth Synode von Ohio u.a. Staaten, einer der Vorläufer der ELCA; Anm. d. Hrsg.] und die Schwärmer schreiben dem Menschen die Kraft zu, wenigstens bei dem Anfang seiner Bekehrung etwas mitzuwirken, und die Iowaer [Ev.-Luth Synode von Iowa, von Löhe herkommend; auch einer der Vorläufer der ELCA; Anm. d. Hrsg.] lehren ebenfalls ausdrücklich, daß die letzte Entscheidung in der Bekehrung bei dem Menschen selbst stehe. Wir dagegen sprechen mit allen treuen Lutheranern dem natürlichen Menschen in geistlichen und göttlichen Dingen den freien Willen gänzlich ab, wie es denn in unserem Artikel heißt: "Ohne Gnade, Hilfe und Wirkung des Heiligen Geistes vermag der Mensch nicht Gott gefällig zu werden, Gott herzlich zu fürchten oder zu glauben oder die angeborne böse Lust aus dem Herzen zu werfen, sondern solches geschieht durch den Heiligen Geist, welcher durch Gottes Wort gegeben wird." Hierbei beruft sich der Artikel auf 1 Kor. 2,14: "Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit und kann es nicht erkennen." Kann nun der natürliche Mensch in geistlichen Dingen nicht einmal etwas vernehmen oder verstehen, so kann er noch viel weniger etwas Gott Wohlgefälliges aus eigenen Kräften wollen oder tun. Phil. 2,13: "Gott ist's, der in euch wirket beide, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen", und Joh. 15,5: "Ohne mich könnt ihr nichts tun." So heißt es auch 1 Mose 8,21: "Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf." Darum schreien denn auch alle gnadenhungrigen Seelen mit Jeremia, Kap. 31,18, zu Gott: "Bekehre du mich, so werde ich bekehret." Eph. 2,1 sagt von dem natürlichen Menschen, daß er tot sei durch Übertretungen und Sünden. So wenig nun ein leiblich Toter sich selbst beleben kann, ebensowenig kann ein geistlich Toter etwas zu seiner Bekehrung, zur Erlangung des geistlichen Lebens, tun. Deshalb bekennen wir denn auch in der Konkordienformel, "daß ... in geistlichen und göttlichen Sachen des unwiedergeborenen Menschen Verstand, Herz und Wille aus eignen natürlichen Kräften ganz und gar nichts verstehen, glauben, annehmen, gedenken, wollen, anfangen, verrichten, tun, wirken oder mitwirken könne; sondern sei ganz und gar erstorben und verdorben, also daß in des Menschen Natur, nach dem Falle, vor der Wiedergeburt, nicht ein Fünklein der geistlichen Kräfte übrig geblieben noch vorhanden" usw. (Conc. S. 402; Müller S. 589), und daß "der natürliche freie Wille, seiner verkehrten Art und Natur nach, allein zu demjenigen, das Gott mißfällig und zuwider ist, kräftig und tätig ist". (Conc. S. 402; Müller S. 589) Wenn nun also der Mensch zu seiner Bekehrung nichts beitragen kann, so ist's der Heilige Geist allein, der diese bewirkt, wie der Artikel sagt: "Solches geschieht durch den Heiligen Geist." Darauf fährt der Artikel fort: "welcher durch Gottes Wort gegeben wird". Das Wort ist das Mittel der Bekehrung. Ohne Gottes Wort könnten wir ja nicht einmal wissen, daß Gott uns selig machen will. Darum muß Gott immer erst zu uns kommen und "den ersten Stein legen", den Anfang machen. Hat Gott also den Anfang gemacht, so ist er es auch wieder, der in uns wirken muß, daß wir sein Wort annehmen: er muß uns zu sich ziehen. "Derhalben auch die heilige Schrift des unwiedergebornen Menschen Herz einem harten Stein, so dem, der ihn anrühret, nicht weichet, sondern widersteht, und einem ungehobelten Block und wildem, unbändigen Tier vergleichet" (Conc. S. 405; Müller S. 593), ja, er "hält sich auch in dem Falle ärger als ein Block, daß er Gottes Willen widerspenstig und feind ist, wo nicht der Heilige Geist in ihm kräftig ist". (Conc. S. 406; Müller S. 594)

    Die Konkordienformel (Conc. S. 414; Müller S. 607) verwirft auch bei Darlegung der Lehre vom freien Willen den jetzt besonders von den Methodisten gelehrten greulichen Irrtum, "daß der Mensch könne nach der Wiedergeburt das Gesetz Gottes in diesem Leben gänzlich erfüllen und durch die Erfüllung des Gesetzes vor Gott gerecht sein und das ewige Leben verdienen". Selbst die heiligen Apostel mußten ja bekennen: "So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns", 1 Joh. 1,8. Wer, wie eben gar viele Methodisten, sich wirklich eines vollkommen heiligen Lebens rühmt, steht offenbar nicht mehr in der Buße, braucht seiner Meinung nach keinen Heiland und Erlöser mehr, ist kein Gläubiger, kein Kind Gottes, sondern ein Teufelskind, bei allem Schein der Heiligkeit.

    Falls die Frage wäre, wie sie es ja freilich bei dem 18. Artikel nicht ist, ob und inwiefern ein Wiedergeborener zum Guten mitwirken könne, so lautet die Antwort: "Alsbald der Heilige Geist ... durchs Wort und heilige Sakrament solch sein Werk der Wiedergeburt und Erneuerung in uns angefangen hat, so ist es gewiß, daß wir durch die Kraft des Heiligen Geistes mitwirken können und sollen, wiewohl noch in großer Schwachheit, wie St. Paulus 2 Kor. 6,1 ausdrücklich und ernstlich ermahnt, daß wir, als Mithelfer, die Gnade Gottes nicht vergeblich emfangen." (Conc. S. 412; Müüller S. 604) In großer Schwachheit geht das aber, weil jeder Christ mit St. Paulus sprechen muß: "Ich sehe ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern", Röm. 7,23.

Artikel 19.

Von Ursach der Sünde

    Von Ursach der Sünde wird bei uns gelehrt, daß, wiewohl Gott der Allmächtige die ganze Natur geschaffen hat und erhält, so wirkt doch der verkehrte Wille die Sünde in allen Bösen und Verächtern Gottes; wie denn des Teufels Wille ist und aller Gottlosen, welcher alsbald, so Gott die Hand abgetan, sich von Gott zum Argen gewandt hat, wie Christus spricht Joh. 8,44: "Der Teufel redet Lügen aus seinem Eigenen."

    (Vgl. Conc. 163 f. 370 ff. 477 ff. 520; Müller S. 219 f. 553 ff. 704 ff. 781)

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    Der Inhalt dieses Artikels ist kurz folgender:

      Die Ursache der Sünde ist

        1. nicht Gott, sondern

        2. der verkehrte Wille:

           a. des Teufels,

           b. aller Menschen.

    Zu 1. Es folgt der Artikel von der Ursache der Sünde deshalb auf den vom freien Willen, weil man leicht auf den gotteslästerlichen Gedanken kommen kann, ob nicht etwa die Unfreiheit des menschlichen Willens und seine Untüchtigkeit in göttlichen und geistlichen Dingen, wie sie der 18. Artikel bezeugt, daher komme, daß Gott den Menschen also erschaffen habe. Wäre dies nun aber so, so wäre ja Gott die Ursache sowohl der Sünde als auch der auf diese gehörenden und folgenden Verdammnis. Um diesem greulichen Irrtum vorzubeugen, wird nun hier gesagt, "daß, wiewohl Gott der Allmächtige die ganze Natur geschaffen hat und erhält, so wirket doch der verkehrte Wille die Sünde" usw. Wenn es hier heißt, daß Gott die ganze Natur geschaffen habe und erhalte, so soll damit nicht sowohl Gott als Schöpfer bekannt, als vielmehr, wie das aus den Worten "wiewohl" und "so" und aus der authentischen Erklärung durch die Apologie hervorgeht, bezeugt werden, daß Gott "nicht eine Ursache der Sünde" sei. Es ist hier also der Gegensatz von Natur und Sünde zu betonen. Die Natur hat ihren Ursprung von Gott, deshalb ist sie an sich gut und heilig; die Sünde aber ist etwas Hinzugekommenes, das nicht zum Wesen der Natur gehört. (s. Art. 2.) Sowenig der Schimmel, der sich an das Brot setzt und es ganz verdirbt, zum Brot gehört, so wenig gehört die Sünde zur Natur des Menschen. Von dem heiligen Gott kann ja keine Sünde kommen. Von ihm heißt es Ps. 5,5: "Du bist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefällt." Darum auch: "Niemand sage, wenn er versucht wird, daß er von Gott versucht werde. Denn Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen; er versuchet niemand", Jak. 1,13.

    Zu 2. Während die Seligkeit, wie im 18. Artikel gezeigt worden ist, allein von Gott kommt, kommt die Verdammnis zunächst von dem, der die Sünde in die Welt eingeführt hat: vom Teufel. Hierfür beruft sich der Artikel auf Christi Wort Joh. 8,44: "Derselbige" - nämlich der Teufel - "ist ein Mörder von Anfang. ... Wenn er die Lügen redet, so redet er von seinem Eigenen." So heißt es auch 1 Joh. 3,8: "Wer Sünde tut, der ist vom Teufel; denn der Teufel sündiget von Anfang." - Die zweite Ursache der Sünde ist des Menschen verkehrter Wille, wie der "aller Gottlosen". Hos 13,9 sagt Gott: "Israel, du bringest dich in Unglück; denn dein Heil stehet allein bei mir", während die Vernunft es gerne geradezu umkehren möchte.    

    Hier ist besonders auch ins Auge zu fassen die scheußliche Lehre der Calvinisten von der Gnadenwahl (Prädestinationslehre). Nach derselben soll Gott von Ewigkeit her den größten Teil der Menschen unbedingt zur Verdammnis bestimmt und erwählt haben. Aus diesem Lehrsatz folgt mit Notwendigkeit, daß Gott die von ihm zur Verdammnis angeblich erwählten und verordneten Menschen auch zur Ursache der Verdammnis, das ist, zur Sünde, erwählt, verordnet und geschaffen habe. Zwar übergehen einige der reformierten Bekenntnisse diese Schlußfolgerung ganz, ja, einige derselben lehnen sie sogar entschieden ab; indessen desto bestimmter wird sie gezogen und ausgesprochen von den reformierten Dogmatikern, mit Zwingli und Calvin an der Spitze. (s. "Populäre Symbolik" von Günther, § 26.) Welche Gotteslästerung! - Der schreckliche Irrtum von der Erwählung zur Verdammnis wird auch besonders von den älteren reformierten Dogmatikern so scharf betont, daß sie wohl sagen, wenn ein Mensch auch von Kindheit auf ein gottseliges Leben geführt habe und sein letztes Wort ein Seufzer zu Gott um Gnade um Christi willen wäre, so müßte noch im letzten Augenblick der Glaube erlöschen und der Mensch verdammt werden, falls er zu den zur Verdammnis Erwählten gehöre, während dagegen ein zur Seligkeit Erwählter nicht allein sein ganzes verflossenes Leben in allen Sündengreueln zugebracht haben möge, sondern auch sein letztes Wort ein Fluch oder eine Gotteslästerung sein könne: Gott gebe ihm dann noch im letzten Momente den Glauben und er werde selig. Freilich widersprechen sich hierbei die Calvinisten selbst, wenn sie, wie es von vielen geschieht, doch auch wieder behaupten, daß ein wirklich gläubiger, bekehrter Christ nie mehr abfallen könne. Nicht auszusagen ist es, welch entsetzlichen Schaden die calvinistische Gnadenwahlslehre schon angerichtet hat: wie viele schon wahnsinnig darüber geworden sind, wie viele sich in der Verzweiflung wegen derselben selbst das Leben genommen haben, wie viele sie schon in die Hölle gestürzt hat. Damit wir nun vor diesem greulichen Irrtum bewahrt bleiben, müssen wir den Unterschied wohl merken und festhalten zwischen der "Vorsehung" (hier = Vorhersehung) Gottes und der Gnadenwahl. Nach der Vorsehung weiß Gott alle Dinge von Ewigkeit her zuvor, also auch wer selig und wer verdammt wird; in Betreff der Wahl aber gibt es nach der Schrift nur Eine, die auch wirklich eine Gnadenwahl ist: die Wahl zur Seligkeit, und zwar um Christi willen, derer, die an Christus glauben und bis ans Ende im Glauben verharren [nicht, als ob Gott in Ansehung des Glaubens und/oder Beharrens erwählt habe, sondern gemeint ist nur, daß die Personen, die dann in der Zeit glauben und beharren, dies allein darum tun, weil Gott sie dazu in Christus von Ewigkeit her erwählt hat; Anm. d. Hrsg.]. Unsere Seligkeit steht allerdings allein in Gottes Wahl, die von Ewigkeit getroffen ist, wie es z.B. Röm. 9,16 heißt: "So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern Gottes Erbarmen" und Eph. 1,4: "Wie er uns denn erwählet hat durch denselbigen (Christus), ehe der Welt Grund gelegt war." Christus ist das Buch des Lebens; wer in dem geschrieben steht, der ist ein seliges Kind Gottes. In diesem Buche des Lebens sind aber alle, die an ihn glauben. "Von diesem (Christus) zeugen alle Propheten, daß durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen", Apost. 10,43. "Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben", Joh. 3,16. "Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig", Matth. 24,13. - Von einer Wahl zur Verdammnis reden, ist ebenso widersinnig wie gotteslästerlich, da alle Menschen ja schon von Natur nach der Erbsünde unter dem Urteil der Verdammnis sind. Daß aber die meisten Menschen unter demselben bleiben, ist ihre eigene Schuld: "Israel, du bringest dich in Unglück, Hos. 13,9. Gott ruft alle Menschen zur Buße und will sie selig machen. "So wahr als ich lebe, spricht der HErr HErr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe", Hes. 33,11. "Der HErr ... will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß sich jedermann zur Buße kehre", 2 Petr. 3,9. - Die Gewißheit, zur Seligkeit erwählt zu sein, ist Sache des Glaubens, vom Heiligen Geiste im Herzen gewirkt.  Sie macht den Gläubigen keineswegs sicher, da er weiß, daß nur selig wird, wer bis ans Ende im Glauben beharrt. Die Glaubensfreudigkeit, daß ich erwählt bin, gründet sich auf Gottes Treue, daß er mich, dem er den HErrn Christus geschenkt, dem er sein Wort gegeben, in dem er den wahren Glauben gewirkt hat, dem er diesen Glauben auch im Herzen versiegelt, nicht wird versuchen lassen über mein Vermögen, sondern machen, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß ich es könne ertragen, 1 Kor. 10,13. Christus spricht von seinen Schafen: "Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen", Joh. 10,28. O was sind wir Christen für selige Leute, und wie können und sollen wir doch alles in der Welt für Kot halten gegen die überschwengliche Klarheit und Herrlichkeit in Christus, unserem HErrn! - Wer aber noch zweifelt, ob er erwählt sei, der soll ja nicht forschen wollen in dem heimlichen, verborgenen Willen Gottes, sondern in dem geoffenbarten Willen und nur darauf sehen, daß er in Christus erfunden werde und bleibe." (Es mag wohl auffallen, daß die Lehre von der Gnadenwahl, nachdem über dieselbe ein so heftiger Streit entbrannt ist, hier nicht eingehender nach Artikel 11 der Konkordienformel darglegt worden ist. Das Obige habe ich aber, lange ehe der Streit ausbrach, schon 1864 meinen Schülern diktiert, wie ich denn auch seit Entstehung der Synode von Missouri, Ohio u.a. Staaten (1847) und vorher nie eine gegenteilige Lehre auf Kanzel oder Katheder geführt habe. Des zu einem Zeugnis möge hier die frühere Darstellung unverändert stehen bleiben. Daß bei der mündlichen Behandlung, wie jeder andere Lehrartikel, so auch dieser, und dieser jetzt bestimmter und eingehender als früher, weiter ausgeführt wird, versteht sich von selbst. [Anm. d. Verf.])

Artikel 20.

Vom Glauben und guten Werken

    Den Unsern wird mit Unwahrheit aufgelegt, daß sie gute Werke verbieten; denn ihre Schriften von (den) zehn Geboten und andere beweisen, daß sie von rechten christlichen Ständen und Werken guten nützlichen Bericht und Ermahnung getan haben, davon man vor dieser Zeit wenig gelehrt hat, sondern allermeist in allen Predigten auf kindische unnötige Werke, wie Rosenkränze, Heiligendienst, Mönchewerden, Wallfahrten, gesetzte Fasten, Feier, Brüderschaften usw. getrieben. Solche unnötigen Werke rühmet auch unser Widerpart nun nicht mehr so hoch wie vor Zeiten; dazu haben sie auch gelernet, nun vom Glauben zu reden, davon sie doch in Vorzeiten gar nichts gepredigt haben; lehren dennoch nun, daß wir nicht allein aus Werken gerecht werden vor Gott, sondern setzen den Glauben an Christus dazu, sprechen: Glaube und Werke machen uns gerecht vor Gott; welche Rede mehr Trosts bringen möge, denn so man allein lehrt, auf Werke zu vertrauen.

    Dieweil nun die Lehre vom Glauben, die das Hauptstück ist in christlichem Wesen, so lange Zeit, wie man bekennen muß, nicht getrieben worden, sondern allein Werklehre an allen Orten gepredigt, ist davon durch die Unsern solcher Unterricht geschehen:

    Erstlich, daß uns unsere Werke nicht mögen mit Gott versöhnen und Gnade erwerben, sondern solches geschieht allein durch den Glauben, so man glaubt, daß uns um Christus' willen die Sünden vergeben werden, welcher allein der Mittler ist, den Vater zu versöhnen. (1 Tim. 2,5) Wer nun vermeinet, solches durch Werke auszurichten und Gnade zu verdienen, der verachtet Christus und sucht einen eigenen Weg zu Gott, wider das Evangelium.

    Diese Lehre vom Glauben ist öffentlich und klar bei Paulus an vielen Orten behandelt, besonders an die Epheser in 2,8: "Aus Gnaden seid ihr selig worden durch den Glauben, und dasselbige nicht aus euch, sondern es ist Gottes Gabe, nicht aus Werken, damit sich niemand rühme" usw.

    Und daß hierin kein neuer Verstand eingeführt sei, kann man aus Augustinus beweisen, der diese Sache fleißig behandelt und auch (al)so lehret, daß wir durch den Glauben an Christus Gnade erlangen und vor Gott gerecht werden und nicht durch Werke, wie sein ganzes Buch de spiritu et litera ausweiset.               

    Wiewohl nun diese Lehre bei unversuchten Leuten sehr verachtet wird, so findet sich doch, daß sie den blöden und erschrockenen Gewissen sehr tröstlich und heilsam ist; denn das Gewissen, kann nicht zu Ruhe und Friede kommen durch Werke, sondern allein durch Glauben, so es bei sich gewißlich schließt, daß es um Christus' willen einen gnädigen Gott habe; wie auch Paulus spricht Röm. 5,1: "So wir durch den Glauben sind gerecht worden, haben wir Ruhe und Friede mit Gott."

    Diesen Trost hat man vor Zeiten nicht getrieben in Predigten, sondern die armen Gewissen auf eigene Werke getrieben; und sind mancherlei Werke vorgenommen; denn etliche hat das Gewissen in die Klöster gejagt, der Hoffnung, daselbst Gnade zu erwerben durch Klosterleben; etliche haben andere Werke erdacht, damit Gnade zu verdienen und für die Sünden genug zu tun. Derselbigen viele haben erfahren, daß man dadurch nicht ist zu Frieden kommen. Darum ist not gewesen, diese Lehre vom Glauben an Christus zu predigen und fleißig zu treiben, daß man wisse, daß man allein durch den Glauben, ohne Verdienst, Gottes Gnade ergreifet.

    Es geschieht auch Unterricht, daß man hier nicht von solchem Glauben redet, den auch die Teufel und Gottlosen haben, die auch die Historien glauben, daß Christus gelitten habe und auferstanden sei von Toten, sondern man redet von wahrem Glauben, der da glaubet, daß wir durch Christus Gnade und Vergebung der Sünden erlangen, und der nun weiß, daß er einen gnädigen Gott durch Christus hat, kennet also Gott, rufet ihn an und ist nicht ohne Gott wie die Heiden. Denn der Teufel und Gottlose glauben diesen Artikel, Vergebung der Sünden, nicht; darum sind sie Gott feind, können ihn nicht anrufen, nichts Gutes von ihm hoffen. Und also, wie jetzt angezeigt ist, redet die Schrift vom Glauben und heißet nicht Glauben ein solches Wissen, das Teufel und gottlose Menschen haben; denn also wird vom Glauben gelehret zu den Hebräern im 11., daß glauben sei nicht allein die Historien wissen, sondern Zuversicht haben zu Gott, seine Zusage zu empfangen. Und Augustinus erinnert uns auch, daß wir das Wort "Glaube" in der Schrift verstehen sollen, daß es heiße Zuversicht zu Gott, daß er uns gnädig sei, und heiße nicht allein solche Historien wissen, wie auch die Teufel wissen.

    Ferner wird gelehrt, daß gute Werke sollen und müssen geschehen, nicht daß man darauf vertraue, Gnade damit zu verdienen, sondern um Gottes willen und Gott zu Lob. Der Glaube ergreift allezeit allein Gnade und Vergebung der Sünden. Und dieweil durch den Glauben der Heilige Geist gegeben wird, so wird auch das Herz geschickt, gute Werke zu tun. Denn zuvor, dieweil es ohne den Heiligen Geist ist, so ist es zu schwach; dazu ist es ins Teufels Gewalt, der die arme menschliche Natur zu viel Sünden treibt; wie wir sehen in den Philosophen, welche sich unterstanden, ehrlich und unsträflich zu leben, haben aber dennoch solches nicht ausgerichtet, sondern sind in viel große öffentliche Sünden gefallen. Also gehet es mit dem Menschen, so er außer dem rechten Glauben ohne den Heiligen Geist ist und sich allein durch eigene menschliche Kräfte regiert.

    Derhalben ist die Lehre vom Glauben nicht zu schelten, daß sie gute Werke verbiete, sondern vielmehr zu rühmen, daß sie lehre, gute Werke zu tun und Hilfe anbiete, wie man zu guten Werken kommen möge. Denn außer dem Glauben und außerhalb Christi ist menschliche Natur und Vermögen viel zu schwach, gute Werke zu tun, Gott anzurufen, Geduld zu haben im Leiden, den Nächsten zu lieben, befohlene Ämter fleißig auszurichten, gehorsam zu sein, böse Lüste zu meiden. Solche hohe und rechte Werke mögen nicht gschehen ohne die Hilfe Christi; wie er selbst spricht Joh. 15,5: "Ohne mich könnt ihr nichts tun" usw.

    (Vgl. Conc. S. 164 ff; Müller S. 220 ff)

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    Dieser Artikel zerfällt in drei Hauptteile. Diese sind:

      I. die Einleitung, worin angegeben wird:

         a. die Veranlassung zur Abfassung dieses Artikels;

         b. der Nutzen, den unsere betreffende Lehre den Widersachern gebracht hat:

            1. sie rühmen ihre unnötigen Werke nicht mehr so hoch wie vor Zeiten;

            2. sie haben nun auch vom Glauben reden gelernt; 

      II. die Abhandlung. Sie enthält folgende Punkte:

          a. Gott versöhnen und Gnade erwerben fließt nicht aus unsern Werken, sondern allein aus dem Glauben;

          b. die Notwendigkeit unserer Lehre vom Glauben;

          c. die Beschaffenheit des wahren Glaubens;

          d. die Notwendigkeit der Werke;

      III. der Schluß: unsere Lehre vom Glauben ist nicht zu schelten, sondern zu rühmen.

    Zu I.a. Die Veranlassung zur Abfassung dieses Artikels gibt er an mit den Worten: "Den Unsern wird mit Unrecht aufgelegt, daß sie gute Werke verbieten." Es ist dies dasselbe Geschrei, welches die Papisten noch fort und fort wider uns anstimmen. Weil wir lehren, daß der Glaube allein gerecht mache und daß auch der größte Sünder selig werden kann und gewiß selig wird, wenn er Christus im Glauben ergreift, so sagen die blinden Papisten: Die Lutheraner halten gar nichts von guten Werken. In dasselbe Geschrei stimmen Schwärmer und offenbare Weltmenschen ein. So bestätigt sich auch hier, und hier ganz besondersn, Luthers Ausspruch, daß alle Feinde des reinen Wortes seien wie Simsons an den Schwänzen zusammengebundene Füchse. - Um die falsche Beschuldigung der Papisten usw. abzuweisen, verweist unser Artikel zunächst auf die Schriften der Unsern: "denn ihre Schriften von (den) zehn Geboten und andere beweisen, daß sie von rechten christlichen Ständen und Werken guten nützlichen Bericht und Ermahnung getan haben" usw. Mögen wir aber nun schon über dreihundert Jahre unseren Gegnern gesagt haben: Steckt doch eure Nasen in unsere Bücher uns seht, was wir lehren, ja, schaut in unsere geförderten Gemeinden, wie da auch Zucht geübt wird: - sie wollen nicht sehen und fahren fort, fahren mutwillens fort in ihrem Geschrei wider uns. Gerade bei uns wird von den wahrhaft guten Werken gelehrt, während von den Gegnern "allermeist in allen Predigten auf kindische, unnötige Werke ... getrieben wird". Nicht allein vor und zu Luthers Zeiten wurde von den Papisten gar wenig gelehrt von solchen Werken, die Gott geboten hat, desto mehr aber von elenden Menschensatzungen, sondern so steht es bei ihnen und anderen unserer Gegner vielfach, wenn auch nicht ganz in gleichem Maße, jetzt noch.

    Zu I. b. Unsere Lehre hat den Widersachern selbst Nutzen gebracht; denn 1.: "Solche unnötige Werke rühmet auch unser Widerpart nun nicht mehr so hoch wie vor Zeiten", so daß daneben doch jetzt auch etwas von den zehn Geboten Gottes gelehrt wird, was früher nur mehr ausnahmsweise geschah; und 2. "dazu haben sie auch gelernet, nun vom Glauben zu reden, davon sie doch in Vorzeiten gar nichts gepredigt haben; lehren dennoch nun, daß wir nicht allein aus Werken gerecht werden vor Gott, sondern setzen den Glauben an Christus dazu, sprechen: Glaube und Werke mache uns gerecht vor Gott". Dies ist ja freilich immer noch die schändlichste Verleugnung Christi. Wenn aber unsere Väter in dieser Lehre etwas Besseres sehen als in den früheren der Papisten, so hat dies seinen Grund darin, daß es jetzt doch einem armen Sünder in der römischen Kirche eher möglich ist, selig zu werden, sofern, wenn er nun an allen seinen eigenen Werken verzweifeln muß, er doch wenigstens gehört hat vom Glauben, und deshalb nun der Heilige Geist Raum gewinnen mag, daß ein solcher Sünder, wenn auch vielleicht erst auf seinem Sterbebette, sich ganz seinem Heilande zuwende und so selig werde. Darum heißt es hier von der betreffenden papistischen Lehre: "welche Rede mehr Trostes bringen möge, denn so man allein lehrt, auf Werke zu vertrauen".

    Zu II. a. Hier wird wieder zunächst bezeugt, "daß uns unsere Werke nicht mögen mit Gott versöhnen und Gnade erwerben, sondern solches geschieht allein durch den Glauben" usw. "Wer nun vermeinet, solches durch Werke auszurichten und Gnade zu verdienen, der verachtet Christus und sucht einen eigenen Weg zu Gott, wider das Evangelium"; denn es bleibt bei Christi Wort, das er Joh. 14,6 von sich sagt: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, denn durch mich." - Als Schriftbeweis dafür, daß Gott versöhnen und Gnade erwerben allein aus dem Glauben fließt, bringt der Artikel Eph. 2,8.9: "Aus Gnaden seid ihr selig worden durch den Glauben; und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf daß sich nicht jemand rühme", und beruft sich dafür dann auch noch auf Augustin.

    Zu II. b. Die Notwendigkeit unserer Lehre vom Glauben führt uns der Artikel vor Augen mit den Worten: "Wiewohl nun diese Lehre bei unversuchten Leuten sehr verachtet wird, so befindet sich doch, daß sie den blöden und erschrockenen Gewissen sehr tröstlich und heilsam ist: denn das Gewissen kann nicht zu Ruhe und Friede kommen durch Werke, sondern allein durch den Glauben, so es bei sich gewiß schließt, daß es um Christus' willen einen gnädigen Gott habe." Beweis: Röm. 5,1: "Nun wir denn sind gerecht worden durch den Glauben, so haben wir Friede mit Gott durch unsern HErrn JEsum Christ" - und die Erfahrung der armen Gewissen im Papsttum, die man auf eigene Werke getrieben und die dadurch nicht zum Frieden gekommen sind.

    Zu II. c. Die Beschaffenheit des wahren Glaubens. Unsere Widersacher, die Papisten, sagen, der Glaube, den Gottes Wort fordere, sei nur der historische Glaube. Dagegen sagen nun unsere Väter hier: "Es geschieht auch Unterricht, daß man hier nicht von solchem Glauben redet, den auch die Teufel und Gottlosen haben, die auch die Historien glauben, daß Christus gelitten habe und auferstanden sei von den Toten; sondern man redet von wahrem Glauben, der da glaubet, daß wir durch Christus Gnade und Vergebung der Sünde erlangen, und der nun weiß, daß er einen gnädigen Gott durch Christus hat" usw. Schriftbeweis: Hebr. 11,1: "Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, das man nicht siehet", und Berufung auf Augustin, "der uns auch erinnert, daß wir das Wort 'Glauben' in der Schrift verstehen sollen, daß es heiße Zuversicht zu Gott, daß er uns gnädig sei, und nicht heiße allein solche Historien wissen, wie auch die Teufel wissen".

    zu II. d. Die Notwendigkeit der guten Werke. Davon sagt unser Artikel, "daß gute Werke sollen und müssen geschehen, nicht daß man darauf vertraue, Gnade damit zu verdienen, sondern um Gottes willen und Gott zu Lobe". (siehe Art. 6.) "Der Glaube ergreift allezeit allein Gnade und Vergebung der Sünden." Gott fordert die Werke in seinem Gesetz. Wir unterscheiden nun einen dreifachen Gebrauch des Gesetzes: 1. Es ist ein Riegel für die Unwiedergeborenen, weil sie durch dasselbe äußerlich etlichermaßen im Zaum gehalten werden, indem sie sich fürchten vor der strafenden Gewalt der Obrigkeit usw. und vor der Hölle. 2. Das Gesetz soll den Menschen zum Spiegel dienen, indem sie daraus sich in ihrem Sündenelende erkennen lernen, ohne welche Erkentnnis sie ja nimmermehr Christus im Evangelium ergreifen können. "Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde" Röm. 3,20. Dies ist nach dem Sündenfall der rechte Hauptzweck des Gesetzes, also ein Zuchtmeister bis auf Christus zu sein, Gal. 3,24. 3. Das Gesetz ist aber auch eine Regel für die Wiedergeborenen, daß sie nach demselben, als ihrer Richtschnur, ihr Leben anstellen zu Lob und Preis ihres gnädigen Gottes. Mit diesem letzterwähnten Brauch des heiligen Gesetzes Gottes haben wir es hier zu tun. Die Wiedergeborenen sind nicht mehr unter dem Gesetz, Gal. 5,18, das heißt, sie sind frei von seinem Zwang und Fluch; aber sie leben im Gesetz, das heißt, sie richten  nach all ihrem Vermögen ihr Leben nach dem ewigen, unabänderlichen Willen Gottes, wie er im Gesetz ausgesprochen ist, aus Liebe zu ihm und ihm zu Ehren. Das Vermögen, gute Werke tun zu können, haben wir aber auch allein durch den Glauben. "Dieweil durch den Glauben der Heilige Geist gegeben wird, so wird auch das Herz geschickt, gute Werke zu tun." Daß das Herz "zuvor, dieweil es ohne den Heiligen Geist ist", zu schwach zu guten Werken sei, zeigt sich bei den Philosophen und bei allen Menschen, "so außer dem rechten Glauben ohne den Heiligen Geist" sind, die in viele große öffentliche Sünden gefallen sind.

    Zu III. Schluß. Dieser kehrt wieder zurück zum Ausgangspunkt des Artikels und hebt hervor, daß unsere "Lehre vom Glauben nicht zu schelten" sei, "daß sie gute Werke verbiete, sondern vielmehr zu rühmen, daß sie (1.) lehre, gute Werke zu tun, und (2.) Hilfe anbiete, wie man zu guten Werken kommen möge". In letzterer Beziehung sollen wir wohl beherzigen Christi Wort Joh. 15,5: "Ohne mich könnt ihr nichts tun." - Dieweil nun Gott uns Lutheraner vor allen anderen Christen durch die reine Lehre gesegnet hat, so sollten wir auch billig die Eifrigsten sein, ihn durch gute Werke, ja, durch unser ganzes Leben zu loben und zu preisen, und uns zweifach vor Sünden hüten, eingedenk des Wortes: "Welchem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und welchem viel befohlen ist, von dem wird man viel fordern", Luk. 12,48.

Artikel 21.

Vom Dienst der Heiligen.

    Vom Heiligendienst wird von den Unsern also gelehrt, daß man der Heiligen gedenken soll, auf daß wir unsern Glauben stärken, so wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren, auch wie ihnen durch Glauben geholfen ist; dazu, daß man Exempel nehme von ihren guten Werken, ein jeder nach seinem Beruf, gleichwie die kais. Majestät seliglich und göttlich dem Exempel Davids folgen mag, Kriege wider den Türken zu führen; denn beide sind sie in königlichem Amt, welches Schutz und Schirm ihrer Untertanen fordert. Durch Schrift aber mag man nicht beweisen, daß man die Heiligen anrufen oder Hilfe bei ihnen suchen soll; denn es ist allein ein einiger Versöhner und Mittler gesetzt zwischen Gott und den Menschen, JEsus Christus, 1 Tim. 2,5, welcher ist der einige Heiland, der einige oberste Priester, Gnadenstuhl und Fürsprecher vor Gott, Röm. 8,34. Und er hat allein zugesagt, daß er unser Gebet erhören wolle. Das ist auch der höchste Gottesdienst nach der Schrift, daß man denselbigen JEsus Christus in allen Nöten und Anliegen von Herzen suche und anrufe. 1 Joh. 2,1: "So jemand sündigt, haben wir einen Fürsprecher bei Gott, der gerecht ist, Jesus."

    Dies ist fast die Summe der Lehre, welche in unseren Kirchen zu rechtem christlichem Unterricht und Trost der Gewissen, auch zu Besserung der Gläubigen gepredigt und gelehrt ist; wie wir denn unsere eigene Seele und Gewissen je nicht gerne wollten vor Gott mit Mißbrauch göttliches Namens oder Worts in die höchste Gefahr setzen oder auf unsere Kinder und Nachkommen eine andere Lehre als die dem reinen göttlichen Wort und christlicher Wahrheit gemäß, fällen oder erben. So denn dieselbige in heiliger Schrift klar gegründet und dazu auch gemeiner christlicher, ja, römischer Kirche, so viel aus der Väter Schriften zu vermerken, nicht zuwider noch entgegen ist: so achten wir auch, unsere Widersacher können in obangezeigten Artikeln nicht uneinig mit uns sein. Derhalben handeln diejenigen ganz unfreundlich, geschwind und wider alle christliche Einigkeit und Liebe, so die Unsern derhalben als Ketzer absondern, zu verwerfen und zu meiden ihnen selbst ohne einigen beständigen Grund göttlicher Gebote oder Schrift vornehmen. Denn die Irrung und Zank ist vornehmlich über etliche Traditionen und Mißbräuche. So denn nun an den Hauptartikeln kein befindlicher Ungrund oder Mangel, und dies unser Bekenntnis göttlich und christlich ist, sollten sich billig die Bischöfe, wenn schon bei uns der Tradition halben ein Mangel wäre, gelinder erzeigen; wiewohl wir hoffen, beständigen Grund und Ursachen darzutun, warum bei uns etliche Traditionen und Mißbräuche geändert sind.

    (Vgl. Conc. S. 166 ff; Müller S. 223 ff)

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    In diesem Artikel sind besonders zwei Stücke ins Auge zu fassen:

      1. wie die Heiligen recht zu gebrauchen sind:

         a. unsern Glauben an ihnen zu stärken und

         b. als Exempel guter Werke;

      2. der Mißbrauch, der mit ihnen durch deren Anrufung getrieben wird.

    Zu 1. a. Recht gebrauchen wir die Heiligen zunächst, wenn wir ihrer gedenken, "auf daß wir unsern Glauben stärken, so wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren, auch wie ihnen durch Glauben geholfen ist". Dies ist der rechte Hauptzweck, dazu wir die Heiligen gebrauchen sollen; dazu vornehmlich sind uns in heiliger Schrift die Geschichten von Abraham, David usw. aufgezeichnet worden. Wenn wir da hören, wie sie aus Sünden und allerlei Not und Anfechtung von Gott errettet wurden, indem sie im Glauben seines Wortes treulich sich zu ihm hielten, so gibt uns das auch in unseren Anfechtungen neuen Mut und frische Kraft, die Flügel unseres Glaubens zu schwingen und uns immer wieder an unseres treuen Gottes Herz zu legen. Zu solchem rechten Gebrauch der Heiligen ermahnt uns ja ausdrücklich Hebr. 13,7: "Gedenket an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schauet an, und folget ihrem Glauben nach." An den lieben Heiligen der heiligen Schrift zeigt Gott uns eben deshalb, wie wunderlich und seliglich er die Seinen führt, um uns zugleich zu zeigen, daß, falls wir ihrem Glauben nachfolgen, er auch all unseres Elendes ein fröhliches und seliges Ende machen werde.  

    Zu 1. b. "Dazu", das ist, überdem, soll man auch der Heiligen gedenken, "daß man Exempel nehme von ihren Werken". Wie sie uns so im Allgemeinen in allen Lagen des Lebens dienen mögen, so kann der Christ auch wohl seinen sonderlichen Berufswerken nach sich einen einzelnen Heiligen als besonderes Vorbild wählen. So wird z.B. der Kaiser in unserem Artikel aufgefordert, "seliglich und göttlich dem Exempel Davids" zu folgen, besonders was das Kriegführen zum Schutz und Schirm der Untertanen betrifft. Dagegen möchte sich ein Lehrer göttlichen Worts wohl den Apostel Paulus, ein Schüler irgendeiner unserer kirchlichen Anstalten den jungen Daniel zu seinem Vorbilde erwählen usw.

    Zu 2. Während man beim rechten Dienst der Heiligen sich also diese dienen läßt, ist es ein schändlicher Mißbrauch der verstorbenen Heiligen, so man ihnen Dienst tun will, besonders durch deren Anbetung. Diesen Mißbrauch treiben nun aber die Papisten; ja, sie verehren gar die vermeintlichen oder wirklichen Reliquien (Überbleibsel) nicht allein wahrer Heiliger, sondern auch fälschlich so genannter Menschen, von denen viele sich wohl in allen Sünden gewälzt haben und die nichts weniger als gläubige Kinder Gottes gewesen sind. Das sind heidnische Greuel und "im Grunde von den Heiden herkommen". (Apol., Conc. S. 170; Müller S. 228) Ein Gebet zu den Heiligen ist ja gar kein wirkliches Gebet. "Durch Schrift ... mag man nicht beweisen, daß man die Heiligen anrufen oder Hilfe bei ihnen suchen soll." Ohne Wort Gottes kein rechter, sondern eitel falscher Glaube, und "ein Gebet ohne Glauben ist nicht ein Gebet". (Apol., Conc. S. 167; Müller S. 224) Darum aber besonders fechten wir das Anrufen der Heiligen an, "damit Christus allein der Mittler bleibe". (Apol., Conc. S. 172; Müller S. 230) "Denn es ist allein ein einiger Versöhner und Mittler gesetzt zwischen Gott und den Menschen, JEsus Christus", 1 Tim. 2,5 usw. "Und er hat allein zugesagt, daß er unser Gebet erhören wolle." So sagt er Matth. 11,28: "Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken"; er sagt nicht: Kommt zu den Heiligen. (Apol., Conc. S. 169; Müller S. 226) Die tollen Papisten aber "erdichten sich selbst einen Wahn, als sei Christus ein strenger Richter und die Heiligen gnädige, gütige Mittler" (Apol., Conc. S. 168; Müller S. 225), und (al)so "geben sie die Ehre, so Christus allein gebühret, den Heiligen" (ebendaselbst). Das ist ja eben "der höchste Gottesdienst nach der Schrift, daß man denselbigen JEsus Christus in allen Nöten und Anliegen von Herzen suche und anrufe, 1 Joh. 2,1: 'So jemand sündiget, haben wir einen Fürsprecher bei Gott, der gerecht ist, JEsus.'"

Schluß der Lehrartikel Augsburgischer Konfession

    In demselben wird uns der Zweck des ersten und wichtigsten Teils der Konfession angegeben. Er ist:

      1. rechter christlicher Unterricht und Trost der Gewissen;

      2. Besserung der Gläubigen;

      3. Fortpflanzung der reinen Lehre auf die Kinder und Nachkommen.

    Sodann berufen sich die Väter für unsere Lehre nochmals auf die heilige Schrift, sowie auch auf die Übereinstimmung "gemeiner christlicher, ja, römischer Kirche".

ZWEITER TEIL:

ARTIKEL, VON WELCHEN ZWIESPALT IST, DA ERZÄHLT WERDEN DIE MISSBRÄUCHE, SO GEÄNDERT SIND

(Anmerkungen zusammengestellt vom Herausgeber)

    So nun von den Artikeln des Glaubens in unsern Kirchen nicht gelehrt wird zuwider der heiligen Schrift oder gemeiner christlicher Kirche, sondern allein etliche Mißbräuche geändert sind, welche zum Teil mit der Zeit selbst eingerissen, zum Teil mit Gewalt aufgerichtet, fordert unsere Notdurft, dieselbigen zu erwählen und Ursache darzutun, warum hierin Änderung geduldet ist; damit kais. Majestät erkennen möge, daß nicht hierin unchristlich oder freventlich gehandelt, sondern daß wir durch Gottes Gebot, welches billig höher zu achten als alle Gewohnheit, gedrungen sind, solche Änderung zu gestatten.

Der 22. Artikel.

Von beider Gestalt des Sakraments

    Den Laien wird bei uns beide Gestalt des Sakraments gereicht aus dieser Ursache, daß dies ist ein klarer Befehl und Gebot Christi, Matth. 26: "Trinket alle daraus." Da gebietet Christus mit klaren Worten von dem Kelch, daß sie alle daraus trinken sollen.

    Und damit niemand diese Worte anfechten und glossieren könne, als gehöre es allein den Priestern zu, so zeigt Paulus 1 Kor. 11,26 an, daß die ganze Versammlung der Korinther Kirchen beide Gestalt gebraucht hat. Und dieser Brauch ist lange Zeit in der Kirche geblieben, wie man durch die Historien und der Väter Schriften beweisen kann. Cyprianus gedenkt an viel Orten, daß den Laien der Kelch die Zeit gereicht sei. So spricht St. Hieronymus, daß die Priester, so das Sakrament reichen, dem Volk das Blut Christi austeilen. So gebietet Gelasius, der Papst, selbst, daß man das Sakrament nicht teilen soll, distinct. 2. de consecrat. c. Comperimus. Man findet auch nirgend einen Kanon, der da gebiete, allein Eine Gestalt zu nehmen. Es kann auch niemand wissen, wann oder durch welche diese Gewohnheit, Eine Gestalt zu nehmen, eingeführt ist; wiewohl der Kardinal Cusanus gedenkt, wann diese Weise approbiert [eingeführt] sei. Nun ists öffentlich, daß solche Gewohnheit, wider Gottes Gebot, auch wider die alten Kanons eingeführt, unrecht ist. Derhalben hat sich nicht gebühret, diejenigen Gewissen, so das heilige Sakrament nach Christus Einsetzung zu gebrauchen begehrt haben, zu beschweren und zu zwingen, wider unsers HErrn Christi Ordnung zu handeln. Und dieweil die Teilung des Sakraments der Einsetzung Christi zu entgegen ist, wird auch bei uns die gewöhnliche Prozession mit dem Sakrament unterlassen.

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    Dieser Artikel zerfällt in zwei große Hauptteile, nämlich zum einen in die Grundlage davon, daß das Sakrament unter beider Gestalt zu reichen sei, dann, wenn auch nur kurz erwähnt, daran, daß die Prozession mit den Elementen abgeschafft ist. Der Artikel läßt sich dabei so gliedern:

    1. die Grundlage von beider Gestalt: Christi Befehl und St. Pauli Worte,

        a) auch in der Geschichte lange beiderlei Gestalt;

        b) selbst das römische Recht kennt den Kelchentzug nicht;

    2. die Prozession mit den Elementen ist abgeschafft.

    Zu 1. Als Grundlage dafür, warum in den evangelisch-lutherischen Kirchen der Reformation beiderlei Gestalt des Sakramentes gereicht wird, führt der Artikel die Einsetzungsworte Christi an: "Trinket alle daraus", mit denen Christus auch eine klare Ordnung gegeben hat, daß alle Kommunikanten nicht nur seinen Leib unter dem Brot, sondern auch sein Blut unter dem Wein mündlich genießen sollen. Weil nun die Behauptung aufkommen mag, daß ja nur die Apostel am ersten Abendmahl teilgenommen und daher nur die Priester den Kelch nehmen sollen (wiewohl dann konsequenterweise den Laien das Abendmahl völlig entzogen werden müßte, was ja niemandem bisher eingefallen), so wird auch ein weiterer Schriftgrund angezeigt, nämlich die Beschreibung der Praxis in der korinthischen Gemeinde, , wo es heißt: "Sooft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket" usw., wobei sich das "ihr" auf die "lieben Brüder" von Vers 2 und Vers 33 bezieht, also den Geheiligten in Christo Jesu, wie sie Kap. 1,2 genannt werden. Der Kelchentzug dagegen hat keinerlei Schriftgrund, sondern er ist der Schrift Gottes zuwider, ja, ist ein Raub, der an den Gläubigen begangen wird. Darum hat die evangelisch-lutherische Kirche auch darinnen mit Recht den antichristlichen Charakter des Papsttums auch erkannt. Und der hat sich auch damit nicht geändert, daß heutzutage Rom den Kelch 'erlaubt'. Denn: was hat der Papst da zu erlauben, wo Christi Ordnung steht und er keinerlei Freiheit zu verbieten oder zu erlauben hat? Auch hier setzt er sich also wiederum über Christi Ordnung und meint, Meister über Gott und sein Wort zu sein. die Behauptung, daß doch mit dem Leib auch das Blut schon mitgegeben werde, ist ein Versuch der Vernunft, Christus und sein Wort zu meistern (s.a. Art. 10.)

    Um anzuzeigen, daß die Kirche der lutherischen Reformation damit gar nichts Unerhörtes, Neues getan hat, verweisen die Väter auch auf die Geschichte der Kirche, nämlich daß über lange Jahrhunderte hinweg auch die beiderlei Gestalt des Sakraments, also Christi Leib und Blut in, mit und unter Brot und Wein zum mündlichen Genuß für die Gemeinde gereicht wurde. Wann die Änderung eintrat läßt sich gar nicht mehr recht feststellen.

    Zu 2. Mit der Erneuerung des Altarsakramentes wurde auch die Prozession mit den Elementen abgeschafft, diesem Zentrum des Fronleichnamsfestes. Denn auch alles, was damit zusammenhängt, ist zutiefst unbiblisch. Denn was steckt dahinter? Zunächst einmal die Behauptung, daß durch die Worte, die der Priester über den irdischen Elementen spricht, diese in Christi Leib und Blut verwandelt würden. Nirgends sagt die Schrift dergleichen, nämlich daß nur noch Leib und Blut da wären, vielmehr machen 1 Kor. 10,16 und 11,23 ff. deutlich, daß beide Elemente, die irdischen wie die himmlischen, zugegen sind und gereicht werden zum mündlichen Genuß. Weiter behauptet Rom, daß diese sakramentale Gemeinschaft bestehe unabhängig davon, ob eine Mahlfeier stattfinde oder nicht, weshalb die Hostie herumgetragen, angebetet, besonders aufbewahrt wird. Aber auch das hat keinen Schriftgrund. Christus sagt nicht allgemein vom konsekrierten Brot und Wein, es sei sein Leib und Blut, sondern nur von dem konsekrierten und dann auch dargereichten und genossenen Brot und Wein, es sei sein Leib und sein Blut, d.h.: nur da, wo die ganze Ordnung Christi eingehalten wird, Konsekration, Austeilung, mündlicher Genuß, nur da haben wir auch die sakramentale Vereinigung der irdischen und himmlischen Elemente, außerhalb davon nicht, wie auch die Konkordienformel bekennt: "Aber dieser Segen oder die Erzählung der Worte der Einsetzung Christi, wo nicht die ganze Aktion des Abendmahls, wie die von Christo geordnet, gehalten wird, (als, wenn man das gesegnete Brot nicht austeilet, empfänget und genießt, sondern einschließt, aufopfert oder umträgt), machet allein kein Sakrament, sondern es muß der Befehl Christi, das tut, welches die ganze Aktion oder Verrichtung dieses Sakraments, daß man in einer christlichen Zusammenkunft Brot und Wein nehme, segne, austeile, empfange, esse, trinke und des Herrn Tod dabei verkündige, zusammenfasset, unzertrennet und unverrücket gehalten werden, wie uns auch St. Paulus die ganze Aktion des Brotbrechens oder Austeilens und Empfangens vor Augen stellet, 1. Kor. 10.

    Diese wahrhaftige christliche Lehre vom heiligen Abendmahl zu erhalten und vielerlei abgöttische Mißbräuche und Verkehrung dieses Testaments zu meiden und auszutilgen, ist diese nützliche Regel und Richtschnur aus den Worten der Einsetzung genommen: Nihil habet rationem sacramenti extra usum a Christo institutum oder extra actionem divinitus institutam. Das ist: wenn man die Stiftung Christi nicht hält, wie ers geordnet hat, ist es kein Sakrament. Welche mitnichten zu verwerfen, sondern nützlich in der Kirchen Gottes kann und soll getrieben und erhalten werden. Und heißet allhier usus oder actio, das ist Gebrauch oder Handlung, vornehmlich nicht der Glauben, auch nicht allein die mündliche Nießung, sondern die ganze äußerliche, sichtbare, von Christus geordnete Handlung des Abendmahls, die Konsekration oder Wort der Einsetzung, die Austeilung und Empfang oder mündlicher Genuß des gesegneten Brots und Weins, Leibs und Bluts Christi; außer welchem Gebrauch, wenn das Brot in der papistischen Messe nicht ausgeteilet, sondern aufgeopfert oder eingeschlossen, umgetragen und anzubeten vorgestellet, ist es für kein Sakrament zu halten." (FC, SD, VII, §§ 83-87, Conc. S. 452 f; Müller S. 665 f)

Artikel 23.

Von dem Ehestand der Priester

    Es ist bei jedermann, hohen und niederen Standes, eine große, mächtige Klage in der Welt gewesen von großer Unzucht und wildem Wesen und Leben der Priester, so nicht vermochten Keuschheit zu halten, und war auch je mit solchen greulichen Lastern aufs höchste gekommen. So viel häßliches, groß Ärgernis, Ehebruch und andere Unzucht zu meiden, haben sich etliche Preister bei uns in ehelichen Stand begeben. Dieselben zeigen an diese Ursachen, daß sie dahin gedrungen und bewegt sind aus hoher Not ihrer Gewissen, nachdem die Schrift klar meldet, der eheliche Stand sei von Gott dem Herrn eingesetzt, Unzucht zu vermeiden, wie Paulus sagt (1 Kor. 7,2.9): "Die Unzucht zu vermeiden hab jeglicher sein eigen Eheweib"; ebenso: "Es ist besser ehelich werden als brennen." Und nachdem Christus sagt (Matth 19,12): "Sie fassen nicht alle das Wort", da zeigt Christus an, (welcher wohl gewußt hat, was am Menschen sei) daß wenig Leute die Gabe keusch zu leben haben: "denn Gott hat den Menschen Männlein und Fräulein geschaffen", 1 Mose 1,28. Ob es nun in menschlicher Macht oder Vermögen sei, ohne sonderliche Gabe und Gnade Gottes, durch eigenes Vornehmen oder Gelübde Gottes, der hohen Majestät, Geschöpfe besser zu machen oder zu ändern, hat die Erfahrung allzu klar geben. Denn was guts, was ehrbar, züchtiges Leben, was christlichs, ehrlichs oder redlichs Wandels an vielen daraus erfolget, wie greulich, schrecklich Unruhe und Qual ihres Gewissens viel an ihrem letzten Ende derhalben gehabt, ist am Tage und ihrer viele haben es selbst bekannt. So denn Gottes Wort und Gebot durch kein menschlich Gelübde oder Gesetz mag geändert werden, haben aus dieser und andern Ursachen und Gründen die Priester und andere Geistliche Ehefrauen genommen.

    So ist es auch aus den Historien und der Väter Schriften zu beweisen, daß in der christlichen Kirche vor Alters der Brauch gewesen, daß die Priester und Diakone Ehefrauen gehabt. Darum sagt Paulus 1 Timotheus 3,2: "Es soll ein Bischof unsträflich sein, eines Weibes Mann." Es sind auch in Deutschland erst vor vierhundert Jahren die Priester zum Gelübde der Keuschheit vom Ehestand mit Gewalt gedrungen worrden, welche sich dagegen sämtlich, auch so ernstlich und hart gesetzt haben, daß ein Erzbischof zu Mainz, welcher das päpstliche neue Edikt derhalben verkündiget, gar nahe in einer Empörung der ganzen Priesterschaft in einem Gedräng wär umgebracht. Und dasselbige Verbot ist bald im Anfang so geschwind und ungeschickt vorgenommen, daß der Papst die Zeit nicht allein die künftige Ehe den Priestern verboten, sondern auch derjenigen Ehe, so schon in dem Stand lange gewesen, zerrissen, welches doch nicht allein wider alles göttliche, natürliche und weltliche Recht, sondern auch den Kanons (so die Päpste selbst gemacht) und den berühmtesten Konzilien ganz entgegen und zuwider ist.

    Auch ist bei viel hohen, gottfürchtigen,  verständigen Leuten dergleichen Rede und Bedenken oft gehört, daß solcher gedrungener Zölibat und Beraubung des Ehestandes (welchen Gott selbst eingesetzt und frei gelassen) nie etwas gutes, sondern viel großer böser Laster und viel Arges eingeführt habe. Es hat auch einer von den Päpsten, Pius II., selbst, wie seine Historie anzeigt, diese Worte oft geredet und von sich schreiben lassen: es möge wohl etliche Ursachen haben, warum den Geistlichen die Ehe verboten sei, es habe aber viel höher, großer und wichtiger Ursachen, warum man ihnen die Ehe soll wieder frei lassen. Ungezweifelt, es hat Papst Pius, als ein verständiger, weiser Mann, dies Wort aus großem Bedenken geredet.

    Derhalben wollen wir uns in Untertänigkeit zu kaiserl. Majestät vertrösten, daß Ihre Majestät als ein christlicher, hochlöblicher Kaiser gnädiglich beherzigen werde, daß jetzund in letzten Zeiten und Tagen, von welchen die Schrift meldet, die Welt immer je ärger und die Menschen gebrechlicher und schwächer werden.

    Derhalben wohl hochnötig, nützlich und christlich ist, diese fleißige Einsehung zu tun, damit, wo der Ehestand verboten, nicht ärger und schändlicher Unzucht und Laster in deutschen Landen möchten einreißen. Denn es wird je diese Sachen niemands weislicher oder besser ändern oder machen können als Gott selbst, welcher den Ehestand, menschlicher Gebrechlichkeit zu helfen und Unzucht zu wehren, eingesetzt hat.

    So sagen die alten Kanons auch, man müsse zu Zeiten die Schärfe und rigorem lindern und nachlassen, um menschlicher Schwachheit willen und Ärgers zu verhüten und meiden.

    Nun wäre das in diesem Fall auch wohl christlich und ganz hoch vonnöten. Was kann auch der Priester und der Geistlichen Ehestand gemeiner christlicher Kirchen nachteilig sein, sonderlich der Pfarrer und anderer, die der Kirche dienen sollen? Es würde wohl künftig an Priestern und Pfarrern mangeln, so dies hart Verbot des Ehestands länger währen sollt.

    So nun dieses, nämlich daß die Priester und Geistlichen mögen ehelich werden, gegründet ist auf das göttliche Wort und Gebot, dazu die Historien beweisen, daß die Priester ehelich gewesen, so auch das Gelübde der Keuschheit so viel häßliche, unchristliche Ärgernisse, so viel Ehebruch, schreckliche, unerhörte Unzucht und greuliche Laster angericht, daß auch etliche unter den Standesherren, auch Kurtisanen zu Rom solchs selbst bekennen und kläglich angezogen, wie solche Laster im Klerus zu greulich und übermächtig, Gottes Zorn würde erreget werden: so ists je erbärmlich, daß man den christlichen Ehestand nicht allein verboten, sondern an etlichen Orten aufs geschwindest, wie um große Übeltat, zu strafen unterstanden hat. So ist auch der Ehestand in kaiserlichen Rechten und in allen Monarchien, wo je Gesetz und Recht gewesen, hoch gelobet. Allein dieser Zeit beginnt man die Leute unschuldig, allein um der Ehe willen, zu martern, und dazu Priester, die man vor andern schonen sollt, und geschieht nicht allein wider göttliches Recht, sondern auch wider die Kanons. Paulus, der Apostel, 1 Timotheus 4,1 ff. nennt die Lehre, so die Ehe verbietet, Teufelslehre. So sagt Christus selbst Johannes 8,44: "Der Teufel sei ein Mörder von Anbeginn." Welches denn wohl zusammenstimmet, daß es freilich Teufels Lehre sein müsse, die Ehe verbieten und sich unterstehen, solche Lehre mit Blutvergießen zu erhalten.

    Wie aber kein menschlich Gesetz Gottes Gebot kann wegtun oder ändern, so kann auch kein Gelübde Gottes Gebot ändern. Darum gibt auch St. Cyprianus den Rat, daß die Frauen, so die gelobte Keuschheit nicht halten, sollen ehelich werden und sagt (I.1) epist. 11 also: "So sie aber Keuschheit nicht halten wollen oder nicht vermögen, so ists besser, daß sie ehelich werden, als daß sie durch ihre Lust ins Feuer fallen, und sollen sich wohl vorsehen, daß sie den Brüdern und Schwestern kein Ärgernis anrichten."

    Zudem, so gebrauchen auch alle Kanons größer Gelindigkeit und Äquität gegen diejenigen, so in ihrer Jugend Gelübd getan, wie denn Priester und Mönche des größern Teils in der Jugend in solchen Stand aus Unwissenheit gekommen sind.

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    Dieser Artikel vom Ehestand der Priester gliedert sich in:

    1. Hintergrund: die große Klage über die Ärgernisse durch den Zölibat;

    2. warum der Ehestand erlaubt und recht sei:

       a) um Ärgernis zu vermeiden, 1 Kor. 7,2; Matth. 19,2;

       b) Gottes Wort und Gebot können nicht durch menschliche Gebote und Gelübde aufgehoben oder geändert werden,

          ba) die Schrift kennt verheiratete Pfarrer, 1 Tim. 3,2,

          bb) auch in der Geschichte war es so, daß bis um 1100 die Pfarrer verheiratet waren,

          bc) viele verständige Leute haben sich auch in der römischen Kirche gegen den Zölibat ausgesprochen, selbst Papst Pius II.;

       c) das Eheverbot ist antichristlich, 1 Tim. 4,1. 

    Der Zölibat, der ja mit recht auch heute von nicht wenigen in der römischen Kirche angegriffen wird (und der immer wieder auch nachgelassen wird) hat keinerlei Grund in der Bibel Gottes. Der Ehestand ist selbst von Gott eingesetzt, 1 Mose 1,26.27; 2,18 ff., und von Christus dadurch hoch geehrt, daß er sein erstes Wunder auf einer Hochzeit vollbrachte, Joh. 2. Es ist daher gegen Gottes Wort, wenn der Ehestand der Ehelosigkeit gegenüber als ein niedrigerer Stand beschrieben wird, dem gegenüber der ehelose verdienstlicher sei (abgesehen davon die gesamte römische Verdienstlehre unbiblisch ist). Der ehelose Stand bringt wohl dem, der die Gabe hat, manche Vorteile im christlichen Dienst, 1 Kor. 7, aber nirgends wird er daher zum Gebot oder auch nur zur Forderung oder Ziel erhoben. Vielmehr wird für alle Menschen der eheliche Stand als der natürliche, ja, um der menschlichen Natur willen auch notwendige angesehen, um die Hurerei zu meiden, ebenso auch um der Fortpflanzung willen, 1 Kor. 7.

    So waren auch die Priester des Alten Testamentes fast allesamt verheiratet; auch von den Aposteln wissen wir, 1 Kor. 9, daß sie fast alle verheiratet waren, auch Petrus, Matth. 8, und daß dieser Stand als der selbstverständliche auch für die späteren Pfarrer, Bischöfe angesehen wird, 1 Tim. 3; Tit. 1.

    Der Zölibat als Verbot des Ehestandes ist daher gegen Gottes Ordnung, gegen die Natur und so zutiefst ein antichristliches Gesetz, 1 Tim. 4.

    Kein Mensch hat Gewalt und Recht, die von Gott geschaffene Natur ändern zu wollen, noch hat er Macht über die Natur selbst, sie zu ändern. Daher sind alle Gelübde der Ehelosigkeit von vornherein unsinnig, schriftwidrig und daher von Anfang an ungültig. Niemand kann von sich aussagen, ob, und wenn, für wie lange er die Gabe der Ehelosigkeit habe. Das richtet auch 'evangelische' Kommunitäten, die ähnliche Gelöbnisse kennen, anstatt, wie es die frühen christlichen Gemeinschaften zur Zeit Augustinus' taten, dies völlig frei zu lassen.    

Artikel 24.

Von der Messe

    Man legt den Unsern mit Unrecht auf, daß sie die Messe sollen abgetan haben. Denn das ist öffentlich, daß die Messe, ohne Ruhm zu reden, bei uns mit größerer Andacht und Ernst gehalten wird als bei den Widersachern. So werden auch die Leute mit höchstem Fleiß des öftern unterrichtet vom heiligen Sakrament, wozu es eingesetzt und wie es zu gebrauchen sei, als nämlich die erschrockenen Gewissen damit zu trösten, dadurch das Volk zur Kommunion und Messe gezogen wird. Dabei geschieht auch Unterricht wider andere unrechte Lehre vom Sakrament. So ist auch in den öffentlichen Zeremonien der Messe keine merkliche Änderung geschehen, als daß an etlichen Orten deutsche Gesänge, das Volk damit zu lehren und zu üben, neben lateinischem Gesang gesungen werden, umso mehr als alle Zeremonien vornehmlich dazu dienen sollen, daß das Volk daran lerne, was ihm zu wissen von Christus not ist.

    Nachdem aber die Messe auf mancherlei Weise vor dieser Zeit mißbraucht, wie am Tage ist, daß ein Jahrmarkt daraus gemacht, daß man sie gekauft und verkauft hat und das mehrere Teil in allen Kirchen um Geldes willen gehalten, ist solcher Mißbrauch zu mehrmalen, auch vor dieser Zeit, von gelehrten und frommen Leuten gestraft worden. Als nun die Prediger bei uns davon gepredigt und die Priester erinnert sind der schrecklichen Bedrohung, so denn billig einen jeden Christen bewegen soll, daß, wer das Sakrament unwürdiglich gebraucht, der sei schuldig am Leib und Blut Christi, darauf sind solche Kaufmessen und Winkelmessen, welche bis hierher aus Zwang um Geldes und der Präbenden willen gehalten worden, in unsern Kirchen gefallen.

    Dabei ist auch der greuliche Irrtum gestraft, daß man gelehret hat, unser Herr Christus habe durch seinen Tod allein für die Erbsünde genuggetan und die Messe eingesetzt zu einem Opfer für die andern Sünden, und also die Messe zu einem Opfer gemacht für die Lebendigen und Toten, dadurch Sünden wegzunehmen und Gott zu versöhnen. Daraus ist weiter gefolget, daß man disputiert hat, ob eine Messe, für viele gehalten, ebensoviel verdiene, als wenn man für einen jeglichen eine sonderliche hielte. Daher ist die große, unzählige Menge der Messen gekommen, daß man mit diesem Werk hat wollen bei Gott alles erlangen, das man bedurft hat, und ist daneben der Glaube an Christus und rechte Gottesdienst vergessen worden.

    Darum ist davon Unterricht geschehen, wie ohne Zweifel die Not gefordert, daß man wüßte, wie das Sakrament recht zu gebrauchen wäre. Und erstlich, daß kein Opfer für Erbsünde und andere Sünde sei als der einige Tod Christi, zeiget die Schrift an vielen Orten an. Denn also stehet geschrieben zu den Hebräern, daß sich Christus "einmal geopfert hat und dadurch für alle Sünden genuggetan". Es ist gar eine unerhörte Neuigkeit in der Kirchenlehre, daß Christus Tod sollte allein für die Erbsünde und sonst nicht auf für andere Sünden genuggetan haben; derhalben zu hoffen, daß männiglich verstehe, daß solcher Irrtum nicht unbillig gestraft sei.

    Zum andern, so lehrt St. Paulus, daß wir vor Gott Gnade erlangen durch Glauben und nicht durch Werke. Dawider ist öffentlich dieser Mißbrauch der Messe, so man vermeint, Gnade zu erlangen durch dieses Werk, wie man denn weiß, daß man die Messe dazu gebraucht, dadurch Sünde abzulegen und Gnade und alle Güter bei Gott zu erlangen, nicht allein der Priester für sich, sondern auch für die ganze Welt und für andere, Lebendige und Tote.

    Zum dritten, so ist das heilige Sakrament eingesetzt, nicht, damit für die Sünde ein Opfer anzurichten - denn das Opfer ist zuvor geschehen -, sondern daß unser Glaube dadurch erweckt und die Gewsissen getröstet werden, welche durchs Sakrament vernehmen, daß ihnen Gnade und Vergebung der Sünde von Christus zugesagt ist. Derhalben fordert dies Sakrament Glauben und wird ohne Glauben vergeblich gebraucht.

    Dieweil nun die Messe nicht ein Opfer ist für andere, Lebendige oder Tote, ihre Sünden wegzunehmen, sondern soll eine Kommunion sein, da der Priester und andere das Sakrament empfangen für sich, so wird diese Weise bei uns gehalten, daß man an Feiertagen, auch sonst, so Kommunikanten da sind, Messe hält bei uns in ihrem rechten Brauch, wie sie vorzeiten in der Kirche gehalten, wie man beweisen mag aus St. Paulus 1 Kor. 11, dazu auch aus vieler Väter Schriften; denn Chrysostomus spricht, wie der Priester täglich stehe und fordere etliche zur Kommunion, etlichen verbiete er, hinzuzutreten. Auch zeigen die alten Kanons an, daß einer das Amt gehalten hat und die andern Priester und Diakone kommuniziert. Denn also lauten die Worte im canone Nicaeno: "Die Diakonen sollen nach den Priestern ordentlich das Sakrament empfangen vom Bischof oder Priester."

    So man nun keine Neuigkeit hierin, die in der Kirche vor alters nicht gewesen, vorgenommen hat, auch in den öffentlichen Zeremonien der Messe keine merkliche Änderung geschehen, allein daß die andern unnötigen Messen, etwa durch einen Mißbrauch gehalten neben der Pfarrmesse, gefallen sind, soll billig diese Weise, Messe zu halten, nicht für ketzerisch und unchristlich verdammt werden. Denn man hat vorzeiten auch in den großen Kirchen, da viel Volks gewesen, auch auf die Tage, so das Volk zusammenkam, nicht täglich Messe gehalten, wie Tripartita Historia lib. 9 anzeiget, daß man zu Alexandria am Mittwoch und Freitag die Schrift gelesen und ausgelegt habe und sonst alle Gottesdienste gehalten ohne die Messe.

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    In diesem Artikel, der auf die Mißbräuche im Zusammenhang mit der Messe eingeht, finden wir:

    I. Einleitung: 1. die Messe wird weiter gehalten;

       2. die Zeremonien sind nur geringfügig verändert;

    II. Mißbräuche: 1. a) um Geldes willen gehalten;

       1. b) Kauf- und Winkelmessen;

       2. Meinung, Christus habe bloß für die Erbsünde genug getan,

       2. a) Meinung, Messe sei Opfer für andere Sünden;

       2. b) Meinung, Messe sei ein Werk, die Seligkeit zu verdienen;

    III. rechter Gebrauch: 1. Christi Kreuzestod das einzige Opfer;

       2. die Gnade wird allein durch den Glauben empfangen;

       3. das Sakrament soll den Glauben wecken und stärken und die Verzagten trösten;

    IV. Schluß: 1. nur durch den Glauben wird das Sakrament recht gebraucht;

       2. die neue Ordnung ist nur eine Wiederherstellung der alten biblischen Ordnung.

    Es ist dazu das meiste bereits gesagt unter dem 10. und 22. Artikel, die ja beide ausführlich vom heiligen Abendmahl handeln. Hier wird nur nochmals der rechte Gebrauch dieses Gnadenmittels Gottes gegen den vielfältigen Mißbrauch hervorgehoben: nämlich daß wir nur im Glauben hinzutreten sollen, dort im Sakrament wahrhaft mit Christi Leib und Blut auch die Vergebung der Sünden zu empfangen, die wir so dringend auch als Christen immer wieder benötigen. Diese Vergebung hat Christus uns durch seinen Kreuzestod erworben, da er seinen Leib für uns gab und sein Blut für uns vergoß, die er nun beide uns zum mündlichen Genuß im Sakrament reicht, so unseren Glauben zu vergewissern, zu erneuern, zu festigen.

    Insbesondere wird daher die Behauptung zurückgewiesen, es sei die Messe ein 'unblutiges Opfer'. Nein, sie ist überhaupt kein Opfer, kein Werk, das wir Menschen Gott bringen, sondern vielmehr gänzlich Gottes Werk für und an uns. Christus hat sich einmal für immer für uns geopfert und so die völlige Erlösung für alle Menschen aller Zeiten erworben, die Sünden aller Menschen an seinem Leibe auf das Holz getragen und so für alle Schuld und Sünden völlig und restlos bezahlt, daß kein Zusatz mehr notwendig ist. Unser Gehen zum Abendmahl verdient uns daher nichts, sondern wir haben es vielmehr nötig, daß Gott uns da immer wieder neu mit der Vergebung beschenkt, denn wir täglich viel sündigen.

Artikel 25.

Von der Beichte

    Die Beichte ist durch die Prediger dieses Teils nicht abgetan. Denn diese Gewohnheit wird bei uns gehalten, das Sakrament nicht zu reichen denen, so nicht zuvor verhört und absolviert sind. Dabei wird das Volk fleißig unterrichtet, wie tröstlich das Wort der Absolution sei, wie hoch und teuer die Absolution zu achten; denn es sei nicht des gegenwärtigen Menschen Stimme oder Wort, sondern Gottes Wort, der die Sünde vergibt; denn sie wird an Gottes Statt und aus Gottes Befehl gesprochen. Von diesem Befehl und Gewalt der Schlüssel, wie tröstlich, wie nötig sie sei den erschrockenen Gewissen, wird mit großem Fleiß gelehret; dazu, wie Gott fordert, dieser Absolution zu glauben, nicht weniger, denn so Gottes Stimme vom Himmel erschölle, und uns der Absolution fröhlich trösten und wissen, daß wir durch solchen Glauben Vergebung der Sünden erlangen. Von diesen nötigen Stücken haben vorzeiten die Prediger, so von der Beichte viel lehrten, nicht ein Wörtlein gerührt, sondern allein die Gewissen mit langer Erzählung der Sünden, mit Genugtun, mit Ablaß, mit Wallfahrten und dergleichen gemartert. Und viele unserer Widersacher bekennen selbst, daß dieses Teils von rechter christlicher Buße schicklicher denn zuvor in langer Zeit geschrieben und gehandelt sei.

    Und wird von der Beichte also gelehret, daß man niemand dringen soll, die Sünden namhaftig zu erzählen. Denn solches ist unmöglich, wie der Psalm spricht: "Wer kennet die Missetat?" Und Jeremia sagt: "Des Menschen Herz ist so arg, daß man's nicht auslernen kann." Die elende menschliche Natur steckt also tief in Sünden, daß sie dieselben nicht alle sehen oder kennen kann, und sollten wir allein von denen absolviert werden, die wir erzählen können, wäre uns wenig geholfen. Derhalben ist nicht not, die Leute zu dringen, die Sünden namhaftig zu erzählen. Also haben's auch die Väter gehalten, wie man findet dist. 1. de poenitentia, da die Worte Chrysostomus' angezogen werden: "Ich sage nicht, daß du dich selbst sollst öffentlich dargeben noch bei einem andern dich selbst verklagen oder schuldig geben, sondern gehorche dem Propheten, welcher spricht: 'Offenbare dem Herrn deine Wege'. Derhalben beichte Gott dem Herrn, dem wahrhaftigen Richter, neben deinem Gebet; nicht sage deine Sünden mit der Zunge, sondern in deinem Gewissen." Hier siehet man klar, daß Chrysostomus nicht zwinget, die Sünden namhaftig zu erzählen. So lehret auch die Glossa in Decretis, de poenitentia, dist. 5., daß die Beichte nicht durch die Schrift geboten, sondern durch die Kirche eingesetzt sei. Doch wird durch die Prediger dieses Teils fleißig gelehret, daß die Beichte von wegen der Absolution, welche das Hauptstück und das Vornehmste darin ist, zu Trost der erschrockenen Gewissen, dazu um etlicher anderer Ursachen willen, zu erhalten sei.

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    Dieser Artikel schließt sich thematisch an den Art. 11 an, greift hier nochmals die Mißbräuche auf und legt dar, wie in der bibelgebundenen evangelisch-lutherischen Kirche die Beichte aufrechterhalten und gepflegt wird:

    1. der gute Gebrauch: a) vor dem heiligen Abendmahl;

       b) dient der Unterweisung der Gläubigen;

       c) der Trost der Absolution ist das Zentrum der Beichte;

       d) Gott, nicht Menschen, vergibt die Sünde in der Absolution;

    2. der Mißbrauch in der römischen Kirche:   a) Marter der Gewissen durch Zwang zur Beichte jeder Sünde;

       b) Verdunkelung der Absolution durch die Genugtuung, durch Ablaß und Wallfahrten

    3. die rechte Beichte: a) nur das beichten, was bedrückt und im Glauben die Vergebung fassen;

       b) die Beichte ist nicht göttliche, sondern kirchliche Ordnung;

       c) um des Trostes der Gewissen willen soll sie erhalten bleiben.

    Die römische Kirche hatte und hat ja wohl die Beichte, die Privat- oder Ohrenbeichte: aber sie hat daraus eine Marter, eine Qual gemacht, fördert auch durch den Zwang zur Beichte und den Zwang, alles genau zu beichten, die Heuchelei und die Lüge. So aber hat Gott es nimmer gewollt, als er die Absolution oder Vergebung der Sünden einsetzte.

    Vielmehr soll ja die Vergebung der Sünden oder Lossprechung von der Sündenschuld ein großer Trost für solche Gewissen sein, die durch das Gesetz geschlagen und zur Verzweiflung getrieben sind, wie das Binden oder Behalten der Schuld die Gewissen erst wecken soll. Nirgends hat Gott in der Bibel die Ohrenbeichte eingesetzt. Vielmehr hat die Kirche die Beichte geordnet, damit die Absolution auch persönlich an Einzelnen verwalten zu können und hat damit weislich und gut getan. Denn so haben geängstigte, verzagte, verzweifelte Gewissen die Möglichkeit, daß sie in Gegenwart ihres Pfarrers vor Gott treten und dann aus dem Munde des Pastors den Zuspruch der Vergebung Gottes empfangen. Darum und um nichts anderes geht es in der Beichte. Die Beichte ist kein 'Gericht', in dem der Pfarrer auf dem Richterstuhl sitzt, um ein Urteil zu sprechen, und deshalb alle Sünden wissen müsse. Das Urteil über die Sünde ist schon gesprochen - nämlich Gottes Verdammungsurteil; und der Trost, die Erlösung für den Sünder ist schon bereit, durch Christi Tod am Kreuz. Und dies soll durch die Absolution dem Sünder zugeeignet werden, der sie durch den Glauben ergreift.

    Dabei beichtet der Mensch nur solche Sünden, die ihn sehr bedrücken. Denn nirgend ist etwas gesagt, daß wir einem Menschen alle Sünden beichten müssen. Nur vor Gott sollen wir uns aller Sünden schuldig bekennen - und da wir viele gar nicht kennen, so auch der uns unbekannten - und für alle den Trost der Vergebung, die Christus erworben hat, ergreifen.

    Die Beichte ist daher in der evangelisch-lutherischen Kirche nicht abgeschafft worden und sollte auch zukünftig beibehalten werden, auch gegen die Angriffe, die immer wieder von pietistischen oder anderen Seiten gegen sie erhoben wurde, auch gegen die Behauptung, man könne nur eine bedingte Lossprechung zusagen, sie also abhängig macht von der Reue des Beichtenden. Aber damit würde die Beichte wie bei Rom zu einem menschlichen Werk, abhängig von menschlichen Voraussetzungen, unsere Vergebung hätte Voraussetzungen in unserem Verhalten und wäre nicht mehr völlig frei und umsonst. Nein, die Vergebung, die Gerechtsprechung ist ja längst erworben, durch Christus auf Golgatha, und die sprechen wir zu in der Absolution. Glaubt der Beichtende nicht, so macht er Christi Erlösungswerk nicht ungeschehen - aber er hat die Frucht dieses Erlösungswerkes nicht.

    Die lutherische Kirche hat die Beichte früher direkt dem Abendmahl vorangestellt und vielfach finden auch heute vor dem Abendmahl noch Beichtgottesdienste statt. Das ist ein feiner Brauch. Da aber andererseits auch dadurch die Kraft der Vergebung im Abendmahl verdunkelt werden könnte, hat es ernste Stimmen gegeben, die eine Trennung von Beichte und Abendmahl befürwortet haben. Das hat einiges für sich. Unbedingt aber muß die Anmeldung zum Abendmahl bleiben, als Möglichkeit der Unterweisung, des Gespräches - und auch zur Beichte. Darüber hinaus aber sollte die Privatbeichte jederzeit möglich sein, wenn der Beichtende sie begehrt - und die Gemeinde sollte zur Beichte ermutigt werden.      

Artikel 26.

Vom Unterschied der Speisen

    Vorzeiten hat man (al)so gelehret, gepredigt und geschrieben, daß Unterschied der Speisen und dergleichen Traditionen, von Menschen eingesetzt, dazu dienen, daß man dadurch Gnade verdiene und für die Sünde genugtue. Aus diesem Grunde hat man täglich neue Fasten, neue Zeremonien, neue Orden und dergleichen erdacht und auf solches heftig und hart getrieben, als seien solche Dinge nötige Gottesdienste, dadurch man Gnade verdiene, so man's halte, und große Sünde geschehe, so man's nicht halte. Daraus sind viel schädlicher Irrtümer in der Kirche gefolget.

    Erstlich ist dadurch die Gnade Christi und die Lehre vom Glauben verdunkelt, welche uns das Evangelium mit großem Ernst vorhält, und treibet hart darauf, daß man das Verdienst Christi hoch und teuer achte und wisse, daß glauben an Christum hoch und weit über alle Werke zu setzen sei. Derhalben hat St. Paulus heftig wider das Gesetz Mosis und menschliche Traditionen gefochten, daß wir lernen sollen, daß wir vor Gott nicht fromm werden aus unsern Werken, sondern allein durch den Glauben an Christus, daß wir um Christus willen Gnade erlangen. Solche Lehre ist schier ganz verloschen dadurch, daß man gelehret, Gnade zu verdienen mit gesetzten Fasten, Unterschied der Speisen, Kleidern usw.

    Zum andern haben auch solche Traditionen Gottes Gebot verdunkelt; denn man setzte diese Traditionen weit über Gottes Gebot. Dies hielt man allein für christliches Leben: wer die Feier also hielt, also betete, also fastete, also gekleidet war, das nannte man geistliches, christliches Leben. Daneben hielt man andere, nötige, gute Werke für ein weltliches, ungeistliches Wesen, nämlich diese, so jeder nach seinem Beruf zu tun schuldig ist, wie: daß der Hausvater arbeitet, Frau und Kind zu ernähren und zur Gottesfurcht aufzuziehen, die Hausmutter Kinder gebieret und wartet ihrer, ein Fürst und Obrigkeit Land und Leute regiert usw. Solche Werke, von Gott geboten, mußten ein weltliches und unvollkommenes Wesen sein; aber die Traditionen mußten den prächtigen Namen haben, daß sie allein heilige, vollkommene Werke hießen. Derhalben war kein Maß noch Ende, solche Traditionen zu machen.

    Zum dritten: Solche Traditionen sind zu hoher Beschwerung der Gewissen geraden. Denn es war nicht möglich, alle Traditionen zu halten und waren doch die Leute in der Meinung, als wäre solches ein nötiger Gottesdienst, und schreibt Gerson, daß viele hiermit in Verzweiflung gefallen, etliche haben sich auch selbst umgebracht, derhalben, daß sie keinen Trost von der Gnade Christi gehört haben. Denn man siehet bei den Summisten und Theologen, wie die Gewissen verwirrt, welche sich unterstanden haben, die Traditionen zusammenzuziehen und Ausnahmefälle gesucht, daß sie den Gewissen hülfen, haben so viel damit zu tun gehabt, daß dieweil alle heilsame christliche Lehre von nötigeren Sachen, wie vom Glauben, vom Trost in hohen Anfechtungen und dergleichen, darniedergelegen ist. Darüber haben auch viele fromme, gelehrte Leute vor dieser Zeit sehr geklagt, daß solche Traditionen viel Zank in der Kirche anrichten, und daß fromme Leute, damit verhindert, zu rechter Erkenntnis Christi nicht kommen möchten. Gerson und etliche mehr haben heftig darüber geklaget. Ja, es hat auch Augustin mißfallen, daß man die Gewissen mit so viel Traditionen beschwert. Derhalben er dabei Unterricht gibt, daß man's nicht für nötige Dinge halten soll.

    Darum haben die Unsern nicht aus Frevel oder Verachtung geistlicher Gewalt von diesen Sachen gelehret, sondern es hat die hohe Not gefordert, von obangezeigten Irrtümern Unterricht zu tun, welche aus Mißverstand der Traditionen gewachsen sind. Denn das Evangelium zwingt, daß man die Lehre vom Glauben solle und müsse in der Kirche treiben, welche doch nicht mag verstanden werden, so man vermeint, durch eigene erwählte Werke Gnade zu verdienen.

    Und ist davon (al)so gelehret, daß man durch Haltung erdachter menschlicher Traditionen nicht kann Gnade verdienen oder Gott versöhnen oder für die Sünde genugtun. Und soll derhalben kein nötiger Gottesdienst daraus gemacht werden. Dazu wird Ursache aus der Schrift angezogen. Christus Matth. 15 entschuldigt die Apostel, da sie gewöhnliche Traditionen nicht gehalten haben, und spricht dabei: "Sie ehren mich vergeblich mit Menschengeboten." So er nun dies einen vergeblichen Dienst nennet, muß er nicht nötig sein. Und bald hernach: "Was zum Munde eingehet, verunreinigt den Menschen nicht." Ebenso Paulus spricht Röm. 14,17: "Das Himmelreich stehet nicht in Speise oder Trank." Kol. 2,16: "Niemand soll euch richten in Speise, Trank, Sabbat usw. Apg. 15,10.11 spricht Petrus: "Warum versucht ihr Gott mit Auflegung des Jochs auf der Jünger Hälse, welches weder unsere Väter noch wir haben mögen tragen? Sondern wir glauben, durch die Gnade unsern Herrn Jesu Christi selig zu werden, gleicherweise wie auch sie." Da gebietet Petrus, daß man die Gewissen nicht beschweren soll mit mehr äußerlichen Zeremonien, es sei Mosis oder andern. Und 1 Tim. 4,1-3 werden solche Verbote, wie Speise verbieten, Ehe verbieten usw., Teufelslehren genannt. Denn dies ist stracks dem Evangelium entgegen, solche Werke einsetzen oder tun, daß man damit Vergebung der Sünden verdiene oder als könne niemand ein Christ sein ohn solchen Dienst.

    Daß man aber den Unsern hier schuld gibt, als verbieten sie Kasteiung und Zucht, wie Jovinianus, wird sich viel anders aus ihren Schriften befinden. Denn sie haben allezeit gelehret vom heiligen Kreuz, daß Christen zu leiden schuldig sind; und dieses ist rechte, ernstliche und nicht erdichtete Kasteinung.

    Daneben wird auch gelehret, daß ein jeglicher schuldig ist, sich mit leiblicher Übung, wie Fasten und anderer Arbeit, so zu halten, daß er nicht Ursache zur Sünde gebe, nicht, daß er mit solchen Werken Gnade verdiene. Diese leibliche Übung soll nicht allein etliche bestimmte Tage, sondern stetig getrieben werden. Davon redet Christus Luk. 21,34: "Hütet euch, daß eure Herzen nicht beschweret werden mit Völlerei", ebenso Mark. 9,29: "Die Teufel werden nicht ausgeworfen denn durch Fasten und Gebet." Und Paulus spricht 1 Kor. 9,27, er kasteie seinen Leib und bringe ihn zum Gehorsam, damit er anzeigt, daß Kasteiung dienen soll, nicht damit Gnade zu verdienen, sondern den Leib geschickt zu halten, daß er nicht verhindere, was einem jeglichen nach seinem Beruf zu schaffen befohlen ist. Und wird so nicht das Fasten verworfen, sondern daß man einen nötigen Dienst daraus auf bestimmte Tage und Speisen zur Vewirrung der Gewissen gemacht hat.

    Auch werden dieses Teils viele Zeremonien und Traditionen gehalten, wie die Ordnung der Messe und andere Gesänge, Feste usw., welche dazu dienen, daß in der Kirche Ordnung gehalten werde. Daneben aber wird das Volk unterrichtet, daß solcher äußerlicher Gottesdienst nicht fromm mache vor Gott, und daß man's ohne Beschwerung des Gewissens halten soll, also daß, so man es nachläßt ohne Ärgernis, nicht daran gesündigt wird. Diese Freiheit in äußerlichen Zeremonien haben auch die alten Väter gehalten; denn im Orient hat man das Osterfest auf andere Zeit denn zu Rom gehalten. Und da etliche diese Ungleichheit für eine Trennung in der Kirche halten wollten, sind sie vermahnet von andern, daß nicht not ist, in solchen Gewohnheiten Gleichheit zu halten. Und spricht Irenäus so: "Ungleichheit im Fasten trennet nicht die Einigkeit des Glaubens." Wie auch dist. 12. von solcher Ungleichheit in menschlichen Ordnungen geschrieben, daß sie der Einheit der Christenheit nicht zuwider sei. Und Tripartita Historia lib. 9. zieht zusammen viel ungleicher Kirchengewohnheiten und setzet einen nützlichen christlichen Spruch: "Der Apostel Meinung ist nicht gewesen, Feiertage einzusetzen, sondern Glaube und Liebe zu lehren."

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    In diesem 26. Artikel wird gezeigt:

    1. die falsche römische Lehre und ihre Auswirkungen:

       a) durch Menschengebote soll Gnade verdient werden,

       b) dadurch werden Gottes Gnade und Gottes Gebote verdunkelt,

       c) die Gewissen werden unnötig beschwert;

    2. die rechte Lehre: Evangelium und Glauben müssen im Zentrum der Frömmigkeit stehen,

       a) menschliche Gebote und Traditionen verdienen uns nichts;

       b) in rechter Weise werden äußere Ordnungen angewandt in der Heiligung, um fortzuschreiten im Kampf gegen die Sünde; und in der Gemeinde, um äußere Ordnung zu halten;

       c) ein Unterschied in diesen Dingen stellt keine Trennung in der Kirche dar. 

    In der römischen Kirche - und nicht nur dort - werden äußere Ordnungen als gewissensverbindliche Ordnungen angesehen, die unbedingt gehalten werden müssen. Ja, Rom geht dabei noch so weit, sie als 'verdienstlich' anzusehen, also als Hilfen, das ewige Leben zu erlangen. Dies gilt für Speisen wie für die Messe, für Wallfahrten, den Reliquien-, Heiligen- und Marienkult, das Begehen bestimmter Feiertage, Teilnahme an bestimmten Prozessionen, schlicht alles, was auch mit dem Ablaß zusammenhängt. Wo aber hat Gott solches in seinem Wort geboten?

    Was haben solche Menschengebote für Folgen? Solche, die wir auch schon bei den Pharisäern im Neuen Testament sehen: nämlich daß Gottes Evangelium verdunkelt wird, da ja, wenn solche Gebote uns den Himmel verdienen, das Verdienst Christi, sein Heilswerk, geschmälert wird. Was aber heißt dies letztlich: wer durch das Gesetz gerecht werden will, der hat Christus verloren, der ist aus der Gnade gefallen, Gal. 5,4. Und das heißt: die römische Lehre ist stracks dem Evangelium und der Erlösung zuwider.

    Sie verdunkelt aber nicht nur die Gnade, sondern sie verführt auch zu unnützen Dingen und läßt die wahrhaft gebotenen Werke hintanstehen, so wie die Pharisäer lieber opferten anstatt das Gebot der Liebe zu den Eltern zu üben. So werden auch die von Gott geordneten Stände in dieser Welt geringer geschätzt als die erdachten Stände des Mönchtums und andere erdachte Frömmigkeitswerke, wie Fasten, Wallfahrten und dergleichen. Dagegen sollen wir in Gottes Zehn Gebote und ihre Auslegung, etwa in der Bergpredigt, stehen, da werden wir den Willen Gottes für unser Leben erkennen - und ebenso, wie unmöglich es uns ist, diesen Willen Gottes völlig zu erfüllen und wir darum bis an unseren Tod allein aus der Gnade leben können, ständig der Vergebung bedürfen, 1 Joh. 1,6-10.

    So werden auch durch menschliche Kirchengesetze unnötig die Gewissen beschwert, so, als ob ohne ein Halten solcher Zeremonien die Seligkeit gefährdet wäre. Wir aber sollen den Menschen nicht noch Lasten über Gottes Ordnungen hinaus aufbürden, denn wir können schon die göttlichen nicht erfüllen, Apg. 15,10.11; dazu helfen uns auch die Menschengebote gar nichts, Matth. 15,9.

    Wie aber soll rechte Frömmigkeit und rechter Gebrauch solcher Ordnungen aussehen? Nun, für den Christen bleibt immer das Evangelium Christi im Mittelpunkt, daraus lebt er, darinnen steht er. Und daraus wird er auch die Werke tun, die Gott haben will, denn in denen soll er wandeln.

    Rechtes Fasten, rechte Züchtigung, rechte Kasteiung geschieht da, wo wir in der Anfechtung und Versuchung stehen und wider Teufel, Welt, Fleisch und Sünde kämpfen, 1 Kor. 9,24-27, Gal. 5,13 ff. So können sie uns zuzeiten und in bestimmten Dingen nützlich sein - aber sie sind kein Selbstzweck, sondern nur dazu da, uns im Christenleben zu fördern.

Artikel 27.

Von den Klostergelübden

    Von den Klostergelübden zu reden, ist nötig, erstlich zu bedenken, wie es bisher damit gehalten, welch Wesen sie in Klöstern gehabt, und daß sehr viel darin täglich nicht allein wider Gottes Wort, sondern auch päpstlichen Rechten entgegengehandelt ist. Denn zu St. Augustini Zeiten sind Klosterstände frei gewesen; folgend, da die rechte Zucht und Lehre zerrüttet, hat man Klostergelübde erdacht und damit eben als mit einem erdachten Gefängnis die Zucht wiederum aufrichten wollen.

    Über das hat man neben den Klostergelübden viel andere Stücke mehr aufgebracht und mit solchen Banden und Beschwerden ihrer viel, auch vor gebührenden Jahren, beladen.

    So sind auch viel Personen aus Unwissenheit zu solchem Klosterleben kommen, welche, wiewohl sie sonst nicht zu jung gewesen, haben doch ihr Vermögen nicht genugsam ermessen und verstanden. Dieselben alle, (al)so verstrickt und verwickelt, sind gezwungen und gedrungen gewesen, in solchen Banden zu bleiben, ungeachtet dessen, daß auch päpstlich Recht ihrer viel freigibt. Und das ist beschwerlicher gewesen in Jungfrauenklöstern als Mönchsklöstern; so sich doch geziemet hätte, der Frauen als der Schwachen zu verschonen. Dieselbe Strenge und Härtigkeit hat auch viel frommen Leuten in Vorzeiten mißfallen; denn sie haben wohl gesehen, daß beide, Knaben und Mädchen, um Erhaltung willen des Leibes in die Klöster sind gesteckt worden. Sie haben auch wohl gesehen, wie übel dasselbe Vornehmen geraten ist, was Ärgernis, was Beschwerung der Gewissen es gebracht, und haben viel Leute geklagt, daß man in solcher gefährlichen Sache die Kanons so gar nicht geachtet. Zudem, so hat man eine solche Meinung von den Klostergelübden, die unverborgen, auch vielen Mönchen übel gefallen hat, die wenig ein Verständnis gehabt.

    Denn sie gaben vor, daß Klostergelübde der Taufe gleich wären und daß man mit dem Klosterleben Vergebung der Sünden und Rechtfertigung vor Gott verdienete; ja, sie setzen noch mehr dazu, daß man mit dem Klosterleben verdienete nicht allein Gerechtigkeit und Frömmigkeit, sondern auch, daß man damit hielte die Gebote und Räte, im Evangelium verfaßt, und wurden also die Klostergelübde höher gepriesen als die Taufe; ebenso, daß man mehr verdienete mit dem Klosterleben als mit allen andern Ständen, so von Gott geordnet sind, wie Pfarrer- und Predigerstand, Obrigkeit-, Fürsten-, Herrenstand und dergleichen, die alle nach Gottes Gebot, Wort und Befehl ihrem Beruf ohne erdichtete Geistlichkeit dienen, wie denn dieser Stücke keines mag verneint werden; denn man findet's in ihren eigenen Büchern.

    Über das, wer also gefangen und ins Kloster gekommen, lernte wenig von Christus. Einst hat man Schulen der Heiligen Schrift und anderer Künste, so der christlichen Kirche dienstlich sind, in den Klöstern gehalten, daß man aus den Klöstern Pfarrer und Bischöfe genommen hat; jetzt aber hat's viel eine andere Gestalt. Denn vorzeiten kamen sie der Meinung zusammen im Klosterleben, daß man die Schrift lernete; jetzt geben sie vor, das Klosterleben sei ein solch Wesen, daß man Gottes Gnade und Frömmigkeit vor Gott damit verdiene, ja, es sei ein Stand der Vollkommenheit, und setzen's den andern Ständen, so von Gott eingesetzt, weit vor. Das alles wird darum angezogen, ohne alle Verunglimpfung, damit man je desto besser vernehmen und verstehen möge, was und wie die Unsern lehren und predigen.

    Christlich lehren sie bei uns von denen, die zur Ehe greifen, also, daß alle die, so zum ledigen Stand nicht geschickt sind, Macht, Fug und Recht haben, sich zu verehelichen. Denn die Gelübde vermögen nicht, Gottes Ordnung und Gebot aufzuheben. Nun lautet Gottes Gebot (al)so 1 Kor. 7,2: "Um der Hurerei willen habe ein jeglicher seine eigene Frau, und eine jegliche habe ihren eigenen Mann." Dazu dringet, zwinget und treibet nicht allein Gottes Gebot, sondern auch Gottes Geschöpf und Ordnung alle die zum Ehestand, die ohne besonderes Gotteswerk mit der Gabe der Jungfrauschaft nicht begnadet sind, laut dieses Spruchs Gottes selbst 1 Mose 2,18: "Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; wir wollen ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei."

    Was mag man nun dawider aufbringen? Man rühme das Gelübde und die Pflicht, wie hoch man wolle, man mutze es auf, so hoch man kann, so mag man dennoch nicht erzwingen, daß Gottes Gebot dadurch aufgehoben werde. Die Doktoren sagen, daß die Gelübde, auch gegen des Papsts Recht, unbündig sind; wieviel weniger sollen sie denn binden, Statt und Kraft haben gegen Gottes Gebot!

    Wo die Pflicht der Gelübde keine andern Ursachen hätte, daß sie möchte aufgehoben werden, so hätten die Päpste auch nicht dawider dispensiert oder erlaubt; denn es gebühret keinem Menschen, die Pflicht, so aus göttlichen Rechten herwächst, zu zerreißen. Darum haben die Päpste wohl bedacht, daß in dieser Pflicht eine Ausnahme soll gebraucht werden, und haben zum öftern dispensiert, wie mit einem Könige von Aragonien und vielen andern. So man nun zu Erhaltung zeitlicher Dinge dispensiert hat, soll viel billiger dispensiert werden um Notdurft willen der Seelen.

    Folgends, warum treibt der Gegenteil so hart, daß man die Gelübde halten muß, und siehet nicht zuvor an, ob das Gelübde seine Art habe? Denn das Gelübde soll in möglichen Sachen und willig, ungezwungen sein. Wie aber die ewige Keuschheit in des Menschen Gewalt und Vermögen stehe, weiß man wohl; auch sind wenig, beide Männer und Frauen, die von sich selbst, willig und wohlbedacht das Klostergelübde getan haben. Ehe sie zum rechten Verstand kommen, so überredet man sie zum Klostergelübde; zuweilen werden sie auch dazu gezwungen und gedrungen. Darum ist es je nicht billig, daß man so geschwind und hart von der Gelübdepflicht disputiere, angesehen, daß sie alle bekennen, daß solches wider die Natur und Art des Gelübdes ist, daß es nicht willig und mit gutem Rat und Bedacht gelobt wird.

    Etliche Kanons und päpstliche Rechte zerreißen die Gelübde, die unter fünfzehn Jahren geschehen sind. Denn sie halten's dafür, daß man vor derselben Zeit so viel Verstand nicht hat, daß man die Ordnung des ganzen Lebens, wie dasselbe anzustellen, beschließen könne. Ein anderer Kanon gibt der menschlichen Schwachheit noch mehr Jahre zu, denn er verbietet, das Klostergelübde unter achtzehn Jahren zu tun. Daraus hat der meiste Teil Entschuldigung und Ursache, aus den Klöstern zu gehen, denn sie des mehrern Teils in der Kindheit vor diesen Jahren in Klöster kommen sind.

    Endlich, wenngleich der Bruch des Klostergelübdes möchte getadelt werden, so konnte aber dennoch nicht daraus folgen, daß man derselben Ehe zerreißen sollte. Denn St. Augustinus sagt 27. quaest. 1., cap. Nuptiarum, daß man solche Ehe nicht zerreißen soll. Nun ist je St. Augustin nicht in geringem Ansehen in der christlichen Kirche, obgleich etliche hernach anders gehalten.

    Wiewohl nun Gottes Gebot von dem Ehestande ihrer sehr viele vom Klostergelübde frei und ledig macht, so wenden doch die Unsern noch mehr Ursachen vor, daß Klostergelübde nichtig und nicht bindend seien; denn aller Gottesdienst, von den Menschen ohne Gottes Gebot und Befehl eingesetzt und erwählet, Gerechtigkeit und Gottes Gnade zu erlangen, sei wider Gott und dem heiligen Evangelium und Gottes Befehl entgegen, wie denn Christus selbst sagt Matth. 15,9: "Sie dienen mir vergeblich mit Menschengeboten." So lehret's auch St. Paulus überall, daß man Gerechtigkeit nicht soll suchen aus unsern Geboten und Gottesdiensten, so von Menschen erdichtet sind, sondern daß Gerechtigkeit und Frömmigkeit vor Gott kommt aus dem Glauben und Vertrauen, daß wir glauben, daß uns Gott um seines einigen Sohnes Christus willen zu Gnaden annimmt.   

    Nun ist es je am Tage, daß die Mönche gelehret und gepredigt haben, daß die erdachte Geistlichkeit genugtue für die Sünde und Gottes Gnade und Gerechtigkeit erlange. Was ist nun dies anders, denn die Herrlichkeit und Preis der Gnade Christi vermindern und die Gerechtigkeit des Glaubens verleugnen? Darum folget aus dem, daß solche gewöhnliche Gelübde unrechte, falsche Gottesdienste gewesen. Derhalben sind sie auch nicht bindend. Denn ein gottlos Gelübde, und das gegen Gottes Gebot geschehen, ist nicht bindend und ist nichtig; wie auch die Kanons lehren, daß der Eid nicht soll ein Band zur Sünde sein.

    St. Paulus sagt zu den Galatern im 5. Kapitel: "Ihr seid ab von Christus, die ihr durch das Gesetz gerechtfertigt werden wollt, und habt der Gnade gefehlet." Derhalben auch die, so durch Gelübde wollen gerechtfertigt werden, sind von Christus ab und fehlen der Gnade Gottes; denn dieselben rauben Christus seine Ehre, der allein gerecht macht, und geben solche Ehre ihren Gelübden und Klosterleben.

    Man kann auch nicht leugnen, daß die Mönche gelehret und gepredigt haben, daß sie durch ihre Gelübde und Klosterwesen und Weise gerecht werden und Vergebung der Sünden verdienen; ja, sie haben noch wohl ungeschickter und ungereimter Ding erdichtet und gesaget, daß sie ihre guten Werke den andern mtiteilten. Wenn nun einer dies alles wollte unglimpflich treiben und aufmutzen, wieviel Stücke könnte er zusammenbringen, deren sich die Mönche jetzt selbst schämen und nicht wollen getan haben! Über das alles haben sie auch die Leute des überredet, daß die erdichteten geistlichen Ordensstände sind christliche Vollkommenheit. Dies ist ja die Werke rühmen, daß man dadurch gerecht werde. Nun ist es nicht ein geringes Ärgernis in der christlichen Kirche, daß man dem Volke einen solchen Gottesdienst vorträgt, den die Menschen ohne Gottes Gebot erdichtet haben, und lehren, daß ein solcher Gottesdienst die Menschen vor Gott fromm und gerecht mache. Denn Gerechtigkeit des Glaubens, die man am meisten in der christlichen Kirche treiben soll, wird verdunkelt, wenn den Leuten die Augen aufgesperret werden mit dieser seltsamen Engelsgeistlichkeit und falschem Vorgeben der Armut, Demut und Keuschheit.

    Über das werden auch die Gebote Gottes und der rechte und wahre Gottesdienst dadurch verdunkelt, wenn die Leute hören, daß allein die Mönche im Stande der Vollkommenheit sein sollen. Denn die christliche Vollkommenheit ist, daß man Gott von Herzen und mit Ernst fürchtet und doch auch eine herzliche Zuversicht und Glauben, auch Vertrauen faßt, daß wir um Christus willen einen gnädigen, barmherzigen Gott haben, daß wir mögen und sollen von Gott bitten und begehren, was uns not ist, und Hilfe von ihm in allen Trübsalen gewißlich nach eines jeden Beruf und Stand gewarten; daß wir auch indes sollen mit Fleiß äußerlich gute Werke tun und unsers Berufs warten. Darin stehet die rechte Vollkommenheit und der rechte Gottesdienst, nicht im Betteln oder in einer schwarzen oder grauen Kappe usw. Aber das gemeine Volk fasset viel schädliche Meinung aus falschem Lob des Klosterlebens, so es höret, daß man den ledigen Stand ohne alle Maß lobet. Denn daraus folget, daß es mit beschwertem Gewissen im Ehestand ist. So der gemeine Mann höret, daß die Bettler allein sollen vollkommen sein, kann er nicht wissen, daß er ohne Sünde Güter haben und hantieren möge. So das Volk höret, es sei nur ein Rat, nicht Rache üben, folget, daß etliche meinen, es sei nicht Sünde, außerhalb des Amtes Rache zu üben. Etliche meinen, Rache gezieme den Christen gar nicht, auch nicht der Obrigkeit.

    Man lieset auch der Exempel viel, daß etliche Frau und Kind, auch ihr Regiment verlassen und sich in Klöster gesteckt haben. Dasselbe, haben sie gesagt, heißt aus der Welt fliehen und ein solch Leben suchen, das Gott besser gefiele als der andern Leben. Sie haben auch nicht können wissen, daß man Gott dienen soll in den Geboten, die er gegeben hat und nicht in den Geboten, die von Menschen erdichtet sind. Nun ist je das ein guter und vollkommener Stand des Lebens, welcher Gottes Gebot für sich hat; das aber ist ein gefährlicher Stand des Lebens, der Gottes Gebot nicht für sich hat. Von solchen Sachen ist vonnöten gewesen, den Leuten guten Bericht zu tun.

    Es hat auch Gerson in Vorzeiten den Irrtum der Mönche von der Vollkommenheit gestraft und zeigt an, daß bei seinen Zeiten dieses eine neue Rede gewesen sei, daß das Klosterleben ein Stand der Vollkommenheit sein soll.

    So viel gottloser Meinungen und Irrtümer kleben an den Klostergelübden: daß sie sollen rechtfertigen und fromm vor Gott machen, daß sie die christliche Vollkommenheit sein sollen, daß man damit beide, des Evangeliums Räte und Gebote, halte, daß sie haben die Übermaßwerk, die man Gott nicht schuldig sei. Dieweil denn solches alles falsch, eitel und erdichtet ist, so macht es auch die Klostergelübde nichtig und nicht bindend.

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    Über die erzwungene und falsch dargestellte Ehelosigkeit ist schon im Artikel 23, Von dem Ehestand der Priester, manches dargelegt worden, was in Grundaussagen auch hier wieder auftaucht. Dazu unterstreicht dieser Artikel, wieviel Übel durch den Mönchstand und die falsche damit verbundene Lehre geschehen und hebt das heraus, damit der Irrtum bekämpft und überwunden werde:

    1. der Klosterstand ist ein Übel, da er vielfach erzwungen wurde;

    2. der Klosterstand ist ein Übel aufgrund der falschen damit verbundenen Lehre:

       a) daß er der Taufe gleichgestellt, ja, höhergestellt wird;

       b) daß er die Gnade verdiene;

       c) daß er überschüssige Werke tue;

       d) darum, daß dadurch die tatsächlich von Gott gebotenen Stände und Werke herabgesetzt und verdunkelt werden;

    3. die Klostergelübde sind nicht bindend:

       a) da Gottes Gebot und Ordnung nicht durch menschliches Gebot aufgehoben werden kann;

       b) da die damit verbundene Lehre gegen Gottes Lehre ist;

       c) da sie vielfach erzwungen wurden und in einem zu jungen Alter geschahen.

    Zwar wird heute offiziell, etwa im neuen römischen 'Weltkatechismus' der Verdienstcharakter des Mönchtums nicht mehr so stark herausgestellt, andererseits aber heißt es, Par. 922 ff., dort auch heute noch, daß dieser Stand ein besonders gottgeweihter sei, daß hier 'evangelische Räte' befolgt würden. Nun ist schon der Begriff 'evangelischer Rat' ein Widerspruch in sich, da er eine Vermengung von Gesetz und Evangelium darstellt; zum anderen steht in seinem Hintergrund die Behauptung, es gebe göttliche Ordnungen, die nicht für alle gleichermaßen verbindlich seien, was nirgends in der Bibel zu finden ist. Tatsächlich kennt die Bibel die Ehelosigkeit nur als besondere Gabe - aber sie wertet darum das eheliche Leben nicht geringer. Der rechte Gottesdienst geschieht nicht durch die 'Gelübde' der Armut, Keuschheit und des Gehorsams, sondern im Glauben an Gott in Christus, woraus dann die Werke folgen, die Gott tatsächlich verordnet hat, wozu die Ehelosigkeit so wenig gehört wie die Armut oder die über die geordneten Stände hinausgehende Unterwerfung unter erdachte Obrigkeiten. So ist auch das heutige Mönchtum nichts anderes als erdachte Frömmigkeit und hat keinerlei göttliche Verheißung, ist Menschengebot und so gegen Gottes Ordnung gerichtet.

    Dies gilt umso mehr, als auch heute wie zu allen Zeiten gilt, daß kein Mensch über die von Gott geschaffene Natur Gewalt hat und es darum in keines Menschen Kraft, Gewalt und Vermögen steht, Ehelosigkeit zu geloben.

    Da, wo Menschen die besondere Gabe der Ehelosigkeit haben, sei es für eine gewisse Zeit oder für ihr ganzes Leben, und sie gebrauchen, um Gott besonders zu dienen, ist es recht, wenn sie dabei auch von den Gemeinden getragen werden. Aber sie stehen damit nicht in einem höheren oder besseren Stand, erfüllen auch keinen besonderen 'Rat' Gottes, sondern üben nur eine Gabe aus, die Gott ihnen gegeben hat, während andere Menschen andere Gaben haben zum Dienste im Reich Gottes. Solch ein Leben aber darf nicht gebunden sein durch 'Gelübde', die, da sie gegen Gottes Ordnung und Schöpfung sind, von vornherein nichtig sind. Wenn sich freie Gemeinschaften solcher finden, die ehelos Gott in ihrer Gemeinde oder Gemeindeverband dienen wollen, so ist dagegen nichts einzuwenden, so lange sie wirklich frei sind und niemandem ein Joch auflegen, das Gott uns nicht aufgelegt hat, auch nicht von ihrer Frömmigkeit meinen, sie sei etwas besonderes. Aber nur dann könnten solche Gemeinschaften recht geordnet sein, wenn sie sich wirklich den Dienst in der Kirche und mit der Kirche als Aufgabe gestellt sein lassen und nicht sich selbst und damit einer aus Menschengeboten gebauten Frömmigkeit fröhnen. Jederzeit muß es daher jedem, der darinnen lebt, auch frei sein, ehelich zu werden.

Artikel 28.

Von der Bischöfe Gewalt oder

Von der Unterscheidung geistlicher und weltlicher Gewalt

    Von der Bischöfe Gewalt ist vorzeiten viel und mancherlei geschrieben, und haben etliche unschicklich die Gewalt der Bischöfe und das weltliche Schwert untereinander gemenget und sind aus diesem unordentlichen Gemenge sehr große Kriege, Aufruhr und Empörung erfolgt, aus dem, daß die Bischöfe im Schein ihrer Gewalt, die ihnen von Christus gegeben, nicht allein neue Gottesdienste angerichtet haben und mit Vorbehaltung etlicher Fälle und mit gewaltsamem Bann die Gewissen beschwert, sondern auch sich unterwunden, Kaiser und Könige zu setzen und entsetzen ihres Gefallens; welchen Frevel auch lange Zeit hiervor gelehrte und gottesfürchtige Leute in der Christenheit gestraft haben. Derhalben die Unsern zu Trost der Gewissen gezwungen sind worden, den Unterschied der geistlichen und weltlichen Gewalt, Schwerts und Regiments anzuzeigen, und haben gelehrt, daß man beide Regimente und Gewalten um Gottes Gebots willen mit aller Andacht ehren und wohl halten soll als zwei höchste Gaben Gottes auf Erden.

    Nun lehren die Unsern (al)so, daß die Gewalt der Schlüssel oder der Bischöfe sei, laut des Evangeliums, eine Gewalt und Befehl Gottes, das Evangelium zu predigen, die Sünde zu vergeben und zu behalten und die Sakramente zu reichen und zu handeln. Denn Christus hat die Apostel mit diesem Befehl ausgesandt Joh. 20: "Gleichwie mich mein Vater gesandt hat, also sende ich euch auch. Nehmet hin den Heiligen Geist; welchen ihr ihre Sünden erlassen werdet, denselben sollen sie erlassen sein, und denselben ihr sie (vor)behalten werdet, denen sollen sie (vor)behalten sein."

    Dieselbe Gewalt der Schlüssel oder der Bischöfe übt und treibet man allein mit der Lehre und Predigt Gottes Worts und mit Handreichung der Sakramente gegen viele oder einzelne Personen, danach der Beruf ist. Denn damit werden gegeben nicht leibliche, sondern ewige Dinge und Güter, wie nämlich ewige Gerechtigkeit, der Heilige Geist und das ewige Leben. Diese Güter kann man anders nicht erlangen als durch das Amt der Predigt und durch die Handreichung der heiligen Sakramente. Denn St. Paulus spricht Röm. 1,16: "Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, selig zu machen alle, die daran glauben." Dieweil nun die Gewalt der Kirche oder Bischöfe ewige Güter gibt und allein durch das Predigtamt geübt und getrieben wird, so hindert sie die Polizei und das weltliche Regiment nichts überall. Denn das weltliche Regiment gehet mit viel andern Sachen um als das Evangelium; weltlich Gewalt schützt nicht die Seele, sondern Leib und Gut wider äußerliche Gewalt mit dem Schwert und leiblichen Strafen.

    Darum soll man die zwei Regimente, das geistliche und weltliche, nicht ineinandermengen und -werfen; denn die geistliche Gewalt hat ihren Befehl, das Evangelium zu predigen und die Sakramente zu reichen, soll auch nicht in ein fremd Amt fallen, soll nicht Könige setzen und entsetzen, soll weltlich Gesetz und Gehorsam der Obrigkeit nicht aufheben oder zerrütten, soll weltlicher Gewalt nicht Gesetze machen und stellen von weltlichen Händeln; wie denn auch Christus selbst gesagt hat Joh. 18,36: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt"; ebenso Luk. 12,14: "Wer hat mich zu einem Richter zwischen euch gesetzt?" Und St. Paulus zu den Philippern im 3. Kapitel: "Unsere Bürgerschaft ist im Himmel"; und in der andern zu den Korinthern im 10. Kapitel: "Die Waffen unserer Ritterschaft sind nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott, zu verstören die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes."

    Diesergestalt unterscheiden die Unsern beider Regimenten und Gewalten Ämter und heißen sie beide als die höchsten Gaben Gottes auf Erden in Ehren halten.

    Wo aber die Bischöfe weltlich Regiment und Schwert haben, so haben sie dieselben nicht als Bischöfe aus göttlichen Rechten, sondern aus menschlichen, kaiserlichen Rechten, geschenkt von römischen Kaisern und Königen zu weltlicher Verwaltung ihrer Güter, und gehet das Amt des Evangeliums gar nichts an.

    Derhalben ist das bischöfliche Amt nach göttlichen Rechten: das Evangelium predigen, Sünden vergeben, Lehre erteilen und die Lehre, so dem Evangelium entgegen, verwerfen und die Gottlosen, deren gottloses Wesen offenbar ist, aus christlicher Gemeinde ausschließen, ohne menschliche Gewalt, sondern allein durch Gottes Wort. Und diesfalls sind die Pfarrleute und Kirchen schuldig, den Bischöfen gehorsam zu sein, laut dieses Spruchs Christi, Lukas im 10. Kapitel: "Wer euch höret, der höret mich." Wo sie aber etwas dem Evangelium entgegen lehren, setzen oder aufrichten, haben wir Gottes Befehl in solchem Fall, daß wir nicht sollen gehorsam sein, Matth. im 7. Kapitel: "Sehet euch vor vor den falschen Propheten!" Und St. Paulus zu den Galatern im 1. Kapitel: "So auch wir oder ein Engel vom Himmel euch ein ander Evangelium predigen würde als das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht!" Und in der 2. Epistel zu den Korinthern im 13. Kapitel: "Wir haben keine Macht wider die Wahrheit, sondern für die Wahrheit"; ebenso: "Nach der Macht, welche mir der Herr zu bessern und nicht zu verderben gegeben hat." Also gebietet auch Das geistliche Recht 2., quaest. 7 im Kap. "Sacerdotes" und im Kap. "Oves". Und St. Augustin schreibt in der Epistel wider Petilianus: "Man soll auch den Bischöfen, so ordentlich gewählet, nicht folgen, wo sie irren oder etwas wider die Heilige göttliche Schrift lehren oder ordnen."  
    Daß aber die Bischöfe sonst Gewalt und Gerichtszwang haben in etlichen Sachen, nämlich Ehesachen oder Zehnten, dieselben haben sie aus Kraft menschlicher Rechte. Wo aber die Ordinarien nachlässig in solchem Amt sind, so sind die Fürsten schuldig, sie tun's auch gleich gern oder ungern, hierin ihren Untertanen um Friedens willen Recht zu sprechen, zur Verhütung Unfriedens und großer Unruhe in Ländern.

    Weiter disputiert man auch, ob Bischöfe Macht haben, Zeremonien in der Kirche aufzurichten, desgleichen Satzungen von Speisen, Feiertagen, von unterschiedlichen Orden der Kirchendiener. Denn die den Bischöfen diese Gewalt geben, ziehen diesen Spruch Christi an, Joh. im 16. Kapitel: "Ich habe euch noch viel zu sagen, ihr aber könnet's jetzt nicht tragen; wenn aber der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit führen." Dazu führen sie auch das Exempel Apg. 15,20.29 an, da sie Blut und Ersticktes verboten haben. So zieht man auch das an, daß der Sabbat in den Sonntag verwandelt ist worden wider die zehn Gebote, dafür sie es achten, und wir kein Exempel so hoch getrieben und angezogen wie die Verwandlung des Sabbats, und wollen damit erhalten, daß die Gewalt der Kirche groß sei, dieweil sie mit den zehn Geboten dispensiert und etwas daran verändert hat.

    Aber die Unsern lehren in dieser Frage (al)so, daß die Bischöfe nicht Macht haben, etwas wider das Evangelium zu setzen und aufzurichten; wie denn oben angezeigt ist und die geistlichen Rechte durch die ganze neunte Distinktion lehren. Nun ist dieses öffentlich wider Gottes Befehl und Wort, in der Meinung, Gesetze zu machen oder zu gebieten, daß man dadurch für die Sünden genugtue und Gnade erlange. Denn es wird die Ehre des Verdienstes Christi verlästert, wenn wir uns mit solchen Satzungen unterwinden, Gnade zu verdienen. Es ist auch am Tage, daß um dieser Meinung willen in der Christenheit menschliche Aufsatzungen unzählig überhandgenommen haben, und indes die Lehre vom Glauben und die Gerechtigkeit des Glaubens gar ist unterdrückt gewesen. Man hat täglich neue Feiertage, neue Fasten geboten, neue Zeremonien und neue Ehrerbietung der Heiligen eingesetzt, mit solchen Werken Gnade und alles Gute bei Gott zu verdienen.

    Ebenso, die menschliche Satzungen aufrichten, tun auch damit wider Gottes Gebot, daß sie Sünde setzen in der Speise, in Tagen und dergleichen Dingen, und beschweren also die Christenheit mit der Knechtschaft des Gesetzes, eben als müßte bei den Christen ein solcher Gottesdienst sein, Gottes Gnade zu verdienen, der gleich wäre dem levitischen Gottesdienst, welchen Gott sollte den Aposteln und Bischöfen befohlen haben aufzurichten, wie denn etliche davon schreiben. Stehet auch wohl zu glauben, daß etliche Bischöfe mit dem Exempel des Gesetzes Mosis sind betrogen worden. Daher so unzählige Satzungen kommen sind, daß es eine Todsünde sein soll, wenn man an Feiertagen eine Handarbeit tue, auch ohne Ärgernis der andern, daß es eine Todsünde sei, wenn man die Siebenzeit [die sieben Gebetsstunden jedes Tages] nachläßt, daß etliche Speisen das Gewissen verunreinigen, daß Fasten ein solch Werk sei, damit man Gott versöhne, daß die Sünde in einem vorbehaltenen Fall werde nicht vergeben, man ersuche denn zuvor den Vorbehalter des Falles, unangesehen, daß die geistlichen Rechte nicht von Vorbehaltung der Schuld, sondern von Vorbehaltung der Kirchenstrafen reden.

    Woher haben denn die Bischöfe Recht und Macht, solche Aufsätze der Christen aufzulegen, die Gewissen zu verstricken? Denn St. Peter verbietet in der Apostelgeschichte im 15. Kapitel, das Joch auf der Jünger Hälse zu legen. Und St. Paulus sagt zu den Korinthern, daß ihnen die Gewalt, zu bessern und nicht zu verderben, gegeben sei. Warum mehren sie denn die Sünden mit solchen Aufsätzen?

    Doch hat man helle Sprüche der göttlichen Schrift, die da verbieten, solche Aufsätze aufzurichten, die Gnade Gottes damit zu verdienen oder als sollten sie vonnöten zur Seligkeit sein. So sagt St. Paulus zu den Kolossern im 2. Kapitel: "So laßt nun niemand euch Gewissen machen über Speise oder über Trank oder über bestimmte Tage, nämlich die Feiertage, oder Neumonde oder Sabbathe, welches ist der Schatten von dem, das zukünftig war, aber der Körper selbst ist in Christus"; ebenso: "So ihr denn nun gestorben seid mit Christus von den weltlichen Satzungen, was laßt ihr euch denn fangen mit Satzungen, als wäret ihr lebendig? Die da sagen: Du sollst das nicht anrühren, du sollst das nicht essen noch trinken, du sollst das nicht anlegen; welches sich doch alles unter Händen verzehret und sind Menschengebot und -lehre, und haben einen Schein der Weisheit." Ebenso: St. Paulus zu Titus im 1. Kapitel gebietet öffentlich, man soll nicht achten auf jüdische Fabeln und Menschengebote, welche die Wahrheit abwenden.

    So redet auch Christus selbst Matthäus im 15. Kapitel von denen, so die Leute auf Menschengebote treiben: "Laßt sie fahren, sie sind der Blinden blinde Leiter", und verwirft solchen Gottesdienst und sagt: "Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzet hat, die werden ausgerottet."

    So nun die Bischöfe Macht haben, die Kirchen mit unzähligen Aufsätzen zu beschweren und die Gewissen zu verstricken, warum verbietet dann die göttliche Schrift so oft, die menschlichen Aufsätze zu machen und zu hören? Warum nennet sie dieselben Teufelslehren? Sollte denn der Heilige Geist solches alles vergeblich verwarnet haben?

    Derhalben, dieweil solche Ordnungen, als nötig aufgerichtet, damit Gott zu versöhnen und Gnade zu verdienen, dem Evangelium entgegen sind, so ziemt sich keineswegs den Bischöfen, solche Gottesdienste zu erzwingen. Denn man muß in der Christenheit die Lehre von der christlichen Freiheit behalten, als nämlich, daß die Knechtschaft des Gesetzes nicht nötig ist zur Rechtfertigung, wie denn St. Paulus zu den Galatern schreibt im 5. Kapitel: "So bestehet nun in der Freiheit, damit uns Christus befreiet hat, und laßt euch nicht wiederum in das knechtische Joch verknüpfen." Denn es muß je der vornehmste Artikel des Evangeliums uns erhalten werden, daß wir die Gnade Gottes durch den Glauben an Christus ohne unser Verdienst erlangen und nicht durch Dienst, von Menschen eingesetzt, verdienen.

    Was soll man denn halten vom Sonntag und dergleichen andern Kirchenordnungen und Zeremonien? Dazu geben die Unsern diese Antwort, daß die Bischöfe oder Pfarrer mögen Ordnungen machen, damit es ordentlich in der Kirche zugehe, nicht damit Gottes Gnade zu erlangen, auch nicht, damit für die Sünden genugzutun oder die Gewissen damit zu verbinden, solches für nötigen Gottesdienst zu halten und es dafür zu achten, daß sie Sünde täten, wenn sie ohne Ärgernis dieselben brechen. Also hat St. Paulus zu den Korinthern verordnet, daß die Frauen in der Versammlung ihr Haupt sollen decken; ebenso, daß die Prediger in der Versammlung nicht zugleich alle reden, sondern ordentlich, einer nach dem andern.

    Solche Ordnung gebührt der christlichen Versammlung um der Liebe und Friedens willen zu halten und den Bischöfen und Pfarrern in diesen Fällen gehorsam zu sein und dieselben sofern zu halten, daß einer den andern nicht ärgere, damit in der Kirche keine Unordnung oder wüstes Wesen sei; doch also, daß die Gewissen nicht beschwert werden, daß man's für solche Dinge halte, die not sein sollten zur Seligkeit, und es dafür achte, daß sie Sünde täten, wenn sie dieselben ohne der andern Ärgernis brechen; wie denn niemand sagt, daß die Frau Sünde tue, die mit bloßem Haupt ohne Ärgernis der Leute ausgeht.

    Also ist die Ordnung vom Sonntage, von der Osterfeier, von den Pfingsten und dergleichen Feier und Weise. Denn die es dafür achten, daß die Ordnung vom Sonntag für den Sabbath als nötig aufgerichtet sei, die irren sehr. Denn die Heilige Schrift hat den Sabbath abgetan und lehrt, daß alle Zeremonien des alten Gesetzes nach Eröffnung des Evangeliums mögen nachgelassen werden. Und dennoch, weil vonnöten gewesen ist, einen gewissen Tag zu verordnen, auf daß das Volk wüßte, wann es zusammenkommen sollte, hat die christliche Kirche den Sonntag dazu verordnet und zu dieser Veränderung desto mehr Gefallen und Willen gehabt, damit die Leute ein Exempel hätten der christlichen Freiheit, daß man wüßte, daß weder die Haltung des Sabbaths noch eines andern Tages vonnöten sei.

    Es sind viele unrichtige Disputationen von der Verwandlung des Gesetzes, von den Zeremonien des Neuen Testamentes, von der Veränderung des Sabbaths, welche alle entsprungen sind aus falscher und irriger Meinung, als müßte man in der Christenheit einen solchen Gottesdienst haben, der dem levitischen oder jüdischen Gottesdienst gemäß wäre, und als sollte Christus den Aposteln und Bischöfen befohlen haben, neue Zeremonien zu erdenken, die zur Seligeit nötig wären. Dieselben Irrtümer haben sich in die Christenheit eingeflochten, da man die Gerechtigkeit des Glaubens nicht lauter und rein gelehrt und gepredigt hat. Etliche disputieren (al)so vom Sonntage, daß man ihn halten müsse, wiewohl nicht aus göttlichen Rechten, dennoch schier so viel als aus göttlichen Rechten; stellen Form und Maß, wiefern man am Feiertage arbeiten mag. Was sind aberr solche Disputationen anders denn Fallstricke des Gewissens? Denn wiewohl sie sich unterstehen, menschliche Aufsätze zu lindern und Nachsicht zu üben, so kann man doch keine epieikeian oder Linderung treffen, solange die Meinung stehet und bleibet, als sollten sie vonnöten sein. Nun muß dieselbige Meinung bleiben, wenn man nichts weiß von der Gerechtigkeit des Glaubens und von der christlichen Freiheit.

    Die Apostel haben geheißen, man solle sich enthalten des Blutes und Erstickten. Wer hält's aber jetzt? Aber dennoch tun die keine Sünde, die es nicht halten; denn die Apostel haben auch selbst die Gewissen nicht wollen beschweren mit solcher Knechtschaft, sondern haben's um Ägernisses willen eine Zeitlang verboten. Denn man muß Achtung haben in dieser Satzung auf das Hauptsütck christlicher Lehre, das durch dieses Dekret nicht aufgehoben wird.

    Man hält schier keine alten Kanons, wie sie lauten; es fallen auch derselben Satzungen täglich viele weg, auch bei denen, die solche Aufsätze allerfleißigst halten. Da kann man den Gewissen nicht raten, noch helfen, wo diese Lindernung nicht gehalten wird, daß wir wissen, solche Aufsätze also zu halten, daß man's nicht dafür achte, daß sie nötig seien; daß auch den Gewissen unschädlich sei, obgleich solche Aufsätze fallen.

    Es würden aber die Bischöfe leichtlich den Gehorsam erhalten, wo sie nicht darauf drängen, diejenigen Satzungen zu halten, so doch ohne Sünde nicht mögen gehalten werden. Jetzt aber tun sie ein Ding und verbieten beiderlei Gestalt des heiligen Sakraments, ebenso den Geistlichen den Ehestand, nehmen niemand auf, er tue denn zuvor einen Eid, er wolle diese Lehre, so doch ohne Zweifel dem heiligen Evangelium gemäß ist, nicht predigen. Unsere Kirchen begehren nicht, daß die Bischöfe mit Nachteil ihrer Ehren und Würden wiederum Frieden und Einigkeit machen; wiewohl solches den Bischöfen in der Not auch zu tun gebühret. Allein bitten sie darum, daß die Bischöfe etliche unbillige Beschwerungen nachlassen, die doch vorzeiten auch in der Kirche nicht gewesen und angenommen sind wider den Gebrauch der christlichen gemeinen Kirche; welche vielleicht im Anheben etliche Ursachen gehabt, aber sie reimen sich nicht zu unsern Zeiten. So ist es auch unleugbar, daß etliche Satzungen aus Unverstand angenommen sind. Darum sollten die Bischöfe der Gütigkeit sein, dieselben Satzungen zu mildern, umso mehr eine solche Änderung nichts schadet, die Einigkeit christlicher Kirche zu erhalten. Denn viele Satzungen, von den Menschen aufgekommen, sind mit der Zeit selbst gefallen und nicht nötig zu halten, wie die päpstlichen Rechte selbst zeugen. Kann's aber je nicht sein, es auch bei ihnen nicht zu erhalten, daß man solche menschliche Satzungen mäßige und abtue, welche man ohne Sünde nicht kann halten, so müssen wir der Apostel Regel folgen, die uns gebietet, wir sollen Gott mehr gehorsam sein als den Menschen.

    St. Peter verbietet den Bischöfen die Herrschaft, als hätten sie Gewalt, die Kirchen, wozu sie wollten, zu zwingen. Jetzt gehet man nicht damit um, wie man den Bischöfen ihre Gewalt nehme, sondern man bittet und begehrt, sie wollten die Gewissen nicht zu Sünden zwingen. Wenn sie aber solches nicht tun werden und diese Bitte verachten, so mögen sie gedenken, wie sie deshalben Gott werden Antwort geben müssen, dieweil sie mit solcher ihrer Härtigkeit Ursache geben zu Spaltung und Schisma, das sie doch billig sollen verhüten helfen.

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    Dieser Artikel von der Gewalt der Bischöfe hebt zwei wichtige Bereiche heraus:

    I. die Trennung von weltlicher und geistlicher Gewalt oder Staat und Kirche;

    II. die christliche Freiheit und damit den Auftrag und die Grenzen des Bischofs- (und Pastoren-) Amtes.

    Dabei wird unter I. dargelegt:

       1. beide Gewalten sind von Gott;  

       2. die geistliche Gewalt behindert die weltliche nicht;

       3. die geistliche Gewalt soll der weltlichen nicht ins Regiment fallen

    Zu II. wird weiter ausgeführt:

       1. die wahre Gewalt des Bischofsamtes: das Evangelium predigen und die Sakramente verwalten;

       2. wo Bischöfe falsch lehren, sind sie als falsche Propheten zu fliehen;

       3. keine Zeremonien den Gemeinden mit Zwang auferlegen, insbesondere nicht unter dem Vorwand, sie seien nötig zur Seligkeit;

       4. Zeremonien und Ordnungen nur machen, damit es friedlich und ordentlich zugehe in der Kirche, ohne daß es Sünde wäre, sie ohne Ärgernis zu brechen

          a. das Beispiel der Kopfbedeckung der Frau im Gottesdienst;

          b. das Beispiel des Sonntags.

Zu I. Das Mittelalter war gekennzeichnet durch die Vermischung von kirchlicher und weltlicher Gewalt, zum einen dadurch, daß insbesondere Bischöfe immer wieder zu landesfürstlichen Aufgaben herangezogen wurden, dann durch die Investitur (Einsetzung) der Bischöfe und Pfarrer durch den Fürsten, schließlich durch die Amtsanmaßung des Papstes, der Fürsten absetzte, Untertanen ihres Eides entband und selbst sich als oberster Fürst über alle Herrscher aufspielte. Aber auch in der Zeit nach der lutherischen Reformation ist es bis heute immer wieder zu einer Vermengung beider Bereiche gekommen.

Gegen Luthers Willen wurde das Notbistum der Fürsten zu einer Dauereinrichtung, die Kirchenleitung zu einer staatlichen Organisation, die immer mehr kirchliche Aufgaben, etwa den Bann, Lehrzucht, behinderte. Zur Zeit von Aufklärung und Pietismus kam es dann, philosophisch vorbereitet, zur völligen Machtübernahme des Staates in der Kirche, die bis heute nicht ganz beendet ist. Andererseits haben wir auf reformierter Seite den Versuch, den Staat der Kirche zu unterwerfen, wie es etwa Calvin in Genf, schon zuvor Zwingli in Zürich, versuchte, mit Auswirkungen bis in alle Lebensbereiche hinein, so daß das Genf Calvins als ein totalitäres System bezeichnet werden muß. Die Auswirkungen gingen noch weiter, nämlich der Anmaßung aktiven Widerstandes, bis hin zum Umsturz (John Knox in Schottland; ähnliche Versuche in Frankreich, die mit zu den Hugenottenkriegen führten).

    Die heutige Zeit ist in besonderer Weise von der Vermengung von Kirche und Staat gekennzeichnet, nämlich durch das Eingreifen der Kirche in weltliche Ämter. Im Hintergrund steht die reformierte Lehre von Christen- und Bürgergemeinde als konzentrischen Kreisen, die keine klare Trennung beider kennt, und die falsche Lehre einer 'Königsherrschaft Christi', durch die faktisch der Staat mit der Bibel regiert werden soll. Daher dringt die Kirche mit ihren Erklärungen, Verlautbarungen, Forderungen immer mehr in weltliche Bereiche hinein, etwa Sozial- und Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik, um nur einzelne Bereiche zu nennen. Ihr eigentliches Amt, das Evangelium zu predigen, verkennt sie immer mehr.

    Die biblische Lehre, wie sie der 28. Artikel bekennt, lautet dagegen: "Darum soll man die zwei Regimente, das geistliche und weltliche, nicht ineinandermengen und -werfen; denn die geistliche Gewalt hat ihren Befehl, das Evangelium zu predigen und die Sakramente zu reichen, soll auch nicht in ein fremd Amt fallen." Und dazu gibt der Artikel auch die grundlegenden Schriftstellen an, nämlich Christi Wort, daß sein Reich nicht von dieser Welt ist, also eben kein Reich wie das der Staaten, kein irdisch-äußerlicher Bau, keine neue, veränderte Gesellschaft, Joh. 18,36; ebenso den so notwendigen Hinweis, daß er, Jesus, sich weigerte, Erbschlichter zu sein, Luk. 12,14 - also nicht ein weltlich-soziales Amt annahm, während genau das die Kirche heute vielfach tut. Die biblische Lehre ist also die einer klaren und völligen Trennung, wobei die geistliche Gewalt sich nicht in die Politik einmischt, gleichermaßen aber auch der Staat der Kirche die Freiheit des Amtes, der Verkündigung läßt, ihr nicht vorschreibt, was oder wem sie predigen darf und was oder wem nicht, wie es ja in totalitären Systemen immer wieder versucht wird. Solch einem Eindringen des Staates müßte die Kirche widerstehen, nicht mit Gewalt, sondern durch passiven Widerstand, Apg. 5,29.

    Eine Trennung beider Gewalten darf nie übersehen: sie sind beide von Gott: "... heißen sie beide als die höchsten Gaben Gottes auf Erden in Ehren halten."

    Zu II. Was aber ist nun die Aufgabe oder das Amt der Kirche oder Bischöfe? "Nun lehren die Unsern also, daß die Gewalt der Schlüssel oder der Bischöfe sei, laut des Evangeliums, eine Gewalt und Befehl Gottes, das Evangelium zu predigen, die Sünde zu vergeben und zu behalten und die Sakramente zu reichen und zu handeln." "Denn damit werden gegeben nicht leibliche, sondern ewige Dinge und Güter, als nämlich ewige Gerechtigkeit, der Heilige Geist und das ewige Leben. Diese Güter kann man anders nicht erlangen als durch das Amt der Predigt und durch die Handreichung der heiligen Sakramente." Das Amt der Kirche, die Schlüsselgewalt, die ihr Gott verliehen hat, geht eben gerade nicht über irdische oder leibliche Güter, geht nicht über das äußerliche Leben in dieser Welt, über soziale oder politische Dinge, sondern allein über die ewigen Güter, nämlich das Heil, die Vergebung der Sünden. Alles andere liegt außerhalb des Amtes der Kirche und ist ein Eingreifen in fremde Ämter, was Gott streng verbietet, 1 Petr. 4,15. Das Amt der Kirche ist das Amt der Predigt, verbunden mit der Verwaltung der Sakramente. Alle anderen Ämter, die damit im Zusammenhang stehen, etwa der Religionslehrer, sind Zweigämter des Einen Amtes, des heiligen Predigtamtes in der örtlichen Gemeinde. Wohl fließen aus der Nächstenliebe etwa noch weitere Tätigkeiten, wie die Diakonie, aber sie gehört nicht zum eigentlichen Beruf der Kirche als Kirche, sondern sind Folgen, Früchte der Predigt des Evangeliums.

    So ist es die Aufgabe des Pastors (und der Bischof ist nicht anderes als Pastor, und so er nach menschlicher Ordnung über andere gesetzt ist, nicht anderes als Pastor pastores, also Pastor der Pastor, Hirte der Hirten) ist also die Predigt und Sakramentsverwaltung, ist das Treiben der Lehre Gottes. Wenn sie aber nicht die Lehre Gottes bringen, so haben die Gemeinden "Gott mehr gehorsam [zu] sein als den Menschen" und geben diese Bischöfe und Pastoren Ursache zur Spaltung. Denn sie haben sich damit getrennt von Gottes Wort und Lehre - und darum soll jeder sie fliehen, sie meiden, ausgehen von ihnen, von ihnen weichen, kurz: sich von ihnen trennen, Röm. 16,17; 2 Kor. 6,14-18; 1 Joh. 4,1-3; 2 Joh 8-11; Joh. 10,5.

    Wie weit aber geht diese geistliche Gewalt? Sie geht nicht weiter als die Schrift lehrt. Wo also die Schrift Gottes nichts ordnet und lehrt, da kann auch ein Pastor oder Bischof nichts gewissensverbindlich lehren oder ordnen. Hier ist ja Rom zu weit gegangen, indem es die Zeremonien für gewissensverbindlich erklärt hat - und viele sind ihm bis heute darinnen gefolgt und sprechen von einer 'neutestamentlichen Verfassung', die göttlichen Rechts sei (Reformierte) oder richten Ordnungen auf als bindend über den Gemeinden, wie es mit Liturgie, Gesangbüchern oder auch mit vielen Dingen des Lebens steht, wovon die Schrift nichts gebietet und daher in der Freiheit der Gemeinde steht, es zu ordnen.

    Insbesondere ist es falsche Lehre, solche Dinge der äußeren Ordnung als nötig für das Heil zu bezeichnen. Hier wird Christus selbst und sein Erlösungswerk angegriffen und werden menschliche Werke als nötig für das Heil bezeichnet. Was Gott nicht zur Sünde macht, das dürfen wir auch nicht zur Sünde machen, worüber Gott nichts ordnet, da darf gewissensverbindlich nichts geordnet werden.

    Die Augsburgische Konfession greift zwei Beispiele heraus, um es an ihnen deutlich zu machen. Da ist einmal die Kopfbedeckung der Frau im Gottesdienst. St. Paulus ermahnt die korinthischen Frauen ja dazu, sie zu tragen - aber doch ist es kein Gesetz Gottes, wie auch der Zusammenhang zeigt, denn er beruft sich als Autorität, warum er darüber auch nicht streitet, sondern die Annahme durch die Korinther erwartet, auf die Übereinstimmung der Apostel und Gemeinden und nicht ein göttliches Gesetz. So haben wir es hier mit einem apostolischen Rat zu tun, wie die Frau ihr Untertansein unter den Mann auch äußerlich bekennen kann. Wo eine Gemeinde dies so ordnet, da ist es verbindlich - aber wenn es ohne Ärgernis gelassen werden kann, kann man es auch abtun.

    Das andere Beispiel ist der Sonntag. Die Bibel kennt für das Neue Testament keine Fortsetzung des Sabbathgebotes in dem Sinne, daß Gott einen bestimmten Tag herausgenommen hätte, Röm. 14,5.6; Kol. 2,16.17. Vielmehr sind grundsätzlich alle Tage vor Gott gleich, weshalb auch Sonntagsarbeit keine Sünde ist. Aber es ist eine gute kirchliche Ordnung, einen festen Tag zur Versammlung der Gemeinde, zum Gottesdienst, zu haben. Und sie hat den Sonntag, den Herrentag, genommen, einmal, um ihre Freiheit vom Sabbath zu dokumentieren, zum anderen, da dies der Auferstehungstag Jesu Christi ist und daher besonders hochzuhalten sich gut eignet. Aber dies ist in christlicher Freiheit geschehen. Diese Freiheit darf niemand antasten, da damit auch immer das Evangelium Christi, die Erlösung allein aus Gnaden, allein um Christi willen, allein durch den Glauben sonst angegriffen würde.          

Schluß

Dies sind die vornehmsten Artikel, die für streitig geachtet werden. Denn wiewohl man viel mehr Mißbräuche und Unrichtigkeit hätte anziehen können, so haben wir doch, die Weitläufigkeit und Länge zu verhüten, allein die vornehmsten vermeldet, daraus die andern leichtlich zu ermessen. Denn man hat in Vorzeiten sehr geklagt über den Ablaß, über Wallfahrten, über Mißbrauch des Bannes. Es hatten auch die Pfarrer unendlich Gezänk mit den Mönchen von wegen des Beichthörens, des Begräbnisses, der Beipredigten [Predigten zu außergewöhnlichen Gelegenheiten] und unzähliger anderer Stücke mehr. Solches alles haben wir im besten und um Glimpfs willen übergangen, damit man die vornehmsten Stücke in dieser Sache desto besser vermerken möchte. Dafür soll es auch nicht gehalten werden, daß in dem jemandem etwas zu Haß, zuwider oder zu Unglimpf geredet oder angezogen sei, sondern wir haben allein die Stücke erzählet, die wir für nötig anzuziehen und vermelden geachtet haben, damit man daraus desto besser zu vernehmen habe, daß bei uns nichts, weder mit Lehre noch mit Zeremonien, angenommen ist, das entweder der Heiligen Schrift oder gemeiner christlicher Kirche entgegen wäre. Denn es ist je am Tage und öffentlich, daß wir mit allem Fleiß, mit Gottes Hilfe (ohne Ruhm zu reden) verhütet haben, damit nicht eine neue und gottlose Lehre sich in unsern Kirchen einflechte, einreiße und überhandnehme.

    Die obgemeldeten Artikel haben wir dem Ausschreiben nach übergeben wollen zu einer Anzeigung unsers Bekenntnisses und der Unsern Lehre. Und ob jemand befunden würde, der daran Mangel hätte, dem ist man ferner Bericht mit Grund göttlicher Heiliger Schrift zu tun erbötig.

Eurer Kaiserlichen Majestät

untertänigste gehorsame

Johanns, Herzog zu Sachsen, Kurfürst

Georg, Markgraf zu Brandenburg[-Ansbach]

Ernst, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg

Philipp, Landgraf zu Hessen

Hanns Friedrich, Herzog zu Sachsen

Franz, Herzog zu Lüneburg

Wolf, Fürst zu Anhalt

Bürgermeister und Rat zu Nürnberg

Bürgermeister und Rat zu Reutlingen