Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ aus dem Jahr 1520 gehört zu seinen grundlegenden reformatorischen Frühschriften und stellt zusammen mit dem „Sermon von den guten Werken“ die Grundlinien einer christlichen Ethik auf.
Luther
hat dabei in der ständigen Auseinandersetzung mit der römisch-katholischen Werkgerechtigkeit
zunächst herausgearbeitet, wie wir als Sünder überhaupt Christ werden können –
und dann, als Erlöste, gute Werke tun. Die These, die er dazu über sein Werk
gesetzt hat, um sie dann anhand der Heiligen Schrift auszuführen, lauten:
Ein
Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan;
Ein
Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.
Luther
legt dar, dass jeder Christ sowohl geistlich als auch leiblich ist, dass er
eine Seele und einen Leib hat. Und er stellt dann die Frage in den Raum: Worin
besteht eigentlich die Freiheit des Christen? Wenn es um die Seele des Menschen
geht, „so ist offenbar, dass kein äußerliches Ding ihn frei noch fromm machen
kann, wie es immer genannt werden mag. Denn seine Frömmigkeit und Freiheit,
wiederum seine Bosheit und Gefängnis sind nicht leiblich noch äußerlich. Was
hilft es der Seele, dass der Leib ungefangen, frisch und gesund ist, isst,
trinkt, lebt, wie er will? Wiederum, was schadet das der Seele, dass der Leib
gefangen, krank und matt ist, hungert, dürstet und leidet, wie er nicht gerne
wollte? Dieser Dinge reicht keines bis an die Seele, sie zu befreien oder zu
fangen, fromm oder böse zu machen.“ (Luthers Werke. Hrsg. von Buchwald, Kawerau
... 3. Aufl. Berlin 1905. Bd. 1. S. 296 f.) Kurz: All die äußeren, materiellen
Dinge dieses Lebens können tatsächlich der Seele nicht helfen, von der Sünde
frei zu werden und zum Frieden mit Gott zu kommen. Das heißt: Die Seele kann
letztlich alle äußeren Dinge entbehren, nur eines nicht: Gottes Wort! „Hat die
Seele kein ander Ding, weder im Himmel noch auf Erden, darinnen sie lebe,
fromm, frei und Christ sei als das heilige Evangelium, das Wort Gottes von
Christus gepredigt, wie er selbst sagt Joh. 11,25: ‚Ich bin das Leben und die
Auferstehung, wer da glaubt an mich, der lebt ewiglich’, ferner 14,6: ‚Ich bin
der Weg, die Wahrheit und das Leben’, ferner Matth. 4,4: ‚Der Mensch lebt nicht
allein vom Brot, sondern von allen Worten, die aus dem Munde Gottes gehen.’ So müssen
wir nun gewiss sein, dass die Seele alles Dinges entbehren kann, ausgenommen
das Wort Gottes, und ohne das Wort Gottes ist ihr mit keinem Ding geholfen. Wo
sie aber das Wort hat, so bedarf sie auch keines anderen Dinges mehr, sondern
sie hat in dem Worte genug: Speise, Freude, Friede, Licht, Kunst,
Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit, Freiheit und alles Gut überschwänglich.“
(ebd. S. 296) „Und Christus ist um keines anderen Amtes willen, als das Wort
Gottes zu predigen, gekommen. Auch alle Apostel, Bischöfe, Priester und der
geistliche Stand sind allein um des Wortes willen berufen und eingesetzt,
wiewohl es nun leider anders geht.“ (ebd. S. 297) Die Seele lebt also allein
aus dem Wort Gottes, und dabei wieder aus dem Evangelium, dem Wort von Christus,
und kommt nur so aus allem Verderben und aller Not.
Darum
ist es absolut notwendig, dass wir stets, täglich mit Christi Wort umgehen,
denn anders können wir nicht Christi Eigentum werden. „Darum sollte das billig
aller Christen einziges Werk und Übung sein, dass sie das Wort und Christus
wohl in sich bildeten, solchen Glauben stetig übten und stärkten. Denn kein
anderes Weerk kann einen Christen machen, wie Christus Joh. 6 zu den Juden
sagte.“ (ebd. S. 297) Schon diese Aussagen stellen den schärfsten Gegensatz zur
römisch-katholischen Lehre dar, die eben genau das leugnet, dass wir an
Christus und seinem Wort genug haben und dass der Glaube – der auch wiederum
ein Geschenk Gottes ist – das einzige wahre „Werk“ ist, womit wir wahrhaft Gott
wohlgefallen, wodurch allein die Gebote gehalten werden. Rom verweist vielmehr
bis heute die Menschen an ihre eigenen Werke, wenn sie in den Himmel kommen
wollen. Rom verleugnet Christus zwar nicht völlig, aber es lässt die Rettung
nicht durch ihn allein geschehen, sondern behauptet, dass eine Mitwirkung des
Menschen nötig sei, dass er, um hier mit Luther zu reden, leibliche Werke tun
müsse, um seiner Seele zum völligen Frieden zu helfen. Dagegen macht der
Reformator hier deutlich, dass wir durch den Glauben den größtmöglichen
Reichtum überhaupt haben, da wir durch ihn – und zwar durch ihn allein –
gerecht und fromm und mit Christus vereinigt sind. Der Glaube allein, ohne alle
Werke, macht fromm. Darum ist es auch so wichtig, Gesetz und Evangelium
deutlich zu unterscheiden. „Hier ist fleißig zu merken und ja mit Ernst zu
behalten, dass allein der Glaube ohne alle Werke fromm, frei und selig macht,
wie wir hernach mehr hören werden. Und es ist zu wissen, dass die ganze heilige
Schrift in zweierlei Worte geteilt wird, welche sind: Gebote oder Gesetze
Gottes und Verheißungen oder Zusagungen. Die Gebote lehren und schreiben uns
mancherlei gute Werke vor, aber damit sind sie noch nicht geschehen. Sie weisen
wohl, sie helfen aber nicht; lehren, was man tun soll, geben aber keine Stärke
dazu. Darum sind sie nur dazu geordnet, dass der Mensch darinnen sehe sein
Unvermögen zu dem Guten und lerne an sich selbst verzweifeln. Und darum heißen
sie auch das alte Testament und gehören alle ins alte Testament. So beweist das
Gebot: ‚Du sollst nicht böse Begierde haben’, dass wir allesamt Sünder sind und
kein Mensch vermag ohne böse Begierde zu sein, er tue, was er will; daraus
lernt er an sich selbst verzagen und anderswo Hilfe zu suchen, dass er ohne
böse Begierde sei und also das Gebot durch einen anderen erfülle, das er aus
sich selbst nicht vermag. Also sind auch alle anderen Gebote uns unmöglich.
Wenn
nun der Mensch aus den Geboten sein Unvermögen gelernt und empfunden hat, dass
ihm nun angst wird, wie er dem Gebote Genüge tue, da das Gebot muss erfüllt
sein oder er muss verdammt sein: So ist er recht gedemütigt und zunichte
geworden in seinen Augen, findet nichts in sich, womit er fromm werden könnte.
Dann so kommt das andere Wort, die göttliche Verheißung und Zusagung, und
spricht: Willst du alle Gebote erfüllen, deiner bösen Begierde und Sünde los
werden, wie die Gebote zwingen und fordern, siehe da, glaube an Christus, in
welchem ich dir zusage alle Gnade, Gerechtigkeit, Friede und Freiheit; glaubst
du, so hast du, glaubst du nicht, so hast du nicht. Denn was wir unmöglich ist
mit allen Werken der Gebote, deren viele sind und doch keines nütze, das wird
dir leicht und kurz durch den Glauben. Denn ich habe kurz in den Glauben
gestellt alle Dinge, dass, wer ihn hat, alle Dinge haben und selig sein soll;
wer ihn nicht hat, soll nichts haben.“ (ebd. S. 298 f.)
Wort
und Glaube sind es also, die die Seele regieren, die äußeren Werke helfen nicht
zur ewigen Errettung. Das trennt bis heute das biblische, in der Reformation
erneuerte Christentum von Rom. „Also sehen wir, dass an dem Glauben ein
Christenmensch genug hat; er bedarf keines Werkes, dass er fromm sei. Bedarf er
denn keines Werkes mehr, so ist er gewisslich entbunden von allen Geboten und
Gesetzen. Ist er entbunden, so ist er gewisslich frei. Das ist die christliche
Freiheit, der einzige Glaube, der da macht, nicht, dass wir müßig gehen oder
übel tun mögen, sondern dass wir keines Werkes zur Frömmigkeit bedürfen und um
Seligkeit zu erlangen, davon wir mehr hernach sagen wollen.“ (ebd. S. 300) Das
also ist die wahre christliche Freiheit, dass wir aus Gottes Gnade, um Christi
Verdienst willen, befreit sind von dem Zwang, durch eigene Werke unsere
Erlösung zu erringen oder zumindest doch daran mitzuwirken. Unser Leben muss
sich damit eben nicht mehr um uns selbst, unser Heil, drehen, sondern wir sind
frei geworden für Christus und damit auch für den Nächsten.
Und
dieser rettende Glaube, der vereinigt die Seele mit Christus, wie die Braut mit
dem Bräutigam durch die Ehe vereinigt wird. Das heißt: Die gläubige Seele
erhält alles das, was Christus gehört, während Christus alles das, was auf der
Seele liegt, also alle Sünde, auf sich nimmt. „Nicht allein gibt der Glaube so
viel, dass die Seele dem göttlichen Wort gleich wird, aller Gnaden voll, frei und
selig, sondern vereinigt auch die Seele mit Christus, wie eine Braut mit ihrem
Bräutigam. Aus welcher ehe folgt, wie St. Paulus sagt, dass Christus und die
Seele ein Leib werden; so werden auch beider Güter, Fall, Unfall und alle Dinge
gemeinsam; das, was Christus hat, das ist eigen der gläubigen Seele; was die
Seele hat, wird eigen Christi. So hat Christus alle Güter und Seligkeit: die
sind der Seele eigen. So hat die Seele alle Untugend und Sünde auf sich: die
werden Christi eigen.
Hier
hebt nun an der fröhliche Wechsel und Streit: Dieweil Christus ist Gott und
Mensch, welcher noch nie gesündigt hat und dessen Frömmigkeit unüberwindlich,
ewig und allmächtig ist, so macht er denn der gläubigen Seele Sünde durch ihren
Brautring, das ist der Glaube, sich selbst zu eigen und tut nicht anders, denn
als hätte er sie getan. So müssen die Sünden in ihm verschlungen und
ersäuft werden. Denn seine unüberwindliche Gerechtigkeit ist allen Sünden zu
stark. Also wird die Seele von allen ihren Sünden lauter durch ihren Mahlschatz,
das ist des Glaubens halben ledig und frei und begabt mit der ewigen
Gerechtigkeit ihres Bräutigams Christus.“ (ebd. S. 300 f.) Und so ist es der
Glaube – und zwar der Glaube allein –, der das erste Gebot erfüllt, und
damit auch alle anderen Gebote. „Hier siehst du aber, aus welchem Grunde dem
Glauben billig so viel zugeschrieben wird, dass er alle Gebote erfüllt und ohne
alle anderen Werke fromm macht. Denn du siehst hier, dass er das erste Gebot
erfüllt allein, da geboten wird: Du sollst deinen Gott ehren. Wenn du nun eitel
gute Werke wärest bis auf die Fersen, so wärest du dennoch nicht fromm und
gäbest Gott noch keine Ehre, und also erfülltest du das allererste Gebot nicht.
Denn Gott kann nicht geehrt werden, ihm werde denn Wahrheit und alles Gute
zugeschrieben, wie er denn wahrlich ist. Das tun aber keine guten Werke,
sondern allein der Glaube des Herzens. Darum ist er allein die Gerechtigkeit
des Menschen und aller Gebote Erfüllung.“ (ebd. S. 301 f.) Es liegt also alles
daran, wirklich das gesamte Evangelium, dass die Werke aus dem rettenden
Glauben absolut ausgeschlossen werden. Darum ist es auch völlig verkehrt, wenn
der rettende Glaube beschrieben wird als derjenige Glaube, der durch die Liebe
tätig wird. Das ist bereits die Vermengung von Rechtfertigung und Heiligung,
das ist gegen Römer 3 und 4 und ist der Übertritt auf römisch-katholisches
Gebiet. (Und das ist leider der Irrweg des Pietismus und vieler Evangelikaler,
die daher, wie der Vorsitzende des Gnadauer Verbandes, kein Problem hatten, der
sogenannten „Gemeinsamen Erklärung“ zur Rechtfertigungslehre zuzustimmen.) Die
Werke können uns die Seligkeit nicht erwerben, sie können nicht wirklich die
Gebote Gottes erfüllen. Sie sind vielmehr eine Frucht, die aus dem Glauben
folgt.
Durch
Christus haben wir im Glauben die höchste Ehre: Wir sind Könige und Priester
und haben damit allen Reichtum und freien Zugang zu Gott. „Wer mag nun
ausdenken die Ehre und Höhe eines Christenmenschen? Durch sein Königreich ist
er aller Dinge mächtig, durch sein Priestertum ist er Gottes mächtig. Denn Gott
tut, was er bittet und will, wie da geschrieben steht im Psalter: ‚Gott tut den
Willen derer, die ihn fürchten, und erhört ihr Gebet.’ Zu diesen Ehren kommt er
nur allein durch den Glauben und durch kein Werk. Daraus sieht man klar, wie
ein Christenmensch frei ist von allen Dingen und über alle Dinge, also dass er
keiner guten Werke dazu bedarf, dass er fromm und selig sei, sondern der Glaube
bringt es ihm alles überflüssig.“ (ebd. S. 304) Dies zeigt einen weiteren
Aspekt der christlichen Freiheit an: Als Christ bin ich durch den Glauben frei
von allen Dingen, nicht mehr abhängig von ihnen, und bin vielmehr ein Herr
aller Dinge geworden, denn sie müssen mir nun alle dienen.
Bisher
hatte Luther von dem inneren oder inwendigen Menschen geredet. Nun geht er auf
den äußeren Menschen, der ja nicht eine andere Person ist, sondern eine Person
mit dem inwendigen Menschen. Was nun diesen äußeren Menschen angeht, der in
dieser Welt lebt, so ist der Christ in ihm ein dienstbarer Knecht und allen
untertan. Denn mit dem Leib ist er auch als Christ hier auf Erden und soll
Christus in den anderen Menschen dienen, damit der äußere Mensch so dem inneren
Menschen immer ähnlicher werde. „Obwohl der Mensch inwendig nach der Seele durch
den Glauben genugsam gerechtfertigt ist und alles hat, was er haben soll, außer
dass deerselbe Glaube und Genüge immer zunehmen muss bis in jenes Leben, so
bleibt er doch noch in diesem leiblichen Leben auf Erden und muss seinen
eigenen Leib regieren und mit Leuten umgehen. Da heben nun die Werke an: Hier
darf er nicht müßig gehen; da muss fürwahr der Leib mit Fasten, Wachen,
Arbeiten und mit aller mäßigen Zucht getrieben und geübt sein, dass er dem
innerlichen Menschen und dem Glauben gehorsam und gleichförmig werde, nicht
hindere noch widerstrebe, wie seine Art ist, wo er nicht gezwungen wird.“ (ebd.
S. 306) Was sagt Luther damit: Es wäre ein Widerspruch in sich, wenn der Mensch
meint, weil er ja den Glauben habe, darum brauche er keine Werke mehr zu tun,
er habe ja schon alles. Dann wäre er als Mensch völlig gespalten. Vielmehr muss
es so sein, dass der inwendige Menschen den äußeren Menschen regiert, dass eer
also bestrebt ist, so zu leben, wie es Gottes Wort und Willen entspricht, gegen
alle Lüste und Begierden und Sehnsüchte und Ziele des äußeren Menschen. Das ist
der tägliche geistliche Kampf, den wir zu führen haben, von dem Paulus Römer 7
und Galater 5 spricht. Die Werke geschehen also nicht damit der Mensch
erlöst, fromm wird, sondern weil er erlöst ist, um in der Liebe gehorsam
und gereinigt zu werden. „Aber dieselben Werke müssen nicht geschehen in der
Meinung, dass dadurch der Mensch fromm werde vor Gott, denn die falsche Meinung
kann der Glaube nicht leiden, der allein ist und sein muss die Frömmigkeit vor
Gott; sondern nur in der Meinung, dass der Leib gehorsam werde und gereinigt
von seinen bösen Lüsten, und das Auge nur sehe auf die bösen Lüste, sie
auszutreiben... und doch sind die Werke nicht das rechte Gut, davon er fromm
und gerecht sei vor Gott, sondern er tue sie aus freier Liebe umsonst, Gott zu
gefallen; nichts anderes darin gesucht noch gesehen, als dass es Gott also
gefalle, dessen Willen er gerne täte aufs allerbeste.“ (ebd. S. 307)
Hier
kommt sehr deutlich die Triebfeder für das christliche Leben heraus: die freie
Liebe zu Gott, ihm, dem lebendigen, dreieinigen Gott, der mich erlöst hat,
erworben und gewonnen von allen Sünden und der Herrschaft des Teufels, ihm zu
dienen, ihm gehorsam zu sein, ihm zu gefallen.
Aus
all dem wird deutlich: Gute Werken machen noch lange keinen frommen Menschen,
sondern es ist umgekehrt: Nur ein frommer Mann kann überhaupt Werke tun, die in
Gottes Augen gut sind. „Darum sind zwei Sprüche wahr: ‚Gute, fromme Werke
machen nimmermehr einen guten, frommen Mann, sondern ein guter, frommer Mann
macht gute, fromme Werke.’ ‚Böse Werke machen nimmermehr einen bösen Mann,
sondern ein böser Mann macht böse Werke.’ Also dass allewege die Person zuvor
gut und fromm sein muss vor allen guten Werken, und gute Werke folgen und
ausgehen von der frommen, guten Person; gleichwie Christus sagt: ‚Ein böser
Baum trägt keine gute Frucht, ein guter Baum trägt keine böse Frucht.’“ (ebd.
S. 308 f.) Immer wieder betont es Luther, dass allein der Glaube fromm macht,
und musste es immer wieder betonen, da die Menschen durch die
römisch-katholische Lehre von Christus weg auf die Heiligen, Maria und die
eigenen Werke verführt worden waren. „So denn die Werke niemand fromm machen,
und der Mensch zuvor fromm sein muss, ehe er wirkt, so ist es offenbar, dass
allein der Glaube aus lauter Gnade durch Christus und sein Wort die Person
genugsam fromm und selig macht, und dass kein Werk, kein Gebot einem Christen
not sei zur Seligkeit, sondern er frei ist von allen Geboten und aus lauterer
Freiheit umsonst tut alles, was er tut, in nichts damit seinen Nutzen oder
Seligkeit zu suchen – denn er ist schon satt und selig durch seinen Glauben und
Gottes Gnade – sondern nur, um Gott darinnen zu gefallen.
Wiederum
dem, der ohne Glauben ist, ist kein gutes Werk förderlich zur Frömmigkeit und
Seligkeit. Wiederum machen in keine bösen Werke böse und verdammt, sondern der
Unglaube, der die Person und den Baum bös macht, der tut böse und
verdammte Werke. Darum, wwenn man fromm oder böse wird, hebt es sich nicht an
den Werken an, sondern an dem Glauben.“ (ebd. S. 309 f.) Die Werke zeigen dann
nur nach außen hin an, vor den Menschen, ob die Person wohl fromm oder böse
sei. Aber wie die Person wirklich ist, wie ihr Herz aussieht, das lässt sich
durch die Werke nicht erkennen. Denn viele mögen zwar, oft in dem Irrwahn der
Werkgerechtigkeit, gute Werke tun – aber das Herz bleibt fern von Christus. Sie
haben damit nur einen Schein der Frömmigkeit, aber nicht den rechten Grund,
Christus. Es geht vielmehr um die Person, sie muss erst gut werden. „Wer nun
mit denselben Blinden nicht irren will, muss weiter sehen als in die Werke,
Gebote oder Lehre der Werke. Er muss auf die Person vor allen Dingen sehen, wie
die fromm werde. Die wird aber nicht durch Gebot und Werk, sondern durch
Gottes Wort (das ist durch seine Verheißung der Gnade) und den Glauben fromm
und selig, auf dass bestehe seine göttliche Ehre, dass er uns nicht durch
unsere Werke, sondern durch sein gnädiges Wort umsonst und aus lauter
Barmherzigkeit selig mache.“ (ebd. S. 310) Werke, mit denen der Mensch sich die
ewige Rettung erwerben will, sind vor Gott gar nicht gut, weil sie die Gnade
Gottes angreifen, schmähen, die doch allein durch den Glauben fromm und selig
macht. „Denn wo der falsche Anhang und die verkehrte Meinung darin ist, dass
durch die Werke wir fromm und selig werden wollen, sind sie schon nicht gut und
ganz verdammlich; denn sie sind nicht frei und schmähen die Gnade Gottes, die
allein durch den Glauben fromm und selig macht; welches Werke nicht vermögen,
und nehmen es sich doch vor zu tun und greifen damit der Gnade in ihr Werk und
ihre Ehre. Darum verwerfen wir die guten Werke nicht um ihretwillen, sondern um
desselben bösen Zusatzes und falscher, verkehrter Meinung willen, welche macht,
dass sie nur gut scheinen und sind doch nicht gut, betrügen sich und jedermann
damit, gleichwie die reißenden Wölfe in Schafskleidern. Aber derselbe böse
Zusatz und die verkehrte Meinung in den Werken ist unüberwindlich, wo der
Glaube nicht ist. Er muss in demselben Werkheiligen sein, bis der Glaube kommt
und ihn zerstöre; die Natur vermag ihn von sich selbst nicht auszutreiben, ja
auch nicht zu erkennen, sondern sie hält ihn für ein köstliches, seliges Ding;
daxrum werden ihrer auch so viele dadurch verführt.“ (ebd. S. 311)
Luther
macht deutlich, dass ohne den Glauben damit auch alle Reue, Beichte und
Genugtun, was ja Rom in dem sogenannten „Bußsakrament“ vorgeschrieben hat,
teuflisch sind. Warum wird das so wenig erkannt? Weil vielfach Gesetz und
Evangelium nicht recht unterschieden und auch nicht sowohl Gesetz als auch
Evangelium gepredigt werden. Das ist Luther sehr wichtig. „Man darf nicht
einerlei allein predigen, sondern alle beide Worte Gottes. Die Gebote soll man
predigen, die Sünder zu erschrecken und ihre Sünde zu offenbaren, dass sie Reue
haben und sich bekehren. Aber dabei soll es nicht bleiben, man muss das andere
Wort, die Zusagung der Gnade, auch predigen, den Glauben zu lehren, ohne welche
die Gebote, Reue und alles andere vergebens geschieht.“ (ebd.) Aus dem Gesetz
kommt die Reue – aber der rechte Glauben allein aus dem Evangelium. „Denn die
Reue fließt aus den Geboten, der Glaube aus den Zusagungen Gottes, und also
wird der Mensch durch den Glauben göttlicher Worte gerechtfertigt und erhaben,
der durch die Furcht vor Gottes Gebot gedemütigt und zu seiner Erkenntnis
gekommen ist.“ (ebd. S. 311 f.)
Wozu
sollen wir überhaupt gute Werke tun? Damit sollen wir den anderen Menschen,
unseren Mitmenschen, unserem Nächsten dienen. Denn zur Seligkeit, zur ewigen
Errettung, haben wir sie nicht nötig. Vielmehr sollen wir mit ihnen den anderen
Menschen dienen, tun, was für sie nützlich ist. „... er muss je mit ihnen zu
reden und zu schaffen haben, wiewohl ihm derselben Werke keines not ist zur
Frömmigkeit und Seligkeit. Darum soll seine Meinung in allen Werken frei und
nur dahin gerichtet sein, dass er anderen Leuten damit diene und nütze sei,
nichts anderes sich vornehme, als was den anderen not ist.... Phil. 2,1-3: ‚Ich
ermahne euch allen Trostes, den ihr in Christus habt, und allen Trostes, den
ihr habt von unserer Liebe zu euch, und aller Gemeinschaft, die ihr habt mit
allen geistlichen frommen Christen, ihr wollt mein Herz vollkommen erfreuen,
und das damit, dass ihr hinfort wollet eines Sinnes sein, einer gegen
den anderen Liebe erzeigen, einer dem anderen dienen und ein jeglicher Acht
haben nicht auf sich noch auf das Seine, sondern auf den anderen und was
demselben not sei.“ (ebd. S. 312) Alle Werke sollen also auf den Nächsten
gerichtet sein, ihm Gutes zu tun. Wir selbst benötigen sie nicht, denn wir
haben ja schon am Glauben an Jesus Christus genug. Unser Leben soll ganz dem
Vorbild Jesu Christi, Phil. 2,5-8, daher folgen, nämlich für den Nächsten da zu
sein. „Siehe, da hat Paulus klärlich ein christliches Leben dahin gestellt,
dass alle Werke sollen gerichtet sein dem Nächsten zugut, dieweil ein jeglicher
für sich selbst an seinem Glauben genug hat, und alle anderen Werke und Leben
ihm übrig sind, seinem Nächsten damit aus freier Liebe zu dienen.“ (ebd.)
Im
Glauben, das betont Luther immer wieder, haben wir alles, was wir brauchen,
sind damit frei, auch wenn wir dienen. Unser Leben braucht sich damit nicht
mehr um uns selbst zu drehen, sondern wir sind frei geworden, dass wir nun ein
Diener des Nächsten sein können, und zwar ohne Hintergedanken, frei, umsonst.
„Und ob er nun ganz frei ist, soll er sich wiederum willig zu einem Diener
machen, seinem Nächsten zu helfen, mit ihm zu verfahren und zu handeln, wie
Gott mit ihm durch Christus gehandelt hat. Und das alles umsonst, nichts
darinnen zu suchen als göttliches Wohlgefallen, und so zu denken: Wohlan, mein
Gott hat mir unwürdigem, verdammtem Menschen ohne alles Verdienst, rein umsonst
und aus eitel Barmherzigkeit durch und in Christus vollen Reichtum aller Frömmigkeit
und Seligkeit gegeben, dass ich hinfort nichts mehr bedarf als zu glauben, es
sei also. Ei, so will ich solchem Vater, der mich mit seinen überschwänglichen
Gütern also überschüttet hat, wiederum frei, fröhlich und umsonst tun, was ihm
wohlgefällt, und gegen meinen Nächsten auche in Christ werden, wie Christus mir
geworden ist, und nichts mehr tun, als was ich nur sehe, das ihm not, nützlich
und selig sei, dieweil ich doch durch meinen Glauben alles Dinges in Christus
genug habe.“ (ebd. S. 313)
So
ist die Liebe eine Frucht des Glaubens, der Gnade Gottes zu uns. Weil Gott uns
geliebt hat, können wir ihn wieder lieben und sind frei, in dieser Liebe auch
dem Nächsten zu dienen. „Darum, wie uns Gott durch Christus umsonst geholfen
hat, also sollen wir durch den Leib und seine Werke nichts anderes tun als dem
Nächsten helfen.“ (ebd.)
Darum
können wir als Christen uns auch unterwerfen unter den Willen anderer, soweit
es nicht den Geboten Gottes widerspricht. „Denn welches Werk nicht dahinaus
gerichtet ist, dem anderen zu dienen oder seinen Willen zu leiden, sofern er
nicht zwingt, wider Gott zu tun, so ist es nicht ein gutes christliches Werk.“
(ebd. S. 315) So kann ein Christ, wenn es die Obrigkeit verlangt, sogar Geld
geben, fasten, nicht, weil er das für sich, für seine Seligkeit benötigen
würde, sondern für den anderen, ihm dadurch zu dienen. Und das alles eben
einzig und allein aus Liebe, weil wir in Christus alles haben. Ein Christ, das
macht Luther hier deutlich, lebt nicht mehr für sich selbst, sondern für
Christus und damit für den Nächsten. In Christus sind wir frei, voll und ganz,
und gerade damit auch für jeden ein Diener. „Aus dem allen folgt der Beschluss,
dass ein Christenmensch lebt nicht sich hselbst, sondern in Christus und seinem
Nächsten: in Christus durch den Glauben, in seinem Nächsten durch die Liebe.“
(ebd. S. 316)